Celissa - Kapitel 2

Drei Wasserläufe später

Kapitel 2 der Briefspielgeschichte Celissa

Das Gewitter hatte sich zu einem Dauerregen gewandelt und erfüllte die Burg mit kühler Luft. Der Geruch von Regenwasser gemischt mit frischen Grün erfüllte den Ort. Den Blick aus einem Fenster offenbarte den Herausschauenden ein schönes Spektakel. Die Wolkendecke brach sich immer wieder und so tanzten einzelne Lichtflecken über die Weiden Ambelmunds. Das frische und junge Grün der Landschaft, gepaart mit einzelnen bunten Blütenprachten gaben dem ganzen etwas romantisches. Doch das konstante Trommeln der Regentropfen und die Schmerzensschreie Celissas störten den Frieden.

Elva betrachtete besorgt die junge Frau, die seit Stunden in ihren Wehen lag. Noch immer hatte Celissa kein Geburtswasser gelassen und normalerweise würde sie weiterhin Geduld ansetzten. Solch eine Geburt kann viele Sunde, ja sogar Tage dauern. Doch der Geweihten bereitete es Sorge, dass sie jetzt schon sehr erschöpft wirkte. Diese lag auf der Bettstatt und hielt die Hand der Zofe Eludwina von Weidenthal. Es wunderte Elva ein wenig, dass die Baronin ausgerechnet diese hier gelassen hatte, wo sie doch selbst in Erwartung war. Sie wischte diesen Nebengedanke zur Seite und ging zu ihrer großen Tasche. Diese war gefüllt mit allerlei Utensilien die zu einer Geburt benötigt waren. Die Geweihte griff nach einem Tiegelchen , die mit einer Salbe gefüllt war. Diese war nur nötig, um eine Geburt zu Beschleunigen. Dann ging sie zu Celissa hinüber und setzte sich an den Bettrand. “So mein kleines Vögelchen, ich werde jetzt mal schauen, wie die kleinen sich so machen und vielleicht können wir ihnen ja helfen, sich bereit zu machen uns alle zu begrüßen.”, sprach sie beruhigend auf die junge Edle ein. Mit geschickten Fingern tastete sie das Innere ab.´Hmmm. Noch war die Geburtshülle fest´ , stellte Elva fest. Dann griff sie wieder zur Salbe und bestrich diese. “Nun gut, Celissa. Beten wir zu Travia, das ihr nicht mehr lange warten müsst. Und du, Eludwina, sag mir bescheid wenn sich etwas tut, wenn das Geburtswasser kommt.” Selbst schon ein wenig ermüdet ging die Tempelmutter wieder runter zu den anderen Gästen.

In der Zwischenzeit wurden den Gästen Speisen aufgetragen, doch zogen sich die Leute in unterschiedlichen Räumen zurück . Der eine Teil blieb im Rittersaal, während die anderen in den daneben liegenden Speisesaal speisten. Nur eine halboffene Tür trennte die beiden Gruppen.

Im Rittersaal

(Leuenhard, Heridan, Frenya, Selinde)

Einige Teller und Kelche standen auf der Tafel im Rittersaal und die Überreste von Brot, Käse und Wurst. Als Elva die Treppe hinunter kam entdeckte sie nur die Hälfte der Gäste im Rittersaal. Die Stimme aus dem Nebenzimmer verrieten, wo der Rest zu finden war.

Mit wachsender Ungeduld hatte sich auch die Hofdame Frenya im Rittersaal eingefunden. So nahe wie möglich bei der Kindesmutter und dem Kindesvater. Mit Genugtuung bemerkte sie, dass weder Ansgar noch Senola hier waren. Die Situation war also unter Kontrolle - vorerst, denn einfach geschlagen geben würden sich diese verblendeten Toren wohl nicht.

Lustlos sah der Edle von Tannenfels auf die Speisen vor sich. Appetit empfand er keinen, auch wenn sich in seinem Magen durchaus Leere breit machte. Leichter Hunger schärft die Sinne! Auch mit dem Wein hielt er sich zurück und nippte nur gelegentlich kurz daran. Die Geräuschkulisse während des Mahls bestand zunächst nur aus dem an die Fenster prasselndem Regen, dem Klirren der Messer auf den Platten und mehr oder weniger lauten Kau-, Schmatz- und Schluckgeräuschen, die nur gelegentlich von den gedämpften Schmerzlauten aus Richtung des Geburtszimmers unterbrochen wurden, und verstärkte die Beklemmung in Leuenhard. Auf jedem Begräbnis ging es ausgelassener zu. Wenigstens hatte er von hier den Zutritt zur Kammer seiner Gemahlin im Blick. Und die einzige Verbündete, die wirklich wusste, was hier gespielt wurde, und daran glaubte, an seiner Seite.
Wahrscheinlich würde sich nie mehr eine bessere Gelegenheit ergeben, Heridan und Selinde auf den Zahn zu fühlen als jetzt, da sie dem direkten Blick des Lehnsherrn und der Schwester entzogen waren. In einer Bewegung, die für einen Trinkspruch viel zu fahrig wirkte, hob Leuenhard seinen Kelch und brach trotz der verhaltenen Lautstärke, in der er sprach, die lauernde, peinliche Stille am Tisch. "Auf die Wahrheit in der Prophezeiung! Mögen die guten Götter uns die Weisheit schenken, diese zu erkennen, und den Mut und die Stärke, danach zu handeln!" Auch seine Stimmlage erinnerte mehr an eine Bestattung denn an eine bevorstehende Geburt. Langsam nahm er einen kleinen Schluck, bei dem er über seinen Kelch hinweg den Hofritter und die frühere Knappin seines Herrn beobachtete.

Heridan war der Appetit für den Moment vergangen. Gelegentlich nippte der Ritter an dem Wein, aber auch das geschah eher mechanisch als aus dem Verlangen nach einem Getränk. Nur mit Widerwillen hatte er beim Trinkspruch des Edlen den Becher erhoben, war es doch eben diese Prophezeiung die ihm die Laune verhagelte. Aber ein “Mögen die Zwölfe mit uns sein!” konnte er sich nicht verkneifen.

Das Zögern Heridans war Leuenhard nicht entgangen, und sein Einstimmen, in dem zugleich Einspruch gegen den alten Glauben mitschwang, sprach Bände. Auch wenn er die dann sicherlich ablehnende Haltung des Ritters der großen Mutter gegenüber bedauerte, mochte diese hier und heute hilfreich sein, das Schreckliche zu verhindern und das Leben seines Erstgeborenen zu retten. Doch war diese Gesinnung Heridans auch stark genug, sich, wenn es hart auf hart kam, gegen Ansgar zu stellen? Leuenhard hoffte imständig, dass es dazu nicht kommen musste. Er setzte weniger auf den Schwertarm des getreuen Quackenbrückers als vielmehr auf dessen Zunge, den Baron von Senolas Willen abzubringen. Ein zögerliches und unscheinbares Nicken, begleitet von einem schwachen Zucken seines rechten Mundwinkels, das der Anflug eines nachdenklichen Lächelns sein mochte, war für Heridan zunächst die einzig wahrnehmbare Reaktion des Edlen, der nun besonders Selinde taxierte.

Auch Selinde hatte ein mulmiges Gefühl, doch hatte ihr Ansgar eines beigebracht: ohne Mampf, kein Kampf! Deshalb war sie froh über die Abwechslung und das gute Essen. “Auf die innewohnende Wahrheit!”, stieß sie mit den Anderen an, biss sich dann aber auf die Unterlippe, als sie Heridan anblickte. War es denn nicht Praios`Wille, dass die Wahrheit immer offen zu Tage trat und war sie nicht heimlich verliebt, konnte sie wirklich so etwas sagen? Fragen über Fragen quälten ihr junges Herz.

Die Hofdame vom Traurigen Stein stand derweil lässig an ein Fenstersims gelehnt. Da ihr Kinn auf auf ihrer Brust lag, wirkte es so, als würde sie schlafen. Dem war jedoch nicht so, wiewohl sie ihre Augen geschlossen hielt. In ihren Gedanken kreisten Bilder umher. Bilder, die ihr Rotlöckchen sandte. Sie sah die junge Edle auf einer Schlafstatt, daneben eine unbekannte junge Frau, die ihre Hand hielt. Eben jene Frau war ein Unsicherheitsfaktor, von dem sie bisher noch nichts wusste. Ihr Vertrauter würde sie im Auge behalten müssen.

Immer noch fahrig und daher ein wenig zu fest und laut setzte Leuenhard seinen Kelch auf die massive Tischplatte, so dass ein erklecklicher Teil der Pfütze, die ohnehin nur darin war, über den Rand schwappte. "Die Crux mit den innewohnenden Wahrheiten ist," merkte er, auf die ausschwingenden Wogen in seinem Trinkgefäß starrend, mit verhaltener Stimme an, "dass sie sich zuweilen nicht oder nur scheinbar auf den ersten Blick entblößen. Und oftmals jeder eine andere sieht." Sein Blick richtete sich wieder abwartend auf Heridan und vor allem Selinde.

Selinde fühlte sich ertappt. Konnte der Tannenfelser Gedanken lesen? “Wie...wie meint Ihr das?”, fragte sie etwas schüchtern. Bei der nächsten Frage fing sie sich wieder und stellte diese ein wenig selbstsicherer:”Von welcher Wahrheit sprecht Ihr denn genau?”

Der Ritter schwieg, da ihm Selinde mit ihrer Frage zuvorkam und verfolgte stattdessen jede Bewegung des Edlen mit seinen Augen.

Der Edle von Tannenfels ließ sich einen Moment Zeit mit seiner Antwort. Dann begann er bedächtig und mit leiser Stimme:
"Seht die Prophezeiung, wegen der wir alle hier sind... Eure Schwester, als weise Frau dazu berufen, hat diese gedeutet…” Bei jedem seiner Worte behielt er Selinde genau im Visier.
“Auch Mutter Elva als Priesterin der gütigen Travia erkennt Wahrheit in der alten Weissagung…” Wieder setzte er eine Pause.
“Aber die 'ach so offensichtlichen' Wahrheiten beider haben nichts, wirklich nichts miteinander gemein."
Leuenhard ließ die Aussage kurz nachhallen. Dann blickte er Selinde in die Augen.
"Vielleicht teilt Ihr die Sicht Eurer Schwester, wie seine Hochgeboren. Sprechen wir es aus: Nach dieser muss mein Erstgeborenes noch am Tag seiner Geburt sterben... Vielleicht seid Ihr aber auch einer Deutung ähnlich der Mutter Elvas zugeneigt. Danach soll dasselbe Kind leben und der Kirche der Travia anvertraut werden... Oder habt Ihr eine ganz eigene Interpretation?... Wer irrt? Und welche davon ist die wahrhafte, die göttliche Wahrheit?... Die meines Lehnsherrn? Weil ihm von Standes wegen die Wahrheit in diesen Landen zukommt?... Oder doch die der Priesterin, weil es um eine göttliche Weissagung geht? Und wenn ja, welcher der beiden Priesterinnen?... Oder täuschen sich am Ende alle, und es ist etwas ganz anderes gemeint? Welcher Wahrheit sollen wir folgen? Daran hängt Leben und Tod meines Kindes. Und vielleicht das Schicksal dieser Lande."

Die Ritterin schluckte. Dann sah sie sich um, nicht nur nach menschlichen Ohren und Augen, sondern auch nach Schnurrhaaren und Samtpfoten, bevor sie flüsternd antwortete:”Ich verstehe mich nicht aufs prophezeien, aber ich kann nicht glauben, dass der Götter Wille nach Blut verlangt.” Etwas lauter sagte sie dann:”Wahrlich, in Eurer Haut möchte ich nicht stecken. Das erste Kind und gleich mit so viel Sorge und Schmerz verbunden.” Mitfühlend legte sie ihre Hand auf seine.

"Dem Kind …", betonte Frenya dann als sie ihren Kopf hob und sich aus ihrer lehnenden Position aufrichtete, "... wird nichts passieren. Die Auslegung, dass die große Mutter nach dem Blut von Unschuldigen verlangt, ist falsch … beinahe stümperhaft würde ich meinen." Die Hofdame bewegte sich ein paar Schritte auf die anderen zu. Ihre Augen wirkten nun noch dunkler als zuvor. "Jeder, der dem Kind zu nahe tritt muss erst an mir vorbei." Worte der Drohung, die aus dem Mund der schmalen Frau dennoch bedrohlich wirkten.

