Celissa - Kapitel 1

Ein Blick in die Vergangenheit

Kapitel 1 der Briefspielgeschichte Celissa

Elva ließ ihren Blick über die Weiden des Ambelmunder Landes schweifen und fröstelte. Der Perainemond war kühl, das Land begann gerade an wieder zu ergrünen und der Herr Efferd schien wieder oft im Disput mit seiner Schwester Rondra zu liegen. Graue Wolken, Regen und stürmische Winde beherrschten diesen Morgen. Entschlossen schloß sie das Fenster, das sich in einem Trakt der Burg Fadersberg befand. Seit drei Tagen war sie schon hier und nun endlich lag die junge Edle in den Wehen. “Glück habt ihr, Kindchen, das euer Baron euch zur Geburt auf seine Burg berufen hat. Stellt euch vor, wir müssten das ganze jetzt in einem zugigen Wehrturm machen. Und dass bei diesem Wetter!” Die Vierzigjährige Geweihte lächelte der Schwangeren zu. Celissa vom Schwarzen Tann lief in einer Schlafkammer auf und ab, während eine Zofe der Baronin ihr die Hand hielt. Kaum ein Wasserlauf war seit der ersten Wehe vergangen und die Edle sah jetzt schon erschöpft aus. Unzählige Geburten hatte Elva schon hinter sich und ihre Gefühl sagte ihr, dass diese keine leichte sein wird. Doch noch gab es etwas Zeit. “Macht noch ein paar Runden und ruht dann aus. Ich bin gleich wieder bei euch, Celissa.” Mit forschem Schritt verließ sie die Kammer und erreichte über einer steinernen Freitreppe den Rittersaal. Noch einmal straffte sie sich ihre orange Robe und richtete ihre rotes, lockiges Haar. Alleine war sie nicht gekommen und nur auf den Wunsch der Baronin Tsasalda von Schweinsfold hin. Vor zwei Götterläufen wurde sie und ihr Gemahl zu den Vorstehern des Gänsetempels zu Herzogenfurt berufen und seit dem bemühte sich die Landesmutter Schweinsfold zu einem regen Kontakt zu den Beiden. Der Glaube an alten Göttern war tief verwurzelt bei den Nordgratenfelser, aber nur mit Geduld und Verständnis konnte man diese erreichen. Man weihte sie in einer Prophezeiung ein und Elva konnte nicht anders, als einzuwilligen die Erbbaroness Senola zu begleiten, um sicher zu gehen, dass die Gebärende ganz nach den zwölfgöttlichen Geboten behandelt würde. Die Geweihte blieb kurz am Absatz stehen und betrachtete alle die gekommen waren, um Zeuge einer heidnischen Prophezeiung zu werden.

Als erstes stach Elva eine hübsche, junge Frau mit rückenlangen, rabenschwarzen Haaren und Aufsehen erregender Kleidung ins Auge. Sie war stark geschminkt, betonte dabei ihre edel geschwungenen Lippen mit dunkelrotem Lippenrot und hob ihre braunen Augen mit Kohlenstaub hervor. Auch bestach ihr emotionsloses Antlitz durch noble Blässe, die sich besonders deutlich von der Farbe ihrer Haare und der getragenen Kleider abhob. Die Garderobe der Frau war in diesen Breiten höchst auffällig und würde vom Gros der Nordgratenfelser wohl als viel zu freizügig angesehen. Unter einem offen getragenen schwarzen Reisemantel trug sie in schwarz und rot gehalten ein eng anliegendes, dunkelrotes Mieder, das ihre Oberweite und ihre schmale Taille schön zur Geltung brachten und mit schwarzer Spitze an Hals und Schultern ergänzt war. Ihre Unterarme und Ellbogen waren ebenso mit Ärmeln aus schwarzer Spitze bedeckt, in welche der eine oder andere Rubinsplitter eingearbeitet war. Dazu trug sie einen langen schwarzen Rock, der an den Seiten hohe Schlitze aufwies, die einen schönen Blick auf die ebenfalls schwarzen, über-Kniehohen Stiefel mit leichten Absätzen boten. An ihren schlanken Fingern und um ihren Hals fand sich allerhand Zierrat aus Silber, ergänzt mit Karneolen und Rubinen. Da sie in Begleitung des Baronets von Rickenhausen reiste, wusste die Traviageweihte, dass es sich bei ihr um Frenya vom Traurigen Stein handeln musste. Eine nachgeborene Tochter eines blutjungen, aber wohlhabenden und der Göttin Rahja nahestehenden Edlengeschlechts aus dem fernen Kyndoch und darüber hinaus ein regelrechtes Biest, das in der kurzen Zeit am Hof zu Rickenhausen schon zu einem gerne aufgegriffenen Gesprächsthema in der gesamten Grafschaft mutierte. Beim gegenwärtigen Anblick der jungen Edeldame wunderte sich die Altenbergerin darüber nicht.

Neben Frenya stand der junge Basin von Diebelsfink: mittelgroß, sehr schlank, ein wenig blass, bartlos, die kurzen, lockigen braunen Haare unter einem roten Samtbarett, welches von einem kleinen Busch Fasanenfedern geziert wurde, halb verborgen. Er trug eine enganliegende rote Hose, halbhohe Schnabelschuhe und ein blaues Brokatwams, dessen silberne Fäden im Licht der Kerzen gelegentlich aufblitzten, fiel doch von draußen zu wenig Licht durch die schmalen Fenster, um den Raum erhellen zu können, zumal bei diesem Wetter. Seine Laute hatte der Baronet in seinem Gemach gelassen, denn im Moment war den meisten der Anwesenden wahrscheinlich nicht nach Kunstgenuss zumute.
Die graublauen Augen blickten wie immer ein wenig erstaunt, als Basin die Versammlung der Adligen betrachtete, deren Stimmung sich ganz unterschiedlich angesichts des bevorstehenden Ereignisses ausdrückte. Seine Zeit an verschiedenen Höfen hatte seine Beobachtungsgabe geschult, so dass er in den Gesichtern der meisten Anwesenden lesen konnte wie in einem Buch. Nur bei Frenya fiel ihm das schwer. Die schöne Traurigsteinerin, die er erst auf seiner Reise hierher näher kennengelernt hatte, war ihm einerseits ein wenig unheimlich, andererseits zog sie ihn an mit ihrer zuweilen lasziven, offenherzigen Art, die sich wenig um Etikette scherte. Trotz seiner Profession war Basin doch von eher zurückhaltendem Wesen, so hatte er sein Interesse an der Hofdame seiner Eltern bisher hinter einer Maske betonter Unverbindlichkeit ihr gegenüber versteckt.
Der Baronet trat an ein Tischchen und schenkte aus einer bereitstehenden Karaffe zwei Weinkelche voll. Einen davon brachte er mit schüchternem Lächeln Frenya, den anderen führte er an die eigenen Lippen. Was der Tag wohl bringen mochte? Er zweifelte nicht an den Worten der Prophezeiung, doch wie es Prophezeiungen so an sich hatten, ließ deren Aussage doch einen gewissen Interpretationsspielraum offen. Nun, er würde sich im Hintergrund halten und beobachten, wie er es gelernt hatte.

Die Hofdame bedankte sich mit dem Anflug eines Lächelns für den Wein. Wirklich viel war dem Antlitz der jungen Frau wie immer nicht zu entnehmen. Gleich einer makellosen Statue stand Frenya im 'Thronsaal', nippte an ihrem Kelch und beobachtete die Menschen um sich. Besonders viel Aufmerksamkeit schien sie dabei Senola zu schenken, auch wenn ein vorzüglicher Menschenkenner das Funkeln in ihren Augen eher als Missgunst und weniger als Interesse auslegen könnte.

Stundenlang bereits war Leuenhard von Tannenfels in den teils zugigen Gängen von Burg Fadersberg auf und abgewandelt. Celissa, seine geliebte Celissa, hatte ihm heute in der Frühe mitgeteilt, dass seine Unruhe sie noch wahnsinnig machte: "Wie kann ein gestandener Mann sich vor einer Geburt nur so verrückt machen?" hatte sie ihn gescholten. Der Edle von Tannenfels hatte sie im Glauben gelassen, es sei nur seine Aufregung angesichts des gleich doppelten Segen Tsas, der eine Niederkunft bekanntermaßen riskanter machte. Wenn sie wüsste...
Jedenfalls hatte Elva, die treusorgende Travia-Geweihte, die sich ihrer angenommen hatte, ihm nachdrücklich geraten, sich noch ein wenig die Beine zu vertreten.
Leuenhards Gewissen lastete schwer auf ihm. Seit jener vermaledeiten Stunde, an dem Ansgar von Fadersberg ihm die Prophezeiung und seine daraus erwachsenden Pflichten eröffnet hatte und seine so unbeschwerte und glückliche Vorfreude auf seine beiden erstgeborenen Kinder jäh der Angst vor dem Termin ihrer Geburt gewichen war, war kein Tag mehr vergangen, an dem er nicht mit sich gerungen hätte, keine Nacht, in der die furchtbare Pflicht ihm nicht den Schlaf geraubt hätte. Er hätte seine Celissa einweihen müssen. Aber was hätte er ihr damit angetan... Rondra mochte Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit verlangen, aber manche Wahrheiten waren zu grausam, zu schrecklich, um diese anderen Schultern aufzubürden. Und Celissa hatte doch schon genug mit ihrer Schwangerschaft zu tragen.
Wieder erreichte er den Rittersaal, in dem sich inzwischen eine ganze Gruppe weiterer Personen eingefunden hatte, darunter auch sein Baron Ansgar von Fadersberg. Doch Leuenhard hatte nur Augen für die Travia-Geweihte, die wie er gerade in den Raum getreten war und auf die er, jeder Etikette zum Trotz - direkt zustürzte. "Wie geht es meiner Gemahlin? Ist es schon so weit?"

Ansgar lachte - ein tiefes, kehliges Lachen, das aus den Niederungen der beeindruckenden Gestalt des Barons aufwallte und den Saal erfüllte. Eine Hand, so breit und schwer wie eine Bärentatze, klatschte auf die Schulter des nervösen jungen Vaters, dessen Aufregung durch diese väterliche Geste keinesfalls schwand. “Eiei Leuenhard, wie wollt Ihr mehr als einmal Vater werden, wenn Ihr schon bei der ersten Geburt vor lauter Nervosität an einem Herzschlag sterbt.”, witzelte er jovial. Zwei-, dreimal klopfte er seinem Ritter auf den Rücken, was Leuenhard jedes Mal zusammenzucken ließ. Seine Frau hatte schon ein Kind ausgetragen und da hatte er keine solchen Anstalten gemacht. Dabei war sich der Baron um die Tragweite dieser Geburt mehr als bewusst, doch war er überzeugt davon, dass diesmal nichts würde schief gehen können: Waren doch die Kinder prophezeit worden.

‘Wie konnte Ansgar angesichts dessen, was heute auf sie wartete, noch witzeln? Meinte dieser das ernst, oder versuchte er, seine eigenen inneren Nöte zu überspielen?’ Leuenhard, der seinem Baron aus Überzeugung immerzu treu und ergeben war, wie alle Tannenfels seit ehedem, hatte sich diesem gegenüber noch nie so fremd gefühlt. Noch nicht einmal damals, als ihm dieser anvertraute, was ihn heute so verzweifeln ließ - da zeigte sein Lehnsherr wenigstens eine gebührende Ernsthaftigkeit und so etwas wie Anteilnahme.
Die zuerst in ihm aufsteigende Antwort schluckte Leuenhard herunter, weniger aus Etikette - er pflegte einen offenen Umgangston mit seinem Baron - als der Tatsache geschuldet, dass es in diesem Augenblick noch wichtigeres für ihn gab. Seine Aufmerksamkeit richtete sich ganz auf Elva.

Die schlanke Geweihte ging ein paar Schritte auf ihn zu und legte ihre Hand auf seine Schulter. “Keine Sorge, Tannenfels. Es geht ihr den Umständen entsprechend gut. Aber es wird noch eine Weile dauern.” Dann ging sie auf die Tafel zu ergriff sich einen Krug und goss sich ein wenig von dem Wein ein.

Leuenhards Gesichtston wirkte für seine Verhältnisse recht fahl und hob sich selbst gegen sein kurzes blondes Haar und den ebenfalls blonden, wohlgestutzten Bart, der seinen Mund umrandete, durch Helligkeit ab - zusammen mit seiner für seine Familie typischen hageren Statur und den von viel zu wenig Schlaf dunkel umrandeten Augen machte er einen ungesunden Eindruck und wirkte gerade auch älter als die Ende zwanzig, die er tatsächlich erst war. Das farbliche Wechselspiel mit seinem dunkelgrünen Wappenrock, auf dem das goldene Hirschhaupt derer von Tannenfels prangte, und seiner ansonsten schwarzen Gewandung, einer robusten ledernen Hose, einer Langtunika und festen Stiefeln, tat sein Übriges dazu. Seine Linke klammerte sich an die Scheide seines Schwertes, als ob er an diesem Halt suchte.

Ansgars Anblick bot dazu einen radikalen Kontrast: Der große, ungeschlachte Mann mit den gewaltigen Händen stand leicht nach hinten gebeugt, die Arme in den Gürtel gestemmt, hatte schon einige Sommer gesehen, doch hatten diese seine Gestalt gestählt, nicht gebeugt. Im Gegenteil. Die lederne, leicht braune Haut Ansgars wirkte robust und unverletzbar. Der braune Vollbart wies zwar das eine oder andere silbrige Haar auf, doch das dichte Haar ließ noch keine Anzeichen des Alters erkennen. Eingedenk des feierlichen Anlasses des Tages hatte er sich in seine besten Klamotten gehüllt, die den Baron jedoch weniger kleideten, als dass sie an ihm Fehl am Platz wirkten. Die Statur rief geradezu nach einer Rüstung oder wenigstens einem Wappenrock, die breite Brust verlangte ein Wappen, das davon prangen konnte. Einziger Makel dieser mächtigen Erscheinung war der Wohlstandsbauch, der erste Anstalten machte, den Gürtel zu spannen. Noch konnte sich der Baron selbst einreden, es seien nur Muskeln, die gelegentlich das Anlegen der Platte erschwerten. Die großen, ausladenden Bewegungen mit den beeindruckenden Armen und den Pranken an deren Ende überspielten gerade allerdings die Aufregung, die sich auch in Ansgar breitgemacht hatte. Heute zählte - für die Zukunft der Baronie.

