Brief aus Elenvina (Nachspiel Haffax- Feldzug)

Brief aus Elenvina

Autoren: RekkiThorkarson und IseWeine

Im Travia 1040 BF treffen im Borontempel in Elenvina zwei Veteranen des Haffaxfeldzuges aufeinander:


An Dwarosch, Sohn des Dwalin
Oberst des Hzgl.-Eisenwalder Graderegiment ‚Ingerimms Hammer’

Dwarosch,

Ich werde während des Monds der Gütigen in Elenvina sein.

Boron mit Euch,

Marbolieb

Elenvina, am zehnten Tag nach dem Tag des Wassers, 1040 BF

~*~

Ausführlich war die Nachricht nicht, die über Umwege und Mittelsmänner Ende des Efferdmondes den Oberst erreichte. Viel eher war sie das Zeugnis bis zum Äußersten getriebener Rhetonik. Die schwungvolle Schrift auf dem hellen Büttenpapier verriet eine geübte Hand, darüber hinaus aber wenig.

Der Oberst sah von dem Permanent auf. Seine Miene war eine ungewöhnliche Mischung aus Freude und Unbehagen. Einerseits war er froh, von Marbolieb zu hören, da er nun wusste, dass sie wohlauf war, andererseits wusste er noch immer nicht, was tatsächlich zwischen ihr und ihm war und wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte.

Dass die Freundschaft zwischen der noch jungen Borongeweihten und dem Zwergenveteranen im wohl besten Alter besonders war, stand außer Frage, nur welcher Art diese Freundschaft wirklich war, wusste er nicht. Wusste sie es? Verband sie nur die gemeinsame Zeit des vergangenen Feldzuges? Gerade in Dwaroschs Fall, der durch Marbolieb ein tief sitzendes Übel, das Samenkorn eines göttlichen Widersachers, eines Erzdämonen losgeworden war und seine Todessehnsucht überwunden hatte, konnte sich nicht sicher sein, was in ihm vorging. Traumatische Erlebnisse führten zumeist zu einem heillosen Durcheinander der Gefühle, das zumindest wusste er.

Für die junge Geweihte war das Erlebte vielleicht noch traumatischer gewesen als für ihn, den kriegserprobten Veteranen, der viele Schlachtfelder gesehen hatte. Ja, für sie war der Feldzug anders, aber ganz sicher nicht weniger drastisch gewesen, ein Einschnitt, der das Leben änderte, weil er alles in Frage stellte. Leben und Tod bekamen eine ganz neue Bedeutung. Wobei eben der Tod in ihrem Falle, als eine Geweihte des Boron, wohl bereits vorher schon eine Bedeutung gehabt hatte, die Dwarosch nie ganz würde greifen, begreifen können. Dwarosch schnaubte und schüttelte den Kopf über sich selbst. So etwas lange vor sich herzuschieben brachte nichts. Er musste sich darüber klar werden, was er tun wollte und die Gedanken nicht länger verdrängen. Seine Faust hieb auf den Schreibtisch. Er hasste das Gefühl, das von ihm Besitz ergriff. Nein, es war Zeit zu handeln!

Sein Hochkönig hatte immer gesagt, man müsse dem Feind sein Tempo, seine Taktik aufzwingen und sich nicht in die Defensive drängen lassen. Man müsse agieren, nicht reagieren. Irgendwie war die Ironie nicht von der Hand zu weisen, dass eben jenes ihm nun half, die Starre zu überwinden. Alles war besser als länger nichts zu tun. Sie würde es verstehen, auch wenn er sich anstellte wie ein Volltrottel. Jedenfalls hoffte er das. Dwarosch nahm seinerseits ein kleines Stück Pergament und setzte eiligst eine Nachricht auf. Er schrieb Muragosch auf Oberrodasch, dass die Statue nach Elenvina gebracht werden sollte, welche er für Marbolieb hatte anfertigen lassen. Nach den wenigen, notwendigen Zeilen in krakeliger Handschrift rief er nach seinem Adjutanten und übergab diesem die durch seine viel zu dicken Finger mehr zerknitterte als ordentlich aufgerollte und gesiegelte Nachricht, welche eine Taube in die Vogtei auf der anderen Seite des großen Flusses, hoch in die Ingrakuppen tragen würde. Danach gab er Befehl, seine Reise nach Elenvina vorbereiten und alles nötige hierfür in die Wege zu leiten. Dwarosch hatte auf Burg Nilsitz, so etwas wie seinem neuen Amtssitz, auf eine Nachricht von Marbolieb gewartet und würdeden Besuch in der Hauptstadt der Nordmarken ebenfalls für wichtige Konsultationen zum Wiederaufbau des Regimentes mit Herzog und Marschall nutzen.

