Colloquium

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14. Ingerimm 1042 BF, Burg Efferdwacht

Im Pavillon erwartete Liafwin von Fadersberg den Abt von St. Aldec. Auf einem kleinen Tisch standen Getränken bereit und sogar kleine Häppchen hatte das Personal eiligst herbeigeschafft. Seit seinem Lehenseid hatte sich der junge Baron tatsächlich prächtig entwickelt, unzählige Unterweisungen unter der strengen Knute von Haushofmeister Birkenbruch hatten ihm den notwendigen Feinschliff verschafft die sein neuer Stand bedurfte, während zahlreiche, und reich an blauen Flecken, Übungseinheiten mit den Rittern der Baronie ihn zu einem passablen Kämpfer gemacht hatte. Mehr noch, hatten sie seine bis dahin eher schmächtige Statur kräftig aufpoliert.

Adelhelm kannte die Burg, deshalb schenkte er der Umgebung nur sehr wenig Beachtung und folgte dem Jüngling mit kraftvollem und autoritärem Schritt. Dass auch seine Familie einen Sinn für Extravaganz hatte, wusste der Bannstrahler und war seiner Meinung nach auch den Verbindungen der Halberger zum dekadenten Süden des Kontinents geschuldet, wo sie unter Kaiser Hal für einige Zeit sogar die Protektoren des kaiserlichen Gouvernements Südmeer stellten. Schon einige Momente bevor sie in das Sichtfeld des jungen Barons kamen, kündigten das Klirren seiner Kettenrüstung und das Klimpern seines Waffengehänges das Kommen des Abtes an.

„Ehrwürden Adelhelm es freut mich Euch begrüßen zu dürfen. Hätte ich gewusst, dass Ihr kommt wäre ich früher aufgebrochen oder hätte anstatt der protzigen Kutsche ein Pferd genommen. Ich gebe ja zu, sie macht das Reisen doch sehr komfortabel, aber um zu klären wieso ein solches Gefährt notwendig ist müssten wir in Kemi Reich reisen und Linnart von Halberg fragen. Vielleicht liegt es ja in der Familie, immerhin hat sich sein Vater bei dieser Feste hier auch nicht lumpen lassen. Doch ich fange an zu Quasseln. Nehmt doch Platz und erzählt mir was Euch führt auf die Efferdwacht führt?“ Das seine Worte zugleich einen Seitenhieb auf seinen Gast gleichkamen fiel dem jungen Mann überhaupt nicht, gut möglich das er sich in diesem Augenblick überhaupt nicht bewusst war das Adelhelm dem gleichen Haus angehörte.

„Praios zum Gruße, Hochgeboren…“, kam es reserviert aus Adelhelms Mund während er den Baron eingehend musterte. Dessen anfängliche Bemerkung betreffend seine Familie schien der Halberger, für seine Verhältnisse, recht locker aufzunehmen. „Wie mein Bruder und mein Neffe hier zu leben gedachten…“, meinte er schlicht, „…müsste Euch ja nicht als Vorbild dienen.“ Der alternde Ritter kam der Einladung Liafwins nach und setzte sich auf den angebotenen Stuhl. Einige Momente sah er dem jungen Mann tief in die Augen, ganz so als wolle er darin etwas finden. Dass die Delegation St. Aldecs auf die Ankunft des Barons warten musste, hielt Adelhelm ihm nicht vor. Es stimmte – er kam nach dem Schreiben des Hofkaplans unangemeldet. „Warum ich an Euch herantrete ist ganz einfach erklärt; Eure Stellungnahme im letzten Greifenspiegel hat mir gezeigt, dass zwischen uns Gesprächsbedarf besteht.“

Der Abt räusperte sich um seiner etwas belegten Stimme wieder mehr Kraft zu verleihen. „Ich bin niemand, der sich endlose Wortgefechte über ein Schmierblatt und vor dem Pöbel liefern möchte. Mir liegt dieses Land hier genauso am Herzen wie es das bestimmt auch Euch tut und genau deshalb bin ich da. Ich habe geschworen Rechtgläubige gegen jeglichen Auswuchs von Chaos zu verteidigen – Chaos wie es sich auch auf und um den Großen Fluss zeigt.“ Adelhelm hob seine Augenbrauen. „Chaos, unter dem nicht wenige Bewohner dieser Lande zu leiden haben.“

