Schwarz steht der Tann - Akt 6

Mondengrauen

Akt 6 der Briefspielgeschichte Schwarz steht der Tann

Aleit

Befinna wusste nicht mehr, wie viele Windungen und Räume sie durchschritten hatten, war ihr doch bald - vielleicht auch ihrer Müdigkeit und den Erlebnissen der letzten Tage geschuldet - jede Orientierung verlustig gegangen. Die junge Baroness wusste nur, dass Suncuua, die eine brennende Fackel in der Hand trug, sie aufwärts führte, bis sie eine große, fast kreisrunde Höhle erreichten. Diese wurde nach oben teils durch eine Decke abgeschlossen, teils mündete sie in einem großen Loch, durch das der volle Mond verschwommen zu erkennen war, denn die Kaverne war von warmem Dampf erfüllt, der irgendwoher von unten in den Raum eindrang und für wohlige Temperaturen sorgte.
In der Mitte glühten die letzten Überreste eines Holzfeuers, und ein merkwürdiger, einerseits recht rauchiger, andererseits auch würziger Geruch hing schwach in der Luft. Am Boden erkannte Befinna einige Häufchen, von denen sich eines als Rondrards Habseligkeiten, ein anderes als die Robe Ulfarans erwiesen.
Die Schamanin deutete Befinna sich zu setzen, dann ging sie kurz nach draußen, um noch ein paar Äste hereinzuholen und das Feuer wieder zu entfachen.
Als sie dieses richtig im Gang hatte, warf Suncuua einige Kräuter hinein, die die Flammen für einen Moment zischend höherlodern ließen. Kurz darauf durchwirkte ein neuer, süßlicher Geruch den Raum, der Befinna rasch müde und ihre Lider schwer werden ließ. Derweil hatte die Schamanin aus einem Bündel, dass sie, von Befinna unbemerkt, irgendwo auf dem Weg aufgenommen haben musste, einige Beutelchen mit Farbpulvern und weitere Utensilien entnommen, mit denen sie begann, weiße und schwarze Farbe anzurühren.
Befinna war aller Anspannung zum Trotz kurz davor einzuschlafen, da schreckte sie jäh wieder hoch und sah das Gesicht Suncuuas unmittelbar vor dem ihren. "Malen Gesicht dein, Gesicht Suncuua. Dann Geister rufen. Aleit sehen." erklärte diese mit ruhiger Stimme.

'G … Geister?', schoss der Baroness nun ein Wort ein, das sie zuvor noch überhört hatte. Doch wie sonst würde sie ihre Mutter sehen können? Sie würde doch kaum hier unter den Goblins leben. Nein, das wäre albern. Deshalb musste sie da jetzt durch. Immer noch wortlos nickte sie Suncuua an und ließ sich von ihr bemalen.

Suncuua holte rasch die abgelegten Gewänder Rondrards und knüllte sie zu einer Art Kissen zusammen, das sie vor sich platzierte. Sie deutete Befinna, sich auf den Rücken niederzulegen und ihr Haupt darauf zu betten. Schließlich setzte sie sich im Schneidersitz an deren Kopf. "Zu Augen machen." forderte sie die Baroness leise auf.

Was die junge Frau auch sogleich tat. Befinna war aufgeregt und ihr Atem ging schnell.

Dann begann sie, ganz langsam und nur mit ihren Fingern, begleitet von ihrem eigenen, monotonen Gesang, zuerst in weiß die Wildschweinhauer Mailams zu malen, die die Menschenfrau vor etwaig mitangelockten bösen Geistern schützen sollten, darüber in schwarz einen Hirsch als Symbol des Orvai Kurim und zuletzt nochmals in weiß einen Vogel, der die Wjassus Kubukai symbolisierte, Windgeister, die ihrem eigenen Geist den Weg zu dem der Tochter Aleits vor sich weisen sollten. Obgleich die Hände alt und von den Jahren gezeichnet waren, fühlten sich diese warm und sanft auf Befinnas Haut an, auf ihre Weise sogar beruhigend.

Und so zeigte sich der schmale Anflug eines Lächelns auf den Zügen der jungen Frau. Sie versuchte all das zu vergessen, was ihr heute widerfahren war. Die Flucht in den Wald, das Umherirren, das Treffen mit Lioba und den anderen und schlussendlich auch die Gefangennahme - denn nichts anderes war es - durch die Goblins. Und dann war da noch diese seltsame Orgie, an der sich ihre menschlichen Begleiter so bereitwillig beteiligten. Was dies der Einfluss dieser großen Mutter? Ein Tollhaus, in welchem alle übereinander herfielen? Befinna war in ihren Gedanken nicht übermäßig prüde, aber hier zwischen verkleideten Fremden und Goblins … nein das hatte nichts mit dem Bild zu tun, das sie von einer rahja- und traviagefälligen Vereinigung hatte. Ihr Atem wurde etwas langsamer und sie wurde ruhiger, Last und Nervosität schienen abzufallen.

Als die Schamanin damit fertig war, beugte sie sich noch einmal über das Feuer und atmete mehrmals tief den mit dem Dampf aus der Tiefe durchmischten Kräuterrauch ein, der von diesem aufstieg. Schließlich tauchte sie beide Handflächen tief in weiße Farbe und presste sich diese zuerst auf ihr eigenes Gesicht und direkt darauf auf die Wangen Befinnas, wo sie diese beließ, auch um die junge Frau, sanft, aber dennoch bestimmt festzuhalten. Dabei hatte sie ihr Haupt direkt über das der Baroness gesenkt, so dass sich beide aus nächster Nähe, nur wenige Halbfinger lagen dazwischen, gegenseitig in die Augen sahen.
Jetzt hieß es, auf das Wirken der Geister zu warten.

Diese Annäherung der Schamanin, die so anders war als das zärtliche Streicheln zuvor, ließ Befinna wieder etwas unruhiger werden und es fehlte nicht viel, dass sie ihre Augen geöffnet hatte. Auch der Kräuterdampf biss sie in ihren Atemwegen, doch blieb sie für dieses eine Mal stark und ließ das Prozedere über sich ergehen.

Die Zeit schien zu einem zähen Sirup zu gerinnen, während die Baroness darauf wartete, wie versprochen ihre Mutter zu sehen, und die Wirkung des Rauches tat ihr übriges dazu. Die gelben Augen, die so starr in die ihren blickten, schienen sich nach einer weiteren Weile zu drehen, erst ganz langsam und unmerklich, dann jedoch deutlicher und immer schneller, zu einem Mahlstrom werdend, der Befinna ins unergründliche Schwarz der Pupillen Suncuuas hinabriss. Der jungen Frau wurde schwindlig, sie verlor jede Orientierung und schließlich, so glaubte sie, ihr Bewusstsein.

Es war warmer Sonnenschein, der ihre Haut kitzelte und sie weckte. Rasch setzte sie sich auf. Sie befand sich auf einer Waldlichtung, um sie herum blühten die Blumen in allen Farben, und es war ein reges Summen und Flattern. In der Nähe plätscherte Wasser, und es duftete Köstlich nach Wald und Gras und Frühsommer. Erst auf den zweiten Blick erkannte sie, dass es sich um die Lichtung handeln musste, auf der sie vorhin - war es wirklich erst vorhin oder nicht doch schon ewig her - die Fremden getroffen hatte.
Auf einmal sah sie die Frau, die durch die Wiese auf sie zukam, ein in ein wollenes, grünes Tuch gepucktes Neugeborenes auf dem Arm. Sie trug ihr leicht gewelltes langes, kastanienbraun in der Sonne glänzendes Haar offen, nur zwei eng geflochtene Schläfenzöpfe verschwanden bald darunter und verliehen ihr ein albernisch anmutendes Aussehen. Unter ihrem ärmellosen und vorne offen getragenen, sehr figurbetonten Wams war ihre Decolletée gut zu erkennen und zeigte, dass sie nichts darunter trug, ihre Beine wurden durch einen erdbraunen Wickelrock verhüllt, unter dem nur die nackten Knöchel und Füße auszumachen waren.

"Aleit!" hörte sie sich selbst sagen. "Schön Aleit da sein! Wie ist das Essen?" Sie sah sich selbst ihre rotbehaarten Hände und Arme entgegenstrecken.
"Suncuua!" erwiderte die Angesprochene den Gruß mit einer warmen und sanften Stimme. Befinna wurde dabei warm ums Herz. "Essen sein gut, Kinder sein satt. Suncuua Tuluukai hoffen auch! Ich, Alheyt, freuen mich, Suncuaa große Mutter wunderbar Geschenk, meine kleinekleine Tochter vorstellen, großer Mutter danken Segen." Alheyt zeigte ihr das Kind. "Reytrutt Befin-ná... Befin-ná."
"Wunderschön Kind Befin-ná!" Jetzt sah Befinna, wie sie mit ihren Händen, die Suncuuas waren, über den Kopf des Kindes, ihres früheren Ichs streichelte. Die kleine schien keine Angst zu haben. "Malen Zeichen?"
Alheyt nickte. "Aleit bitten Suncuua malen Zeichen."
Das Bild verschwamm. Im nächsten Moment sah Befinna, wie sie, selbst singend und summend, mit ihren Händen in verschiedenen Farben Tiermotive auf Stirn, Wange und Brust des Säuglings malte. Alheyt, ihre Mutter schien andächtig dabei zuzusehen und gelegentlich miteinzustimmen.
Als sie fertig waren, reichte sie, die Suncuua war, das Kind zurück zu seiner Mutter. "Befin-ná Tochter große Mutter." erklärte Aleyt Suncuua lächelnd. "Wu-min Kurim. Befin-ná Mailam." Dann schritt sie weg, es war bereits Abend geworden, auf einen kleinen Kreis von Menschenfrauen zu, die auf jener Lichtung auf sie warteten.

Obgleich sie ihren Blick nicht abwenden wollte, schlossen sich ihre Augen und das Dunkel um sie begann zu kreisen. Nein! Sie wollte noch nicht weg, wollte ihren Blick nicht von ihrer Mutter wenden. Mit aller Kraft ihres Willens stemmte sie sich gegen das Ende dieser Erinnerung, und obsiegte.

Das Dunkel wurde wieder hell, doch es war nicht das Licht eines Sommertages, das sie umfing. Es war grau, kalt und neblig, sie konnte kaum weiter als zu den übernächsten Bäumen sehen. Im Wabern entdeckte sie auf dem morastig-schwarzen, nass-quatschenden und von braunen Nadeln bedeckten Boden ein Bündel liegen. Sie rannte darauf zu und erkannte, dass es Alheyt war. Befinna sah, wie ihre haarigen Hände diese umdrehten. Die Haut ihrer Mutter war nicht nur bleich, sondern nahezu völlig weiß. Sie schien schwer verletzt, obgleich keine Wunde zu erkennen war.
"Aleit da bleiben. Suncuua rufen Geister helfen." Sie begann zu summen und in einem Beutelchen an ihrer Seite nach ihren Farben zu nesteln. Doch Alheyt schüttelte nur schwach ihren Kopf. "Spät. Suncuua... nein... Aleit... helfen können." flüsterte sie mit ersterbender Stimme. Dann bäumte sie sich nochmal auf. "Dunkel erwachen. Suncuua aufpassen Land. Aufpassen Wald. Aufpassen Wu'mar… Wu-min... Aufpassen Befin-ná!" Dann erschlaffte ihr Körper.
Offensichtlich wollte sie selbst, oder eher die Schamanin, durch deren Augen sie sah, nicht aufgeben und begann, mit weißer Farbe Zeichen auf das Gesicht der sterbenden oder bereits gestorbenen Alheyt zu malen.
Jetzt wollte Befin-ná nur noch weg, ihre Augen schließen, doch gelang ihr dies nicht, obgleich nicht nur sie, sondern offenbar auch Suncuua, in der Höhle an ihrem Haupt kauernd, sich gegen die Bilder stemmte.
Stattdessen sah sie, sahen beide nur Alheyts erschlafftes weißes Gesicht, das Gesicht ihrer Mutter.

Auf einmal drehte sich die Tote ihr zu, und ihre Züge strafften sich. Aus ihrem Mund quoll kondensierender Atem.
"Befinna. Endlich bist Du gekommen." hörte sie sanft die Stimme ihrer Mutter, deren Augen feucht-glänzend auf ihr ruhten.

“Mutter …”, die Augen der jungen Frau füllten sich mit Tränen, “... was … was ist mit dir geschehen? Du bist …”, die Stimme brach ihr und Befinna war unfähig dazu mehr als ein Schluchzen aus ihrer Kehle zu bekommen. In einer Mischung aus Angst und jener Liebe, die nur ein Kind für ihre Mutter empfinden konnte, focht sie einen Kampf mit sich selbst aus. Der Drang in ihr wuchs, sich abzuwenden und davonzulaufen - wie so oft wenn sie Furcht hatte - doch war es ihr nicht möglich.

Auch aus Alheyts Auge, dessen Blau die einzige leuchtende Farbe an ihr war, löste sich eine Träne und rann zunächst schnell, dann immer langsamer ihre Wange hinab, bis sie auf halber Länge zu Eis erstarrte und haften blieb. "Ich bin dem alten Schatten begegnet, der noch immer lauert, wo Licht und Leben und einstige Schönheit längst verdorben und Finsternis, Tod und Fäulnis geworden sind. Nun bin in nur mehr ein Geist, ein Schatten, gefangen zwischen Leben und Tod... in dieser Welt gehalten von der Liebe... der Liebe zu diesem Land... zu Wunnemine..." sie legte ihre Hand auf Befinnas Wange - obgleich sie bleich und kalt wirkte und von Eis glitzerte, fühlte sie sich zugleich warm an. "zu Dir.” Alheyt lächelte, und es schwangen Liebe und Trauer darin. “Ich kann nicht gehen, denn meine heilige Aufgabe an euch ist unerfüllt. Wo bist Du nur geblieben, wo Deine Schwester?", fragte sie, aber in ihrer Stimme schwang kein Vorwurf. "Ich habe solange auf Dich gewartet, mein Kind. Aber jetzt bist Du da."

"We … welcher Schatten …", Befinna verstand nicht wovon ihre Mutter sprach, "... was meinst du? Was ist dieser Schatten? Sag es mir. In Garrensand gibt es die Golgariten … die helfen … oder die Praioskir …", sie brach ab und ließ ihr Haupt hängen. Für einen Moment hatte die Baroness vergessen, dass sie sich mit einem Geist unterhielt. Oder war es ein Traum? Hatte dieses Bild am Ende gar nichts mit ihrer Mutter zu tun? Nein, Unsinn … Befinna konnte spüren, dass es ihre Mutter war. "Welcher Schatten … Mutter. Wie können Wunnemine und ich helfen?"

