Schwarz steht der Tann - Akt 4: Unterschied zwischen den Versionen

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Bald schon wurden die Menschen von allen Seiten misstrauisch und mit aller Vorsicht gemustert.<br>
 
Bald schon wurden die Menschen von allen Seiten misstrauisch und mit aller Vorsicht gemustert.<br>
 
Ein groß gewachsener und im Vergleich zu den anderen besonders kräftiger Goblin, bis auf knochengeschmückte Bänder um Hals und Hüfte ebenfalls unbekleidet, ergriff das Wort:
 
Ein groß gewachsener und im Vergleich zu den anderen besonders kräftiger Goblin, bis auf knochengeschmückte Bänder um Hals und Hüfte ebenfalls unbekleidet, ergriff das Wort:
"Antautua sileo iho!" (Ergebt Euch, Glatthäute!) knurrte er mehr, als dass er sprach. "Mita teet tallo?" (Was macht ihr hier?)
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"Antautua sileo iho!" (''Ergebt Euch, Glatthäute!'') knurrte er mehr, als dass er sprach. "''Mita teet tallo?''" (Was macht ihr hier?)
 
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Rondrard, der längst zu den anderen gestoßen und sich mit diesen umzingelt fand, sah sich als erster bemüßigt zu antworten, was er bereits vorhin den anderen zugerufen hatte: "Tul rauhar. Ei vaara taati mulla!" (''Wir kommen in Frieden!, keine Gefahr für Taati Mulla'') Dabei schritt er beherzt einen halben Schritt auf die Goblins zu, auch um keine Schwäche zu zeigen.
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Offensichtlich verfingen diese Worte nicht, denn nach wie vor reckten sich Speere, nach Rondrards Bewegung sogar noch entschiedener, entgegen. "Misso wjassus Turuvkorvu?" (''Wo ist der spitzohrige Geist?'') war die Frage, die die Rotpelze gerade hauptsächlich umzutreiben schien.
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"Mennot, ei kuulu mei!" (''Weg, er gehört nicht zu uns!'') beteuerte der junge Tannenfelser und hoffte dabei inständig, dass die Elfe sich nicht erwischen ließ und auch sonst nichts für sie alle verhängnisvolles beging.
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Die Goblins fingen an, sich untereinander in einer wilden Folge von wechselnden Kehllauten zu beraten, und schienen sich recht unschlüssig, wie weiter mit den unliebsamen Gästen zu verfahren sei.
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"Min nuori peura. Kysy Suncuua" (''Ich junger Hirsch, frag Suncuua'') versuchte Rondrard dem ganzen eine Wendung zu geben.
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Der Anführer sah darauf die ganze Menschengruppe mit offensichtlicher Skepsis an. Dann straffte er sich und rief laut: "Tullo mukan! Suncuua!" (''Kommt mit, zu Suncuua!''). Ein jüngerer Goblin raunzte noch etwas von der Seite zu, worauf der ältere seine Aufforderung ergänzte: "Anta keihas!" (''Gebt Speere = Waffen ablegen!'')
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"Wir sollen mitkommen, zu ihrer Ältesten! Und die Waffen ablegen." gab der Tannenfelser Ritter an die anderen Menschen weiter, und es schien trotz der misslichen Gesamtlage ein Hauch von Erleichterung in seiner Stimme zu schwingen. Zu Befinna und Khorena raunte er, während ihm schon sein Schwert samt Scheide, das er im selben Moment erst abgegürtet hatte, halb aus den Fingern gerissen wurde: "Jetzt wird sicher alles gut." Er war sich durchaus bewusst, wie schal seine Worte auf die anderen wirken mussten…
