Schwarz steht der Tann - Akt 4

... doch der Mond voll Schatten

Akt 4 der Briefspielgeschichte Schwarz steht der Tann

Gefangen

Die Geräusche aus dem Dickicht die von verschiedenen Seiten und Stellen auf die Menschengruppe eindrangen - ein Rascheln hier, ein verräterisch knackender Ast da, alles im Halbdunkel einer mondbeschienenen Nacht - wären inzwischen für jeden halbwegs aufmerksamen Lauscher gut vernehmbar gewesen, wären sie nicht durch eilig heranpreschende Schritte auf dem Pfad, den die Gäste noch am Abend selbst gegangen waren, übertönt worden.
Bald füllte sich zunächst von diesem aus, verstärkt von einzelnen schattenhaft aus dem umliegenden Strauchwerk tretenden Spähern, die Lichtung mit zahllosen der kleingewachsenen und struppig befellten Gestalten der hiesigen Goblins. Nur wenige trugen überhaupt Kleidung - dann zumeist durch ein zentrales Loch über den Kopf gezogene und mit einfachen Lederbändern zusammengehaltene Felle, vereinzelt Lendenschurze und um die Füße gewickelte Fellstreifen - die meisten aber zeigten mehr oder weniger unverfälscht und vollständig die natürliche Physiognomie der Goblins und damit auch eindrücklich, dass es sich bei ihnen eindeutig um die männlichen Jäger des Stammes handelte. Vollkommen nackend konnte man viele dennoch nicht bezeichnen, waren sie doch mit Federschmuck und Lederbändchen voll Tierknochen und Steinchen herausgeputzt.
In ihren Händen hielten die allermeisten an der Spitze feuergehärtete Holzspeere, wenige kleine Steinäxte, Schleudern und hier und da sogar ein Bogen. Sie zogen zunächst einen großen Kreis um die eingeschlossenen Menschen, den sie alsbald, begleitet von den Rufen einzelner, enger zogen. Dabei fuchtelten sie mit ihren Waffen, teils mit dem Mut echter Jäger, teils schienen sie sich aber auch schutzsuchend an ihren Jagdutensilien festzuhalten. Blutunterlaufene Augen funkelten und von manchem Hauer blitzte das reflektierte Mondlicht, das diese noch stärker vor den flachen Nasen und fliehenden Kinnen hervorhob.
Bald schon wurden die Menschen von allen Seiten misstrauisch und mit aller Vorsicht gemustert.
Ein groß gewachsener und im Vergleich zu den anderen besonders kräftiger Goblin, bis auf knochengeschmückte Bänder um Hals und Hüfte ebenfalls unbekleidet, ergriff das Wort: "Antautua sileo iho!" (Ergebt Euch, Glatthäute!) knurrte er mehr, als dass er sprach. "Mita teet tallo?" (Was macht ihr hier?)

Rondrard, der längst zu den anderen gestoßen und sich mit diesen umzingelt fand, sah sich als erster bemüßigt zu antworten, was er bereits vorhin den anderen zugerufen hatte: "Tul rauhar. Ei vaara taati mulla!" (Wir kommen in Frieden!, keine Gefahr für Taati Mulla) Dabei schritt er beherzt einen halben Schritt auf die Goblins zu, auch um keine Schwäche zu zeigen.

Offensichtlich verfingen diese Worte nicht, denn nach wie vor reckten sich Speere, nach Rondrards Bewegung sogar noch entschiedener, entgegen. "Misso wjassus Turuvkorvu?" (Wo ist der spitzohrige Geist?) war die Frage, die die Rotpelze gerade hauptsächlich umzutreiben schien.

"Mennot, ei kuulu mei!" (Weg, er gehört nicht zu uns!) beteuerte der junge Tannenfelser und hoffte dabei inständig, dass die Elfe sich nicht erwischen ließ und auch sonst nichts für sie alle verhängnisvolles beging.

Die Goblins fingen an, sich untereinander in einer wilden Folge von wechselnden Kehllauten zu beraten, und schienen sich recht unschlüssig, wie weiter mit den unliebsamen Gästen zu verfahren sei.

"Min nuori peura. Kysy Suncuua" (Ich junger Hirsch, frag Suncuua) versuchte Rondrard dem ganzen eine Wendung zu geben.

Der Anführer sah darauf die ganze Menschengruppe mit offensichtlicher Skepsis an. Dann straffte er sich und rief laut: "Tullo mukan! Suncuua!" (Kommt mit, zu Suncuua!). Ein jüngerer Goblin raunzte noch etwas von der Seite zu, worauf der ältere seine Aufforderung ergänzte: "Anta keihas!" (Gebt Speere = Waffen ablegen!)

"Wir sollen mitkommen, zu ihrer Ältesten! Und die Waffen ablegen." gab der Tannenfelser Ritter an die anderen Menschen weiter, und es schien trotz der misslichen Gesamtlage ein Hauch von Erleichterung in seiner Stimme zu schwingen. Zu Befinna und Khorena raunte er, während ihm schon sein Schwert samt Scheide, das er im selben Moment erst abgegürtet hatte, halb aus den Fingern gerissen wurde: "Jetzt wird sicher alles gut." Er war sich durchaus bewusst, wie schal seine Worte auf die anderen wirken mussten…

Khorena nickte Rondrard zu und strich der großen Wolfshündin an ihrer Seite beruhigend über das Fell. Nach außen hin wirkte die junge Frau ruhig, gefasst, doch in ihrem Inneren nagten Sorge und Zweifel an ihr. Ja, sie war selbst schon einmal der Suncuua vorgestellt worden, aber das war nur ein kurzes Beschnuppern gewesen, nicht mehr. Was wenn ihnen der Stamm ihre Anwesenheit nicht vergeben mochte oder die Elfe ein Stammesmitglied verletzen oder gar töten würde? Sie schluckte und händigte einem wartenden Goblin ihren Dolch aus. Sie sah hinüber zu Befinna und lächelte sie mit einer Zuversicht an, die nicht die ihre war. Dabei vergaß sie, dass ihre Maske diese Geste verdeckte. “Es wird sich alles finden, Wohlgeboren.”

Der Blick der Baroness ging zwischen Khorena und Rondrard hin und her. "Was sollen wir … ich gehe nicht mit", begehrte sie auf. "Das sind … Goblins … was … was sollen wir dort?" Ihr Blick fixierte den Ritter. "Du sagst mir sofort was das alles hier soll? Erst heißt es, dass wir hier sicher sind … dabei fällt kein Wort darüber, dass wir uns hier in einem Heiligtum einer vergessenen Gottheit befinden … und … und nun? Nun sollen wir mit den Goblins mit und uns freiwillig in Gefangenschaft begeben? Nein, Rondrard. Erst wenn du mir sagst was das hier soll."

Ulfaran schwieg und stützte sich auf seinen Stock. Den würde ihm schon niemand wegnehmen.

"Ja, das sind Goblins, Befinna", fing Rondrard an, so leise es ihm möglich war, wenn er noch verstanden werden wollte. Er wollte gelassen auf sie wirken, weit gelassener, als er tatsächlich war, und hoffte, ihr so wenigstens etwas von ihrer Furcht nehmen zu können. Gleichzeitig musste er ihr aber auch klar und eindringlich die Lage und ihre Möglichkeiten vor Augen führen, denn so weicher Schmelz er sonst auch in ihren Händen wäre - und Baroness hin oder her - in diesem Augenblick durfte sie sich, wie sie alle gemeinsam, keine Sperenzchen erlauben. Er sah ihr also in die Augen und fuhr, immer noch ruhig, fort: "Und es sind mehr als wir. Bedeutend viel mehr als wir. Wir haben also erst einmal gar keine andere Wahl als mit ihnen mitzugehen.
Hab aber keine Angst!" beschwichtigte der Ritter sofort. "Du wirst sehen, dass sich alles fügen wird, sobald wir gleich ihrer Stammesältesten gegenüberstehen. Sie ist eine weise Frau, ganz sicher wird sie dieses Missverständnis hier auflösen. Normalerweise sind sie friedlich, ganz besonders hier im Heiligtum, musst Du wissen. Ich fürchte nur, dass die Anwesenheit der Elfe sie irritiert hat, und noch mehr deren feindselig anmutendes Verhalten... aber wie schon gesagt: am Ende könnten wir nirgendwo in dieser Gegend sicherer sein als hier im Schoß der großen Mutter..." Sein Schluss "die niemals vergessen sein wird." wurde von gellenden Rufen der Rotpelze, die ungeduldig zum Loslaufen drängten, übertönt.

Befinna jedoch schien dem Rundherum und der Stammesältesten gegenwärtig etwas weniger Bedeutung beizumessen. "Beantworte mir eine Frage, Rondrard. Wusstest du, dass das hier heute passieren würde? Dass die Goblins an diesem Ort … tanzen … oder wissen die Zwölfe was sonst noch … wollten?" Sie kniff ihre Augen zusammen, in einer Mischung aus Herausforderung und Ärger und es war ihm klar, dass sie ihm eine Lüge ewig nachhalten würde.

"Ja, wusste ich." antwortete Rondrard zunächst nur knapp. "Also, dass sie sich heute hier zu einem großen Fest treffen. Was genau sie da treiben, außer trommeln, kann ich Dir aber nicht mit Sicherheit sagen. Glaub mir," beteuerte er, "ich hätte Dir das Heiligtum auch lieber zu einem anderen, besseren Zeitpunkt gezeigt. Aber Du warst es, die ausgerechnet heute mutterseelenallein in diesen Teil des Waldes gestürmt ist. Hätte ich Dich früher als zur Abenddämmerung oder anderswo erwischt... aber so... so war dieser Ort die einzige Zuflucht, die in Frage kam. Denn einer Sache sei Dir gewiss - da draußen willst Du heute Nacht noch weniger sein..."

“Das war kein Zufall - nur Einfältige glauben an Zufälle. Das war der Wille der großen Mutter und dein Wille, Befinna, ihre Nähe zu suchen. Genau dasselbe tun die Goblins. Sie wollen ihre Weisheit und Kraft spüren. Das machen sie auf eine urtümlichere Weise als wir, aber deswegen nicht weniger richtig.”

Da sprach der Druide ja mal ein wahres Wort. "Er hat Recht." pflichtete ihm Rondrard mit leichtem Widerwillen bei. "Das Fest heute heißt im Übrigen 'Taati Mulla'. Es soll ein Fruchtbarkeitsfest sein." Die wörtliche Übersetzung sprach er lieber nicht aus.