Leuenhard nickte auf die Worte Elvas hin, auch wenn diese seine Unruhe nur wenig milderten. Eine kleine Galgenfrist… Sein Blick kreiste, besah rasch die teils aus Herzogenfurt, teils aus Rickenhausen angereisten Gäste. Gekommen, um beizuwohnen, wie sich eine große Prophezeiung erfüllt. Empfanden diese am Ende sogar so etwas wie Vorfreude auf das Bevorstehende?
Der Edle und Ritter nahm sich auch einen Becher Wein, nippte kurz an diesem, und gesellte sich dann zu Ansgar. Auch wenn er die Antwort längst wusste und er an deren Richtigkeit nicht wirklich zweifelte, alle Zeichen mehr als eindeutig schienen und sowohl seine weltlichen Pflichten als auch die Götter, die wahren Götter, es verlangten, flüsterte er dennoch, einem Ertrinkenden gleich nach dem letzten Strohhalm greifend, seinem Baron ins Ohr: “Seid Ihr wirklich sicher, dass wir die Prophezeiung richtig verstanden haben? Dass wir das richtige tun?”

Heridan nippte an seinem Becher Wein, während er sich mit der anderen am Kaminsims abstützte und die Flammen im Kamin betrachtete. Der mit 90 Fingern hochgewachsene Ritter wirkte für sich schon beeindruckend. Aber wo man beim Anblick des Barons an einen Bären denken mochte, fühlte man sich bei Heridan unwillkürlich an einen Wolf erinnert. Hager und wenig muskulös wirkte er, auch wenn der Eindruck täuschte und seine Bewegungen wirkten beinahe geschmeidig. Die widerspenstige Mähne dunkelblonden Haares und verlängerten Koteletten, die in einen Backenbart übergingen, verstärkten den Eindruck an den Wolf noch. Wie auch sein Baron hatte er für heute sein Praiostagsgewand angezogen und harrte nun der Dinge die da folgen mochten. Als der Baron laut auflachte und dem armen Leuenhart mehrmals kräftig auf die Schultern schlug, riss sich Heridan von der Betrachtung der Flammen los und lenkte den Blick seiner stahlgrauen Augen auf die anwesende Schar Adliger. Waren sie alle nur wegen dieser verdammten Prophezeiung gekommen?

Statt erneut einen Witz zu reißen blickte der Baron Leuenhard mahnend an. Die beiden standen an einem Fenster des Thronsaals, die Rücken den anderen zugewandt, sodass diese seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen konnten. Die Wandlung im Blick seines Lehensherrn war für Leuenhard ganz eindeutig zu erkennen. Eine rasche Handbewegung vor der Brust zeigte dem Ritter, dass dieses Thema ein für allemal erledigt war - besser noch, dass jetzt und hier niemand, aber auch keiner darüber reden sollte. Dann legte der baron seinen linken Arm um die Schulter des jungen Mannes und zog ihn väterlich zu sich heran. “Glaub mir Sohn, es wird alles gut. Deiner Holden wird es prächtig ergehen und deinem Spross ebenso.”, wobei er bewusst einen Begriff wählte, der weder Singular noch Plural verriet.

Ein paar Schritt über den beiden Männern, von der Dunkelheit eines nicht beleuchteten Winkels geschützt, beobachteten acht Augen das Gespräch. Es war Rotlöckchens Aufgabe gewesen die Empfindungen der Menschen betreffend die Prophezeiung zu beobachten und er war zufrieden - sofern man dies einem Arachniden überhaupt ansehen konnte. Die Zweifel des Kindesvaters würde seine Herrin bestimmt mit Wohlwollen aufnehmen.

Einem unser Sprösslinge, ja.’, dachte Leuenhard bitter, und seine Augen und seine starre Miene brachten das Unausgesprochene zum Ausdruck. ‘Celissa vielleicht - wahrscheinlich würde sie die körperlichen Strapazen gut überstehen - sie war eine starke Frau. Aber was würde das Bevorstehende mit ihrem tapferen Herzen machen? Celissa als Kind derer vom Schwarzen Tann und er, als Erbe und schließlich Edler von Tannenfels noch mehr, hatten ihr ganzes Leben in der Gewissheit der Aufgabe zugebracht, die ihren beiden Geschlechtern zukam, die Tannwacht inne zu haben. Sie mussten sich jederzeit bewusst sein, dass für deren Erfüllung auch Opfer zu erbringen waren. Er selbst hätte zum Schutze von Tannenfels und Ambelmund jederzeit sein Leben gegeben. Aber durfte er einer alten Prophezeiung und deren Deutung durch dieses Weib aus Herzogenfurt wegen, so treffend auch immer diese klingen mochte und so überzeugt sein Baron von dieser war, sein eigen Fleisch und Blut, unschuldig und rein und wehrlos, im Vertrauen auf die Liebe seiner Eltern in diese Welt getreten, darbringen? Konnte das wirklich der Wille der Mutter sein?
“Ich muss die Baroness dennoch um ein Gespräch ersuchen, vorher. Ich will es aus ihrem Munde hören.” flüsterte er Ansgar zu. “Ich hoffe, Ihr könnt das verstehen, Hochgeboren.”

Da grunzte der große Mann vernehmlich. Es war nicht einfach zu deuten, ob das nun ein abschätziger oder aber ein Laut voll Anteilnahme war. Es klang wie ein in der Kehle ersticktes Lachen.

Langsam löste Leuenhard seinen Blick vom Geschehen draußen - geistig teilgenommen hatte er ohnehin nicht am regen und ihm heute nachgerade absurd normal erscheinenden Treiben der Flößer, die nach dem langen Winter gerade wieder mit Mühe und Geschick ihre ersten Holzstämme die noch immer vom Frühlingsregen und der Schneeschmelze aufgewühlte Ambla hinabschafften und im Flößerhafen unterhalb der Burg zur Rast anlandeten - er suchte jene Senola. Dabei fielen seine Augen auf Selinde, die ihm noch gut aus der Zeit ihrer Knappschaft hier bei Hofe bekannt war. Jetzt begleitete sie ihre Schwester. Ob sie eingeweiht war? Wenn, so ließ sie sich nichts anmerken. Sie kam ihm heute genauso fremd vor, wie die anderen Gäste.

Währenddessen starrte der Baron weiter angestrengt aus dem Fenster, ohne auch nur im Ansatz zu realisieren, was draußen vor sich ging. Zu sehr kreisten seine Gedanken um eine Frage: Wann?

Selinde stand in der Nähe der Tür, von wo aus sie den gesamten Saal, und die dort anwesenden Zwei- und Vierbeiner, gut im Blick hatte. Sie war dienstlich hier und hatte deswegen versucht einen Kompromiss bei Schmuck- und Kleiderwahl zu finden. Sie wusste eh, dass sie es ihrer Schwester nicht recht machen konnte und diese auf sie herab blicken würde, wie eh und je. Also hatte sie sich dazu entschieden feste, schwarze Reiterstiefel über einer eng anliegenden, weißen Hose aus Schurwolle zu tragen. Über einer schlichten, roten Tunika trug sie ihr knielanges Kettenhemd, welches so gefertigt war, dass sie damit auch reiten konnte. Darüber ein gelber Wappenrock mit dem aufsteigenden roten Eber ihres Hauses. Der Schwertgürtel schnürte ihre Kleidung an der Taille ein, so dass ihre Figur gut zu erahnen war. Sie war schlank, groß gewachsen und hatte feste, runde Brüste, die mit der Größe einer halbierten Honigmelone mithalten konnten. Ihre rotblonden Haare hatte sie zu zwei langen Zöpfen geflochten, die ihr bis zur Taille reichten. In beide waren rote Bänder von oben nach unten eingewoben. Um den Hals trug sie ein zwei Finger breites Lederband, an welchem ein münzgroßes Amulett aus Silber hing. Es zeigte Schwert und Schild - das Symbol Rondras. Ihre Lippen waren nur sehr dezent mit einem Hauch von roter Farbe geschminkt. Feine, ebenfalls eher dezent gehaltene Lidstriche, betonten ihre blauen Augen. Ein silbernes Schapel hielt ihre Haare zusammen, ohne dass sie ein Kopftuch dazu trug. Trotz ihrer Mission lächelte sie stets. Sie war vielleicht nicht von der Mutter mit ihrer Gabe beschenkt worden, stattdessen hatte sie Schönheit und Anmut erhalten, ohne dass es sie eitel werden ließ.

Ansgar warf seiner ehemaligen Knappin einen verstohlenen Blick zu. Sie war ja schon immer eine wirklich schöne Frau gewesen, aber seitdem er sie aus der Knappschaft entlassen hatte war sie noch einmal schöner geworden. Und dennoch: Der Baron hatte was seine Schutzbefohlenen anging nie unzüchtige Gedanken. Insgesamt: Er mochte manchmal grobschlächtig und fahrig, vielleicht sogar notorisch nervös sein, doch achtete er die Regeln des Anstands - die alten Sitten. Nein, sein Blick galt nicht ihrer Erscheinung, vielmehr wollte er sie im Auge behalten. Die Kleine wusste zu viel - und wer zu viel wusste, der konnte gefährlich werden.

Selinde nickte freudig strahlend ihrem ehemaligen Schwertvater zu. Er hatte ihr alles beigebracht und sie hatte dieses Wissen freudig in sich aufgesogen. So schnell und nachhaltig, dass er sie bereits vor über zwei Götterläufen, als sie noch keine zwanzig Lenze zählte, zur Ritterin schlug. Sie mochte ihn, fast so sehr, wie sie ihren Vater mochte.

Ansgar winkte mit seiner Pranke zurück, dann wandte er sich wieder dem ängstlichen werdenden Vater zu. Verflucht - sie hatte seinen Blick gesehen. Er musste viel, viel vorsichtiger sein!

Komisch! Kam es ihr nur so vor, oder hatte er sich absichtlich hastig abgewandt. Sie runzelte die Stirn. Irgendwie wirkten hier alle so angespannt. Zuerst hatte sie es auf die schwierige Geburt geschoben, welche im schlimmsten Falle den Tod von Mutter und ihren Kindern bedeuten konnte. Aber, das allein war es nicht. Sie blickte zu ihrer Schwester. Ob es vielleicht doch etwas mit dieser Prophezeiung zu tun hatte? Worte, die eine heidnische Priesterin vor langer Zeit vor sich hin gebrabbelt hatte. Egal. Sie war hier, um sich um Senola und Elva zu kümmern. Allerdings meinte sie sich zu erinnern, dass von Blut und Opfer die Rede war. Verstohlen sah sie zu Heridan herüber. Würde er ihr beistehen, wenn sie Hilfe bräuchte?

Wenn Heridan ihren Blick wahrgenommen hatte, so zeigte er dies nicht. Noch immer stand er am Kamin und ließ seinen Blick über die Anwesenden streifen. Jetzt hatte der Ritter sein spezielles Augenmerk allerdings auf die Kyndocherin gelegt. Das war sie also, die Frau über die sich der halbe Gratenfelser Adel das Maul zerriss. Nun ja, ihr Stil hatte schon was al’anfanisches, jedenfalls hatte er sich in der Vergangenheit die frivolen Grandentöchter der Schwarzen Perle immer so vorgestellt. Nun ja, wie junge Knappen eben so sind, wenn sie die ersten Bücher über den Tiefen Süden lesen. Gegen seinen Willen musste Heridan darüber schmunzeln. Aber dann waren sie wieder da, seine Gedanken und Sorgen, die sich um diese Zusammenkunft und die Prophezeiung drehten. Sein Blick wanderte weiter zu Selinde. Vielleicht sollte er doch mit ihr darüber sprechen.

Ja, das hatte sie wohl verdient. Schließlich war sie nun verlobt und sie mussten größte Heimlichkeit walten lassen, aber dennoch war diese Ignoranz ein Stich ins Herz. Dabei war er doch der Hauptgrund, warum sie dieser Mission zugestimmt hatte. Sie konnte sich weitaus besseres vorstellen, als ihre Schwester zu beschützen. Dann wandte er den Kopf und ihre Blicke trafen sich wieder. Hoffnung und Sehnsucht schlichen sich in ihr Herz.

Frenya konnte die Blicke des Ritters förmlich fühlen und als sie sich ihm zuwandte, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Ausdruckslos und kalt wirkte ihr Gesicht, wiewohl … vielleicht war es auch bloß eine Mischung aus Langeweile und Desinteresse, die ihm aus dem statuenhaften Antlitz entgegen schlug. Kurz schien es als zucke ihre linke Augenbraue hoch, dann nahm sie einen Schluck aus ihrem Weinkelch.

Diese Frau, so schön wie sie war, schreckte ihn ab. Seine Augen verengten sich als er ihren Blick erwiderte. Dieser maskenhafte Gesichtausdruck und ihre toten Augen ließen ihn an eine Schlange denken. ‘Er würde sie im Blick behalten müssen. Als er sein Augenmerk wieder Selinde zuwandte, wurden seine Züge wieder weicher, freundlicher. Er liebte sie noch immer, auch wenn sie verlobt war. Warum hatte sie erst was gesagt, als es schon zu spät war? Nun trug er den Ring, der für sie gedacht gewesen war, in einem kleinen Beutel mit sich. Ihr sehnsüchtiger Blick traf ihn vollkommen unvorbereitet. Zu sehr war er in seinen Gedankengängen gefangen gewesen. Heridan unterdrückte ein Seufzen. Hoffentlich hatte niemand sonst diesen Blick gesehen.

DA! Ein Sehnen auch in seinem Blick. Warum nur hatte sie nicht selbst wählen dürfen? Plötzlich bemerkte sie, wie der Kater ihrer Schwester um ihre Beine strich. Sie verfluchte sich gerade selbst und hoffte, dass das Vieh nicht allzuviel mitbekommen hatte. Sie biss sich auf die Unterlippe und flüsterte wortlos: ”Ich muss Dich sprechen, nachher.” Sie hoffte, dass er verstanden hatte.