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Khorena nickte Rondrard zu und strich der großen Wolfshündin an ihrer Seite beruhigend über das Fell. Nach außen hin wirkte die junge Frau ruhig, gefasst, doch in ihrem Inneren nagten Sorge und Zweifel an ihr. Ja, sie war selbst schon einmal der Suncuua vorgestellt worden, aber das war nur ein kurzes Beschnuppern gewesen, nicht mehr. Was wenn ihnen der Stamm ihre Anwesenheit nicht vergeben mochte oder die Elfe ein Stammesmitglied verletzen oder gar töten würde? Sie schluckte und händigte einem wartenden Goblin ihren Dolch aus. Sie sah hinüber zu Befinna und lächelte sie mit einer Zuversicht an, die nicht die ihre war. Dabei vergaß sie, dass ihre Maske diese Geste verdeckte. “Es wird sich alles finden, Wohlgeboren.”
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Der Blick der Baroness ging zwischen Khorena und Rondrard hin und her. "Was sollen wir … ich gehe nicht mit", begehrte sie auf. "Das sind … Goblins … was … was sollen wir dort?" Ihr Blick fixierte den Ritter. "Du sagst mir sofort was das alles hier soll? Erst heißt es, dass wir hier sicher sind … dabei fällt kein Wort darüber, dass wir uns hier in einem Heiligtum einer vergessenen Gottheit befinden … und … und nun? Nun sollen wir mit den Goblins mit und uns freiwillig in Gefangenschaft begeben? Nein, Rondrard. Erst wenn du mir sagst was das hier soll."
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Ulfaran schwieg und stützte sich auf seinen Stock. Den würde ihm schon niemand wegnehmen.
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"Ja, das sind Goblins, Befinna", fing Rondrard an, so leise es ihm möglich war, wenn er noch verstanden werden wollte. Er wollte gelassen auf sie wirken, weit gelassener, als er tatsächlich war, und hoffte, ihr so wenigstens etwas von ihrer Furcht nehmen zu können. Gleichzeitig musste er ihr aber auch klar und eindringlich die Lage und ihre Möglichkeiten vor Augen führen, denn so weicher Schmelz er sonst auch in ihren Händen wäre - und Baroness hin oder her - in diesem Augenblick durfte sie sich, wie sie alle gemeinsam, keine Sperenzchen erlauben. Er sah ihr also in die Augen und fuhr, immer noch ruhig, fort: "Und es sind mehr als wir. Bedeutend viel mehr als wir. Wir haben also erst einmal gar keine andere Wahl als mit ihnen mitzugehen. <br>
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Hab aber keine Angst!" beschwichtigte der Ritter sofort. "Du wirst sehen, dass sich alles fügen wird, sobald wir gleich ihrer Stammesältesten gegenüberstehen. Sie ist eine weise Frau, ganz sicher wird sie dieses Missverständnis hier auflösen. Normalerweise sind sie friedlich, ganz besonders hier im Heiligtum, musst Du wissen. Ich fürchte nur, dass die Anwesenheit der Elfe sie irritiert hat, und noch mehr deren feindselig anmutendes Verhalten... aber wie schon gesagt: am Ende könnten wir nirgendwo in dieser Gegend sicherer sein als hier im Schoß der großen Mutter..." Sein Schluss "die niemals vergessen sein wird." wurde von gellenden Rufen der Rotpelze, die ungeduldig zum Loslaufen drängten, übertönt.
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Befinna jedoch schien dem Rundherum und der Stammesältesten gegenwärtig etwas weniger Bedeutung beizumessen. "Beantworte mir eine Frage, Rondrard. Wusstest du, dass das hier heute passieren würde? Dass die Goblins an diesem Ort … tanzen … oder wissen die Zwölfe was sonst noch … wollten?" Sie kniff ihre Augen zusammen, in einer Mischung aus Herausforderung und Ärger und es war ihm klar, dass sie ihm eine Lüge ewig nachhalten würde.