Khorena schluckte. Ein Fruchtbarkeitsfest? Bei der großen Mutter und Celissa schickte sie ausgerechnet in dieser Nacht hierher? Sie kannte Fruchtbarkeitsfeste zu Ehren Tsatuaras, die sich nicht hinter den rauschenden Festen der Rahjakirche zu verstecken brauchten. Vielleicht verstanden die Goblins aber auch etwas anderes darunter. Jedenfalls war das nichts, was sie Rondrad vor Befinna fragen würde.

Die Aufnahmefähigkeit der Baroness war gegenwärtig eingeschränkt. In ihren Augen loderte der Zorn einer emotionalen, impulsiven, jungen Frau. "Du wusstest davon?" Sie schüttelte ihren Kopf. "Möchtest du, dass wir alle auf dem Scheiterhaufen landen, Rondrard? Wenn die Goblins überhaupt was von uns überlassen? Was ist das für ein Fest? Fruchtbarkeit? Sowas wie Erntedank, das wir im Travia begehen, oder das Saatfest im Peraine?"

“Anders.” vermerkte Ulfaran.

“Schon eine Art… Saatfest. Nur... wilder.” ergänzte Rondrard Ulfarans einsilbige Antwort. “Und ja, ich wusste davon, wie schon gesagt. Aber schau es Dir doch erst einmal an, bevor Du gleich Praios’ feurige Verdammnis über uns allen heraufdräuen siehst. Lass Dich - jetzt da Du ohnehin hier bist - auf die große Mutter ein, und Du wirst sehen, dass nichts schlechtes an ihr ist. Sie ist das Leben, und alles Leben kommt von ihr!”

"Wilder?", war alles was Befinna von sich gab.

Taati Mulla heißt wörtlich so viel wie Haufen Geliebter.” ließ Rondrard die Katze aus dem Sack. “Aber miterlebt habe ich es bislang noch nicht - ich kann Dir also nicht sagen, wie genau es dabei zugeht.”

Die Lippen der jungen Frau verzogen sich zu einem falschen Lächeln und sie schüttelte den Kopf. "Neeeeein, Rondrard … es ist hoffentlich nicht das, wofür ich es halte." Befinna hatte zwar dahingehend noch keine Erfahrungen gemacht, aber so viel Fantasie hatte dann auch sie. "Und du meinst, ich solle mich dem … öffnen? Was denkst du denn, dass ich bin? Eine Goblin-Hure?" Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust und reckte ihr Kinn. "Nein, bestimmt nicht. Wenn du nicht auf mich aufpassen willst, gehe ich alleine. Ich finde schon einen Weg."

Alleine die Dunkelheit der Nacht verbarg das Farbenspiel von Rondrards Gesicht, das angesichts der Vorwürfe zuerst puterrot angelaufen war, und nun angesichts der Drohung ins fahle changierte. “So habe ich das überhaupt nicht gemeint! Du… Ich meinte, was ich will, ist... “ stotterte er mehr, als er sprach, “also Du sollst Dich dem blühenden Leben, der Kraft der großen Mutter öffnen, und natürlich nicht… irgendeinem Goblin… gleich in der Höhle. Was denkst Du denn von mir! Natürlich passe ich auf Dich auf! Aber ich bitte Dich, glaub mir, da draußen ist es weit gefährlicher als gleich in der Höhle.”

"Rondrard … du hast mir gerade gesagt, dass du nicht weißt was die Rotpelze heute Abend vorhaben. Jetzt garantierst du mir, dass sie in der Nacht der …", sie zögerte für einen Herzschlag, "... Haufen Geliebten nicht Hand an mich legen werden. Du hast vorhin auch gesagt sie seien viel mehr als wir und wir ihnen deshalb ausgeliefert." Tränen stiegen in ihre Augen. Dass der Ritter bisher so verschwiegen war, steigerte ihr Vertrauen in seine jetzigen Worte nicht. Das enttäuschte sie. Alle behandelten sie gleich. Wie ein unmündiges, dummes Kind, das man herumschieben konnte wie ein steinernes Kamel beim Gardan. Wunnemine, Meister Rundarek, Rondrard … vielleicht auch Ulfaran? Sie vergrub ihre Augen in ihren Handflächen. "Wenn mich eines dieser Tiere oder sonst jemand berührt, dann entleibe ich mich selbst, Rondrard. Das schwöre ich dir. Niemand wird sich an mir bedienen, egal in wessen Namen er das tut. Ob für die Große Mutter oder sonst wen."

“Befinna! Es sind Goblins! Wahrscheinlich finden ihre Männer Menschenfrauen so anziehend wie Du sie. Außerdem haben bei ihnen, nach allem was ich weiß, die Frauen das Sagen. Und die werden in der Höhle sein, denke ich…” versuchte Rondrard die aufgewühlte junge Frau zunächst zu beruhigen. “Und ehe jemand Hand an Dich legt, bekommt er es mit mir zu tun, das schwöre ich Dir. Ich selbst würde lieber sterben, als Dir ein Leid geschehen zu sehen.” Er wollte sie gerade, ganz vorsichtig, mit den Händen an beiden Schultern berühren - noch lieber hätte er sie umarmt, aber das geziemte sich wohl nicht, noch weniger in Befinnas aktueller Verfassung. Doch kam es nur zu einer flüchtigen Berührung, da sie in diesem Moment von der Seite bedrängt wurden, sich endlich in Bewegung zu setzen. “Komm mit.” versuchte er, sie zum zunächst ohnehin unvermeidlichen zu bewegen. “Bitte!”

Befinna nahm ihre Handflächen von den Augen und sah Rondrard an. Für einige Herzschläge konnte der Ritter den in ihr tobenden Kampf sehen und als er damit rechnete, dass nun ein weiterer emotionaler Ausbruch folgen würde, nickte sie bloß. Sie würde dem Tannenfelser noch eine Chance geben und sie nahm ihn beim Wort.

***

Waldlieb streckte sich und strich ihre Robe glatt. Allen Goblins, die sie dabei beobachteten mussten so die beiden Hügel auffallen, welche ihnen ihr Geschlecht und somit auch ihre Stellung klar machten. Das Grün ihrer Robe konnte Schutz bedeuten, aber auch, dass das was in ihr steckte beschwichtigt werden sollte. Ein zweischneidiges Schwert also. Sie reckte das Kinn und griff nach dem Kessel, den sie mit beiden Händen vor sich hielt. Dann reihte sie sich ein, ihr Blick machte deutlich, dass keiner der Krieger ihr den Kessel nehmen durfte. Peraine war eine friedfertige Göttin, doch hier galt es Stärke zu zeigen.

Die rothaarige Hexe hatte sich zurückgehalten, es ging nicht darum ihre Haut zu retten, denn einen Versuch Hand an diese zu legen, würde die Rotpelze unerhört teuer zu stehen kommen. Als sie sich nun nach vorn begab, um sich den Anführer der Meute anzusehen, loderte noch immer Zorn in ihren grünen Augen. Sie hatte sich auf die Verbindung mit dem Land gefreut und diese Vorfreude hatten ihn die hier Anwesenden nun zunichte gemacht.
Aedha vermochte in so manchen Zungenschlag zu sprechen, die Sprache der Rotpelze gehörte dazu, aber sie schätzte das Gefühl sie zu formen nicht. Stolz und Zorn erfüllten ihr Antlitz, als sie auf den Anführer hinab sah. “Ich gebe überhaupt nichts ab und wenn du uns jetzt nicht sofort den Weg zeigst, gehe ich selbst vor!” (Kädet irti! Naytä tapa, heti, menenyks!)

Geistesgegenwärtig legte Tsamitrius ebenfalls einen zornigen Blick auf, ließ seine Waffe am Gürtel, hob aber seine Hände, um klar zu machen, das er sie nicht benutzen würde.

In der Tat wichen die Goblins, obwohl die Hexe nur in der ihr eigenen Zunge gesprochen hatte, ein Stückchen zurück, als sie der beiden Frauen gewahr wurden, und ließen auch davon ab, diese entwaffnen zu wollen. Die eine, die gerade gesprochen hatte und so zornig und stark wirkte, meinte, ja fürchtete Vahvillisik zu kennen - wenn er sich nicht irrte, war sie eine der mächtigen Zauberfrauen der Menschen, mit denen die Suncuua sich gelegentlich traf und mit der nicht gut Beeren mampfen war. Auch die andere sah - auf ihre menschliche Weise - sehr mütterlich aus - das nötigte ihm immer Respekt ab.
"Mukana" (Kommt mit) brüllte Vahvillisik nur, und der ganze Trupp setzte sich in Bewegung. Der stärkste und erfahrenste der Jäger des Stammes war er, aber dennoch fühlte er sich nicht wohl damit, diese beiden Frauen, vor allem die Rothaarige, in seinem Rücken zu wissen. Immer wieder sah er sich nach ihr um, während er die seinen und ihre Gefangenen auf dem Pfad hin zur Höhle, hinein in die Behausung von Mutter Sau, Mailam Rekdai, führte.

Befinna hingegen sah man den Unwillen an den Rotpelzen im Gänsemarsch zu folgen. Sie hatte ihre Arme vor der Brust verschränkt und schmollte vor sich hin.

Stolz und aufrecht, schritt Aedha aus. Kurz fiel ihr Blick dabei auf die junge Baroness und nahm ihre kümmerliche Haltung zur Kenntnis. “Brust raus, Schultern zurück, Kopf hoch!” Fuhr sie Belfinna an, wie sollte jemand vor dem Mädchen respekt entwickeln, wenn sie keinerlei Ausstrahlung hatte die das rechtfertigte?
Die Baroness zog ihre Augenbrauen zusammen und machte keine Anstalten ihre Körpersprache zu ändern. Wer war diese Person, dass sie meinte so mit ihr sprechen zu können?

***

Aus dem Schatten, jenseits der Goblinhorde, die die Menschen umzingelte, wurde Llyilliala Zeugin des Geschehens.

