Celissa - Kapitel 3

Ein Wasserlauf später

Kapitel 3 der Briefspielgeschichte Celissa

Im Rittersaal

Der Regen ebbte zu einem Nieseln ab. Als Eludwina den Rittersaal wieder betrat, kehrte Stille ein. Leicht überfordert mit der Aufmerksamkeit , brauchte sie einen Moment um ihre Stimme zu erheben. “Die Kinder sind da. Die Mutter schläft … Baroness Selinde? Mutter Elva möchte euch sehen … aber nur euch.” Vorsichtig wanderte ihr Blick zu ihrem Baron.

“Wie geht es den Kindern?”, fragte der Baron nüchtern.

“Gut?”

Selinde wirkte überrascht. “Ähm...jawohl! Die Damen und Herren mögen mich entschuldigen.” Sie schlug die Hacken zusammen und folgte der Zofe. Eine Hand auf dem Schwertknauf, lauschte sie, ob jemand es wagte ihnen zu folgen oder gar zum Angriff übergehen würde. Zudem achtete sie darauf, dass keine Tiere in der Nähe waren, frau wusste ja nie.

Frenya war der Meinung, dass Selinde, neben Leuenhard, diejenige war, von der am Wenigsten Gefahr ausging. Deshalb nahm sie ihren Abgang ins Geburtenzimmer gelassen hin.

Heridan sah der Zofe und der Baroness hinterher als diese den Raum verließen. Warum sollte nur Selinde kommen? War das ein gutes oder schlechtes Zeichen? Die Blässe Eludwinas und ihre fahrigen Bewegungen ließen ihn aber darauf schließen, dass nicht alles in Ordnung war. Seine innere Unruhe wurde davon jedenfalls nicht weniger, stattdessen wuchs sie um so mehr. Aber wie musste sich Leuenhard erst fühlen? Heridan ging zu dem Edlen hinüber um ihm die Hand auf die Schulter zu legen. Er sagte nichts, doch zeugte sein Blick von dem Mitgefühl, welches er im Augenblick für den Edlen empfand.

Die Kinder sind da? Die Mutter schläft? Das hieß, es war vollbracht, und alle waren am Leben. Für einen kurzen Moment atmete er auf. Aber waren sie auch gesund und wohlauf? Warum durfte er seine Kinder noch nicht sehen? War doch etwas schlimmes geschehen? Er war sich bewusst, dass bei einer Geburt Blut floss. Aber warum sah die Zofe aus, als ob sie direkt vom Schlachtfeld kam? Oder wollte Mutter Elva die Kinder nur vor all den Heiden hier draußen schützen? Beklemmung legte sich um Leuenhards Herz. Mit aufgerissenen Augen stand er wie erstarrt da und sah Eludwina und Selinde nach. Wie lange würde er noch warten müssen, ehe er Gewissheit hätte? Ehe er Celissa und seine Kinder in den Arm nehmen könnte?
Da spürte er Heridans Hand auf seiner Schulter. Der frischgebackene und doch noch immer bangende Vater musste schlucken, zwang sich jedoch zu einem verhaltenen Lächeln, aus dem seine tiefe Dankbarkeit für den Zuspruch blickte.

Senola zog grantig die Augenbrauen zusammen. Sie durfte den Anschluss nicht verlieren, stand auf und folgte ihrer Schwester bis zu Tür. Dort blieb sie aber, wie die anderen artig stehen.

Im Schlafgemach

Kaum war Selinde in der Kammer angekommen, erwartete sie ein erdrückender Geruch von Blut und unbestimmbaren. Das greinen eines Kindes war zu vernehmen. Auf der Bettstatt lag eine äußerst blasse Celissa, die fest zu Schlafen schien. “Danke Perainelind, ruht euch jetzt in der Küche aus und du, Eludwina, warte bitte vor der Tür. Die Hebamme machte einen knicks vor der Baroness und verließ zusammen mit der Zofe das Zimmer. Die Traviageweihte atmete tief durch. “Selinde, ich brauche eine ehrliche Antwort von euch. Wie wichtig ist euch Travia und wie wichtig ist euch … Tsatuaria?”, fragte sie direkt.

“Ich respektiere den Alten Glauben und die alten Götter, aber ich habe mich den Zwölfen zugewandt, insbesondere Rondra. Ich bin hier zu eurem Schutze, wenn ihr mir einen Befehl geben wollt, so werde ich ihn erfüllen und koste es mein Leben.” Selinde sprach ruhig und blickte der Geweihten direkt in die Augen.

Zufrieden schaute sie die Ritterin an. “Der Erstgeborene wird wahrscheinlich nicht überleben. Aber ich möchte sichergehen, dass nicht irgendjemand auf die Idee kommt, dem Kind etwas anzutun. Und um ehrlich zu sein, ich kann keine weiteren ketzerischen Gedanken und Worte mehr tolerieren.Ich brauche eure Hilfe, Selinde. Das Leben dieses Kindes muss geschützt werden.” Elva wartete Selindes Reaktion ab.

“Was genau soll ich tun?”, fragte Selinde pflichtbewusst.

