Schwarz steht der Tann - Akt 6

Mondengrauen

Akt 6 der Briefspielgeschichte Schwarz steht der Tann

Aleit

Befinna wusste nicht mehr, wie viele Windungen und Räume sie durchschritten hatten, war ihr doch bald - vielleicht auch ihrer Müdigkeit und den Erlebnissen der letzten Tage geschuldet - jede Orientierung verlustig gegangen. Die junge Baroness wusste nur, dass Suncuua, die eine brennende Fackel in der Hand trug, sie aufwärts führte, bis sie eine große, fast kreisrunde Höhle erreichten. Diese wurde nach oben teils durch eine Decke abgeschlossen, teils mündete sie in einem großen Loch, durch das der volle Mond verschwommen zu erkennen war, denn die Kaverne war von warmem Dampf erfüllt, der irgendwoher von unten in den Raum eindrang und für wohlige Temperaturen sorgte.
In der Mitte glühten die letzten Überreste eines Holzfeuers, und ein merkwürdiger, einerseits recht rauchiger, andererseits auch würziger Geruch hing schwach in der Luft. Am Boden erkannte Befinna einige Häufchen, von denen sich eines als Rondrards Habseligkeiten, ein anderes als die Robe Ulfarans erwiesen.
Die Schamanin deutete Befinna sich zu setzen, dann ging sie kurz nach draußen, um noch ein paar Äste hereinzuholen und das Feuer wieder zu entfachen.
Als sie dieses richtig im Gang hatte, warf Suncuua einige Kräuter hinein, die die Flammen für einen Moment zischend höherlodern ließen. Kurz darauf durchwirkte ein neuer, süßlicher Geruch den Raum, der Befinna rasch müde und ihre Lider schwer werden ließ. Derweil hatte die Schamanin aus einem Bündel, dass sie, von Befinna unbemerkt, irgendwo auf dem Weg aufgenommen haben musste, einige Beutelchen mit Farbpulvern und weitere Utensilien entnommen, mit denen sie begann, weiße und schwarze Farbe anzurühren.
Befinna war aller Anspannung zum Trotz kurz davor einzuschlafen, da schreckte sie jäh wieder hoch und sah das Gesicht Suncuuas unmittelbar vor dem ihren. "Malen Gesicht dein, Gesicht Suncuua. Dann Geister rufen. Aleit sehen." erklärte diese mit ruhiger Stimme.

'G … Geister?', schoss der Baroness nun ein Wort ein, das sie zuvor noch überhört hatte. Doch wie sonst würde sie ihre Mutter sehen können? Sie würde doch kaum hier unter den Goblins leben. Nein, das wäre albern. Deshalb musste sie da jetzt durch. Immer noch wortlos nickte sie Suncuua an und ließ sich von ihr bemalen.

Suncuua holte rasch die abgelegten Gewänder Rondrards und knüllte sie zu einer Art Kissen zusammen, das sie vor sich platzierte. Sie deutete Befinna, sich auf den Rücken niederzulegen und ihr Haupt darauf zu betten. Schließlich setzte sie sich im Schneidersitz an deren Kopf. "Zu Augen machen." forderte sie die Baroness leise auf.

Was die junge Frau auch sogleich tat. Befinna war aufgeregt und ihr Atem ging schnell.

Dann begann sie, ganz langsam und nur mit ihren Fingern, begleitet von ihrem eigenen, monotonen Gesang, zuerst in weiß die Wildschweinhauer Mailams zu malen, die die Menschenfrau vor etwaig mitangelockten bösen Geistern schützen sollten, darüber in schwarz einen Hirsch als Symbol des Orvai Kurim und zuletzt nochmals in weiß einen Vogel, der die Wjassus Kubukai symbolisierte, Windgeister, die ihrem eigenen Geist den Weg zu dem der Tochter Aleits vor sich weisen sollten. Obgleich die Hände alt und von den Jahren gezeichnet waren, fühlten sich diese warm und sanft auf Befinnas Haut an, auf ihre Weise sogar beruhigend.

Und so zeigte sich der schmale Anflug eines Lächelns auf den Zügen der jungen Frau. Sie versuchte all das zu vergessen, was ihr heute widerfahren war. Die Flucht in den Wald, das Umherirren, das Treffen mit Lioba und den anderen und schlussendlich auch die Gefangennahme - denn nichts anderes war es - durch die Goblins. Und dann war da noch diese seltsame Orgie, an der sich ihre menschlichen Begleiter so bereitwillig beteiligten. Was dies der Einfluss dieser großen Mutter? Ein Tollhaus, in welchem alle übereinander herfielen? Befinna war in ihren Gedanken nicht übermäßig prüde, aber hier zwischen verkleideten Fremden und Goblins … nein das hatte nichts mit dem Bild zu tun, das sie von einer rahja- und traviagefälligen Vereinigung hatte. Ihr Atem wurde etwas langsamer und sie wurde ruhiger, Last und Nervosität schienen abzufallen.

Als die Schamanin damit fertig war, beugte sie sich noch einmal über das Feuer und atmete mehrmals tief den mit dem Dampf aus der Tiefe durchmischten Kräuterrauch ein, der von diesem aufstieg. Schließlich tauchte sie beide Handflächen tief in weiße Farbe und presste sich diese zuerst auf ihr eigenes Gesicht und direkt darauf auf die Wangen Befinnas, wo sie diese beließ, auch um die junge Frau, sanft, aber dennoch bestimmt festzuhalten. Dabei hatte sie ihr Haupt direkt über das der Baroness gesenkt, so dass sich beide aus nächster Nähe, nur wenige Halbfinger lagen dazwischen, gegenseitig in die Augen sahen.
Jetzt hieß es, auf das Wirken der Geister zu warten.

Diese Annäherung der Schamanin, die so anders war als das zärtliche Streicheln zuvor, ließ Befinna wieder etwas unruhiger werden und es fehlte nicht viel, dass sie ihre Augen geöffnet hatte. Auch der Kräuterdampf biss sie in ihren Atemwegen, doch blieb sie für dieses eine Mal stark und ließ das Prozedere über sich ergehen.

Die Zeit schien zu einem zähen Sirup zu gerinnen, während die Baroness darauf wartete, wie versprochen ihre Mutter zu sehen, und die Wirkung des Rauches tat ihr übriges dazu. Die gelben Augen, die so starr in die ihren blickten, schienen sich nach einer weiteren Weile zu drehen, erst ganz langsam und unmerklich, dann jedoch deutlicher und immer schneller, zu einem Mahlstrom werdend, der Befinna ins unergründliche Schwarz der Pupillen Suncuuas hinabriss. Der jungen Frau wurde schwindlig, sie verlor jede Orientierung und schließlich, so glaubte sie, ihr Bewusstsein.

Es war warmer Sonnenschein, der ihre Haut kitzelte und sie weckte. Rasch setzte sie sich auf. Sie befand sich auf einer Waldlichtung, um sie herum blühten die Blumen in allen Farben, und es war ein reges Summen und Flattern. In der Nähe plätscherte Wasser, und es duftete Köstlich nach Wald und Gras und Frühsommer. Erst auf den zweiten Blick erkannte sie, dass es sich um die Lichtung handeln musste, auf der sie vorhin - war es wirklich erst vorhin oder nicht doch schon ewig her - die Fremden getroffen hatte.
Auf einmal sah sie die Frau, die durch die Wiese auf sie zukam, ein in ein wollenes, grünes Tuch gepucktes Neugeborenes auf dem Arm. Sie trug ihr leicht gewelltes langes, kastanienbraun in der Sonne glänzendes Haar offen, nur zwei eng geflochtene Schläfenzöpfe verschwanden bald darunter und verliehen ihr ein albernisch anmutendes Aussehen. Unter ihrem ärmellosen und vorne offen getragenen, sehr figurbetonten Wams war ihre Decolletée gut zu erkennen und zeigte, dass sie nichts darunter trug, ihre Beine wurden durch einen erdbraunen Wickelrock verhüllt, unter dem nur die nackten Knöchel und Füße auszumachen waren.