"Der Schatten..." Alheyts Stimme wurde brüchig, kaum mehr noch als ein kalter Hauch, und ihr Atem zu dichten Wölkchen. "Er ist ein grausamer Jäger... und doch kein Jäger, denn wo der Jäger Leben nimmt, besteht es in anderer Gestalt fort und gedeiht von neuem und weiter, wie es Wille der großen Mutter ist. Der Schatten... verschlingt in seiner Gier alles Leben... reißt es ins Nichts... es stärkt nur seine Macht und stillt doch seinen ewigen Hunger nicht - er kann selbst nicht von ihm leben, es rinnt ihm davon und verlängert nur sein Schattendasein." Befinnas Mutter seufzte schwach und zog ihre mit jedem Wort weiter erkaltende Hand zurück. "Jetzt bist Du da... und fragst, wie ihr helfen könnt?... Er muss zurück in sein Gefängnis, ehe er... diesem Land... noch mehr seines Lebens entzieht. Erst dann kann ich Frieden finden. Aber du, auch Wunnemine... ihr werdet es nicht schaffen... Nicht alleine... Schließt den Bund... Vereint das Land wieder mit sich und euch... Vertraut auf die große Mutter und ihre Kinder. Ihr seid nicht allein... Du bist nicht allein, mein Kind."
Aleyts Augenlider waren inzwischen, wie ihr Gesicht nahezu von Tränen und Reif vereist, jetzt schien selbst das Weiß ihrer Gestalt noch zu verblassen, bald in kalten Eisnebel zu zerfließen.
"Ich liebe Dich, Befinna." waren die letzten, in ihre Seele gehauchten Worte ihrer Mutter, ehe sich diese und die Welt um Befinna in eisigen Nebelschwaden verloren.

Die junge Frau schrak hoch und verfehlte dabei Suncuuas Kinn nur um Haaresbreite. Scharf sog sie die Luft ein und atmete diese hektisch wieder aus. Ihre Augen waren verweint und gerötet. Befinnas Blick ging für einige Momente um sie herum. Die entfernten Geräusche der Feiernden klangen für sie in diesem Moment wie eine Verhöhnung. "Was … was war das?", wandte sich die Baroness an die Schamanin. "Wovon hat sie gesprochen? Welcher Schatten? Was ist mit meiner Mutter passiert?"

Befinna erhielt keine Antwort. Die Angesprochene wirkte zunächst wie erstarrt und reagierte überhaupt nicht. Anders als zu Beginn des Rituals atmete Suncuua schwer, beinahe keuchend und konnte kaum die Augen öffnen. Dann kippte sie mit einem seufzenden Stöhnen zur Seite, wo sie erschöpft und ohne Bewusstsein liegen blieb. Trotz der hohen Temperaturen und der Feuchte im Raum schienen ihre Augenpartien einen kurzen Moment weiß von Eis gewesen, das jedoch rasch getaut war und jetzt als dicke Tropfen durchs haarige Gesicht der Schamanin rann. Auch Befinna war kalt.

Die Baroness fühlte die Kälte, doch störte sie sich gegenwärtig nicht daran. In ihr tobte eine Vielzahl anderer Gefühle, die keinen Platz für das profane Empfinden der Kälte ließ. "Hallo?", fragte sie zögerlich an die Schamanin gewandt, bevor Befinna sich gänzlich aufrichtete und dann neben Suncuua hin kniete.

Die Schamanin regte sich nicht auf Befinnas Ansprache. Lediglich ihr Atem ging, jetzt weit flacher als noch wenige Augenblicke zuvor. So stark und Mittelpunkt ihres Stammes seiend, wie sie vorhin wirkte, so alt und gebrechlich, ja hilflos schien sie nun, wehrlos den Schatten ausgesetzt, die um sie herum kreisten und an ihr zu zerren drohten. War es wirklich nur der Schattenwurf der Dampfschwaden vor dem heruntergebrannten Feuer, das die einzig verbleibende, düster glimmende Lichtquelle im Raum war, jetzt, da die Mondscheibe weitergewandert war und nicht mehr ihren bleichen Schein hineinwarf?

Völlig mit der sich bietenden Situation überfordert, rüttelte die Baroness an der Schamanin um sie wieder zu wecken. "Ha … hallo … Suncuua?" Befinna hatte Angst so ganz alleine und sie hatte so viele Fragen.

Erschreckt musste Befinna feststellen, wie wenig Widerstand der erschlaffte Leib der Schamanin ihrem Schütteln leistete. Dennoch mühte sie sich vergebens - Suncuua wollte und wollte einfach nicht wach werden. Die Älteste hatte sich scheinbar verausgabt - es schien nicht gut um sie zu stehen, so schwach und leblos sie dalag, völlig weggetreten.

Die Baroness hielt sich betroffen ihre Hand vor den Mund. Würde sie … nein, Befinna wusste, dass sie etwas tun musste um zu helfen. Als erstes kamen ihr Lioba und Khorena in den Sinn. Ja, die beiden wussten sicher was zu tun war. "Wartet hier …", meinte sie überflüssigerweise an die bewusstlose Goblinfrau gewandt, "... i … ich hole Hilfe." Die junge Frau streichelte kurz über Suncuuas Hände und ihre Wangen und lief dann ziellos aus dem Separee hinaus, indem sie sich befanden.

Befinna hastete im Halbdunkel aus der Höhle. Da sie in ihrem Schrecken nicht daran gedacht hatte, eine Fackel zu greifen, fand sie sich bald im Volldunkel des schmalen Spaltes wieder, durch den sie gekommen war. Nahezu blind tastete sie sich weiter. Mit jedem Schritt, jedem Stolpern oder Entlangschrammen an in der Schwärze verborgenen Hindernissen und jeder Blessur, die sie sich dabei zuzog, wuchs ihre Panik. Sie glaubte schon fast daran, auf ewig in der Finsternis umherirren zu müssen, als sie endlich wieder Schemen in der Dunkelheit ausmachen konnten, die ihr den Weg bis zur großen Höhle wiesen.

Nukku-Mulla

Mehr und mehr der Fackeln waren heruntergebrannt, und auch die Feuer fielen langsam in sich zusammen. Immer weniger der Suulak huldigten noch Mailams Fruchtbarkeit, stattdessen machte man es sich unter der Obhut von Mutter Sau gemütlich - Männlein wie Weiblein lagen kreuz und quer, teils neben- und teil übereinander. Müde Augen schlossen sich, das Haupt auf der Brust eines anderen Suulak gebettet, an mancher Stelle hörte man bereits ein grunzendes Schnarchen, während an anderer noch trunken vom ausklingenden Liebesrausch mit sanfter Hingabe gelaust wurde.
Mitten aus dem Haufen erhob sich Tschiiba und ging auf Lioba zu. "Rakkaus-Antaa müdemüde sein müssen? Rakkaus-Antaa Rudel auch! Schlafen Suulak!", lud sie die Geweihte und die anderen Gäste in ihrer kehligen Sprache ein, sich unter die Goblins zu mischen. Wer am Taati Mulla teilgenommen hatte, gehörte auch zum Nukku-Mulla. Nur die Elfe bedachte sie mit einem Seitenblick, der zeigte, wie wenig geheuer ihr diese erschien.

Tsamitrius spürte die Erschöpfung, aber sich zu den Goblins zu legen wollte er nicht. So suchte er die Nähe seiner Base Khorena, um dort auszuruhen.

Er fand die junge Frau eng an Aedha gekuschelt auf einem der Felle. Sie lächelte verschlafen und räkelte sich, als sie Tsamitrius auf sich zukommen sah. “Was machst du denn hier?”

´Was für eine merkwürdige Frage … war sie nicht als Priesterin Teil dieses Festes Tsatuaras?´ Etwas verstört schaute er sie an, war aber zu erschöpft, um etwas zu sagen. Vorsichtig legte er sich neben sie und schloss die Augen.

“Warum bist du nicht bei Lioba? Hatte nicht sie dich als ihren Gefährten für diese Nacht erwählt?”

“Wer ist Lioba?”, murmelte er. “Tsatuara wurde gefeiert, ihr geehrt, mit all ihren Töchtern …” Seine Augen blieben geschlossen.

“Du… “, sie verstummte. Khorena hätte mehr von ihrem Vetter erwartet. Sie wandte sich wieder Aedha zu und strich ihr zärtlich durchs Haar. “Ich schaue kurz nach Lioba … und vielleicht auch Befinna, wenn ich schon dabei bin. Es dauert nicht lange, dann bin ich wieder zurück.” Das Versprechen untermauerte sie mit einem zärtlichen Kuss. Tsamitrius hörte den veränderten Ton in ihrer Stimme und öffnete die Augen. “Was ist Khorena, du hörst dich verärgert an.”

Sie erwiderte nichts, einzig eine Augenbraue schnellte nach oben. Khorena mochte ihren Vetter sehr gerne, doch es gab Momente, da sie ihn… Nein, an sowas wollte sie gar nicht erst denken. Er schloss die Augen wieder und schlief ein.

Aedha streckte sich ein wenig, während ihr wacher Blick der Priesterin folgte.

Stattdessen ging sie los und suchte nach der Geweihten. Zudem wollte sie auch nach Befinna schauen. Die Baroness hatte heute einen ereignisreichen Tag und nicht alles so gut aufgenommen. Außerdem hatte Suncuua ihr versprochen, dass sie ihre Mutter sehen würde, was die junge Frau zusätzlich verstören könnte. Innerlich schalt sich Khorena, dass sie ihrer Lust nachgegeben hatte, anstatt Befinna beizustehen. Auf der anderen Seite hatte sie aber auch nicht die Aussprache zwischen Rondrad und Befinna stören wollen.

In einer der Nischen lag Rakkaus-Antaa in Felle gewickelt und starrte in eines der Feuer.

Fast hätte Khorena die Geweihte unter den Fellen übersehen. Sie kam näher und ließ sich neben der älteren Frau nieder. “Wie geht es dir?” fragte sie sanft.

"Der Tag hat vielversprechender angefangen, als er endete. Ich… ich glaube ich habe versagt.” Sie seufzte. “Ich konnte nicht zu Befinna durchdringen und jetzt auch noch…” Sie brach ab und blickte zu Boden.

Die Jüngere rückte näher an Lioba heran, legte den Arm um ihre Schulter und zog die Geweihte an sich heran. “Du hast dir mehr von Tsamitrius erhofft, nicht wahr? Wie lange ist es her, dass du die Nähe und Zärtlichkeit eines anderen Menschen erfahren hast?”

Erschrocken blickte Lioba die Foldenauerin an. “Er… er hätte doch zumindest weitermachen können, bis… Stattdessen steht er auf, als er fertig ist und will mich diesem ungehobelten Druiden zuführen, als wäre ich eine Hure, die man im Gasthaus von einem zum anderen reicht.” Zorn mischte sich nun in Blick und Stimme der Geweihten: “Wenn er es nicht schafft eine gestandene Frau in Rahjas Zelt zu führen, dann ist er einfach nur ein aufgeblasener Schlappschwanz.”

‘Tsamitrius du dämmliches Rindvieh!’ schimpfte Khorena ihren Vetter stumm. Sie hatte geahnt, dass er etwas in die Richtung getan hatte. “Gräme dich nicht seinetwegen, er meinte es bestimmt nicht böse und als Mann, der er nunmal ist, weiß er wahrscheinlich noch nicht mal, was er falsch gemacht hat.” Sie lächelte die Geweihte aufrichtig an. “Aber du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet. Wann hast du das letzte Mal die Nähe oder Zärtlichkeit eines anderen Menschen genossen?”

“Gewiss fünf oder sechs Götterläufe”, gestand sie, “ich bin viel auf Reisen, da ich für alle Bauern der Baronie zuständig bin. Mir bleibt einfach keine Zeit.” Tränen traten in ihre Augen. Jetzt, wo sie es aussprach, wurde ihr die Situation bewusst.

“Scht, scht.” sanft nahm Khorena Lioba in die Arme und streichelte ihren Rücken. “Manchmal scheint es, als rase die Zeit einfach so dahin.” Sie empfand tiefes Mitgefühl für die Frau. “Warum kommst du nicht mit zu Aedha? Dort wärst du nicht allein sondern in Gesellschaft. Es würde dir guttun.” Khorena küsste die Frau auf Stirn und Wangen.

Dankbar schaute Lioba Khorena an. Plötzlich fragte sie mit einem Stirnrunzeln, aber ohne Scheu oder Urteil: “Was ist mit Deinem Gesicht?”

Erst jetzt ging der Priesterin auf, dass Lioba sie bisher nur maskiert gesehen hatte. Doch die befürchtete Reaktion war ausgeblieben und so konnte Khorena entspannt lächeln. “Das sind die Auswirkungen eines Fluchs. Du musst dich nicht sorgen, abgesehen von den Zähnen und Augen bin ich ein normaler Mensch.”

“Es gibt ein Mittel gegen Lykantrophie. Falls… falls Du Dich noch nicht verwandelt hast.”

“Das ist lieb gemeint, aber es ist keine Lykantrophie. So wie jetzt sehe ich immer aus und der Vollmond verwandelt mich auch nicht in eine wilde Bestie. Ich wurde so geboren und wie du sehen kannst wächst mir auch kein Fell oder Klauen.” Sie zeigte ihre Finger und vor allem die Fingernägel vor.

Lioba strich der Jüngeren über die Wange. “Dieselbe Pflanze, die Heilung bringt, kann auch zu einem Räuchermittel verarbeitet werden, mit dem man Werwölfe fernhalten kann. Wenn Du willst können wir mal testen, ob Du den Geruch vertragen kannst. Wenn nicht, ist es vielleicht doch, zumindest zum Teil, Lykantrophie. Dann allerdings kann ich Dir nicht helfen, denn von geborenen Wolfsmenschen habe ich noch nicht gehört. Wissen die anderen es denn?”

“Ich mag den Geruch von Wolfsbann nicht besonders, gerade weil Lupina als Halbwolf darauf reagiert, aber du kannst ihn gerne ausprobieren.” Wolfsbann oder Roter Drachenschlund hatte ihr Onkel bereits recht früh, noch vor ihrer Geburt getestet und es hat leider nichts gebracht. “Aber Lioba, ich bin hergekommen um nach dir zu sehen, nicht wegen meines kleinen Problems.”

Die Geweihte lächelte: “Danke. Ich kümmere mich schon so lange um andere, dass ich mich manchmal selbst vergesse.” Sie stand auf und reichte Khorena die Hand. “Ich nehme Deine Einladung gerne an.”

Die Tsatuara-Priesterin lächelte breit und ließ sich von Lioba aufhelfen. “Das finde ich schön.”


Wjassul Aluk

In der großen Höhle herrschte inzwischen nur noch Dämmerlicht, und viele der Goblins schienen bereits zu schlafen. Wenigstens lagen sie, soweit Befinna dies erkennen konnte, um die große, an eine dralle Schwangere erinnernde Sintersäule herum. Auch die Menschen befanden sich unter ihnen, doch waren diese erkennbar noch wach.

Rondrard, der inzwischen immer ungeduldiger nach ihr Ausschau gehalten hatte, wurde der jungen Frau sofort gewahr, aber auch Khorena und Lioba sahen sie kommen. Seine erste Erleichterung wich schnell großer Sorge, denn ganz offensichtlich war sie vollkommen aufgelöst. “Was ist los, Befinna? Was ist geschehen?” fragte er erschrocken nach.

"Lioba? Khorena?", fragte sie ins Dunkel hinein.

Die kurze Ruhe hatte gereicht. Die aufgeregte Stimme Befinnas, ließen die Sinne Tsamitrius Alarm schlagen. Er öffnete die Augen und richtete sich, noch immer nackt, auf. Er griff instinktiv nach einem größeren Knochen, falls es jemanden zu verteidigen gab. Schon jetzt vermisste der Hexer seinen treuen Gefährten Strinx, den Waldkauz, dessen scharfe Augen er gut gebrauchen könnte.