“Phex und Travia werden Hand in Hand gehen müssen. Ich werde dem Vater sagen müssen, das der Erstgeborene eine Totgeburt ist. Und ihr bringt das Kind an einen sicheren Ort. Nur so können wir garantieren, das sich niemand für das Leben eines Erstgeborenen interessieren wird.Ich werde eurer Schwester erklären, dass ihr vorausreiten müsst, um etwas wichtiges für mich zu erledigen. Ich bin mir sicher das der Ritter Heridan uns zurück eskortieren wird. Was meint ihr?”

“Der Herrin Rondra ist solche Heimlichtuerei nicht recht, doch bin ich bereit mich um des hehren Zieles Willen, ihren Zorn zu ertragen. Wie ihr vielleicht wisst, war ich Knappin an diesem Ort. Ich könnte durch ein Mannloch die Burg ungesehen verlassen. Nur wohin dann, ohne Pferd?”

“Gibt es jemanden den ihr hier vertrauen könnt?” Nun war sie sicher, die Richtige angesprochen zu haben.

“Ich vertraue Euch und Heridan. Sonst niemandem mehr.” Das letzte sagte sie mit Bedauern.

“Ich möchte, dass Ihr auf die heilige Mutter Travia und ihren elf göttlichen Geschwistern den Eid ablegt, dieses Kind an einem sicheren Ort bringt. Sollte aber Boron ihn zu sich rufen, ihm ein zwölfgöttergefälliges Begräbnis zu ermöglichen. Würdet ihr das für mich tun, Baroness?” Ernst schaute sie Selinde an.

Selinde nahm ihren Dolch und stach sich damit in den Finger, ließ einige Tropfen Blut daraus hervorquellen, hob dann die Hand zum Schwur:”Im Namen von Praios, Rondra und Travia, sowie ihren neun alveranischen Geschwistern, schöre ich, Ritterin Selinde Tsasalda von Schweinsfold, Baroness zu Schweinsfold, dieses mir anvertraute Kind an einen sicheren Ort zu bringen, damit es fern von heidnischem Zugriff aufwachsen möge. Sollte es dem Herrn Boron gefallen seinen Raben zu senden, um die Seele dieses Kindes zu sich zu rufen, werde ich ihm ein zwölfgöttergefälliges Begräbnis zuteil werden lassen. Ich will mich bis zur Initiation dieses Kindes oder dessen Grabsegen an diesen Eid binden. Sollte ich diesen Eid brechen, so möge mir der rechte Arm steif werden, auf dass ein Jeder sehen möge, dass ich Schande über mich gebracht habe.”

“So sei es!”, beendete Elva diesen heiligen Schwur. “Geht nun in den Hof, ich werde dafür sorgen, dass Heridan euch das Kind bringen wird. Um Eure Schwester und die anderen werde ich mich kümmern. Gibt es einen Ort an dem Heridan euch finden kann?”, fragte sie nach.

Die Ritterin überlegte kurz und sagte dann:”Ich werde beim Uhlemann auf ihn warten, er wird dann schon wissen, wo er hin muss.” Der `Uhlemann`war ein Wasserspeier in einer versteckten Ecke des Innenhofes, den Selinde und Heridan während ihrer Knappenzeit entdeckt hatten. Da er aus Sandstein war, und schon einiges mitgemacht hatte, sah er aus, wie ein Mann mit großen Augen und einer schnabelähnlichen Nase, ganz wie eine Eule. Hier hatten sie sich immer getroffen, wenn sie unbeobachtet sein wollten.

Die Geweihte öffnete die Tür und wartete bis die Ritterin den Raum verlassen hatte, dann rief sie die Zofe wieder zu sich.

Im Rittersaal

Einen halben Wasserlauf später schritten Mutter Elva, die Zofe Eludwina und die Hebamme Perainelind die Freitreppe hinunter und baute sich vor den Wartenden im Rittersaal auf. Alle drei Frauen wirkten erschöpft und ernst. Der jungen Zofe liefen die Tränen und rang mit sich nicht allzu laut zu schluchzen. In ihren Armen hielt sie ein Bündel mit einem Neugeborenen, dass leicht vor sich hin wimmerte. Die Geweihte der Travia trug ebenfalls ein Bündel, das jedoch still und bewegungslos in ihren Armen lag. Nur das blass, bläuliche Ärmchen, das hervorlugte, verriet nichts gutes. Gleich neben Ihr stand die Hebamme, die zwei bluttriefende Säckchen hielt. Bevor der junge Vater sich in Bewegung setzen konnte, gab Elva der Zofe ein Zeichen. Diese schritt zügig voran und drückte diesem das greinende Kind in den Arm. “Eure Zweitgeborene, mein Herr.” sagte sie mit sanfter Stimme.
Dann erhob Elva ihre Stimme und sprach ernst und sicher. “Der Mutter ward ein Opfer gebracht. Boron hat noch während der Geburt den Erstgeborenen zu sich geholt.” Ihr Blick wanderte traurig auf das Bündel in ihren Arm.” Dann schritt die Hebamme Perainelind voran und reichte eines der Säckchen Senola, das andere Frenya. “Nehmt das Geschenk, dass die Mutter erbracht hatte, und opferte es auf ihrem Altar. Damit müsste der Prophezeiung genüge getan sein. Ritter Heridan, ich habe eine Aufgabe für Euch!”