"Aleit!" hörte sie sich selbst sagen. "Schön Aleit da sein! Wie ist das Essen?" Sie sah sich selbst ihre rotbehaarten Hände und Arme entgegenstrecken.
"Suncuua!" erwiderte die Angesprochene den Gruß mit einer warmen und sanften Stimme. Befinna wurde dabei warm ums Herz. "Essen sein gut, Kinder sein satt. Suncuua Tuluukai hoffen auch! Ich, Alheyt, freuen mich, Suncuaa große Mutter wunderbar Geschenk, meine kleinekleine Tochter vorstellen, großer Mutter danken Segen." Alheyt zeigte ihr das Kind. "Reytrutt Befin-ná... Befin-ná."
"Wunderschön Kind Befin-ná!" Jetzt sah Befinna, wie sie mit ihren Händen, die Suncuuas waren, über den Kopf des Kindes, ihres früheren Ichs streichelte. Die kleine schien keine Angst zu haben. "Malen Zeichen?"
Alheyt nickte. "Aleit bitten Suncuua malen Zeichen."
Das Bild verschwamm. Im nächsten Moment sah Befinna, wie sie, selbst singend und summend, mit ihren Händen in verschiedenen Farben Tiermotive auf Stirn, Wange und Brust des Säuglings malte. Alheyt, ihre Mutter schien andächtig dabei zuzusehen und gelegentlich miteinzustimmen.
Als sie fertig waren, reichte sie, die Suncuua war, das Kind zurück zu seiner Mutter. "Befin-ná Tochter große Mutter." erklärte Aleyt Suncuua lächelnd. "Wu-min Kurim. Befin-ná Mailam." Dann schritt sie weg, es war bereits Abend geworden, auf einen kleinen Kreis von Menschenfrauen zu, die auf jener Lichtung auf sie warteten.

Obgleich sie ihren Blick nicht abwenden wollte, schlossen sich ihre Augen und das Dunkel um sie begann zu kreisen. Nein! Sie wollte noch nicht weg, wollte ihren Blick nicht von ihrer Mutter wenden. Mit aller Kraft ihres Willens stemmte sie sich gegen das Ende dieser Erinnerung, und obsiegte.

Das Dunkel wurde wieder hell, doch es war nicht das Licht eines Sommertages, das sie umfing. Es war grau, kalt und neblig, sie konnte kaum weiter als zu den übernächsten Bäumen sehen. Im Wabern entdeckte sie auf dem morastig-schwarzen, nass-quatschenden und von braunen Nadeln bedeckten Boden ein Bündel liegen. Sie rannte darauf zu und erkannte, dass es Alheyt war. Befinna sah, wie ihre haarigen Hände diese umdrehten. Die Haut ihrer Mutter war nicht nur bleich, sondern nahezu völlig weiß. Sie schien schwer verletzt, obgleich keine Wunde zu erkennen war.
"Aleit da bleiben. Suncuua rufen Geister helfen." Sie begann zu summen und in einem Beutelchen an ihrer Seite nach ihren Farben zu nesteln. Doch Alheyt schüttelte nur schwach ihren Kopf. "Spät. Suncuua... nein... Aleit... helfen können." flüsterte sie mit ersterbender Stimme. Dann bäumte sie sich nochmal auf. "Dunkel erwachen. Suncuua aufpassen Land. Aufpassen Wald. Aufpassen Wu'mar… Wu-min... Aufpassen Befin-ná!" Dann erschlaffte ihr Körper.
Offensichtlich wollte sie selbst, oder eher die Schamanin, durch deren Augen sie sah, nicht aufgeben und begann, mit weißer Farbe Zeichen auf das Gesicht der sterbenden oder bereits gestorbenen Alheyt zu malen.
Jetzt wollte Befin-ná nur noch weg, ihre Augen schließen, doch gelang ihr dies nicht, obgleich nicht nur sie, sondern offenbar auch Suncuua, in der Höhle an ihrem Haupt kauernd, sich gegen die Bilder stemmte.
Stattdessen sah sie, sahen beide nur Alheyts erschlafftes weißes Gesicht, das Gesicht ihrer Mutter.

Auf einmal drehte sich die Tote ihr zu, und ihre Züge strafften sich. Aus ihrem Mund quoll kondensierender Atem.
"Befinna. Endlich bist Du gekommen." hörte sie sanft die Stimme ihrer Mutter, deren Augen feucht-glänzend auf ihr ruhten.

“Mutter …”, die Augen der jungen Frau füllten sich mit Tränen, “... was … was ist mit dir geschehen? Du bist …”, die Stimme brach ihr und Befinna war unfähig dazu mehr als ein Schluchzen aus ihrer Kehle zu bekommen. In einer Mischung aus Angst und jener Liebe, die nur ein Kind für ihre Mutter empfinden konnte, focht sie einen Kampf mit sich selbst aus. Der Drang in ihr wuchs, sich abzuwenden und davonzulaufen - wie so oft wenn sie Furcht hatte - doch war es ihr nicht möglich.

Auch aus Alheyts Auge, dessen Blau die einzige leuchtende Farbe an ihr war, löste sich eine Träne und rann zunächst schnell, dann immer langsamer ihre Wange hinab, bis sie auf halber Länge zu Eis erstarrte und haften blieb. "Ich bin dem alten Schatten begegnet, der noch immer lauert, wo Licht und Leben und einstige Schönheit längst verdorben und Finsternis, Tod und Fäulnis geworden sind. Nun bin in nur mehr ein Geist, ein Schatten, gefangen zwischen Leben und Tod... in dieser Welt gehalten von der Liebe... der Liebe zu diesem Land... zu Wunnemine..." sie legte ihre Hand auf Befinnas Wange - obgleich sie bleich und kalt wirkte und von Eis glitzerte, fühlte sie sich zugleich warm an. "zu Dir.” Alheyt lächelte, und es schwangen Liebe und Trauer darin. “Ich kann nicht gehen, denn meine heilige Aufgabe an euch ist unerfüllt. Wo bist Du nur geblieben, wo Deine Schwester?", fragte sie, aber in ihrer Stimme schwang kein Vorwurf. "Ich habe solange auf Dich gewartet, mein Kind. Aber jetzt bist Du da."

"We … welcher Schatten …", Befinna verstand nicht wovon ihre Mutter sprach, "... was meinst du? Was ist dieser Schatten? Sag es mir. In Garrensand gibt es die Golgariten … die helfen … oder die Praioskir …", sie brach ab und ließ ihr Haupt hängen. Für einen Moment hatte die Baroness vergessen, dass sie sich mit einem Geist unterhielt. Oder war es ein Traum? Hatte dieses Bild am Ende gar nichts mit ihrer Mutter zu tun? Nein, Unsinn … Befinna konnte spüren, dass es ihre Mutter war. "Welcher Schatten … Mutter. Wie können Wunnemine und ich helfen?"

"Der Schatten..." Alheyts Stimme wurde brüchig, kaum mehr noch als ein kalter Hauch, und ihr Atem zu dichten Wölkchen. "Er ist ein grausamer Jäger... und doch kein Jäger, denn wo der Jäger Leben nimmt, besteht es in anderer Gestalt fort und gedeiht von neuem und weiter, wie es Wille der großen Mutter ist. Der Schatten... verschlingt in seiner Gier alles Leben... reißt es ins Nichts... es stärkt nur seine Macht und stillt doch seinen ewigen Hunger nicht - er kann selbst nicht von ihm leben, es rinnt ihm davon und verlängert nur sein Schattendasein." Befinnas Mutter seufzte schwach und zog ihre mit jedem Wort weiter erkaltende Hand zurück. "Jetzt bist Du da... und fragst, wie ihr helfen könnt?... Er muss zurück in sein Gefängnis, ehe er... diesem Land... noch mehr seines Lebens entzieht. Erst dann kann ich Frieden finden. Aber du, auch Wunnemine... ihr werdet es nicht schaffen... Nicht alleine... Schließt den Bund... Vereint das Land wieder mit sich und euch... Vertraut auf die große Mutter und ihre Kinder. Ihr seid nicht allein... Du bist nicht allein, mein Kind."
Aleyts Augenlider waren inzwischen, wie ihr Gesicht nahezu von Tränen und Reif vereist, jetzt schien selbst das Weiß ihrer Gestalt noch zu verblassen, bald in kalten Eisnebel zu zerfließen.
"Ich liebe Dich, Befinna." waren die letzten, in ihre Seele gehauchten Worte ihrer Mutter, ehe sich diese und die Welt um Befinna in eisigen Nebelschwaden verloren.