Die Elfe hatte nicht weit entfernt, am Rande der Lichtung, einen Baum erklommen. SIe dachte gar nicht daran, sich von ein paar Goblins einschüchtern und vertreiben zu lassen. Dort hockte sie nun mit gespanntem Bogen in vielleicht vier Schritt Höhe und versuchte dem Austausch zwischen der Goblinhorde und den Menschen zu folgen, doch mehr als Stimmungen aus der Stimmlage abzuleiten, war ihr mangels Sprachkenntnis des Goblinschen nicht möglich. Immerhin schienen die Goblins nicht auf Blut aus zu sein, zumindest nicht auf das der Menschen.
Offenbar waren nicht alle Mitglieder der Gruppe in der Lage, die Goblins zu verstehen, so dass der Krieger zumindest den letzten Austausch übersetzte. Zu der Ältesten. Sie würden nicht allein gehen, ein Geist würde sie begleiten.

Llyilliala hatte die Geschehnisse auf der Lichtung aus ihrer erhöhten Warte mitverfolgt. Es war ein reges Treiben - die Goblins liefen erkennbar nervös umeinander, und die Menschen schienen erstaunlicherweise in ganz unterschiedliche Gespräche verstrickt - der Ritter und die junge Frau, der sie hierher gefolgt war, schienen mehr mit der aufgebrachten anderen jungen Frau beschäftigt als mit den Rotpelzen, der etwas ältere Mann merkwürdig unbeteiligt, und nur die Geweihte und vor allem die mächtige Frau, die sich als die Hüterin dieses Ortes gerierte, schienen überhaupt auf die Geschehnisse selbst zu reagieren - seltsame Wesen waren sie, alle zusammen. Einige der Goblins hatten noch nach ihr selbst Ausschau gehalten, doch dabei mehr als nur halbherzig gewirkt und die Suche rasch abgebrochen, nicht ohne erkennbar ängstlich ins Dickicht zu blicken. Gut, dass sie nicht nach oben gesehen hatten…
Doch jetzt setzte sich die ganze Gruppe in Bewegung.

Llyilliala folgte der Gruppe lautlos in den Bäumen. Sie wusste noch nicht, wohin das führen würde, aber das hielt sie nicht ab.

***


Der Pfad durch den von Lebenskraft nur so strotzenden Wald war nicht allzuweit, und schon bald nach der Gabelung erreichten sie den dampfend warmen See, von dem sich das Wasser glucksend seinen Weg weiter durch die grob-grusigen Sedimente unterhalb der großen Quarzitwand bahnte, auf denen die Gruppe auf einen kleinen Felssims zugeführt wurde. Dieser war offenbar natürlich aus einer härteren und daher dem Wirken Efferds widerständiger trotzenden Felsschicht entstanden, deren Über- und Unterbau längst abgebröckelt und weggespült worden war. Der schräge Sims tauchte an dieser Stelle aus dem Untergrund und zog sich von dort aus weiter als das Auge in der Dunkelheit reichte die Felswand hinauf. Diese war an vielen Stellen von Moosen und Flechten, an einigen sogar von Farnen bewachsen, verbarg in der Nacht aber ihren vor allem von den Flechten rührenden vielfarbig leuchtenden Schmuck.
Dem von großen Quarzen rauhen Sims folgend ging es etliche Schritt in die Höhe, ehe sie eine große Öffnung in der Wand erreichten. War es bereits in den Schwaden über dem See überaus feucht und mild, schlug den Menschen nun eine rauchgeschwängerte, schwüle Wärme und ein schwacher Lichtschein entgegen. Nach zwei Windungen der Eingangshöhle mündete diese in einer weit größeren, länglich-trichterförmig ausgeprägten Kaverne, die nach oben hin in einem dunklen Spalt auslief. Die Wände waren mit überaus lebensnahen schwarzen, rötlichen und ockerfarbenen Tiermotiven bemalt, vor allem Wildschweinen und Hirschen, aber auch Auerochsen, Wölfen und anderen Tieren der Wälder. Im flackernden Schein eines Feuers schienen sich diese geradezu selbst zu bewegen.

Als die Gruppe sich dem See und dann der Felswand näherte, war Llyilliala gezwungen, den Schutz der Bäume zu verlassen. Sie ließ sich ein Stück zurückfallen und folgte den Menschen und Goblins mit größerem Sicherheitsabstand, doch am Fuß der Wand musste sie sich entscheiden. Den Goblins und ihren Gefangenen in den Höhleneingang zu folgen, der weiter oben in der Wand am herausfallenden, flackernden Licht auszumachen war, war nicht ohne weiteres möglich, ohne entdeckt zu werden. Die Elfe sah sich aufmerksam um, ob es etwas gab, das ihr die Entscheidung erleichterte. Ruinen, Relikte? Ein anderer Höhleneingang?

Llyillialas Blick bot sich kein Anhaltspunkt - weit reichte ihre Sicht ohnehin nicht durch die Schwaden, die sich immer wieder vom warmen Wasser des Sees und des kleinen Bachlaufs, der sich aus jenem unterhalb der Felswand ergoss, erhoben. Überdies warfen diese das Mondlicht milchig zurück und verhüllten so noch mehr die im Dunkeln liegende Welt hinter sich. Doch was dem Augen verborgen blieb, verriet sich dem feinen Gehör der Elfe: Immer dann, wenn der Trommelrhythmus eine Taktpause einlegte, konnte sie über das leise Plätschern des Wassers hinweg ein Echo von der jenseitigen Talseite, aber auch ein schwaches, bachaufwärts eilendes Hallen entlang der Felswand vernehmen. Es war eindeutig - es musste in dieser Richtung noch ein weiterer Höhleneingang existieren.

Grimmig erfreut suchte Llyilliala mit den Augen einen Weg, welcher dorthin führte, wo sie den zweiten Höhleneingang vermutete. Würde sie dort trockenen Fußes hinkommen oder schwimmen müssen?

Die Füße der Elfe blieben trocken, doch gestaltete sich der Weg entlang des Bachlaufs recht mühsam: die unregelmäßig großen und geformten Gesteinsbrocken - die allermeisten waren grob aus der Wand abgebrochen und beim Aufprall weiter zerschlagen, und nur wenige schon durch das Wirken von Jahrhunderten vom Bachlauf zerkleinert und abgerundet - machten das Vorankommen zu einem wahren Balanceakt, der selbst der geübten Wildnisläuferin im Halbdunkel der Nacht einiges an Konzentration abverlangte.
Wenigstens wurden die Sichtverhältnisse dank des langsamen Abkühlens des Wassers rasch etwas klarer.

Wie froh war Llyilliala, als sie daher im Dickicht, das den bald wieder unmittelbar an Bach und Felsen herangerückten Wald säumte, eine Lücke ausmachen konnte, die den Zutritt zu einem deutlich leichteren Pfad gewährte. Auch wenn Baumwurzeln manche Stolperfalle darstellten und die Höhe, in der Ast und Strauchwerk wieder zusammenrückte, ebenfalls wie die Spuren am Boden zeigte, dass der Weg eher durch Wildwechsel und die Rotpelze gebahnt worden war und benutzt wurde, war es eine Wohltat, und die Elfe kam gut voran.
Nach einigen hundert, vom zunächst leiser und dann wieder lauter werdenden Trommelrhythmus begleiteten Schritten führte der Pfad erneut an den Bach heran, der hier etwas von der Felswand wegstrebte, um von nun an durch den Wald zu fließen. Genau genommen schien das Wasser hier im morastigen Waldboden geradezu zu versickern.
Am augenfälligsten waren aber die Tierschädel, alle von wehrhaften Waldtieren, geweih-, hörner oder hauertragend, die teils auf Astwerk aufgesteckt, teils an Bändern befestigt von den Bäumen herabhingen, und mit ihren leeren Augen drohend in Richtung des vor ihnen liegenden, sumpfigeren Waldabschnitts zu blicken schienen. Bei näherem Ansehen zeigte sich, dass sich deren abschreckende Reihe zwischen den Bäumen hindurch und auf der anderen Seite bis zur Felswand fortsetzte. Viele der Tierschädel waren bunt bemalt, was ihrem schaurigen Eindruck in dieser Nacht aber keinen Abbruch tat.
Von über ihr hörte Llyilliala wieder deutlich die Trommeln. Hier führte kein Pfad und keine Rampe mehr nach oben, allerdings wirkte die Wand, als ob dies nicht immer der Fall gewesen wäre. Eine behende Kletterin würde jene wohl nicht aufhalten, wenn sich diese nicht an den Tierschädeln störte, die auch aus manchen Felsnischen glotzten.

Llyilliala ignorierte die primitiven Versuche der Goblins, Eindringlinge abzuschrecken. Allerdings bedeutete das Vorhandensein der Tierschädel auch, dass sie hier keinen unbeachteten Nebeneingang finden würde und möglicherweise mit Wachen rechnen musste. Nun, sie würde es darauf ankommen lassen müssen.
Die Elfe spannte sich den Bogen, den sie die ganze Zeit in der Hand getragen hatte, auf den Rücken, und nach einem letzten vorsichtigen Rundumblick begann sie vorsichtig zu klettern.

Das Klettern am grobkörnigen und stellenweise scharfkantigen Fels war zwar kein Vergnügen, stellte am Ende aber - aller Anstrengung zum Trotz - keine größere Herausforderung für die Elfe dar. Auch die bleich im Mondlicht schimmernden Schädel nötigten ihr nicht einmal den Hauch eines Zauderns ab. Ganz anders verhielt es sich aber mit dem Wald in ihrem Rücken. Von diesem schien eine Kälte auszugehen, die sie trotz der anstrengenden Kletterpartie frösteln ließ. Vielleicht war es auch nur der gewöhnliche kühle Hauch einer klaren Nordgratenfelser Efferdnacht, der sich im Gegensatz zu der Wärme und dem sprießenden Leben im Heiligtum so über alle Maßen kalt anfühlte, versuchte Llyilliala sich einzureden, doch sagten ihre Instinkte ihr etwas anderes.
Endlich oben angekommen zog sie sich auf eine kleine Plattform hoch, die sich vor der Öffnung im Fels befand. Das Trommeln schallte hier wieder laut entgegen. Zu ihrer Überraschung löste ihre Ankunft keinerlei Reaktionen hervor - kein Alarm ertönte, kein Angriff erfolgte aus der Dunkelheit. Nur das stete Stampfen der Trommeln.
Kurz ließ sie sich auf niedersinken und den Blick schweifen. Von hier aus sah man noch direkt in die Kronen der nächstgelegenen, schwarz und schweigend dastehenden Tannen. Doch schienen nicht alle Spitzen von Bäumen zu stammen - jedenfalls war ihr, als hätte ihr Blick, tief im Walde, die Silhouette von etwas anderem gestreift, das einerseits Erinnerungen an ihre Heimat im Sala Mandra weckte, andererseits aber falsch an diesem Ort wirkte. Dunkel und tot.
Doch so sehr sie sich auf bemühte einen weiteren und genaueren Blick auf das vermeintliche elfische Baumhaus oder dessen Überreste zu erheischen, blieb verborgen, was sie zu sehen geglaubt hatte. Wahrscheinlich hatten ihr nur ihre Sinne einen Streich gespielt.
Anders verhielt es sich mit den Felsmalereien, die sie im noch vom Mondlicht beschienen Eingangsbereich der Höhle ausmachte - neben lebensechten Raubtieren und großen Keilern waren vor allem goblinische Jäger dargestellt. Und alle reckten ihre Waffen, Klauen und Zähne aus der Höhle zu deren Eingang hin.