Erst als die Baroness direkt vor der Gruppe stand, erkannten die Anwesenden, trotz Gesichtsbemalung, ihr blasses Antlitz und die roten, verweinten Augen. Doch nicht nur das: eine Strähne ihrer braunen Haare war schneeweiß geworden. Es schien in diesem Moment als wäre Befinna einem Geist begegnet. "Schnell … Suncuua … ich glaube sie stirbt. Ihr müsst mir helfen. Ich will nicht, dass ihr etwas passiert."

Das hatte der wache, an den nackten Stein gelehnte Druide nicht überhört. Suncuua liege im Sterben? Dann musste bei dem Ritual etwas schrecklich schief gegangen sein - oder aber die große Mutter hatte über das Schicksal der Schamanin entschieden. So oder so, er würde sich seiner Schwester in Glauben und Wirken annehmen müssen. “Führ mich zu ihr. Bitte.”

Alarmiert durch Befinnas Rufe eilten auch Lioba und Khorena herbei. Suncuua durfte nicht sterben! Was war da passiert? Khorenas Augen blieben bei der weißen Haarsträhne hängen und sie warf daraufhin Rondrard einen besorgten Blick zu. Die Worte Befinnas verstörten sie zutiefst, ebenso der Ausdruck auf ihrem Gesicht und ganz zu schweigen von der Haarsträhne. "Wir kommen auch mit."

Schweigend griff Tsamitruis nach ein paar Fellen und schlug sie um seine Hüften. Dann schloss er sich Khorena an.

Rondrard erwiderte Khorenas Blick, sichtlich konsterniert. Die alte Schamanin durfte heute auf keinen Fall sterben - nicht, ohne eine Nachfolgerin als Mittelpunkt und Haupt der Tuluukai-Brydh-Blogai hinterlassen zu haben, und schon gar nicht, nachdem sie am Tage des Taati Mulla alleine mit Befinna gewesen war. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was dies auslösen würde. Sie mussten versuchen, Suncuua zu retten, um jeden Preis. Und er sorgte sich um Befinna, denn dass etwas geschehen sein musste, dass seine Wirkung nicht nur auf die Stammesälteste, sondern auch auf die junge Frau, die er selbst hierher gebracht hatte, war nur allzu offenkundig. Was hatte er nur angerichtet? "Dann los, schnell!” drängte auch er in Richtung Suncuuas. “Wo ist sie? Und sag Befinna: Was ist geschehen? Mit ihr, und mit Dir?"

Auch Lioba war sofort alarmiert. "Tschiiba", rief sie in die Dunkelheit. Als einer der Köpfe nach oben ruckte, fuhr sie fort: "(meine) Tasche schnellschnell. Folgen schnellschnellschnell!"

Tschiiba wischte den Unwillen, der sie beim Gedanken überkam, sich aus ihrem eingekuschelten Zustand lösen zu müssen, rasch zu Seite. Rakkaus-Antaa rief, und ihre Aufforderung klang sehr ernst. Also musste es ernst sein. Sie schälte sich aus der Umarmung des leise murrenden Goschd, den sie für die heutige Nacht gewählt hatte, und eilte zu Lioba. Auch wenn sie die Menschen nicht gut kannte, gefielen ihr deren Gesichtsausdrücke und deren Tuscheln gerade gar nicht. "Mailam auswühlen bös, verschlucken nein?" wollte sie von Lioba wissen? Irgendetwas stimmte überhaupt nicht.
Um sie herum erhoben weitere Goblins ihre Köpfe, teils neugierig, teils alarmiert. Was hier gerade los war?

“Mailam wühlt hungrig. Kann sein verschlucken Suncuua!” erklärte die Geweihte ihnen.

"Verschlucken Suncuua?" Tschiibas Augen weiteten sich zu einem Ausdruck schieren Entsetzens. "Nein, kann sein. Neinneinnein! Wo Suncuua? Sagen!" Um sie herum kam jetzt zusehends Unruhe unter den gerade noch kuschelnden oder bereits dösenden Suulak auf, waren die goblinischen Worte doch zumindest im näheren Umkreis gut vernehmbar gewesen. Eine weitere Tuluukai-Frau erhob sich und blickte suchend um sich. "Wo Suncuua?"

Lioba wechselte wieder ins Garethi: “Befinna, wo ist Suncuua jetzt?” Zu Tschiiba sagte sie: “Furcht nein. Tasche schnellschnell. Kann sein Rakkaus-Antaa retten Suncuua.” Dann wandte sie sich an die andere Tuluukai-Frau: “Licht vielviel, schnellschnell.”

Die Baroness zeigte vage in die Richtung, aus der sie gekommen war. "Dort hinten. In einer Höhle", ihr Blick ging unruhig zwischen den Anwesenden herum. "Ich … wir … Suncuua hat mir meine Mutter gezeigt und als ich aufgewacht bin … es war plötzlich so kalt und sie ist umgefallen. Sie hat ganz flach geatmet, doch ließ sie sich nicht wecken." Befinna schoss ein Gedanke ein - sie hielt sich erschrocken ihre Hand vor den Mund. "Vielleicht war es dieser Schatten, der Mam … meine Mutter getötet hat."

Rondrards Bauch krampfte. Was hatte Befinna von Suncuua gezeigt bekommen? Und was war dabei nur über die Schamanin gekommen? War Befinna gar des Schattens ansichtig geworden? Falls ja, war er überrascht, wie gefasst sie dafür noch war. "Meinst Du, er war... oder ist sogar... bei ihr?" wollte er wissen. Rondrard griff nach ihrer Hand. "Komm, führ uns bitte rasch zu ihr." Sein Blick suchte hilfesuchend den Khorenas und traf dabei auch Tsamitrius, der neben ihr stand.

“Kommt. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Wenn sie das Lebenslicht nicht schon ausgehaucht hat. Seid auf der Hut”, grollte Ulfaran und drängte zur Eile.

Seltsam lethargisch und grüblerisch nickte die Baroness den Männern zu.

Der Baroness wurde von Khorena ein großes Fell um die Schultern gelegt. “Das wird dich wärmen.”

"Danke", flüsterte Befinna.

Auch der Hexer blieb in Befinnas nähe, den nun war er wieder in der Rolle von Tsamitrius, dem Herold einer Baronin.

Tschiiba musste erst einmal verdauen, was sie da von Rakkaus-Antaa vernommen hatte. Weitere der Suulak sprangen derweil auf und kamen in Richtung der Menschengruppe, einige ängstlich, andere erkennbar aufgebracht. Endlich fasste sich Tschiiba wieder. Rakkaus-Antaa hatte ihr so gut geholfen - wer, wenn nicht sie konnte auch die Älteste davor bewahren, noch heute in den Magen von Mutter Sau zu gelangen? “Rakkaus-Antaa Suncuua retten”, gab sie den anderen Suulak um sie herum gleich mehrmals und überraschend resolut zu verstehen. “Tasche See Leib Mutter sein?” fragte sie dann die gute Menschenfrau, ob diese die Tasche beim Bad zurückgelassen habe. Lioba nickte. “Wo Suncuua?”, wiederholte sie dann ihre vorherige Frage, hoffend, dass die seltsame Frau mit dem weißen Streifen in den Haaren, die mit der Ältesten fortgegangen war, dies Rakkaus-Antaa gerade verraten hatte. “Rakkaus-Antaa gehen Suncuua. Tschiiba bringen Tasche (zu) Rakkaus-Antaa (bei) Suncuua.”
Da kamen auch schon die Fackeln. Inzwischen bildete sich eine wachsende rotbepelzte Traube um sie herum aus.

Die Geweihte deutete in dieselbe Richtung wie Befinna. "Gut, so tun. Lichter folgen schnellschnell." Dann rief sie: "Llyilliala!"

Nachdem das Gespräch mit Rondrard beendet war, hatte sich Llyilliala weiterhin in seiner Nähe gehalten, um den Goblins keinen Anlass für weitere Annäherungsversuche zu geben. Mit halb geschlossenen Augen hatte sie im Schneidersitz verharrend versucht, Ruhe zu finden. Die zunehmende Unruhe um sie herum nahm sie gar nicht zur Kenntnis, sie blendete auch die Stimmen aus und hört gar nicht zu, was gesprochen wurde.
Doch nun riss sie die direkte Ansprache der Geweihten aus ihrer meditativen Haltung. Unwillig öffnete sie die Augen wieder ganz und sah Lioba an. “Was?” fragte sie irritiert.

“Ich brauche Eure Zaubermacht”, gestand die Geweihte freimütig, da sie nicht wusste, dass sie von drei der Kinder Satuarias umgeben war, “die Stammesälteste wurde von einem… Schatten oder Geist oder so… angegriffen. Vielleicht ist er noch da.”

Angegriffen? Auf ihrem eigenen Fest? Zwar hatte Llyilliala keine Absicht, einer Goblinfrau zu helfen, aber dieser Schatten … hatte vielleicht etwas mit dem zu tun, was sie hier suchte. Ohne ein weiteres Wort stand sie auf und folgte der Geweihten.

Aedha hatte sich nicht die Mühe gemacht und sich ebenfalls ein Fell umgelegt, stattdessen war sie noch immer nackt dem Weg zur alten Schamanin gefolgt. Was nur hatte das törichte Kind gewirkt, dass es sich auf diese Weise gegen sie gewandt hatte.

***

Rondrard gefiel gar nicht, dass sich immer mehr Goblins um sie ballten - auch wenn die Suulak alles Recht darauf hatten, zu erfahren und sich zu sorgen, wie es um ihre Älteste stand, wäre ihm lieber gewesen, zunächst nur im Kreise weniger Vertrauter nach Suncuua zu sehen. Wenigstens wusste er Khorena und Lioba bei sich - wer, wenn nicht die beiden, würden der Schamanin helfen können - wenn es noch etwas zu helfen gab. Und dass die mächtige und noch dazu Khorena, nach allem, was er gesehen hatte, wenigstens heute sehr wohlgesonnene Aedha da war, würde in dieser Nacht hoffentlich auch kein Nachteil sein.
Rasch griff Rondrard nach einer der Fackeln, dann drängelte er sich, Befinna an der Hand, durch die Reihen der Tuluukai hindurch in Richtung der Seitenhöhle, aus der Befinna gerade zu ihnen zurückgekommen war.

Sie mochten sich so vor die Goblins setzen, diese machten aber keinerlei Anstalten, zurückzubleiben, sondern folgten den Menschen auf dem Fuß. Wenigstens sorgte die stellenweise Enge der Gänge dafür, dass sich der Pulk deutlich streckte.

Die Baroness ließ sich derweil vom Tannenfelser durch die Meute ziehen. Ihre Beine bewegten sich zwar, aber mit den Gedanken schien sie wo anders zu sein. Langsam aber sicher sickerten jene Gedanken ein, die ihre naive Vorfreude darauf ihre Mutter sehen zu können, zuvor unterdrückt hatte. Was hatte sie nur getan?

Khorena war direkt an der Seite Befinnas. Sie machte sich Vorwürfe, weil sie sich einfach der Feier hingegeben hatte, anstatt der Gleichaltrigen und der Ältesten beizustehen.

***

Endlich erreichten sie die Höhle, in der die Männer geschwitzt und Suncuua mit Befinna das für sie verhängnisvolle Ritual gewirkt hatte. Das Feuer war nur noch ein schwaches rötliches Glimmen aus verkohltem Holz, und die mitgebrachten Fackeln stellten das einzige Licht dar. Auch der aus der Tiefe aufsteigende Dampf schien nachgelassen zu haben, denn in dem Raum war es klarer und kälter geworden. Wer kein Fell besaß und keines angelegt hatte, fröstelte am Leib - ebenso wie jeder, der die Älteste im flackernden Fackelschein erblickte, in der Seele: Die Schamanin lag noch immer erschlafft am Boden, nur ihre weit aufgerissenen Augen starrten leer in die Dunkelheit.
Unmittelbar neben den Menschen und der Elfe ertönte jäh ein gellender, selbst für die des Goblinisch mächtigen Menschen unverständlicher Aufschrei aus dem Munde eines jungen Goblinmannes, der gerade noch an ihrer Seite vorangeschritten war, nun aber entsetzt von dem erschreckenden Anblick seiner Ältesten zurückweichen wollte. Die anbrandende Woge weiterer Suulak, die ebenfalls in die Höhle drängten, spülte ihn jedoch weiter hinein und trug nur sein Rufen vielstimmig verstärkt nach draußen.

“Raum, raum!”, rief Lioba und bahnte sich den Weg zur Ältesten, wo sie sich hinkniete und zunächst den Atem prüfte, dann presste sie ihr Ohr auf die Brust der Schamanin.

Der Atem der Schamanin ging flach, war kaum spürbar. Dagegen schlug ihr Herz wie wild, um dann jäh wieder leiser zu gehen, änderte Rhythmus und Geschwindigkeit, trotzdem ihr Leib auf den ersten Blick nur schlaff da zu liegen schien. Ihr ganz nahe offenbarten sich Lioba aber die für das Auge unsichtbaren Spannungen, die einander im schnellen und unregelmäßigen Wechsel durch den Körper Suncuuas jagten.

Mit etwas Glück, so zumindest ihre Annahme, würde sie jetzt noch Spuren des gewobenen Zaubers im Raum, auf Befinna, aber auch auf Suncuua erkennen können. Stillschweigend, verschaffte sich Aedha einen Blick in die Welt Madas, anstatt unnötig Zeit zu verschwenden.

Für einen kurzen Moment bedauerte Aedha, dies getan zu haben, schien doch alles um sie herum vor Zauberkraft nur so zu glühen. Magie durchströmte diesen Ort und auch so einige ihrer Begleiter. Als sich ihr inneres Auge an das Gleißen gewöhnt hatte, nahm sie jedoch immer mehr Schattierungen wahr. Da waren das helle Leuchten Khorenas und der Kraft, die sie gerade der Schamanin schenkte, aber auch Ulfarans und Llyillialas. Deutlich sah sie den verwehenden Zauber um Befinnas Hauptm der sich vor allem auf die Malereien in ihrem Gesicht konzentrierte. Am hellsten aber glühte Suncuua - bereits ihr Leib schien von Magie durchtränkt, ein Teil derer sich in Gesicht und Händen ballte. Doch am augenfälligsten waren die beiden weiteren magischen Gewebe, die geradezu in ihrem Körper und vor allem Haupt zu tanzen - oder war es eher ringen? - schienen. Eines davon hob sich nur schwach von den astralen Mustern Suncuuas ab, das andere aber verhielt sich disharmonisch und aggressiv.

***

Befinna hielt sie ihre Hände vors Gesicht. Der Anblick und all das, was ihr hier zuvor widerfahren war, traf sie wie Ingerimms Hammer Malmar. Genauso wie die Erkenntnis, dass es wahrscheinlich ihre Schuld war. Ihr Schultern bebten, als sie abermals zu weinen begann.

Die Priesterin warf Rondrard einen auffordernden Blick zu und nickte dann Befinna. Dann ging sie neben Suncuua in die Knie, beugte sich über ihren Mund und es schien beinahe als würde sie die Älteste küssen.