Die junge Frau schrak hoch und verfehlte dabei Suncuuas Kinn nur um Haaresbreite. Scharf sog sie die Luft ein und atmete diese hektisch wieder aus. Ihre Augen waren verweint und gerötet. Befinnas Blick ging für einige Momente um sie herum. Die entfernten Geräusche der Feiernden klangen für sie in diesem Moment wie eine Verhöhnung. "Was … was war das?", wandte sich die Baroness an die Schamanin. "Wovon hat sie gesprochen? Welcher Schatten? Was ist mit meiner Mutter passiert?"

Befinna erhielt keine Antwort. Die Angesprochene wirkte zunächst wie erstarrt und reagierte überhaupt nicht. Anders als zu Beginn des Rituals atmete Suncuua schwer, beinahe keuchend und konnte kaum die Augen öffnen. Dann kippte sie mit einem seufzenden Stöhnen zur Seite, wo sie erschöpft und ohne Bewusstsein liegen blieb. Trotz der hohen Temperaturen und der Feuchte im Raum schienen ihre Augenpartien einen kurzen Moment weiß von Eis gewesen, das jedoch rasch getaut war und jetzt als dicke Tropfen durchs haarige Gesicht der Schamanin rann. Auch Befinna war kalt.

Die Baroness fühlte die Kälte, doch störte sie sich gegenwärtig nicht daran. In ihr tobte eine Vielzahl anderer Gefühle, die keinen Platz für das profane Empfinden der Kälte ließ. "Hallo?", fragte sie zögerlich an die Schamanin gewandt, bevor Befinna sich gänzlich aufrichtete und dann neben Suncuua hin kniete.

Die Schamanin regte sich nicht auf Befinnas Ansprache. Lediglich ihr Atem ging, jetzt weit flacher als noch wenige Augenblicke zuvor. So stark und Mittelpunkt ihres Stammes seiend, wie sie vorhin wirkte, so alt und gebrechlich, ja hilflos schien sie nun, wehrlos den Schatten ausgesetzt, die um sie herum kreisten und an ihr zu zerren drohten. War es wirklich nur der Schattenwurf der Dampfschwaden vor dem heruntergebrannten Feuer, das die einzig verbleibende, düster glimmende Lichtquelle im Raum war, jetzt, da die Mondscheibe weitergewandert war und nicht mehr ihren bleichen Schein hineinwarf?

Völlig mit der sich bietenden Situation überfordert, rüttelte die Baroness an der Schamanin um sie wieder zu wecken. "Ha … hallo … Suncuua?" Befinna hatte Angst so ganz alleine und sie hatte so viele Fragen.

Erschreckt musste Befinna feststellen, wie wenig Widerstand der erschlaffte Leib der Schamanin ihrem Schütteln leistete. Dennoch mühte sie sich vergebens - Suncuua wollte und wollte einfach nicht wach werden. Die Älteste hatte sich scheinbar verausgabt - es schien nicht gut um sie zu stehen, so schwach und leblos sie dalag, völlig weggetreten.

Die Baroness hielt sich betroffen ihre Hand vor den Mund. Würde sie … nein, Befinna wusste, dass sie etwas tun musste um zu helfen. Als erstes kamen ihr Lioba und Khorena in den Sinn. Ja, die beiden wussten sicher was zu tun war. "Wartet hier …", meinte sie überflüssigerweise an die bewusstlose Goblinfrau gewandt, "... i … ich hole Hilfe." Die junge Frau streichelte kurz über Suncuuas Hände und ihre Wangen und lief dann ziellos aus dem Separee hinaus, indem sie sich befanden.

Befinna hastete im Halbdunkel aus der Höhle. Da sie in ihrem Schrecken nicht daran gedacht hatte, eine Fackel zu greifen, fand sie sich bald im Volldunkel des schmalen Spaltes wieder, durch den sie gekommen war. Nahezu blind tastete sie sich weiter. Mit jedem Schritt, jedem Stolpern oder Entlangschrammen an in der Schwärze verborgenen Hindernissen und jeder Blessur, die sie sich dabei zuzog, wuchs ihre Panik. Sie glaubte schon fast daran, auf ewig in der Finsternis umherirren zu müssen, als sie endlich wieder Schemen in der Dunkelheit ausmachen konnten, die ihr den Weg bis zur großen Höhle wiesen.

Nukku-Mulla

Mehr und mehr der Fackeln waren heruntergebrannt, und auch die Feuer fielen langsam in sich zusammen. Immer weniger der Suulak huldigten noch Mailams Fruchtbarkeit, stattdessen machte man es sich unter der Obhut von Mutter Sau gemütlich - Männlein wie Weiblein lagen kreuz und quer, teils neben- und teil übereinander. Müde Augen schlossen sich, das Haupt auf der Brust eines anderen Suulak gebettet, an mancher Stelle hörte man bereits ein grunzendes Schnarchen, während an anderer noch trunken vom ausklingenden Liebesrausch mit sanfter Hingabe gelaust wurde.
Mitten aus dem Haufen erhob sich Tschiiba und ging auf Lioba zu. "Rakkaus-Antaa müdemüde sein müssen? Rakkaus-Antaa Rudel auch! Schlafen Suulak!", lud sie die Geweihte und die anderen Gäste in ihrer kehligen Sprache ein, sich unter die Goblins zu mischen. Wer am Taati Mulla teilgenommen hatte, gehörte auch zum Nukku-Mulla. Nur die Elfe bedachte sie mit einem Seitenblick, der zeigte, wie wenig geheuer ihr diese erschien.

Tsamitrius spürte die Erschöpfung, aber sich zu den Goblins zu legen wollte er nicht. So suchte er die Nähe seiner Base Khorena, um dort auszuruhen.

Er fand die junge Frau eng an Aedha gekuschelt auf einem der Felle. Sie lächelte verschlafen und räkelte sich, als sie Tsamitrius auf sich zukommen sah. “Was machst du denn hier?”

´Was für eine merkwürdige Frage … war sie nicht als Priesterin Teil dieses Festes Tsatuaras?´ Etwas verstört schaute er sie an, war aber zu erschöpft, um etwas zu sagen. Vorsichtig legte er sich neben sie und schloss die Augen.

“Warum bist du nicht bei Lioba? Hatte nicht sie dich als ihren Gefährten für diese Nacht erwählt?”

“Wer ist Lioba?”, murmelte er. “Tsatuara wurde gefeiert, ihr geehrt, mit all ihren Töchtern …” Seine Augen blieben geschlossen.

“Du… “, sie verstummte. Khorena hätte mehr von ihrem Vetter erwartet. Sie wandte sich wieder Aedha zu und strich ihr zärtlich durchs Haar. “Ich schaue kurz nach Lioba … und vielleicht auch Befinna, wenn ich schon dabei bin. Es dauert nicht lange, dann bin ich wieder zurück.” Das Versprechen untermauerte sie mit einem zärtlichen Kuss. Tsamitrius hörte den veränderten Ton in ihrer Stimme und öffnete die Augen. “Was ist Khorena, du hörst dich verärgert an.”

Sie erwiderte nichts, einzig eine Augenbraue schnellte nach oben. Khorena mochte ihren Vetter sehr gerne, doch es gab Momente, da sie ihn… Nein, an sowas wollte sie gar nicht erst denken. Er schloss die Augen wieder und schlief ein.

Aedha streckte sich ein wenig, während ihr wacher Blick der Priesterin folgte.

Stattdessen ging sie los und suchte nach der Geweihten. Zudem wollte sie auch nach Befinna schauen. Die Baroness hatte heute einen ereignisreichen Tag und nicht alles so gut aufgenommen. Außerdem hatte Suncuua ihr versprochen, dass sie ihre Mutter sehen würde, was die junge Frau zusätzlich verstören könnte. Innerlich schalt sich Khorena, dass sie ihrer Lust nachgegeben hatte, anstatt Befinna beizustehen. Auf der anderen Seite hatte sie aber auch nicht die Aussprache zwischen Rondrad und Befinna stören wollen.

In einer der Nischen lag Rakkaus-Antaa in Felle gewickelt und starrte in eines der Feuer.

Fast hätte Khorena die Geweihte unter den Fellen übersehen. Sie kam näher und ließ sich neben der älteren Frau nieder. “Wie geht es dir?” fragte sie sanft.

"Der Tag hat vielversprechender angefangen, als er endete. Ich… ich glaube ich habe versagt.” Sie seufzte. “Ich konnte nicht zu Befinna durchdringen und jetzt auch noch…” Sie brach ab und blickte zu Boden.