Für das, was Llyilliala im Wald zu sehen geglaubt hatte, war morgen noch Zeit. Oder übermorgen. Es würde nicht weglaufen, und sie würde es nicht vergessen. Aber jetzt hatte sie ein anderes Ziel. Als sie sich die Malereien betrachtete, da sah es für sie im ersten Moment so aus, als sollten diese die Höhle bewachen, damit nichts herauskam, und gar nicht verhindern, dass etwas oder jemand von außen hineingelangte. Aber bei näherem Hinsehen offenbarte sich, dass sie sich täuschte.
Die Elfe nahm den Bogen wieder vom Rücken und einen Pfeil in die Hand. Dann versuchte sie, das Dunkel der Höhle mit den Augen zu durchdringen. Sie schnupperte. Sie lauschte, versuchte dabei das Geräusch der Trommeln auszublenden.

Unmittelbar am Höhleneingang war abgesehen vom Trommeln kaum ein Geräusch zu vernehmen - allenfalls das Plätschern des unterhalb verlaufenden Bachs vermochte in den kurzen Pausen bis zum Ohr der Elfe vorzudringen. Als sie sich vorsichtig einige Schritt tiefer in die Kaverne vorwagte, blieben die Geräusche von Wind, Wasser und Wald jedoch zurück und machten einem gelegentlichen, hohl aufschlagenden Tropfen Platz, welcher in einer stillen Nacht, ohne das Trommeln der Goblins, sicher sehr laut geklungen hätte, sich so aber nur einem empfindlichen Gehör offenbarte. Die Höhle trug den typischen Duft nach Fels, Erde und Wasser, über den sich eine leichte Note von Holzfeuer legte.
Die Wände wichen bald nach dem Eingang zur Seite, und auch die in einem Spalt auslaufende Decke schien nach oben in die lichtlose Dunkelheit zu entschwinden, während der Höhlenboden sich zugleich als leicht abschüssig erwies. War dieser zu Beginn noch von losem Gestein bedeckt, ertastete Llyilliala mit den Füßen bald unregelmäßig geripptes festeres Gestein, in dessen Zwischenräume sich weicher Höhlenlehm abgelagert hatte. Trotz ihres dämmerungserprobten Sehsinns fand sich die Elfe bald im Stockdunkeln.

Auch Goblins brauchten Licht, um etwas zu sehen. Daher ging Llyilliala davon aus, dass hier kein Wächter auf sie wartete. Und daher musste sie auch nicht blind umhertasten, um weiter voranzukommen. Feya feiama i'ungra murmelte sie, doch erst beim zweiten Versuch erschien ein winziges Licht über ihrer linken Schulter, schwächer als eine Kerze, gerade so hell, dass sie sich mithilfe ihrer Dämmerungssicht orientieren konnte. Wann hatte sie das letzte Mal ein Licht rufen müssen? Aber dieses Licht hier und heute sollte nicht nur schwach sein, um möglichst kein Aufsehen zu erregen, sondern auch noch mit ihr wandern. Das war selbst für sie keine Aufgabe, die sie beiläufig bewältigen konnte.
Aber nun schwebte das winzige Licht über ihrer Schulter und sie sah sich um, geduckt, bereit zum Sprung, falls sich doch eine Gefahr zeigen sollte.

Der Lichtschein erhellte die längliche Kaverne zur soweit, dass Llyilliala ihr nächstes Umfeld gut wahrnehmen konnte, während die Welt jenseits davon noch immer in Schatten versank. Doch der Ausschnitt, der sich ihren Augen darbot, ließ sie innehalten und staunen: Vor ihr öffnete sich nicht nur eine offensichtlich weiträumige Höhle, sondern auch ein Wunderwerk der Natur von atemberaubender Schönheit: der unregelmäßige, teils noch vom rauen und grauen Quarzit gebildete Boden war an vielen Stellen von einer Sinterschicht übersät, die im magischen Licht regenbogenfarben glänzte. Von der Decke herab hingen viele kleine Zapfen aus dem selben Mineral, die an einigen Stellen bis zum Boden reichten und massive Säulen bildeten, an anderen richtiggehende Vorhänge. An den Wänden und erreichbaren Deckenabschnitten waren Tierzeichnungen aus schwarzem Ruß und gelblichem und rotem Ocker zu erkennen, doch schienen diese alt und nicht mehr gut gepflegt oder erneuert zu sein, sondern wurden bereits teilweise vom abgeschiedenen Sinter überwuchert.
Am Tiefpunkt des Höhlenquerschnitts hatte sich stellenweise viel Höhlenlehm gesammelt, der einen abwärts und tiefer in den Berg hinein gerichteten Pfad markierte.
Für eine Höhle war es überraschend warm, fand Llyilliala.

Für einen Moment hielt Llyilliala staunend inne. Zwar mochte sie Höhlen nicht wirklich, aber eine Schönheit, wie sie sich ihren Augen gerade darbot, war trotzdem nicht verschwendet an sie. Dann schlich sie geduckt weiter, Bogen und Pfeil in der linken Hand, mit den Fingerspitzen der Rechten strich sie leicht über den Stein, neugierig, ob dieser zu ihr sprechen oder gar singen würde.

Obgleich nur aus vermeintlich totem Material, schien dieser vor Leben zu pulsieren, geradezu zu summen und vibrieren. Offenbar schwangen an diesem Ort die Kräfte des Wachsens und Entstehens so stark, dass sich nicht einmal das Gestein diesen zu entziehen vermochte.

Glücklicherweise schienen hier nirgends Wachen zu sein, denn ihr schwaches Licht wurde vielfach gespiegelt und gebrochen und war deshalb viel auffälliger als geplant.
Vorsichtig näherte sie sich dem Pfad, darauf bedacht, auf dem feuchten Lehm nicht auszurutschen und möglichst wenige Geräusche zu machen.

Llyilliala erreichte den Pfad unbehelligt, auch ohne auszurutschen, und folgte diesem weiter in die Höhle hinein. Mit jedem Schritt offenbarten sich ihr neue Schönheiten. Noch schöner wäre es allerdings ohne das unentwegte Getrommel gewesen. Obgleich die Quelle des vielfach an den Wänden widerhallenden Schlagens zunächst nur schwer auszumachen war, hatte die Elfe, je weiter sich vordrang und damit nach unten gelangte, das untrügliche Gefühl, dass dieses von oben zu kommen schien. Nach mehreren Biegungen der Höhle gelangte sie an einer teils rohen, teils ebenfalls von Sinter glatten Wand an. An deren Fuß schien sich eine Art natürlicher Gang nach unten fortzusetzen, während von hoch über Llyilliala, sicherlich mehr als 15 Schritt, flackerndes warmes Licht, offensichtlich aus einer angrenzenden Höhle über einen kleinen Durchgang, eher ein Fenster als eine Pforte, in die ihre fiel. Dieses warf die verzerrten Schatten im Trommeltakt tanzender und hüpfender Gestalten an die Decke. Das Trommeln war hier ohrenbetäubend, fand die Elfe.

Llyilliala sah nach oben. Das Trommeln ging ihr langsam, aber sicher gehörig auf die Nerven, vor allem in dieser Lautstärke, die ihren empfindlichen Hörsinn deutlich überlastete und diesen blendete, wie wenn man ungeschützten Auges in die Sonne blickte.
Dort hochzuklettern hatte keinen Sinn, dann würde sie sich nur direkt in die Hände der Goblins begeben. Also blieb nur der Gang hier unten. Also setzte sie mit unverminderter Vorsicht ihren Weg fort, auch wenn sie langsam das Gefühl hatte, jeder Trommelschlag träfe direkt ihren Kopf, was mit entsprechenden Schmerzen einherging.

Der Gang führte in die Tiefe, offensichtlich auch eine vom Wasser erweiterte, längliche Kluft. Das Hämmern verfolgte die Elfe in diesen, doch verlor es mit jedem Schritt an Kraft. Auch hier waren die Decken voll Sinter, viele kleine Tropfsteine, eng beieinander, doch weit kleiner als in der großen Höhle zuvor und nicht annähernd so schön. Llyilliala musste Acht geben, sich nicht den Kopf zu stoßen und diesen stellenweise richtig gehend einziehen. Der Gang wurde rasch abschüssiger und schließlich richtig gehend steil, die Luft immer wärmer und feuchter. Schweiß trat auf die Stirn der Elfe.
Die Konzentration auf die Decke ging zu Lasten des Bodens, und so sah sich Llyilliala jäh ausrutschen und auf ihrem Hosenboden den Gang hinabschlittern. Ohne dass sie wusste, wie ihr geschah, endete die ungewollte Rutschfahrt in einem gähnenden Loch, über das der Spalt, den sie gekommen war, in eine etwas größere Höhle darunter überging, und Llyilliala stürzte im freien Fall - gut und gerne drei Schritt, wenn nicht mehr - mit einem lauten Platschen mitten hinein in warmes, dunkles Wasser.

Überrascht entfuhr Llyilliala ein kleiner Schrei, der aber sofort vom über ihr zusammenschlagenden Wasser erstickt wurde. Geistesgegenwärtig hatte sie sich aber beim Fall auf den Rücken gedreht und Bogen und Pfeil vor sich an die Brust gedrückt, so dass ihr und ihrer Waffe nichts passierte, außer dass sie nass wurden. Schnell versuchte sie, wieder an die Oberfläche des Wassers zu kommen, damit sie sich orientieren konnte. Ihr Licht würde ihr dabei hoffentlich helfen.