Nachdem sie diese Drohung ausgesprochen hatte, schien ein Teil seiner Anspannung vom Quakenbrücker abzufallen. “Dann ist es ja gut, dass niemand in diesem Raum den Kindern Schaden zufügen will.” erklärte er frei heraus. “Allerdings werde ich es nicht erlauben, dass jemand die Hand gegen meinen Baron erhebt.” Dabei sah er in Frenyas und Leuenhards Richtung. “Mein Eid bindet mich.” fügte er beinahe entschuldigend hinzu.

"Wenn er den Kindern nicht zu nahe kommt, wird ihm nichts geschehen", gab Frenya kühl zurück.

Auch Leuenhard atmete, für einen kurzen Moment wenigstens, erleichtert auf, und erstmals huschte die Andeutung eines Lächelns auf sein Antlitz. "Ich bin froh," flüsterte er, "dass Ihr alle ebenfalls nicht glauben wollt, was Ihre Wohlgeboren Senola in die Prophezeiung gedeutet hat, und nicht mittragen, was sie daraus folgernd verlangt!"
Dann wandte er sich beschwichtigend an den Hausritter seines Herrn: "Seid versichert, Heridan: Ansgar ist auch mein Baron - auch ich sehe mich an meinen Lehenseid ihm gegenüber gebunden. Sonst wären meine Gemahlin und ich heute überhaupt nicht hier. Die Hand gegen ihn zu erheben, ist mit das letzte, was ich will - es muss andere Wege geben." An alle gerichtet fuhr der Edle fort: "Wir müssen zuallererst versuchen, den Baron zur Vernunft zu bringen, und davon überzeugen, welch schrecklicher Fehldeutung der Prophezeiung er aufsitzt. Wie gute Berater Ihres Herrn es tun." Und am besten so, dass er glaubt, es sei die aus seiner eigenen Weisheit erwachsene Erkenntnis... "Glaubt Ihr, dass wir Eure Schwester von Ihrem Irrweg abbringen können, Selinde? Wenn sie davon ablässt, wird auch Ansgar sicher nicht daran festhalten."

Etwas unangebracht lachte die Hofdame auf. "Senola wird sich nie davon abbringen lassen. Sie weiß, dass ihre Deutung Humbug ist und verfolgt mit diesem Unsinn eine eigene, ihr alleine zum Vorteil gereichende Agenda. Wenn sie merkt, dass sie in ihrem Wunsch das Kind zu opfern alleine dasteht, lässt sie sich womöglich noch zu einer Dummheit hinreißen." Frenya setzte sich auf einen der Stühle und verschränkte ihre Arme. Eine Körperhaltung, die beinahe trotzig wirkte. "Tut was Ihr nicht lassen könnt, doch am Ende des Tages wird der Baron von selbst merken wie falsch es war Senola zu folgen."

Leuenhard stutzte auf Frenyas Worte. Er wiederholte diese erst im Geiste, und dann flüsternd. "Ihr meint, Senola hält das ganze selbst... für Humbug? Aber warum sollte sie dann..." Plötzlich fiel es ihm - so wähnte er sich wenigstens - wie Schuppen von den Augen: "Aber natürlich, das ist es! Dieses verdammte Miststück! Sagt, Selinde: Wessen Idee war es, mit Mutter Elva eine Travia-Geweihte aus Herzogenfurt zur Geburt herbeizubringen? Und auf wen geht zurück, mit dem Baronet von Rickenhausen eine Barden einzuladen? So viele Zeugen! Die alle sehen sollen, was für ein blutrünstiger, kindermordender 'Heide' der Baron ist. Und sein Edler gleich mit, wenn ich mein Kind geopfert hätte!" Der Edle wurde sich immer sicherer, was die Ränke der 'Weisen Frau' anging. "Der Vater der Prophezeiung, den Senola vom Thron vertreiben will, ist Ansgar! Sie lässt ihn gerade sein eigenes Grab schaufeln. Indem wir versuchen, das Leben meiner Kinder zu retten, retten wir auch den Baron!” “Wenn er es zulässt."

“Elva ist auf persönlichen Wunsch ihrer Hochgeboren Tsasalda hier. Seine Wohlgeboren als Vertreter seines Hauses, vermutlich um die Geburt zu bezeugen und Glückwünsche auszusprechen, so wie vermutlich alle hier.”

Der Gedankengang des Edlen belustigte Frenya. Äußerlich ließ sie sich jedoch nichts anmerken. “Es geht Senola nicht darum den Baron von Ambelsmund zu stürzen ...”, meinte sie dann trocken, “... es geht ihr um die Deutungshoheit. Sie möchte sich als die unangefochtene Stimme der großen Mutter positionieren …”, sie stoppte. Das ´und sich selbst zur unangefochtenen Oberhexe von Gratenfels aufschwingen´ dachte sie sich ergänzend dazu. “Die Prophezeiung gibt es und viele Menschen in Nordgratenfels glauben daran. Wenn sie die Menschen dazu bringt, den Erstgeborenen eines Adeligen der großen Mutter zu opfern … so absurd das auch sein mag … wird wohl niemand mehr ihre Autorität anzweifeln.”

"Seid Ihr sicher? Ihr meint, es geht ihr weder um die Prophezeiung noch um einen von uns, nicht um die Baronie und noch weniger um den Grafen? Der Tod meines Kindes soll nur dazu dienen, ihre eigene Macht zu beweisen und sich darin zu sonnen?" Leuenhard war darob nicht nur erschüttert, sondern geradezu fassungslos. "Wenn Ihr damit Recht habt, ist sie eine… eine götterlose... Metze!" Die Strafe verdient... "Aber Ansgar hört auf sie, und Mutter Elva ist von ihrer Treue den Zwölfen gegenüber überzeugt... wir müssen beiden die Augen öffnen!"

"Lasst Euch doch die Worte der Prophezeiung noch einmal durch den Kopf gehen …", meinte Frenya dann ohne näher auf die Worte des Edlen einzugehen, "... besagter Vater … die Interpretation es handle sich um den Grafen ist weit hergeholt und einzig dem Ansinnen geschuldet, es dem Baron schmackhaft zu machen. Meint Ihr nicht? Auch hieß es 'Ersterblickter', nicht 'Erstgeborener'. Und das sind nur zwei von mehreren uneindeutigen Passagen im Wortlaut der Prophezeiung." Frenya schüttelte ihren Kopf. "Nein, Senola hat hier eine Auslegung zusammengesponnen, die darauf abzielt, mit dem Grafen unzufriedene Adelige hinter sich zu scharen und im Opfer Eures Kindes, ihren neu gewonnenen Einfluss gegenüber ihren Schwestern zu demonstrieren und zu festigen. Vielleicht möchte sie einen Aufstand anzetteln und sich selbst auf den Grafenthron setzen, während sie die große Mutter als Standarte voran trägt, obwohl es ihr nur um sich selbst geht. Eitelkeit und Selbstsucht sind das Markenzeichen der Katzenschwestern. Ihr ging es nie um das Land oder die Menschen hier und wohl auch nicht um die große Mutter."

Welche Ziele auch immer Senola am Ende verfolgte, ob es ihr um die Baronie oder die Grafschaft, nur um ihren Rang unter den weisen Frauen in Nordgratenfels oder welche Ränke auch immer ging - in einem stimmte Leuenhard felsenfest mit der Traurigsteinerin überein: dem Land, den Menschen hier oder der großen Mutter diente es nicht.
Doch nun galt es, diese Erkenntnis in Handeln zu übersetzen. Senolas Pläne zu durchkreuzen, den Tod ihres Erstgeborenen zu verhindern und Schaden von der Baronie abzuwenden.
Die Zeit, die sich vorhin noch so qualvoll voranzuschleppen schien, würde schneller vergehen, als ihnen lieb sein konnte. Ihnen blieb nicht mehr viel davon, das war nunmehr klar.
Die Unruhe, die angesichts der tröstlichen Gewissheit, dass er bei weitem nicht der einzige Zweifler war, kurz geschwunden war, kam nun mit Macht zurück. Aber jetzt war sie seinerseits mit Entschlossenheit gepaart.
Wie weit würden die anderen mit ihm gegen Senola gehen? Bei Frenya vom Traurigen Stein hatte er keinerlei Zweifel, dass sie tun würde, was im schlimmsten Fall zu tun wäre. Aber wie sah es mit Selinde aus? Und Heridan?

Ruhig hatte sich Heridan Frenyas Vortrag angehört. Es ergab durchaus Sinn was sie sagte und doch nagte etwas an ihm. Was waren ihre Beweggründe sich gegen Senola zu stellen? War es wirklich so, wie sie sagte, oder sponn sie nur ein weiteres Netz aus Lügen und Halbwahrheiten um von ihrem wahren Ziel abzulenken? Wie sehr er dieses Intrigenspiel hasste. Sein Blick ging zu Selinde. Wie nahm sie die Anschuldigungen gegen ihre Schwester auf?

“Er nennt meine Schwester gefälligst nicht Metze, sie ist die künftige Baronin Schweinsfold!”, zischte sie aufgebracht dem Tannenfelser entgegen. “Und Ihr”, wandte sie sich an Frenya,”tätet gut daran etwas weniger Gift zu verspritzen. Senola mag sich bei der Deutung geirrt haben, ihr aber gleich Verrat und Usurpation vorzuwerfen, ist ein starkes Stück. Ich hoffe, ihr habt Beweise für Eure Anschuldigungen, sonst sähe ich mich gezwungen Euch hier und jetzt und für immerdar das Maul zu stopfen.” Jäh fiel der Stuhl nach hinten, als sie aufstand und die Hand zum Schwert führte, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen.

Frenya kicherte daraufhin vergnügt. Was für eine impertinente, sich selbst überschätzende und naive Person. "Ich sehe schon, Ihr seid Eurer Schwester gegenüber loyal, nichts anderes habe ich von Euch erwartet. Doch wie weit würde Eure Loyalität reichen? Würdet Ihr Senola zur Hand gehen wenn sie das Blut eines unschuldigen Kindes vergießt?" Sie hob ihre Augenbrauen und Selinde meinte darin eine höhnische Geste zu erkennen. "Um nichts anderes geht es hier nämlich. Die Beweise, die ich vorzubringen imstande bin würdet Ihr nicht verstehen. Glaubt mir, oder tut das eben nicht ... es berührt mich nicht." Sie wies auf den Tannenfelser Edlen. "Doch versetzt Euch in seine Lage. Wie würdet Ihr handeln wenn eine Fremde von Euch verlangt Euer erstgeborenes Kind einer heidnischen Göttin zu opfern?" Mit einem düsteren Blick maß sie die Ritterin und bewegte sich auf sie zu. Durch einen prüfenden Griff vergewisserte sie sich, dass ihr Dolch noch dort saß, wo sie dachte. "Und was diese jämmerliche Drohung angeht ...", knurrte sie, "... ich tue Euch den Gefallen sie zu überhören. Seht es als ein großzügiges Geschenk von mir, dass meine Aufmerksamkeit allem Anschein nach von etwas anderem … abgelenkt … war und ich Eurer Gebaren nicht vernommen habe.” Die Hofdame stand nun unmittelbar vor der Ritterin. “Wir sollten versuchen zu verhindern, dass hier das Blut eines Neugeborenen vergossen wird, da ist es nicht unbedingt förderlich uns selbst gegenseitig ans Leder zu gehen, meint Ihr nicht auch?” Ein Lächeln huschte über Frenyas Lippen. “Darüber hinaus würde es Euch nicht gut bekommen zu versuchen mir zu nahe zu rücken, glaubt mir."

Das stand auch schon der Quakenbrücker bei den beiden Frauen und raunte leise aber eindringlich. “Beruhigt euch meine Damen. Dies ist weder der Ort noch die Zeit dafür. Euer Streit hat uns Besuch beschert. Mit dem Kopf nickte er in Richtung der Tür zum Speisesaal, in welcher der Rickenhausener und kurz darauf der Baron stand.