Ein sonniger Herbsttag badete die Stadt am Großen Fluss in sanftem Licht, und das wolkenlose, tiefblaue Alveranszelt mochte fast vergessen lassen, dass der Sommer schon lange seinen Abschied genommen hatte und auch der Herbst sich seinem Ende zuneigte. Marbolieb blickte zur Tür des Tempels, hinaus aus dem Zwielicht. Das Licht brannte in ihren Augen und ließ sie blinzeln, und so dauerte es einige Lidschläge, bis die so wohlvertraute Silhouette Dwaroschs sich aus dem hellen Strahlen schälte. Diesen Moment hatte sie so sehr herbeigesehnt wie befürchtet. Er war wohlbehalten wieder zurückgekehrt – eine Sache, für die sie so manche Bitte an die Zwölfe gesandt hatte. Und nun? Sie steckte die Hände in die weiten Ärmel ihrer Robe und schritt zur Tür, die Augen nicht von der Gestalt des Angroscho hebend. Eine Armeslänge vor Dwarosch hielt sie inne und suchte seinen Blick. Ihr dunklen Augen glänzten und verrieten ein ganzes Spektrum an Gefühlen, doch über ihre Lippen flirrte ein leises Lächeln. „Du bist gekommen.“

„Das bin ich. Und ich habe dir etwas mitgebracht.“ Der Oberst pfiff kurz und warf einen Blick über die Schulter. Kurz darauf rumpelte ein kleiner zweiachsiger Lastkarren über das Pflaster vor dem Tempel, gezogen von einem Infanteristen in leichter Rüstung. Das Wägelchen hätte vielleicht vier Sack Korn tragen können, jedoch lag etwas Längliches auf ihm, mehr konnte die Geweihte nicht erkennen, denn dicht gewobenes Leinen deckte es ab. Ohne ein Wort zu verlieren stellte der Soldat den Karren neben Dwarosch und Marbolieb ab und entfernte sich wieder im Stechschritt. Der Oberst indes grinste. „Ich hoffe, sie gefällt dir. Es ist ein Dank für alles, was du für mich getan hast. Sie ist aber nicht ausschließlich für dich gedacht, du wirst wissen wovon ich rede.“ Der Angroscho griff nach den Leinen und zog es mit einer fließenden Bewegung von dem verhüllten Gegenstand. Zum Vorschein kam eine hölzerne Statue, welche im Liegen auf weiteren alten Leinenbündeln transportiert worden war. Das hölzerne Kunstwerk, den um ein solches handelte es sich ganz ohne Zweifel, mochte sechs Spann groß sein. Es war derart detailliert gearbeitet, dass sogar der milde Blick der Heiligen deutlich zu erkennen war. Marbolieb erkannte ihre Namenspatronin; um niemand anderen konnte es sich handeln. Die Priesterin trat einen Schritt vor, blieb dann aber vor dem Zwergen stehen und betrachtete ihn mit einem sehr langen und nachdenklichen Blick.

„Du weißt, du schuldest mir keinen Dank. Was ich dir gegeben habe, war ein Geschenk meines Herrn an die Seinen.“ Sie schwieg einen Atemzug lang, ihre Augen verließen den Blick des Angrosch nicht. „Und doch dankst mir wieder und wieder, Dwarosch.“ Etwas, das Betroffenheit hätte sein können, einen Anklang von Sehnsucht, oder doch schon Wehmut, mischte sich in ihren Blick und ihre Stimme.