Der junge Baron nahm dem Abt gegenüber Platz und gönnte sich einen Schluck aus dem dort bereits stehenden Kristallkelch. Zeit die er sich nahm um die Worte des Abtes einzuordnen und verarbeiten. „Das Wohl der Bewohner Kyndochs liegt mir sehr wohl am Herzen und deshalb nehme ich die bei mir eingehenden Meldungen auch sehr ernst. Nachdem ich von Eurem Beitrag im Greifenspiegel erfahren hatte, bat ich Hofkaplan Ratsburger darum eine Antwort zu formulieren. Wie mir scheint, hätte ich diese vorher lesen sollen. Allerdings habe ich nur wenig Zeit, eigentlich gar keine um irgendwelche Gazetten zu lesen. Stattdessen habe ich es von morgens bis abends schier endlosen mit Berichten zu tun, viele davon stammen gar noch aus der Zeit von Baron Linnart und sind meist Rechnungen deren Rechtmäßigkeit ich nun nachträglich überprüfen muss. Leider musste ich feststellen das meine Vorgänger nicht ganz so viel Sorgsamkeit an den Tag legten, wie es der Graf wünscht.“ Es war ein Leichtes zu erkennen, dass der junge Mann seine Worte ernst meinte. Das Schlimmste daran aber war, dass all die Altlasten ihn daran hinderten die aktuellen Probleme anzugehen. „Wenn es Hochwürden nichts ausmacht, könntet Ihr mir dann nochmals auf die Sprünge helfen mit dem Inhalt Eures Beitrages im Greifenspiegel und der Antwort meines Kaplans?“

Als der junge Baron die Gewissenhaftigkeit seiner Vorgänger ansprach, musterte ihn der Abt regungslos – dass nun abermals seine Familie zur Sprache kam, provozierte ihn jedoch nicht. Adelhelm war als die Stimme des Ordens vom Bannstrahl Praios´ gekommen, nicht in seiner Funktion als Familienoberhaupt derer von Halberg. Um das klarzustellen sollte der Abt die zuletzt gestellte Frage seines Gegenübers im ersten Moment übergehen. „Hochgeboren, ich bin nicht hier um Verteidigungsreden für meine Familie zu halten, oder die Arbeit der Barone in der Vergangenheit zu bewerten, seien es nun 700 Jahre der Halberger Herrschaft oder derer 12 Eurer Familie. Dazu würde mir auch der Einblick fehlen, schließlich bin ich ein Mann des Glaubens und nicht der Politik.“

Für die Dauer eines Lidschlages bildete sich eine steile Falte zwischen den buschigen Brauen des Abtes und brachte so sein sonst regungsloses Antlitz erstmals ins Wanken. „Was mich interessiert sind die Gegenwart und die Zukunft. Deshalb auch mein Kommentar im Greifenspiegel, wo ich die gegenwärtigen Zustände am Großen Fluss aufs schärfste angeprangert habe und auch Euch nicht aus der Verantwortung halten konnte.“ Der Abt wirkte immer noch sehr ruhig und bestimmt. Mit einer beschwichtigenden Geste kam er einem Einwurf seines jungen Gegenübers zuvor. „Worte der Kritik, das war mir bewusst, aber jede Problemlösung beginnt damit sich dessen gewahr zu werden woran es hapert.“

Der Halberger hob seine Brauen und kurz schien es als würde er eine Antwort des Barons abwarten, was er jedoch nicht tat. „Die Antwort Eures … Hofkaplans … in Eurem Namen … fiel dann gelinde gesagt ernüchternd aus. Er ließ mir ausrichten, dass der Große Fluss nicht in Euren Zuständigkeitsbereich fiele … womit er de iure zwar Recht hat, er jedoch diesen Gedanken nicht gänzlich zu Ende gedacht hatte, haben doch vor allem die Menschen in und um Taindoch unter dieser Plage zu leiden und dafür kann Bruder Ratsburger die Verantwortung nicht zur Gänze auf den Herzog oder das Reich schieben.“