Ansgar sackte in seinem Thron zusammen. Jede Farbe wich ihm aus dem Gesicht. Von Furcht und Trauer geschlagen konnte er nicht sprechen. Diese Nachricht war eindeutig: Senola hatte falsch gelegen. Die Kinder Leuenhards waren keinesfalls diejenigen, die die Prophezeiung meinte, jedenfalls wenn überhaupt Kinder gemeint waren. Es mussten also seine eigenen sein. Tiefe Reue packte den bärtigen Riesen. Wie hatte er nur jemals seinem Lehensmann eine solche Bürde auftragen wollen, die er selbst kaum zu tragen bereit war? Was würde seine Frau sagen? Hoffentlich ging es ihr gut?! Er war bei der falschen Geburt - und das auch noch aufgrund eines Irrtums!

“Leuenhard, euer Verlust tut mir sehr leid.” Der Tod des Erstgeborenen, den er so gerne vor der Prophezeiung gerettet hätte, traf den Ritter unerwartet hart. Auch wenn er selbst noch keine Kinder sein Eigen nannte, vermeinte er doch nachfühlen zu können, was der Tannenfelser gerade durchmachte. Verstohlen strich er sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Erst dann nahm er so richtig wahr, dass die Travia-Geweihte ihn angesprochen hatte. Der Quakenbrücker trat näher an Elva heran. “Ihr habt eine Aufgabe für mich?”

Die Hofdame Frenya machte eine abwehrende Geste hin zur Geweihten. “Danke, für mich nicht. Ihr könnt meinen …”, sie rümpfte angewidert ihre Nase, “... Sack auch Senola geben. Es war ihre Auslegung der Prophezeiung. Soll sie damit machen was sie will, ich will damit nichts zu tun haben.” Der Blick, mit dem sie Elva in diesem Moment anstarrte, jagte der Geweihten einen kalten Schauer über den Rücken. Die Traurigsteinerin wusste anscheinend was hier gespielt wurde. Frenya sah Bilder in ihrem Kopf, von Rotlöckchen. Zwei lebende Kinder nach der Geburt, wenn auch das eine sehr schwach … er schickte ihr die Gefühle der dort Anwesenden ... Verrat und List … dann das seltsame und plötzliche Verschwinden der Baroness Selinde… sie musste nur eins und eins zusammen zählen und Elva konnte fühlen, dass die Rickenhauser Hofdame es wusste. Dennoch blieb sie still. Das Kind war gerettet, auch wenn es vielleicht doch noch sterben sollte. Eine Sache, die oft vorkam. Senola war bloßgestellt und noch war ihre Aufgabe hier ja nicht erledigt, ja, vielmehr würde ihr diese Wendung sogar noch in die Karten spielen. “Euer Verlust schmerzt auch mich …”, wandte sie sich dem Edlen zu, auch wenn es nicht unbedingt überzeugend klang, “... die große Mutter gibt, die große Mutter nimmt, das ist der Lauf der Natur. Es war keine Verblendete, die Eurem Sohn auf einem Opferstein die Kehle geöffnet hat, sondern die große Mutter selbst hat ihn zu sich geholt - ein schwacher Trost, ich weiß, aber leider auch in vielen Fällen Normalität.”

Der über ihn hereinbrechende Sturm so vieler und gleichzeitig so starker Gefühle war kaum zu ertragen, ließ Leuenhard taumeln, drohte, ihm sein Herz zu zerreißen. Das überderische Glück, seine gesunde Tochter in den Armen zu halten, sie beruhigend zu wiegen, so zart und klein, so wunderschön und zerbrechlich.Der niederhöllische Schmerz über den Verlust seines Sohnes, in den sich Schuldgefühle mischten: Die große Mutter hatte sich zurückgenommen, was sie ihm zum Geschenk geben wollte – vielleicht weil sie, nein, weil ER sich ihrer Gnade nicht als würdig erwiesen hatte. Wie hatte er auch nur einen Augenblick daran denken können, den Frevel, von diesem vermaledeiten Weibstück erdacht - mitzutragen. Die vorbehaltlose Liebe zu seinem kleinen Mädchen durchflutete sein Innerstes ebenso jäh wie der auflodernde Hass auf Senola. Tränen traten in die Augen des Edlen, und Leuenhard ließ diesen freien Lauf. Langsam ging er, sein Kind an sich klammernd, das sich, all seiner Zerrissenheit zum Trotze, tatsächlich beruhigt hatte, auf Elva zu. “Ich will meinen… Sohn sehen!” kam es mit brüchiger Stimme über seine bebenden Lippen. “Einmal nur… will ich ihn sehen.”

Wie überaus bequem. Basin konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, Zeuge eines abgekarteten Spiels zu werden, wenn er auch den Finger nicht genau darauf legen konnte, was genau hier falsch lief. Es war nur sehr erstaunlich, wie nach und nach die Stimmung zuungunsten Senolas umschlug und wie passend dann der Ausgang dieser Geschichte sich darstellte. Und Senola wehrte sich nicht einmal, das kam ihm am seltsamsten vor.
Dennoch, auch er war erleichtert, heute kein Zeuge einer Kindesopferung werden zu müssen. Zumindest hoffte er inständig, dass es so war, denn wenn man alle Möglichkeiten zuließ, dann … aber nein, darüber wollte er nicht nachdenken.