Die Statue war wunderschön – eine Hymne aus Holz, so fein gearbeitet, dass sie ihre Fingerkuppen über die seidenmatt polierte Oberfläche streichen lassen wollte. Ein wahrlich fürstliches Geschenk. Und so blickte sie den Oberst an, und in ihrem offenen Blick errang Betrübnis die Oberhand. „Warum?“

Dwarosch grinste erneut breit. „Lege niemals menschliche Maßstäbe an einen Angroscho, Marbolieb. Wir sind unbelehrbar und dazu stur wie Fels, weil wir daraus gemacht sind.“ Ein herzhaftes, tiefes Lachen folgte seinen Worten, unterstrich sie, sprach aber auch ein wenig von überspielter Unsicherheit. Fast zärtlich griff der Oberst nach der Statue und legte sie sich behutsam über die Schulter. „Komm, bringen wir sie hinein. Du wirst sie sicher gut verwahren wollen, bis sie ihren Platz auf dem Rabenstein findet.“ Dwarosch stapfte langsam voraus und wurde ganz dann plötzlich ernst. Seine vormals so heitere Stimme hatte eine völlig andere Klangfarbe, als er Marbolieb erneut ansprach. „Wir müssen miteinander sprechen, über uns. Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich vollkommen blamiere. So geht es nicht weiter.“ Ein tiefes Seufzen entrang sich seiner in diesem Moment trockenen Kehle.

„Marbolieb, ich weiß nicht, was ich empfinde, um es gleich vorweg zu sagen.“ Er vermied sie anzusehen und blickte stur geradeaus. „Ich habe dich sehr gerne, aber ich bin außer Stande, mir darüber klar zu werden, was das genau heißt. Ich war in solchen Dingen nie gut. Es ist mehrere Jahrzehnte her, dass ich sowas wie wirkliche Zuneigung empfunden habe. Wir haben beide schreckliche Erlebnisse gemeinsam durchlebt, das kann zu einem ziemlichen Durcheinander führen. Ich meine hier“, er tippte sich gegen die Stirn, „und hier“, und aufs Herz. Dwarosch blieb stehen und drehte sich zu ihr, sah sie nun an, blickte ihr in die Augen. Sie standen in der Mitte des Tempels, über ihnen die Kuppel der heiligen Halle, weswegen er leise sprach. „Ich möchte weiterhin Zeit mit dir verbringen, soviel wie es unsere Arbeit, unsere Berufungen es ermöglichen, eben um mir klar zu werden was es ist, das uns meiner Meinung nach derart …“ Er brach ab, rang nach Worten, fand sie aber nicht. Sein Blick verriet seine Hilflosigkeit und vermittelte der jungen Geweihten ein ungefähres Gefühl dafür, wieviel Überwindung ihn diese Worte gekostet haben mussten. “Verstehst du, was ich sagen will?”

Marbolieb hielt den Blick Dwaroschs fest, und ihre dunklen Augen leuchteten im Zwielicht in einem ganz eigenen Licht. Sie legte sanft zwei Finger auf sein Handgelenk, ihre Berührung warm auf seiner Haut. „Komm.“ Sie schritt dem Zwergen voraus in einen Nebenraum und wies ihm mit einer Geste einen Ort, wo er die Statue abstellen konnte. Einen Lidschlag lang blieb sie vor dem wunderschönen Kunstwerk stehen und streichelte es mit ihrem Blick, ehe sie sich wieder zu Dwarosch umwandte, ihm einen Stuhl anbot und sich selbst setzte, kaum eine Armlänge von ihm entfernt. Sie blickte ihm in die Augen und wartete einige ruhige Atemzüge lang, ehe sie antwortete. „Du bist mir wichtig, Dwarosch. Ich möchte, dass du glücklich bist und sich dein Leben erfüllt.“ Die junge Frau schob ihre Kapuze zurück und das Licht, das durch die hohen Fenster fiel, strich über ihr fingerkurz geschorenes Haupthaar, umschmeichelte ihre feinen Züge und glitt wie ein honigfarbener Schein über ihre dunklen, ruhigen Augen und schön geschwungenen Lippen. Die Priesterin beugte sich vor und legte ihre Hand auf seinen Scheitel. „Um diese Verwirrung weiß ich, mein Freund.“ Kalt war ihre Hand und wollte ihn doch schier versengen, obgleich ihre Berührung kaum mehr wog als ein Nebelhauch. Freund? Sie fühlte die tiefe Wahrheit in diesem einfachen Wort, hallend wie der Schlag eines Gongs in tiefer Stille. „Ich will Dir gerne helfen. Gebete, Meditation und Zeit werden sie mildern.“ Leicht wie die Berührung einer Feder glitten ihre Fingerspitzen über die Seite seines Gesichts und legten sich auf sein Herz. „Hierüber, Dwarosch, haben weder Götter noch Dämonen Macht. Es spricht allein zu Dir.“ Marbolieb beließ ihre Hand, wo sie war, sein Herzschlag kraftvoll spürbar unter dicken, vielfach übereinandergelagerten Muskelschichten. Gleichförmig und ruhig war ihr Atem, geübt in so vielen Stunden der einsamen Meditation, und im langsamen Heben und Senken ihres Brustkorbes blitzte ein kleines Stück einer massiven Silberkette auf, die sie unter ihrer Robe trug.