Im Speisesaal

(Ansgar, Senola, Basin)

Basin hatte die Gelegenheit genutzt und war vor seinem heute eher unzugänglichen Publikum in den Speisesaal geflohen, als das Essen bereitet war. Nicht, dass er Hunger verspürt hätte, aber er brauchte ein wenig Abstand. Im Rittersaal tat sich nicht viel, außer, dass die Luft immer mehr zu knistern schien, je länger die Leute warteten, dabei war das Gewitter doch längst vorbei. Leider waren ihm nach kurzer Zeit Ansgar und Senola gefolgt, so dass es mit seiner Suche nach kurzzeitiger Ruhe nicht weit her war. Da es nun nicht mehr zu ändern war und er nicht den Eindruck erwecken wollte, vor den beiden zu fliehen, blieb er, wo er war, und schaute den Baron und die Weise Frau fast schon herausfordernd an.

Ansgar hatte sich an das Kopfende des Tisches gesetzt und einen großen Berg Speisen auf seinen Teller geladen. Er war hungrig, betrunken und unzufrieden, was ihn noch hungriger machte. Deswegen vernichtete er die feinen Speise, die er eingedenk des Anlasses auftragen ließ, geradezu. “Na, was ist”, lallte er mit vollem Mund zwischen den Happen blutigen Fleischs. “Setzt Euch! Es ist genug Essen für alle da. Es schmeckt wirklich gut. Jetzt steht nicht nur so rum.”


Nun gut, wenn der Baron meinte. Basin setzte sich und nahm sich auch einen Teller und recht wahllos ein paar der Happen. Er stocherte ein wenig darin herum, dann erhob er die Stimme, wobei nicht klar war, ob er Ansgar oder Senola ansprach, da er zwischen ihnen hindurch schaute. “Was meint Ihr, was heute noch passieren wird?”

“Etwas, was das Schicksal dieses Landes ändern wird. Soviel steht fest.” Sie knabberte an einer Stange Brot und streichelte Selem, der auf ihrem Schoß saß und schnurrte. Die Lage war heikel, so oder so. “Ob zum Guten oder zum Schlechten, wird sich zeigen. Harte Zeiten verlangen nach harten Maßnahmen. Es wird Blut fließen, das ist sicher.”

Basin ließ die Worte erst einmal so stehen, um zu warten, ob der Baron etwas hinzuzufügen hatte.

“Also erst einmal wird es ein Freudentag sein. Ein Tag zum feiern! Deshalb habt Euch nicht so, sondern esst und trinkt”, brummte der angeheiterte Baron. “Was dann passiert, das hängt vom Willen der Götter ab. Im Übrigen”, schmatzte er, “davon, ob irgendeiner hier meint, dem Willen der Götter und meinen Willen anzweifeln zu müssen. Aber so und so wird der Wille der Götter durchgesetzt.” Insgeheim fürchtete sich Ansgar vor eben diesem Moment, vor dem Moment der Machtprobe. Einem Vater sein Kind zu entreißen, das brachte andere gegen einen auf. Insbesondere dann, wenn der Vater nicht mitspielte. Und dieser Vater schien seine Nerven nicht beisammen zu haben.

Basin nahm einen weiteren Happen und biss einmal hinein, dann beschloss er, einen Schritt weiter zu gehen. Er fixierte nun direkt Senola. “Wer ist der Vater, der von seinem Thron vertrieben wird?” fragte er die Weise Frau, auf die Prophezeiung anspielend. Als Barde hatte er ein gutes Gedächtnis.

“Der alte Graf natürlich, der die Lande terrorisiert. Wenn wir den Greifax los sind, dann kann die Baronie aufatmen.”

Der Graf, so. Basin nahm einen weiteren geistesabwesenden Bissen und sah weiterhin Senola an. Er wollte es von ihr hören. Er selbst hatte schon die ein oder andere Prophezeiung gehört, und sei es in alten Liedern oder Gedichten. Den Worten einer solchen wohnte meist eine gewisse Harmonie, eine gewisse Systematik inne. Wenn also in dieser Prophezeiung hier von der Mutter und dem Vater die Rede war, dann sagte ihm sein Bauchgefühl, dass beide Genannten auf der selben Stufe stehen sollten. Aber ein Graf stand nicht auf derselben Stufe wie die eigentliche Behüterin des Landes … oder täuschte er sich da? Nachdenklich suchte er Senolas Augen.

Unschuldig lächelte sie den Barden an. Was hatte der hier schon zu sagen? “Ihr habt den Baron gehört. Zweifelt Ihr an seinem Wort? So wurde die Prophezeiung ausgelegt und seine Hochgeboren ist meiner Meinung” Innerlich wurde Senola unruhig. Der schwache Leuenhard war in den Fängen der Spinne und die wichtige Stunde rückte näher. Sie gab Selem einen Schubs, stand auf und öffnete die Tür. “Tut mir schrecklich leid, der Kater soll doch nicht hier sein Geschäft verrichten. Er wird sich einen angemessenen Ort suchen.”

Zustimmend brummte der Baron und ertränkte seine eigenen Zweifel in Wein und vorzüglichen Speisen.

Basin überlegte noch, was er von der Reaktion Senolas halten sollte, die ihm ein wenig nach “getroffene Hunde bellen” klang, da hörte er erregte Stimmen und Poltern aus dem Rittersaal. Was war da denn schon wieder los? Schnell stand er auf und eilte zur Tür. Im Rittersaal sah er daraufhin Frenya und Selinde, welche so aussahen, als würden sie gleich aufeinander losgehen. Sprachlos stand Barde in der Tür und riss die Augen auf.

Ansgar warf sein Messer und seinen Spieß in den Teller und erhob sich ebenfalls. Offensichtlich entglitt ihm die ganze Situation. Niemand schien sich mehr um ihn zu scheren.

Im Rittersaal

(alle wieder vereint)

Der Baron stapfte ebenfalls Richtung Türe, legte seine Hand auf die Schulter Basins und starrte irritiert auf die Szene die sich ihm bot. Insbesondere war ihm nicht entgangen, dass Selinde ihre Hand an der Waffe hatte. Es schien eine ernstzunehmende Bedrohung zu geben. “Was soll das hier werden, die Damen?”

“Verzeiht Hochgeboren”, sagte Selinde, ohne auch nur einen Wimpernschlag lang Frenya aus den Augen zu lassen,” aber diese Dame hier erdreistet sich haltlose Anschuldigungen gegenüber meiner Schwester auszusprechen, die sie aber nicht beweisen kann. Das kann ich so nicht hinnehmen, zumal es bereits dazu führte, dass Euer Gefolgsmann Tannenfels die zukünftige Baronin Schweinsfold liederlich schmähte. Ich verlange Entschuldigung von Beiden oder Satisfaktion!”

Frenya starrte die Baroness regungslos an, nicht gewillt ihre Worte auch nur mit dem Minimum einer Reaktion zu bedenken. In ihren Gedanken malte sie sich derweil aus, wie sie Selindes Leben am stilvollsten beenden könnte. Der Giftdolch wäre hier vor Zeugen nicht klug. Vielleicht sollte ein Fluch her - lange Krankheit und Siechtum? Hm, nein, die Ritterin hielt Rondra in hohen Ehren, sie würde mit der Waffe in der Hand sterben dürfen. Vielleicht sollte sie ein paar Waldspinnen rufen. Ihre krabbelnden Freunde lechzen bestimmt nach frischem Blut. Hier im Tannenwald gab es doch hoffentlich das eine oder andere Exemplar davon. So schön der Gedanke daran auch war, sie würde ihn sich für später aufheben - nachdem das Kind in Sicherheit war. "Warum fragt Ihr Eure Schwester nicht selbst danach?", kam es dann pampig. "Ihr tätet gut daran selbst ein wenig nachzuforschen und nachzudenken, bevor Ihr so bereitwillig für jemanden einsteht. Fragt sie warum hier und heute ein unschuldiges Kind der Göttin Tsatuara geopfert werden soll. Es ist immerhin das weswegen wir alle hier sind."

Leuenhard ließ Frenya zunächst reden - er war bei jedem ihrer Worte mit ihr - am besten fing nicht nur Selinde, sondern gleich auch sein Baron an, über Senola nachzudenken. Besser spät als nie. Der Edle nickte nochmals bekräftigend, dann richtete er das Wort an Selinde: "Wenn Ihr Recht behaltet, und es sich am Ende doch um haltlose Anschuldigungen handelt, so will ich mich bei Euch und Eurer Schwester ohne zu zögern entschuldigen, oder Ihr sollt die Gelegenheit zur Satisfaktion erhalten. Wenn sich jedoch unsere Befürchtungen bewahrheiten, so hoffe ich, dass Ihr Euch für die richtige Seite entscheidet." Zu Ansgar blickend fügte er leise hinzu: "Und Ihr auch, Hochgeboren.” Ehe er sich seinem Baron näher erklären konnte, fuhr ihm aus dessen Rücken eine Stimme ins Wort.

Senola folgte dem Baron und war sich sofort sicher, was geschehen war. Dieses Spinnenbiest. “Was ist hier los ? Meint Ihr etwa, diese… Hofdame, die Euch geschickt in ein Netz aus Lügen und Irrwegen spinnt, würde es mit Mutter oder Kind gut meinen? Leuenhard, Basin, habt Ihr Euch schon einmal gefragt, was sie hier will?” Sie ging neben Selinde und legte ihr beruhigend die Hand auf den Unterarm. “Ganz uneigennützig ist die liebe Frenya, nicht wahr? Hat sie Euch versprochen, dass alle leben werden? Oder will sie das Kind nur für sich?”

"Du solltest am besten wissen warum ich hier bin, Schwester …", presste sie zwischen ihren Zähnen hervor und war dabei doch laut genug, dass sie alle hören konnten. "Ich bin hier um deinen Plan zu durchkreuzen. Hier muss und wird kein Kind sterben … dafür sorge ich." Frenya fasste sich an die Stirn und verzog kurz ihr Gesicht. 'Rotlöckchen', schoss es ihr in die Gedanken, 'was haben diese vermaledeiten …' Die Hofdame wandte sich von den anderen ab und ging hinaus aus dem Saal und in den strömenden Regen.

“Frenya vom traurigen Stein, bleibt gefälligst hier, das sind meine Ha…” Zornentbrannt und mit hochrotem Kopf starrte der Baron der Hofdame hinterher, die ihm und der versammelten Mannschaft einfach die kalte Schulter gezeigt und in den Garten hinaus geeilt war. “Arg!”, stieß der Baron aus. Es war für jeden ersichtlich, dass er die Kontrolle verlor - im tatsächlichen, wie im übertragenen Sinne. “Wer hat hier wem welche Anschuldigungen an den Kopf geworfen? Nun sprecht schon? Hat hier denn keiner das nötige Rückgrat, seinem Lehensherrn ins Gesicht zu sagen, was ihm nicht passt? Dieses weibische Gezanke werde ich in meinen Hallen nicht länger dulden. Ihr sprecht jetzt oder schweigt für immer.”

Selinde sah Leuenhard an. Sie wollte ihm die Chance geben sich vor seinem Baron zu erklären.

Basin machte einen Schritt zur Seite in den Rittersaal hinein, da ihm des Barons Hand auf seiner Schulter unangenehm war. Was ihm noch unangenehm war, war das Gebaren der Hofdame seines Hauses, ob sie nun recht hatte oder nicht und mit was genau. Aber was sie hier tat, warf im besten Falle ein schlechtes Licht auf Rickenhausen. Nur fühlte er sich ihr nicht gewachsen und traute sich nicht, einzugreifen. Zudem war sie lange Zeit außerhalb der Nordmarken unterwegs gewesen, woher sollte er wissen, ob ihre Auslegung des Willens der Mutter überhaupt die richtige war. Aber wenn er seine Eltern richtig verstanden hatte, waren sie doch zur Unterstützung der Baronin von Schweinsfold hier und damit zur Unterstützung Senolas als Erbin. Das, was Frenya da tat, war aber das genaue Gegenteil. Basin biss ich hin- und hergerissen auf die Lippen und starrte vom Baron zu Frenya zum Herrn von Tannenfels zu Selinde und zurück.