Senola nahm mit unbewegter Miene das Bündel. Zufall? Tsatuaria? Nur ihre Schwester hatte man in das Geburtszimmer gelassen. Da war etwas faul. Wenn es nicht von der mickrigen Möchtegernspinne ausging, dann musste es eine andere Verschwörung sein. “Wartet!” Sie sprach mit lauter und fester Stimme. “Lasst uns alle sehen, was in den Bündeln ist. Der Vater hat ein Recht darauf. Ich ebenfalls. Ich möchte beide Kinder sehen. Und beschreibt mir die Geburt. Warum ist das Erste Kind gestorben ? Sprecht, und ihr alle, hütet Euch, vorschnell zu urteilen.” Sie begann, das Bündel, das man ihr gegeben hatte, zu öffnen. “Und wo ist meine Schwester?”

“Das selbstsüchtige Kätzchen kann nicht einmal jetzt seinen Mund halten. Hast du denn überhaupt kein Mitgefühl? Bist du so kalt?” Innerlich amüsierte Frenya sich über ihre Worte. “Du hast hier nichts mehr zu melden. Das ist Sache des Vaters, dem einige hier so schlimm mitgespielt haben. Und gerade du solltest jetzt ganz still sein.”

Immer musste diese Schnepfe einen nervigen Kommentar reinblöken. Sie beschloss, diese Frau jetzt zu ignorieren.

Der Blick in den Sack offenbarte eine Nachgeburt. “Die Zweitgeborene ist gesund. So wie in eurer Prophezeiung vorhergesagt. Perainelind, könnt ihr der Baroness erzählen wie die Geburt verlaufen ist?”

“Gerne, auch unter diesen Umständen.” Perainelind trat vor und fasste die Geburt in einem kurzen Bericht zusammen. “Als sie mich zur Geburt riefen, war die Mutter schon länger in Wehen, der Muttermund vollständig geöffnet, aber das erste Kind lag nach dem Blasensprung so im Geburtskanal, dass es die Nabelschnur mit dem Kopf abdrückte. So kam es zu einer Unterversorgung mit Luft, die, wenn man sich die Nachgeburt ansieht, wohl schon während der Schwangerschaft Grund für das Untergewicht war. Es dauerte etwas, das Kind zudrehen und schließlich zu holen, deshalb mussten die Herrschaften auch so lange warten.” Sie holte tief Luft und wischte sich den Schweiß von der Stirn. “Ich habe das erste Kind sofort weitergegeben und mich um das zweite, welche ja in Beckenendlage stand, wie ihr wisst, Senola, zu kümmern. Erfreulicherweise war es kräftig, ich habe darauf verzichtet, es zu wenden, die Geburt war zu weit fortgeschritten. Durch die vorangegangene Manipulation und das Wehenfördernde Mittel ließ sich das zweite Kind aber Problemlos entbinden. Erst dann habe ich nach dem ersten Zwilling geschaut. Celissa war teilweise am Ende ihrer Kräfte, die Blutung im Uterus wollte nicht sistieren. Nach manueller Kompression und Gabe von blutungsstillenden Mitteln müsste sie es geschafft haben. Wechselt zweimal pro Stunden glas die Unterlage. Sollte es wieder heftig Bluten, brauchen wir einen Heilmagier.” Dann trat sie wieder zurück.
Senola sah hochnäsig unzufrieden, aber sie hatte noch kein passendes Opfer gefunden. Sicher würde es ein Spinnlein sein,ein unschuldiges, das sie mit ihrem Fuß zerquetschen konnte.

Nun traf Elvas Befürchtung ein. Der Kindesvater und die Baroness wollten den Sohn näher betrachten. Der Junge war in keinem guten Zustand und hatte sich kaum bewegt oder auch nur ein Ton von sich gegeben seit seiner Geburt. Kaum spürte sie seine Atmung durch das Leinentuch. Sie betete zu Travia, das Leuenhard nichts bemerken würde. “Leuenhard, denkt jetzt an eure Tochter. Das sollten eure Erinnerung an diesen Tag sein.” Kurz machte sie das Gesichtchen frei, damit er und Senola einen kurzen Blick darauf werfen konnte.

Frenya bedachte Elva mit einer hochgezogenen Augenbraue, die ihr hoffentlich klar machte, das Kind sofort wieder zu verdecken. Es war für das Theater hier viel zu gefährlich, denn wenn nicht Leuenhard es bemerkte, dann vielleicht Senola. Wie konnte sie überhaupt so gedankenverloren sein das Balg hier spazieren zu tragen? Innerlich seufzend beschloss sie der Geweihten zur Hilfe zu kommen. “Euer Wohlgeboren, überlegt es Euch gut …”, sagte sie noch bevor Leuenhard auf das Gesicht des angeblich toten Kindes blicken konnte, “... wollt Ihr wirklich bis ans Ende Eurer Tage das Bild Eures toten Sohnes vor Eurem inneren Auge haben? Quält Euch nicht. Wenn Ihr möchtet, werden wir ihn im Sinne der großen Mutter beerdigen. Senola oder ich werden für die große Mutter sprechen, oder Mutter Elva, wenn Ihr eine Bestattung im Sinne der Zwölfe wünscht.”