Als der Ritter von Quakenbrück sich von ihr abwandte - Frenya hatte von einem schwachen Geist auch nichts anderes erwartet - folgte sie seinem Blick hin zur Baroness Selinde. Es dauerte nicht lange da verstand sie. Kurz verzogen sich ihre Lippen zu einem grausamen und abschätzigen Lächeln, dann wandte sie sich von der, in ihren Augen unwürdigen, Szenerie ab und musterte die anderen Anwesenden. Dass Rotlöckchen sich beim werdenden Vater und dem Baron positioniert hatte, nahm sie dabei wohlwollend zur Kenntnis.

Der Ritter legte seine Hand auf den Knauf seines Schwerts und tippte mit dem Zeigefinger gegen den Griff, als Zeichen dafür, dass er verstanden hatte und dem zustimmte. Als beide noch Knappen waren, hatten sie sich während eines besonders langen und langweiligen Winters diese Geheimzeichen überlegt. Was zuerst als Spiel und Fingerübung begann erwies sich mit der Zeit als recht nützlich in allerhand Situationen, wie jetzt zum Beispiel.

Erleichtert rückte sie die Gürtelschnalle zurecht und strich mit zwei Fingern an einer Seite entlang. Das bedeutete, dass sie sich in 10 Minuten mit ihm in der entsprechenden Ecke treffen wollte.

***

Senola lehnte lässig neben ihrer Schwester an der Wand und spielte lasziv mit einer Strähne ihres rotblonden, hüftlangen Haares. Wie Selinde war sie von hohem Wuchs, strahlte aber eine arrogante Überheblichkeit aus, die in diesem Raum ihresgleichen suchte. Sie betrachtete nach und nach die Anwesenden. Noch gab es keinen Grund zur Sorge. Als sie Frenya sah, wie sie sie anstierte, lächelte sie verächtlich. Wie billig die doch war. Eine Hofdame, der es an Stil fehlte, musste sich natürlich wie eine Nobeldirne aus dem Süden kleiden. Senola selbst trug ein grünes Kleid aus feinstem Stoff, welches ihre weibliche Figur geschickt betonte und einen Kontrast zu ihrem wunderschönen Haar bildete. Seitlich war es fast bis auf Hüfthöhe einseitig geschlitzt. Hätte sie wollen, hätte sie ihre wohlgeformten Beine in Szene setzen können, doch war dies nicht nötig. ....ihr Kater strich gerade ihrer Schwester um die Beine und holte dann zu einem wohl gezielten, deftigen Krallenhieb gegen deren Beine aus. Das dumme Ding hatte es verdient. .... Selem ähnelte einer zu dunkel geratenen, recht bepelzte Wildkatze und langweilte sich anscheinend, was seine Laune nicht besser werden ließ. Sie lockte ihn zu sich.

“Autsch!”, überrascht entglitt ihr ein leiser Schmerzenslaut. “Verdammtes Mistvieh”, raunte sie und starrte Selem wütend hinterher.

***

Basin fröstelte ein wenig. Frenya schien kälter geworden zu sein, nun, da sie am Ziel ihrer Reise waren und so viele Leute sie betrachteten. Eine Maske, ja, jeder hier trug eine Maske. Manche offen, manche versuchten es zu verbergen, und manche waren sich dessen nicht bewusst.
Er ging ein paar Schritte, nicht, weil er ein Ziel hatte, sondern um überhaupt etwas zu tun. Vielleicht sollte er doch seine Laute holen, damit er seine Finger und seinen Geist ein wenig beschäftigen konnte.
Heridan und Selinde, soso. Und Selinde führte Selbstgespräche, oder redete sie etwa mit der Katze? Der Tannenfelser hatte ganz offensichtlich Angst und Baron Ansgar überspielte seine Sorge mit polternder Jovialität. Die Traviageweihte ... was sie wohl von der Prophezeiung hielt? Als Vertreterin der Zwölfgötter könnte man annehmen, dass sie nichts darauf gab. Vielleicht ... war sie auch hier, um die Prophezeiung zu verhindern? Basin fröstelte noch mehr, langsam hatte er das Gefühl, auf einem Fass Hylailer Feuer zu sitzen. Wer würde die Lunte anzünden?

Elva konnte die Anspannung fühlen die sich unter den Gästen breit gemacht hatte. Diese Nordratenfelser waren ein eigener Schlag Nordmärker. Der Einzige der ihr gelassen vorkam, war der junge Basin. Der Diebelfinker hatte sich schon einen Namen gemacht, zumindest unter den Barden und Bänkelsänger des Herzogtums. Herzogenfurt, die Hauptstadt der Baronie Schweinsfold, beherbergte den berühmten Lilienpark, der Anziehungspunkt von Verliebten und Spielleute war. Es war also nicht verwunderlich, dass die Geweihte schon von ihm gehört hatte. Noch mit ihrem Wein in der Hand schlenderte sie zu ihm herüber. Ein kurzes Zucken im Unterleib ließ sie kurz inne halten. Kurz strich sie sich über ihren Bauch und lief aber unbeteiligt weiter. Nur ein kundiges Auge konnte den sehr leicht gewölbten Bauch unter ihrer Robe vermuten und erkennen, dass die Altenbergerin selbst mit einem Kind gesegnet war. Seit gestern spürte Elva die ersten Bewegungen des zukünftigen Sproß. Schon jetzt deutete alles daraufhin, dass auch dieses Kind das typische Altenberger Temperament erben würde. “Travia zum Gruße, euer Wohlgeboren. Ich bin erfreut, euch endlich selbst einmal kennen zu lernen. Die Gartenmeisterin Rumolda vom Lilienhain hat mir von eurer Sangeskunst erzählt, jeder in Herzogenfurt war sehr angetan.” Freundlich lächelte sie ihn an und hoffte,dass vielleicht der Barde die Stimmung etwas lösen konnte.

Basin nickte der Geweihten freundlich zu, froh darüber, aus seinen Grübeleien gerissen zu werden. “Travia zum Gruße, Hochwürden”, antwortete er mit leiser Stimme, der man seine Fähigkeiten nicht anhörte. “Die Freude ist ganz meinerseits.” Wenn er auch immer noch nicht wusste, welche Rolle die Geweihte hier und heute spielen würde. “Richtet Rumolda meine besten Grüße aus, wenn sie mich schon so lobt. Sicher werde ich auch wieder einmal in Herzogenfurt aufspielen. - Was kann ich für Euch tun?” Unvermittelt wurde der junge Mann sehr direkt, fast schon forsch, was man ihm kaum zutraute, wenn man ihn nicht kannte. Doch hatte er früh gelernt, dass diese Taktik oft zu unerwarteten Erfolgen - oder zumindest Ergebnissen - führte.

“Falls ihr euch in der Geburtskunde auskennt, dann könnt ihr mir sicherlich helfen. Ansonsten gibt es nichts was ihr für mich tun könnt. Aber vielleicht könnt ihr etwas für die Anwesenden hier tun. Eine Auflockerung können wohl alle hier gebrauchen.” Die schnellen Schritte des Edlen von Tannenfels auf die Baroness lenkte sie vom Barden ab.

Abwehrend hob Basin die Hand. “Oh nein, mit Geburten kenne ich mich nur theoretisch aus, Hochwürden. Aber gut, wenn Ihr wirklich meint, dass die Leute hier ein wenig Kunstgenuss zu schätzen in der Lage sind, dann werde ich meine Laute holen.” Seine Worte klangen nicht herablassend, eher zweifelnd, aber er wartete keine weitere Antwort ab, sondern nickte Elva nur zu und verließ den Saal, grübelnd, was genau er denn spielen sollte. Bei seinen sonstigen Auftritten waren die Leute meist eher in freudiger, entspannter Stimmung - oder gelangweilt, wenn sie nur aufgrund irgendwelcher Verpflichtungen anwesend waren. Aber heute war das anders …

***

Der überhebliche Ausdruck und die zur Schau getragene lässig-laszive Haltung Senolas weckten Leuenhards Zorn - als ob dies hier und heute höfisches Geplänkel wäre - und selbst dann wäre er dieser Dame nur mit Vorsicht begegnet. An diesem Tage jedoch, an dem sie mit ihrer Deutung der Prophezeiung seiner Familie Undenkbares abverlangte, stünde ihr alleine Demut gut zu Gesicht. Wenigstens überdeckte seine aufwallende Wut auf die Baroness für den Moment seine Angst vor dem Bevorstehenden und nahmen ihm ein kleines Bisschen des Gefühls der Ohnmacht: Lieber wollte er handeln, als das Unabwendbare tatenlos abzuwarten. Jäh löste er sich vom Fenster und der Nähe seines Lehnsherrn und durchmaß mit schnellen Schritten den Raum direkt auf Senola zu. Mit einem knappen Nicken grüßte er Selinde, die sich zwischen ihn und Senola stellte, als er so plötzlich mit wütendem Gesichtsausdruck auf sie zupreschte, seine Aufmerksamkeit galt aber ganz deren Schwester. "Auf ein vertrauliches Wort, Euer Wohlgeboren!?" Mit diesen leise, nichtsdestoweniger nachdrücklich gesprochenen Worten deutete er auf die Tür hinaus. “Kühlt Euer Gemüt, ansonsten werde ich nicht von ihrer Seite weichen”, zischte sie ihn an. Leuenhard sah die jüngere der beiden Schwestern für einen Moment überrascht an. Sein Zorn galt nicht ihr, und ihr beherztes Einschreiten bremste diesen etwas ein - für den Moment. “Seid unbesorgt,” gab er schnaubend in ihre Richtung, “wehrlose Menschen haben von mir nichts zu befürchten. Ich muss nur mit Eurer Schwester sprechen.” “Es ist Eure Entscheidung, Senola”, sprach sie, ohne den Blick von Leuenhard zu nehmen.

“Schon in Ordnung, Schwester, hab ein Auge auf Selem.” Der Kater grollte unzufrieden und sah sich im Raum um. Dann streckte er den prächtigen Schwanz senkrecht und marschierte zielsicher durch den Raum.

Verborgen in den Schatten nahmen acht Beine die Verfolgung des Edlen auf. Rotlöckchen wusste was von ihm erwartet wurde.

“Edler Leuenhard, aber gerne doch.” Charmant und vertraulich lächelnd wandte sie sich dem werdenden Vater zu. Immer noch zwirbelte sie verspielt ihre Haarsträhne, doch Senola wirkte nun nicht mehr arrogant, sondern ehrlich besorgt. “Eine Geburt ist immer schwer; für den Vater immer sehr aufwühlend. Unter diesen Umständen besonders.”

‘Was an den beiden Gesichtern der Baroness war Maske und was die Frau dahinter?’ Leuenhard wusste, dass sich die weisen Frauen, die Dienerinnen der Mutter, häufig verbergen mussten, ihr Wesen verhehlen, nicht jedem trauen durften. Für ihn war es aber heute wichtig, zu ergründen, wie sie es mit ihm meinte. “Wenn ihr mir kurz an die frische Luft folgen wollt? Ich kann ein wenig davon vertragen.”
Der werdende Vater führte Senola über den drei Stufen tiefer gelegenen Vorraum des Saals auf den steinernen Treppensims vor der Hauptpforte des Palas und über diesen auf den knarrenden Holzbalkon, der schließlich in den Wehrgang vor den Fenstern des Rittersaals mündete. Von dort öffnete sich der Blick gen Norden, zur jenseits der Ambla gelegenen Stadt Ambelmund.
Der Wind trug Feuchte, doch die Regenfälle des Morgens pausierten gerade, und trotz des strammen Windes, der dann und wann an ihren Gewändern zerrte, und der Kühle roch es nach Frühling. Dem Ambelmunder Frühling. Eine gewöhnliche Edeldame hätte Leuenhard sicher gefragt, ob ihr trotz der Witterung angenehm wäre. Diese hier aber wollte eine Dienerin und Deuterin der großen Mutter sein - er setzte voraus, dass sie deren raues Antlitz bereitwillig erduldete.
“Wir sind alleine, Wohlgeboren.” eröffnete er knapp das Gespräch. “Ich möchte mich daher nicht in Umschweifen verlieren - es bleibt nicht mehr viel Zeit bis zur Niederkunft meiner Gemahlin - ich will dann an ihrer Seite sein.” ‘Und wissen, was richtig und was falsch ist.’ fügte der Edle in Gedanken hinzu. “Seine Hochgeboren Ansgar hat mich in die alte Prophezeiung und ihre Deutung - Eure Deutung - eingeweiht. Er ist sehr… sehr überzeugt von dieser.”
Leuenhard stützte sich auf die Zinne und ließ seinen Blick kurz über die Stadt und die beiden Flüsse schweifen. “Ich bin ein treuer Vasall seiner Hochgeboren. Und ein treuer Diener der großen Mutter. Beide haben mich und mein Geschlecht mit großen Aufgaben belehnt. Niemals werde ich in meiner Treue beiden gegenüber wanken, bis zum letzten Atemzug werde ich alles geben, diesen gerecht zu werden. Wenn die große Mutter es will und mein Baron es verlangt, so bin ich bereit zu folgen! Und Opfer zu erbringen.”
Langsam drehte er sich wieder zu Senola um und blickte ihr grimmig in die Augen. “Aber ich zweifle an Eurem Urteil in dieser Sache - so entsetzlich schlüssig es auch klingen mag! Ich zweifle daran, dass es wahrhaftig der Wille der großen Mutter ist, den ihr aus diesen alten Sätzen erkannt haben wollt! Bevor ich das Blut meines eigenen, wehrlosen Kindes darbringe, will ich wissen, was Euch so sicher macht, dass die große Mutter danach verlangt!”

Rotlöckchen saß in sicherer Entfernung und beäugte den aufgebrachten Edlen interessiert. Als Spinnentier war es ihm zwar nicht möglich die Worte des Mannes zu vernehmen, doch fühlte er seine Emotionen. Angst … Unsicherheit … Zweifel. Ja, er war ein lohnenswertes Ziel für seine Herrin. Hier würde ihr Ansinnen auf fruchtbaren Boden fallen.