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"Ja, wusste ich." antwortete Rondrard zunächst nur knapp. "Also, dass sie sich heute hier zu einem großen Fest treffen. Was genau sie da ''treiben'', außer trommeln, kann ich Dir aber nicht mit Sicherheit sagen. Glaub mir," beteuerte er, "ich hätte Dir das Heiligtum auch lieber zu einem anderen, besseren Zeitpunkt gezeigt. Aber Du warst es, die ausgerechnet heute mutterseelenallein in diesen Teil des Waldes gestürmt ist. Hätte ich Dich früher als zur Abenddämmerung oder anderswo erwischt... aber so... so war dieser Ort die einzige Zuflucht, die in Frage kam. Denn einer Sache sei Dir gewiss - da draußen willst Du heute Nacht noch weniger sein..."
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“Das war kein Zufall - nur Einfältige glauben an Zufälle. Das war der Wille der großen Mutter und dein Wille, Befinna, ihre Nähe zu suchen. Genau dasselbe tun die Goblins. Sie wollen ihre Weisheit und Kraft spüren. Das machen sie auf eine urtümlichere Weise als wir, aber deswegen nicht weniger richtig.”
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Da sprach der Druide ja mal ein wahres Wort. "Er hat Recht." pflichtete ihm Rondrard mit leichtem Widerwillen bei. "Das Fest heute heißt im Übrigen 'Taati Mulla'. Es soll ein Fruchtbarkeitsfest sein." Die wörtliche Übersetzung sprach er lieber nicht aus.
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Khorena schluckte. ''Ein Fruchtbarkeitsfest? Bei der großen Mutter und Celissa schickte sie ausgerechnet in dieser Nacht hierher?'' Sie kannte Fruchtbarkeitsfeste zu Ehren Tsatuaras, die sich nicht hinter den rauschenden Festen der Rahjakirche zu verstecken brauchten. Vielleicht verstanden die Goblins aber auch etwas anderes darunter. Jedenfalls war das nichts, was sie Rondrad vor Befinna fragen würde.
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Die Aufnahmefähigkeit der Baroness war gegenwärtig eingeschränkt. In ihren Augen loderte der Zorn einer emotionalen, impulsiven, jungen Frau. "Du wusstest davon?" Sie schüttelte ihren Kopf. "Möchtest du, dass wir alle auf dem Scheiterhaufen landen, Rondrard? Wenn die Goblins überhaupt was von uns überlassen? Was ist das für ein Fest? Fruchtbarkeit? Sowas wie Erntedank, das wir im Travia begehen, oder das Saatfest im Peraine?"
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“Anders.” vermerkte Ulfaran.
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“Schon eine Art… Saatfest. Nur... wilder.” ergänzte Rondrard Ulfarans einsilbige Antwort. “Und ja, ich wusste davon, wie schon gesagt. Aber schau es Dir doch erst einmal an, bevor Du gleich Praios’ feurige Verdammnis über uns allen heraufdräuen siehst. Lass Dich - jetzt da Du ohnehin hier bist - auf die große Mutter ein, und Du wirst sehen, dass nichts schlechtes an ihr ist. Sie ist das Leben, und alles Leben kommt von ihr!”
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"Wilder?", war alles was Befinna von sich gab.
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“''Taati Mulla'' heißt wörtlich so viel wie Haufen Geliebter.” ließ Rondrard  die Katze aus dem Sack. “Aber miterlebt habe ich es bislang noch nicht - ich kann Dir also nicht sagen, wie genau es dabei zugeht.”