Die Jüngere rückte näher an Lioba heran, legte den Arm um ihre Schulter und zog die Geweihte an sich heran. “Du hast dir mehr von Tsamitrius erhofft, nicht wahr? Wie lange ist es her, dass du die Nähe und Zärtlichkeit eines anderen Menschen erfahren hast?”

Erschrocken blickte Lioba die Foldenauerin an. “Er… er hätte doch zumindest weitermachen können, bis… Stattdessen steht er auf, als er fertig ist und will mich diesem ungehobelten Druiden zuführen, als wäre ich eine Hure, die man im Gasthaus von einem zum anderen reicht.” Zorn mischte sich nun in Blick und Stimme der Geweihten: “Wenn er es nicht schafft eine gestandene Frau in Rahjas Zelt zu führen, dann ist er einfach nur ein aufgeblasener Schlappschwanz.”

‘Tsamitrius du dämmliches Rindvieh!’ schimpfte Khorena ihren Vetter stumm. Sie hatte geahnt, dass er etwas in die Richtung getan hatte. “Gräme dich nicht seinetwegen, er meinte es bestimmt nicht böse und als Mann, der er nunmal ist, weiß er wahrscheinlich noch nicht mal, was er falsch gemacht hat.” Sie lächelte die Geweihte aufrichtig an. “Aber du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet. Wann hast du das letzte Mal die Nähe oder Zärtlichkeit eines anderen Menschen genossen?”

“Gewiss fünf oder sechs Götterläufe”, gestand sie, “ich bin viel auf Reisen, da ich für alle Bauern der Baronie zuständig bin. Mir bleibt einfach keine Zeit.” Tränen traten in ihre Augen. Jetzt, wo sie es aussprach, wurde ihr die Situation bewusst.

“Scht, scht.” sanft nahm Khorena Lioba in die Arme und streichelte ihren Rücken. “Manchmal scheint es, als rase die Zeit einfach so dahin.” Sie empfand tiefes Mitgefühl für die Frau. “Warum kommst du nicht mit zu Aedha? Dort wärst du nicht allein sondern in Gesellschaft. Es würde dir guttun.” Khorena küsste die Frau auf Stirn und Wangen.

Dankbar schaute Lioba Khorena an. Plötzlich fragte sie mit einem Stirnrunzeln, aber ohne Scheu oder Urteil: “Was ist mit Deinem Gesicht?”

Erst jetzt ging der Priesterin auf, dass Lioba sie bisher nur maskiert gesehen hatte. Doch die befürchtete Reaktion war ausgeblieben und so konnte Khorena entspannt lächeln. “Das sind die Auswirkungen eines Fluchs. Du musst dich nicht sorgen, abgesehen von den Zähnen und Augen bin ich ein normaler Mensch.”

“Es gibt ein Mittel gegen Lykantrophie. Falls… falls Du Dich noch nicht verwandelt hast.”

“Das ist lieb gemeint, aber es ist keine Lykantrophie. So wie jetzt sehe ich immer aus und der Vollmond verwandelt mich auch nicht in eine wilde Bestie. Ich wurde so geboren und wie du sehen kannst wächst mir auch kein Fell oder Klauen.” Sie zeigte ihre Finger und vor allem die Fingernägel vor.

Lioba strich der Jüngeren über die Wange. “Dieselbe Pflanze, die Heilung bringt, kann auch zu einem Räuchermittel verarbeitet werden, mit dem man Werwölfe fernhalten kann. Wenn Du willst können wir mal testen, ob Du den Geruch vertragen kannst. Wenn nicht, ist es vielleicht doch, zumindest zum Teil, Lykantrophie. Dann allerdings kann ich Dir nicht helfen, denn von geborenen Wolfsmenschen habe ich noch nicht gehört. Wissen die anderen es denn?”

“Ich mag den Geruch von Wolfsbann nicht besonders, gerade weil Lupina als Halbwolf darauf reagiert, aber du kannst ihn gerne ausprobieren.” Wolfsbann oder Roter Drachenschlund hatte ihr Onkel bereits recht früh, noch vor ihrer Geburt getestet und es hat leider nichts gebracht. “Aber Lioba, ich bin hergekommen um nach dir zu sehen, nicht wegen meines kleinen Problems.”

Die Geweihte lächelte: “Danke. Ich kümmere mich schon so lange um andere, dass ich mich manchmal selbst vergesse.” Sie stand auf und reichte Khorena die Hand. “Ich nehme Deine Einladung gerne an.”

Die Tsatuara-Priesterin lächelte breit und ließ sich von Lioba aufhelfen. “Das finde ich schön.”


Wjassul Aluk

In der großen Höhle herrschte inzwischen nur noch Dämmerlicht, und viele der Goblins schienen bereits zu schlafen. Wenigstens lagen sie, soweit Befinna dies erkennen konnte, um die große, an eine dralle Schwangere erinnernde Sintersäule herum. Auch die Menschen befanden sich unter ihnen, doch waren diese erkennbar noch wach.

Rondrard, der inzwischen immer ungeduldiger nach ihr Ausschau gehalten hatte, wurde der jungen Frau sofort gewahr, aber auch Khorena und Lioba sahen sie kommen. Seine erste Erleichterung wich schnell großer Sorge, denn ganz offensichtlich war sie vollkommen aufgelöst. “Was ist los, Befinna? Was ist geschehen?” fragte er erschrocken nach.

"Lioba? Khorena?", fragte sie ins Dunkel hinein.

Die kurze Ruhe hatte gereicht. Die aufgeregte Stimme Befinnas, ließen die Sinne Tsamitrius Alarm schlagen. Er öffnete die Augen und richtete sich, noch immer nackt, auf. Er griff instinktiv nach einem größeren Knochen, falls es jemanden zu verteidigen gab. Schon jetzt vermisste der Hexer seinen treuen Gefährten Strinx, den Waldkauz, dessen scharfe Augen er gut gebrauchen könnte.

Erst als die Baroness direkt vor der Gruppe stand, erkannten die Anwesenden, trotz Gesichtsbemalung, ihr blasses Antlitz und die roten, verweinten Augen. Doch nicht nur das: eine Strähne ihrer braunen Haare war schneeweiß geworden. Es schien in diesem Moment als wäre Befinna einem Geist begegnet. "Schnell … Suncuua … ich glaube sie stirbt. Ihr müsst mir helfen. Ich will nicht, dass ihr etwas passiert."

Das hatte der wache, an den nackten Stein gelehnte Druide nicht überhört. Suncuua liege im Sterben? Dann musste bei dem Ritual etwas schrecklich schief gegangen sein - oder aber die große Mutter hatte über das Schicksal der Schamanin entschieden. So oder so, er würde sich seiner Schwester in Glauben und Wirken annehmen müssen. “Führ mich zu ihr. Bitte.”

Alarmiert durch Befinnas Rufe eilten auch Lioba und Khorena herbei. Suncuua durfte nicht sterben! Was war da passiert? Khorenas Augen blieben bei der weißen Haarsträhne hängen und sie warf daraufhin Rondrard einen besorgten Blick zu. Die Worte Befinnas verstörten sie zutiefst, ebenso der Ausdruck auf ihrem Gesicht und ganz zu schweigen von der Haarsträhne. "Wir kommen auch mit."

Schweigend griff Tsamitruis nach ein paar Fellen und schlug sie um seine Hüften. Dann schloss er sich Khorena an.

Rondrard erwiderte Khorenas Blick, sichtlich konsterniert. Die alte Schamanin durfte heute auf keinen Fall sterben - nicht, ohne eine Nachfolgerin als Mittelpunkt und Haupt der Tuluukai-Brydh-Blogai hinterlassen zu haben, und schon gar nicht, nachdem sie am Tage des Taati Mulla alleine mit Befinna gewesen war. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was dies auslösen würde. Sie mussten versuchen, Suncuua zu retten, um jeden Preis. Und er sorgte sich um Befinna, denn dass etwas geschehen sein musste, dass seine Wirkung nicht nur auf die Stammesälteste, sondern auch auf die junge Frau, die er selbst hierher gebracht hatte, war nur allzu offenkundig. Was hatte er nur angerichtet? "Dann los, schnell!” drängte auch er in Richtung Suncuuas. “Wo ist sie? Und sag Befinna: Was ist geschehen? Mit ihr, und mit Dir?"

Auch Lioba war sofort alarmiert. "Tschiiba", rief sie in die Dunkelheit. Als einer der Köpfe nach oben ruckte, fuhr sie fort: "(meine) Tasche schnellschnell. Folgen schnellschnellschnell!"