“Ich will Euch gerne ins Gesicht sagen, was mir nicht passt, Euer Hochgeboren, … Ansgar. ” wählte Leuenhard zunächst einen förmlicheren Einstieg, um dann doch vertraulicher fortzufahren. “Wie ich es immer tat und tun werde! Und alle dürfen, ja sollen es hören!” blitzten seine Augen zu Senola. “Ihr wisst, dass ich Zweifel trage an der Auslegung der Prophezeiung, der heute gefolgt werden soll. Dennoch und trotz dem, was sie für meine Familie nach dem Willen dieser Frau” diesmal deutete er in Richtung Senolas “bringen soll, bin ich heute mit meiner Gemahlin hier, als Euer treuer Gefolgsmann! Doch ist nach meinen Gesprächen zuallererst mit Ihrer Wohlgeboren von Schweinsfold, aber auch der Dame vom Traurigen Stein und nicht zuletzt Mutter Elva aus den Zweifeln für mich inzwischen schreckliche Gewissheit und Überzeugung geworden, dass wir hier einer furchtbaren Fehldeutung aufsitzen - sei es aus Unverständnis der Deuterin, oder aus Vorsatz! Wenn wir dieser weiter folgen -” dabei blickte Leuenhard dem Baron fest in die Augen - “wenn IHR uns zwingt, dieser weiter zu folgen, Ansgar - wird sinnlos vergossenes Blut an unser aller Hände kleben, und wir werden an der großen Mutter freveln!”

***

Mutter Elva kam nicht weit, noch auf der Freitreppe hielt sie inne, niemand schien ihr kommen wahrgenommen zu haben, doch die heidnischen Streitgespräche hielten an. ´Bei Travia! Diese verfluchten Lügengeschichten der Götzen haben tiefe Wurzeln´. Nachdenklich schüttelte sie den Kopf. Selbst bei den Zwölfgöttergläubigen lag Zweifel in den Worten. Der werdende Vater und die Hofdame aus Rickenhausen konnte es einfach nicht sein lassen. Sie lauschte dem Gespräch, das sich immer weiter hochschaukelte. Ihr eigener Zorn stieg mit jedem der Worte und ihr eigenes Ungeborene schien ebenfalls unruhig. ´Ich weiß, Travia, auch das hier ist nur eine deiner Prüfungen.´. schallte sie sich selbst. Kein Kind würde hier sterben, zumindest nicht, wenn Boron es so wollte. Doch langsam sollte sie einschreiten und die Leute wieder auf den Pfad Travias bringen. Sie wollte sich schon aufmerksam machen, als der Schmerzensschrei in Begleitung des erschrockenen Aufrufs der Zofe, erschall. Elva verdrehte die Augen. Nun, Travia wollte sie nun woanders haben. Die Geweihte hoffte inbrünstig, das die Stimme der Vernunft Klarheit bringen würde. Sie ging zurück.

***

Just in diesem Moment nahm Leuenhard Mutter Elva wahr, wie sie gerade ihre Augen verdrehte, ehe sie jäh in die Kammer seiner Frau zurückeilte.
“Und wenn meine in fester Überzeugung und nicht der Schwäche des Zweifels gesprochenen Worte Euch alleine nicht genügen, weil sie dem Wort ihrer Wohlgeboren entgegenstehen, so lasst uns das letzte bisschen Zeit, das uns noch bleibt, nutzen! Lasst uns über die Prophezeiung sprechen! Ihre Wohlgeboren soll uns diese auslegen. Hier und jetzt. Vor uns allen! Wort für Wort! Auf dass wir alle verstehen… oder das Falsche in ihrer Deutung erkennen.”
Verdammt, wo war Frenya vom Traurigen Stein, gerade jetzt, da es auf sie ankam.

Nun meldete sich auch Heridan zu Wort. “Euer Hochgeboren, wenn Ihr erlaubt. Ich finde Leuenhard hat als Vater und derjenige, der das Opfer erbringen soll, das Recht dies zu fordern. In all den Jahren wo ich bei Euch bin, habt Ihr mir viele Geschichten über die Große Mutter erzählt und in diesen stand sie für das Leben, nicht für den Tod. So bitte ich Euch, gebt dem Wunsch Leuenhards nach.”

Ansgars Blick verdüsterte sich - nicht jedoch, wie der eines zornigen, wütenden Mannes - vielmehr wirkte der Hüne von einem Mann traurig und voll Sorge. “Wir werden ein neugeborenes Leben nicht leichtfertig hingeben. Wir werden niemals sorglos mit dem Wohl unserer Untertanen umgehen, niemals!”, antwortete er ganz ruhig. Sein sonorer Bass brummte dabei lange nicht so voll, wie man dies gewohnt war. “Ich habe geschworen, Euch vor Leid und Unheil zu beschützen. In manchen Fällen verlangt dies Opfer um das Wohle aller Willen. Aber jedes einzelne Opfer ist wie ein Stück Fleisch, das man mir vor den Knochen trennt. Nichts davon geschieht als Nachlässigkeit oder Leichtfertigkeit. So soll es auch heute sein. Senola, ich bitte Euch, legt den Herrschaften erneut dar, weshalb am heutigen Tage ein Opfer gefordert ist, wenn auch das größte Opfer, das man einem jungen Vater abverlangen kann.” Klammheimlich hoffte auch der Baron, dass dieser Kelch an ihm vorüberginge - doch wäre er zu allem bereit, wenn nur seine Untertanen dafür den Schutz der Mutter genießen und die Gefahren, die von der Anderswelt drohten, abgewendet würden.

Leuenhard hatte Ansgar während dessen Worten geradewegs in die Augen geblickt. Wenigstens wähnte er sich jetzt sicher, dass sein Baron meinte und glaubte, was er sagte, und sich tatsächlich nur gutgläubig in den Hirn- oder gar Lügengespinsten der Baroness von Schweinsfold verfangen haben musste. Langsam nickte er diesem zu, dann richtete sich seine Aufmerksamkeit und sein grimmiger Blick ganz auf Senola. Jetzt musste sie bekennen.

“Seid ihr wirklich solche Zweifler an der großen Mutter? Was sollte ICH davon habe, ein Kind zu opfern? Ich huldige sie und das Leben. Tsatuara hat mir ein Zeichen gegeben, tagelang habe ich in Trance meditiert. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Die große Mutter zürnt. Der Adel ist vom rechten Weg abgekommen, destruktiv, er vergisst, was seit ewigen Zeiten wichtig war. Besonders dieser praiostreue Graf.” Sie machte eine kurze Pause und sah zornig in die Runde. “Es bedarf ein großes Opfer aus einer alten Familie. Blut, aus dem wieder Leben wird und das den Altgläubigen die Stärke geben wird, wieder Macht über das Land zu erhalten und aus dem Würgegriff der Irrgläubigen zu befreien.”

Leuenhard keuchte, vor Zorn. Das war dünn - verdammt dünn. Ja, die Götter mochten zu ihren Dienern in der Trance sprechen. Aber das hier passte mehr schlecht als recht zur Prophezeiung, und so gar nicht zu Tsatuara, der Tsatuara, die er kannte. Vielleicht war er mittlerweile wirklich von Frenya eingesponnen, jedenfalls glaubte er Senola kein Wort von der göttlichen Offenbarung, die sie empfangen haben wollte.
"Das war alles? Ihr seid immer noch nicht auf den Wortlaut der Prophezeiung eingegangen, Wohlgeboren! In keiner Silbe! Und vor allem nicht, warum Ihr Euch mit der Anweisung, die ihr aus dieser herleitet, so sicher seid. Unterstellt, deren Anfang weist tatsächlich auf die hier anstehende Geburt" - daran glaubte er ja auch - "wähnt IHR Euch etwa als die auserwählte 'Tochter der Mutter', die mein Erstgeborenes, das dann ein Sohn werden müsste, als Blutopfer darbringen soll?" Er ertappte sich dabei, inbrünstig auf zwei Töchter zu hoffen, dann wäre Senolas Deutung widerlegt. "Könnte nicht auch und viel eher gemeint sein, dass meine Gemahlin bei der Geburt Blut lassen muss, also der Mutter Blut fließen muss?" Hierin erschien ihm Elvas Deutung sehr überzeugend, ganz im Gegensatz zu der folgenden Passage, bei der die Geweihte entweder wie sie alle auch ein wichtiges Detail übersehen hatte, oder er einem Überlieferungsfehler aufsaß. Er beschloss, sich aus dem Fenster zu lehnen: "Und heißt es in der Prophezeiung nicht, dass dieses Blut 'DEM' Ersterblickten der Hüterin des Landes zu opfern ist? - Und nicht: 'DEN' Ersterblickten?" Er suchte Frenya, auf deren argumentative Unterstützung hoffend - wo blieb sie denn nur? Auch wenn er der Hüter eines alten verborgenen Heiligtums war, fühlte er sich noch immer nicht dazu berufen, alte Prophezeiungen auszulegen... aber wenn die ‘weisen’ Frauen einen dazu zwangen... "Und jetzt seht mir in die Augen und sagt mir: Glaubt Ihr wirklich, die große Mutter, Sprungquell allen Lebens, verlangt den Opfertod eines Neugeborenen, dem sie eben erst das Leben geschenkt hat? Wenn Ihr das glaubt, deucht mir, seid Ihr selbst ebenso irrgläubig wie jener Diener des Sonnengottes, aus dessen Griff Ihr wie wir alle die Lande befreien wollt! Und wenn nicht, missbraucht Ihr unser aller Glauben an die große Mutter!"

Innerlich musste Basin dem Kindsvater zustimmen, Senola hatte wirklich nicht sehr überzeugend gesprochen. Was meinte sie damit, dass aus dem Blut des Neugeborenen wieder Leben werden sollte? Und wie konnte das den Anhängern der Mutter Stärke verleihen? Im Moment schien eher das Gegenteil der Fall zu sein. Er beschloss, einfach weiter still zuzuhören, denn wie sollte er schon wissen, was richtig war, wenn sich nicht einmal die Weisen Frauen einig waren - und sich dann auch noch mit ihren Anhängern überwarfen?

Wie erwartet, war die Erklärung Senolas recht dünn ausgefallen. Doch mit einer wütenden Rede würden sie hier nicht weiterkommen und so zwang er sich zu mehr Ruhe und sprach, für seine Verhältnisse gelassen Senola an, auch wenn seine Worte indirekt seinem Lehensherrn galten. Der Keim des Zweifels war bereits in ihm gelegt, nun musste man ihn nur noch wachsen lassen. “Senola, Wohlgeboren. Seid Ihr Euch dessen wirklich sicher? Wie kann es den Glauben stärken, wenn man die Gläubigen dazu zwingt, ihre eigenen Neugeborenen zu opfern? Das widerspricht allem, was ich bisher über die Große Mutter gehört habe. Außerdem seid Ihr bisher mit keinem Wort auf den Beginn der Prophezeiung eingegangen. ‘Wenn der neue Herrscher erwählt und das heilige Licht verloschen, so ist die Stunde der Mutter gekommen.’ Das heilige Licht des Praios leuchtet auch jetzt noch in der Stadt des Lichts, oder etwa nicht? Und wo ist der neue Herrscher, der DIESES Jahr erwählt wurde? Bitte, erklärt uns das.” Auch wenn Heridan recht ruppig in seiner Art war, so schaffte er es dieses mal doch ruhig zu bleiben. Mit einer freundlichen Geste bat er Senola zu sprechen.

Noch bevor die Baroness zu einer Antwort ansetzen konnte, öffnete sich die Tür in den Rittersaal. Es erschien die Silhouette einer durchnässten Frau - das Licht eines im nächsten Moment niederfahrenden Blitzes, erhellte die Szenerie und gab den Blick auf ein düsteres Gesicht frei. Mit verronnenem Kohlestaub im Gesicht, sowie patschnassen Haaren und Kleidern stapfte Frenya vom Traurigen Stein zurück in den Rittersaal, schenkte den Anwesenden einen finsteren Blick und stellte sich an einen Fenstersims.