Es folgte ein kurzes Stirnrunzeln. „Auch ließ er mir ausrichten, dass es einem Vertreter der Kirche nicht zusteht Probleme auf diese Art und Weise anzusprechen – von dem Seitenhieb auf meine Familie ganz zu schweigen.“, Adelhelm schüttelte leicht den Kopf, „…als hätte meine Abstammung irgendetwas mit dem Inhalt meiner Kritik zu tun gehabt.“

Insgeheim fand der Abt St. Aldecs es bedenklich, dass ein Geweihter des Götterfürsten die Meinung vertrat, man solle Vertreter der Kirchen einen Maulkorb umhängen wenn es um weltliche Probleme ging. Es wäre in den Augen Adelhelms verschmerzbar gewesen, kämen diese Worte aus dem Mund eines jungen, unerfahrenen Adeligen – ja, in diesem Fall könnte man das mit einer schärferen Rüge und etwas Unterricht wieder geradebiegen – aber in diesem Fall kamen sie aus dem Mund eines Glaubensbruders und Hochgeweihten der Gemeinschaft des Lichts. Der Halberger nahm sich vor auch Hochwürden Praiofan einen kurzen Besuch abzustatten.

„Per Brief habe ich mich dann an Euch gewandt und Euch zum konstruktiven Disput nach St. Aldec geladen. Auch hier wurde mir von Eurem geschätzten Hofkaplan ausgerichtet, dass ich als Custos Lumini, Abt St. Aldecs und Ordensritter vom heiligen Bannstrahl Praios´ eine solche Einladung nicht aussprechen darf und ich stattdessen um eine Audienz bei Euch bitten muss...“, kurz zeigte sich ein Anflug einer Regung auf dem Antlitz des Bannstrahlers, „…Ihr dürft es als Akt meines guten Willens verstehen, dass dich dieser Forderung nachgekommen bin. Dies ist nämlich nicht die Zeit für persönliche Befindlichkeiten oder Eitelkeiten.“

Aufmerksam und durchaus mit etwas Bestürzung nahm Liafwin den Bericht des Abtes zur Kenntnis. Hochwürden Ratsburger, Meister Birkenbruch und seine Ritter hatte ihn in den vergangenen Monden so vieles gelehrt, musste er diesen Männern und Frauen nun Misstrauen und ihre Arbeit auch noch überprüfen? Wohl oder Übel würde er zumindest einen besseren Blick auf seine Post werfen müssen.

Der Abt versuchte in der Mimik des jungen Barons zu lesen. „Wenn Ihr erlaubt gebe ich Euch folgenden Rat; den Briefverkehr solltet Ihr Euch nicht aus der Hand nehmen lassen. Ein Herrscher ist nur dann fähig im Sinne des Praios seinen Pflichten nachzukommen, wenn er ausreichend informiert ist.“ Adelhelm hing seinen Gedanken einen Moment lang schweigend nach, dann fasste er Liafwin wieder ins Auge. „Es ist gut, wenn Ihr Euch mit Menschen umgebt, denen Ihr vertraut. Sollten jedoch Schriftstücke in Eurem Namen aufgesetzt, gesiegelt und versandt werden, dann solltet Ihr auch zumindest einen Blick darauf geworfen haben.“

Letztlich bedeutete all das für den jungen Mann nur eines, noch mehr Papierkram. Dabei versank er doch bereits jetzt in eben diesem! Rechnungen die Götterläufe lang unbezahlt und total verstaubt hinten in einem Schrank gefunden hatte. Die Entdeckung hatte ihn entsetzt, hatten etwa all diese Leute noch immer nicht ihren gerechten Lohn erhalten? Dabei brauchten sie ihre Bezahlung doch um Leben zu können! Früher hatte er häufiger von der schlechten Zahlungsmoral einiger Adliger gehört, doch als er plötzlich feststellen musste das er eben diese Schuld mit seinem Titel mitgeerbt hatte, hatte er dies nicht auf sich beruhen lassen können.