“Nein.” Leuenhard schob sich in ihren Weg und ihre Sicht. “Es ist mein Sohn - ich muss ihn sehen - mir soll sich sein Bild für Immerdar ins Herz brennen.” stellte er sich mit bebender Stimme dem Anblick seines Erstgeborenen. “Ihr aber sollt ihm nicht noch die letzte Ruhe stören, da ihr ihm sein viel zu kurzes Leben in Eurem Wahn entreißen wolltet”, spie er Senola geradezu entgegen. Er blinzelte seine Tränen weg, um den Leichnam seines Kindes besser sehen zu können. Wie friedlich er aussah, beinahe, als ob er nur schlief. Leuenhards Augen füllten sich erneut. Lag es nur an seinem wieder verschwimmenden Blick, oder hatte das Lid des Säuglings schwach gezuckt? In diesem Moment regte sich auch das kleine Mädchen in seinen Armen, und schickte sich mit bereits zitternder Unterlippe an, wieder loszuweinen. Es in den Armen wiegend hörte der Edle in sich hinein. Ja, er musste jetzt an seine Tochter denken. Und seinen Sohn loslassen. Die große Mutter hatte ihn wieder zu sich zurückgenommen, so sollte auch sein Leib wieder zu ihr… das war doch noch ein Zucken, oder… was in aller Götter Namen… Jäh wurde ihm wieder gewahr, dass hinter ihm noch immer Senola lauerte. Sie durfte ihn nicht sehen. Und er musste seinen Sohn wirklich loslassen. Egal ob noch Leben in diesem steckte oder nicht.
In Windeseile fasste er sich und erhob laut die Stimme: “Den Zorn der großen Mutter haben wir mit unserem Freveln auf uns herabgerufen, so dass sie uns zur gerechten Strafe ihr Geschenk selbst wieder genommen hat! Mein Sohn aber soll seinen Frieden im Schoße der gütigen Mutter finden! Nehmt ihn bitte an Euch, Mutter Elva! Und Ihr, Senola, wagt nicht, seinen Leib zu entweihen!”

Frenya hatte sich in der Zwischenzeit erhoben und stellte sich neben den Edlen. Ihre schmale Hand legte sich auf seine Schulter und sie nickte ihm zu. Sie war anscheinend die einzige im Raum, die in der Intrige geschult war und schauspielern konnte. “Sie wird Euch und Eurem Sohn nicht zu nahe kommen. Dafür sorge ich”, flüsterte sie Leuenhard zu, dann bedachte sie Elva mit einem Blick, der ihr signalisieren sollte, das Kind sofort wegzubringen. Nicht auszudenken was passieren würde wenn der Kleine einen Mucks machte. Senola war immer noch besessen vom Gedanken das Kind zu opfern und es würde Blut fließen müssen um sie daran zu hindern - wenn sie bemerkte, dass der Knabe noch am Leben war. Es war für das Kind und alle Anwesenden das Beste, wenn diese Scharade aufging. Vielleicht würde Frenya dem Vater irgendwann einmal sagen, was hier und heute vorgefallen war. Vielleicht.

Unbefriedigend. Aber sie hatte etwas, was sie rituell opfern konnte und vielleicht hatte Tsatuaria sich ihr Opfer wirklich schon auf dem Weg an Praios Licht geholt. Neben ihr schnurrte Selem. Er putzte sich ungeniert nach Katzenart und sah Heridan dabei provozierend an.

Nur einen Augenblick gewährte sie ihm und beantwortete schleunigst Heridans Frage.

“Ein Knecht wartet am Uhlemann auf euch. Bringt bitte den Knaben schnellstens zu einem Tempel der gütigen Travia, dort soll er seine letzte Ruhe finden. Es ist der Wille der Göttin.” sagte sie bestimmend. Dann hielt sie dem Ritter das Bündel hin.

Heridan verbarg seine Überraschung. Woher kannte sie diesen Ort, noch dazu unter diesem Namen. Doch dann fiel ihm auf, dass Selinde nicht hier war. Konnte es etwa sein…?
Vorsichtig nahm er das kleine Bündel entgegen und nickte der Geweihten zu. “Wie Ihr wünscht.” Damit verließ er gemessenen Schrittes den Saal.

Leuenhard zwang sich, Heridan und seinem Sohn nicht hinterherzublicken. Stattdessen nickte er Elva nur stumm zu, doch konnte diese neben dem Schmerz in seinen Augen auch stille Dankbarkeit erahnen. Dann beugte er sich zum Ohr seiner Tochter und murmelte dieser etwas ins Ohr. So war sie die einzige, die sein Gebet für ihren Bruder vernahm. Und auch wenn die Neugeborene nichts davon verstanden haben konnte, so schien es dennoch, als hätte sie erspürt, was ihr Vater flüsterte, denn sie beruhigte sich schlagartig und sah diesen nur mit großen, wachen Augen an. Trotz all dem Schrecklichen um sie herum und in ihm konnte er nicht anders, als sie still aus seinem noch immer tränenfeuchten Gesicht anzulächeln. “Lass uns nach Deiner Mutter sehen, mein kleiner Stern.”