Von dieses tumben Gestalten hatte sie wenig Verständnis erwartet, aber es war einen Versuch wert gewesen. Man musste mit ihnen reden, wie mit kleinen Bälgern. Innerlich verdrehte sie die Augen, als Frenya wie eine getaufte Maus in den Raum trat. “Es ist Euch wohl entgangen, dass der alte Bote des Lichts vor nicht allzu langer Zeit verstorben ist. Zudem haben wir einen neuen Herrscher. Denkt, auch wenn es manchen”, sie fixierte Leuenhard, “schwer fallen wird in der Hierarchie ein paar Stufen nach oben. Junker-Baron-Graf … ja. Wir haben einen neuen Kaiser.” Sie schwieg nun, wie eine Lehrerin, die darauf wartete, dass der Heller fallen würde.

Die gegen ihn gerichtete Spitze war Leuenhard keineswegs entgangen. Viel wichtiger aber: Senola war kein Haarbreit auf seine Worte und die aus seiner Sicht wirklich fragwürdigen Stellen der Prophezeiung eingegangen, stattdessen nur auf die, in denen sie wohl unstrittig Recht hatte. Auf die es hier aber nicht ankam. So würde sie ihm nicht davonkommen. Er wollte das Augenmerk gerade wieder auf die wunden Punkte richten, als ihm eine andere Zunge zuvorkam:

“Lass es gut sein, Senola …”, warf Frenya mit fisteliger Stimme von der Seite ein. Die doch vertraute Anrede verwunderte wohl einige der Anwesenden, “... hier und heute wird kein Kind geopfert. Suche dir ein anderes Ziel und lasse diese braven Leute hier aus deinen Kabalen heraus.” Die Hofdame verschränkte ihre Arme vor der Brust. “Ich garantiere selbst für die Sicherheit der Kinder. Am Ende des Tages will wohl niemand der hier Anwesenden das Blut eines unschuldigen Kindes an seinen Händen haben, da bin ich mir sicher.” Nun straffte sich Frenya wieder. “Sollte doch jemand den Wortlaut der Prophezeiung erfüllen wollen ... “, sie wies auf die Treppe hoch zum Geburtenzimmer, “... ich habe gehört, dass Mutter Elva eine alternative Deutung der Worte hat. Eine Deutung, die es wohl nicht zum Ziel haben wird ein Neugeborenes der Lebensspenderin zu opfern.”

“Ja, ja...da spricht sie, die Spinne, die ihr Gift bereits geschickt in Eure Köpfe gespritzt hat.” Senola verschränkte die Arme und lehnte sich lässig gegen die Wand. “Während ihr noch an meinen Worten rätselt, kann der ein oder andere sich ja fragen, wieso diese Frau gar so selbstlos als Behüterin des Lebens hier auftritt. Und, ach ja... Warum ist sie gleich wieder hier?”

Frenya schnaubte daraufhin verächtlich. “Weißt du, ich hatte auch einmal eine Katze. Damals, als kleines Mädchen, als ich noch in unseren Weinbergen in Kyndoch lebte. Er hieß Zimtstern und war mein ein und alles. Nun, Zimtstern war sehr von sich selbst eingenommen und immer wenn er etwas nicht bekommen hat, was er wollte, fuhr er die Krallen aus und schlug nach mir.” Es war eine Lüge, aber eine Gute. Niemand sollte es merken. “Ich an eurer Stelle …”, sie wandte sich an die anderen Anwesenden, “... wäre vorsichtig. Verschmähte Katzen kratzen gerne.” Ein Lächeln huschte über die Lippen der Traurigsteinerin. “Um dich aufzuklären, ich bin als Begleitung des Baronets von Rickenhausen hier und meine Triebfeder ist mein Gerechtigkeitsgefühl. Es sollte doch für jeden göttertreuen Menschen normal sein, sich gegen ein Menschenopfer für eine heidnische Göttin zu stellen.”

Erweckte die Wendung im Gespräch zunächst Leuenhards Missfallen, weil sich dieses immer weiter vom Kern ihres Disputs zu entfernen schien, verfolgte er den Schlagabtausch der beiden weisen Frauen mit jedem Wort, jeder Spitze zusehends gespannter. Er beschloss, zunächst abzuwarten und zu beobachten. Durchaus geschickt bespielte Frenya das Gewissen der Zwölfgöttertreuen im Raum, das musste er zugeben, selbst wenn er sich am Begriff heidnische Göttin im Zusammenhang mit der großen Mutter störte, und er es in Bezug auf Frenya auch besser zu wissen glaubte. Hoffentlich brachte das Ansgar nicht gegen sie auf.
Und so sehr er die gütige Mutter Travia ebenso wie Rondra und einige andere der Götter, die man zu den Zwölfen zählte, zu ehren wusste, ihm die Traviakirche ein weit besseres Schicksal für sein erstgeborenes Kind schien als der Tod als Blutopfer, das Tsatuara gar nicht wollen konnte, so wenig war er glücklich darüber, dass alles nur auf diese beiden Deutungen, die offensichtlich grundfalsche Senolas und die auch nicht völlig stimmige Elvas hinauslief. Wahrscheinlich lag die Wahrheit ganz anders...

Senola lächelte süffisant. “Zimtstern, so, so. Nette, aber unwichtige Geschichte. Falls es dich interessiert und du dem Hause Rickenhausen ausnahmsweise etwas Nützliches bringen willst, solltest du Spinnensuppe versuchen. Eine Delikatesse, aber das nur am Rande. Du versteckst dich hinter Göttern, deren Namen du gerade mal aussprechen kannst. Und du wagst es, gerade hier Tsatuara, die große Mutter, als heidnisch zu bezeichnen.” Amüsiert schüttelte sie den Kopf. “Geh lieber in dein Gemach und zieh dich um, deine lächerliche Maskerade hat etwas gelitten. Was hast du da draußen getrieben? Hat sich dein Spinnlein verlaufen?”

Äußerlich schien es nicht als ließe sich die junge Frau durch diese Worte provozieren. Innen drin war Frenya jedoch wieder auf Betriebstemperatur. Sie hatte vor gut einem Jahr einen Zwerg rasieren müssen, als er meinte, Rotlöckchen in einer Suppe einkochen zu wollen. Im Nachhinein konnte der Halbmann froh sein, dass sie einen guten Tag hatte und ihn leben ließ. "Es freut mich, dass deine Maske nun fällt, Senola …", abermals sah sie auf die anderen Anwesenden, "... aus der integeren, freundlichen Baroness, zu der die Menschen aufblicken, wird das was du in Wirklichkeit bist. Ein beleidigtes, bockiges und selbstsüchtiges Kätzchen. Und das vor aller Augen. Was sagt wohl deine Schwester dazu?" Frenya blickte hinüber zu Selinde. "Was ist wohl ihre Meinung zur großen Mutter und einem Kinderopfer?"

Ansgar hatte sich dieses Spektakel nun lange genug angesehen. So ging das nicht weiter. Dieses hin und her machte ihn ja noch wirr im eh schon angeheiterten Oberstübchen. Dabei trug die Zickerei überhaupt nichts zur Erleuchtung bei, im Gegenteil, er verstand mittlerweile nur noch elburische Karawanserei. Und überhaupt: Wozu hatten sie eigentlich all diese gemütlichen Sitzgelegenheiten, wenn offensichtlich wohl jedermann lieber zu stehen geruhte. Ansgar durchmaß mit zwei Schritten die Fläche zwischen Tür und Tisch, schob demonstrativ seinen Stuhl unter diesem hervor und sagte: “So, schluss jetzt mit dem Gezänk! Wo sind wir denn hier? Am Fluss beim Waschen der schmutzigen Wäsche? Wir setzen uns jetzt alle hin und gehen diese Prophezeiung Wort für Wort durch. Dann werdet ihr schon sehen, dass die weise Frau Senola jedes Wort wohl gewogen und gemessen hat”, ‘oder nicht’, fügte er in Gedanken hinzu. Als die Hofdame Frenya nicht sofort Anstalten machte, sich zu setzen, wies er mit der Linken auf den Stuhl. “Setzen hab ich gesagt. Ach ja: Und falls irgendjemand meint, jetzt die Geweihte hinzuholen zu müssen: Die kann draußen bleiben und die Geburt beobachten - ich will diese Fragen mit denjenigen besprechen, denen ich vertraue”, setzte er nach, nicht ohne die Traurigsteinerin mit einem grantigen Blick zu bedenken. “Also: ‘Wenn der neue Herrscher erwählt’ - haben wir geklärt, das ist der Kaiser, richtig? ‘Und das heilige Licht verloschen’ - was heißt das genau, Senola?”

Oha, da hatte sich Mutter Elva mit ihrer resoluten Art vorhin aber in die Nesseln gesetzt… oder gab es eine Vorgeschichte…? Davon unbenommen begrüßte Leuenhard jedenfalls Ansgars Aufforderung, sich endlich wieder dem Wortlaut der Prophezeiung zuzuwenden. Wie gut, dass die Dame vom Traurigen Stein nun auch zu deren Exegese beitragen konnte.

Der Baron wollte spielen … dann würde sie das auch tun. Frenya versuchte so ernst wie möglich zu wirken. “Kaiser Hal wurde vor fast einem Jahr gekrönt …”, meinte sie mit hochgezogenen Augenbrauen, “... bereits im ersten Satz offenbart die Auslegung bereits derer zwei Schwächen. Der Souverän des Mittelreichs wird nicht erwählt, sondern erhält die Krone durch sein Erbe, egal wie unfähig er auch sein mag. Darüber hinaus ist das knapp ein Jahr her auch nicht mehr wirklich aktuell, meint Ihr nicht, Euer Hochgeboren?” Die Hofdame war normal keine Frau der großen Worte, doch gegenwärtig war sie im Fluss. “Das heilige Licht brennt meines Wissens auch noch in der Stadt des Lichts.” Ihr Blick ging vom Baron hin zu Senola.

Plötzlich stand eine blasse Zofe im Raum. Keiner hatte ihre vorsichtigen Schritte gehört. Ihr Blick war ängstlich und ihr Atem ging ein wenig schnell. Doch das war nicht das besorgniserregende an Eludwina. Die blutigen Hände und die großen dunkelroten Flecken auf dem Kleid störten den unschuldigen Anblick dieser. Ein gewaltiger Donner, ein Blitz der Nähe einschlug, ließ alle zusammenschrecken.

“Bei der großen Mutter - was ist geschehen?” Leuenhard sprang erschrocken aus dem Stuhl hoch, auf dem er eben erst Platz genommen hatte und der durch den jähen Ruck nach hinten umpolterte, als laut krachendes Echo des Donnerschlag gerade. “Wie geht es meiner Gemahlin?” brach es aus dem werdende Vater heraus. “Ist es etwa schon so weit?”

Senola hatte auf einem bequemen Sessel Platz genommen und hatte eben den Mund geöffnet, um die Prophezeiung zu erklären. “Also, damit ist...oh, bei Tsatuaria, was ist passiert ?” Selem machte sich so unauffällig, wie möglich und versuchte, auf Samtpfoten in das Zimmer, aus dem die Zofe gekommen war, zu schleichen. Enttäuscht maunzend blieb er vor der Tür stehen.

"Kommt vor …", warf Frenya ein und fand es amüsant, dass Senola derart die Fassung verlor, "... die wenigsten Geburten sind unblutig." Sie wandte sich Ansgar zu. "Die Tochter der Mutter lässt Blut fließen …", ihre Augenbrauen wanderten nach oben, "... Celissa ist, wie wir alle, ein Kind der Leben spendenden, großen Mutter, oder Euer Hochgeboren?" Die Augenbrauen senkten wieder. “Und opfern muss mitnichten ´töten´ bedeuten … stimmt Ihr mit mir überein? Vielleicht wünscht die große … die Leben … spendende Mutter den Dienst des Erstgeborenen.” Vielleicht konnte das Hirn des Fetzenschädels auf dem Baronsthron ihr ja folgen, wenn sie es auf die sanfte Tour versuchte.