Dwarosch legte seine Rechte auf die ihre, welche auf seiner Brust ruhte. Tief atmete er ein und aus und Marbolieb spürte, wie die Anspannung von ihm wich, sein Herzschlag langsamer und das Heben und Senken seines massigen Oberkörpers ruhiger wurde. Der Oberst begann zu lächeln. Ganz offensichtlich war er froh über die Reaktion der Geweihten. Marbolieb verstand ihn, wie er es erhofft hatte, etwas anderes zählte nicht, hatte keine Bedeutung. Ihre Freundschaft würde Bestand haben und beide würden sehen, was die Zeit für sie bereithielt. Zeit, sie verrann scheinbar unmerklich wie üblich, wenn Marbolieb und Dwarosch die Stille und das stumme Verständnis untereinander auskosteten, dem Herrn des Schweigens auf diese Weise gemeinsam huldigten. Etwas, auf das sie beide hatten verzichten müssen seit dem Aufbruch aus dem Feldlager vor Mendena.

Als Dwarosch die Starre abschütteln begann, wusste er nicht, ob Stunden oder nur Momente vergangen waren. Er musste mehrfach blinzeln, um wieder zu sich zu kommen. Die Entrückung wich nur langsam. Doch nach weiteren, sich scheinbar zu einer Ewigkeit ausdehnenden Augenblicken erlangte er schließlich die Kontrolle über seinen Körper zurück. Noch nie war er so tief abgetaucht in die allumfassende, aber dennoch nie gekannte Ruhe und inneren Frieden schenkende Schwärze.

Dwarosch erhob sich langsam. Er hatte den Drang, sich zu bewegen, denn alles an ihm schien ein wenig taub. Als er registrierte das Marbolieb ihn anblickte, nickte er kurz in Richtung der Heiligenstatue. “Ich werde euch beide besuchen kommen, wenn der Rabensteiner nichts dagegen hat. Ich komm auch gern allein, ohne Bedeckung. Möchte doch sehen wo du sie aufstellen wirst. Erzähl mir von St. Boronia”, forderte er Marbolieb auf. “Wann brechen wir auf? Aber lass uns an die frische Luft gehen, sonst werde ich diese Trägheit niemals abschütteln.”

Die beiden traten aus dem Tempel auf den stillen Boronsanger, der im herbstlichen Sonnenlicht träumend dalag. Tief hatte Marbolieb ihre Hände in den weiten Ärmeln ihres Gewandes vergraben, und ihre Kapuze war wieder bis zur Nasenspitze heruntergezogen. Sie hielt vor einem Grab und betrachtete das Boronsrad mit nachdenklichem Blick. Süster Zweisam, der Flussschiffer, der darunter ruhte, hatte mit nicht ganz dreißig Götterläufen sein Leben an blutigen Auswurf verloren.