“Ich bat Baroness Selinde vorauszureiten und den Tempel darüber zu informieren. Zu wichtig war dieses Ereignis heute. Dann sollte sie gleich meinem Heimattempel bescheid geben. Wir werden sie wieder in Herzogenfurt treffen. Ich hoffe ihr seit nicht all zu verärgert über meine Bitte, Baroness Senola.” Elva machte einen entschuldigenden Knicks. Dann fiel ihr Blick auf die bluttriefenden Bündel mit den Nachgeburten. “Ich denke die Herrschaften, haben noch etwas wichtiges zu erledigen.” Sagte sie und es war klar, dass sie alle meinte.

Der Baron war voller Gram und Schmerz. Wenn Leuenhard Recht hatte - und dafür sprach nun tatsächlich alles - dann war sein blinder Gehorsam einer finsteren und menschenverachtenden Weissagung gegenüber der Grund für den sinnlosen Tod eines Kindes. Hatte er es schon kaum übers Herz gebracht, zugunsten des Landes dieses schreckliche Opfer vom Kindsvater zu verlangen, so war es ihm schier unerträglich, das Kind tot zu sehen, ohne jeden Nutzen. Noch dazu war die Ungewissheit ins Unermessliche gestiegen. War die Prophezeiung erfüllt? War sie wahr? War sie ein vermaledeites Hirngespinst? Was drohte in der Zukunft? Was drohte seinen Kindern? Schwach und hilflos fühlte er sich der Vielzahl der Fragen gegenüber. Handlungsunfähig wie noch nie. Sonst wusste er einen Weg und wenn er mal keinen wusste, dann ging er ihn trotzdem. Heute waren all seine Gewissheiten zerbrochen. Bis auf eine: Ansgar trat an seinen Lehensmann heran und legte ihm mit hängendem Kopf reumütig die Pranke auf die Schulter. “Leuenhard, ich bin verantwortlich für den Tod dieses Kindes. Ich nehme die Schuld auf mich und werde sie mein Leben lang zu tragen haben. Ich weiß, dass eine Entschuldigung diesen Frevel nicht wiedergutzumachen taugt. Seid versichert, dass ich tief in Eurer Schuld stehe. Lasst uns gemeinsam darauf trinken, dass Euer Sohn in einer besseren Welt angekommen ist.” Der Baron vermied dabei bewusst, das Paradies zu benennen, in das das Kind eingegangen wäre - denn: Er wusste selbst nicht mehr, welche Götter Macht über diesen Ort hatten.

Der Edle von Tannenfels spürte die Hand seines Barons schwer auf seiner Schulter liegen, während er schweigend dessen Entschuldigung zunächst mehr über sich ergehen ließ, als diese direkt auf- und annehmen zu können. Einen Moment, der für Ansgar schier unerträglich lange anmutete, sah Leuenhard ausdruckslos an diesem vorbei.
Ja, Ansgar hatte gefrevelt: an der großen Mutter, in dem er sich zu einem Dienst überzeugen ließ, der ihre Prinzipien pervertierte, und an seinen heiligen Pflichten als Lehnsherr, als er nicht bereit war, sich und seine Familie selbst für sein Land in die Waagschale zu werfen, sondern das Kind seines Lehnsmann an dessen Stelle ins Verderben schicken wollte.
Er selbst hatte sich aber genauso mitschuldig gemacht - er hatte diesen Wahnsinn gegen sein Gewissen viel zu lange mitgetragen und dabei sogar Celissa hintergangen.
Sie beide, Baron und Edler, waren schwach gewesen, als sie hätten stark sein und Senolas Wahnsinn entschieden entgegen treten müssen. Leuenhard würde sich selbst nie dafür vergeben können, und er spürte, dass es Ansgar genauso ging, fühlte dessen aufrichtige und tiefe Reue. Einen derartigen Frevel würden sie beide niemals mehr zulassen.
Es war an den Göttern, sie dereinst dafür zu richten - nicht an ihm, hier und heute. Auch wenn die Wunden, die die letzte Zeit und der heutige Tag in und zwischen ihnen gerissen hatten, vielleicht niemals ganz heilen mochten und Narben zurückbleiben würden, mussten sie sich dennoch zusammenraufen - zum Wohl der Ländereien, die ihnen anvertraut waren, zum Wohl ihrer Familien, zum Wohl des kleinen Bündel Mensch in seinen Armen. Und im Sinne der großen Mutter.
Endlich sah Leuenhard Ansgar in die Augen. Er musste schlucken, doch dann nickte er: "Wir beide sind verantwortlich, und wir beide haben die Last unserer Schuld zu tragen... lasst uns dies gemeinsam tun... Und nachher auch darauf trinken, dass mein Sohn den Frieden und das Glück findet, das ihm hier wegen unseres gemeinsamen Versagens nicht vergönnt war." Auch er ließ im Unklaren, ob er mit "hier" diese Welt im ganzen oder nur Ambelmund meinte, zumal er es selbst nicht wusste, allenfalls eine schwache Hoffnung hegte. Mit einem Seitenblick zu Senola, bei dem sich seine Züge verhärteten, schob er hinterher: "Unter jenen, die es gut mit ihm meinen." … "Jetzt aber muss ich endlich nach Celissa sehen."