Mitfühlend legte sie ihre schlanken Hände auf die Seinen und blickte ihn ernst an. "Leuenhard, es ist eine schwere Prüfung, was Euch abverlangt wird. Ich bin mir dessen bewusst. Aber es ist auch eine Prüfung, wie sie nur starken Männern auferlegt wird. Ich weiß, dass Ihr ein solcher Mann seid. Blut ist Leben und daraus werden Kraft und Macht entstehen. Ihr habt diese Bürde zu tragen, zum Besten für Euer Land und die Menschen, die Euch vertrauen. Die große Mutter hat Euch dafür auserwählt und Euer Blut wird das Land in eine bessere Zukunft führen." Sie machte eine Pause und blickte über die Landschaft. Eine Windböe ließ ihr Haar wehen, aber es kümmerte sie nicht. "Es werden Zweifler auf Euch zukommen, die die Prophezeiung der Mutter zu ihren Gunsten ausnutzen wollen. Tsatuara hat sich noch nie geirrt und uns noch nie enttäuscht. Wollt Ihr denn wirklich bei der Geburt anwesend sein? Es ist nicht üblich. Schon eine normale Geburt kann Männern sehr zusetzen."

"Ich habe es schon gesagt, und glaubt mir, ich selbst bin bereit, mich jeder Prüfung zu stellen und jede Bürde zu tragen für mein Land und die Menschen, die auf mich vertrauen. Jede! Aber hier soll ich ein Leben opfern, das nicht mir gehört, ein Leben, das mir nur zum Schutz anvertraut ist, ein Leben, das sich nicht aus freien Stücken entscheiden kann, sich dahinzugeben." Leuenhard atmete schwer aus, eher er leise fortfuhr: "Ein Leben, das auch auf mich vertraut! Alleine schon deshalb ist es das mindeste, dass ich bei der Geburt dabei bin, egal ob es üblich ist oder nicht - es soll mir zusetzen, der Schmerz meiner Gemahlin soll sich ruhig ebenso wie das erste Schreien meiner Kinder auf Ewig in meine Seele brennen. Das alles ist nichts dagegen, was ich Celissa und meinem Kinde antun werde. Nichts!"
Leonhard entzog seine Hände dem Zugriff Senolas und stützte sich wieder auf der Brustwehr ab, während sein Blick in die Ferne ging.
"Tsatuara hat sich noch nie geirrt, sagt Ihr?" sprach er in den Wind, dann wandte er sich wieder der Baroness zu. "Da habt ihr Recht. Natürlich habt Ihr Recht! Ebenso, wie Rondra im Kampfe nicht zagt, Travia Heimstatt und Familie zusammenhält und" - er überlegte kurz, ob er den gestrengen Sonnengott der Tochter der Göttin gegenüber wirklich nennen sollte - "Praios selbst vielleicht immerzu wahrhaftig und gerecht sein mag. Aber es sind ihre menschlichen Diener, die der Mut auf dem Schlachtfeld verlässt, die die Liebe verlieren und die Ehe brechen und die nur allzuoft maßlos sind in ihrem Wahn, alles vermeintlich Falsche zu tilgen, oder ihre Macht missbrauchen. Wir Menschen sind anders als die Götter nicht unfehlbar... und, mit Verlaub, Ihr seid es auch nicht, obgleich ihr eine Auserwählte unter den Kindern der großen Mutter seid."
Sein Ausdruck wurde, den harten Worten zum Trotze, jäh weicher: "Versteht mich bitte nicht falsch. Ich will mich und mein Blut nicht dem Dienst und der Treue an der großen Mutter entziehen, die ich ihr wie alle Behüter vor mir geschworen habe. Aber ich bitte Euch, ich flehe Euch an, gebt mir irgendetwas an die Hand, das mich vertrauen lässt, heute wirklich den Willen der großen Mutter zu tun. Irgendetwas, dass mich wissen lässt, dass Ihr Euch in der Deutung der Prophezeiung nicht irrt! Das mich an diese mit ganzem Herzen glauben lässt."

“Auch das verstehe ich, Leuenhard. Schwere Zeiten verlangen schwere Entscheidungen. Ihr vertraut der großen Mutter und ich vermittle ihren Willen an die, um die sie sich sorgt. Würdet Ihr ebenso die Äußerung eines Geweihten der Zwölfe anzweifeln?” Sie hob ihre Augenbrauen und beobachtete jede Regung im Gesicht des Mannes. Ach, manchmal musste man die geistig Schwachen einfach etwas führen, um Chaos zu vermeiden. “Wollt Ihr mit mir etwas trinken? Einen ordentlichen Gebrannten? Das hilft. Glaubt mir, es ist nicht die erste Geburt, der ich beiwohne.”

"Mein Vertrauen in die Dienerschaft der großen Mutter und der anderen alten Götter ist so groß wie das in die Geweihtenschaft der Zwölfe, das versichere ich Euch." Größer sogar, als bei nicht wenigen der Zwölfe. "Und auch deren Worte würde ich hinterfragen, würden sie von mir ein solches ... Opfer fordern." Leuenhard hielt dem prüfenden Blick Senolas stand. "Mein Ahn Mikvard wurde vor bald fünf Jahrhunderten zum ersten Beschützer der Geheimnisse der großen Mutter im Tann. Seitdem erfüllt mein Geschlecht diese heilige Aufgabe, aber nach den Überlieferungen haben die alten Götter noch nie, wirklich noch nie die Darbringung eines derartigen Opfers verlangt. Tiere ja, aber Menschen? Noch nicht einmal die Rotpelze dienen so der Mutter. Könnt Ihr meine Zweifel da nicht verstehen?"
Der Wind hatte inzwischen aufgefrischt, und es begann wieder zu regnen. Leuenhard blickte in den grauen Himmel. "Es wird ungemütlicher. Einen Gebrannten im Trockenen können wir beide vertragen. Vielleicht könnt Ihr bei diesem noch meine Zweifel zerstreuen."
Leuenhard ließ Senola den Vortritt. Antworten auf seine Fragen hatte er bisher nicht erhalten.

Den Aufbruch der beiden nahm auch der Arachnide zum Anlass wieder zurück in den Thronsaal zu laufen. Frenya musste darüber in Kenntnis gesetzt werden.

***

Als Leuenhard sich von seinem Lehnsherrn entfernte, nutzte Frenya die Gelegenheit seine Bekanntschaft zu schließen. In den Augen der jungen Frau war Ansgar bloß ein weiterer Einfaltspinsel, der einer schlampigen Auslegung der Prophezeiung anhing. Tja, wenn diese Schnepfe Senola etwas weniger Zeit mit dem Kämmen ihrer Haare zugebracht und stattdessen gelernt hätte, dann wäre sie vielleicht etwas weiser, planender und in ihren Deutungen nicht so dümmlich impulsiv gewesen. Doch hatte eine direkte Konfrontation der Baroness zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Sinn. Um ihr Ziel zu erreichen musste sie Zweifel schüren und die Worte ihrer Schwester entwerten. Der Baron schrak auf als sich die Hofdame in Form einer wohlriechenden Duftwolke neben ihm ankündigte. "Es ist nicht das erste Mal …", begann sie grußlos, kryptisch und mit melodischer Stimme, die es bedauerlich erscheinen ließ, dass die junge Dame nicht öfters ihr Wort erhob, "... dass Ihr den Worten einer Dienerin der göttlichen Nährerin lauschtet und auch Glauben schenkt. Habe ich nicht recht?"

Verunsichert und mit großen Augen starrte Ansgar auf die aufreizende Erscheinung unter ihm herab - sogar bei ihrer Körpergröße konnte sie dem hühnenhaften Baron nicht auch nur im Ansatz das Wasser reichen. Nichtsdestoweniger war Bär von einem Mann von den wenigen Worten überrascht. “Ach, was! Ich weiß gar nicht, wovon Ihr redet!” Dann zogen sich seine Augenbrauen zusammen. “Und im Übrigen junge Dame, es gehört sich nicht, sich an einen Baron einfach so heranzuschleichen und ihn ohne ordentliche Ehrerbietung von der Seite anzusäuseln. Hat man Euch am Traurigen Stein keinerlei Anstand beigebracht?”, polterte er mit ausladenden Gesten. Das attraktive Äußere der mysteriösen Frau erzürnte ihn in diesem Moment mehr, als dass es ihn ablenkte.

Anstand? Wäre Frenya keine Meisterin der Selbstbeherrschung, hätte sie sich bei diesem Wort aus dem Mund des Barons zu einer unüberlegten Reaktion hinreißen lassen. Ein Mann, der wohl bereitwillig Kinder opfern würde, sprach in ihrer Gegenwart von Anstand und Werten. Stattdessen wanderten die Mundwinkel der Hofdame nach oben - zu einer Grimasse, die man mit viel Fantasie als ein Lächeln deuten konnte. "Oh ...", hob sie dann mit gespielter Enttäuschung an, "... und ich dachte, dass hier ... bei diesem Anlass ... Namen und Etikette eine eher untergeordnete Rolle spielen." Sie knickste höflich und hielt Ansgar dann ihre Rechte entgegen. Der Baron sah schwarz angestrichene und zu Spitzen gefeilte, lange Fingernägel, sowie überaus viel Silberschmuck. "Frenya vom Traurigen Stein, Euer Hochgeboren. Es ist mir eine Ehre." Der Baron packte die feingliedrigen Finger und schien sie schier mit seinen von abertausenden Stunden mit dem Schwerte schwieligen Pranken zu zerquetschen. Die junge Frau musterte den Hünen vor ihr aus seltsam funkelnden Augen. Wenigstens war er intelligent genug, ängstlich zu sein. "Nun denn, da wir den Umgangsformen genüge getan haben ... ich weiß warum wir hier sind und Ihr wisst es genauso. So erfreulich die Geburt des Stammhalters eines Edlen auch sein mag, hier geht es um viel mehr. Nun zumindest wenn man der Zunge einer hier Anwesenden glauben schenken mag." Es fiel Frenya schwer einen neutralen Ton zu wahren. "Hört Ihr denn öfters auf den Rat der weisen Frauen?"

“Ich höre auf den Rat aller weisen Frauen und Männer, die mir begegnen - sie müssen weise, der Rat klug und ihr Wunsch göttergefällig sein. Dann höre ich jedermann und jede Frau an. Aufs Alter kommt es da für mich nicht an. Habt ihr denn auch einen schlauen Rat, den ihr an den Mann bringen wollt?”, brummte er und wartete eine Erwiderung der Hofdame ab, allerdings nicht, ohne einen kurzen, nervösen Blick durch den Raum zu werfen.

“Göttergefällig wie ein … kleines … Opfer zum Wohle des größeren Ganzen?”, sie ließ die Gegenfrage im Raum stehen, wollte sie den Baron doch damit nicht gleich zu scharf konfrontieren. “Wenn Ihr einen Rat von mir wollt, dann sollt Ihr diesen auch bekommen. Oftmals lohnt sich ein zweiter … tieferer und … unvoreingenommener Blick auf eine Sache, die uns beim ersten Blick vielleicht schon glasklar scheint. Denn nicht selten trüben unsere eigenen Eitelkeiten und Wünsche den Blick.” Sie fixierte ihn mit ihrem dunklen Augenpaar und erstmals meinte Ansgar daraus mehr als Abweisung und Ausdruckslosigkeit erkennen zu können. “Ihr werdet heute eine Entscheidung treffen müssen. Viele Menschen in diesem Raum blicken zu Euch auf und Euer Wort hat Gewicht. Seid Euch dessen bewusst und hinterfragt Worte und Annahmen, auch wenn diese aus Euch selbst zu kommen scheinen. Urteilt und entscheidet nicht leichtfertig.” Frenya bezweifelte, dass es etwas brachte diesen tumben Klotz mit Worten zu bearbeiten. Nun, im schlimmsten Fall hatte sie auch noch andere Mittel und Wege ihn ihr gefügig zu machen.

Das ledrige Gesicht des Barons färbte sich zusehends rot. Diese Maraskantarantel von einer neureichen Edeldirne wagte es, seine Urteilsfähigkeit und seinen Einfluss in Zweifel zu ziehen. “Jetzt spuckt es schon aus und redet nicht um den heißen Brei herum, so als wären wir hier an einem Al’Anfanischen Grandenhof. Ich reiß Euch schon nicht den Kopf ab, wenn Ihr etwas sagt, was mir nicht gefällt”, schnappte er zornig. “Jedenfalls nicht sofort. Dieses ganze Gesülze stiehlt mir meine wertvolle Zeit; die Zeit, die ich brauche, um wichtige Entscheidungen zu fällen. Lasst Euch eines gesagt sein: In meiner Baronie, da habe ich das Sagen. Wer das bezweifelt, der hat noch immer zu spüren bekommen, dass es da kein Wenn und aber gibt. Meine Verantwortung kenne ich also nur zu gut.”

Die junge Frau ließ sich von diesem Ausbruch nicht beeindrucken. Äußerlich wahrte sie Ruhe, während in ihren Gedanken bereits die eine oder andere Möglichkeit aufpoppte, wie sie sich an diesem präpotenten Dämlack für diese Worte rächen konnte. Ihr derzeitiger Favorit war ein Fluch um ihn mit Impotenz zu schlagen - ja, wenn der Baron seinen Trampel von Eheweib nicht mehr besteigen konnte, würde ihn das lehren seine Zunge zukünftig in Zaum zu halten. "Worauf ich hinaus will, werdet Ihr erkennen wenn es soweit ist ...", sie verzog kurz ihren Mundwinkel und machte einen Knicks, "... ich würde doch nicht an Eurem Urteilsvermögen und Eurer Intelligenz zweifeln. Ihr werdet es erkennen und braucht niemanden, der Euch sagt was Ihr zu denken habt oder was Ihr als richtig zu empfinden habt, da bin ich mir sicher." Dann wandte Frenya sich zum Gehen. "Denkt an meine Worte und seid vorsichtig, Euer Hochgeboren." Die letzten Worte hörten sich an wie eine Drohung, doch wollte ihr regungsloses Antlitz und das Augenzwinkern nicht so recht dazu passen.