Die abgeklärte Reaktion der Traurigsteinerin ließ Leuenhard nach seinem ersten Schreck wieder zur Besinnung kommen. Wenn etwas wirklich Schlimmes im Gange wäre oder die Geburt bereits vonstatten ginge, hätte Mutter Elva die Zofe nicht aus der Gebärkammer geschickt. Mit einem halben Auge und einem halben Ohr wartete er dennoch auf eine Reaktion Eludwinas. Direkt helfen würde er Celissa aber nicht können. Vielmehr wurde er hier gebraucht, Senolas Plan zu vereiteln.
Endlich kamen sie zur Sache - im Mittelteil der Prophezeiung spielte die Musik. Demonstrativ nickte er zu jeder von Frenyas Ausführungen. Nur die letzte ihrer Interpretationen wollte er noch ergänzt wissen, denn offensichtlich waren seine Worte vorhin im Gezanke in Vergessenheit geraten - ob gewollt oder ungewollt: “...und nicht zu vergessen, soweit mir der Text der Prophezeiung richtig bekannt ist, heißt es dort nicht, ‘den Erstgeborenen der Hüterin des Landes opfern’, sondern ‘dem Ersterblickten der Hüterin des Landes opfern’. Wer oder was auch immer damit gemeint ist, jedenfalls scheint dieser Ersterblickte nicht zu opfern sein, sondern diesem ist zu opfern. Das Blut der Mutter vielleicht? - Ich sah… ich meinte, ich habe gehört” korrigierte er sich eilig “... dass die Goblinweiber ihre blutige Nachgeburt... ihrer Muttergöttin... zum Opfer bringen.”

“Schweig still!”, donnerte Ansgar quer durch den Raum und zerteilte mit der Hand die Luft. Er gebot sowohl Leuenhard als auch der aufmüpfigen Schnepfe aus Rickenhausen zu schweigen. “Seid ihr denn alle von den guten Göttern verlassen? Ihr könnt doch nicht so schwätzen, als wäre nichts. Eine Zofe poltert doch nicht einfach so blutüberströmt in die Feier ihrer Herren - sie wird einen guten Grund haben. Nun red schon Frau. Was ist geschehen?” Der breitschultrige Ritter sandte ein Stoßgebet zur großen Mutter, dass es der Gebärenden und ihren Kindern gut gehen würde - was würde geschehen, wenn sich der Lauf der Dinge änderte?

'Männer', dachte Frenya bei sich. Und da wunderten sie sich, dass ihre Weiber sie bei der Geburt nicht dabei haben wollten. Sie rollte mit ihren Augen.

“Ich … ich.” Eludwina stockte kurz. “Nein, die Kinder sind noch nicht da. Aber es geht jetzt los.” Sie machte einen kurzen knicks und drehte sich zum gehen, schaute sich aber nochmals um. “Verzeiht, euer Hochgeboren. Ich musste nur an die Baronin denken … eigentlich müsste ich ja bei ihr sein, wenn sie ihre …” weiter sprach sie nicht.

"Ihre … Kinder?", interessiert hob die Hofdame ihre Augenbrauen. "Zwillinge womöglich? Ich gratuliere Euch, Hochgeboren." So sehr sie sich auch bemühte, Frenya konnte den höhnischen Unterton nicht verhehlen. "Warum sitzen wir dann hier und nicht bei Eurer Gemahlin? Schließlich seid Ihr ja auch aus einer alten Familie. Es wird doch nicht so sein, dass Ihr das Opfer, welches Ihr von Eurem Gefolgsmann verlangt, doch auch nicht selbst zu tun bereit wäret." Wenn dieser Holzkopf sein eigenes Kind umbringen wollte, sollte er das tun. Solange es nicht diese Kinder hier waren, hätte sie Senola zur Genüge gedemütigt.

Frenyas Vermutung konnte, ja durfte nicht wahr sein! Dass sein Lehnsherr ihn, von Senola geblendet, zwingen wollte, sein Kind zu opfern, war bereits schrecklich und falsch genug. Aber Leuenhard hatte seinem Baron wenigstens dessen vermeintlich feste Überzeugung zugute gehalten, nur das zum Wohle des Landes Unausweichliche zu tun.
Wenn die Prophezeiung aber ebenso gut auf dessen eigene schwangere Gemahlin zuträfe... wenn Ansgar Celissa und ihm derartiges abverlangte, nur um das Leben seines eigenen Kindes zu verschonen! Zu feige, sich selbst und sein eigenes Blut in die Waagschale zu werfen! Wenn das stimmte, würde sich alles ändern. Nein, das konnte nicht wahr sein! Oder etwa doch?
Leuenhards entsetzter Blick richtete sich ganz auf Ansgar.

Die Kinnlade des Barons sackte zu Boden, während er seine Augen vor Schreck weit aufriss. “Wie, was, warum…”, stotterte der Baron zunächst, dann fing er sich, “...weiß ich davon nichts? Meine Frau, bekommt sie MEHRERE Kinder? Haben mich die Götter etwa mit einer Zwillingsgeburt gesegnet?” Verflucht, das war wirklich nicht die rechte Stunde, das zu offenbaren. Der Baron grübelte, wie er aus dieser Zwickmühle wieder herauskam.

Etwas verwundert schaute die Zofe ihren Baron an. ´Er weiß doch von den Zwillingen. Warum ist er ...´, ging es ihr durch den Kopf. Der konstante Schrei Celissas und Elvas ernergischen Ruf ihres Names, riss sie aus ihren Gedanken. “Ich … Ich muss gehen.” Mit gesenkten Kopf kehrte sie zur Freitreppe zurück. Ihr graute es zurück zugehen.

Noch immer konsterniert verfolgte Leuenhard den Rückzug der Zofe. Keine Antwort… war manchmal auch eine Antwort… aber er wollte es von seinem Lehnsherrn selbst vernehmen: “Hochgeboren… Ansgar… trägt Peraina... ebenfalls Zwillinge... unter dem Herzen?” brachen seine mehr geflüsterten als gesprochenen Worte das für einen kurzen Moment eingekehrte und dennoch schier körperlich präsente Schweigen im Saal. Seine Augen bohrten sich in die Ansgars, und in seinem Blick lagen all sein Unglauben, seine Fassungslosigkeit und seine Enttäuschung. Ein etwas ferneres Donnergrollen folgte seinen Worten, als ob die Sturmherrin diese unterstreichen wollte, und als weiteres Echo das Schreien Celissas. War es ausgerechnet jetzt so weit?

Auch die schnippische Hofdame sah, gespielt verwundert, auf den Baron. "Ja, Euer Hochgeboren … was für ein Segen wäre es wenn die große Mutter auch Eure Frau mit der Geburt von Zwillingen gesegnet hätte … Ihr solltet doch davon wissen, oder …", sie hob eine Augenbraue, "... war es Euch entfallen, als Ihr hier das Opfer des Erstgeborenen Eures Gefolgsmannes gefordert habt?" Solch Verschlagenheit hatte sie dem Baron gar nicht zugetraut. Der feine Herr und demütige Diener der großen Mutter, der sein Weib aus seiner Burg fort bringt und sie im Verborgenen Zwillinge entbinden lässt, während er hier polternd darauf besteht, dass einer seiner Ritter das Erstgeborene dessen Zwillinge der stümperhaften Auslegung einer Prophezeiung opfert. Und damit auch ja nichts schief geht und er alles im Blick hat, musste die Niederkunft hier auf seiner Burg sein, wo sein eigenes Weib entbinden sollte. Eigentlich empfand es Frenya für angemessen, dem Schlitzohr ihre Anerkennung für diesen Gardanzug auszusprechen, doch hatte sie hier ja noch eine Rolle zu spielen.

“Nein, diese ‘Frauendinge’ hat man mir vorenthalten”, log der Baron leidlich überzeugend. “Im Gegenteil: Mir hatte man immer berichtet, ich würde Vater eines starken, tapferen Jungen werden. Dann hätte mein erwachsener Sohn endlich jemanden, für den er Verantwortung übernehmen kann.” Er warf einen Blick in die linke obere Ecke des Raumes. “Damit habe ich mich immer zufrieden gegeben. Meine Frau hält sich der Schicklichkeit halber bei solchen Angelegenheiten sehr bedeckt.”

Selinde fasste sich mit zwei Fingern an die Nasenwurzel und kniff die Augen zusammen. Das ganze wurde ihr allmählich zuviel. Ständig wurde sie angesprochen und angeblickt, doch jedesmal, wenn sie zu einer Antwort ansetzte, brabbelte irgendjemand anderes dazwischen. Nein, das höfische Parkett war nichts für sie. Lieber würde sie allein einem fünfköpfigen, feuerspeienden Kaiserdrachen gegenüber treten, als sich in diese Diskussion einzumischen und doch beschäftigte sie diese Prophezeiung. Glücklicherweise zählte es nicht zu ihren Aufgaben diese zu deuten, war doch vieles viel zu missverständlich: welcher Herrscher war denn überhaupt gemeint? Einer, der auch noch gewählt wurde, anstatt, wie üblich sein Amt zu erben. Oder war nur ein kleiner Edler gemeint, da die meisten ihr Gut und Titel auf Lebenszeit trugen, es aber nicht an ihre Nachkommen weitergeben durften? Und wessen heiliges Licht war denn gemeint? Das des Herrn Praios? Aber das brannte doch allerorten. Oder ist damit etwa der Lebensfunke gemeint, der allen innewohnte. Sogar der Sumu, die von Los erschlagen im Sterben lag? Und wer soll die Mutter sein? Die heidnische Tsaturia oder die zwölfgöttliche Travia oder gar die Gebärende selbst? Und dann noch dieser komische Satz `möge die Tochter der Mutter Blut`. Spielt das auf eine `Tochter der Mutter`an oder auf den Säugling - ein Mädchen - der Gebärenden. Vielleicht auch eine andere, schon ältere Tochter der Gebärenden. Wer soll denn die Hüterin des Landes sein? Tsaturia? Die Baronin? Oder die Kaiserin? Peraine? Und wen hat diese Hüterin zuerst erblickt. Warum soll man diesem das Blut opfern? Und zu guter letzt, wer war der Vater? Das ließe sich leichter beantworten, wenn ,man eindeutig wüsste, wer die Mutter war, oder nicht? Und warum soll er vom Throne vertrieben werden? Saß er da etwa unrechtmäßig? Fragen über Fragen.

Basin hielt sich weiter zurück. Was sollte er auch tun? Zwar war er sich ziemlich sicher, dass Frenya nicht im Sinne seiner Eltern tätig wurde, allerdings war er sich nicht sicher, was diese denken würden, wären sie nun an seiner Stelle. Dafür breitete sich vor seinen Augen und Ohren der Stoff für eine große Ballade aus, doch um welchen Preis?

Heridan hatte seine Überraschung ob der Zwillinge rasch überwunden und schob sich zwischen Ansgar und die restlichen Anwesenden. Er hatte Ansgar gewarnt, aber dieser hatte nicht hören wollen. Seine Gemahlin aufs Land zu schicken, noch dazu in ihrem Zustand oder vielmehr wegen ihrem Zustand, würde nur für Unruhe und zu unliebsamen Fragen führen. Er fühlte einen Stich, weil sein Baron ihm scheinbar nicht soweit getraut hat, um ihm von den Zwillingen zu erzählen. Aber er war noch immer ein geschworener Vasall des Barons und er würde ihn beschützen, selbst wenn es gegen jene ging, die er seine Verbündeten nannte. “Ja, es ist eine Überraschung. Doch ist es das was wir gerade besprechen wollten? Wollten wir nicht zusammen die Prophezeiung in ihrer Gänze hören und ihre wahre Bedeutung herausfinden? Soweit ich weiß, waren wir damit nicht fertig und die Zeit drängt, scheint mir.” Er sah sich in der Runde um. Da erntete er eine brummende Bestätigung seines Lehnsherrn - die Ablenkung kam gelegen. Ihm kam ein Gedanke, ein furchtbarer zwar, aber einer, der vielleicht zu einem Aufschub führte. “Wobei, drängt sie wirklich? Denn sollte die Baronin just in diesem Moment ebenfalls ihre Kinder gebären, wer könnte sagen, welche Kinder genau mit der Prophezeiung gemeint sind. Die von Leuenhard oder von Baron Ansgar? Das müsste man erst herausfinden, nicht wahr? Denn die Große Mutter wäre auf jeden Fall erzürnt, würden wir unschuldiges Blut vergießen, noch dazu wenn es das falsche wäre.” Die Worte taten ihm im Herzen leid, aber wenn auf diese Weise ein übereilter Mord an einem Säugling verhindert würde, nun dann war er bereit den Preis dafür zu zahlen.