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Die Lippen der jungen Frau verzogen sich zu einem falschen Lächeln und sie schüttelte den Kopf. "Neeeeein, Rondrard … es ist hoffentlich nicht das, wofür ich es halte." Befinna hatte zwar dahingehend noch keine Erfahrungen gemacht, aber so viel Fantasie hatte dann auch sie. "Und du meinst, ich solle mich dem … öffnen? Was denkst du denn, dass ich bin? Eine Goblin-Hure?" Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust und reckte ihr Kinn. "Nein, bestimmt nicht. Wenn du nicht auf mich aufpassen willst, gehe ich alleine. Ich finde schon einen Weg."
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Alleine die Dunkelheit der Nacht verbarg das Farbenspiel von Rondrards Gesicht, das angesichts der Vorwürfe zuerst  puterrot angelaufen war, und nun angesichts der Drohung ins fahle changierte. “So habe ich das überhaupt nicht gemeint! Du… Ich meinte, was ich will, ist... “ stotterte er mehr, als er sprach, “also Du sollst Dich dem blühenden Leben, der Kraft der großen Mutter öffnen, und natürlich nicht… irgendeinem Goblin… gleich in der Höhle. Was denkst Du denn von mir! Natürlich passe ich auf Dich auf! Aber ich bitte Dich, glaub mir, da draußen ist es weit gefährlicher als gleich in der Höhle.”
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"Rondrard … du hast mir gerade gesagt, dass du nicht weißt was die Rotpelze heute Abend vorhaben. Jetzt garantierst du mir, dass sie in der Nacht der …", sie zögerte für einen Herzschlag, "... Haufen Geliebten nicht Hand an mich legen werden. Du hast vorhin auch gesagt sie seien viel mehr als wir und wir ihnen deshalb ausgeliefert." Tränen stiegen in ihre Augen. Dass der Ritter bisher so verschwiegen war, steigerte ihr Vertrauen in seine jetzigen Worte nicht. Das enttäuschte sie. Alle behandelten sie gleich. Wie ein unmündiges, dummes Kind, das man herumschieben konnte wie ein steinernes Kamel beim Gardan. Wunnemine, Meister Rundarek, Rondrard … vielleicht auch Ulfaran? Sie vergrub ihre Augen in ihren Handflächen. "Wenn mich eines dieser Tiere oder sonst jemand berührt, dann entleibe ich mich selbst, Rondrard. Das schwöre ich dir. Niemand wird sich an mir bedienen, egal in wessen Namen er das tut. Ob für die Große Mutter oder sonst wen."
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“Befinna! Es sind Goblins! Wahrscheinlich finden ihre Männer Menschenfrauen so anziehend wie Du sie. Außerdem haben bei ihnen, nach allem was ich weiß, die Frauen das Sagen. Und die werden in der Höhle sein, denke ich…” versuchte Rondrard die aufgewühlte junge Frau zunächst zu beruhigen. “Und ehe jemand Hand an Dich legt, bekommt er es mit mir zu tun, das schwöre ich Dir. Ich selbst würde lieber sterben, als Dir ein Leid geschehen zu sehen.” Er wollte sie gerade, ganz vorsichtig, mit den Händen an beiden Schultern berühren - noch lieber hätte er sie umarmt, aber das geziemte sich wohl nicht, noch weniger in Befinnas aktueller Verfassung. Doch kam es nur zu einer flüchtigen Berührung, da sie in diesem Moment von der Seite bedrängt wurden, sich endlich in Bewegung zu setzen. “Komm mit.” versuchte er, sie zum zunächst ohnehin unvermeidlichen zu bewegen. “Bitte!”
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Befinna nahm ihre Handflächen von den Augen und sah Rondrard an. Für einige Herzschläge konnte der Ritter den in ihr tobenden Kampf sehen und als er damit rechnete, dass nun ein weiterer emotionaler Ausbruch folgen würde, nickte sie bloß. Sie würde dem Tannenfelser noch eine Chance geben und sie nahm ihn beim Wort.
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Version vom 1. November 2021, 01:27 Uhr