Mit kräftigen Stößen strebte sie zurück zur Oberfläche und sog keuchend Luft. Auch ihre Lichtkugel tauchte mit ihr auf und erhellte die Kaverne, in die sie gestürzt war. Nachdem Llyilliala wieder zu Atem gekommen war, konnte sie sich notdürftig orientieren. Einige Schritt neben ihrer Eintauchstelle war ein kleines, über Wasser liegendes Felssims zu erkennen, auf das sie sich und ihre Ausrüstung, vor allem ihren kostbaren Bogen, vorläufig retten konnte. Was sie von hier aus von dem länglichen, unregelmäßig geformten Raum sah, gefiel ihr gar nicht. Sie befand sich noch mit an der Stelle mit der höchsten lichten Höhe. Am gegenüberliegenden, wenn es hoch kam, 20 Schritt entfernten und trotz Licht und scharfen Augen kaum mehr zu erkennenden Ende sank die Decke unter den Wasserspiegel. Das Loch, über das sie hineingelangt war, war unerreichbar für jeden, der nicht mehrere Schritt weit unterhalb einer stark, teilweise sogar waagrecht überhängenden, tropfig feuchten Decke klettern oder gar fliegen konnte. Ansonsten besaß die Höhle keinen Ausgang, zumindest keinen, der über Wasser lag.

Llyilliala schauderte ein wenig. Nicht wegen der Nässe, da es hier so warm war, aber erst jetzt wurde sie sich richtig bewusst, in einem Berg zu stecken. Das war das Gegenteil ihres natürlichen Lebensraumes und ihr nicht wirklich geheuer. Bisher hatte sie ja jederzeit umdrehen können, um wieder hinaus zu gelangen, aber das war ihr nun verwehrt. Sie riss sich zusammen und sah nachdenklich nach oben. Wenn sie sich in ihr Seelentier verwandelte, könnte sie einfach wieder hinausfliegen. Andererseits wollte sie weder ihre Sachen, vor allem ihren Bogen und ihr iama zurücklassen, außerdem wollte sie ihrem anderen Ich keine finstere Höhle zumuten, sie befürchtete, dann in Panik zu geraten.
Also entspannte sie zunächst ihren Bogen. Die Sehne war nun sowieso nass, und wenn sie tauchen musste, dann besser mit handlicherem Gepäck, sprich Bogen ohne Sehne. Sie ließ sich in die Hocke sinken und streckte die Hand ins Wasser, um nach einer Strömung zu spüren.

Llyilliala konzentrierte sich sehr, konnte jedoch zunächst keine Strömung ausmachen. Sie musste sich ein wenig gedulden, ehe sie auf einmal spürte, wie jäh eine leichte Bewegung einsetzte. Ganz in ihrer Nähe schien wärmeres Wasser in den Höhlensee einzutreten, das auf die gegenüberliegende Seite zufloss. Nach kurzer Zeit kam die Strömung bereits wieder zum Erliegen, nur um jedoch nach einer Pause wieder einzusetzen.

Die Elfe legte ihr Gepäck und ihre Waffen ab, dann schwamm sie dorthin, wo sie das Wasser in den See einströmen spürte. Sie wollte erst einmal ohne Behinderung durch ihre Sachen erkunden, ob sie dort weiterkäme. An der Wand angekommen hielt sie die Luft an und tauchte ab, um nach dem Zufluss zu suchen.

Nur gut einen Schritt unter dem Wasserspiegel setzte sich die Höhle fort. Schwallartig kam noch ein Schwung wärmeres Wasser geflossen, dann verlangsamte sich die Strömung wieder und die Temperatur erschien gleichmäßiger.

Es blieb Llyilliala wohl nichts anderes übrig, als es zu versuchen. Sie tauchte nochmals auf, um Luft zu holen und sich zu sammeln. Sie schauderte bei dem Gedanken, in den zum Glück zumindest zu Beginn nicht sehr engen Unterwassertunnel hineintauchen zu müssen, aber sie hatte ja keine Wahl. Da sie nicht wusste, wie weit sie würde tauchen müssen und ob der Gang in für sie auf diese Weise erreichbarer Entfernung wieder aus dem Wasser auftauchte, ließ sie ihre Sachen bis auf einen Dolch zunächst einmal hier zurück. Sie wollte sich schon erneut nach unten abstoßen, da hielt sie inne. Nein, kein unnötiges Risiko. Ihre Kleidung behinderte sie im Wasser zwar nicht übermäßig, aber dennoch … schnell zog sie sich aus dem Wasser, dann entledigte sie sich ihrer Sachen, bis auf ihren Gürtel und den Dolch. Erneut war sie froh darum, dass es hier so warm war.
Nun ließ sie sich endgültig wieder ins Wasser gleiten, füllte ihre Lungen und tauchte ab, begleitet von ihrem kleinen leuchtenden Freund. Sie drang in den unter Wasser liegenden Gang vor, darauf bedacht, jederzeit genug Platz zum Umkehren zu haben. Zügig schwamm sie voran.

Ihr Zauber war Llyilliala hier weit mehr als nur Lichtquelle - in ihm manifestierte sich alle verbleibende Zuversicht, aus der Finsternis dieses Höhlensystems zu entrinnen. Seinem Widerschein folgend drang sie mit kräftigen Schwimmzügen in die Unterwasserhöhle vor und kam entsprechend auch gut voran, bis jäh die Strömung wieder zunahm und es heiß um die Elfe wurde. Diese gab alles, musste aber schließlich einsehen, dass sie nicht mehr länger gegen den Strom anschwimmen konnte. Sie wollte gerade wenden und sich hinaustreiben lassen, als ihr Luftblasen, die nicht von ihr stammten, anzeigten, dass das Wasser über ihr wieder mit Luft verwirbelt wurde. Keuchend tauchte sie in einer kleinen Höhle auf, die eher ein über Wasser liegender Abschnitt des Ganges war, kaum zwei Kopf über dem Wasserspiegel und weniger als zwei Schritt in Länge und Breite. Jetzt kam auch die Strömung wieder zum Erliegen.

Das Ganze mit Kleidung, Gepäck und Waffen zu wiederholen, würde schwierig werden, wie sich Llyilliala eingestand, als sie auf der Stelle paddelte, um wieder zu Atem zu kommen. Dann wartete sie den nächsten Strom warmen Wassers ab, um direkt anschließend erneut zu tauchen und den Gang weiter zu verfolgen.

Llyilliala kam gut gegen die schwache Gegenströmung an und drang daher rasch in den nächsten über die ganze Höhe unter Wasser liegenden Gangabschnitt vor. Der erwies sich jedoch als deutlich länger als der erste, und so wartete die Elfe vergeblich auf eine Gelegenheit zum Luftholen. Wenigstens schien das Wasser jetzt beinahe zu stehen, was aber nur vermeintlich ein Vorteil war, denn an und für sich musste sie umkehren. Sie setzte gerade zur Wendung an, als ihr auffiel, dass der Tunnelboden vor ihr zunächst zwar, wie zu erwarten, mit wachsendem Abstand zu ihrer Lichtkugel dunkler wurde, in einigen Schritt Entfernung aber gegen ihre Intuition wieder heller erschien. Dies konnte eigentlich nur eines bedeuten: Vor ihr lag eine Lichtquelle. Sie musste sich entscheiden. Jetzt.

Nur kurz zögerte die Elfe - dann schwamm sie weiter, auf die Lichtquelle zu. Alle Gedanken, was sein würde, stellte sie zurück, denn anders als viele Menschen neigte sie nicht zu Grübeleien oder Planspielen. Was sein würde, würde sein.

Jetzt gab es nur eine Richtung, der letzt-mögliche Umkehrpunkt war überschritten, das spürte Llyilliala deutlich. Zu allem Überfluss setzte nach ein paar Schwimmzügen in Richtung des Lichts die warme Strömung wieder ein. Jede weitere Bewegung wurde zur Tortur, ihre Muskulatur schmerzte und ihre Lunge brannte, gierte mit aller Macht danach, auszuatmen und nach frischer Luft zu schnappen. Unerträglich langsam kam das Licht näher. Mit einem Aufbäumen letzter Kraft hielt die Elfe auf die Wasseroberfläche zu. Vor ihr stiegen Bläschen auf, ihrer Lunge entwichen. Noch ehe sie zur rettenden Luft durchstoßen konnte, wurde Llyilliala schwarz vor Augen.

***


"Rumpu Mailam!" rief Vahvillisik den hier untätig um das Feuer herum wartenden und jetzt die Ankömmlinge unverhohlen begaffenden Goblins zu, wie die Begleiter der mehr oder minder freiwilligen Gäste alle erkennbar männlichen Geschlechts und in der Kürze der Zeit nicht zu zählen. Im selben Moment wurden große, fellbespannte Trommeln im bereits vertraut klingenden Rhythmus gerührt, hier aber so ohrenbetäubend, dass die Menschen froh waren, direkt von den Jägern weiter geführt zu werden. Es war ein Wunder, wie die Goblins diese Lautstärke ertragen konnten. Die Schlaginstrumente schienen den ganzen Fels in Vibration zu versetzen, und mit diesem die Leiber aller Wesen, die sich in diesem befanden. Auch wenn sie selbst zurück blieben, begleiteten die geisterhaften Schatten der selbst nicht trommelnden Jäger des Stammes, die nun in stampfenden Schritten um das Feuer herum tanzten, noch lange die in einen anderen Gang weiter ziehende Gruppe.
Die Enge führte dazu, dass sich die Jäger, die die menschlichen Besucher des Heiligtums aufgegriffen hatten, und von denen einzelne bei den Tänzern brennende Holzscheite aufgenommen hatten, die ihnen nun mehr schlecht als recht den Weg ausleuchteten, unter diese mischten und die Gruppe zugleich lange auseinandergezogen wurde. Bald erreichten sie eine Gabelung, von der aus es in die Tiefe ging. Zunächst unbemerkt von den Menschen nahm ein Teil im Halbdunkeln den Abzweig nach links, ein anderer den nach rechts.