Ansgar ballte seine Faust und war schon kurz davor, diese in den Fenstersturz zu rammen, doch kurz bevor seine weiß hervortretenden Knöchel kalten Stein berührten, besinnte er sich eines besseren. So blieb es bei einem hingerotzten “Ts…”

Der Baron spürte etwas Weiches an seinen Beinen. Es war der Kater Selem, er kannte ihn, der ihm schnurrend eine Runde um die Beine strich und seinen Kopf wohlig an ihm rieb. Selem blickte auf und zwinkerte dem Baron zu. Dann drehte er sich um und ging einen Schritt Abstand haltend zu Frenya. Dort blieb er mit erhobenem Schweif stehen und fixierte sie aus grünen Augen.

Die Hofdame wusste wer, oder besser was der Kater vor ihr war. ´Wenn mir das Vieh zu nahe kommt, bekommt es einen Tritt´, dachte sie bei sich, während sie emotionslos in seine grünen Augen starrte. Nein, Frenya hatte keine Lust auf derlei Spielereien. Wenn Senola sie schon ausstallieren musste, dann sollte sie gefälligst selbst das Gespräch suchen und ihr nicht diese Flohtacke auf den Hals hetzen. Dennoch lenkte sie die Ankunft des Stubentigers so sehr ab, dass sie den krabbelnden Schatten hinter ihr an der Mauer übersah. Rotlöckchen huschte die steinerne Wand hinab und verschwand dann unter dem langen Rock seiner Herrin. Ein Ruck ging durch ihren Körper und die dunklen Augen der jungen Frau rollten zurück. Sie legte ihren Kopf schief, ein paar Herzschläge danach war wieder alles wie zuvor. Frenya musste los, soviel war ihr nun klar und sie durfte den Kindesvater nicht Senola alleine überlassen.

Als Frenya durch irgendetwas abgelenkt war und die Augen verdrehte, gab Selem ein grollendes Maunzen von sich. Schnell drehte er sich um und sprühte einen gezielten Markierstrahl gegen die unsympathische Frau. Dann schritt er stolz zu Selinde zurück.

Die derart markierte Frau zog kurz eine Augenbraue hoch, wirkte sonst jedoch ruhig. Sie murmelte ein paar Worte und strich mit ihren flachen Händen über den Rock. Von einen auf den anderen Moment war die beschmutzte Kleidung wieder sauber und wie neu. Auch Geruch blieb keiner zurück. Dennoch würde der Kater und seine Herrin ihr das büßen.

Das kurze, aber etwas laute Zusammentreffen der Hofdame und des Barons war natürlich nicht ungehört geblieben. Mutter Elva drehte sich zu den Beiden. “Aber, aber, heute ist kein guter Tag zum Streiten. Eine Geburt unter solchen Umständen ist für uns alle etwas …” Das Grummeln eines herannahenden Frühlingsgewitters unterbrach sie. Wie trat sie das Ungeborenen. Die Geweihte strich sich über ihren Bauch. “Nun, ich würde vorschlagen das sich jeder auf eine lange Wartezeit einstellen. Solch eine Geburt kann sich sehr lange hinziehen, vor allem die erste.” Die gedachte, beiläufige Bewegung der Hofdame ignorierte sie, doch hatte sie eine Ahnung was hier geschah. Die Töchter Satuarias, im Volksmund die Weisen Frauen oder einfach nur Hexen bezeichnet, waren ihr nicht fremd. In ihren jüngeren Jahren, als sie Aventurien bereiste, gehörte eine dieser zu ihren Freunden. “Wo ist eigentlich die Baronin, euer Hochgeboren?” fragte sie den Baron.

Frenya wandte sich auf die Worte der Geweihten hin zu ihr um. Wusste sie was hier und heute geschehen soll? Die junge Frau musterte Elva eingehend. Vielleicht war auch sie eine mögliche Verbündete für ihr Vorhaben. Die Traurigsteinerin nahm sich vor das Gespräch mit ihr zu suchen.

“Meine Teuerste ist auch guter Hoffnung, Euer Gnaden. Aber das wisst Ihr doch sicher.”, brummte Ansgar einen Moment, dann wurde sein Gesicht weicher. “Ich hoffe, es geht ihr gut. Die Schwangerschaft ist bisher nicht reibungslos verlaufen. Sie hat sich freiwillig in die Hände der Geweihtenschaft der Peraine gegeben, um Linderung ihrer Schmerzen zu erfahren. Ich bin mir sicher, es wird für sie gesorgt werden und es geht dem Kleinen gut.” In diesem Augenblick war zu sehen, dass die Aufmerksamkeit des Barons in die Ferne schweifte und die Nähe seiner Frau, die er aufrichtig liebte, suchte. Die schwere Geburt des heutigen Tages war dagegen in den Hintergrund getreten.

Elva zog überrascht ihre Augenbraue hoch und ergriff dann die Hände des Barons. “Die Nachricht wurde mir noch nicht überbracht. Wie weit ist sie denn? Nun, ich werde zu Travia beten, dass eure Familie sicher nach Hause zurückkehren wird. Versucht euch keine Sorgen zu machen.” “Tut das”, erwiderte der Baron eher unbeeindruckt. Dann strich sie ihm beruhigend über die Schulter. Dann drehte sie sich um und ging in die Richtung der Freitreppe. Zuvor musterte sie noch einmal die Hofdame vom Traurigen Stein. Gehört hatte sie viel über sie, doch wirkte sie harmloser als die Gerüchte erzählten. “Wie schön dass ihr seiner Wohlgeboren Basin begleitet. Werdet ihr ihn gesanglich Begleiten?”, fragte sie Frenya.

Kurz schien es als würde die Hofdame sich zu einer Reaktion hinreißen lassen - doch resultierte diese in nicht mehr als einem kurzen Naserümpfen. "Meinen Gesang würdet Ihr nicht hören wollen …", sie musterte den Ornat der Geweihten vor sich, "... Ehrwürden." Ob es wirklich schön war, dass Frenya hier heute anwesend war? Nun, ihr fielen ad hoc mindestens zwei Personen ein, die das auf keinen Fall so unterschreiben würden. "So eine Geburt ist ja ein erfreuliches Ereignis …", log sie, "... dennoch ist es selten, dass dafür soviele Adelige von weit her anreisen. Könnt Ihr Euch das erklären?"

Die Geweihte hob eine Augenbraue. Wollte die Hexe sie etwa prüfen? “Verzeiht, liebste Frenya, aber sind nicht fast alle wegen dieser Prophezeiung hier? Und soweit ich weiß ist den alten Häusern diese wichtig.”

Bisher hatte die Traurigsteinerin die Geweihte lediglich für unwissend gehalten - für ein hier bei dieser Geburt notwendiges Übel, das nach getaner Arbeit einfach übergangen werden würde. Dass Elva Bescheid wusste, überraschte Frenya dann doch. "In der Tat, Ehrwürden …", flüsterte sie, "... und ich werde nicht zulassen, dass einem Kind hier und heute etwas angetan wird. Das verspreche ich Euch. Ihr werdet mich gewaltsam von meinem Vorhaben abbringen müssen."

Nun wanderte auch die zweite Augenbraue hoch. “ Ich kann euch versichern, das hier keinem Kind etwas angetan wird. Das ist nicht meine erste Geburt und auch nicht die letzte. Aber danke für euer Angebot, doch kümmert euch lieber um die Dinge, von denne ihr etwas versteht. Und soweit ich weiß, gehört die Geburtshilfe und Heilkunde nicht dazu. Travia mit euch.” Emotionslos drehte sie sich um und ließ die Hofdame stehen.

Frenya sah der davon stapfenden Geweihten nach. Sie bezweifelte, dass Elva sich der Situation gewahr war, in welcher sie sich hier befanden. Sie unterschätzte es. ´Oh ja, und wie ich mich um das kümmern werde, was ich am besten kann. Das wirst du Gans sehen, sollte irgendeine Mirhamonette Senolas versuchen Hand an das Kind zu legen´, dachte sie bei sich, während ein grausames Lächeln über die Lippen der Hofdame huschte.

***

Als beinahe zehn Minuten vergangen waren, schlenderte Selinde in die angedeutete Ecke. Auf dem Weg dorthin nahm sie sich noch einen Becher Wein mit und nippte daran, während sie auf Heridan wartete. Sie warf kurz einen Blick durch das Fenster. Das nasskalte Wetter konnte ihre Stimmung nicht verbessern. Draußen wie drinnen war alles trüb und grau und ließ ein herannahendes Gewitter erahnen.

Der Ritter gesellte sich zu Selinde und sah neben ihr aus dem Fenster. Heridan fragte sich ob man draußen schon das aufziehenden Unwetter in der Luft riechen konnte. Ein Gewitter wäre ein klares Zeichen dafür, dass das was hier geschehen sollte, Rondras Zorn erregen würde. “Ihr wolltet mit mir sprechen, Wohlgeboren.” Eröffnete Heridan das Gespräch. Seit ihrer Verlobung kam ihm das sonst so vertraute ‘Du’ nur noch sehr schwer über die Lippen.

Das Wohlgeboren schnitt ihr ins Herz und sie zuckte unwillkürlich zusammen. “Bitte Heridan, lass uns beim Du bleiben. Es war nicht meine Entscheidung”, sagte sie traurig. Dann wandte sie sich zu ihm um. “Weisst Du, ich habe diese Aufgabe nur übernommen, weil ich gehofft hatte Dich noch einmal zu sehen. Und nun hängen wir in dieser Düsternis fest. Alle hier sind so… mißmutig. Es ist schon beinahe beängstigend.”

“Das geht nicht mehr, auch wenn ich mir etwas anders wünschte.” lehnte Heridan die Bitte Selindes schweren Herzens ab. Er machte das nicht um sie zu strafen, sondern zu ihrem Schutz. Verstand sie das nicht? “Wundert es Euch wirklich, dass die Stimmung so gereizt ist? Hier soll ein Neugeborenes der obskuren Prophezeiung einer … einer Prophezeiung geopfert werden. Ihr Götter, und scheinbar sind alle damit einverstanden.” Kaum verhohlene Entrüstung stand ihm ins Gesicht geschrieben, was aber nur Selinde und jemand außerhalb des Fensters hätte sehen können.

“D...Ihr glaubt also auch, dass sie dazu wirklich imstande wären. Trotz der Anwesenheit von Mutter Elva?”, besorgt blickte sie ihn an. Dann senkte sie die Stimme zu einem leisen Flüstern, dass nur er hören konnte: ”Ich bin nicht damit einverstanden und werde Elva beistehen, und Ihr? Kann ich auf Euch zählen?”

“Ich werde nicht zulassen, dass hier ein Kind irgendwelchen Götzen geopfert wird.” flüsterte Heridan ebenso leise zurück. Seine Hand hatte das Heft seines Schwerts fest umklammert. Er gab sich selbst eine Mitschuld an dem, was da bevorstand. In den letzten Jahren hatte er versucht den Baron von diesem alten Glauben wegzubringen, doch waren seine Bemühungen fruchtlos geblieben und nun...

“Das beruhigt mich sehr. Ich will das auch nicht, aber wie stellen wir das an? Weißt D… Wisst Ihr, wer noch auf unserer Seite steht?” Sie hatte offenbar Schwierigkeiten ihm gegenüber die Form zu wahren.

“Wir retten das Kind und bringen es weit weg, aus der Reichweite dieser Fehlgeleiteten.” Seine Faust landete auf dem Fenstersims. “Vielleicht würde uns Mutter Elva helfen und ich glaube Leuenhard hat ebenfalls Zweifel.” Er würde ihr erst von dem fertig gesattelten Pferd im Stall erzählen, wenn es notwendig wurde.

Sie dachte kurz nach, dann nickte sie: ”Gut.” Vielleicht würde sich durch diese Tat auch noch einiges anderes ändern. Vielleicht mochte sie gerade von Rahja geblendet sein. Aber sie hoffte, irgendwo tief in ihrem Innersten, dass sie vielleicht neu anfangen könnten. Sie können heiraten und das Neugeborene als ihr eigenes Kind ausgeben. Vielleicht…
“Wir müssen bei der Geburt dabei sein und brauchen einen Fluchtplan, der Baron wird sicherlich seine Wachen rufen und...meine Schwester wird sicherlich...zaubern.”

Heridan verfluchte sich für seine Eitelkeit und Dummheit heute im feinen Zwirn aufgetreten zu sein, anstatt gerüstet. Etwas, das er nachholen sollte. Unauffällig sah er sich nochmals im Raum um, ob sie auch wirklich nicht belauscht wurden, dann fuhr er fort. “Wir müssen es in den Burghof schaffen, dann wird sich etwas finden. Wir sollten mit den anderen beiden sprechen. Aber vielleicht solltet Ihr nicht darin involviert werden. Letztendlich würden meine Taten dann auch auf Euch zurückfallen. Das würde ich nicht wollen.” Zum ersten mal seit Beginn des Gesprächs, sah er Selinde direkt an und die Baroness konnte seine Sorge um sie in seinen Augen lesen.

Der Kater, der bisher ungewohnt artig Selinde um die Beine gestrichen war, rieb seinen Kopf an ihrem Bein, markierte in Richtung des seltsamen Mannes und versuchte dann auf Samtpfoten davon zu huschen, wie ein dicker, dunkler Schatten. Doch traf ihn der Stiefel des Ritters, begleitet von dessen dunklen Grollen und schleuderte ihn mit gehöriger Wucht durch den Raum. “So ein Mistvieh!” war der Ritter deutlich zu vernehmen, während er an seinem nassen Stiefel hinab sah.

Selinde sah Heridan entsetzt an: ”Das ist Selem, der Kater von Senola. Er...er wird ihr alles sagen.”

Alarmiert sah Heridan zu Selinde hinüber, dann preschte er lautlos fluchend los, um die Katze einzufangen, bevor sich diese gänzlich von dem Tritt erholen konnte.

Der Kater war flink auf den Beinen und sauste fauchend durch das Zimmer. Sein Schweif glich einer Bürste.