Tschiiba wischte den Unwillen, der sie beim Gedanken überkam, sich aus ihrem eingekuschelten Zustand lösen zu müssen, rasch zu Seite. Rakkaus-Antaa rief, und ihre Aufforderung klang sehr ernst. Also musste es ernst sein. Sie schälte sich aus der Umarmung des leise murrenden Goschd, den sie für die heutige Nacht gewählt hatte, und eilte zu Lioba. Auch wenn sie die Menschen nicht gut kannte, gefielen ihr deren Gesichtsausdrücke und deren Tuscheln gerade gar nicht. "Mailam auswühlen bös, verschlucken nein?" wollte sie von Lioba wissen? Irgendetwas stimmte überhaupt nicht.
Um sie herum erhoben weitere Goblins ihre Köpfe, teils neugierig, teils alarmiert. Was hier gerade los war?

“Mailam wühlt hungrig. Kann sein verschlucken Suncuua!” erklärte die Geweihte ihnen.

"Verschlucken Suncuua?" Tschiibas Augen weiteten sich zu einem Ausdruck schieren Entsetzens. "Nein, kann sein. Neinneinnein! Wo Suncuua? Sagen!" Um sie herum kam jetzt zusehends Unruhe unter den gerade noch kuschelnden oder bereits dösenden Suulak auf, waren die goblinischen Worte doch zumindest im näheren Umkreis gut vernehmbar gewesen. Eine weitere Tuluukai-Frau erhob sich und blickte suchend um sich. "Wo Suncuua?"

Lioba wechselte wieder ins Garethi: “Befinna, wo ist Suncuua jetzt?” Zu Tschiiba sagte sie: “Furcht nein. Tasche schnellschnell. Kann sein Rakkaus-Antaa retten Suncuua.” Dann wandte sie sich an die andere Tuluukai-Frau: “Licht vielviel, schnellschnell.”

Die Baroness zeigte vage in die Richtung, aus der sie gekommen war. "Dort hinten. In einer Höhle", ihr Blick ging unruhig zwischen den Anwesenden herum. "Ich … wir … Suncuua hat mir meine Mutter gezeigt und als ich aufgewacht bin … es war plötzlich so kalt und sie ist umgefallen. Sie hat ganz flach geatmet, doch ließ sie sich nicht wecken." Befinna schoss ein Gedanke ein - sie hielt sich erschrocken ihre Hand vor den Mund. "Vielleicht war es dieser Schatten, der Mam … meine Mutter getötet hat."

Rondrards Bauch krampfte. Was hatte Befinna von Suncuua gezeigt bekommen? Und was war dabei nur über die Schamanin gekommen? War Befinna gar des Schattens ansichtig geworden? Falls ja, war er überrascht, wie gefasst sie dafür noch war. "Meinst Du, er war... oder ist sogar... bei ihr?" wollte er wissen. Rondrard griff nach ihrer Hand. "Komm, führ uns bitte rasch zu ihr." Sein Blick suchte hilfesuchend den Khorenas und traf dabei auch Tsamitrius, der neben ihr stand.

“Kommt. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Wenn sie das Lebenslicht nicht schon ausgehaucht hat. Seid auf der Hut”, grollte Ulfaran und drängte zur Eile.

Seltsam lethargisch und grüblerisch nickte die Baroness den Männern zu.

Der Baroness wurde von Khorena ein großes Fell um die Schultern gelegt. “Das wird dich wärmen.”

"Danke", flüsterte Befinna.

Auch der Hexer blieb in Befinnas nähe, den nun war er wieder in der Rolle von Tsamitrius, dem Herold einer Baronin.

Tschiiba musste erst einmal verdauen, was sie da von Rakkaus-Antaa vernommen hatte. Weitere der Suulak sprangen derweil auf und kamen in Richtung der Menschengruppe, einige ängstlich, andere erkennbar aufgebracht. Endlich fasste sich Tschiiba wieder. Rakkaus-Antaa hatte ihr so gut geholfen - wer, wenn nicht sie konnte auch die Älteste davor bewahren, noch heute in den Magen von Mutter Sau zu gelangen? “Rakkaus-Antaa Suncuua retten”, gab sie den anderen Suulak um sie herum gleich mehrmals und überraschend resolut zu verstehen. “Tasche See Leib Mutter sein?” fragte sie dann die gute Menschenfrau, ob diese die Tasche beim Bad zurückgelassen habe. Lioba nickte. “Wo Suncuua?”, wiederholte sie dann ihre vorherige Frage, hoffend, dass die seltsame Frau mit dem weißen Streifen in den Haaren, die mit der Ältesten fortgegangen war, dies Rakkaus-Antaa gerade verraten hatte. “Rakkaus-Antaa gehen Suncuua. Tschiiba bringen Tasche (zu) Rakkaus-Antaa (bei) Suncuua.”
Da kamen auch schon die Fackeln. Inzwischen bildete sich eine wachsende rotbepelzte Traube um sie herum aus.

Die Geweihte deutete in dieselbe Richtung wie Befinna. "Gut, so tun. Lichter folgen schnellschnell." Dann rief sie: "Llyilliala!"

Nachdem das Gespräch mit Rondrard beendet war, hatte sich Llyilliala weiterhin in seiner Nähe gehalten, um den Goblins keinen Anlass für weitere Annäherungsversuche zu geben. Mit halb geschlossenen Augen hatte sie im Schneidersitz verharrend versucht, Ruhe zu finden. Die zunehmende Unruhe um sie herum nahm sie gar nicht zur Kenntnis, sie blendete auch die Stimmen aus und hört gar nicht zu, was gesprochen wurde.
Doch nun riss sie die direkte Ansprache der Geweihten aus ihrer meditativen Haltung. Unwillig öffnete sie die Augen wieder ganz und sah Lioba an. “Was?” fragte sie irritiert.

“Ich brauche Eure Zaubermacht”, gestand die Geweihte freimütig, da sie nicht wusste, dass sie von drei der Kinder Satuarias umgeben war, “die Stammesälteste wurde von einem… Schatten oder Geist oder so… angegriffen. Vielleicht ist er noch da.”

Angegriffen? Auf ihrem eigenen Fest? Zwar hatte Llyilliala keine Absicht, einer Goblinfrau zu helfen, aber dieser Schatten … hatte vielleicht etwas mit dem zu tun, was sie hier suchte. Ohne ein weiteres Wort stand sie auf und folgte der Geweihten.

Aedha hatte sich nicht die Mühe gemacht und sich ebenfalls ein Fell umgelegt, stattdessen war sie noch immer nackt dem Weg zur alten Schamanin gefolgt. Was nur hatte das törichte Kind gewirkt, dass es sich auf diese Weise gegen sie gewandt hatte.

***

Rondrard gefiel gar nicht, dass sich immer mehr Goblins um sie ballten - auch wenn die Suulak alles Recht darauf hatten, zu erfahren und sich zu sorgen, wie es um ihre Älteste stand, wäre ihm lieber gewesen, zunächst nur im Kreise weniger Vertrauter nach Suncuua zu sehen. Wenigstens wusste er Khorena und Lioba bei sich - wer, wenn nicht die beiden, würden der Schamanin helfen können - wenn es noch etwas zu helfen gab. Und dass die mächtige und noch dazu Khorena, nach allem, was er gesehen hatte, wenigstens heute sehr wohlgesonnene Aedha da war, würde in dieser Nacht hoffentlich auch kein Nachteil sein.
Rasch griff Rondrard nach einer der Fackeln, dann drängelte er sich, Befinna an der Hand, durch die Reihen der Tuluukai hindurch in Richtung der Seitenhöhle, aus der Befinna gerade zu ihnen zurückgekommen war.

Sie mochten sich so vor die Goblins setzen, diese machten aber keinerlei Anstalten, zurückzubleiben, sondern folgten den Menschen auf dem Fuß. Wenigstens sorgte die stellenweise Enge der Gänge dafür, dass sich der Pulk deutlich streckte.

Die Baroness ließ sich derweil vom Tannenfelser durch die Meute ziehen. Ihre Beine bewegten sich zwar, aber mit den Gedanken schien sie wo anders zu sein. Langsam aber sicher sickerten jene Gedanken ein, die ihre naive Vorfreude darauf ihre Mutter sehen zu können, zuvor unterdrückt hatte. Was hatte sie nur getan?