Mit ernster Miene hielt er dem Blick des Abtes unbeirrt stand. „Es betrübt mich sehr dergleichen hören zu müssen, allerdings kann ich schlecht die durchaus dargestellte Wahrheit nicht verleugnen. Der Große Fluss ist eine Reichswasserstraße und dazu gehören auch seine Seitenarme. Gelangen die Piraten folglich zurück aufs Wasser sind meinen Männern die Hände gebunden, sofern sie nicht wegen Bruch des Reichsfriedens und Hochverrates an der Kaiserin hingerichtet werden wollen. Gleiches gilt für die in unmittelbarer Nähe zum Ufer verlaufende Reichsstraße. Eine Strecke von fast 30 Meilen, die wir höchstens Lückenhaft und wenn unter den eben aufgezählten Einschränkungen überwachen können. Bereits heute haben meine Gardisten Wachpläne die sie die Strecke abreiten lassen, was aber sollen zwei Berittene gegen eine Überzahl unternehmen?“ Noch bevor Adelhelm antworten konnte sprach Liafwin bereits weiter. „Es gibt nichts! Nichts, abgesehen davon die Leute rechtzeitig zu warnen.“

Anschließend drehte sich der Baron zum noch immer wartenden Burschen um. „Answin sei so lieb und bring mir die Karte die dem großen Tisch im Arbeitszimmer liegt. … und beeil dich!“ Während der Junge davon spurtete wandte sich Liafwin wieder seinem Gast zu.

„Ihr müsst wissen, ich habe viel Energie aufwenden lassen um die eher dürftigen Karten der Baronie mit Details füllen zu lassen. Eventuell hilft uns ein Blick auf die Karte um das Dilemma in dem wir stecken zu verdeutlichen.“

Tatsächlich dauerte es auch nicht lange bis Answin mit der Karte zurückkam und diese auf dem Tisch ausbreitete. „Wie Ihr unschwer erkennen könnt ist dies Kyndoch. Da Ihr mir aber Rat bringen wolltet.“ Rat den Adelhelm direkt hätte auf die Efferdwacht bringen können, ganz ohne den Umweg über den Greifenspiegel. „Sprecht, wie sollte ich Eurer Meinung nach das Land entlang von 30 Meilen Ufer, ohne dass ich auf der Straße noch auf dem Wasser Befugnisse habe, vor Übergriffen schützen?“

„Das Dilemma ist mir in seiner Theorie wohlbekannt…“, bemerkte Adelhelm als der Baron geendet hatte. Der Bannstrahler erhob sich aus seinem Stuhl und bewegte sich hin zum Tisch, auf dem die Karte ausgebreitet wurde um einen besseren Überblick zu haben. „Wäre es einfach zu lösen, bestünde es wohl schon seit Generationen nicht mehr.“

Der Abt machte ein paar Schritte auf und ab, während er seine Augen nicht von der kunstvoll angefertigten Karte der Baronie nahm. „Der Status quo ist nicht sehr glücklich und es sollte nicht nur in Eurem Interesse, sondern auch im Interesse des Grafen und natürlich auch des Herzogs sein diesen zu verbessern.“ Adelhelm ließ diesen Satz vorerst ohne weitere Erklärung stehen. Sein Blick fiel auf Taindoch. „Klar wäre es einfacher sich zurückzulehnen, die Verantwortung den anderen zu überlassen und sich darin zu ergeben.“

Der Halberger blickte auf und seine eisblauen Augen lagen für einige Momente auf seinem jungen Gegenüber. „Meiner Meinung nach stellen sich zwei Fragen. Ob Ihr mir diese hier und heute beantworten wollt, ist Eure Entscheidung. Primo; trotz der scheinbar geringen Möglichkeiten – was habt Ihr in den ersten Jahren unternommen um wenigstens einen Versuch zu starten die Situation Eurer Schutzbefohlenen zu verbessern?“ Er runzelte fragend die Stirn, sprach dann aber sogleich weiter; „Und secundo; was gedenkt Ihr für ein Baron zu sein? Einer, der Probleme proaktiv angeht, oder jemand, der sich auf seinem Geburtsrecht ausruht und bei aufkommenden Problemen auf andere verweist? Es ist eine Entscheidung, die Euch allein obliegt.“ Adelhelm schob seine Augenbrauen zusammen und musterte den jungen Baron eingehend.