... doch der Mond voll Schatten

Akt 4 der Briefspielgeschichte Schwarz steht der Tann

Gefangen

Die Geräusche aus dem Dickicht die von verschiedenen Seiten und Stellen auf die Menschengruppe eindrangen - ein Rascheln hier, ein verräterisch knackender Ast da, alles im Halbdunkel einer mondbeschienenen Nacht - wären inzwischen für jeden halbwegs aufmerksamen Lauscher gut vernehmbar gewesen, wären sie nicht durch eilig heranpreschende Schritte auf dem Pfad, den die Gäste noch am Abend selbst gegangen waren, übertönt worden.
Bald füllte sich zunächst von diesem aus, verstärkt von einzelnen schattenhaft aus dem umliegenden Strauchwerk tretenden Spähern, die Lichtung mit zahllosen der kleingewachsenen und struppig befellten Gestalten der hiesigen Goblins. Nur wenige trugen überhaupt Kleidung - dann zumeist durch ein zentrales Loch über den Kopf gezogene und mit einfachen Lederbändern zusammengehaltene Felle, vereinzelt Lendenschurze und um die Füße gewickelte Fellstreifen - die meisten aber zeigten mehr oder weniger unverfälscht und vollständig die natürliche Physiognomie der Goblins und damit auch eindrücklich, dass es sich bei ihnen eindeutig um die männlichen Jäger des Stammes handelte. Vollkommen nackend konnte man viele dennoch nicht bezeichnen, waren sie doch mit Federschmuck und Lederbändchen voll Tierknochen und Steinchen herausgeputzt.
In ihren Händen hielten die allermeisten an der Spitze feuergehärtete Holzspeere, wenige kleine Steinäxte, Schleudern und hier und da sogar ein Bogen. Sie zogen zunächst einen großen Kreis um die eingeschlossenen Menschen, den sie alsbald, begleitet von den Rufen einzelner, enger zogen. Dabei fuchtelten sie mit ihren Waffen, teils mit dem Mut echter Jäger, teils schienen sie sich aber auch schutzsuchend an ihren Jagdutensilien festzuhalten. Blutunterlaufene Augen funkelten und von manchem Hauer blitzte das reflektierte Mondlicht, das diese noch stärker vor den flachen Nasen und fliehenden Kinnen hervorhob.
Bald schon wurden die Menschen von allen Seiten misstrauisch und mit aller Vorsicht gemustert.
Ein groß gewachsener und im Vergleich zu den anderen besonders kräftiger Goblin, bis auf knochengeschmückte Bänder um Hals und Hüfte ebenfalls unbekleidet, ergriff das Wort: "Antautua sileo iho!" (Ergebt Euch, Glatthäute!) knurrte er mehr, als dass er sprach. "Mita teet tallo?" (Was macht ihr hier?)

Rondrard, der längst zu den anderen gestoßen und sich mit diesen umzingelt fand, sah sich als erster bemüßigt zu antworten, was er bereits vorhin den anderen zugerufen hatte: "Tul rauhar. Ei vaara taati mulla!" (Wir kommen in Frieden!, keine Gefahr für Taati Mulla) Dabei schritt er beherzt einen halben Schritt auf die Goblins zu, auch um keine Schwäche zu zeigen.

Offensichtlich verfingen diese Worte nicht, denn nach wie vor reckten sich Speere, nach Rondrards Bewegung sogar noch entschiedener, entgegen. "Misso wjassus Turuvkorvu?" (Wo ist der spitzohrige Geist?) war die Frage, die die Rotpelze gerade hauptsächlich umzutreiben schien.

"Mennot, ei kuulu mei!" (Weg, er gehört nicht zu uns!) beteuerte der junge Tannenfelser und hoffte dabei inständig, dass die Elfe sich nicht erwischen ließ und auch sonst nichts für sie alle verhängnisvolles beging.

Die Goblins fingen an, sich untereinander in einer wilden Folge von wechselnden Kehllauten zu beraten, und schienen sich recht unschlüssig, wie weiter mit den unliebsamen Gästen zu verfahren sei.

"Min nuori peura. Kysy Suncuua" (Ich junger Hirsch, frag Suncuua) versuchte Rondrard dem ganzen eine Wendung zu geben.

Der Anführer sah darauf die ganze Menschengruppe mit offensichtlicher Skepsis an. Dann straffte er sich und rief laut: "Tullo mukan! Suncuua!" (Kommt mit, zu Suncuua!). Ein jüngerer Goblin raunzte noch etwas von der Seite zu, worauf der ältere seine Aufforderung ergänzte: "Anta keihas!" (Gebt Speere = Waffen ablegen!)