„Ich werde den verwaisten Tempel in Calmir übernehmen.“ In der Hauptstadt Rabensteins, zwei Tagesreisen von der Burg entfernt. Ihre Augen folgten der Maserung des einfachen Holzes, das unter dem Nagen von Satinvas Zahn schwarz und rissig geworden war. „Sankta Boronia ist ein kraftvoller Ort, ein Hort des Friedens und eine Grenzfeste zu den dunklen Landen.“ Sie hielt inne und richtete ihren Blick auf Dwarosch. „Im Winter will ich nicht reisen. Danach kann ich es nicht.“

“Das freut mich für dich, Marbolieb. Eine neue, eine große Aufgabe.” Ehrliche Gefühle spiegelten sich in den dunklen Augen des Oberst. “Ich werde dich dort besuchen,” fügte er entschlossen an. “Leider bedeutet das wohl auch, dass unsere gemeinsame Reise vorerst aufgeschoben ist. Aber sei gewarnt, ich habe noch sehr viel Zeit, um zu warten, und wenn dies normal auch nicht zu meinen Stärken gehört, so werde ich dennoch ausharren, bis deine Verpflichtungen es dir erlauben, mich zu begleiten. Wenn du meine Geduld aber zu sehr auf die Probe stellst, so werde ich dich notfalls auch holen kommen und nach St. Boronia tragen.” Dwarosch lachte. Wie der den letzten Satz gemeint hatte war, war indes auch bereits vorher deutlich zu erkennen gewesen. Das breite Grinsen des Angroscho war unverkennbar. Er versuchte, in allem, was sie sagte, etwas Positives zu sehen.

Marbolieb legte ihre Hand auf sein Handgelenk – ihre Finger waren zierlich im Vergleich zu der massigen Pranke des kräftigen Angroscho. „Es würde mich sehr glücklich machen, im Frühling mit dir nach St. Boronia zu reisen.“ Ihre Augen hielten die seinen fest und waren dunkel und wie ein tiefer stiller See, ohne Grund und ohne Gezeiten. „Doch ich kann nicht.“ Wehmut lag in ihrer Stimme und Traurigkeit. „Aber erzähl’ mir von deinen Plänen. Wie wirst du den Winter verbringen?“

Dwarosch seufzte. Er wusste dass sie es ehrlich meinte, spürte es und so nickte der Zwerg nur und lächelte erneut. „Der neue Vogt von Nilsitz ist ein Freund. Das heißt, er gehört auch zu meiner Familie, aber das heißt ja in meinem Falle nichts. Jedenfalls hat er mir Burg Nilsitz am Großen Fluss als Stammsitz angeboten und ich habe dankend angenommen. Von dort aus werde ich das neue Regiment aufbauen und agieren. Noch sind wir nicht auf Sollstärke, die Aushebungen laufen noch. Ich werde die Bergkönigreiche bis in den Phecanowald besuchen, um bei den Herrschern vorstellig zu werden. Diesen Winter werde ich die Instandsetzung der Feste mit den Sappeuren angehen, die Kavernen unter ihr sichten und gegebenenfalls ausbauen. Aber auch andere Burgen werden wir in Schuss bringen. Wir richten ein Brieftauben-Nachrichtennetz über die Bergregionen des Isenhag ein, Borax, so heißt mein Freund, hat einige interessante Ideen.

Senalosch, der Sitz des Vogtes, wird die Schützenbanner beherbergen. Dort wird ihre Ausbildung stattfinden und gleichzeitig werden sie für die Wehr der Stadt zur Verfügung stehen. So haben auch er und der Bergkönig etwas davon. Auch dort gibt es einiges zu tun, wie du dir vorstellen kannst. Die Streitkräfte werden sich auf Wedengraben mit Burg Calbrozim, dem Stammsitz des Grafen, Nilsitz mit Burg Nilsitz und Trollpforz und natürlich auf Albenhus konzentrieren. Du siehst, es wartet eine Menge Arbeit. Aber ich bin hoch motiviert und bin nicht allein in meinen Bestrebungen, das bestärkt mich. Ich werde viel unterwegs sein, auch im Winter. Halte Ausschau nach einem schnaubenden Angroscho auf einem Pony, ich werde dich besuchen, versprochen.“

Ein leises Lächeln legte sich über Marboliebs Lippen und sie ergriff beide Hände Dwaroschs. „Bitte tu dies. So oft Du magst.“ Nicht das geringste Recht hatte sie, den Angroscho mit ihren eigenen Problemen zu behelligen, nun, da er seine Energie und Tatkraft zurückgefunden und eine Aufgabe vor sich hatte, an der er sich beweisen konnte und die ihm so viel an Bestätigung geben würde. Sie freute sich für ihn, und dennoch hatte sie einen Kloß im Hals, der sie schlucken ließ. Ihr Weg würde sie an andere Orte führen, und in ihren Augen stand einen Moment lang tiefe Traurigkeit.