„Ich hoffe in Euch ersteres erkennen zu können…“, fuhr er dann ungerührt fort. „Deshalb die Frage; warum nicht versuchen jene rechtlichen Möglichkeiten, die Euch zur Verfügung stehen, auszunutzen? Sucht in dieser Sache den Kontakt zu Grafen und Herzog … sucht bei der Reichskanzlei um ein Regal an, den Fluss in Euren Breiten mit waffenfähigem Volk befahren zu dürfen. Dito in Bezug auf die Reichsstraße.“ Abermals fixierte der alternde Bannstrahler den Baron für einige Momente, ganz so als wolle er dessen Reaktion aus seinen Gesichtszügen ablesen wollen. „Der Große Fluss ist die Lebensader des zentralen und efferdwärtigen Mittelreiches. Jeder örtliche Adelige, der der Flussgarde hier zur Hand geht, sollte gern gesehen sein. Hier geht es um kein Zoll- oder Stapelrecht, dessen Wegfall der Adel oder ein Händler in seiner Börse spüren würde – ganz im Gegenteil.“

Sein Blick fiel wieder auf die Karte. „Gerade die Gegend um Taindoch hat besonders unter den Überfällen zu leiden. Hier würde es wohl schon reichen die Siedlung als Ziel unattraktiver zu machen. Die Menschen mittels Signalturm zu warnen wäre ein Anfang. Waffenvolk verstärken, eventuell auch die Befestigung der Siedlung. Es geht ja nicht darum eine Legion Orks an den Mauern zurück zu schlagen, sondern nur darum den Überfall zu einem Wagnis zu machen, dass sich für die Flusspiraten nicht mehr auszahlt.“

Adelhelm hob abwehrend die Hand. „Mir ist klar, dass diese Möglichkeiten kein Allheilmittel darstellen werden. Aber es wäre ein Signal – auch an die anderen Hochadeligen. Solange Ihr Euch dafür einsetzt, dass die Praios ungefälligen Umstände am Fluss bekämpft werden, werdet ihr darin auch einen Verbündeten in unserem Orden haben, auch wenn ich natürlich keine Streiter Praios dafür abstellen kann die Straßen zu patrouillieren, den Fluss zu befahren oder Händlervolk zu bewachen.“ Der Abt stoppte und reckte sein Kinn. „Der Kampf gegen Ketzerei, Magie und die Ausgeburten des Dreizehnten sind bei Praios unsere primären Aufgaben, doch könnt Ihr dessen versichert sein, dass sich der Orden noch nie dabei zurückgehalten hat, wenn es um den Kampf gegen andere Verfechter des Chaos ging.“

Geduldig hatte Liafwin den Ausführungen des Abtes gelauscht, letztlich hatte er jedoch nichts anderes getan als all die anderen auch – kritisiert, gefordert und anschließend sich selbst aus der Verantwortung gestohlen.

Er hingegen wollte sich beim besten Willen keine Untätigkeit unterstellen lassen. „Wenn Hochwürden es genau wissen wollen, habe ich die Patrouillen verdoppelt. Ebenso habe ich die alten Wachtürme, die Elenvina vor einem Thorwalerangriff warnen sollen mit Gongs ausgestattet um die Bevölkerung vor Piraten zu warnen.“ Die Idee war ihm eines Morgens gekommen als laut dröhnend die Hammerschläge aus der Schmiede über den Hof geschallt hatte und er soeben von einem weiteren Überfall gelesen hatte. Besonders gut daran hatte ihm gefallen, dass es zu keiner Verwechslung mit den anderen Warnmechanismus kommen konnte. Darüber hinaus, war der junge Baron jedoch äußerst Skeptisch was die Vorschläge des Abtes anging.