"Wir sollen mitkommen, zu ihrer Ältesten! Und die Waffen ablegen." gab der Tannenfelser Ritter an die anderen Menschen weiter, und es schien trotz der misslichen Gesamtlage ein Hauch von Erleichterung in seiner Stimme zu schwingen. Zu Befinna und Khorena raunte er, während ihm schon sein Schwert samt Scheide, das er im selben Moment erst abgegürtet hatte, halb aus den Fingern gerissen wurde: "Jetzt wird sicher alles gut." Er war sich durchaus bewusst, wie schal seine Worte auf die anderen wirken mussten…

Khorena nickte Rondrard zu und strich der großen Wolfshündin an ihrer Seite beruhigend über das Fell. Nach außen hin wirkte die junge Frau ruhig, gefasst, doch in ihrem Inneren nagten Sorge und Zweifel an ihr. Ja, sie war selbst schon einmal der Suncuua vorgestellt worden, aber das war nur ein kurzes Beschnuppern gewesen, nicht mehr. Was wenn ihnen der Stamm ihre Anwesenheit nicht vergeben mochte oder die Elfe ein Stammesmitglied verletzen oder gar töten würde? Sie schluckte und händigte einem wartenden Goblin ihren Dolch aus. Sie sah hinüber zu Befinna und lächelte sie mit einer Zuversicht an, die nicht die ihre war. Dabei vergaß sie, dass ihre Maske diese Geste verdeckte. “Es wird sich alles finden, Wohlgeboren.”

Der Blick der Baroness ging zwischen Khorena und Rondrard hin und her. "Was sollen wir … ich gehe nicht mit", begehrte sie auf. "Das sind … Goblins … was … was sollen wir dort?" Ihr Blick fixierte den Ritter. "Du sagst mir sofort was das alles hier soll? Erst heißt es, dass wir hier sicher sind … dabei fällt kein Wort darüber, dass wir uns hier in einem Heiligtum einer vergessenen Gottheit befinden … und … und nun? Nun sollen wir mit den Goblins mit und uns freiwillig in Gefangenschaft begeben? Nein, Rondrard. Erst wenn du mir sagst was das hier soll."

Ulfaran schwieg und stützte sich auf seinen Stock. Den würde ihm schon niemand wegnehmen.

"Ja, das sind Goblins, Befinna", fing Rondrard an, so leise es ihm möglich war, wenn er noch verstanden werden wollte. Er wollte gelassen auf sie wirken, weit gelassener, als er tatsächlich war, und hoffte, ihr so wenigstens etwas von ihrer Furcht nehmen zu können. Gleichzeitig musste er ihr aber auch klar und eindringlich die Lage und ihre Möglichkeiten vor Augen führen, denn so weicher Schmelz er sonst auch in ihren Händen wäre - und Baroness hin oder her - in diesem Augenblick durfte sie sich, wie sie alle gemeinsam, keine Sperenzchen erlauben. Er sah ihr also in die Augen und fuhr, immer noch ruhig, fort: "Und es sind mehr als wir. Bedeutend viel mehr als wir. Wir haben also erst einmal gar keine andere Wahl als mit ihnen mitzugehen.
Hab aber keine Angst!" beschwichtigte der Ritter sofort. "Du wirst sehen, dass sich alles fügen wird, sobald wir gleich ihrer Stammesältesten gegenüberstehen. Sie ist eine weise Frau, ganz sicher wird sie dieses Missverständnis hier auflösen. Normalerweise sind sie friedlich, ganz besonders hier im Heiligtum, musst Du wissen. Ich fürchte nur, dass die Anwesenheit der Elfe sie irritiert hat, und noch mehr deren feindselig anmutendes Verhalten... aber wie schon gesagt: am Ende könnten wir nirgendwo in dieser Gegend sicherer sein als hier im Schoß der großen Mutter..." Sein Schluss "die niemals vergessen sein wird." wurde von gellenden Rufen der Rotpelze, die ungeduldig zum Loslaufen drängten, übertönt.