"Frauenzimmer"

Aedha, Khorena, Lioba und Befinna befanden sich auf einem abschüssigen Gang, der nach einer Weile in einer von heißem Dampf erfüllten, von diffus flackerndem Licht erhellten Höhle endete. Der alte Jäger, der ihnen noch immer vorangegangen war, wandte sich an Aedha: "Siihen! Puhdista! Suncuua odotvissa!" (Geht rein! Werdet rein! Suncuua erwartet Euch!) und deutete ihnen unmissverständlich, sich hinein zu begeben. Er selbst und die anderen Männer machten keine Anstalten, den Raum zu betreten. Vielmehr schienen sie höchsten Respekt davor zu haben und hielten tunlichst Abstand von dem Eingang. Von irgendwoher im Nebel waren letzte kehlige Sprachfetzen und keckernde Geräusche, die fast wie Lachen klangen, zu vernehmen, aber - vermutlich aufgrund ihrer Ankunft - rasch verstummt waren. Nun erklangen über das hier immer noch, wenngleich deutlich gedämpft heranschallende Trommeln hinweg nur noch plätschernde Geräusche, als ob sich jemand oder mehrere den Weg durch Wasser bahnten, und hier und da das Aufschlagen von besonders großen und daher lauten Tropfen.

Die Baroness wandte sich mit fragendem Gesichtsausdruck der rothaarigen Frau zu. Sie hoffte, dass nun nicht von ihr erwartet würde sich zu entkleiden … wo war Rondrard? Er wollte doch auf sie Acht geben.

Lioba stellte ihren Kessel an die Seite des Eingangs zur verbotenen Grotte, sah mit strengem Blick die Goblins an und knurrte in deren Sprache: “Finger weg!”, während sie auf den Kessel deutete. Dann wandte sie sich an die Baroness: “Befinna wir sollen dort hinein gehen. So wie das klingt, werden wir dort ein Bad nehmen. Männern ist es wohl verboten dort hinein zu gehen. Wendet Euch an mich, solange Rondrard nicht da ist, ich hatte schon häufiger mit den Tuluukai zu tun.”

Die große Halbwölfin leckte über die Hand der Baroness drängte sich eng an sie.

Befinna schien sich ihrem Schicksal zu ergeben und stieg aus ihrem Kleid. Nicht ohne danach beide Hände und Unterarme dafür zu verwenden ihre Blöße zu bedecken. Als sie die Nacktheit der anderen sah, errötete sie.

Auch Lioba legte ihre Kleidung ab. Sie hatte einen festen, eher robusten Körper, der durch die vielen Wanderjahre gestählt war. Sie war nicht häßlich, aber auch nicht sonderlich hübsch. Die Jugend war bereits vorüber, doch war sie vom Alter noch weit entfernt. “Hier sind nur Frauen”, reichte sie Befinna die Hand. “Ihr müsst Euch hier nicht schämen. Es ist fast wie in einem Badehaus.”

***

Vollkommen ungerührt ging die Hexe direkt weiter tiefer in die Höhle hinein. Ein dampfendes Becken erreichend, löste sie die Verschnürung ihres Kleides und ließ dieses zu Boden gleiten. Makellos glatte Haut und ein wohlgeformter Körper wurde den drei Frauen offenbart, aber auch eine prächtige Smaragdnatter, die sich um den Leib der Rothaarige geschlungen hatte, kam nun zum Vorschein.

Die junge Baroness in den fähigen Händen der Geweihten und unter Aufsicht von Lupina zurücklassend, folgte Khorena der Rothaarigen in die Höhle. Widerwillig bewunderte sie deren wohlgeformten Körper. Die Schlange indes war eine Überraschung. Auch wenn sie schon vermutet hatte, eine Schwester, noch dazu eine Eigeborene vor sich zu haben, so hatte sie bisher keinen echten Beweis dafür gehabt. Die Adlige schlüpfte aus ihrem eigenen Kleid, das sich zu dem Aedhas gesellte und enthüllte dabei einen jungen, wohlgeformten Leib. Maske und Brille behielt sie aber auch weiterhin auf. Befinna war schon verschreckt genug. Mit einem wohligen Seufzen glitt sie in das warme Wasser. Das die Goblins, die sie hergebracht hatten, nicht mit hinein gekommen waren, empfand sie als gutes Zeichen. Sie hoffte, dass es ihren Vettern in diesem Augenblick gut ging. Die Goblins waren aufgebracht gewesen, aber das war im Grunde nur die Schuld dieser Elfe, die gleich so aggressiv hatte auftreten müssen. Vielleicht um sich von der langsam aufkeimenden Sorge über das, was auf sie wartete, abzulenken, wandte sie sich der Älteren zu. “Wie heißt euer Begleiter?”

Während sich die Hexe ins Wasser ließ, veränderte die Natter ihre Position. Schlängelte sich zwingen ihren Brüsten hindurch um ihre Schultern und legte ihren Kopf auf dem Haupt ihrer Herrin ab. Die Umgebung aufmerksam beobachtend. Den Blick auf die zögerliche Baroness gelegt, streichelte sie zärtlich den grünen Leib ihrer Begleiterin und dennoch reagierte sie auf die Frage des Grünschnabels. “Das ist Shila.” Stellte sie ihre Begleiterin vor, die sie inzwischen seit vielen Jahren begleitete. Ihre Liebste, hatte sie nach dem Verlust ihres vorherigen Begleiters der Schwesternschaft des Wissens näher gebracht und ihre schöne Begleiterin war seither teil ihres Lebens, Ayla jedoch war schon lange verstorben und lebte nur noch in ihrem Herzen fort.

Khorena sah sich nochmal um, ob die beiden anderen Damen oder sonst jemand nah genug war um ihren Wortwechsel zu hören. Befriedigt, dass dem nicht so war, meinte sie leise. “Dann gehört Ihr also der Schwesternschaft des Wissens an, so wie ich den Töchtern der Erde, auch wenn man mich vor allem Priesterin Tsatuaras sieht. Ich wollte mich vorhin schon vorstellen, doch widerstrebte es mir, dass vor der Elfe auszusprechen. Kennt Ihr Rondrard und seine Familie?”

Früher als Schöne der Nacht, hatte sie sich weit besser mit den lokalen Adelshäusern ausgekannt. Mit jenen die mit ihnen im Bunde standen, ebenso wie jene mit denen sie um die Vorherrschaft in der Region gerungen hatten. Seit ihrer Rückkehr in die Nordmarken, hatte sie sich jedoch wieder mit den Strukturen und den Amtsinhabern vertraut gemacht, um über ein durchaus belastbares Bild zu verfügen. “Dem Namen nach…”, antwortete sie eher knapp angebunden.

Nun gut, sie musste Aedha auch nicht alles auf die Nase binden. “Darf ich fragen, wie lange Ihr schon hier lebt?” wollte Khorena wissen. Die Wärme des Wassers tat ihren Gliedern nach der Wanderung durch den Tann wahrlich gut.

Ihr Blick ruhte noch immer dort, wo sie eingetreten waren. Schaute ob sich die beiden anderen Frauen näherte, während auch sie die Wärme des Wassers zu schätzen wusste. “Hier auf dem Leib der Mutter oder hier im Firun von Gratenfels?” Sie war lange fort gewesen, doch noch immer fühlte sich dieser Landstrich am meisten nach Heimat an.

“Gibt es da einen Unterschied?” fragte ihr Gegenüber erstaunt und meinte dann nach einer kurzen Pause. “Auf dem Leib der Mutter.”

“Ich stamme ursprünglich aus Albernia, also ja es macht einen Unterschied. Geboren im zwölften Regiungsjahr von Fürstin Ruada ni Bennain, doch das ist lang her. Hier …”, wobei sie den Zeigefinger der freien Hand einmal im Kreis drehte, “... war ich für fünfzehn Dekaden, eh mich meine Schwestern verrieten. Die letzten …”, kurz überlegte sie kam jedoch zu dem Entschluss das es sowieso nicht von Bedeutung war, “... vielleicht zehn Dekaden bereiste ich den Süden und kehrte erst letzten Götterlauf zurück.” Entspannt lehnte sie sich zurück, ihren Blick noch immer auf den Zugang des Höhlenbereichs gerichtet.

Ehrfurchtsvoll flüsterte Khorena. “Dann seid Ihr also wirklich eine Eigeborene.” Bei der großen Mutter, eine ihrer Töchter, die zudem schon lange auf dem Dererund weilte. Ihre Gedanken begannen zu rasen. Vielleicht wusste sie… aber konnte sie danach fragen… noch dazu hier…
Irgendetwas schien die junge Frau umzutreiben, denn ihr Blick war abwesend und gleichzeitig begann sie schneller zu atmen.

Die Feststellung zu ihrer Herkunft, quittierte die Rothaarige nur mit einem knappen Nicken. Sie lebte bereits zu lang um sich daraus noch viel zu machen, es war ein Umstand der sich nicht ändern würde. Eine sanfte Bewegung Shilas, lenkte kurz Aedhas Aufmerksamkeit auf die andere Dienerin der großen Mutter. Ihr Blick kehrte schnell wieder an seinen ursprünglichen Ort zurückkehrte, als sie dennoch fast beiläufig und leicht belustigt fragte: “Und das verlangen nach welchen Antworten, weckt diese Erkenntnis im Kopf einer so jungen Dienerin Tsatuarias?”

Es brauchte einen Herzschlag, bis Khorena reagierte. “Wie kann man einen Fluch brechen, der sich nicht brechen lässt, ein Fluch, der drei Generationen einer Familie gezeichnet hat und an jede neue Generation weitergegeben wird? ” Sie warf einen schnellen Blick zu den anderen beiden Frauen und setzte sich dann um, so dass sie ihnen den Rücken zuwandte.

“Der einfachste Weg wäre es, die an den Fluch gebundene Bedingung zu erfüllen.“ Setzte jedoch voraus, dass der Familie die genauen Umstände, Auslöser oder eventuell auch der Wortlaut der aussprechende Hexe bekannt waren.

“Das ist das Problem. Weder der Wortlaut des Fluchs, noch die Bedingungen sind bekannt. Auch ist diejenige, welche den Fluch sprach nicht mehr am Leben. Nicht durch die Hand der Verfluchten, das zumindest kann ich Euch versichern. Es scheint mehr zu sein als ein normaler Fluch, wie wir ihn sprechen würden oder normalerweise könnten. Doch Ihr habt vielleicht schon etwas derartiges gesehen oder davon gehört.” Hoffnung hatte sich in die Stimme Khorenas gemischt.

"Es gibt mächtigere Flüche, die durch das Wissen der Sprecherin zusätzlich an Kraft gewinnen. Im Gegenzug erfordern sie aber auch einen höheren Preis, der Fluch wurde als nicht leichtfertig gesprochen." Nun blickte sie die Frau direkt an. "Bevor ich dir also eine Antwort gebe, möchte ich also alles über den Fluch wissen was du weiß.” Ein solches Werk, die Schöpfung einer anderen Schwester durfte doch nicht leichtfertig vernichtet werden.