Khorena war direkt an der Seite Befinnas. Sie machte sich Vorwürfe, weil sie sich einfach der Feier hingegeben hatte, anstatt der Gleichaltrigen und der Ältesten beizustehen.

***

Endlich erreichten sie die Höhle, in der die Männer geschwitzt und Suncuua mit Befinna das für sie verhängnisvolle Ritual gewirkt hatte. Das Feuer war nur noch ein schwaches rötliches Glimmen aus verkohltem Holz, und die mitgebrachten Fackeln stellten das einzige Licht dar. Auch der aus der Tiefe aufsteigende Dampf schien nachgelassen zu haben, denn in dem Raum war es klarer und kälter geworden. Wer kein Fell besaß und keines angelegt hatte, fröstelte am Leib - ebenso wie jeder, der die Älteste im flackernden Fackelschein erblickte, in der Seele: Die Schamanin lag noch immer erschlafft am Boden, nur ihre weit aufgerissenen Augen starrten leer in die Dunkelheit.
Unmittelbar neben den Menschen und der Elfe ertönte jäh ein gellender, selbst für die des Goblinisch mächtigen Menschen unverständlicher Aufschrei aus dem Munde eines jungen Goblinmannes, der gerade noch an ihrer Seite vorangeschritten war, nun aber entsetzt von dem erschreckenden Anblick seiner Ältesten zurückweichen wollte. Die anbrandende Woge weiterer Suulak, die ebenfalls in die Höhle drängten, spülte ihn jedoch weiter hinein und trug nur sein Rufen vielstimmig verstärkt nach draußen.

“Raum, raum!”, rief Lioba und bahnte sich den Weg zur Ältesten, wo sie sich hinkniete und zunächst den Atem prüfte, dann presste sie ihr Ohr auf die Brust der Schamanin.

Der Atem der Schamanin ging flach, war kaum spürbar. Dagegen schlug ihr Herz wie wild, um dann jäh wieder leiser zu gehen, änderte Rhythmus und Geschwindigkeit, trotzdem ihr Leib auf den ersten Blick nur schlaff da zu liegen schien. Ihr ganz nahe offenbarten sich Lioba aber die für das Auge unsichtbaren Spannungen, die einander im schnellen und unregelmäßigen Wechsel durch den Körper Suncuuas jagten.

Mit etwas Glück, so zumindest ihre Annahme, würde sie jetzt noch Spuren des gewobenen Zaubers im Raum, auf Befinna, aber auch auf Suncuua erkennen können. Stillschweigend, verschaffte sich Aedha einen Blick in die Welt Madas, anstatt unnötig Zeit zu verschwenden.

Für einen kurzen Moment bedauerte Aedha, dies getan zu haben, schien doch alles um sie herum vor Zauberkraft nur so zu glühen. Magie durchströmte diesen Ort und auch so einige ihrer Begleiter. Als sich ihr inneres Auge an das Gleißen gewöhnt hatte, nahm sie jedoch immer mehr Schattierungen wahr. Da waren das helle Leuchten Khorenas und der Kraft, die sie gerade der Schamanin schenkte, aber auch Ulfarans und Llyillialas. Deutlich sah sie den verwehenden Zauber um Befinnas Hauptm der sich vor allem auf die Malereien in ihrem Gesicht konzentrierte. Am hellsten aber glühte Suncuua - bereits ihr Leib schien von Magie durchtränkt, ein Teil derer sich in Gesicht und Händen ballte. Doch am augenfälligsten waren die beiden weiteren magischen Gewebe, die geradezu in ihrem Körper und vor allem Haupt zu tanzen - oder war es eher ringen? - schienen. Eines davon hob sich nur schwach von den astralen Mustern Suncuuas ab, das andere aber verhielt sich disharmonisch und aggressiv.

***

Befinna hielt sie ihre Hände vors Gesicht. Der Anblick und all das, was ihr hier zuvor widerfahren war, traf sie wie Ingerimms Hammer Malmar. Genauso wie die Erkenntnis, dass es wahrscheinlich ihre Schuld war. Ihr Schultern bebten, als sie abermals zu weinen begann.

Die Priesterin warf Rondrard einen auffordernden Blick zu und nickte dann Befinna. Dann ging sie neben Suncuua in die Knie, beugte sich über ihren Mund und es schien beinahe als würde sie die Älteste küssen.

Khorenas Speichel benetzte die Zunge Suncuuas und mit ihm suchte die Kraft der großen Mutter Risse im Leib der Schamanin, die geschlossen werden wollten, wütendes Gift, das zu neutralisieren war, oder die verderbende Krankheit, die es aufzuhalten galt. Doch fand sie weder Wunde, noch Vergiftung oder Siechtum, die geheilt werden konnten. Gleichwohl begann der Atem der Stammesältestens, etwas ruhiger zu gehen. Ihr Geist aber schien noch immer fern dieser Welt.

Ulfaran nahm zwischenzeitlich Befinna in den Arm. So sehr sich der bärtige Mann kratzig und rauh anfühlte - in diesem Moment bot er dem jungen Mädchen, denn dies war sie im Innersten, eine schützende Hand. Bei dem Anblick der Schamanin war ihm klar, dass hier jede Hilfe zu spät kam und die Seele der Zauberin in den Schoß der Mutter zurückgekehrt war. Offensichtlich musste hier ein großer Zauber gewirkt haben.

Llyilliala hatte sich bei der Geweihten gehalten, aber von sich aus keine Anstalten gemacht, zu der Schamanin vorzudringen. Wenn man etwas von ihr wollte, würde man es ihr schon sagen. Beim Aufschrei des Goblinmannes war sie heftig zusammengezuckt und hatte sich die Ohren zugehalten. Überhaupt sorgte das Gekreische und Geschnatter der Goblins dafür, dass sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Langsam zog sie sich zurück, in den Hintergrund der Höhle, heraus aus dem Getümmel. Dabei versuchte sie, die Umgebung im Auge zu behalten, so gut es ihr möglich war.

Rondrard sah hilflos zu, wie sich Lioba und Khorena Suncuuas annahmen - er selbst würde ihnen eher im Weg als eine Hilfe sein. Befinna schien ihn zu brauchen… doch auch die Goblins wurden unruhiger - es regte sich ein kehliges Murren des Unmuts, was die Menschen dort bei ihrer Ältesten machten… die Menschen, deren eine, so raunte es sich inzwischen herum, alleine mit Suncuua gewesen war, als es passierte. Eine Gruppe Jäger arbeitete sich in die Höhle vor und hielt auf die Schamanin zu. Dem Ritter war im Geiste klar, wo er jetzt am meisten gebraucht wurde, auch wenn sein Herz nicht zustimmte. Obgleich es ihm einen Stich versetzte, Befinna von Ulfaran umarmt zu sehen, anstatt bei ihm selbst Trost zu finden. Doch war für törichte Eifersucht jetzt kein Platz. Rasch ging er den Tuluukai-Männern entgegen.

Blitzschnell war Aedha ihre Möglichkeiten durchgegangen. Da sie den gewirkten Zauber jedoch nicht benennen konnte, konnte sie auch keinen passenden antimagischen Spruch auswählen. Durchaus hatte sie ihre Vermutung, aber genauso gut könnte es sein, dass sie damit alles nur schlimmer machte. Ihrem Frust, zu wenig über den Zauber der Schamanin zu wissen, und ihrem Ärger, über die zunehmende Lautstärke, machte die Eigeborene Luft, als sie mit kalter und ihre Verärgerung deutlich mittragenden Stimme die zunehmend lauter werdenden Goblins anfuhr. “Ruhe!”, wobei sie dabei nicht einmal laut wurde.
Dann wandte sie sich Suncuua zu und suchte sich einen Platz an der sie die Goblinfrau berühren konnte, schweigend wirkte sie ihre Magie, die die Seele im Ringen um das Leben stärken würde.

