Celissa - Epilog

Am übernächsten Tag...

Epilog der Briefspielgeschichte Celissa

Schon wieder gaschte es. Sie kamen kaum voran auf dem morastigen Weg, der selbst bei gutem Wetter eher einem Trampfelpfad geglichen hätte als einem Karren oder einer Kutsche gute Fahrt zu ermöglichen. Mehrmals bereits am heutigen Tage hatten sein Knecht und die beiden Büttel, die Ansgar ihm als Geleit mitgegeben hatte, den ebenso groben wie robusten Planwagen mit vereinter Kraft aus dem Schlamm befreien müssen. Einmal steckte er sogar so fest, dass die noch in Ambelmund eilig gefundene Amme samt Leuenhards Tochter vom trockenen Platz, neben dem Sarg Celissas, in den strömenden Regen hinaus absitzen und der Edle selbst mitanfassen musste.
Vielleicht hätte er das Angebot des Barons annehmen und auf Burg Fadersberg ausharren sollen, bis das schlechte Wetter abgezogen war. Aber Leuenhard hatte es dort nicht mehr länger ausgehalten.
Es war, als ob Celissa aus dem tiefen Schlaf, in den sie nach der anstrengenden Geburt gefallen war, gar nicht mehr hatte aufwachen wollen. So blass, so erschöpft hatte sie dagelegen. Mutter Elva und Perainelind hatten noch um sie gekämpft. Am Ende vermochten sie das weichende Leben nicht in ihr zu halten. Obgleich die Blutungen gestillt waren, schien es, als ob irgendetwas seine Gemahlin mit unwiderstehlicher Macht aus dieser Welt gezogen hätte. Die letzten Stunden war er mit ihrem kleinen Mädchen neben ihr gesessen und hatte einfach nur ihre Hand gehalten, gespürt, wie diese kälter und kälter wurde, gehört, wie ihr Atem immer leiser wurde, gesehen, wie sich ihre Brust kaum mehr hob und senkte. Nur für ihre letzten Atemzüge hatte sie nochmals mit letzter Kraft die Augen geöffnet und ihn und ihr Kind voll Liebe angelächelt. Wie wenig er diese verdient hatte. Dann war auch sie ihm genommen.
Wie gerne wäre er, ein gebrochener Mann, der er war, neben ihr zusammengesackt und für immerdar liegen geblieben. Aber er war es ihr schuldig, die Bruchstücke seiner Seele zusammenzufügen und wieder aufzustehen. Der großen, aber auch der gütigen Mutter und allen anderen guten Göttern fortan ein guter Diener zu sein, und keinen Frevel mehr willfährig mitzutragen. Ihrer gemeinsamen Tochter ein guter Vater zu sein, wenn er seinen Sohn schon nicht beschützen konnte. Mit alldem dafür sorgen, dass Celissas Tod nicht umsonst gewesen war, ihr so wenigstens nach ihrem Tode ein guter Mann zu sein, der er ihr zu Lebzeiten nicht war.
In ihrer gemeinsamen Tochter würde sie weiterleben, ihre Liebe in deren Herzen fortbestehen. Ihr Kind sollte daher - entgegen der Familientradition - heißen wie sie. Und wie die, die es besonders gut mit ihnen gemeint hatten und für sie gekämpft hatten: Celissa Elva Frenya von Tannenfels.
Der Leib seiner ersten Celissa aber sollte seine letzte Ruhe in Tannenfels finden, dort, wo auch seine Ahnen lagen, im Frieden und im Schoße der großen Mutter, nicht in Ambelmund, wo sie aufgrund der Frevlerin aus Schweinsfold - sollte ihm dieses Weibstück nur jemals wieder unter die Augen treten - aber auch Ansgars und vor allem seiner Schwäche wegen hatte leiden und sterben müssen.
Endlich schälte sich der Rand des Tanns vor ihnen aus dem Regengrau. Mochte dieser auf Fremde finster und bedrohlich wirken, so fühlte sich Leuenhard in diesem, nicht nur aufgrund des im Schatten der Bäume gebremsten Windes und schwächeren Regens, behütet und sicher. Der wahren Dunkelheit, das hatte er schmerzhaft lernen müssen, lauerte weit mehr in den Herzen der Menschen.

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