***

Etwas feucht waren sie geworden, doch war es für Leuenhard gleich, ob ihn die Nässe des Frühlingsregens oder die seines eigenen kalten Schweißes frösteln ließ. Und was draußen der Wind verschlimmerte, machte darinnen die Spannung, die unheilvoll lauernd im Rittersaal zu hängen schien.
Das Gespräch mit Senola hatte ihn genauso ratlos hinterlassen, wie er in dieses hineingegangen war - noch immer stand er hin- und hergerissen zwischen zwei schrecklichen Alternativen, beide gleichermaßen falsch wie vielleicht richtig - das Leben seines Kindes zu retten und dabei Ansgar und Tsatuara zu verraten, oder treu zu seinen heiligen Pflichten zu stehen und das Blut seines Erstgeborenen zu vergießen. Wenn er sich doch nur sicher sein könnte, dass es wirklich der Willen der Göttin wäre. Dann würde er das, was zu tun wäre, in der Gewissheit tun, dass ein größerer Sinn dahinter stünde, sie alle ihre Rolle in einem göttlichen Plan spielten und die Seele des unschuldigen Geschöpfes seiner Bestimmung folgend Aufnahme fände in der Herrlichkeit des Schoßes der großen Mutter. Waren seine Gedanken göttergesandte Fingerzeige seines Gewissens oder nur die eines feigen Zauderers, dem es an Vertrauen in seinen Lehnsherrn und die weisen Frauen mangelte? Noch nie in seinem Leben hatte er sich so elendig alleingelassen und verzweifelt gefühlt.
In diesen Grübeleien versunken war Leuenhard etwas hinter Senola zurückgefallen, eher er wieder in den Rittersaal trat. Mochte er für den flüchtigen Betrachter wie ein angespannter Vater vor der ersten Niederkunft seiner Gemahlin wirken, so offenbarte ein tieferer Blick in seine Augen die innerlichen Qualen, die er gerade ausstand.

Der Edle war immer noch in Gedanken versunken, als ihn von einen auf den anderen Herzschlag eine Duftwolke aus Rosenwasser und Lavendel umgab. Lautlos näherte sich die junge Hofdame dem Tannenfelser. "Es ist nicht so einfach, wie sie es sich vorstellt ...", begann Frenya grußlos und es war Leuenhard sofort klar, wen sie mit ´sie´ meinte, "... habe ich nicht recht?"

Ein kurzes, aufgeschrecktes Zucken durchlief Leuenhard, als er unvermittelt aus seinen kreisenden Gedanken gerissen wurde. “Woher wisst Ihr…” Er vollendete seinen Satz jedoch nicht, erschien er ihm doch schon während des Aussprechens töricht - wichtig war, dass die Dame offensichtlich etwas wusste - und seine Zweifel erkannte. Stattdessen schluckte er und nickte nur stumm. Mit den Augen deutete er zum westlichsten der Fenster des Rittersaals, wo sie - auch dank der Überdeckung durch das nunmehr laute Prasseln des Regens, das Toben der Böen und den rollenden Donner im Vertrauen würden sprechen können. Auf dem Weg versuchte er die Rickenhausener Hofdame unauffällig zu mustern. Sie war für ihn ein gänzlich unbeschriebenes Blatt, bisher hatte er Frenya vom Traurigen Stein lediglich für die - recht exotisch anmutende - Reisebegleitung des Baronets von Rickenhausen gehalten - für vertieftere Gedanken über sie hatte er am heutigen Tage bislang weder die Muße noch die Nerven gehabt.
Irgendetwas an ihrer Frage und der Art, in der sie diese stellte, sagte ihm jedoch, dass weit mehr hinter dieser Dame stecken könnte.
“Wisst Ihr, was genau sie von mir verlangt?” tastete er sich langsam in das Gespräch hinein.

Frenya musterte den Edlen eingehend. Es bestätigte sich jener Eindruck, der ihr von Rotlöckchen übermittelt wurde. Leuenhard zweifelte ... er war unsicher und deshalb auch ein willkommener Verbündeter für ihr Vorhaben. Am Kind selbst lag der Traurigsteinerin nichts. Sie hatte von Haus aus einen eher distanzierten Zugang zur Institution der Familie. Von ihren eigenen Eltern als Problemkind eingestuft und der Tradition folgend als Zweitgeborene in das Noviziat der Rahjakirche übergeben, wollte man sie stets weit weg der heimatlichen Gefilde wissen. Sogar ihre Ausbildung sollte sie weit fern der nordmärker Heimat ableisten, weshalb ihr Vater Vito seine Kontakte in die Markgrafschaft Drôl bediente um sie im dortigen Tempel der Schönen unterzubringen. Schon recht bald wurde jedoch offensichtlich, dass Frenyas Charakter nur wenig geeignet war um eine Zukunft als Rahjadienerin haben, bestach die junge Frau doch durch Gefühlskälte und einen leichten Hang zur Grausamkeit. Darüber hinaus wurde eine in ihr schlummernde, stark ausgeprägte magische Begabung offensichtlich. Ein Grund, warum die Traurigsteinerin in weiterer Folge von ihrer späteren Lehrmeisterin unter deren Fittiche genommen wurde. Isaura Sinescrúpolos war eine in Mengbilla sehr bekannte Traumkrautherstellerin, die in dieser Funktion dem Rahjatempel in der Stadt der Rosen zulieferte. So zumindest ihre öffentliche Tarnung, denn gleichzeitig war die betagte Frau, die für Frenya eine Mutterrolle einnahm, auch Oberhexe eines Zirkels schwarzer Witwen. Die Traurigsteinerin war ihr eine talentierte und gelehrige Schülerin, dennoch kehrte sie der Schlangengrube Mengbilla nach ihrer Ausbildung wieder den Rücken zu und fand ihren Weg in die Kyndocher Heimat zurück. Eine wirkliche Aussöhnung mit ihren Eltern kam nie zustande, dennoch ließ sie sich als Hofdame nach Gratenfels vermitteln, wo der Baron von Rickenhausen sie als einen wertvollen Zuwachs für seinen Hof empfand. Frenya selbst sieht darin seit jeher eine Aufgabe, die es ihr ermöglicht, von äußeren Einflüssen unbehelligt, wie die Spinne im Netz zu sitzen und ihre Intrigen zu spinnen. So auch hier und heute. Sie konnte und durfte nicht zulassen, dass Senola ihr Ziel erreichte.
"Ja, ich weiß was sie von Euch verlangt ...", antwortete die Angesprochene kühl, "... und Ihr tut gut daran zu zweifeln. Hier und heute muss kein Kind sterben." Es wurde Leuenhard schon bald klar, dass die Hofdame keine Frau der großen Worte war und auch sonst alles andere als zugänglich wirkte.

Abermals nickte Leuenhard. Die Hofdame wirkte nicht nur kaum zugänglich auf ihn, sondern auch vollkommen undurchsichtig. Aber sie teilte seine Zweifel, vielleicht als einzige hier im Raum außer Mutter Elva - wenn sie davon wüsste - bei der er sich aber nicht vorstellen konnte, dass man diese eingeweiht hatte. Sie hätte ihnen allen und besonders ihm schon längst schwere Vorwürfe gemacht.
"Ich kann und will ebenfalls nicht glauben, dass es der Wille..." Er überlegte kurz, ob er sie von seinem Glauben an die alten Götter wissen lassen durfte. Natürlich wusste sie Bescheid, sonst hätte sie ihn anders angesprochen. "... dass es der Wille der großen Mutter ist, ein Leben, dass sie schenkt, sogleich wieder auszulöschen, selbst wenn es ihr zum Opfer erbracht wird. Es fühlt sich... falsch an, ich kenne Tsatuara... anders." Der Edle suchte Zustimmung in ihren Augen, fand dort aber nur eine leere Spiegelung seiner selbst. Dennoch keimte Hoffnung in der Verzweiflung, Hoffnung, die seiner Stimme anzuhören war: "Wisst Ihr um die wahre Bedeutung der Prophezeiung?"
Bevor sie antworten konnte, fügte er hinzu: "Ihr seid doch auch eine der weisen Frauen, oder?"

Auf die letzte Frage des Edlen hin schob Frenya für einen Herzschlag ihre Augenbrauen zusammen. Sie hoffte, dass Leuenhard aus einer Vermutung hinaus einfach ins Blaue hinein gefragt hatte und sie nicht ihre Tarnung hatte schleifen lassen. "Ich finde es bedenklich ...", hob sie dann an und ihre sonst wohlklingende Stimme verkam zu einem seltsamen Fisteln, "... dass Ihr fähiger seid das Wesen der großen Mutter zu deuten als eine hier Anwesende, die sich ihre Priesterin nennt." Frenya wusste, dass ihr Zirkel eine Zusammenarbeit mit den Schweinsfolder Hexen wünschte, doch hatte die Traurigsteinerin für Senola nichts als Verachtung übrig. "Ich habe keine Ahnung welcher Dämon einen reiten muss, dass man denkt, die große Mutter ... die Lebensspenderin ...", sie betonte das letzte Wort deutlich, "... würde nach einem Menschenopfer verlangen. Noch dazu das Opfer eines Neugeborenen." Die enttarnte Hofdame rollte mit ihren Augen. Leuenhard konnte erkennen wie sich auf dem Rücken seines Gegenübers ein krabbelnder Schatten bewegte, der im nächsten Moment auf ihrer Schulter zu sitzen kam. Er sah eine etwa ein Spann große, schwarze Spinne mit roten Härchen am Leib, die ihn aus acht Augen musterte. Frenya seufzte als sie sich dessen gewahr wurde. "Sogar Rotlöckchen ist ob diesem absurden Gedanken ganz außer sich." Dennoch ließ sich die Hexe in ihrem seltenen Redeschwall nicht bremsen. "Und das wofür? Um die Praioskirche oder den ungeliebten Lehnsherrn zu schwächen? Ich selbst habe lange in einer Stadt gelebt, wo der Glaube an den Sonnengott verboten war, ihm gilt meine Loyalität nicht ...", es war albern, dass eine Tochter Satuarias dies klarstellen musste, "... ich habe nur ein Problem mit selbstsüchtigen Schwestern, die mit solch stümperhaften Deutungen versuchen unterbelichtete Geister für ihre Zwecke zu missbrauchen. Tsatuara ist keine Kriegstreiberin und die letzte, die nach einem Menschenopfer verlangen würde - tief in Euch wisst Ihr das selbst." Frenya stoppte und straffte sich. Es kam selten vor, dass sie sich in so etwas wie Rage redete. "Wenn Ihr Euer Kind retten wollt, dann helfe ich Euch dabei. Ich bin wahrscheinlich die Einzige hier, die das Profil hat Senolas Pläne zu durchkreuzen, aber ich brauche Eure Hilfe."

Der Tannenfelser zuckte unwillkürlich zurück, als ihm acht weitere, regungslose Augen von der Schulter der Hexe entgegenstarrten. Also war seine vage Vermutung, die sich lediglich aus ihrem Wissen über Senola und der Art, in der sie über die Prophezeiung sprach, gespeist hatte, richtig. Leuenhard zwang sich, wieder in Frenyas Augen zu blicken. Der kleine Hoffnungskeim in ihm begann zu treiben. Wenn eine Priesterin Tsatuaras höchstselbst seine Zweifel so nachdrücklich teilte, so mochten diese am Ende vielleicht doch kein Verrat an der großen Mutter sein, dann war doch nicht er der Verirrte, der zu schwach für den Dienst an der Göttin war.
Kopfnickend stimmte er immer wieder den Worten der Traurigsteinerin zu. Wie Recht sie hatte. Was ihn als vermeintliche Schwäche gequält hatte, an ihm genagt hatte, war die Wahrheit seines Gewissens. Und seiner Liebe zu seiner Frau, seinen Kindern und der Göttin. Er hätte diesen von Anfang an vertrauen sollen.
“Ja, ich will mein Kind retten! Und ich will Euch helfen, Senolas Pläne zu durchkreuzen, mit all meiner Kraft!” Er hielt kurz inne und deutete mit einer angedeuteten Kopfbewegung hinüber zu Ansgar. “Aber wir müssen dafür den Baron aus ihren Fängen befreien. Wir können vielleicht gegen ihn mein Kind retten. Wenn Ansgar und ich aber heute als Feinde auseinander gehen, - würde ich mein Lehen verlieren - doch um mich geht es dabei gar nicht - wenn der Baron und ich uns heute entzweien, werde ich als Verräter meiner Aufgabe, meinem Dienst an der Göttin nicht länger nachkommen können. Was heilig ist, nicht mehr bewahren können… ich müsste es dem Griff eines Fehlgeleiteten überlassen... Wir müssen ihn zur Besinnung bringen!”

Frenya wirkte wenig begeistert. Sie konnte den Baron schon ganz gut einschätzen. Er war ein Mann, der in seinem Denken wohl zu unelastisch und beschränkt war um seine Meinung zu ändern. Vor allem weil Senola bestimmt auch bewusst war, dass Ansgar hier ihr großer Verbündeter sein würde und sie es nicht zulassen wird ihn zu verlieren. “Das heißt, wenn es hart auf hart kommt, würdet Ihr Euch für Senolas Machenschaften einspannen lassen um den Baron nicht gegen Euch aufzubringen?” Es war mehr eine Feststellung denn eine Frage. “Ich werde versuchen mich um ihn zu kümmern. Wir hatten zuvor schon das Vergnügen … er wirkte … uneinsichtig, also macht Euch keine zu großen Hoffnungen.” Die Hofdame wandte sich kurz ihrer Spinne zu, die daraufhin über ihr Dekollete und ihr Mieder hinunter krabbelte und unter ihrem langen Rock verschwand. “Sprecht derweil mit den anderen, von denen Ihr denkt, dass sie auf unserer Seite stehen. Mutter Elva vor allem und auch die Schwester Senolas … diese Selinde. Sie trägt ein Rondraamulett und ist bestimmt empfänglich für den Gedanken ein unschuldiges Kind zu retten.”