Basin war nach wie vor der Überzeugung, dass hier etwas nicht stimmte. Und es brannte der Wille und die Neugier in ihm, dieses Rätsel zu lösen. Zum Glück wurde er bald am Hofe des Edlen von WIldreiden erwartet und musste deshalb nicht mit Frenya zurück nach Rickenhausen. In den wenigen Stunden hier war seine kleine Schwärmerei für die Hexe komplett verflogen. Es mochte sein, dass sie ein hehres Ziel verfolgt hatte, nämlich die Rettung eines Kindes vor dem Opfertod, aber auf welche Weise? So kalt und berechnend war sie ihm bisher noch nie erschienen. Wenn er wieder zuhause war, so nahm er sich vor, musste er mal ein paar Worte mit seinen Eltern über ihre Hofdame wechseln.
Was das Rätsel anging, so würde ihm seine nächste Aufgabe sicher ein wenig Zeit lassen, ein paar Nachforschungen anzustellen. Zum Beispiel, wohin Selinde verschwunden war. Er war gespannt, was sich daraus ergab.
Und die Ballade. Ja, es würde eine Ballade über den heutigen Tag geben, aber deren Inhalt hing ganz entscheidend vom Ergebnis seiner Nachforschungen ab. Doch die ersten Zeilen standen schon ganz klar und unverrückbar vor seinem inneren Auge:

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind …

Die Hofdame Frenya hingegen war zufrieden. Das Schicksal des Kindes hatte sie von Anfang an nicht sonderlich interessiert und als sie den Kindesvater als willfährigen Verbündeten gewann, war die Sache hier ein Selbstläufer. Es war ihr Auftrag gewesen die rituelle Opferung des Kindes zu verhindern, da ihre Schwestern die Auslegung der Baroness als falsch erachteten. Frenya selbst wollte dem Ganzen noch etwas mehr Pepp verleihen und hat sich die Diskreditierung und Demütigung Senolas noch als Draufgabe und zusätzliches Ziel gesetzt. Es funktionierte, wenn auch mit der einen oder anderen Komplikation. So schnell würde sich ihre Kontrahentin in Hexenkreisen wohl nicht von diesem Tiefschlag erholen und Frenya würde alles dafür geben, das dumme Gesicht ihrer Mutter Tsasalda sehen zu können. Äußerlich wahrte sie den Anschein einer bestürzten Anwesenden. Sie hielt sich bis zu ihrer Abreise zurück. Auch Basins ängstlicher Blick entging der Hexe nicht, doch hatte sie sich noch nie sonderlich für seine Befindlichkeiten interessiert. Wenn er es wagt gegen sie aufzubegehren, würde sie ihn einfach ruhig stellen.

Senola hatte Angesicht der angespannten Stimmung beschlossen, zu schweigen. Sorgsam hatte sie die blutigen Batzen verpackt, sie würde sie würdig präparieren und dann damit eine beeindruckende Szeremonie veranstalten, die der großen Mutter würdig war und die Anwesenden überzeugen würde. Frenya und die treulose Selinde sollten ihren Zorn, ja, ihre Rache später zu spüren bekommen. Hier würde sie vortäuschen, mit Selem eilig abreisen zu müssen. An diesem Tag noch. Wer weiß, was die Zweifler in ihrer emotional aufgewühlten Schwäche anstellen würden.

Im Burghof

Die Baroness war nervös und biss sich auf die Unterlippe. Sie hoffte inständig, dass ihre Schwester sich täuschen ließ. Und, dass sie sich in Heridan nicht getäuscht hatte. Sie würde sich an ihren Schwur halten, egal, was kommen würde. Zur Not würde sie auch gegen ihren ehemaligen Schwertvater das Schwert erheben. Dennoch hoffte sie inständig, dass es so weit nicht kommen würde. Es war eine Sache jemandem zu widersprechen, doch eine gänzlich andere sich gegen einen geliebten Menschen, mit dem Schwert in der Hand, wehren zu müssen. Dann hörte sie Stiefel, die eilig näher kamen.

Draußen beschleunigte er seine Schritte und als Heridan sich sicher war, nicht beobachtet zu werden. Weder von neugierigen Zeitgenossen noch von irgendwelchen Tieren, zog er das Tuch zurück und betrachtete das kleine Wesen in seinen Armen. Bei der gütigen Mutter Peraine, hob sich da die Brust des Jungen? Schnell deckte der Ritter den Säugling wieder zu und eilte nun zum Uhlemann und Selinde, wie er hoffte. Die Tränen, die sein Gesicht herab flossen bemerkte er kaum.
Kurz darauf stand er draußen beim Uhlemann und vor der vertrauten Silhouette Selindes. “Mutter Elva sagte, ich solle hierher kommen.”