Mutter Waldlieb sah sofort, dass weder Wunde noch Krankheit verantwortlich war, doch fielen ihr gleich tausend Gifte ein. Allerdings traute sie Befinna so etwas nicht zu. Dennoch waren diese Energien, die sich leicht gegen die Haut abzeichneten, ein sehr merkwürdiges Symptom. Fieberhaft dachte sie nach, kam aber zu dem Schluss, dass sie hier nicht helfen konnte. Mehr aus purer Verzweiflung suchte sie Suncuuas Beutel, griff hinein und holte den Tiegel mit der weißen Farbe hervor. Sie steckte ihre Finger hinein und malte die Symbole auf Suncuuas Körper nach. Dabei betete sie inbrünstig zu ihrer Göttin, dass sie ihr helfen möge: “Herrin Peraine, Du gütige, gebende Bewahrerin des Lebens. Himmlische Heilerin schenke dieser Frau Kraft, um gegen das Übel in ihr zu bestehen. Steh ihr bei, beschütze sie und bewahre sie hier auf Deren, denn ihre Kinder bedürfen ihrer noch.” Zu guter Letzt malte sie, ein wenig krakelig, aber erkennbar, ein paar Kornähren auf noch freie Stellen an Suncuuas Körper, während sie sich der göttlichen Kraft öffnete durch sie zu fließen.

***

Aedhas Aufforderung zur Ruhe entfaltete tatsächlich ihre Wirkung auf die meisten der anwesenden Goblins, auf die Jäger noch mehr als auf die Frauen. Doch nicht alle gaben sich damit besänftigt oder hinreichend eingeschüchtert. Vor allem Vahvillisik wollte sich vor aller Augen nicht zu feige zeigen, seine Älteste vor den Fremden zu beschützen.
"Polku Senejlis! Ei tappar!" (Weg (von der) Ältesten! (Ihr werdet sie) nicht töten!) bellte er die Menschen vor sich an, wild entschlossen, sich mit einigen seiner tapfersten Mitstreiter den Weg zu Suncuua zu bahnen. "Antaa naiset, uta Suncuua!" (Lasst (die) Frauen, (sie) helfen Suncuua) stellte sich Rondrard diesem in den Weg, und es kam zu einer Rangelei, als beide gegeneinander prallten. Die größere Körpermasse Rondrards ließ Vahvillisik zurücktaumeln, was dessen Zorn nur befeuerte.

Es war Befinna, die von den aggressiven Lauten - sie konnte ja nichts verstehen - dazu angestachelt wurde etwas zu tun. Nein, sie war bereits an Suncuuas Zustand schuld und es sollte nicht noch mehr Leid geschehen. Die junge Frau riss sich von Ulfaran los, der sie bis hier hin getröstet hatte und stellte sich dann zwischen die Streithähne. “Aus …”, meinte sie, “... nicht!”

Ulfaran versuchte sie zurückzuhalten, aber in der Sache hatte sie Recht und ihrer Leidenschaft hatte er nichts entgegenzusetzen. “Hört auf”, sprach der Druide in Befehlston - und unterlegte die Anordnung mit magischer Macht.

Für Rondrard wäre bereits der Wunsch Befinnas Befehl genug gewesen, ihr beherztes Dazwischengehen ließ ihn sofort innehalten und sie verdutzt ansehen. "Ich wollte keinen Streit vom Zaun brechen", begann er sich hastig zu rechtfertigen, "ich hab ihm nur gesagt, er soll Khorena, Lioba und Aedha Suncuua in Ruhe helfen lassen… Achtung... Pass auf!" Geistesgegenwärtig riss er Befinna zur Seite, als der Anführer der Jäger der Tuluukai wieder auf sie zueilte.

Vahvillisik war sichtlich ungehalten, dass zusätzlich zum Menschenkrieger sich nun auch noch die Menschenfrau wagte, zwischen ihn und Suncuua zu treten. Ausgerechnet die, die alleine mit Suncuua gewesen war, als der etwas zugestoßen war. Halb knurrend, halb empört fauchend setzte er an, die Frau zur Seite zu stoßen und dann den Krieger Respekt vor ihm, dem stärksten der Jäger zu lehren. Da erhob der andere Mann von der Seite das Wort. Vahvillisik verstand zwar nicht, was genau der Kerl sagte. Aber dass er es verdammt ernst meinte, begriff er, und dass der Fremde offenbar überhaupt nicht damit einverstanden war, dass er gegen den anderen Menschenmann vorging. Aus welchem Grund auch immer, fehlte ihm selbst auf einmal jeglicher Drang, sich dem Willen dieses Mannes zu widersetzen. Stattdessen hielt er inne, machte kehrt und schon dabei seine Mitstreiter, die die Welt und ihren Jagdanführer auf einmal nicht mehr verstanden, einige Schritt von den Menschen fort.

Im selben Moment hörten sie, wie sich Suncuua regte.

***

Pörldsch beobachtete die Geschehnisse vom Rand der Höhle. Innerlich war er hin und hergerissen zwischen seiner Sorge um die Älteste, die der Mittelpunkt seines Stammes war, der Anspannung, ob es zwischen Vahillisik und dem Menschenmann zu einem Kampf kommen würde, und der Anziehung, die die geheimnisvolle Frau auf ihn entfaltete, die ihn vorhin zum Tanz gebeten hatte. Ganz unwillkürlich hatte es ihn ganz in ihre Nähe gezogen. Wenn sie sich unsichtbar machen konnte, musste sie doch auch Suncuua helfen können? Oder wollte sie das etwa gar nicht, vielleicht sogar das Gegenteil? Mit großen Augen sah er Llyilliala von schräg unten an.

Die Elfe hatte sich abseits von der Traube um Suncuua mit dem Rücken zu einer Wand gestellt und beobachtete aufmerksam das Geschehen um die Schamanin, die sich anbahnende Rangelei, aber auch die weitere Umgebung, so dass ihr Blick auf kurz Pörldsch streifte. War das nicht der Goblin, der vorhin … ? Egal, ihr Blick schweifte weiter.
Was die Schamanin anging, war die Geweihte der Peraine am Werk, und die Hexen ebenso, wenn es also um Heilung ging, dann war Suncuua sicher gut versorgt. Sie war froh, nicht selbst gebeten worden zu sein, einzugreifen. Andererseits … wenn sie sich den Goblinstamm gewogen machte, hätte sie es sicher leichter, nach den Geheimnissen dieses Ortes zu forschen.
Nun, heilen musste sie niemanden, aber vielleicht konnte sie etwas anderes tun. Dhao visya'my ama'e'ra flüsterte sie, um zu ergründen, ob es etwas gab, das nicht hierher gehörte.

Die Höhle war gefühlt von Menschen und Goblins, deren Lebenskraft sich Llyilliala leuchtend offenbarte. Die unterschiedlichen Größen ließen erahnen, wer sich hinter den Flecken verbarg.
Sie führte ihr inneres Auge über und durch den Raum, vermochte jedoch zunächst nichts Ungewöhnliches entdecken, wäre da nicht... sie konzentrierte sich auf die Aura, die von der Schamanin ausgehen musste: sie wirkte nicht nur recht klein, nein, sie schien auch dunkler als die anderen, selbst die der Goblins. Und dafür war ganz nah bei ihr etwas fremdes, dunkles, das nur ganz schwach glomm. Doch schien sich ein schwaches Leuchtband zwischen diesem Etwas und Suncuua zu erstrecken, wobei das Leuchten von Suncuua ausging.
Pörldsch sah mit an, wie die Elfe wegzutreten schien... nicht, dass ihr noch dasselbe geschah wie seiner Ältesten. Das würde er nicht zulassen. Beherzt trat er nun doch zu Llyilliala, fasste diese von unten an die Oberarme und schüttelte sie kräftig. Hoffentlich könnte er sie zurückholen.

Erschrocken zuckte Llyilliala zurück, als der Goblin sie am Arm fasste und aus ihrer Trance riss. “Lass mich”, zischte sie ihn an, dann drängte sie sich durch die Menge nach vorne zu der Gruppe um die Schamanin, ohne weiter auf den Goblinmann zu achten.

Der freute sich, wenigstens, soweit es ihm in der Situation möglich war. Immerhin hatte er sie aus der Welt der Geister zurückgeholt, und nun ging sie zu Suncuua, die ebenfalls wieder da war!

***

Inzwischen hatte die ewigjunge Eigeborene die Erdkraft fließen lassen und versucht, diese Kraft ihrer Gedanken und Gefühle zu einem Schutz um die Seele der Schamanin zu formen. War es die Wirkung ihres Zaubers oder doch die die Güte der Gebenden, die Liobas Gebet erhört hatte - für die Geweihte war die Nähe ihrer Göttin in diesem Moment deutlich greifbar, ihre Seele stieg empor in entrückte Seligkeit und Schauer liefen über ihre Haut, als ob sie nackt durch ein reifes Kornfeld ginge - jedenfalls begann sich Suncuuas Leib leise zu regen und Leben in ihre Gesichtszüge zu treten.