Oh nein, dieser Lauf der Dinge öffnete Konsequenzen Tür und Tor, die seine Gemahlin niemals akzeptieren würde. Auch ansonsten glaubte der Baron den Einflüsterungen Senolas: Sie war doch diejenige, die die Zwillinge Leuenhards als die Auserwählten bezeichnet hatte. “Reden wir, wie ich es schon die ganze Zeit für richtig halte, über die Prophezeiung. Sollte wider aller Wahrscheinlichkeit zwei Frauen am heutigen Tage der Segen einer Zwillingsgeburt beschert sein, dann können wir die nächste Hürde erst nehmen, wenn wir die erste genommen haben. Senola, Ihr wart doch gerade dabei, uns etwas...auseinanderzusetzen, nicht?” Jetzt schwitzte der Baron sichtlich.

“Oder wir vergessen die Sache und jeder geht seiner Wege …”, meinte Frenya kühl, “... es ist offensichtlich, dass nur noch Ihr, Euer Hochgeboren und Senola an der Idee festhalten der großen Mutter ein Kind des Edlen zu opfern. Wenn es Euch also wirklich so sehr daran gelegen ist und Ihr Tsatuara ein Opfer darbringen wollt … nun ja, Ihr wisst ja wo Eure Frau gerade ebenfalls Zwillinge gebärt.”

“Donnerwetter nochmal!”, schimpfte der Baron zurück. “Was meint Ihr eigentlich? Meint Ihr, ein Kind zu opfern, das fiele mir oder Senola oder sonst wem leicht? Ihr denkt nur an Euch, an den leichten Ausweg! Ich habe die Verantwortung für diese unsere Baronie. Wenn die Prophezeiung nicht erfüllt wird, dann schwant diesen Landen Übles - und dann wird nicht ein Säugling, sondern Dutzende sterben. Aber ja, Ihr in eurem lästerlichen Hauch von einem Kleid ohne jede Verpflichtung habt leicht reden. Nehmt einen Mann, der Euch nur redlich beschützt - zu eigenem Weitblick gereicht es Euch offensichtlich nicht. Bis dahin sollten diejenigen am Tisch das Wort ergreifen, die einen Beitrag zum Wohl dieser Lande leisten wollen.”

Die junge Frau lächelte ihn abschätzig, beinahe höhnisch an, blieb aber still.

“Aber in der Prophezeiung wird doch gar kein Übel erwähnt, dass über uns kommen wird, wenn die Prophezeiung nicht erfüllt wird.” Heridans Nackenhaare stellten sich auf und seine Mähne schien sich regelrecht zu sträuben. “Verflucht noch eins, wenn es nur darum geht den Grafen loszuwerden, dann hätte es auch ein gut gefüllter Beutel Dukaten getan.” “Heridan!”, entsetzt blickte sie ihn an. Das Wort ‘Attentäter’ wollte er nicht aussprechen. “Wenn Ihr Euch um die Anderswelt sorgen macht, dann tut es euren Nachbarn in Tommelsbeuge gleich. Die haben einen Pakt mit der Holden geschlossen, die den Tommel beherrscht.” Er war selber schon zu Gast beim sogenannten Trutzfest in Hjalderfurt gewesen.

Noch immer wie betäubt von der Wendung, die die Dinge genommen hatten, und seinem enttäuschten Vertrauen in Ansgar war Leuenhard den schwachen Ausflüchten seines Barons und dem folgenden Disput bis hierhin schweigend gefolgt. Doch nun reichte es ihm und es platzte laut aus ihm heraus: “Egal wie viele Zwillinge heute oder wann auch immer hier in der Baronie geboren werden, keinen davon will die große Mutter als Opfergabe! Und das sage ich nicht nur, weil ich nur meine oder Eure Kinder, Ansgar, beschützen will! Das sage ich auch, weil ich mich um das Wohl dieser Baronie, dieser Lande sorge! Weit größeres Unheil, als alles, was wir mit diesem Opfer abzuwenden versuchen, wird über uns kommen, wenn wir unseren Glauben an die große Mutter, unseren Bund mit ihr mit dem Blut eines unschuldigen Säuglings besudeln!” Er sah in die Runde, Senola bewusst auslassend - von der würde nichts hilfreiches kommen - außer vielleicht ihre Selbstentlarvung. “Und jetzt lasst uns endlich diese Prophezeiung zu Ende deuten! Wort für Wort!”

Frenya unterdrückte ihren ersten Impuls den Tisch einfach zu verlassen. Was an diesem Tag schon alles palavert wurde und immer noch wollten sie weitere Worte verschwenden. “Blinder Gehorsam tut nie gut. Ein jeder von euch, mit einer Ausnahme …”, sie blickte hin zu Senola, die Kuh war zu blasiert um sich auch nur einen Finger weit von ihrer stümperhaften Auslegung zu entfernen, “... trägt Zweifel im Herzen. Dieser kommt nicht von irgendwo her. Egal ob Altgläubige, oder Anhänger der Zwölfgötter, niemand kann die Deutung nachvollziehen. Irgendwann muss auch einmal Schluss sein. Senola … Schwester … lass diesen Unfug bleiben”, der drohende Ausdruck in ihren Augen mochte nicht zu den eher versöhnlich wirkenden Worten passen. “Wie der Edle schon sagte, die große Mutter würde nie das Blut eines unschuldigen Kindes verlangen … vor allem nicht dargebracht durch einen Opferdolch auf einem Stein. Da braucht es auch keine Auslegung einer Prophezeiung, die so formuliert ist, dass sie wir Sterblichen eben nicht leicht verstehen. Hier zu meinen, dem ersten Gedanken nachgeben zu können, ist eine fatale Fehleinschätzung.” Die Hofdame schüttelte ihren Kopf um ihre Worte zu unterstreichen. “Ein jeder von Euch sollte in sich selbst hinein hören, was die große Mutter für ihn oder sie bedeutet und dann für sich selbst abwägen, ob in eben diesem Bild Platz für ein Kindesopfer ist. Es ist eine Sache den Glauben und die Gläubigen zu verteidigen, doch eine gänzlich andere jemand Unschuldiges der Leben spendenden Mutter zu opfern.” Die Frau war es leid mit dieser Bande zu sprechen, dennoch fuhr sie mit diesem letzten Versuch auf. So verblendet und verblödet konnte doch niemand sein.

Eigentlich hatte Frenya, nein, nicht eigentlich, sie hatte Recht, musste Leuenhard einsehen. Die Traurigsteinerin bewies sich als die weise Frau, die Senola sein sollte und vielleicht sogar wollte: wahrscheinlich würden sie sich noch lange über die genaue Auslegung der Prophezeiung streiten und zu keiner Einigung, noch nicht einmal zu einem klaren Ergebnis im einzelnen kommen. Zumal nach allem, was er in all den Jahren seiner Wacht und auch in der Zeit davor über das Wesen der großen Mutter gelernt hatte, dieses sich nicht aus der reinen Exegese von Worten oder Texten erschloss. Seine Furcht, am Ende zwischen seinen widerstreitenden Gefühlen - der Liebe zu seiner Familie und der Treue gegenüber seinem Lehnsherrn und seinem Land - zerrissen und zerrieben zu werden, hatte er bis zuletzt versucht, mit dem Schwert der Vernunft zu besänftigen und mit diesem auch hier den Konflikt zwischen ihnen und in ihnen allen zu lösen. Am Ende aber mussten sie einfach nur alle auf die große Mutter hören - und diese sprach weniger über den kalten Verstand als vielmehr die Herzen ihrer Gläubigen. Hoffentlich verstanden die anderen das auch, vor allem der Baron. Langsam nickte er, dann wandte er sein Antlitz von Frenya zu Ansgar und blickte diesem geradewegs in die Augen. Seine Lippen formten sich zu einem ernsten Lächeln. Einem Lächeln der Hoffnung.

Der Blick traf die Augen des Barons, des vermeintlich so starken Mannes hier am Tisch. Der Blick war offen, ehrlich und vertrauensvoll - obwohl sich Ansgar bewusst war, dass er keinerlei Vertrauen verdient hatte. Seine Lehensleute wollten das Gleiche wie er: Das Beste für sein Land. Sie glaubten nur, dass es auf anderem Wege zu gewährleisten sei. Und er selbst wusste nicht mehr, was die Wahrheit war, wenn er es jemals gewusst hatte. Wer bitte wusste schon genau, was die Götter wollten, was die Zukunft brachte, was seinen Leuten helfen würde? Warum eigentlich sollte das Senola wissen? Der Baron, der so schnell nüchtern geworden war, als wäre er nie betrunken gewesen, wurde ruhig und ernst: “Leuenhard, Ihr seid mir immer ein treuer Freund und ein tapferer Streiter gewesen. Wenn Ihr sagt, ich liege falsch, dann hat das für mich große Bedeutung. Was also ist das Beste für unser Land? Ich bin ganz Ohr.”

Endlich schien auch Ansgar wieder er selbst zu sein, der Baron und väterliche Freund, den er bis heute so gut zu kennen glaubte und so verehrte, und nicht mehr jenes von Senola verhexte Abbild seiner, der Leuenhard wie ein Fremder vorgekommen war. “Auf jeden Fall müssen die Kinder, Geschöpfe der großen Mutter, die sie sind, am Leben bleiben. Alle vier…” setzte er gerade an, auf Ansgars Frage zu antworten, als sich die Tür zum Schlafgemach ein weiteres Mal auftat… Nicht nur sein Blick fuhr herum.

Im Schlafgemach

Als Mutter Elva die Kammer erreichte, sah sie als erstes die überforderte Zofe Eludwina. Celissas Geburtswasser hatte sich gebrochen und der Schrecken darüber lag beiden Frauen im Gesicht. “Travia sei dank, jetzt kann es losgehen.”, versuchte sie mit beruhigenden Ton. Tatsächlich fand sich ein zartes Lächeln im Gesicht der werdenden Mutter. “Eludwina, ich brauch jetzt ein frisches Laken, die findest du dort bei der Wasserschüssel” Die Zofe setzte sich sofort in Bewegung, während Elva sich den Unterleib Celissas genauer betrachtete. “IHHHH, EIN UNGEHEUER!” Der Aufschrei Eludwinas zog die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Schnell erhob sich Elva und drückte geistesgegenwärtig die Zofe schützend hinter sich. Das Ungeheuer entpuppte sich als eine Spinne, die sich anscheinend hinter den Laken versteckt hatte. “Das ist nur eine Spinne, die tut uns nichts.” sagte sie leicht genervt. Dennoch mußte sie innerlich zugeben, das Diese ein äußerst großes und ungewöhnliches Exemplar war. Ob die Spinne sogar giftig sein könnte wischte sie gedanklich zur Seite. Elva griff nach einem Leinentuch, schmiss sie auf die Kreatur, packte diese mit einem kräftigen Griff und warf das Bündel aus dem Fenster. “So das hat sich erl …” weiter kam sie nicht, als sie das blasse Gesicht Eludwinas sah. Diese betrachtete sich ihre Hände die voller Blut waren. “Ich, ich wollte nur das Laken wechseln.”stammelte diese. Mit schnellen Schritt war sie heran. “Das ist ganz normal. Geh, wasch dir die Hände und komm dann gleich wieder, ich werde dich jetzt brauchen.”, sagte die Geweihte resolut und befehlsgewohnt. Dann griff sie sich die Schüssel mit Wasser und mehrere Lappen. Nachdem die Hofdame die Kammer verlassen hatte ,schaute sie sich Celissa an. “So nun müssen wir gut zusammenarbeiten, hast du gehört Celissa? Wir werden die Kleinen bald zur Welt bringen.” Mutter Elva wartete auf die nächste Wehe und hoffte das die dritte, helfende Hand endlich kommen würde.

“Mutter Elva, hier bin ich.” Abgehetzt und außer Atem stürzte Perainelind in das Zimmer und sah sich kurz um. “Gebt mir einen kurzen Bericht, wie weit sie ist. Wie weit ist der Muttermund geöffnet und wie ist die Lage der beiden Kinder. In welchen Abständen kommen die Wehen.” Die Hebamme war überrascht. Sie hatte eine andere Situation erwartet. “Das Zimmer hier darf niemand außer uns betreten. Die Gesellschaft dort draußen nicht, auch nicht der Vater, das ist Frauensache. Und die anderen Weiber sollen auch bleiben, wo wir sind.”