Khorenas Speichel benetzte die Zunge Suncuuas und mit ihm suchte die Kraft der großen Mutter Risse im Leib der Schamanin, die geschlossen werden wollten, wütendes Gift, das zu neutralisieren war, oder die verderbende Krankheit, die es aufzuhalten galt. Doch fand sie weder Wunde, noch Vergiftung oder Siechtum, die geheilt werden konnten. Gleichwohl begann der Atem der Stammesältestens, etwas ruhiger zu gehen. Ihr Geist aber schien noch immer fern dieser Welt.

Ulfaran nahm zwischenzeitlich Befinna in den Arm. So sehr sich der bärtige Mann kratzig und rauh anfühlte - in diesem Moment bot er dem jungen Mädchen, denn dies war sie im Innersten, eine schützende Hand. Bei dem Anblick der Schamanin war ihm klar, dass hier jede Hilfe zu spät kam und die Seele der Zauberin in den Schoß der Mutter zurückgekehrt war. Offensichtlich musste hier ein großer Zauber gewirkt haben.

Llyilliala hatte sich bei der Geweihten gehalten, aber von sich aus keine Anstalten gemacht, zu der Schamanin vorzudringen. Wenn man etwas von ihr wollte, würde man es ihr schon sagen. Beim Aufschrei des Goblinmannes war sie heftig zusammengezuckt und hatte sich die Ohren zugehalten. Überhaupt sorgte das Gekreische und Geschnatter der Goblins dafür, dass sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Langsam zog sie sich zurück, in den Hintergrund der Höhle, heraus aus dem Getümmel. Dabei versuchte sie, die Umgebung im Auge zu behalten, so gut es ihr möglich war.

Rondrard sah hilflos zu, wie sich Lioba und Khorena Suncuuas annahmen - er selbst würde ihnen eher im Weg als eine Hilfe sein. Befinna schien ihn zu brauchen… doch auch die Goblins wurden unruhiger - es regte sich ein kehliges Murren des Unmuts, was die Menschen dort bei ihrer Ältesten machten… die Menschen, deren eine, so raunte es sich inzwischen herum, alleine mit Suncuua gewesen war, als es passierte. Eine Gruppe Jäger arbeitete sich in die Höhle vor und hielt auf die Schamanin zu. Dem Ritter war im Geiste klar, wo er jetzt am meisten gebraucht wurde, auch wenn sein Herz nicht zustimmte. Obgleich es ihm einen Stich versetzte, Befinna von Ulfaran umarmt zu sehen, anstatt bei ihm selbst Trost zu finden. Doch war für törichte Eifersucht jetzt kein Platz. Rasch ging er den Tuluukai-Männern entgegen.

Blitzschnell war Aedha ihre Möglichkeiten durchgegangen. Da sie den gewirkten Zauber jedoch nicht benennen konnte, konnte sie auch keinen passenden antimagischen Spruch auswählen. Durchaus hatte sie ihre Vermutung, aber genauso gut könnte es sein, dass sie damit alles nur schlimmer machte. Ihrem Frust, zu wenig über den Zauber der Schamanin zu wissen, und ihrem Ärger, über die zunehmende Lautstärke, machte die Eigeborene Luft, als sie mit kalter und ihre Verärgerung deutlich mittragenden Stimme die zunehmend lauter werdenden Goblins anfuhr. “Ruhe!”, wobei sie dabei nicht einmal laut wurde.
Dann wandte sie sich Suncuua zu und suchte sich einen Platz an der sie die Goblinfrau berühren konnte, schweigend wirkte sie ihre Magie, die die Seele im Ringen um das Leben stärken würde.

Mutter Waldlieb sah sofort, dass weder Wunde noch Krankheit verantwortlich war, doch fielen ihr gleich tausend Gifte ein. Allerdings traute sie Befinna so etwas nicht zu. Dennoch waren diese Energien, die sich leicht gegen die Haut abzeichneten, ein sehr merkwürdiges Symptom. Fieberhaft dachte sie nach, kam aber zu dem Schluss, dass sie hier nicht helfen konnte. Mehr aus purer Verzweiflung suchte sie Suncuuas Beutel, griff hinein und holte den Tiegel mit der weißen Farbe hervor. Sie steckte ihre Finger hinein und malte die Symbole auf Suncuuas Körper nach. Dabei betete sie inbrünstig zu ihrer Göttin, dass sie ihr helfen möge: “Herrin Peraine, Du gütige, gebende Bewahrerin des Lebens. Himmlische Heilerin schenke dieser Frau Kraft, um gegen das Übel in ihr zu bestehen. Steh ihr bei, beschütze sie und bewahre sie hier auf Deren, denn ihre Kinder bedürfen ihrer noch.” Zu guter Letzt malte sie, ein wenig krakelig, aber erkennbar, ein paar Kornähren auf noch freie Stellen an Suncuuas Körper, während sie sich der göttlichen Kraft öffnete durch sie zu fließen.

***

Aedhas Aufforderung zur Ruhe entfaltete tatsächlich ihre Wirkung auf die meisten der anwesenden Goblins, auf die Jäger noch mehr als auf die Frauen. Doch nicht alle gaben sich damit besänftigt oder hinreichend eingeschüchtert. Vor allem Vahvillisik wollte sich vor aller Augen nicht zu feige zeigen, seine Älteste vor den Fremden zu beschützen.
"Polku Senejlis! Ei tappar!" (Weg (von der) Ältesten! (Ihr werdet sie) nicht töten!) bellte er die Menschen vor sich an, wild entschlossen, sich mit einigen seiner tapfersten Mitstreiter den Weg zu Suncuua zu bahnen. "Antaa naiset, uta Suncuua!" (Lasst (die) Frauen, (sie) helfen Suncuua) stellte sich Rondrard diesem in den Weg, und es kam zu einer Rangelei, als beide gegeneinander prallten. Die größere Körpermasse Rondrards ließ Vahvillisik zurücktaumeln, was dessen Zorn nur befeuerte.

Es war Befinna, die von den aggressiven Lauten - sie konnte ja nichts verstehen - dazu angestachelt wurde etwas zu tun. Nein, sie war bereits an Suncuuas Zustand schuld und es sollte nicht noch mehr Leid geschehen. Die junge Frau riss sich von Ulfaran los, der sie bis hier hin getröstet hatte und stellte sich dann zwischen die Streithähne. “Aus …”, meinte sie, “... nicht!”

Ulfaran versuchte sie zurückzuhalten, aber in der Sache hatte sie Recht und ihrer Leidenschaft hatte er nichts entgegenzusetzen. “Hört auf”, sprach der Druide in Befehlston - und unterlegte die Anordnung mit magischer Macht.

Für Rondrard wäre bereits der Wunsch Befinnas Befehl genug gewesen, ihr beherztes Dazwischengehen ließ ihn sofort innehalten und sie verdutzt ansehen. "Ich wollte keinen Streit vom Zaun brechen", begann er sich hastig zu rechtfertigen, "ich hab ihm nur gesagt, er soll Khorena, Lioba und Aedha Suncuua in Ruhe helfen lassen… Achtung... Pass auf!" Geistesgegenwärtig riss er Befinna zur Seite, als der Anführer der Jäger der Tuluukai wieder auf sie zueilte.

Vahvillisik war sichtlich ungehalten, dass zusätzlich zum Menschenkrieger sich nun auch noch die Menschenfrau wagte, zwischen ihn und Suncuua zu treten. Ausgerechnet die, die alleine mit Suncuua gewesen war, als der etwas zugestoßen war. Halb knurrend, halb empört fauchend setzte er an, die Frau zur Seite zu stoßen und dann den Krieger Respekt vor ihm, dem stärksten der Jäger zu lehren. Da erhob der andere Mann von der Seite das Wort. Vahvillisik verstand zwar nicht, was genau der Kerl sagte. Aber dass er es verdammt ernst meinte, begriff er, und dass der Fremde offenbar überhaupt nicht damit einverstanden war, dass er gegen den anderen Menschenmann vorging. Aus welchem Grund auch immer, fehlte ihm selbst auf einmal jeglicher Drang, sich dem Willen dieses Mannes zu widersetzen. Stattdessen hielt er inne, machte kehrt und schon dabei seine Mitstreiter, die die Welt und ihren Jagdanführer auf einmal nicht mehr verstanden, einige Schritt von den Menschen fort.

Im selben Moment hörten sie, wie sich Suncuua regte.

***

Pörldsch beobachtete die Geschehnisse vom Rand der Höhle. Innerlich war er hin und hergerissen zwischen seiner Sorge um die Älteste, die der Mittelpunkt seines Stammes war, der Anspannung, ob es zwischen Vahillisik und dem Menschenmann zu einem Kampf kommen würde, und der Anziehung, die die geheimnisvolle Frau auf ihn entfaltete, die ihn vorhin zum Tanz gebeten hatte. Ganz unwillkürlich hatte es ihn ganz in ihre Nähe gezogen. Wenn sie sich unsichtbar machen konnte, musste sie doch auch Suncuua helfen können? Oder wollte sie das etwa gar nicht, vielleicht sogar das Gegenteil? Mit großen Augen sah er Llyilliala von schräg unten an.

Die Elfe hatte sich abseits von der Traube um Suncuua mit dem Rücken zu einer Wand gestellt und beobachtete aufmerksam das Geschehen um die Schamanin, die sich anbahnende Rangelei, aber auch die weitere Umgebung, so dass ihr Blick auf kurz Pörldsch streifte. War das nicht der Goblin, der vorhin … ? Egal, ihr Blick schweifte weiter.
Was die Schamanin anging, war die Geweihte der Peraine am Werk, und die Hexen ebenso, wenn es also um Heilung ging, dann war Suncuua sicher gut versorgt. Sie war froh, nicht selbst gebeten worden zu sein, einzugreifen. Andererseits … wenn sie sich den Goblinstamm gewogen machte, hätte sie es sicher leichter, nach den Geheimnissen dieses Ortes zu forschen.
Nun, heilen musste sie niemanden, aber vielleicht konnte sie etwas anderes tun. Dhao visya'my ama'e'ra flüsterte sie, um zu ergründen, ob es etwas gab, das nicht hierher gehörte.

Die Höhle war gefühlt von Menschen und Goblins, deren Lebenskraft sich Llyilliala leuchtend offenbarte. Die unterschiedlichen Größen ließen erahnen, wer sich hinter den Flecken verbarg.
Sie führte ihr inneres Auge über und durch den Raum, vermochte jedoch zunächst nichts Ungewöhnliches entdecken, wäre da nicht... sie konzentrierte sich auf die Aura, die von der Schamanin ausgehen musste: sie wirkte nicht nur recht klein, nein, sie schien auch dunkler als die anderen, selbst die der Goblins. Und dafür war ganz nah bei ihr etwas fremdes, dunkles, das nur ganz schwach glomm. Doch schien sich ein schwaches Leuchtband zwischen diesem Etwas und Suncuua zu erstrecken, wobei das Leuchten von Suncuua ausging.
Pörldsch sah mit an, wie die Elfe wegzutreten schien... nicht, dass ihr noch dasselbe geschah wie seiner Ältesten. Das würde er nicht zulassen. Beherzt trat er nun doch zu Llyilliala, fasste diese von unten an die Oberarme und schüttelte sie kräftig. Hoffentlich könnte er sie zurückholen.

Erschrocken zuckte Llyilliala zurück, als der Goblin sie am Arm fasste und aus ihrer Trance riss. “Lass mich”, zischte sie ihn an, dann drängte sie sich durch die Menge nach vorne zu der Gruppe um die Schamanin, ohne weiter auf den Goblinmann zu achten.

Der freute sich, wenigstens, soweit es ihm in der Situation möglich war. Immerhin hatte er sie aus der Welt der Geister zurückgeholt, und nun ging sie zu Suncuua, die ebenfalls wieder da war!

***

Inzwischen hatte die ewigjunge Eigeborene die Erdkraft fließen lassen und versucht, diese Kraft ihrer Gedanken und Gefühle zu einem Schutz um die Seele der Schamanin zu formen. War es die Wirkung ihres Zaubers oder doch die die Güte der Gebenden, die Liobas Gebet erhört hatte - für die Geweihte war die Nähe ihrer Göttin in diesem Moment deutlich greifbar, ihre Seele stieg empor in entrückte Seligkeit und Schauer liefen über ihre Haut, als ob sie nackt durch ein reifes Kornfeld ginge - jedenfalls begann sich Suncuuas Leib leise zu regen und Leben in ihre Gesichtszüge zu treten.

“So ist es gut, finde wieder zurück zu uns. Deine Zeit ist noch nicht gekommen. Wir brauchen dich, Suncuua. Komm zurück zu uns.” Khorena hatte den Kopf der Schamanin auf ihren Schoß gebetet und streichelte ihr fürsorglich den Kopf, während sie leise auf die Goblinfrau einredete. Und während sie sprach ließ auch sie Macht in den Leib Suncuaas fließen, um ihre allgemeine Widerstandsfähigkeit zu verbessern.

Nachdem sie ihren Zauber gewirkt hatte, hatte sich Aedha wieder erhoben und war etwas zurückgetreten um die allgemeine Situation besser überblicken zu können. Da in diesem Augenblick jedoch keine unmittelbare Gefahr bestand und sich die Verfassung der Schamanin stabilisierte, entscheid sie sich einen weiteren Blick auf die von die gewirkte Magie zu werfen. Ihr erster, noch arg vager, Blick, reichte der Hexe nicht aus, sie wollte mehr Details erfahren, wohl wissend, dass sich inzwischen neben Spuren des ursprünglichen Zaubers auch Reste von Khorena und ihrer eigenen Magie in das Gefüge gemischt hatten.

In der Tat schienen die Lebensgeister in Suncuua zurückzukehren, und wenige Augenblicke später schlug sie die Augen auf. Zuerst zuckten ihre Blicke schnell hin und her, suchte sie Orientierung, ehe sie jäh nach Khorenas Handgelenk griff. "Missä wjassul blogai? Wo Geist böse sein?" erklang ihr beinahe stimmloses Wispern.

Khorena hatte sich zu Suncuua hinunter gebeugt um ihre Worte besser verstehen zu können. Nun runzelte sie die Stirn. “Welcher böser Geist? Befinna hat uns geholt, nachdem du zusammengebrochen bist.” Hilfesuchend sah sie zu Aedha und Lioba. “Wisst ihr von was sie spricht? Könntet ihr einen Geist bannen?”

Erschrocken blickte sie Lioba an: “Geister? Nein, in die Geheimnisse des Exorzismus bin ich noch nicht eingeweiht. Aber vielleicht kann ich die Göttin bitten eine Schutzzone zu errichten.”

"Geist böse folgen Aleit." raunte Suncuua nur, sich immer noch an Khorena festhaltend. "Aleit suchen Kind. Finden Kind. Aleit hier. Aleit sein Suncuua." Langsam fasste sie sich wieder und versuchte sich hochzustemmen.

“Langsam, übereile nichts.” Khorena half Suncuua dabei sich aufzusetzen. “Wie meinst du das: ‘Aleit sein Suncuua’?” fragte sie nach.

Rakkaus-Antaa runzelte die Stirn: “Ich glaube die richtige Übersetzung wäre: Alheit ist in Suncuua, also… ihr Geist.” Suncuua nickte bestätigend. Die Geweihte spürte ein Zwicken in ihrem Bauch, denn ihre eben geäußerte These widersprach den zwölfgöttlichen Lehren, die sie, Lioba, eigentlich zu verteidigen hatte. Sie vermied daher den Blickkontakt zu Befinna und sprach zu Suncuua: “Kann sein, dass Geist böse auch Suncuua?”