"Das heißt: Entweder wir bringen Ansgar von seinem Ansinnen ab - oder es wird Blut fließen. Müssen." Leuenhard ließ offen, wessen Blut er meinte. In seinen letzten, langsam gesprochenen Worten schwang jedenfalls eine Mischung aus grimmiger Entschlossenheit und kaltem Grauen. Während er den Weg der haarigen Spinne über seine neue Verbündete verfolgte, wurde ihm gewahr, welch dunklen Pfad er längst betreten hatte. Aber nicht er selbst hatte diesen gewählt, und auch die schwarze Frau vor ihm trug keine Schuld - Senola und Ansgar hatte ihn auf diesen gestoßen. Wieder blickte er in Frenyas dunkle Augen: "Es sei denn, wir finden Verbündete für eine List, die sowohl das Leben meines Kindes als auch den Frieden in diesen Landen wahrt..."
Er sann über die Worte der Priesterin. "Bei Selinde und auch Heridan weiß ich nicht, woran ich bin. Beide kenne ich als rechtschaffen und ritterlichen Idealen verpflichtet. Aber das ist Ansgar eigentlich auch - und Heridan ist ihm treu ergeben, ebenso wie Selinde mir vorhin in den Weg trat, als ich wohl allzu forsch auf ihre Schwester zuschritt. Ob am Ende Lehnseid und Blutsbande nicht über die Ideale, denen diese dienen sollten, obsiegen werden, vermag ich nicht zu sagen. Ich werde es aber ausloten. Doch zuallererst muss Mutter Elva wissen, was hier gespielt wird." In welchem Netz sie mit allen anderen gefangen saß. Nur, dass die Spinne hier vielleicht ihre einzige Hoffnung war.

Leuenhard meinte den Anflug eines Lächelns auf ihren Lippen erkennen zu können. Kein herzliches, sondern eher ein Furcht- und Respekt einflößendes. “Sollte es soweit kommen, dass Blut vergossen werden muss, dann werde ich von Euch nicht erwarten, dass Ihr Eure Hände schmutzig macht. Nur eines ist mir klar; es wird nicht das eines Eurer Kinder sein.” In den Nordmarken waren Spinnenhexen eine Rarität und die Menschen wussten sie nicht einzuschätzen. Frenya war sogar der festen Überzeugung, dass sie die einzige ihrer Schwesternschaft im gesamten Herzogtum war. Im Süden des Kontinents und auf der Insel Maraskan jedoch waren sie gefürchtet - auch als Giftmischer, Mörder und Attentäter. Die Traurigsteinerin trug selbst einen verborgenen Giftdolch am Körper und sie war gewillt diesen zum Einsatz zu bringen - so dies vonnöten war. “Aber wir hoffen doch, dass es nicht soweit kommen mag”, schloss sie mit einem Knicks und ließ den Edlen dann stehen.

***

Fast unbemerkt war Basin mit seiner Laute zurückgekehrt und hatte auf einem Hocker in einer Ecke des Saales Platz genommen. Ein paar schräge Töne erklangen, als er sein Instrument stimmte, was Absicht war, um die Aufmerksamkeit der Gäste zu erregen. Dann stimmte er leise die Ballade vom Namenlosen Wanderer an, der in sturmdurchtosten Nächten durch die Lande zog, um mutterlose Seelen mit auf seine Wanderschaft zu nehmen. Doch wer sich des Segens der Mutter erinnerte, wenn es in solchen Nächten bei Blitz und Donner an die Tür klopfte, der war sicher vor dem düsteren Gesellen mit der Silberzunge und konnte sich am nächsten Morgen des Sonnenscheins und eines langen Lebens erfreuen. Die Melodie wechselte von traurig über bedrohlich zu hoffnungsvoll, so dass hier hoffentlich jeder das für sich herauslesen konnte, was er oder sie brauchte, um ein wenig Ablenkung zu finden.

Auf ihrem Rückweg vom Kindesvater bemerkte Frenya das Spiel des Baronets. Das Schlachtopfer eines neugeborenen Kindes mit Lautenklängen zu begleiten traf ja fast schon wieder den Humor der jungen Frau. Sie stellte sich etwas abseits in die Schatten und schickte Rotlöckchen aus um den Baron im Auge zu behalten.

Der werdende Vater war schwach, soviel stand fest. Schwach und eine Gefahr. Der Alkohol hatte hoffentlich seine Nerven etwas beruhigt. Frenya fing ihn natürlich sofort ab, um ihn in ihr Spinnennetz zu wickeln und dann langsam auszusaugen. Senola ignorierte beide und ging zum Baron. "Hochgeboren, es gibt ein Problem. Der Tannenfelser ist schwach. Der würde sich schon bei einer normalen Geburt einnässen." Sie schüttelte den Kopf und spielte mit dem grünen Halbedelstein an ihrer Silberkette. "Er darf bei der Geburt nicht dabei sein. Am besten wäre es...wenn er schlafen würde."

Leise Worte die Basin nicht entgangen waren.

“Dass er schwach ist habe ich leider auch schon zur Kenntnis nehmen müssen”, knurrte der Baron. “Aber er ist mein Lehensmann.” Ansgar drehte sich zu Senola um und schaute ihr tief in die Augen. “Ich respektiere Euren Rat, weise Frau, aber wagt es ja nicht, Hand an einen der Meinigen zu legen. Das ist ausgeschlossen! Ich werde schon dafür sorgen, dass Leuenhard wie ein anständiger, tapferer Ehemann hier verweilt.”

Basin beendete leise seufzend sein Spiel. Wie schon von ihm erwartet hatte kaum einer der Gäste davon Notiz genommen. Er stellte die Laute in eine Ecke, als er zufällig Wortfetzen des Gesprächs zwischen Senola und dem Baron mitbekam. Eine Gänsehaut lief ihm über den Rücken. Was hatte das zu bedeuten? Was meinte Senola damit? Er blieb im Schatte der Recke stehen und tat so, als müsse er etwas an seiner Laute justieren, während er weiter zuhörte.

Senola nahm Selems Fauchen wahr und drehte sich um. Was für ein widerliches Spiel sollte das sein ? Der Kater floh vor dem Ritter und ihre Schwester, anscheinend unfähig, auf die Katze aufzupassen stand regungslos da. “SELINDE !” Da war was im Busch.

Erschrocken drehte sie sich zu Senola um, dann aber kam die aufgestaute Wut der letzten Jahre in ihr hoch und sie blaffte zurück:”Senola! Ich habe Dir schon tausend mal gesagt, dass Du Deinen Kater besser erziehen sollst! Ständig pisst er Leute an, da ist es kein Wunder, wenn einer mal wütend wird. Dein Mistvieh hat selber schuld.”

***

Für einen kurzen Moment noch sah Leuenhard in sich gekehrt aus dem Fenster und ließ das Gespräch mit Frenya nachhallen. Ein besonders heller Blitz, rach gefolgt von einem lauten Grollen weckte ihn jedoch aus seinen Überlegungen. Das Zentrum des Gewitters war nun sehr nahe, bald schon würde es über direkt ihnen sein. Es galt keine Zeit zu verlieren.
Aber er durfte noch nicht zu offen handeln. Es kostete ihn einige Mühe, seinen Schritt zur Tafel und den Krügen betont gemächlich zu halten. Diese Art von Heimlichkeit war nicht das seine. Seine innere Anspannung ließ ihn allzu schwungvoll einschenken, und ein überschießender Schuss des Weins ergoss sich über den Tisch. Er überging sein Malheur, nahm einen kleinen Schluck und ging zu der Travia-Geweihten, die noch immer im Raum weilte.
"Wollt Ihr mit mir nochmals nach meiner Gemahlin sehen, Mutter Elva?" bat er diese gut vernehmbar, äußerlich noch immer wie ein etwas aufgeregter werdender Vater wirkend. Das Flehen in seinen Augen und das hinter dem erneut angesetzten Weinbecher kaum vernehmlich hinterher gehauchte "alleine" verdeutlichten aber die hohe Dringlichkeit seines Anliegens.

Ansgar hatte die Bitte des jungen Vaters vernommen - das “alleine” war dabei unbedeutend, es reichte, dass der junge Mann meinte, dabei sein zu müssen, wenn nach seiner Gattin gesehen würde. “Leuenhard”, polterte er mit lauter, sonorer Stimme quer durch den Raum. “Du bleibst schön hier Junge! Das ist eine Geburt und keine Schlachtplanung. Du kannst deiner Frau nicht helfen, das weißt du doch. Jetzt bleib hier auf deinem Allerwertesten sitzen und beruhig dich.”

Wenn Ansgar wüsste, wie sehr das ganze eine Schlachtplanung werden sollte, würde ihm das Witzeln wahrscheinlich im Halse stecken bleiben. Als Witzeln wollte Leuenhard Ansgars Worte nämlich abtun - bei dessen auch ansonsten recht herzhaften Umgangston würde ihm niemand die Missachtung einer Weisung seines Lehnsherrn vorwerfen können. "Vielleicht kann ich meiner Gemahlin nicht helfen. Aber nach ihr sehen. Wie es aussieht, werden wir noch lange genug hier herumsitzen und warten!" gab er zurück. Sein Blick suchte den Elvas. Vielleicht würde sie ein Wort sprechen. Oder wenigstens schnell genug mit ihm zur Kammer gehen.
Auf einmal hörte Leuenhard ein Fauchen und sah Heridan hinter der Katze Senolas herjagen, gefolgt vom Gezeter der Schweinsfolder Schwestern. Aller Aufmerksamkeit richtete sich, so hoffte er, auf das in diesem Rahmen bizarr anmutende Geschehen. Die seine nämlich nur kurz, stattdessen ergriff er geistesgegenwärtig die sich bietende Gelegenheit und schob die überraschte Travia-Geweihte sanft in Richtung des Geburtszimmers.

Da legte sich die Pranke des Barons auf seine Schulter. Noch packte er nicht richtig zu, aber den Druck der sich schließenden Hand spürte er doch. “Was genau hast du an ‘hiergeblieben’ nicht verstanden? Männer haben da nichts zu suchen! Das ist ein heiliger Moment, so eine Geburt. Du wirst ihn entweihen und Unglück über deine Frau und deine Kinder bringen.”

Nun war es an Mutter Elva das Wort laut zu erheben. “BEI TRAVIA! WAS IST DAS HIER FÜR EIN GÄNSESTALL! JETZT ALLE MAL RUHIG!” brach es aus ihr zornig heraus. Bis auf Selinde und Senola kannte niemand der Anwesenden die aufgebrachte Seite Elvas, etwas was zu Hause fast jeder vermeiden mochte. Wütend schaute sie in die Runde. Mit wenigen Atemzügen beruhigte sie sich wieder. “Nun hört mir alle zu. Ich weiß das es eine nervenaufreibende Situation ist. Und ich weiß das jeder hier Zeuge einer möglichen Erfüllung einer Weissagung sein möchte. Doch ich bitte Euch, solange keines der Kinder Dere erblickt hat, ruhig zu bleiben. Ich bin hier. Und alle sollten nun auf Travia vertrauen.” Noch bevor irgendjemand etwas antworten konnte sprach sie mit erhoben Zeigefinger weiter. “Das hier ist jetzt der Moment der Götter. Also spart euch eure Luft, nehmt ein Wein und lauscht Basins schöne Klänge!” Noch verärgert schubste sie nun Leuenhard . “Und ihr, kommt mit. Viel Zeit habe ich nicht.” Dann ging sie auf der Freitreppe voran.

Hinter der Kammertür war - durch einen schweren Vorhang vom restlichen Zimmer abgetrennt - ein kleiner Vorraum. Hier würden sie ungestört sprechen können, noch ohne seine Celissa mit dem Grauen hier zu beschweren.

Mit ungeduldigen Blick mustert Elva den werdenden Vater. Hinter der Tür zum Schlafgemach hörte man Celissa, die schmerzhaft stöhnte.

Leuenhard drückte die schwere Holztür hinter sich zu und schob, so leise es ihm möglich war, den schweren Riegel vor.
Dann drehte er sich zur Travia-Geweihten hin. Sie wusste ohnehin schon von ihrer aller Glauben an die alten Götter und die Prophezeiung. Es gab also nichts mehr zu verlieren und zu verbergen, nur schlimmes zu verhindern: "Mutter Elva, Ihr müsst mich anhören!" flüsterte er auf diese ein. "Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was hier noch geschehen soll. Die Erbbaroness von Schweinsfold, sie ist eine Priesterin der großen Mutter Tsatuara. Sie glaubt, dass zur Erfüllung der Prophezeiung..." Leuenhard stockte kurz, "dass die große Mutter danach verlangt, das Erstgeborene meiner Kinder... als Menschenopfer darzubringen." Jetzt war es ausgesprochen. "Der Baron befindet sich in Senolas Fängen und teilt ihren Willen. Er hat mir geheißen, zu tun, was sie verlangt. Ich weiß nicht, wer von den anderen draußen im Rittersaal noch von diesen Plänen weiß, sie mitträgt oder ablehnt - nur von Frenya vom Traurigen Stein darf ich davon ausgehen, dass sie diese vereiteln will." - so sicher er sich bei dieser sein konnte, aber was blieb ihm anderes übrig.
Nachdem er die prekäre Lage zunächst zwar in atemloser Hektik, aber noch recht nüchtern beschrieben hatte, brachen sich im Angesicht der Geweihten nun zunehmend heftig seine Schuldgefühle die Bahn: "Mich aber... mich trifft die schwerste Schuld!" Bei diesen Worten füllten Tränen seine Augen, und er fiel wie ein Büßer vor Elva auf die Knie. "Ich habe von alldem gewusst und bin nicht dagegen eingeschritten, als noch mehr Zeit gewesen ist. Weil ich nicht wagte, mein Gewissen über den Ratsschluss meines Lehnsherrn und einer Priesterin zu stellen. Weil ich den vermeintlichen Frieden in der Baronie als höheres Gut abwog als das Leben meiner Kinder. Meine Aufgaben in diesem Land über dem Wohl meiner Familie sah. Und dem Heil meiner Seele. Und weil ich nicht auf mein Herz hörte, als dieses mir sagte, dass es keiner guten Göttin Willen sein kann, zu tun, was dieses Weib will. Ich weiß nicht, ob die große und die gütige Mutter und alle anderen Götter mich dafür verdammen werden, ob Celissa mir dafür jemals vergeben kann - hier und jetzt spielt es keine Rolle.” Als auch dies raus war, straffte sich der Edle wieder: “Ich will, ich muss verhindern, dass eines meiner Kinder so zu Tode kommt. Und dabei, wenn irgend möglich, den Frieden in dieser Baronie bewahren, Ansgar zur Vernunft bringen. Wollt Ihr... Wollt Ihr mir dabei helfen?"