Befinna jedoch schien dem Rundherum und der Stammesältesten gegenwärtig etwas weniger Bedeutung beizumessen. "Beantworte mir eine Frage, Rondrard. Wusstest du, dass das hier heute passieren würde? Dass die Goblins an diesem Ort … tanzen … oder wissen die Zwölfe was sonst noch … wollten?" Sie kniff ihre Augen zusammen, in einer Mischung aus Herausforderung und Ärger und es war ihm klar, dass sie ihm eine Lüge ewig nachhalten würde.

"Ja, wusste ich." antwortete Rondrard zunächst nur knapp. "Also, dass sie sich heute hier zu einem großen Fest treffen. Was genau sie da treiben, außer trommeln, kann ich Dir aber nicht mit Sicherheit sagen. Glaub mir," beteuerte er, "ich hätte Dir das Heiligtum auch lieber zu einem anderen, besseren Zeitpunkt gezeigt. Aber Du warst es, die ausgerechnet heute mutterseelenallein in diesen Teil des Waldes gestürmt ist. Hätte ich Dich früher als zur Abenddämmerung oder anderswo erwischt... aber so... so war dieser Ort die einzige Zuflucht, die in Frage kam. Denn einer Sache sei Dir gewiss - da draußen willst Du heute Nacht noch weniger sein..."

“Das war kein Zufall - nur Einfältige glauben an Zufälle. Das war der Wille der großen Mutter und dein Wille, Befinna, ihre Nähe zu suchen. Genau dasselbe tun die Goblins. Sie wollen ihre Weisheit und Kraft spüren. Das machen sie auf eine urtümlichere Weise als wir, aber deswegen nicht weniger richtig.”

Da sprach der Druide ja mal ein wahres Wort. "Er hat Recht." pflichtete ihm Rondrard mit leichtem Widerwillen bei. "Das Fest heute heißt im Übrigen 'Taati Mulla'. Es soll ein Fruchtbarkeitsfest sein." Die wörtliche Übersetzung sprach er lieber nicht aus.

Khorena schluckte. Ein Fruchtbarkeitsfest? Bei der großen Mutter und Celissa schickte sie ausgerechnet in dieser Nacht hierher? Sie kannte Fruchtbarkeitsfeste zu Ehren Tsatuaras, die sich nicht hinter den rauschenden Festen der Rahjakirche zu verstecken brauchten. Vielleicht verstanden die Goblins aber auch etwas anderes darunter. Jedenfalls war das nichts, was sie Rondrad vor Befinna fragen würde.

Die Aufnahmefähigkeit der Baroness war gegenwärtig eingeschränkt. In ihren Augen loderte der Zorn einer emotionalen, impulsiven, jungen Frau. "Du wusstest davon?" Sie schüttelte ihren Kopf. "Möchtest du, dass wir alle auf dem Scheiterhaufen landen, Rondrard? Wenn die Goblins überhaupt was von uns überlassen? Was ist das für ein Fest? Fruchtbarkeit? Sowas wie Erntedank, das wir im Travia begehen, oder das Saatfest im Peraine?"

“Anders.” vermerkte Ulfaran.

“Schon eine Art… Saatfest. Nur... wilder.” ergänzte Rondrard Ulfarans einsilbige Antwort. “Und ja, ich wusste davon, wie schon gesagt. Aber schau es Dir doch erst einmal an, bevor Du gleich Praios’ feurige Verdammnis über uns allen heraufdräuen siehst. Lass Dich - jetzt da Du ohnehin hier bist - auf die große Mutter ein, und Du wirst sehen, dass nichts schlechtes an ihr ist. Sie ist das Leben, und alles Leben kommt von ihr!”

"Wilder?", war alles was Befinna von sich gab.

Taati Mulla heißt wörtlich so viel wie Haufen Geliebter.” ließ Rondrard die Katze aus dem Sack. “Aber miterlebt habe ich es bislang noch nicht - ich kann Dir also nicht sagen, wie genau es dabei zugeht.”