Keine Kosten für die Händler und Reisenden, bedeutete doch nichts anderes als das er und seine Vasallen auf den Ausgaben sitzen bleiben sollten. Der Schutz der Reichsverkehrswege unterlag der Kaiserin, die genau dafür auch die Einnahmen aus den Pachten für die Gasthäuser an der Reichsstraße bezog. Ihn hingegen würde dieses Unterfangen ein gewaltiges Loch in die Taschen reißen. Ganz zu schweigen davon, dass Graf Ghambir und Herzog Hagrobald es sicherlich begrüßen werden wenn er sich plötzlich eine stattliche Hausmacht zulegte.

Und wie sollte er Taindoch schützen? Sollte er etwa wie Zinnen am Ratsforst eine gewaltige Schildmauer errichten lassen um den Ort zu schützen? Doch welchen Nutzen sollte das haben, abgesehen davon das sein Säckel erneut geleert werden würden? Keinen! Denn nicht der Ort oder seine Bewohner waren das Ziel der Piraten, es waren die Waren. Die knauserigen Krämerseelen sollten sich nicht immer beschweren – würden sie ihre Ware endlich in soliden Speichern unterbringen anstatt in diesen Holzverschlägen, dann würden die auch nicht so leicht aufgebrochen werden.

Solcherlei Dinge verstanden Diener des Götterfürsten jedoch scheinbar nicht. Wer sein Haus in Gold decken ließ und güldene Kettenhemden trug, wusste nicht was es bedeutete auf die Finanzen zu achten. Allerdings war dies etwas, dass er einem Praios-Pfaffen nicht ins Gesicht sagte. „Darüber hinaus werde ich Euren Rat gerne annehmen und an die Höfe des Grafen und des Herzogs schreiben.“

Die eisblauen Augen des Bannstrahlers sollten während der Rede des jungen Barons nicht von dessen Antlitz weichen. Es war jener Blick, der im Kloster St. Aldec unter seinen Brüdern und Schwestern so gefürchtet war. Und nicht nur dort – im Kloster und darüber hinaus wurde sich gar erzählt, dass er eine übelwollende Hexe mit einem bloßen Blick zum Geständnis bewegte. Es war darüber hinaus ein Blick, der tief ging und nicht nur auf die Augen des Befragten, sondern scheinbar auch tief dahinter bis in die Seele blicken konnte.

Nachdem sein junges Gegenüber geendet hatte, hielt der Halberger noch einen Moment inne um die Miene Liafwins zu studieren. Das Lächeln, welches sich dann auf den Lippen des Abtes zeigte war nur ein paar Herzschläge lang abschätzig und schon kurz darauf ungewöhnlich warm und verbindlich – ja beinahe väterlich.

„Das ist ein guter Anfang…“, nickte er dann knapp. Innerlich ließ er sich die Aussagen des jungen Barons noch einmal durch den Kopf gehen. Es war Adelhelm noch nicht zu Ohren gekommen, dass ein Frühwarnsystem in Form von Gongs installiert wurde. Auch von einer erhöhten Präsenz an Patrouillen hatte er noch nichts vernommen – was natürlich nicht heißen soll, dass diese Schritte nicht tatsächlich gesetzt wurden. Der Halberger konnte keine versuchte Täuschung in der Gestik und Mimik seines Gegenübers erkennen, doch hatte sich auch Adelhelm das eine oder andere Mal täuschen lassen.

„Dass Ihr den Dialog mit Grafen und Herzog suchen wollt und schon die eine oder andere Maßnahme gesetzt habt, rechne ich Euch hoch an…“, kam es dann doch recht versöhnlich, „…wie Ihr wisst war das in diesen Breiten nicht immer so, dass die Barone etwas gegen diesen Umstand getan hatten.“ Der Blick des alternden Bannstrahlers ließ nun erstmals seit längerem von seinem jungen Gegenüber ab. „Doch sagt, haben sich die gesetzten Maßnahmen schon ausgezahlt? Bemerkt Ihr eine Veränderung zum Besseren?“ Er tippte sich auf sein Unterkiefer, dann nahm er den Baron, in Erwartung einer Antwort, wieder genauer ins Auge.