Erleichtert drückte sie fachkundige Frau, allerdings nahm sie auch den Gesichtsausdruck war, der ihr sagte, dass Perainelind anscheinend jemand anderen erwartet hatte. “Da gebe ich dir recht. Ich bin Mutter Elva und dass hier ist Celissa.”, dabei deutet sie auf die schwach wirkende junge Frau auf der Bettstatt. “Wir haben noch die Zofe der Baronin, Eludwina an unserer Seite, aber ich befürchte, dass es ihre erste Geburt ist. Sie brauchte etwas frische Luft. Nun, die Wehen kommen recht unregelmäßig. Am besten du schaust selbst noch einmal nach.” Die Geweihte setzte sich neben die junge Edle und nahm dessen Hand. “Mit Perainelind haben wir noch jemanden hier, der sich gut auskennt.”, sprach sie beruhigend auf sie ein.

Gut, dass sich Mutter Elva um Celissa kümmerte. Perainelind schob die verwirrenden Gedanken beiseite und begann mit der Untersuchung. Gemini, das Erste Kind lag Korrekt in vorderer Hinterhauptslage, da der Muttermund schon eine Handbreit offen stand, konnte sie das Köpfchen gut tasten. Dann versuchte sie die Lage des zweiten Kindes zu bestimmen, was durch heftige Wehentätigkeit, erschwert war. Die Mutter war erschöpft. “Gebt ihr Wasser mit Zucker, sie muss bei Kräften bleiben, das Erste wird bald kommen.” Bald konnte auch noch ein Stundenglas bedeuten. Unter dem Rippenbogen tastete sie das Köpfchen des zweiten Kindes. Persinelind unterdrückte eine unflätige Bemerkung. Das konnte schwierig werden. Den führenden Zwilling bekommen wir raus, wenn die Wehen dann nachlassen, wird es eng für das Zweite. Das Blut bereitete ihr noch keine Sorgen. Die Blutung stand, aber die Frau wurde immer schwächer. “Celissa, ich kann das Köpfchen tasten, es liegt gut. Erholt Euch in den Pausen und atmet während der Wehe viermal so lange aus, wie ein. Das hilft.” Den Rest verschwieg sie der Mutter “Niemand darf hier rein, verstanden ? Auf keinen Fall, das könnte hässlich werden.” Diese Worte flüsterte sie leise zu Mutter Elva.

“Keine Sorge, bis auf Eludwina kommt hier keiner rein.” Elva war froh über die Hebamme. Auch wenn sie viele Geburten hinter sich hatte, waren doch Zwillinge eine Seltenheit. Die Geweihte groß Celissa das Zuckerwasser ein und reichte es ihr. Es dauerte nicht lange bis die junge Frau von einer Wehe geschüttelte wurde. Mit festem Griff hielt Elva ihr die Hand.

Die Zeit war gekommen, das Kind war bereit und die Mutter hatte mit Mühe genug Kraft, die austreibenden Wehen durchzustehen. “Ruh dich in der Pause aus, dann nicht dagegen pressen, der Schmerz muss jetzt sein, es kommt schon.” Den Schmerz würde sie vergessen, wenn sie ein gesundes Kind auf der Brust hatte. Spätestens am nächsten Tag. Wäre dem nicht so, würde es wohl nur Einzelkinder geben. Perainelind freute sich, zumindest der erste Zwilling kam brav, wie ein Kind kommen sollte. Sie wies Elva an, Celissas Beine zu stützen, das würde ihr etwas helfen. Dann erblickte das erste, gesunde Kind Dere. Perainelind übergab es sofort Elva und bald die Nabelschnur ab. Jetzt würde es haarig werden. Celissa war schwach und das zweite Kind hatte sich nicht gedreht. Eine Wehe gebar die Plazenta, sie war vollständig. Ein Schwall blutiger, stinkender Flüssigkeit ergoss sich in die Laken. “Mist, bei Peraine. Zweieiige, das Fruchtwasser des Zweiten schaut nicht gut aus. Bringt mir ein neues Laken.”

Nach dem zweiten Ruf erschien auch wieder die Zofe im Raum. Mit dem neugeborenen Kind auf dem Arm scheuchte sie Eludwina gleich weiter. “Du hast Perainelind gehört, mehr Laken!” Diese zuckte gleich und griff nach einem und stellte sich neben die Hebamme. Besorgt schaute sie sich kurz Celissa an. ´Gut Mädchen, immer schön weiter Kämpfen´, dachte sie bei sich. Dann betrachtete sie das greiende, blutverschmierte Kind. Die Stimme hörte sich kräftig an und auch ansonsten erschien es gesund. ´Ein Mädchen´, stellte sie fest, ´wollen wir hoffen dass das zweite auch eines ist, dann wird mir auch Leuenhard glauben.´ Etwas besorgt wickelte sie das Kind in ein Tuch ein. Draußen schien Rondra und Efferd noch eines drauf zulegen.

Perainelind war zusehends verzweifelt. “Elva, oder irgendwer, gebt Celissa noch etwas zur Kräftigung. Und mir etwas, was die Wehen stärkt, das Zweite…” Sie tastete tief in Celissa. “Es hat sich nicht gedreht und nur unvollständig gesenkt. Die Wehen werden schwächer, das Kind muss raus !” Sie konnte eine Beckenendlage mit der Hand entbinden, aber bei Wehenschwäche würde das Kind, so wie es jetzt im Geburtskanal lag, im schlimmsten Fall zu wenig Luft bekommen. “Ich brauche etwas, was die Wehen antreibt, Celissa, nicht aufgeben.” Die Mutter war Weiss wie ein frisches Laken, nur schwer ansprechbar und Schweißperlen standen ihr auf der Stirn.

Schnell legt sie das Mädchen in eine Wiege und ging schnellen Schrittes zu ihrer Tasche. “”Eludwina, mehr Zuckerwasser.”sagte Elva streng. Die Zofe setzt sich sofort in Bewegung und schien ihre eigene Angst dabei zu vergessen. Die Geweihte reichte der Hebamme die Phiole für die Wehenstärkung. Dann nahm sie einen Schritt zurück und betete. “Herrin Travia, schau auf uns herab. Stärke die werdende Mutter und behüte das Kind …”

Auf das Mittel stärkten sich die Wehen, doch es dauerte weiterhin, da Celissa sich zwar bemühte, aber das Kind schwer zu bergen war. Bis auf die Schreie der Mutter war es nun still im Raum. Endlich schaffte es Perainelind, das Kind mit dem Gesäß voran zu entwickeln. Es war klein, bläulich und gab spontan keinen Schrei von sich. Die Geweihte nahm ein kleines Röhrchen und saugte Flüssigkeit aus dem kleinen Mund, worauf sich ein schwaches Krächzen hören liess. Sie reichte es Elva und kümmerte sich besorgt um die Nachgeburt. Einige Stellen sahen krankhaft verändert aus. Plötzlich stöhnte Celissa und wurde ohnmächtig. Elduwina schrie. Das schon blutgetränkte Laken saugte sich weiter voll. Aus Celissas Unterleib wollte es nicht aufhören, zu bluten. Elva hatte mit den Zwillingen genug zu tun. “Elduwina, hilf mir. Mach es mir nach, mit ganzer Kraft drücken.” Beide Frauen pressten sich mit voller Kraft auf den Unterleib der Mutter. Elduwina zitterten schnell die Arme, doch Perainelind fuhr sie harsch an. “Reiß dich zusammen, stell dir vor, es wäre deine Mutter.” Es schien eine Ewigkeit, sie verloren den Überblick über die Zeit, da versiegte die Blutung. Perainelind klopfte Elduwina auf die Schulter. “Gut gemacht, Kleine. Mach sie sauber und leg sie auf frische Laken. Ich schaue immer wieder nach ihr. Sie hatte keine Ahnung, wie es den Kindern ging, um die hatte sich Elva gekümmert. Celissa lag totenbleich da, aber sie atmete. Sie würde viel Flüssigkeit und stärkende Tränke brauchen.

Wieder hat ihr eigenes Kind im Leib heftig ausgetreten. Elva war sichtlich aufgebracht. Sie betrachtete das schwächliche zweite Kind. ´Ausgerechnet ein Junge, oh Travia.´ Ihre Gedanken überschlugen sich. So hatte ihre Auslegung der Prophezeiung keinen Rückhalt. Und so wie sie Nordgratenfelser einschätzte würden sie sich bestätigt sehen und das Mädchen opfern wollen, was immer das bedeuten sollte. Sie blickte sich kurz um. Die Hebamme und die Zofe waren voll beschäftigt. Inbrünstig hoffte sie das Perainelind keine Zeit hatte sich das Geschlecht der Kinder genaue anzusehen. Nochmals schaute sie sich den Jungen an. Wahrscheinlich wird er nicht lange leben. So traf sie eine Entscheidung. Mit sicheren Griff tauschte sie die Plätze der Zwillinge. ´Sollst du der Erstgeborene sein.´ Elvas Blick schweifte zum Mädchen. ´ Und du eine Zukunft haben.´ Sie wischte sich eine Träne aus dem Gesicht und drehte sich zu Perainelieb. “Was meinst du, wird er es machen?”

Den nun davon huschenden, kleinen schwarzen Schatten am Fenster konnten, ob der herrschenden Aufregung, weder die Geweihte, noch die beiden Helferinnen ausmachen.

“Schwer zu sagen, wir müssen ihn warm halten und kräftigende Tränke, also ein Heiltrank würde helfen. Wir müssen versuchen, ihn an die Brust zu legen.“

Elva nickte verständig.” Vorher werde ich den Geburtssegen für beide und für ihn einen Heilsegen sprechen.” Aufmuntern strich sie der Hebamme über die Schulter. “Und du Eludwina, hole mir bitte die Baroness Selinde … und nur diese.” Die erschöpft wirkende Zofe war sichtlich erfreut darüber, die Kammer verlassen zu können. “Ja, Mutter.” Geschwind verließ sie den Raum. “Perainelind, wir müssen reden.” Ernst schaute sie die Hebamme an.

Im Garten

Mit flinken Schritten ging Frenya vom Traurigen Stein in den Garten der Burg. Efferd und Rondra waren immer noch dabei stürmische Hochzeit zu halten und für gewöhnlich hasste die Hofdame derlei Wetter, verrann dabei doch ständig ihre Schminke und ihre rabenschwarzen Haare warfen Locken wenn sie nach einem Regenguss trockneten. Gegenwärtig bemaß die junge Frau eben jenen widrigen Bedingungen nur sekundäre Bedeutung bei, musste sie doch Rotlöckchen finden. Wie konnten sie es nur wagen? Bis auf den Kindesvater, Basin und diesem Quakenbrücker Dienstritter hatte hier jeder den Tod verdient. Ihr Hass steigerte sich, dennoch dauerte es nicht lange, bis sie ein Leinentuch fand, aus dem Rotlöckchen gerade dabei war sich zu befreien. Wie eine besorgte Mutter stürzte sie hin und kniete sich neben ihren achtbeinigen Gefährten. “Was haben sie nur mit dir gemacht …”, sprach sie in hätscheliger Stimme, als unterhielte sie sich mit einem Kleinkind, “... dafür werden sie bezahlen. Sie werden sehen was es ihnen bringt sich mit Senola von Schweinsfold einzulassen.” Ihr Blick ging hoch zu jenem Fenster, wo sie die Kindesmutter und die Traviageweihte vermutete. Ein Plan in ihr reifte und sie würde es so spinnen, dass es an ihrer Konkurrentin hängen blieb. Ja, die Baroness von Schweinsfold als kaltblütige Mörderin … ihre Lippen verzogen sich zu einem grausamen Lächeln. Auch ihr Gefährte verstand und krabbelte die Mauer hoch zum Geburtenzimmer, während sich die vollkommen durchnässte Frenya wieder zurück in Richtung Burg begab. Immerhin gab es noch ein Kind zu retten.


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