Die Lippen der jungen Frau verzogen sich zu einem falschen Lächeln und sie schüttelte den Kopf. "Neeeeein, Rondrard … es ist hoffentlich nicht das, wofür ich es halte." Befinna hatte zwar dahingehend noch keine Erfahrungen gemacht, aber so viel Fantasie hatte dann auch sie. "Und du meinst, ich solle mich dem … öffnen? Was denkst du denn, dass ich bin? Eine Goblin-Hure?" Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust und reckte ihr Kinn. "Nein, bestimmt nicht. Wenn du nicht auf mich aufpassen willst, gehe ich alleine. Ich finde schon einen Weg."

Alleine die Dunkelheit der Nacht verbarg das Farbenspiel von Rondrards Gesicht, das angesichts der Vorwürfe zuerst puterrot angelaufen war, und nun angesichts der Drohung ins fahle changierte. “So habe ich das überhaupt nicht gemeint! Du… Ich meinte, was ich will, ist... “ stotterte er mehr, als er sprach, “also Du sollst Dich dem blühenden Leben, der Kraft der großen Mutter öffnen, und natürlich nicht… irgendeinem Goblin… gleich in der Höhle. Was denkst Du denn von mir! Natürlich passe ich auf Dich auf! Aber ich bitte Dich, glaub mir, da draußen ist es weit gefährlicher als gleich in der Höhle.”

"Rondrard … du hast mir gerade gesagt, dass du nicht weißt was die Rotpelze heute Abend vorhaben. Jetzt garantierst du mir, dass sie in der Nacht der …", sie zögerte für einen Herzschlag, "... Haufen Geliebten nicht Hand an mich legen werden. Du hast vorhin auch gesagt sie seien viel mehr als wir und wir ihnen deshalb ausgeliefert." Tränen stiegen in ihre Augen. Dass der Ritter bisher so verschwiegen war, steigerte ihr Vertrauen in seine jetzigen Worte nicht. Das enttäuschte sie. Alle behandelten sie gleich. Wie ein unmündiges, dummes Kind, das man herumschieben konnte wie ein steinernes Kamel beim Gardan. Wunnemine, Meister Rundarek, Rondrard … vielleicht auch Ulfaran? Sie vergrub ihre Augen in ihren Handflächen. "Wenn mich eines dieser Tiere oder sonst jemand berührt, dann entleibe ich mich selbst, Rondrard. Das schwöre ich dir. Niemand wird sich an mir bedienen, egal in wessen Namen er das tut. Ob für die Große Mutter oder sonst wen."

“Befinna! Es sind Goblins! Wahrscheinlich finden ihre Männer Menschenfrauen so anziehend wie Du sie. Außerdem haben bei ihnen, nach allem was ich weiß, die Frauen das Sagen. Und die werden in der Höhle sein, denke ich…” versuchte Rondrard die aufgewühlte junge Frau zunächst zu beruhigen. “Und ehe jemand Hand an Dich legt, bekommt er es mit mir zu tun, das schwöre ich Dir. Ich selbst würde lieber sterben, als Dir ein Leid geschehen zu sehen.” Er wollte sie gerade, ganz vorsichtig, mit den Händen an beiden Schultern berühren - noch lieber hätte er sie umarmt, aber das geziemte sich wohl nicht, noch weniger in Befinnas aktueller Verfassung. Doch kam es nur zu einer flüchtigen Berührung, da sie in diesem Moment von der Seite bedrängt wurden, sich endlich in Bewegung zu setzen. “Komm mit.” versuchte er, sie zum zunächst ohnehin unvermeidlichen zu bewegen. “Bitte!”

Befinna nahm ihre Handflächen von den Augen und sah Rondrard an. Für einige Herzschläge konnte der Ritter den in ihr tobenden Kampf sehen und als er damit rechnete, dass nun ein weiterer emotionaler Ausbruch folgen würde, nickte sie bloß. Sie würde dem Tannenfelser noch eine Chance geben und sie nahm ihn beim Wort.

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"Frauenzimmer"

“Abhängen, Dämpfen und Räuchern”



Vorlage eingerückt






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