Dieser hatte nichts zu verbergen und darüber hinaus feststellen müssen das sich bewusste Auslassungen viel besser eignen als Unwahrheiten, Letztere fielen einem früher oder später immer auf die Füße. Tatsächlich hatte er die Zahl der Mittglieder in der Wachmannschaft verdoppelt, jetzt waren es 12. Zugegeben mochte das nach nicht viel klingen, allerdings hatte er dabei aus zwei Mannschaften zu drei Berittenen, sechs Mannschaften zu zwei Berittenen machen können und damit die Präsenz auf der Strecke merklich erhöht. Auch den Gong hatte er in den Bestehenden Türmen anbringen lassen und er zeigte durchaus seine Wirkung, dennoch hatte auch dieser Mechanismus noch seine Schwächen. Immerhin musst ihn jemand schlagen, wobei sein Klang nicht annähernd so weit reichte wie es das Signalfeuer tat, sodass er momentan plante weitere Türme errichten zu lassen.

„Wie mir berichtet wurde, haben die Übergriffe seit Ergreifung der Maßnahmen an Effektivität verloren. Dank der zusätzlichen Patrouillen wagen die Piraten weniger Überfälle und ergreifen zugleich früher die Flucht, während der warnende Gong dabei geholfen hat das mehr Leute sich in die Sicherheit ihrer Häuser bringen konnten.“ Das sie dabei alles stehen und liegen ließen um die Beine in die Hand zu nehmen, kommentierte Liafwin dabei nicht, ebenso wenig wie den Umstand das die Piraten sich aus eben diesen Sachen anschließend bedienten. Nach einem Schluck aus seinem Kristallkelch erhob sich der junge Mann und trat ebenfalls zur Karte. Mit dem Finger entlang des Großen Flusses streichend, verweilte sein Zeigefinger an einigen eingezeichneten Feuern. „Die Warnfeuer für Elenvina.“ Stellte er sachlich fest. „Über Jahrhunderte schon werden diese Türme unterhalten. Praioslauf für Praioslauf, Mond für Mond und Götterlauf für Götterlauf, wird darauf geachtet dass das dortige Holz trocken bleibt. Ein alter Mann sagte mir einmal, als der Windhag noch zum Herzogtum gehörte, hätten auch auf der anderen Flussseite Türme gestanden. Inzwischen sind sie jedoch verfallen.“

Adelhelms Blick folgte dem Zeigefinger des Barons. „Eigentlich eine sehr gute Idee zur Warnung der Menschen in der Stadt…“, bemerkte der Abt dann trocken, „…ich kenne ähnliche Vorrichtungen auch aus der Mark Greifenfurt, am Fuße des Finsterkamms, um vor Orkangriffen zu warnen.“ Der Halberger ging ein paar Schritte auf und ab. Das Klirren seiner Kettenrüstung und die schweren Absätze seiner polierten Stiefel zerrissen die herrschende Stille im und um den Pavillon. „Dort hatte man sich zur Zeit der Priesterkaiser gar eine raffinierte Konstruktion aus großen Spiegelscheiben ausgedacht, die das Licht unseres Herrn von Turm zu Turm reflektierte.“

Er schmunzelte, wandte sich dann aber wieder der Karte zu. „Vielleicht etwas eleganter als Holz und auch pflegeleichter … wie auch immer …“, der alternde Bannstrahler blickte auf, „…vielleicht wäre es eine gute Idee diese Signaltürme auch auf den anderen Wasserläufen wieder instand zu setzen. Wie Ihr mir ja bestätigt habt, trägt diese Maßnahme bereits zarte Früchte.“ Adelhelm rieb sich sein Kinn und schien einige Momente einem Gedanken nachzusinnen. „Die Plage auszumerzen wird nur schwer möglich sein, aber wir können dazu beitragen, dass sich das Problem von allein löst. Wenn es gelingt, einen Überfall zu einem Wagnis zu machen, das die Aussicht auf Beute nicht mehr aufwiegt, dann werden diese Räubereien zurückgehen und die Menschen wieder zur Ruhe kommen.“