Die Schamanin hielt inne und schloss die Augen, als fühle sie sich hinein. Dann nickte sie erneut. "Mutter Sau nein fressen Geist Aleit. Aleit nein wollen, fliehen." Kaum, dass sie ausgesprochen hatte, richtete Aedha das Wort an sie.

Aedha konzentrierte sich derweil voll auf Suncuua. Zunächst fiel es ihr schwer, die übereinander liegenden magischen Muster zu entwirren, doch mehr und mehr erlangte sie einen Überblick. Unter den in vertrauter satuarischer Tradition gesprochenen Zaubern waren weitaus fremdartigere, mehrschichtige magische Gespinste verborgen. Oberflächlich gesehen wurde ein Verständigungszauber gewirkt, so viel konnte Aedha erahnen. Doch war dies nicht durch Suncuua geschehen, sondern offensichtlich von einer weitaus fremdartigeren Wesenheit, die die Stammesälteste allerdings selbst und willentlich herbeigerufen haben musste - so viel offenbarten die von Suncuua ausgegangenen primären astralen Fäden, die noch nicht ganz verweht waren. Am verstörendsten aber war für Aedha, dass an Suncuuas Astralleib offensichtlich noch zwei Geister gebunden waren.

Nachdem ihre Analyse beendet war, wartete die Rothaarige noch einen Augenblick ab. Sie wollte dass sich Suncuua ausreichend gesammelt hatte, eh sie sie mit ihrer Entdeckung konfrontierte, während sie zugleich in ihrer Konzentration nicht bekommen hatte, was die Goblinfrau und Khorena gesagt hatten. Noch immer nackt, doch in vollkommener Selbstsicherheit stand Aedha neben der Goblin-Schamanin und blickte zu ihr herab. Deutlich verkörperte sie in diesem Augenblick ihr altes Wesen als Schöne der Nacht weit mehr, als durch den aus Verrat geborenen Wandel zur Schlangenhexe. “Wieso bindest du die Seelen verstorbener an die deine, Kind?” Das Leben war der Erdmutter heilig. Wandel und Vergehen, mochten dazugehören, aber keine Seele sollte gebunden werden. Entsprechend hart waren ihre Worte, zumal das abschließende ‘Kind’ ganz eindeutig nicht Mütterlich gemein war, sondern auf einen Mangel an Erfahrung abzielte.

Suncuua spürte sehr wohl den Vorwurf, der in den Worten der Ewigjungen schwang. Doch war sie weit weniger töricht, als die Menschenfrau von ihr dachte. Und zugleich zu erfahren und altersweise, um sich dadurch aus der langsam zurückkehrenden Ruhe bringen zu lassen. "Nein Geist binden! Geister rufen zeigen Aleit Kind Aleit Gedanken Suncuua", erklärte Suncuua Aedha, was sie eigentlich im Sinne gehabt hatte. "Nein wissen, Aleit kommen. Nein wissen Geist böse kommen folgen Aleit. Aleit nein finden Frieden böse Geiste stehlen. Aleit helfen müssen."

In diesem Moment drängelte sich Llyilliala zu der Gruppe durch. “Etwas frisst ihre Lebenskraft”, stieß sie hervor, als sie Suncuua und die Menschenfrauen erreicht hatte, ohne Rücksicht auf das, was diese gerade sprachen oder taten.

Die Älteste sah die Elfe nachdenklich an, als ob sie in sich hineinhörte, dann nickte sie. Ja so war es. "Geist böse sein in Suncuua. Verstecken. Kämpfen Aleit. Essen Suncuua."

“Was ist das für ein Geist?”, wollte Llyilliala eindringlich wissen. “Und wo kommt er her? Wie lange ist er schon da?” Sie hatte keine Ahnung, was sie gegen einen Geist tun sollte, aber eine gute Freundin hatte sie einst gelehrt, dass Wissen dunkle Wege erhellen konnte, überhaupt erst Pfade öffnete, welcher man sich vorher nicht bewusst gewesen war.

Jetzt starrte Suncuua Llyilliala geradezu an, schien mit sich zu ringen - oder mit etwas in ihr. "Geist sein Schatten. Schatten... Dein Volk. Geist nein allein." Allein diese Worte auszusprechen, schien ihr weh zu tun, als wolle etwas nicht, dass sie weitersprach. So stark der Wille der Schamanin auch war, krümmte sie sich vor Schmerzen. "Nein verstehen, Geist können sein... hier." So sehr sie dagegen ankämpfte, drohte sie, das Bewusstsein erneut zu verlieren.

Entgegen ihrer eigenen Absicht fing Llyilliala die Schamanin auf, als sie schwankte. Ein elfischer Geist? Von so etwas hatte sie noch nie gehört. Elfen kamen aus dem Licht und gingen dorthin zurück. Sie hatte davon gehört, dass Menschen manchmal als Geister zurückblieben und böse wurden, wenn sie keinen Eingang in eines ihrer angeblichen göttlichen Paradiese fanden. Aber so, wie die Goblins sie offenbar für einen Geist hielten, missdeuteten sie vielleicht auch dieses Wesen, das an Suncuaas Lebenskraft fraß … ratlos sah sie die anderen Menschen an.

***

Befinna konnte die Blicke, das Misstrauen und die Aggression des Goblins fühlen. Ein Stück weit befreite sie diese Bedrohung aus ihrer Lethargie. So sehr sich Rondrards Familie auch für ein friedliches Miteinander zwischen den Völkern einsetzte - zumindest hatte sie am heutigen Tage diesen Eindruck gewonnen - es war dennoch offensichtlich gewesen, dass es wohl immer Differenzen geben würde. Noch bevor sie ihre Gedanken weiterspinnen konnte, nahmen die Bewegungen der Ältesten ihre Aufmerksamkeit ein.

Ulfaran atmete tief durch. Die Macht Sumus hatte gewirkt, auch an diesem heiligen Ort. So wurde Frieden gebracht, wo Frieden angebracht war. “Pack schlägt sich, Pack verträgt sich”, brummelte er zufrieden in seinen Bart. “Passiert ja nicht jeden Tag, dass die Schamanin zu tief in das Reich der Mutter hinabsteigt.”

Rondrard fielen mehr als nur ein paar Steine vom Herzen, die Lebenszeichen Suncuuas zu vernehmen. "Sie lebt." war sein erster Stoßseufzer der Erleichterung. "Sie lebt! Alles wird gut, Befinna!" teilte er leise seine wieder keimende Zuversicht mit der Angesprochenen, ehe er laut zu Vahvillisik sprach. "Katso, naiset uta Suncuua!" (Seht, Frauen helfen Suncuua). Dessen Blicke waren aber nur in banger Erwartung auf die Älteste gerichtet.

“Aber es geht ihr nicht gut”, bemerkte Befinna mit sorgenvollem Blick auf die Schamanin.

“Hab Vertrauen in die Kraft der Mutter. Wir werden sie von dem Fluch befreien, der an ihr nagt!”, erklärte Ulfaran fest und überzeugt. “Schau: Die Schwestern Saturarias und ich, wir dienen alle mit unserer Kraft dem Willen Sumus. Mit geeinten Kräften werden wir in der Lage sein, diesen bösen Geist zu verbannen.” Dann trat er vor und sprach zu den Hexen: “Schwestern, beschwören wir die Kraft der Mutter und bannen diesen Fluch!”

“Das wird einiger Kraft und auch Erfahrung bedürfen. Zudem müssen wir sicherstellen, dass wir den richtigen Geist bannen”, gab Khorena zu bedenken. Sie wandte sich Befinna zu. “Ich stimme Ulfaran zu. Wir werden unser Bestes geben, um diesen bösen Geist zu vertreiben. Mach dir keine Sorgen.” Ihre Worte wurden von einem aufmunternden Lächeln der Foldenauerin begleitet.

Befinnas Blick war immer noch sehr skeptisch als sie die Schamanin musterte. Sie hielt sich im Hintergrund. Hier konnte sie nicht helfen und würde nur im Weg rumstehen.

Als der Blick der gerade zurückgekehrten Schamanin erneut flackerte, kehrte umgehend die Aufregung unter den umstehenden Goblins zurück, und auch Vahvillisiks Skepsis darüber, was die Menschen bei seiner Ältesten trieben, wuchs erkennbar.

Rondrard spürte deutlich, dass die Stimmung noch immer labil war und jederzeit zu kippen drohte. “Was habt ihr genau vor?”, raunte er Ulfaran und Khorena zu. “Was soll ich den Tuluukai sagen? Bevor der Nächste auf uns losgeht… Können sie, können wir hierbleiben, oder soll ich versuchen, alle wegzuschicken?” Er hatte zwar Zweifel, ob die Suulak sich darauf einlassen würden, aber falls es gefährlich wurde, oder sie alle störten?

Noch immer musterte Aedha die Schamanin skeptisch, bevor ihr Blick auf die sie umringenden Rotpelze fiel. “DU!”, pickte sie sich gezielt einen aufmüpfigen Jäger heraus. “Bring mir etwas, um auf dem Boden zeichnen zu können. Ihr anderen, drei Schritt Abstand und Ruhe.” Als wäre es das normalste der Welt, wandte sie sich anschließend an die anderen magisch Begabten. “Beherrscht jemand von euch Bannmagie oder kann sich darauf einstimmen gemeinsam die Kraft der Mutter fließen zu lassen?”

“Ja”, erwiderte Ulfaran laut und deutlich. “Sowohl als auch.” Khorena nickte. “Sowohl als auch.”

“Ich kann keine Geister vertreiben”, antwortete Llyilliala zögerrnd, “aber ich kann das mandra in Harmonie mit anderen fließen lassen.” Das war es wohl, was die jung aussehende Hexe meinte. Philosophische Streitgespräche mit Menschen waren meistens sinnlos, deshalb fing sie gar nicht erst damit an.

Tsamitrius verneinte und machte einen Schritt zurück. Seine Fähigkeiten, die ihm die Mutter verliehen hatte, waren andere Natur, auf anderen Gebieten.

Ungeduldig sah die Hexe den zurückkehrenden Goblin an, stumm klagte sie ihn an auch wenn er vollkommen abgehetzt aussah. Wortlos nahm sie ihm die Kohlestücke ab und machte sich daran zwei Kreise um die Schamanin herum zu ziehen und durch weitere Symbole zu ergänzen. Leise intonierte sie dabei unverständliche Formeln, ganz so als würde sie bereits ein unterstützendes Netz für die zu sprechenden Zauber weben. Mit ihrem Werk zufrieden platzierte sie die geeigneten Helfer um den Kreis herum, bevor sie sich ebenfalls auf ihren Platz begab. Sofort begann sie damit die anderen in den Zauber einzubinden, eh sie sich erneut einen Blick in den Astralraum verschaffte und den aggressiven Geist fokussierte. Die Formel sprechend, wob sie sorgsam den Zauber der den von ihr noch immer fokussierten Geist aus dem Leib der Schamanin herauslösen und bannen sollte. Ihre Stimme gewann zunehmend an Kraft und erfüllte den Raum mit ihrem Klang. Dunkel und bedrohlich klangen die von ihr gesprochenen Worte, schienen das Licht in der Höhle schwinden zu lassen und umschmeichelten dennoch die Ohren der Zuhörer.

Befinna ging ein paar Schritte zurück und hielt sich ihre Hände vors Gesicht, ganz so als würde sie dadurch Schaden von ihr selbst abwehren können. Oder wollte sie sich verstecken? Sie hatte Angst davor was hier gleich passieren würde und dieses Mal war da keine naive Freude ihre Mutter zu sehen, die dieses Gefühl zu unterdrücken verstand.

Llyilliala wurde zunehmend unwohl bei dem, was die Hexe da tat, zumal auch mit ihrem mandra. Das fühlte sich zunehmend unnatürlich, falsch an, grenzte an zertaubra. Innerlich begann sie sich zu sträuben, und nur die Gewissheit, dann den ganzen Kreis zu sprengen, hielt sie davon ab, sich daraus zurückzuziehen, auch wenn sie sich fast … vergewaltigt vorkam. Ihren Widerwillen sah man ihr deutlich an.

Auch Rondrard wurde immer mulmiger angesichts des Rituals, dass die weisen Frauen unter der Führung Aedhas vorbereiteten. Zur Austreibung, die hier offensichtlich im Gange war, konnte er selbst nichts beitragen, und ein Teil seiner selbst wollte alles, ganz sicher aber nicht dem, was da jetzt kommen würde, beiwohnen. Er spürte jedoch, dass er dennoch gebraucht wurde. Er würde die Tuluukai im Auge behalten müssen. Denn selbst wenn der Anführer ihrer Jäger sich überraschend handzahm von Aedha herumkommandieren ließ, hieß es nicht, dass das so bleiben musste, falls die Situation sich - auf welche Weise auch immer - weiter zuspitzen sollte. Und er musste auf Befinna Acht haben.
Leise stellte er sich neben sie. "Hab keine Angst", versuchte er flüsternd, ihr Mut zu machen. "Die Frauen wissen, was sie tun. Sie werden Suncuua helfen. Und Deiner Mutter." Hoffentlich behielt er Recht.

Denn um die Schamanin stand es zusehends schlechter - wieder war sie weggetreten, nur das gelb ihrer Augäpfel war noch auszumachen, wo vorher noch ihr wiedererwachter Blick war, und ihr ganzer Leib zuckte, als ob sie in ihrem Inneren einen Kampf auf Leben und Tod ausfocht.

Befinna wirkte auf Rondrards Worte hin nicht wirklich beruhigt, sondern eher skeptisch.

Viel konnte Mutter Waldlieb nicht tun. Sie war nicht ausgebildet übernatürliche Wesenheiten zu bekämpfen. Aber sie konnte helfen. Sie wusste um eine Liturgie, mit der sie ihrer Patientin Lebensenergie zuführen konnte. Der Sume würde es nicht gutheißen, und eigentlich war dafür eine Zeremonie nötig, für die sie keine Zeit mehr hatte, aber sie würde es versuchen. Die Nähe zu ihrer Göttin schien hier besonders stark zu sein. Sie legte eine Hand auf Suncuuas Brust, die andere presste sie auf den Boden und grub, soweit es möglich war, diese ein. Dann suchte sie das Gefühl von eben in sich, das Gefühl ihrer Göttin und konzentrierte sich darauf, begann zu beten. Nahm Lebenskraft aus der Erde und leitete sie in Suncuua. Dass sie damit im Zentrum des Zauberkreises war, machte ihr Angst, doch war es wichtiger Suncuuas Leben zu erhalten.

Schlussendlich gesellte sich Tsamitrius wieder zu Rondrard und Befinna. Hier war heute sein Platz, für den Schutz der beiden anderen Adligen zu sorgen. Rondrard begrüßte den Vetter Khorenas mit einem Nicken an seiner Seite. Das im Gange befindliche Ritual mit Worten zu stören wagte er nicht.