“Nun, am besten seht Ihr euch an, was er macht.” Mit diesen Worten nahm Khorena die Brille ab und präsentierte Aedha perfekte Wolfsaugen. Dann löste sie die Schnallen der Ledermaske und legte diese beiseite. Ein schönes, wohlgeformtes Gesicht kam darunter zum Vorschein, lieblich würden es manche nennen und so mancher Mann würde sich sofort in dieses Antlitz verlieben, doch dann öffnete sie den Mund und enthüllte Reißzähne. “Der Fluch wurde vor beinahe fünfzig Götterläufen gesprochen. Die Hexe, die ihn damals sprach, war voller Zorn auf meinen Großvater, weil dieser dabei geholfen hatte, ihre Pläne zu durchkreuzen.” Sie schnaubte abfällig. “Der großen Mutter wollte sie ein Neugeborenes opfern und das nur um ihre Stellung in der Schwesternschaft zu verbessern. Aber zurück zum Fluch.” Sie verfiel in ein kurzes Schweigen, als sie in Gedanken etwas abzuwägen schien. “Mein Großvater war Götterläufe zuvor von einem Werwolf gebissen worden, allerdings konnte er geheilt werden, bevor die erste Verwandlung einsetzte. Doch es scheint, als würde dieser in Zorn gesprochene Fluch sich des Werwolffluchs bedienen. Aber es findet keine Verwandlung statt, noch fallen wir über Menschen oder Tiere her. Auch wenn uns eine gewisse Hitzigkeit zu eigen ist.”

Aedha beugte sich näher an die junge Frau heran, kam ihr so nahe, dass diese die feinen Feenküsschen im Gesicht der Älteren kaum noch zu erkennen vermochte. Gleichzeitig schien es, als würde die andere Frau etwas in ihren Augen suchen. Sanft fast zärtlich fuhr ihre Hand über das Gesicht Khorenas, strich weich über ihre Lippen, sodass sich die Rothaarige auch ihre Zähne anschauen konnte. “Wer in deiner Familie leidet alles unter dem Fluch?” Erkundigte sie sich, wobei ihr Atem auf Khorenas Wangen zu spüren war.

“Mein Vater, mein Bruder und ich. Großvater und Großmutter sind beide tot, aber da war auch nur Großvater betroffen, und unsere Mutter ist ebenfalls nicht davon betroffen. Nur geborene Foldenau haben diesen Fluch.” flüsterte Khorena. Solcherlei Nähe, wie gerade mit Aedha war ihr nur sehr selten vergönnt, musste sie doch ansonsten andere meist auf Abstand halten.

Das war interessant und so wie ihr der Fluch beschrieben wurde, waren reichlich Gefühle beim Wirken im Spiel gewesen. "Ein so hübsches Gesicht und dann diese Vergeudung." Hauchte sie der Foldenau ins Ohr, während ihr ganzer Körper dem der jungen Priesterin derart nah war, dass es zu kurzen Berührungen kam.
Dann lehnte Aedha sich wieder zurück. "Mit dem nötigen Wissen, vermag es eine Schwester einen Fluch auch über Generationen hinweg zu wirken. Es ist sehr kräftezehrend und wird deshalb meist von einem ganzen Zirkel gewirkt. Da die genauen Umstände des Fluchs in Vergessenheit geraten sind, kann ich nur Mutmaßen, aber es ist gut möglich dass ein Fluch, der den Liebreiz rauben sollte sich in der Wut und Erregung der Sprecherin mit den gekappten Enden des Werfluchs verknüpft haben." Erklärte sie ihre Theorie, was eine Lösung jedoch deutlich erschwerte. "Dadurch ist das Brechen des Fluchs allerdings komplizierter, da es keine bekannte Matrix gibt derer sich bedient werden kann."

Ein wohliger Schauer war Khorena den Rücken hinab geschossen, als Aedha ihr so nah war und sie konnte einen leisen Seufzer der Enttäuschung nicht verbergen, da sich die Ältere wieder zurückzog.
Doch die Worte Aedhas rissen die Jüngere aus ihrem Zauber und holten sie zurück ins Hier und Jetzt. “Aber es ist nicht unmöglich, nicht wahr?” fragte sie hoffnungsvoll nach.

Shila glitt von den Schultern der Hexe und rollte sich hinter dieser auf dem warmen Stein zusammen, nur ihr Kopf ruhte noch auf der Schulter ihrer Herrin. Diese nahm davon scheinbar keinerlei Notiz, sondern dachte über die Frage der jungen Frau nach. “Unmöglich ist es nicht, aber gewiss auch nicht einfach.” Der ursprüngliche Hexenfluch hätte nicht bis jetzt bestand gehabt, somit stand fest, dass sich der Zauber viel stärker des Werfluchs bedient hatten, der nur geruht hatte und nicht gebrochen worden war.
“Sind die anderen Betroffenen ebenfalls von Mada gesegnet worden?” Erkundigte sie sich, einer ersten Idee folgend.

Der Hoffnungsschimmer in ihren Augen nahm bei dieser Antwort zu. Es war also möglich! Natürlich hatten sie alle darauf gehofft, aber die andauernden Rückschläge bei den Forschungen ihres Onkels hatten diese Hoffnung langsam ersterben lassen. “Ich bin die einzige mit Madas Gabe.”

Der Fluch schöpfte seine Kraft also nicht länger aus der Magie, sondern aus der Lebenskraft des jeweiligen Familienmitglieds. Eine Lösung würde sie hier und jetzt jedoch nicht offenbaren können, dafür würde mehr es Zeit und einiger Untersuchungen bedürfen. “Hoffnung gibt es, doch um eine Lösung finden zu können. Müsste ich mir alle Verfluchten genauer ansehen, um genaueres Sagen zu können.”

“Das würdet Ihr für uns tun? Habt vielen Dank!” Die junge Hexe beugte sich flink nach vorne und umarmte Aedha herzlich. Wobei sie aber trotz aller Freude auf Shila achtete. “Habt vielen Dank.” wiederholte sie leise. Dann rutschte sie wieder zurück auf ihren Platz.

Durch Ayla hatte sich damals ihr Horizont erweitert, so hatte, trotz der viel größeren Lebenserfahrung, so vieles von der schönen Tulamidin gelernt. Seither hatte sie die unterschiedlichen Spielarten der Magie viel intensiver betrachtet und sich ihren individuellen Eigenschaften gewidmet. Es war ihr eine Freude, Geheimnisse Neue wie Alte, zu ergründen. Eigentlich war es keine Hilfsbereitschaft ihrerseits, wenn nur als Deckmantel um womöglich einem weiteren spannenden Phänomen auf die Schliche zu kommen.
"Ich kann nichts versprechen", ermahnte sie. "Es ist möglich das ich keine Lösung finde oder nur das überspringen auf die nächsten Generation zu verhindern weiß oder nur jene erlösen kann, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen." Doch all das würde sie erst erfahren, wenn sie sich länger mit der Familie Foldenau befasst hatte.

Die Junghexe nickte. “Das mag gut sein, doch Ihr würdet uns trotzdem weiterhelfen.” Es sprach für Aedha, dass sie ihr keine falschen Hoffnungen machen wollte. “Aber zuerst müssen wir diesen Abend hinter uns bringen. Wisst Ihr wie die Goblins dieses Fruchtbarkeitsfest begehen? Ist es vergleichbar mit unseren Fruchtbarkeitsfesten zu Ehren der großen Mutter? Werden wir nackt sein, oder erlauben sie uns Kleidung zu tragen?” Khorenas Blick huschte zu Befinna. “Ich frage nicht wegen mir. Die Baroness wirkt auf mich, als stünde sie kurz vor dem Zusammenbruch. Wenn man ihr nun auch noch die Kleidung nimmt und sie zwingt nackt herumzulaufen...” Khorena machte eine bedeutungsschwere Pause.
Erst jetzt fiel ihr wieder ein, dass sie Brille und Maske abgelegt hatte. Eilig griff sie danach und setzte sich die Brille wieder auf. Nicht wegen Aedha, aber für Befinna und Mutter Waldlieb. Ihre Augen waren an sich schon ein Schock für jemanden, der sie zum ersten Mal sah, aber im Zwielicht oder Dunkelheit leuchteten sie, sobald nur etwas Licht darauf traf und eben das war wirklich erschreckend.

Träge schwangen ihre roten Haare, als Aedha verwundert den Kopf schüttelte. “Das Mädchen muss sich mal ein Rückgrat zulegen. Es ist ein Fest des Lebens, niemand zwingt sie zu etwas.” Naja, sah man einmal von ihrer unfreiwilligen Anwesenheit ab.

“Da habt Ihr Recht.” seufzte Khorena zustimmend. “Aber vielleicht sollten wir ihr ein wenig Hilfestellung geben. Bitte entschuldigt mich einen Augenblick oder kommt Ihr mit?” Mit geübten Handgriffen legte Khorena die Maske an und stand dann geschmeidig auf. Einen kurzen Moment blieb sie so vor Aedha stehen, gab ihr Gelegenheit ihren Körper zu betrachten, dann stieg sie aus dem Becken und ging, ohne auf ihr Blöße zu achten auf die beiden Frauen zu.

Mit einem Schmunzeln nahm sie das Angebot an und musterte die junge Priesterin. Sie wusste schon, wieso sie Frauen den Männern vorzog.