Der Abt stützte seine Arme auf den Tisch und lehnte sich dem Baron entgegen. „Hochgeboren, es erfreut mich, dass Ihr Euch Zeit für dieses wichtige Anliegen genommen habt. Auch habe ich mit Wohlgefallen vernommen, dass Ihr schon die eine oder andere Vorkehrung zur Sicherung der Praiosgefälligen Ordnung dieser Lande in die Wege geleitet habt. Ich werde ebenfalls dem Grafen, dem Herzog und der Reichskanzlei für Weg und Steg einen Brief schreiben um auf den nicht enden dürfenden Kampf gegen die Unbilden auf der Lebensader des zentralen Mittelreiches aufmerksam zu machen. Je mehr Fürsprecher, desto besser.“

Adelhelm musterte den Baron noch einmal eingehend. „Wenn Ihr erlaubt, hätte ich auch gerne ein paar Worte mit Eurem Hofkaplan gesprochen.“ Der Abt erkannte, dass er dem jungen und auch bemüht wirkenden Baron nicht mehr Zugeständnisse aus den Rippen leiern konnte, als seiner Zusicherung sich mit dem Grafen und dem Herzog kurzzuschließen. Was seinen Hofkaplan anging, beschlich dem alternden Bannstrahler jedoch ein ungutes Gefühl. Ein Gefühl, dem er noch auf den Grund gehen wollte.

„Das Warnsystem ist nicht perfekt das gebe ich gerne zu, aber es ist das Beste das wir bisher schaffen konnten und zusammen mit der Aufstockung der Wachmannschaft hat sich die Lage bereits etwas entspannt. Mit weiterer Unterstützung aus der Kanzlei, vom Grafen oder dem Herzog wird es uns vielleicht gelingen den Piraten die Suppe weiter zu versalzen.“ Stimmte der junge Fadersberger dem Abt zu, von dem er – das musste er sich eingestehen – bisher ein ganz anderes, weniger konstruktives, Bild gehabt hatte.

„Ich kann und werde Euch nicht daran hindern mit einem Glaubensbruder das Gespräch zu suchen Hochwürden. Answin wird Euch begleiten.“ Ein kurzer Wink genügte und sogleich stand der Bursche auch schon bei Fuß. „Begleite bitte seine Hochwürden zu Hochwürden Ratsburger und später dann zu seinen Leuten.“ Konkretisierte Liafwin seine Wunsch noch etwas, woraufhin der junge Answin sich mit: „Sehr wohl Hochgeboren!“ verbeugte und unaufdringlich auf den Aufbruch wartete.

Sich erneut dem Abt zuwendend, schaute der Baron diesen mit ernster, doch freundlicher Miene an. „Der Rat der Kyndocher liegt mir, wie auch dieses Land, sehr am Herzen. Solltet Ihr erneut Bedarf für eine Unterredung sehen, so schreibt mir oder besser noch kommt auf die Efferdwacht. Ihr seid mir stets herzlich willkommen Hochwürden. Praios mit Euch und den Euren.“ Nur leise, klang im Abgang eine weitere Botschaft mit – denn es gab keinen Grund etwas öffentlich anzuprangern bevor man überhaupt das Gespräch gesucht hatte.

Der Abt nickte dem Baron knapp zu. Beim Hinweis darauf ihm zukünftig doch besser zu schreiben, kamen dem alternden Bannstrahler sofort zwei Gedanken in den Sinn. Einerseits, dass dies ein schweres Unterfangen sei, wenn die Post nicht vom Baron selbst verwaltet wird und andererseits eben auch ein leichter Anflug von Reue, dass er den jungen Liafwin vielleicht nicht hätte namentlich attackieren sollen. Die Zustände am Großen Fluss sind jedoch ein Faktum und auch würde er keinen Finger breit von seinem Standpunkt abweichen, dass sich daran, unter Anstrengung aller, etwas ändern muss. Der Kyndocher Baron jedoch hatte bereits erste Schritte gesetzt und würde in dieser Sache nun sogar Kontakte an den Grafenhof und den Herzogenhof knüpfen. Es war ein erster Schritt, aber noch ein langer Weg zu gehen.

„Habt Dank und möge Praios Euch segnen“, fügte Adelhelm schmal lächelnd hinzu.

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