Die schallende Ohrfeige traf den Edlen unerwartet. Dann zog sie ihn mit einem kräftigen Griff wieder auf die Beine. Ein Akt, den man der Tempelmutter nicht unbedingt zugetraut hätte. “Jetzt lasst diese Gejammere! Bevor ihr den Baron und die Baroness solcher Taten bezichtigt, solltet ihr sicher sein. Glaubt ihr etwa, dass ich bei solch Untaten mitmachen würde?” Zornig funkelte sie Leuenhard an. “Die Baronin Tsasalda selbst hat mich gebeten sich dieser Geburt anzunehmen. Mutter wie Tochter respektieren und verehren die Zwölfe!” Das sie nicht ganz grün mit der Praioskirche waren, ließ sie dabei aus. “Ich habe schon viel gesehen in meinem Leben. Wenn ihr glaubt das ich eine Heimgans bin, dann habt ich ihr euch getäuscht. Wart ihr schon mal im Al´Anfanischen? Nein? Ich schon!” Elva zog die Luft tief ein und versuchte sich zu beruhigen. Sie griff den Edlen an die Schulter und blickte ihn nun tief in die Augen. “Ist euch schonmal der Gedanke gekommen, das mit der Mutter, die heilige Mutter Travia gemeint sein kann? Als ordentlicher Gläubiger der Zwölfe wäre diese Prophezeiung sehr leicht zu deuten. Bei jeder Geburt fließt Blut. Und ganz sicher bei dieser. Dazu muss niemand verletzt oder getötet werden. Und das Opfer an die Mutter des Landes … ein Fingerzeig das Kind IHR zu überlassen. Der Mutter TRAVIA.” Die Geweihte wartete einen Moment. “Und wenn das Zweitgeborene wirklich ein Mädchen ist, dann wird alles Sinn machen. Das Erstgeboren wird im Sinne der Mutter opfern, besser gesagt, dienen. Das Zweite zu einer geborenen Herrscherin heranwachsen und … so leid es mir tut, euch frühzeitig Ablösen. Wie ihr seht, die Nordmarken sind in guten Händen.” Nun war ihre Wut wieder abgeebbt. Dann schlug sie wieder einen versöhnlichen Ton an. “Ich weiß nicht, was eure Aufgabe in den Wäldern ist. Tut was ihr tun müsst, um unseres Land zu beschützen. Und ich tue, was ich tuen muss, und zwar diese Kinder gesund zur Welt zu bringen! Sie werden unter Travias Segen stehen, und niemand wird umgebracht! Das kann ich euch versprechen. Solltet ihr die Weissagung so verstehen wie ich, bin ich gewillt, euer Kind in den Schutz der Gänsegemeinde aufzunehmen. So und nun geht wieder zu den anderen und löst das Missverstehen.”

Die hatte gesessen! Und er hatte die Ohrfeige der resoluten Geweihten mehr als redlich verdient. Betreten hörte Leuenhard zu und wog ihre Worte. Ihre Deutung der Prophezeiung gefiel im zunächst weit besser als die Senolas, sie klang eingängig und voll Licht, wo in derjenigen der Baroness Dunkelheit lag. Wenn es der Wille der Götter war, dass sein erstgeborenes Kind der gütigen Mutter Travia dient und seine zweitgeborene Tochter, alleine als Erbin aufgezogen und alle gute Kraft der Eltern auf sich vereinend, ihn dereinst vorzeitig zum Wohle des Landes ablöst, so sollte es so sein. Besser und richtiger als sein Kind als Blutopfer darzubringen, eines, das die große Mutter sicher nicht wollte. Aber restlos überzeugt von der Richtigkeit der Deutung Elvas war er nicht. Bereits einmal war er einer vermeintlich eindeutigen Interpretation aufgesessen. Und in einem wusste er es besser als die Geweihte - Senola war alles, aber keine fromme Dienerin der Zwölfe. Nicht primär. Und sie hatte sehr wohl die Absicht, sein erstgeborenes Kind zu töten.
“Eure Deutung - ich möchte ihr gerne Glauben schenken. Wenn Travias Segen und Euer Wirken meinen Kindern heute das Leben schenken und retten, und wenn dies die Bedeutung der alten Worte ist, so will ich mein Erstgeborenes dem Schutz der Gänsegemeinde anvertrauen!” gelobte der Edle. “Zuvor will ich versuchen, den Baron und die Baroness davon zu überzeugen, dass nicht das mit der Prophezeiung gemeint ist, was sie glauben, und sie von ihrem Vorhaben abbringen. Doch weiß ich nicht, ob mir dies gelingen wird. Darum bitte ich Euch, verriegelt diese Pforte hinter mir und habt auf Euch und meine Liebsten Acht.”

Die Geweihte verdrehte die Augen und seufzte.” Es reicht jetzt. Ich rufe euch, wenn ich euch brauche, Leuenhard.” Damit schob sie ihn zur Türe raus. “Soweit kommts noch, dass hier Pforten verschlossen werden, wo sind wir denn hier …”, brabbelte sie vor sich hin und ging zur werdenden Mutter.

***

Nun brachen sich die Regenwolken endgültig und mit ihr ein ganzes Frühlingsgewitter. Ein kühler Windzug zog durch den Rittersaal während sich Selem hinter einer alten Ritterrüstung kauerte. Die beiden Schwestern standen noch immer voreinander, nicht die wütenden Blicke voneinander lösend. Baron Ansgar schaute der Geweihten und seinen Edlen hinterher, nur um sich dann wieder in den Raum zu drehen und den Blick Basins zu suchen. Das wiederum Heridan und Frenya nicht entging.

Da Gewitter hatte sie kurz innehalten lassen. Wo war Selem ? Deutlich freundlicher als zuvor wandte sie sich an Selinde und fasste sie an der Schulter. “Selinde. Was war da los ? Du weisst doch, wie wichtig er ist. Die Lage hier ist angespannt genug.” Sie flüsterte, so dass nur ihre Schwester sie hören konnte. “Was hast du mit diesem Kerl gesprochen ?”

Mit einem bösen Funkeln in den Augen flüsterte sie schnippisch:”Wir haben über alte Zeiten gesprochen, Schwesterherz. Das wird mir ja wohl noch erlaubt sein.”

Senola hob das Kinn, zwickte die Augen zusammen und glaubte ihrer Schwester kein Wort. “So, so. Über alte Zeiten. Schwester, dann ist ja alles in Ordnung. Blut ist dicker als Wasser, Schwesterherz. Ich verlasse mich auf dich.”

Leider war das Tier klug genug, nicht mehr in die Nähe des Ritters zu kommen. Ansonsten hätte dieser dem Kater den Gar ausgemacht. So musste er sich darauf beschränken, Senola böse anzufunkeln. “Wohlgeboren, wenn mir diese Katze nochmal zu nahe kommt, drehe ich ihr den Hals um. Ich hoffe, wir verstehen uns.”

“Mein lieber Herr.” Senola strich dem Ritter ein Staubkorn von der Schulter. Oder ein Katzenhaar ? “Damit wir uns richtig verstehen. Wenn Ihr meiner Katze etwas tut, werde ich sehr erfinderisch sein, bevor ich Euch den Hals umdrehe.”

‘Probiert es!’ schien sein drohender Blick zu sagen, aber die Baroness konnte noch mehr darin erkennen. Für einen winzigen Moment schien es, als würde sie einem ausgewachsenen Wolf gegenüberstehen, der sie als Beute betrachtete. Dann wandte sich Heridan mit einem abfälligen Lächeln und einer spöttischen Verbeugung von ihr ab und ging zurück zum Kamin...

Mal wieder ein Mann,der sich überschätzt. Sie zuckte mit den Schultern.

Der Zorn stand dem Baron auf der Stirn. Er war von einer verfluchten Geweihten der Gänsemutter in seinem Thronsaal abgekanzelt worden wie ein Praiostagsschüler. Doch getraute er sich nicht, Widerworte gegen eine Priesterin zu erheben - und sei sie auch eine der neuen Götter. Deswegen musste Basin als Ventil seiner Wut herhalten. “Jetzt spiel schon weiter”, brüllte er quer durch den Raum. “Du hast sie ja gehört! Wir wollen deine Künste würdigen können. Nicht so schüchtern!” Wie geheißen schüttete er sich zudem einen Becher Wein auf einmal in den Mund, sodass ihm der rote Saft in den Bart lief und sein schönes Wams besudelte.

Basin duckte sich unwillkürlich unter den harschen Worten des Barons, aber gleich darauf loderte der Zorn in ihm auf. Er war kein Lehensmann dieses ungehobelten Kerls und dieser hatte ihm nichts zu befehlen. Zwar nahm er seine Laute wieder auf, aber das hinderte ihn nicht an einer angemessenen Replik. “Sicher werde ich weiterspielen, wenn der Herr Baron es wünscht. Damit wenigstens diejenigen ein wenig Trost und Ablenkung erfahren mögen, welche meine Kunst zu würdigen wissen.” Damit fing er wieder an zu spielen, allerdings diesmal ohne Gesang, da er gerade seiner Stimme nicht traute. Sein Blick streifte Frenya. EIn wenig wünschte er nun ihre kalte Beherrschtheit für sich selbst.

Als der Blick des Barden jenen der Hofdame traf, schien es, als würde diese eine Augenbraue hochziehen. Eine Reaktion, die jedoch nicht Basin selbst galt, sondern der Situation und dem Ausbruch des Barons. Was für ein tumber, ungehobelter Klotz. Aber was sonst sollte man von einem Hinterwäldler erwarten? Insgeheim hoffte sie, dass Leuenhard Erfolg bei seinem Gespräch mit Elva hatte. Immerhin schien selbst Ansgar ihr Wort zu respektieren.

Selem saß mit gesträubtem Fell hinter der Rüstung und grollte tief.Sein Schwanz peitschte hin und her, dann traute er sich und streckte die Schnauze mit weit abstehenden Schnurrhaaren hervor. Dort hinten ! Seine Herrin und die aus dem selben Wurf, die so widersprüchliche Gedanken hatte. Er sammelte sich und machte einen großen Satz,landete lautlos und schlich an der Wand entlang zügig zu Senola.

Nach einer Weile kam dann auch der Edle von Tannenfels die Freitreppe wieder hinunter.

Sein langsamer Schritt stand im Gegensatz zu seinen rasend kreisenden Gedanken. Irgendetwas passte noch nicht richtig an Mutter Elvas Deutung, was genau er bekam er aber nicht zu fassen. Jetzt war es dringender als weiter zu grübeln, Ansgar von diesem Irrsinn abzubringen... Zuallererst aber suchte er den Blickkontakt zu Frenya und nickte dieser kurz und beinahe unmerklich zu.

Kaum merklich, aber für Leuenhard erkennbar, deutete die Hofdame in die Richtung eines abseits stehenden Beistelltisches, auf dem eine Weinkaraffe angerichtet war. Dann bewegte sie sich unauffällig selbst dort hin, tat so als würde sie sich nachschenken und wartete bis der Edle es ihr gleich tat. Sie fühlte Neugier in sich hochsteigen, ein Laster, das sie noch nicht hatte abstellen können.

Leuenhard hatte das Zeichen Frenyas verstanden. Er wollte sich wie sie in Unauffälligkeit üben, auch wenn ihm diese im Hinblick auf seine Absichten auf höfischem Parkett weit schwerer fiel als körperlich, draußen in den Wäldern. Er hätte nie gedacht, dass er dereinst Kabale wie diese zu spinnen hätte, und das am Ambelmunder Hof.
"Wie es aussieht, wird es noch dauern!" verkündete er laut in die Runde, um etwas gesagt zu haben. Leuenhard spürte, dass Ansgar darauf gelauert hatte.
Betont langsam ging der Edle dann zur großen Tafel, wo er seinen Kelch abgestellt hatte. Viel hatte er sich vorhin - ganz bewusst - nicht eingeschenkt, und die verbliebene kleine Pfütze stürzte er in einem Schluck hinab, um danach Bedauern vorschützend in das leere Gefäß zu blicken. Suchend sah der Tannenfelser sich um, um sich sodann auf den Weg zur gefundenen Karaffe zu machen.
Wie gut, dass mittlerweile wieder die Laute erklang, sie würde neben dem ungleichmäßigen Toben der Elemente draußen im Saale geflüsterte Worte überdecken helfen. Dankbar dafür lächelte er Basin zu.
Sein Blick war ganz auf die Karaffe gerichtet, als er sich nachschenkte. "Elva ist im Bilde und auf unserer Seite." flüsterte er, seinen Kopf vom Raum abgewandt und starr geneigt. "Allerdings glaubt sie mir nicht im Hinblick auf Senolas Absichten. Und sie hat eine... ganz eigene Deutung der Prophezeiung. Ich soll diese hier verkünden und dem Wahnsinn damit ein Ende bereiten. Wenn sie sich das nur nicht zu einfach vorstellt..."

´Einfältigkeit, Naivität und die Situation nicht richtig einschätzend´, genau das hatte sie von der Geweihten erwartet. Elvas alternative Deutung eröffnete ihrer Interessensgemeinschaft jedoch Möglichkeiten, denn viele simple Geister der hier Anwesenden würden sich mit diesen Worten vielleicht zufrieden geben. “Könntet Ihr mit Mutter Elvas Deutung leben? Ich nehme an, dass diese nicht das Opfer eines Eurer Kinder zum Ziel hat.” Die Hofdame wartete keine Antwort ab. “Vielleicht gelingt es Euch noch bei den anderen Anwesenden vorzufühlen. Mir vertraut man hier nicht. Ihr habt jedoch mein Wort, dass ich ein Menschenopfer am heutigen Tage nicht zulassen werde. Nicht hier unter meinen Augen und mit dem Vorwand es für die große Mutter zu tun, obwohl es lediglich die Eitelkeit einer Katze befriedigen soll, die sich mit solchem Symbolismus wohl gerne zur Oberhexe in Gratenfels aufschwingen will.” Sie warf einen Blick auf Senola, die immer noch bei ihrer Schwester stand. “Seid unbesorgt, ich versuche in Eurer Nähe zu bleiben. Und ich werde notfalls auch bis zum Äußersten gehen.” In einer beiläufigen Handbewegung entblößte sie ihren rechten Oberschenkel durch den hohen Seitenschlitz ihres Rockes. Der Edle sah dort eine Lederscheide mit einem schmalen Dolch. Dann zwinkerte Frenya ihm verschwörerisch zu und ließ ihn stehen.

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