Je lauter und mächtiger die Worte Aedhas erklangen, je mehr die Schatten Gestalt anzunehmen und die Schwaden nicht mehr zu wärmen schienen, desto schwächer schien Suncuua zu werden, alles Leben aus ihr zu weichen. Alleine das Beten derer, die sie hier Rakkaus-Antaa nannten, hielt die Schamanin in der Welt der Lebenden, sonst wäre sie voll und ganz zu den leiblosen Geistern gegangen, bei denen ihr Bewusstsein bereits weilte.
So aber zuckte sie zunächst, um sich mit jeder Silbe der von der Ewigjungen Hexe gesprochenen Formel mehr zu krümmen und aufzubäumen. Schließlich schien sich ihr von Krämpfen durchzuckter, vielfach vibrierender und bebender Leib, begleitet von einem entsetzlichen Ächzen und Gurgeln ihrer Kehle geradezu in die Lüfte zu erheben und einige Handbreit über dem Boden zu schweben.
Spätestens jetzt wichen auch die Unentwegtesten unter den Suulak angsterfüllt zurück, mit weit aufgerissenen Augen zu dem entsetzlichen Geschehen starrend. Viele hatten sich bereits wimmernd in den Gang geflüchtet, nur die Tapfersten wagten noch, das Ritual, auf das schlimmste gefasst, zu beäugen.

Rondrard wiederum behielt halb diese im Blick, halb verfolgte er in einer Mischung aus Faszination und weit mehr Grauen die Austreibung. Seine Hand griff nach der Befinnas. Er wollte ihr ebensosehr Halt geben, wie er selbst nach Halt suchte.

Die wahre Dunkelheit und Kälte aber bekamen die uralte und die junge Hexe, Aedha und Khorena, und der Sume Ulfaran zu spüren, die sich dem Geist mit all ihrer Kraft entgegenstemmten. Jäh stürmten Gier und Hass, unstillbarer Hunger nach Leben und eine nie gefühlte Bosheit auf die Gemeinschaft der drei ein. Was auch immer Besitz von Suncuua ergriffen hatte und von ihrer Lebenskraft fraß, wollte nicht gehen, sich nicht vertreiben lassen, leistete mit all seiner Kraft Widerstand.

Lioba spürte das überbordende Leben, die Wärme, das Entstehen auf der einen Seite, aber auch eine Kälte und Bösartigkeit auf der anderen. Und irgendwo dazwischen, ganz klein, nur ein Hauch, so etwas wie Angst und Unschuld. Die Kälte nahm zu. Das Böse wurde stärker und wehrte sich, doch wurde es abgelenkt. Madas Gabe, gewoben von den zwei Frauen und der Elfe, zerrte an ihm und so hatte die Geweihte die Zeit sich um die Schamanin zu kümmern, sie von Mailams Rüssel wegzuziehen.Als der kleine Körper anfing zu schweben, stemmte sie sich dagegen. Auch wenn die Göttin die Lebenskraft durch sie hindurch leitete, wollte sie, dass Suncuua mit der Erde verbunden blieb.

‘Bei der Großen Mutter! Was für ein Wesen war das?’ Khorena erschauderte, ließ in ihrer Konzentration aber nicht nach. Stattdessen dachte sie an all jene die sie durch das Bannen dieses Wesens beschützen wollte, Suncuua, Befinna, Rondrad und all die anderen. Diese Gefühle ließ sie in ihre Magie einfließen, welche sie mit der Macht Aedhas und der anderen verwob. Trotzdem kostete sie dieser Widerstreit mit dem Schatten zunehmend Kraft und es war, als griffen beständig klauenbewehrte Hände nach ihr und versuchten sie fortzureißen. Die Tochter Tsatuaras begann zu schwanken.

***

Der böse Geist krallte sich an Leib und Seele der Ältesten, zu der ihm die Seele des Rosenohrs in ihrem Streben zu ihrem Kind erst den Weg gewiesen hatte - er hatte Recht daran getan, diese entkommen zu lassen. Lange war es her, dass er soviel Leben um sich hatte, vieles davon zwar nur in minderwertigen Gobian manifestiert - besser als nichts, aber nur halb so köstlich wie das nurdra der Rosenohren und erst recht das der fey. Endlich hatte er Zugang erlangt ins Allerheiligste, wo das nurdra noch sprudelte. Doch diese Rosenohren wollten sich seiner Kraft ihres taubra entledigen, die so viele Jahrhunderte ersehnte und endlich einen Spalt weit geöffnete Pforte wieder schließen, noch ehe er sich soweit gelabt hatte, um wieder zu Kräften zu gelangen und aus dem schwarzen Schatten seiner selbst wiederzuerstehen.
Er würde sich nicht geschlagen geben. Nicht jetzt. Mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft versuchte er sein Zertaubra zu wirken, sich voll und ganz an diese räudige Gobiangreisin zu binden, um die alle hier so kämpften. Wenn er schon gehen musste, würde sie mitgehen. Aber was war das? Dieses verfluchte Weib...!

Die Hexe war nicht gewillt wegen eines Geistes klein beizugeben, egal wie böse und gierig er auch sein mochte. Von der Kälte und Boshaftigkeit dieses Wesens ließ sie sich nicht einschüchtern, sie hatte bereits schlimmeres ertragen. Sie hatte erlebt wie Gier, Hass und Bosheit das Wesen ihrer Schwestern zerfressen hat, sie zunehmend ins Dunkel getrieben und sie gegen sie gerichtet hatte. Ihre Schwestern hatten Aedha einst verraten und mit weit finsteren Mächten versucht zu töten. Sie waren gescheitert, auch mehrere Dekaden später lebte die Eigeborene noch immer - mächtiger, gefährlicher und vermutlich eine größere Gefahr für dieses Wesen, als es das Wesen für sie war.

***

Je länger das Ritual andauerte, desto mehr glaubte Llyilliala, in ihrem Kopf neben den Worten Aedhas und dem Ächzen Suncuuas eine kalte Stimme zu vernehmen, ein heiseres Wispern in einer uralten Sprache, die ihr vertraut erschien, doch zugleich auch unheimlich und fremd, nur ein Zerrbild dessen, was sie dereinst gewesen: wo in dieser Zunge Melodie und Harmonie hätten schwingen sollen, lagen nur Grausamkeit, Kälte und Hass. Und Gier, unersättliche Gier. Sie konnte deren Inhalt nicht ermessen, doch die Bestimmtheit erspüren, in der die geisterhafte Stimme raunte. Diese wollte nicht in das Lied dieses Ortes und der versammelten Seelen einstimmen. Sie wollte alles unter ihren Willen zwingen. Doch auf einmal veränderte sich diese Stimme. Mischten sich da etwas Überraschung und Zorn in diese?

Aedha, Khorena und Ulfaran spürten, wie etwas, dieser Schatten, mit aller Macht gegen die Fäden der Erdkraft aufbegehrte, die sie gemeinsam mit der Elfe zu einem Zauber zu weben versuchten. Es gab alles, diese in Unordnung zu bringen und zu zerreißen. Es zerrte an ihrer aller Konzentration und kostete sie viel ihrer Kraft, den Zauber fortzuführen. Und es fühlte sich an, als ob es nicht nur ihre Erdkraft verschlang, sondern auch nach ihrer Lebenskraft gierte. Die Kälte kroch ihnen durch Mark und Bein und schien mit eisigen Klauen nach ihren Herzen zu greifen, besonders Khorena wankte bedrohlich.
Doch mit einem Mal zuckte es zurück, und die Zaubernden meinten, ein schrilles Kreischen in ihren Köpfen zu hören, das das Blut in ihren Adern gefrieren ließ.
Der Leib der Schamanin wurde nun wild geschüttelt und hin und her geworfen.

Ulfaran öffnete das innere Tor und erlaubte der Kälte, ihn zu durchströmen. Er würde dem abscheulichen Wesen die Stirn bieten, indem er seine Häme, seine Heimtücke in ihm aufsaugte. Wie ein Baum fest in der Erde verwurzelt machte er seinen Körper zu einem Kanal. Die düstere Kraft leitete er in den Boden, mit jedem Atemzug ein bisschen mehr, um der eigeborenen Hexe die Freiheit zu geben, das Übel an der Wurzel zu packen und auszureißen.

Aedha brachte Wissen aus Jahrhunderten und ungeahnten Fähigkeiten in das Ritual ein, dennoch schonte sie weder sich, noch die anderen in der Gemeinschaft. Dieses Wesen gierte nach Leben und stemmte sich mit aller Macht gegen seine Bannung, also hielt die Rothaarige den Druck nicht nur aufrecht, sondern erhöhte ihn indem sie mehr Erdkraft gegen das Wesen richtete. Außenstehenden konnte sich dabei jedoch die Frage stellen, wer, das Wesen oder die Hexe, furchterregender war.

Was war das? Wirkten hier die Kräfte des dhaza? Hatte hier jemand einen uralten elfischen Geist daran gehindert, ins Licht zu gehen, und ihn verdorben? Zu einer Art feylamia gemacht, nur ohne Körper? Llyilliala fühlte sich zerrissen, als diese Gedanken wilde Kapriolen in ihrem Kopf schlugen, zerrissen zwischen der unheimlichen Kraft und Macht des bösen Geistes und der nicht minder unheimlichen Besessenheit Aedhas, die alles um sich herum an sich riss, um dem Wesen mit schierer Gewalt zu begegnen. Mehr und mehr war sie versucht, sich diesem unnatürlichen Ritual zu entziehen; oder sollte sie sich dem bösen Geist hingeben, denn vielleicht konnte sie ihn so überraschen und von innen bekämpfen, obwohl sie keine Ahnung hatte, wie das genau aussehen sollte ... Doch da spürte Llyilliala die wütende Überraschung des Wesens und entschied sich dafür, das Zerren und Reißen an ihrem mandra und nurdra noch ein wenig länger zu ertragen, um die Natur dieses Gefühls zu ergründen.

Lioba hatte das Kreischen ebenso gehört wie alle anderen in der Höhle. Noch überrascht davon traf sie unvermittelt die Wucht des Aufpralls, als Suncuuas Körper gegen den ihren geschleudert wurde.

Fast hätte sie den Kontakt zur Erde verloren, nur mit Mühe konnte sie die Verbindung halten. Sie spürte, dass das Böse hier weder Geist noch Dämon sein konnte. Es war etwas weit schlimmeres und sie konnte nicht allein dagegen an. “Helft mir!”, rief sie in die Runde und gleich darauf: “Helfen! Schnellschnell!” Sie brauchte etwas, was Menschen und Goblins vereinen konnte, etwas, was ihnen die Angst nahm.

Während nahezu alle Goblins im Angesicht des Schrecklichen zurück wichen, danach strebten, aus der Höhle zu kommen oder sich schutzsuchend an derern Wände pressten, nahm Tschiiba allen Mut zusammen und eilte Rakkaus-Antaa zur Hilfe. Wer sich ebenfalls ein Herz fasste, war Pörldsch, aus dem für ihn selbst nicht nachvollziehbaren Willen heraus, es der Fremden, die sich ihm gegenüber so widersprüchlich gab, zu beweisen, dass er das Herz eines Kriegers hatte. Obgleich alles in ihm mindestens genauso laut nach Flucht schrie wie das, was seine Stammesälteste ergriffen hatte, zwang er sich - unter den ungläubigen Blicken seines Stammes, ganz besonders des schockstarren Vahvillisik, ebenfalls zu Suncuua und fasste mit Tschiiba und Rakkaus-Antaa zusammen an. Gemeinsam gelang es ihnen, unter höchster Kraftanstrengung, den Körper der Schamanin wenigstens knapp über dem Boden festzuhalten.

Tsamitrius, Befinna und Rondrard wurden entsetzte Zeugen der erschreckenden Geschehnisse. Auch sie wollten sich am liebsten nur die Ohren zuhalten, als das jenseitige Kreischen in ihren Köpfen erklang. Doch tief in Befinnas versuchte noch eine zweite Stimme Gehör zu erlangen. "Befinna..." schien diese zu seufzen.

Fast lenkte Tsamitrius die Stimme ab, doch schnell schall er sich eines besseren. Was auch immer es war, er musste bei Sinnen bleiben. Ihm fiel sofort auf, das etwas sich auf die junge Befinna konzentrierte. Er berührte sie sanft an ihrer Schulter und konzentriete sich auf die alten, geheimen Worte, die er von seiner Lehrmeisterin gelernt hatte. Der Hexer mußte wissen, ob die junge Adlige jetzt stark war oder ob die Angst sie schwach sein lassen würde.

Besagter junger Frau sprang das Herz bis zum Hals und in ihr tobte ein Kampf, nein eine Schlacht darum, ob sie ihre Fassung behielt, oder ihrem Fluchtinstinkt nachgab. Hier ging zum zweiten Mal etwas gewaltig schief - so viel war ihr klar - und sie wollte nicht schon wieder mittendrin sein. Zu sehr saß der Adeligen noch die Angst von vorhin in den Knochen. Befinna hörte das Blut in ihren Ohren rauschen, dann, als sie abermals die Stimme ihrer Mutter zu hören vermochte, war es von einen auf den anderen Moment still und ihr wurde schwarz vor Augen. Wie ein Sack Kartoffeln fiel sie um und dem aufmerksamen Hexer in die Arme.

Dieser ging vorsichtig in die Knie und bettete sie sanft. Er streichelte ihr dabei die Schultern und flüsterte ihr ins Ohr. “Das schaffst du, Befinna. Du bist stark, wir sind bei dir.” Tsamitrius hoffte, das sie es hören konnte. Ihre Seite würde er jetzt nicht mehr verlassen, solang sie nicht zurück war.

Dumpf und undeutlich, wie aus weiter Ferne vernahm Befinna Fetzen von Tsamitrius Worten durch das nur noch gedämpft auf sie einwirkende Kreischen. Das Flackern in ihren Augen zeigte dem Hexer, dass ihr Geist nicht ganz im Hier und Jetzt weilte.
Vor Befinnas innerem Auge erschien noch einmal das vereiste Gesicht ihrer Mutter: "Ich werde ihn von Suncuua wegstoßen. Aber er wird mich mitreißen. Und er wird wiederkommen... Denk an das, was ich Dir gesagt habe, bevor er mich gefunden hat." Mit diesen Worten verschwand das Antlitz Alheyts, und die Baroness fand sich im Schoße Tsamitrius’, von der anderen Seite beugte sich Rondrard mit besorgtem Blick über sie.

Befinna begann sich zu winden und streckte ihre Arme nach vorne. "Nein … Mam …", schluchzend ließ sie diese wieder sinken und öffnete ihre geröteten Augen. "Er nimmt sie mit sich", flüsterte die Baroness den beiden Männern zu.

"Du meinst, Deine Mutt..? Woher..." Rondrard graute vor dem, was Befinna gesehen haben musste. Und was der Seele ihrer Mutter bereits wiederfahren war und nun bevorstand - wenn es tatsächlich sie war... "Weißt Du, wohin er sie mitnimmt?" fragte er die junge Frau und hätte sich sogleich am liebsten auf die Zunge gebissen. Wohin gingen die Geister eigentlich, wenn sie ausgetrieben werden? Er schickte ein kurzes Stoßgebet zur großen Mutter, dass es nicht die Niederhöllen waren, in die Befinnas Mutter mitgerissen wurde. Auch wenn es genau der richtige Ort für den anderen Geist, diesen Schatten wäre, nach allem was er mit seinem begrenzten Wissen um diese Dinge hier und heute mitbekommen hatte. Sachte nahm er beide Hände Befinnas und versuchte sie behutsam zu sich zu ziehen, um sie zu beruhigen und zu trösten.