“So ist es gut, finde wieder zurück zu uns. Deine Zeit ist noch nicht gekommen. Wir brauchen dich, Suncuua. Komm zurück zu uns.” Khorena hatte den Kopf der Schamanin auf ihren Schoß gebetet und streichelte ihr fürsorglich den Kopf, während sie leise auf die Goblinfrau einredete. Und während sie sprach ließ auch sie Macht in den Leib Suncuaas fließen, um ihre allgemeine Widerstandsfähigkeit zu verbessern.

Nachdem sie ihren Zauber gewirkt hatte, hatte sich Aedha wieder erhoben und war etwas zurückgetreten um die allgemeine Situation besser überblicken zu können. Da in diesem Augenblick jedoch keine unmittelbare Gefahr bestand und sich die Verfassung der Schamanin stabilisierte, entscheid sie sich einen weiteren Blick auf die von die gewirkte Magie zu werfen. Ihr erster, noch arg vager, Blick, reichte der Hexe nicht aus, sie wollte mehr Details erfahren, wohl wissend, dass sich inzwischen neben Spuren des ursprünglichen Zaubers auch Reste von Khorena und ihrer eigenen Magie in das Gefüge gemischt hatten.

In der Tat schienen die Lebensgeister in Suncuua zurückzukehren, und wenige Augenblicke später schlug sie die Augen auf. Zuerst zuckten ihre Blicke schnell hin und her, suchte sie Orientierung, ehe sie jäh nach Khorenas Handgelenk griff. "Missä wjassul blogai? Wo Geist böse sein?" erklang ihr beinahe stimmloses Wispern.

Khorena hatte sich zu Suncuua hinunter gebeugt um ihre Worte besser verstehen zu können. Nun runzelte sie die Stirn. “Welcher böser Geist? Befinna hat uns geholt, nachdem du zusammengebrochen bist.” Hilfesuchend sah sie zu Aedha und Lioba. “Wisst ihr von was sie spricht? Könntet ihr einen Geist bannen?”

Erschrocken blickte sie Lioba an: “Geister? Nein, in die Geheimnisse des Exorzismus bin ich noch nicht eingeweiht. Aber vielleicht kann ich die Göttin bitten eine Schutzzone zu errichten.”

"Geist böse folgen Aleit." raunte Suncuua nur, sich immer noch an Khorena festhaltend. "Aleit suchen Kind. Finden Kind. Aleit hier. Aleit sein Suncuua." Langsam fasste sie sich wieder und versuchte sich hochzustemmen.

“Langsam, übereile nichts.” Khorena half Suncuua dabei sich aufzusetzen. “Wie meinst du das: ‘Aleit sein Suncuua’?” fragte sie nach.

Rakkaus-Antaa runzelte die Stirn: “Ich glaube die richtige Übersetzung wäre: Alheit ist in Suncuua, also… ihr Geist.” Suncuua nickte bestätigend. Die Geweihte spürte ein Zwicken in ihrem Bauch, denn ihre eben geäußerte These widersprach den zwölfgöttlichen Lehren, die sie, Lioba, eigentlich zu verteidigen hatte. Sie vermied daher den Blickkontakt zu Befinna und sprach zu Suncuua: “Kann sein, dass Geist böse auch Suncuua?”

Die Schamanin hielt inne und schloss die Augen, als fühle sie sich hinein. Dann nickte sie erneut. "Mutter Sau nein fressen Geist Aleit. Aleit nein wollen, fliehen." Kaum, dass sie ausgesprochen hatte, richtete Aedha das Wort an sie.

Aedha konzentrierte sich derweil voll auf Suncuua. Zunächst fiel es ihr schwer, die übereinander liegenden magischen Muster zu entwirren, doch mehr und mehr erlangte sie einen Überblick. Unter den in vertrauter satuarischer Tradition gesprochenen Zaubern waren weitaus fremdartigere, mehrschichtige magische Gespinste verborgen. Oberflächlich gesehen wurde ein Verständigungszauber gewirkt, so viel konnte Aedha erahnen. Doch war dies nicht durch Suncuua geschehen, sondern offensichtlich von einer weitaus fremdartigeren Wesenheit, die die Stammesälteste allerdings selbst und willentlich herbeigerufen haben musste - so viel offenbarten die von Suncuua ausgegangenen primären astralen Fäden, die noch nicht ganz verweht waren. Am verstörendsten aber war für Aedha, dass an Suncuuas Astralleib offensichtlich noch zwei Geister gebunden waren.

Nachdem ihre Analyse beendet war, wartete die Rothaarige noch einen Augenblick ab. Sie wollte dass sich Suncuua ausreichend gesammelt hatte, eh sie sie mit ihrer Entdeckung konfrontierte, während sie zugleich in ihrer Konzentration nicht bekommen hatte, was die Goblinfrau und Khorena gesagt hatten. Noch immer nackt, doch in vollkommener Selbstsicherheit stand Aedha neben der Goblin-Schamanin und blickte zu ihr herab. Deutlich verkörperte sie in diesem Augenblick ihr altes Wesen als Schöne der Nacht weit mehr, als durch den aus Verrat geborenen Wandel zur Schlangenhexe. “Wieso bindest du die Seelen verstorbener an die deine, Kind?” Das Leben war der Erdmutter heilig. Wandel und Vergehen, mochten dazugehören, aber keine Seele sollte gebunden werden. Entsprechend hart waren ihre Worte, zumal das abschließende ‘Kind’ ganz eindeutig nicht Mütterlich gemein war, sondern auf einen Mangel an Erfahrung abzielte.

Suncuua spürte sehr wohl den Vorwurf, der in den Worten der Ewigjungen schwang. Doch war sie weit weniger töricht, als die Menschenfrau von ihr dachte. Und zugleich zu erfahren und altersweise, um sich dadurch aus der langsam zurückkehrenden Ruhe bringen zu lassen. "Nein Geist binden! Geister rufen zeigen Aleit Kind Aleit Gedanken Suncuua", erklärte Suncuua Aedha, was sie eigentlich im Sinne gehabt hatte. "Nein wissen, Aleit kommen. Nein wissen Geist böse kommen folgen Aleit. Aleit nein finden Frieden böse Geiste stehlen. Aleit helfen müssen."

In diesem Moment drängelte sich Llyilliala zu der Gruppe durch. “Etwas frisst ihre Lebenskraft”, stieß sie hervor, als sie Suncuua und die Menschenfrauen erreicht hatte, ohne Rücksicht auf das, was diese gerade sprachen oder taten.

Die Älteste sah die Elfe nachdenklich an, als ob sie in sich hineinhörte, dann nickte sie. Ja so war es. "Geist böse sein in Suncuua. Verstecken. Kämpfen Aleit. Essen Suncuua."

“Was ist das für ein Geist?”, wollte Llyilliala eindringlich wissen. “Und wo kommt er her? Wie lange ist er schon da?” Sie hatte keine Ahnung, was sie gegen einen Geist tun sollte, aber eine gute Freundin hatte sie einst gelehrt, dass Wissen dunkle Wege erhellen konnte, überhaupt erst Pfade öffnete, welcher man sich vorher nicht bewusst gewesen war.

Jetzt starrte Suncuua Llyilliala geradezu an, schien mit sich zu ringen - oder mit etwas in ihr. "Geist sein Schatten. Schatten... Dein Volk. Geist nein allein." Allein diese Worte auszusprechen, schien ihr weh zu tun, als wolle etwas nicht, dass sie weitersprach. So stark der Wille der Schamanin auch war, krümmte sie sich vor Schmerzen. "Nein verstehen, Geist können sein... hier." So sehr sie dagegen ankämpfte, drohte sie, das Bewusstsein erneut zu verlieren.

Entgegen ihrer eigenen Absicht fing Llyilliala die Schamanin auf, als sie schwankte. Ein elfischer Geist? Von so etwas hatte sie noch nie gehört. Elfen kamen aus dem Licht und gingen dorthin zurück. Sie hatte davon gehört, dass Menschen manchmal als Geister zurückblieben und böse wurden, wenn sie keinen Eingang in eines ihrer angeblichen göttlichen Paradiese fanden. Aber so, wie die Goblins sie offenbar für einen Geist hielten, missdeuteten sie vielleicht auch dieses Wesen, das an Suncuaas Lebenskraft fraß … ratlos sah sie die anderen Menschen an.

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Übertrag wird fortgesetzt



Vorlage eingerückt






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