„Pass auf Dich auf, Dwarosch, und erzähle mir von Deinen Erlebnissen, wenn wir uns wiedersehen. Ich möchte nichts davon missen.“ Dwarosch ertrug es nur für einen kurzen Moment, Marbolieb so traurig zu sehen, dann zog er sie an sich heran und umarmte sie. Die starken Arme des Oberst hielten sie fest und machten deutlich, dass der Abschied auch ihm schwer fiel. “Das werde ich, Marbolieb, das werde ich! Bitte pass auf dich auf und schreib mir.“ Marbolieb erwiderte die Umarmung, schloss die Augen und senkte ihren Kopf auf sein Haupt.

Sein Haar kitzelte ihre Nase und sie trug ein Lächeln, das vielmehr ein Weinen war, auf ihren Lippen. Einige Atemzüge lang genoss sie den Frieden und den Halt, den ihr die Berührung gab. Viel würde sich ändern; war Wandel doch die Münze des Lebens, mit dem seine Zeit und Erfüllung gemessen wurde. „Das werde ich.“ flüsterte sie. Sanft legte sie ihre Hände auf seine Schulter. „Knie nieder. Ich will Dich nicht ohne Segen ziehen lassen.“

Und der stämmige Angroschim tat wie ihm geheißen, kniete nieder und senkte das Haupt bis sein Kinn die breite Brust berührte. Dwarosch hatte gehofft, den Segen von Marbolieb zu erhalten. Es bedeutete ihm viel, denn er hatte nicht vergessen, was der Gott des Todes und des Vergessens für ihn getan hatte auf dem Feldzug. Er schuldete Boron wahrscheinlich sein Leben, ganz sicher aber seine geistige Gesundheit. Aus diesem Grunde war die Stiftung der Heiligenstatue auch nicht nur ein persönliches Geschenk an Marbolieb. Nein, es war offenkundig bedeutend mehr. Die Priesterin zeichnete das gebrochene Rad auf die Stirn des Angroschos, eine federleichte Berührung nur, und doch stand das Zeichen deutlich spürbar auf seiner Haut. Marboliebs Hände kamen auf seinen Schläfen zur Ruhe, verharrten wie die Schwingen eines Vogels, der sich bald aufschwingen wird in die Weite, fort und frei. Sie sprach kein Wort, und mit jedem Atemzug erlange der friedvolle Ort mehr Besitz von beiden. Weit fort war mit einemmal das Summen und Murmeln der Stadt jenseits der Mauer des Boronsangers. Das Brummen der Bienen in dem Blumen über den Gräbern unterstrich die Ruhe, die sich wie eine Decke über beide Besucher legte und ihrem Geist Frieden schenkte. Schließlich löste die Geweihte die Berührung und trat einen Schritt zurück. „Geh. Und kehre wieder, wenn die Zeit gekommen ist.“

Noch ein bisschen benommen, sich mit beiden Händen auf einem Knie abstützend, stand Dwarosch auf. Einen Moment lang blickte er Marbolieb tief in die Augen und es war ihm, als gäbe es ein stilles Einverständnis, etwas das nicht gesagt werden musste zwischen ihnen. Alles war gesagt. Dwarosch empfand eine tiefe Zufriedenheit in sich. Marbolieb würde weiterhin Teil seines Lebens sein. Ja, es war an der Zeit zu gehen. Dennoch lächelte der Oberst. Er würde sie besuchen, bald.

„Auf ein baldiges Wiedersehen. Möge der feurige Vater über deine Wege wachen, ebenso wie der Herr des Schweigens stets zugegen ist, wenn wir uns begegnen."