Doch die Baroness hob bloß wortlos ihre Schultern. Sie wusste nicht, wohin er sie mitnahm, oder wer ´er´ denn überhaupt war. Ein böser Geist, ja, aber was wollte er hier und warum hatte er es auf ihre Mutter abgesehen? Sie hatte soviele Fragen … an Alheyt und auch an Suncuua. Die Schamanin … Befinnas immer noch etwas benommener Blick sah sich nach der Ältesten um. “Wie geht es Suncuua?”, fragte sie Rondrard und Tsamitrius.

"Ich weiß es nicht." musste Rondrard eingestehen. "Alle sind bei ihr. Alle, außer uns. Wollen wir auch nach ihr sehen?" fragte er Befinna. Wenigstens sie schien, obgleich innerlich mitgenommen, an Körper und Seele unversehrt. Wenn er von Suncuua nur dasselbe behaupten könnte... Der junge Ritter rappelte sich auf und bot Befinna die Hand, ihr ebenfalls auf- und zur Schamanin zu helfen.

Die Baroness griff nach der Hand, ließ sich aufhelfen und ließ sie dann aber nicht los. "Ja, sehen wir nach ihr." Auch der Hexer folgte.

Die junge Tsatuara-Priesterin aus dem Schweinsfoldschen brach auf die Knie und wäre wohl nach vorne gefallen, wenn nicht plötzlich ein großer, schwarzer Schemen mit glühenden Augen durch die versammelten Goblins gesprungen und Khorena aufgefangen hätte. Mehr als einen dankbaren Blick konnte die junge Frau aber nicht erübrigen, denn sie bedurfte aller ihrer verbliebenen Kräfte um sich auf die Verbindung zu konzentrieren, damit diese nicht abbrach. Ihr Oberkörper stützte sich nun schwer gegen die Flanke der Wolfshündin, welche das Gewicht ihrer Vertrauten geduldig ertrug.

Nicht nur Khorena war am Rande ihrer Kräfte, nein auch Aedha, Ulfaran und Llyilliala mussten kämpfen, so stark und andauernd war der Widerstand dieses Geistes oder was auch immer das für eine Wesenheit war. Doch mit einem Mal ließ dieser nach, und das Kreischen schien von immer ferner zu kommen und schließlich zu ersterben. Der Leib der Schamanin sank schlaff zu Boden.

Der Körper Khorenas war schweißgebadet und sie zitterte ob der Anstrengung und Kälte. Mit letzter Kraft schleppte sie sich, halb von Lupina getragen, zu der Ältesten hinüber und mit einem Seufzen brach die junge Tsatuara-Priesterin an der Seite Suncuuas vollends zusammen.

Ulfaran sackte in sich zusammen. Auf den ersten Blick erschien es, als habe er sich hingesetzt, doch tatsächlich hatte der bärtige Mann den Kopf vornübergebeugt und war postwendend eingeschlafen. Sein Bart kam auf seinen Schenkeln zum Liegen, die Augen geschlossen.

Auch Llyilliala sank erschöpft nach hinten. Sie hatte einen geistigen Schlag erhalten, ganz so, als hätte sie mit aller Gewalt ein Tauziehen mit dem Geist veranstaltet und dann hätte jemand das Tau einfach mit dem Schwert durchtrennt. Alles drehte sich im sie, sie hatte Mühe, bei Bewusstsein zu bleiben und spürte ihren Körper gar nicht mehr richtig, so dass sie nicht sagen konnte, wie es ihr eigentlich ging.

Es war vollbracht, das Ringen hatte sein Ende gefunden! Schon lang war es her, dass sich ihr etwas derart störrisch widersetzt hatte. Sie war eine Tochter der Erdmutter, eine Erwählte die mit ganz besonderen Gaben und zudem auch reichlich beschenkt wurde. Im Gegenzug erfolgte ihr Handeln, zumindest meist, im Sinne der großen Mutter - so wie auch jener Dienst, den sie soeben an der Schamanin geleistet hatte. Dennoch schuldete die Schamanin wenn nicht ihr gesamter Stamm eine Gefälligkeit und sie würde dafür Sorge tragen, dass ihnen das noch lange Zeit im Gedächtnis bliebe. Vorerst aber, brauchte sie etwas Ruhe. Noch immer Aufrecht und Stolz ging sie einige Schritte, wobei ihr die Erschöpfung nur für den Hauch eines Augenblicks anzusehen war als sie sich in einen Schneidersitz zu Boden gleiten ließ. Die Hände mit den Handrücken auf den Knien abgelegt, ließ sie ihr Kinn auf die Brust sinken und begann eine langsame und ruhige Atmung.

Suncuua war in einen Zustand tiefster Ermattung versunken. Nur dem genauen Blick enthüllte sich ihr flacher, nahezu unmerklich gehender Atem, der das einzige Lebenszeichen der Ältesten war. Tschiiba und Pörldsch sahen zuerst Suncuua und dann sich erschrocken an, schließlich ging ihr hilfloser Blick zu Rakkaus-Antaa.

Diese lächelte beruhigend: “Nicht Angst. Nicht Sorge. Suncuua stark, Mailams Rüssel weit weg. Aber helfen Suncuua. Tschiiba in Tasche Rakkaus-Antaa. Gefäß klein nehmen, zeigen. Wenn richtig, dann geben Suncuua. Du”, sie nickte in Richtung Pörldsch,” setzen sanft auf Suncuua. Suncuua fühlen Boden heilig.” Dann sah sie in die Runde der verbliebenen Goblins: “Wer Schülerin Suncuua? Kommen!”

Die angesprochenen Goblins sahen sich aufgeschreckt gegenseitig an, als ob sie durch Liobas jüngste Worte an irgendetwas schlimmes erinnert worden waren. Wieder war es Tschiiba, die - selbst noch in der Tasche wühlend - antwortete: "Hunajurkka? Mailam fressen Hunajurrka, Mond groß nein voll." Tschiiba zeigte vier Finger, während sie fortfuhr: "Nacht vor Taati Mulla. Warten ausscheiden. Nein hier sein. Nein wissen kommen. Tot sein? Leben?" Auf ihrem Gesicht lag eine Geste, die wie ein Bedauern wirkte, sich aber nach wenigen Augenblicken aufhellte: "Das da meinen?" hielt sie Lioba ein Tiegelchen entgegen.

Mutter Waldlieb blickte auf den Tiegel und nickte: “Öffnen, Trank aus Wirselkraut. Suncuua trinken.” Offenbar war Suncuuas Schülerin vor vier Tagen zu ihrer Prüfung aufgebrochen und noch immer nicht zurück. Sorgenvoll blickte sie Tschiiba an: “Hunajurka alleine Schülerin?”

“Mustuuka weg, brydh-blogai.” antwortete sie, mit einem dumpfen Unterton. Derweil nestelte sie das Gefäß auf. “Puolukka klein. Kind. Holen?” fragte sie, während sie sich daran machte, Suncuua den Tiegelinhalt einzuflößen.

Rondrard nickte und ging mit Befinna zusammen zu Suncuua und den anderen. Aus der Nähe betrachtet versetzte ihn nicht nur deren Zustand in Sorge, auch Khorena, die dalag wie erschlagen, gefiel ihm dergestalt gar nicht. Ulfaran und die Elfe schienen ebenfalls vollkommen erledigt, wenngleich nicht ganz so mitgenommen wie seine Base zu sein.
"Du meinst also, Suncuua packt es?" fragte er Lioba, deren an die Goblins gerichtete Worte er noch im Herannahen mit vorsichtiger Erleichterung, aber nach Bestätigung verlangend vernommen hatte. Dabei drückte er sachte Befinnas Hand und ein an sie gerichtetes, aufmunterndes Lächeln huschte über sein Gesicht, das sofort aber wieder einem besorgten Ausdruck wich. "Wenn Du Dich um sie kümmerst, schaue ich nach meiner Base." Er kniete sich neben Khorena nieder und prüfte auf deren Lebenszeichen. "Khorena? Khorena! Komm schon... komm wieder zu uns!" versuchte er, deren Bewusstsein behutsam zurückzurufen.

Befinna sah mit vor Schreck geweiteten Augen auf das Bild was sich hier bot. Suncuua war immer noch bewusstlos. Auch ihre neue Freundin Khorena und ihr Lehrer Ulfaran schienen nicht bei Bewusstsein zu sein. Und das alles war ihre Schuld! Als Rondrard sich der Foldenauerin zuwandte, stürzte die Baroness zum Waideler. “Ulfaran … aufwachen …”, etwas unsanft rüttelte sie an der Schulter des Mannes.

Das Gesicht der Foldenauerin war bleich und dunkle Ränder lagen unter ihren Augen. Doch ihre Brust hob und senkte sich in einer beruhigend ruhigen Art. Es schien als schliefe sie einfach. Als Rondrard sie rief, gab es von ihr erst gar keine Reaktion. Als er seine Bestrebungen aber verstärkte, grunzte sie unwillig und rollte sich auf die Seite.

Llyilliala blieb einfach liegen und konzentrierte sich auf ihre Atmung, in der Hoffnung, dass die Decke sich nach und nach langsamer drehte, was auch zu klappen schien. Die Geräusche der anderen drangen nur als unbestimmtes Rauschen an ihre Ohren, sie fühlte sich matt und völlig ausgesaugt. War dieser Geist jetzt wirklich weg? Nun hätte er wohl leichtes Spiel mit ihnen allen, falls dem nicht so war …

Ulfaran brummte, dann schmatzte er ein bisschen. Nur Befinna, die sich zu ihm gebeugt hatte, hörte: “Ach, noch ein wenig länger…” Doch widerwillig schlug der Druide das rechte Auge auf und erkannte die junge Adlige. Er wurde sich seiner Umgebung bewusst und ein kleines, aber feines Lächeln schob seinen Bart links und rechts zur Seite. “Hallo Befinna. Du und der Wald sind in Sicherheit.”

“Khorena scheint den Umständen entsprechend wohlauf zu sein!” signalisierte Rondrard aufatmend in Richtung Befinnas und stellte sein Rütteln an seiner Base ein. Sei ihr die die verdiente Ruhe vergönnt! Auch Ulfaran kam wieder zu sich, ihm schien es am besten zu gehen, aber auch die Elfe zeigte Lebenszeichen. Wie mitgenommen Aedha war, konnte er nicht erkennen. Seine Hauptsorge galt daher Suncuua, doch schien Lioba noch zu sehr vom Ringen um diese eingenommen, als dass er diese mit Fragen bestürmen wollte.

Der Ältesten wurde gerade etwas von einer ihm bekannt vorkommenden Goblinfrau eingeträufelt, das zunächst ohne jeden Widerstand im regungslosen Mund der Schamanin verschwand, dann aber einem Husten und Sprotzen und schließlich einem nicht unzufrieden klingenden Schmatzen Platz gab. Ihre Augen blieben aber geschlossen.

“Myöhn, Orvai!” [Du bist spät, Jäger!] murmelte sie leise vor sich hin, nur für Lioba und Tschiiba vernehmbar, ehe sie schließlich doch ihre Augen aufschlug. Ihr Blick ging vorbei an den Menschen und Goblins um sie herum, schien etwas über diesen zu fokussieren.
Als Lioba und Tschiiba diesem folgten, fand auch der ihre die schattenhafte, teils von Schwaden verhüllte Gestalt mit dem Leib eines Mannes und dem Haupt eines Hirsches, so wirkte es, die ruhig am Rand des Deckendurchbruchs stand und sie still von oben ansah.

Ulfaran nickte dem Jäger stumm zu, wie um ihm zu zeigen: Ich habe gelernt.

Nachdem die Älteste ihren Mund öffnete und damit kaum wahrnehmbare Worte formte, folgte auch Befinna ihrem Blick. Die sich dort offenbarende Gestalt ließ sie erschrecken. Die Baroness hielt sich ihre Hand vor den Mund, stieß Rondrard neben ihr an und deutete nach oben.

Llyilliala kniff die Augen zusammen, als sie die seltsame, nicht sehr vertrauenerweckende Gestalt erblickte. Was war denn das nun wieder? Was auch immer an diesem Ort vor sich ging, die Harmonie war gestört, auf einer tiefen Ebene, welche den hier lebenden Wesen vielleicht gar nicht immer oder überhaupt bewusst war. Sie musste dem auf den Grund gehen. Aber jetzt … jetzt war sie so erschöpft und … innerlich wund durch das gewaltsame Entreißen ihres mandras, dass sie sich kaum in der Lage fühlte, die Augen offen zu halten. Sie konnte nur hoffen, dieser neue … Geist? … brachte nicht neue Probleme.

"Der Jäger." raunte Rondrard leise in Richtung Befinnas. "Wir sind ihm vor dem Fest bereits begegnet, während der Reinigungszeremonie." schickte er zur Erklärung hinterher. "Er hat zu uns gesprochen. Genau genommen zu jedem einzelnen, glaube ich."

“Welcher Jäger?”, setzte sie nach. “Und warum trägt der Mann ein Geweih? Hat er sich auch verkleidet, so wie du?”

"Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wer oder was der Jäger genau ist", gestand Rondrard, in Befinnas Ohr raunend und außer für sie allenfalls noch für Tsamitrius vernehmbar. "Ich bin ihm heute Nacht zum ersten Mal begegnet und kam ihm nur in einer Vision wirklich nahe." Nach kurzer Besinnung fuhr er fort: "Ist er ein zaubermächtiger Mensch? Oder ein Geist? Vielleicht ist er auch ein ganz anderes Wesen? Am Ende gar ein Gott? Jedenfalls kam er mir merkwürdig vertraut vor, und er schien mich zu kennen, vielleicht sogar besser als ich selbst."

“Ein Gefährte der Mutter. Vielleicht könnte man ihn Alveraniar nennen. Was auch immer es ist, es kennt die Seelen der Nordgratenfelser Bewohner. Er hat mich ermutigt euch alle zu schützen. Habt also keine Angst.” sagte Tsamitrius.

"Ein Alveraniar …", wiederholte die Baroness andächtig, "... und er kann auch nichts gegen das Böse in diesem Wald ausrichten?" In diesem Moment erhob jener die Stimme.

Inzwischen richteten sich aller Augen auf den Jäger. Der ergriff das Wort - dunkel schien seine Stimme in der Höhle und in allen Köpfen zu hallen, und ein jeder vernahm sie in der Zunge seiner Mutter. "Was nach den Seelen der Lebenden griff, ist zunächst gebannt. Doch lauert es weiter im Dunkeln. Und noch immer ist eine unschuldige Seele dort gefangen. Ihr wisst, was zu tun ist!" Im selben Moment wallte eine dichtere Schwade auf. Als sie soweit verdünnt war, den Blick wieder freizugeben, war der Jäger verschwunden.

Ulfaran nickte, doch zugleich wurmte ihn die wortkarge Erklärung des Jägers. Der selbst so schweigsame, doch im rechten Moment agile Druide hatte mehr als diese kärglichen Worte erwartet. Kein Wer, Woher, Warum, Wohin? Nein?! Dann mussten wohl sie Sterbliche herausfinden, was geschehen war. Deshalb wandte sich der Bärtige Mutter Suncuua zu. Zunächst vergewisserte er sich, dass sie stark genug war, um zu sprechen. “Stammesälteste, erzählt uns von dem Geist, von dem wir euch befreiten.”