“Heridan, endlich. Ist das der Knabe?” Selinde trat einen Schritt näher und lupfte das Tuch. Kurz hatte sie das Gefühl sie drei gehörten zusammen - Vater, Mutter, Kind. Es versetzte ihr einen Stich, denn sie wusste, dass es nicht so war und auch nie sein würde. “Kannst Du mir Dein Pferd leihen? Ich muss schnell fort und weiß nicht, ob meine Schwester meines kontrollieren kann. Ich werde es Dir wiedergeben, aber frage mich bitte nicht, wo ich war.”

“Im Stall steht ein gesatteltes Pferd und in den Satteltaschen findet Ihr Proviant für zwei Tage.” Selinde mochte ihn immer noch so vertraulich ansprechen, doch konnte, nein, durfte er das nicht mehr. “Ich werde nicht fragen.”

“Ich danke Dir”, sie küsste ihn auf die Wange. “Eines noch. Könntest Du das Fallgatter herab lassen, nachdem ich durch das Tor bin? Ich kann wohl jede Minute brauchen.”

Der Kuss kam unerwartet und brachte eine Saite in ihm zum klingen, die er beständig zu unterdrücken suchte, seitdem er von ihrer Verlobung erfahren hatte. “Natürlich.” Er drehte sich nicht um, als sie auf dem Weg zu den Stallungen an ihm vorbeiging. Selinde war schon mehrere Schritte von ihm entfernt, als sie nochmals seine Stimme hörte, die sie rief. “Selinde? Ich liebe dich.” Dann machte er sich auf zum Haupttor.

Wie vom Donner gerührt blieb sie stehen. “Ich dich auch, Heridan”, sagte sie leise und Tränen rannen ihr die Wangen hinab. Dann eilte sie zum Stall. Ihre misstrauische Schwester würde sicherlich schon Alarm schlagen. Sie fand das gepackte Pferd und schwang sich in den Sattel. Kurz vergewisserte sie sich, dass es dem Kleinen gut ging, dann gab sie dem Pferd die Sporen und preschte über den Hof und aus dem Tor. “Ich Dich auch!”, rief sie, als sie unter dem Tor war. Dann ritt sie so schnell das Tier nur konnte. Das Bündel schützend im Arm.

Heridan sah Selinde hinterher, als sie hinaus in die Dunkelheit ritt. “Ich weiß”, murmelte er leise und eine einzelne Träne lief ihm die Wange hinab. “Lasst das verdammte Fallgatter herunter. Für heute gab es schon genügend Aufregung. Heute wird niemand mehr eingelassen und ohne Erlaubnis des Barons darf auch niemand die Burg verlassen”, blaffte der Ritter die Wachmannschaft an. Er blieb aber noch geraume Zeit auf dem Wehrgang, um in die Dunkelheit zu starren, bevor er wieder zurück zu der restlichen Gesellschaft ging. Insgeheim hoffte er, dass ihm dieser vermaledeite Kater über den Weg lief.

***

Von der höchsten Turmspitze blickten rote Augen auf das Geschehen hinab. Nachdem die Ritterin aus dem Sichtfeld verschwunden war, erhoben sich, von allen Beteiligten unbemerkt, weiße Schwingen in die Luft. Der Rabe stieg höher und höher und als er außer Reichweite von möglichen Pfeilen war, flog er davon. Heim zu seiner Herrin, um ihr zu berichten. Sie wollte nur wissen, was hier geschehen war, da ihre Träume zu ungenau gewesen waren. Wohin sich die künftige Baronin begeben wollte, brauchte sie nicht zu wissen. Corax wusste, dass seine Herrin es früher oder später eh erfahren würde.

Im Schlafgemach

Als Celissa alleine in der Geburtsstube schlief, kam Rotlöckchen wieder zum Fenster hinein. Frenya wollte der frisch gewordenen Mutter ja noch ein Geschenk überreichen. Wie unhöflich und bar jeglicher Etikette wäre es gewesen, ohne ein Präsent zu solch einem erfreulichen Anlass zu kommen? Die Vogelspinne begab sich auf das Bett der Mutter. Rotlöckchen konnte den Zorn seiner Herrin noch in sich nachfühlen. Zorn, dass dieser unfähigen Metze Senola Glauben geschenkt wurde - blinder Gehorsam einer Verblendeten gegenüber. Solch ein enormes Maß an Dummheit musste ´belohnt´ werden. Und eben jene Belohnung trug Rotlöckchen mit sich. Er konnte den mächtigen Fluch in sich fühlen, den er nun als Bote überbringen würde. Ein Todesfluch, der die geschwächte Mutter innerhalb weniger Stunden dahinraffen würde. Ja, das würde Frenya glücklich machen … der Spinnerich konnte die in seiner Herrin herrschende Vorfreude förmlich fühlen. Wem würde man die Schuld für das jähe Ableben der Edlengemahlin geben? Entweder der Schwächung nach einer entbehrungsreichen Geburt, oder eben der gedemütigten Senola. Denn seine Herrin hatte sich doch stets für das Edlenpaar und die Kinder stark gemacht.
Ein paar Augenblicke später war das tödliche Geschenk der Hexe abgeliefert und Rotlöckchen begab sich wieder zum Fenster, wo er hinaus in den Garten verschwand.

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