In diesem Moment setzte sich Khorena mit einem leisen Stöhnen auf. Mit einer Hand stützte sie sich am Boden ab, die andere hatte sie auf die Stirn gelegt. “Ich hatte gerade einen seltsamen Traum mit einem Geweihträger… Warum schaut ihr denn so? Habe ich etwas verpasst?” Nun endlich stellte sich ihr Vetter neben ihr und half ihr auf. “Schau, der Jäger der Mutter.”

Khorena lehnte sich an Tsamitrius, da sie immer noch etwas unsicher auf den Beinen war. “Der Jäger, er war hier? Hat er zu euch gesprochen, euch aufgefordert die Seele Aleits zu retten, so wie in meinem Traum?”

“Ich weiß nicht wer Aleit ist. Aber er hat mich gebeten unsere Gemeinschaft weiterhin zu schützen.” Dass Tsamitrius das Wort Gemeinschaft anders betonte, entging Khorena nicht.
“Ach Tsamitrius. Aleit ist die Mutter von Befinna. Sie war der andere Geist der hier war.” Scholt sie ihn sanft.

“Verzeih. Nein von Befinnas Mutter hatte er nichts gesagt. Er sprach von unserer Gemeinschaft.” er versuchte ein Lächeln.

“In meinem Traum sprach er von der Gemeinschaft, ja, aber auch von einer unschuldigen Seele, die noch immer gefangen sei.”Sie lehnte ihre Stirn gegen seine Schulter. “Vielleicht war das aber auch seine Aufgabe für mich.” Die vorherrschende Kälte hatte nun auch endlich Khorena erreicht und für einen Moment schmiegte sie sich an Tsamitrius.

Rondrard ließ die Worte Tsamitrius' und die des Jägers kurz sacken. Alveraniar - War der Jäger tatsächlich ein Alveraniar? Ein Gesandter eines Gottes? Ein Gott sogar? War er vielleicht sogar niemand geringeres als Kurim höchstselbst, den man auch den Jäger nannte, und mit einem Geweih darstellte? In diesen Wäldern hatte er sich bereits seinem Urahn Mikvard offenbart... ja so musste es sein. Wenn... ja wenn er nur nicht so merkwürdig vertraut gewirkt hätte, trotz der schweren Worte, die er an ihn gerichtet hatte, und seiner so offensichtlichen Macht.
"Vielleicht kann er das doch." beantwortete er nach einer Weile Befinnas zurückliegende Frage. "Etwas gegen das Dunkel in diesen Wäldern ausrichten, meine ich. Aber auf seine Weise. Schenken die Götter ihre Unterstützung nicht allzuvorderst denen, die selbst für die göttliche Sache eintreten, und nicht jenen, die nur darauf warten, dass die Unsterblichen sich ihrer erbarmen? Früher in dieser Nacht war es der Jäger, der mich aufforderte, mich dem Dunkel in diesen Wäldern, deren Vergangenheit zu stellen." Er überlegte, ob er sie mit der ganzen Wahrheit konfrontieren sollte, und entschied sich dafür. “Und Du, Befinna, sollst es auch tun, hat er gesagt."

Die junge Frau schob ihre Augenbrauen zusammen. “Ich soll … was … tun?”, fragte sie flüsternd. “Ich kann mich keinem Dunkel stellen. Ich bin doch keine Ritterin und auch bin ich keine Götterdienerin und Zauberkräfte habe ich auch keine … ich bin doch nur … ich.”

"Ja. Du bis Du. Du bist die Tochter Deiner Mutter, die Du liebst, und deren Geist es offenbar zu Dir zieht. Du bist die Schwester der Baronin... und Du wärst nicht alleine." Rondrard sah Befinna mit einem Ausdruck an, der verdeutlichte, dass er überallhin mit ihr gehen würde. Dann aber senkte er seinen Blick. "Aber wahrscheinlich hast Du dennoch Recht... Das letzte, was ich will, ist, Dich in Gefahr zu bringen. Ich hätte... ich hätte es nicht erzählen sollen... Verzeih mir."

Die junge Frau schwieg daraufhin grübelnd vor sich hin.

Suncuua sah einige Momente wie abwesend ins Leere, wo zuvor der Jäger gestanden hatte, dann jedoch klarte ihr Blick auf und sie begann, als Antwort auf Ulfarans Frage, mit krächzig-kratzender und noch deutlich geschwächt klingender Stimme zu erzählen: "Wjassus Blogai, Geister böse, sein Wjala bronija... " sie deutete auf Llyilliala, "dein Volk, langlang her. Wegnehmen Wald Suulak. Wegnehmen heilige Höhlen Suulak." Ihre Augen gingen von einem zum anderen, taxierte, wie die Menschen und die Elfe die Wahrheit aufnahmen. "Kaputt machen alles."
"Dann Orvai Kurim fortjagen Wjala bronija. Suulak fortjagen Wjala bronija. Lange Kämpfen. Suulak hüten heilige Höhlen, hüten Wälder.
Wjala bronja böse, so böse, nein gehen, verwandeln Geister böse, bleiben. Verstecken. Lauern. Wald böse machen. Leben saugen. Mailam einsperren Geister... Pferch. Suulak helfen. Euer Volk helfen." Suncuua machte eine lange Pause, dann richtete sich ihr Blick auf Befinna. "Geister böse Aleit töten. Geist Aleit mitnehmen Pferch. Pferch schwach…” sie suchte nach einem Wort “...worden."

Tsamitrius konnte mit den kryptischen Wortin der Goblin nicht viel anfangen, doch waren die Worte eh an Befinna gerichtet. Es war klar, das von ihr verlangt wurde, sich darum zu kümmern. Nicht nur seine Familie, sondern auch die der Ambelmunder hatten also auch geheime Pflichten der ´Mutter´ gegenüber. Selinde sollte unbedingt davon erfahren.

Khorena konnte nicht von sich behaupten alles verstanden zu haben, doch eines hatte sie verstanden. Der Kerker oder vielmehr der Schutzbann, der die Finsternis zurückhält, wird schwächer und der gebannte Geist hat die Seele von Befinnas Mutter mit sich genommen. Die Priesterin löste sich von Tsamitrius und ging zu Befinna hinüber. Auf ihrem Weg dorthin kam sie auch an Aedha vorbei, der sie ein Lächeln schenkte, als sie an ihr vorüberging und dabei mit ihrer Hand über die Hüfte der Alterslosen strich. Bei der jungen Adligen angekommen, ergriff sie deren Hand. “Du bist nicht alleine, Befinna. Wir stehen dir zur Seite.” Die Gleichaltrige lächelte aufmunternd.

“Eine solche Aufgabe haut uns nicht um”, brummte Ulfaran - der mit beiden Beinen wie ein Stamm in der Erde verwurzelt schien.

So aufgewühlt Befinna auch war, die Worte Khorenas und Ulfarans zauberten ihr ein Lächeln auf die Lippen. “Wisst ihr denn auch von welchem Pferd Suncuua spricht? Und warum es schwach ist?”

Llyilliala hörte zwar die Worte der Goblin-Schamanin, aber entweder konnte sie sich in Garethi nicht richtig ausdrücken oder es handelte sich um ein Missverständnis. Elfen sollten den Goblins den Wald weggenommen haben? Und dann sollten die Goblins ihrerseits mithilfe eines göttlichen Jägers die Elfen wieder vertrieben haben? Und dabei sollte so etwas wie ein elfischer böser Geist entstanden sein, der immer noch hier sein Unwesen trieb? Das alles hörte sich gar zu verworren und zurechtgebogen an. Aber sie würde nicht widersprechen. Sie wollte der Sache auf den Grund gehen, und dafür war es leider nicht hilfreich, die Goblins und die Menschen hier gegen sich aufzubringen. Also schwieg sie und hörte weiter zu.

“Suncuua meinte mit Pferch wohl eine Art Gefängnis oder Bannkreis in dem diese bösen Geister eingesperrt sind.” erwiderte Khorena. “Leider kann ich nur vermuten, warum dieser “Pferch” schwach ist. Vielleicht bedarf es eines regelmäßigen Rituals um ihn zu erneuern, oder die Geister haben ihn im Laufe der Götterläufe immer mehr an Kraft geraubt.“

“Wenn wir wüssten, wo dieser Bannkreis ist, so könnten wir ihn mit Sumus Kraft speisen.”

“Oh”, entfleuchte es der Kehle der Baroness und sie ließ ihren Kopf hängen. Hier konnte sie nicht helfen.

“Na, das haben wir gleich! Nicht den Kopf hängen lassen. Suncuua, wo ist der Pferch?” Ulfaran brummte freundlich und versuchte Befinna dadurch aufzuheitern.

“Nein weit. Wasser Mailam zeigen Weg. Folgen!” Suncuuas Blick richtete sich an Rondrard, von dem sie wusste, dass er bereits dort gewesen war. Der nickte. "Es ist wirklich nicht weit von hier. Wenn wir dem Bachlauf vom See ausgehend folgen, wären wir recht rasch da." Fragend sah er zu den anderen. So schnell wären hier nicht wieder so viele, der großen Mutter zugewandte Zauberkundige beisammen. "Was meint ihr, sollen wir uns den Pferch bei Tageslicht ansehen?" Zunächst konnten sie dies ja von außen tun. Auch wenn er spürte, dass er noch einmal hinein musste, so sehr sich alles in ihm dagegen sträubte.

“Ein kluger Vorschlag. Ich werde ein wenig rasten müssen - und ich glaube, den Frauen geht es nicht anders. Wenn du schon da gewesen bist: Was erwartet uns dort?”, ächzte Ulfaran, dem man noch immer die Anstrengung des Geisterbanns anmerkte.

"Ich war erst einmal dort und habe nicht viel gesehen", begann Rondrard mit gedämpfter Stimme. "Doch was ich gesehen habe, würde mir für’s Leben reichen. Denn dieses eine Mal bereue ich seither jede Nacht. Es war der Anfang meines Alptraums... vielleicht wäre auch für mich das Vergessen ein gnädigeres Geschenk gewesen als die Erinnerung!" Mit einem bitteren Lächeln sah er zu Ulfaran und in die Runde. "Aber manche Gnade steht einem nicht zu, wenn man dereinst diese Wälder behüten soll." Seine Gedanken gingen kurz zu Eilada, die ihn im vergangenen Herbst bis hierhin begleitet hatte, auch wenn sie - wie sehr hatte er sie manchmal dafür beneidet - nichts mehr davon wusste. Ein kurzer Schauer durchfuhr ihn, dann straffte er sich und fuhr fort:
"Die heiligen Wasser, die alles hier vor Leben nur so überquellen lassen, versickern dort in einem schwarzen Morast. Und wie dieser scheint der ganze Ort alles Leben zu verschlucken. Nach dem, was ich gesehen habe, muss es dort einst wunderschön gewesen sein - wenigstens künden die Ruinen davon - ganz leicht und filigran wirken sie - als ob sie nicht erbaut, sondern gewachsen wären! - Wahrscheinlich von Elfen errichtet, so wie sie aussehen und wie die Erzählungen der Tuluukai künden. Doch jetzt sind sie nicht einfach nur verfallen - ein Schatten liegt auf ihnen, hat von allem Besitz ergriffen und alles verdorben - selbst die Bäume wirken böse und das Getier feindselig. In ihm verbergen sich noch dunklere Mächte: Böse Geister, leib- und gestaltlos und vielleicht gerade deshalb erfüllt von einer unendlichen Gier nach Leben - ich glaube, sie hassen es ebenso wie sie danach dürsten. Nur wenige hatten das Glück, ihrer Angesicht geworden noch zu entkommen und davon berichten zu können wie ich. Andere haben dort den Tod gefunden, aber keinen Frieden." Voll Mitgefühl sah er zu Befinna. "Wieder andere mögen scheinbar entkommen sein, doch war ihre Seele bereits tot, noch ehe es ihr Leib begriffen hat..." Rondrard dachte an die Blutspur und den Tod seines Oheims Hechard, die ihn vor einem Jahr in die bösen Wälder geführt hatten.
Damals war er aber faktisch alleine gewesen. Das war heuer gänzlich anders… ob er es mit diesen wagen durfte? Der Jäger hatte es ihm gewiesen. Und zweifelsohne hatte er Recht: irgendwann musste er sich seinem Alptraum stellen. Warum nicht heute?

Tsamtrius hatte nun endlich verstanden, was hier vorging und stimmte den Anderen zu. “Ich bin dabei, um diesen Ort zu erkunden. Das Haus Schweinsfold wird euch beistehen, Befinna.” Dann blickte er auf sich herab. Noch immer trug er die Fellbekleidung. “Doch vorher würde ich mich wieder ankleiden wollen.”, setzte er noch hinterher. Sein Blick suchte den Khorenas.

“Ein wenig Schlaf wäre nicht schlecht, damit wir ausgeruht diese Aufgabe in Angriff nehmen können, da gebe ich Ulfaran recht.” Khorena lächelte müde in die Runde und als sich ihr Blick mit dem vom Tsamitirus traf, nickte sie ihm dankbar zu. Mit ihm an ihrer Seite fühlte sie sich ein ganzes Stück sicherer. Sie fasste Befinna sanft an den Schultern. “Wir werden diesen Pferch wieder in Ordnung bringen und deine Mutter daraus befreien.”

Die rothaarige Hexe beabsichtigte eh, zu tun wonach ihr der Sinn stand. Irgendwelche Ankündigungen darüber von sich aus zu machen, beabsichtigte sie deshalb vorerst nicht. Das Land war ihr heilig, aber es gab auch Menschen denen sie sich verpflichtet fühlte.

Mit glänzenden Augen ließ die junge Baroness ihren Blick über die Anwesenden schweifen. Es freute sie sehr, dass alle bereit waren zu helfen, auch wenn sie immer noch nicht verstand was hier genau passiert war, geschweige denn was mit ihrer Mutter widerfahren war. "Danke", meinte sie knapp, aber voller Dankbarkeit.

Schweigend hatte Llyilliala der Erzählung des Ritters gelauscht, ohne sichtliche Regung. Sie würde die Menschen begleiten, sie musste diesen Ort mit eigenen Augen sehen, mit den eigenen Sinnen fühlen. Daraus würde sich alles Weitere ergeben. Vorher brauchte sie allerdings ihre Kleidung und Ausrüstung wieder. Und Ruhe, so viel sie bekommen konnte. Ihr mandra war erschöpft.

Die Geweihte hatte sich weiterhin stumm um Suncuua gekümmert. Den Jäger hatte sie gesehen und auch gehört, doch verspürte sie keine Lust sich der theologisch-philosophischen Diskussion um die Natur desselben anzuschließen. Sie hatte zu tun. Außerdem diente sie Peraine und nicht ihrer Schwester Hesinde oder gar ihrem Bruder Praios. Desweiteren war ihr zu Ohren gekommen, dass der Jäger von einigen Firunis unter dem Namen Kurim in den Zwölfgötterglauben integriert worden war. Die Worte der alten Freundin sorgten sie dagegen sehr. Das Böse, dass einen einstmals heiligen Wald vergiftete und alles Leben schluckte klang verdächtig nach Mishkara oder schlimmer: dem Namenlosen. Wenn dem so war, so musste sie Suncuua allein lassen und die anderen unterstützen: “Auch ich werde euch begleiten”, verkündete sie.


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