***

Als das Gespräch zwischen Aedha und Khorena hin und her ging und Lioba versuchte die Baroness zu beruhigen, sah sich eben diese schüchtern um. In hundert Götterläufen hätte sie sich nicht gedacht, dass Goblins solch einen Wert auf Körperpflege legen. Und was würde geschehen wenn diese Reinigung vorbei war? Die Andeutungen, die sie vernahm, waren eindeutig. Sie würden hier nackt herumlaufen und man würde sie wohl schänden. Rondrard, der ihr versprochen hatte, Acht auf sie zu geben, war weg. Lioba, Khorena und diese blasierte Rothaarige wirkten zwar allesamt gelassen, doch verließ sie sich nicht darauf. Niemand war ehrlich zu ihr. Niemand erzählte ihr was hier auf sie wartete - und genau deshalb musste sie vom Schlimmsten ausgehen. Wo war sie da nur rein geraten? Es war schon seltsam genug, dass ein Ritter des Herzogtums mit den Rotpelzen auf gut-Freund machte, wo es doch eher seine Aufgabe sein sollte, die menschliche Zivilisation und den Glauben an die Zwölfe vor ihnen zu schützen. Wenn Wunnemine das wüsste … Wunnemine … erstmals seit sie davongelaufen war wünschte sich die Baroness wieder zu ihrer großen Schwester zurück. Sie würde bestimmt nicht zulassen, dass sie hier von Goblins begafft wird. Und wenn es nicht dieser horasische Lackaffe wäre, würde sie sogar heiraten. Ja, auch in den Nordmarken gab es gut situierte Männer. Vielleicht gar ein Ritter, der sie beschützt? Der sie zu sich auf sein Pferd nimmt und mit ihr davon reitet. Kurz zauberte dieser Gedanke ein Lächeln auf Befinnas Lippen. Das erneute Plätschern des Wassers brachte sie aber kurz darauf wieder ins Hier und Jetzt zurück. Ich Lächeln gefror und wieder bedeckte sie ihre Blöße.

Lioba betrachtete das Gesicht der Baroness. “Komm, wir werden jetzt baden”, sagte sie sanft, “und dabei können wir mit der Anführerin sprechen. Bei den Goblins haben die Frauen das sagen”, sie fasste Befinna freundschaftlich am Handgelenk, da ihr jede andere Berührung zu intim erschien, und drückte sanft, bevor sie weitersprach, “wir werden das hier schon überstehen. Und wenn jemand was von Dir will, dann muss er erst an mir vorbei.”

Mit einem leisen Seufzen folgte Befinna der Geweihten.

Wasser lief Khorenas Körper herab und hinterließ feuchte Fußabdrücke auf dem Boden als sie nackt bis auf ihre Maske und Brille auf sie zukam. Vor Befinna blieb sie stehen und legte ihr die Hände auf die Schultern, während sie ihr in die Augen sah. “Habt keine Angst, wir sind bei Euch.” Sie wandte den Kopf um auch die Geweihte mit einzubeziehen. “Kommt Ihr mit ins Wasser? Es ist angenehm warm.”

“Das will ich doch hoffen. Es war ein anstrengender Tag, da darf man auch ein wenig entspannen, um morgen wieder fleißig an die Arbeit zu gehen”, lachte Mutter Waldlieb und löste ihr Haar, dass nun leicht gewellt bis zur Taille fiel. Ein zarter Duft nach frischem Apfel entströmte diesen.

Aus irgendeinem Grund fiel die Angst geschändet zu werden von Befinna ab. Sie folgte der Geweihten ins Wasser, wirkte aber ob ihres Körpers immer noch unsicher. “Was meint Ihr wird weiter geschehen?” Fragte sie eher interessiert denn ängstlich. “Die Rotpelze werden uns sicher nicht zum Schwimmen eingeladen haben.”

Aedha hatte alle drei Frauen gemustert, als diese sich dem Becken genähert hatten. "Es wird ein Fest geben, eines zu Ehren der Göttin. Ein Fest zu Ehren des Lebens und der Fruchtbarkeit, was jedoch tatsächlich passieren wird, liegt allein in der Hand eines jeden Einzelnen. Wenn du bei einem Mann liegen willst, tust du das und wenn nicht, dann eben nicht. Genauso kannst du dich entscheiden bei einer Frau zu liegen oder du preist allein Leben, Lust und Freude." Ein mildes Lächeln umspielte ihre Lippen und vielleicht auch ein Hauch Anzüglichkeit.

Befinnas Augen weiteten sich. Endlich einmal jemand, die offen und ehrlich mit ihr sprach, auch wenn es ihr nicht gefiel was sie hören musste. “Ich … ich will bei keinem Mann liegen … zumindest jetzt nicht … und auch hier nicht … ich bin ja nicht einmal verheiratet.” Ihr Antlitz wurde rot. Wie konnte man ihr so etwas nur vorschlagen? Das widersprach allem was sie gelernt hatte und wie man sie aufgezogen hatte. “Ich möchte wieder gehen”, setzte sie dann hilfesuchend hinzu.

“Ich weiß”, sagte Lioba, “aber wir können jetzt nicht gehen. Nicht bevor wir mit ihrer Anführerin gesprochen haben. Aber ich werde fragen, ob wir Teil der Zeremonie sein müssen oder nicht. Allerdings”, mahnte sie,” haben sie uns als Gäste aufgenommen, Gäste die ungefragt in ihr Haus gestolpert sind. Auch, wenn es nicht Deine Schuld ist und wir aus der Not heraus gehandelt haben. Ich werde Dich in Schutz nehmen, dass kannst Du mir glauben.”

"Genau, wir sind Gäste … und Gäste hält man nicht fest um gegen ihren Willen bei einem Ritual teilzunehmen. Ich kenne diese große Mutter nicht und huldige ihr auch nicht. Ich würde dieses Vorhaben hier wohl nur stören", begehrte Befinna auf.

“Ganz recht. Und als Gäste haben wir uns genauso an das Gastrecht zu halten, wie die Gastgeber. Bis jetzt steht noch gar nichts fest und ihr zetert und keift, wie eine Schweinemagd. Ich dachte ihr wärt eine wohlgeborene Baroness, also zeigt etwas Rückgrat, nehmt innerlich Haltung an und wartet erst einmal ab. Ich habe Euch versprochen Euch in Schutz zu nehmen und das werde ich tun. Durch Euer Verhalten schwächt Ihr meine Position und es wird umso schwieriger Euch hier herauszuhalten.”

Wer Befinna kannte, der wusste, dass sie nicht leicht zornig wurde. So emotional, sprunghaft und impulsiv sie sein konnte, wirkliches Feuer fand sich nur sehr selten in ihr. "Ich stehe hier nackt in einem Goblinbau …", presste sie zwischen ihren Zähnen hervor und wies dabei an sich selbst herab '... und erniedrige mich und meine Familie damit schon zur Genüge. Eine Baroness, die sich dazu nötigen lässt hier unter Goblins zu baden, was sonst sollte sie tun um dem 'Gastrecht' genüge zu tun? Auf den Knien rutschen und buckeln?' Sie sprach ihre letzten Gedanken nicht aus, sondern wandte sich ab.

“Stimmt, das tun wir hier alle. Aber anstatt Ruhe zu bewahren und, wie es sich für eine Adlige gehört, mit klarem Verstand und erhobenen Hauptes den kommenden Ereignissen entgegenzusehen, benehmt Ihr Euch wie eine verzogene Göre, der man die Lieblingspuppe weggenommen hat, weil es Zeit für die Schule ist.” Auch in Liobas Augen funkelte der Zorn. Je mehr das Mädchen zeterte, desto größer wurde die Gefahr. Und es kümmerte sie nicht einmal. Sollte sie sich wirklich noch schützend vor sie stellen? Lioba wusste es nicht.

Mutter Waldlieb war wohl nicht oft unter Adeligen, wenn sie meinte, dass die für gewöhnlich Ruhe bewahren wenn sie nackt zwischen Goblins standen. Sie beließ es dabei und schwieg stattdessen. Das war es, was die Würde einer Adeligen ausmachte - schweigen und abwägen zu können, ob und vor allem wann eine Konfrontation angebracht war. Es wäre ein Leichtes gewesen, auf die unbedachten Worte der Frau in Impulsivität und emotional zu antworten, doch fühlte sie eine seltsame Ruhe in sich, die sie davon abhielt.

Undankbare, egoistische, verzogene Göre. Dachte Lioba bei sich, wurde sich aber im selben Moment bewusst, dass sie sicherlich aus Angst und Verzweiflung so handelte. Beschwichtigend fuhr sie fort: “Ich möchte Euch nichts böses, aber ohne Eure Hilfe, kann ich hier nicht viel ausrichten. Glaubt Ihr denn ich möchte, dass ein Goblin, oder gar dieser verlauste Sume, sich zu mir legt?”

Die Eigeborene war sich nicht sicher, ob sie nun belustigt oder wütend sein sollte. "Wenn du deiner Schwester und den Bewohnern der Region keinen Bärendienst erweisen möchtest, dann wirst du keinen Versuch unternommen dieses Fest vorzeitig zu verlassen!" Wies sie die Baroness scharf zurecht, ihre grünen Augen funkelten als sie fortfuhr. "Und wenn du zugehört hättest, dann hättest du bemerkt das es dir freigestellt ist ob und wem du beiwohnst! Also sei ein gutes Kind, überwinde, für die Bewohner dieser Lande, deine Scham und bringe das Fest mit Anstand hinter dich." Erneut musterte sie die Fadersberg. "Du bist eine junge Frau, steh zu deinem Körper und erfahre ihn."

Khorena hatte sich ebenfalls wieder in das Becken zu den anderen Frauen begeben und verfolgte nun, wie sich die Baroness mehr und mehr echauffierte. Während die Tsatuara-Priesterin die Szene beobachtete, begann sie sich zu reinigen. Als das Gespräch an Schärfe zunahm, seufzte sie und setzte sich auf. “Ihr solltet auf Aedha hören. Die große Mutter duldet es nicht, wenn Vereinigungen erzwungen werden, das wäre ein Frevel. Versteht Ihr? Rahjas Gebote gelten auch hier. Aber wenn Ihr wollt, dann wird Lupina Euch heute Nacht nicht von der Seite weichen.” Sie musterte Befinna eingehend. “Und Ihr solltet diese Scham ablegen, sie passt nicht zu Euch. Euer Körper ist nichts, weswegen Ihr Euch schämen solltet. Ihr seid eine gutaussehende Frau, werdet Euch dessen bewusst und seid stolz darauf.”

Befinna ließ den Sermon der beiden Frauen regungslos über sich ergehen. Einzig als Lupina zur Sprache kam nickte sie kurz.

Lioba wurde kalt und sie stieg nun ins Becken, setzte sich und ließ den Körper solange ins Wasser gleiten, bis es zum Hals reichte. Das bockige Kind sollte erst mal klar im Kopf werden.

***

Die Dampfschwaden, die im Raum hingen, waren unmittelbar über dem Wasser noch einmal dichter, und so verschwamm alles um die Frauen herum schon nach kurzer Distanz in schummrig flackerndem Licht und Nebel. Wohltuend umfing das warme Wasser die Körper, umschmeichelte diese und wärmte die Strapazen des Tages hinweg. Die Kraft der großen Mutter entfaltete ihre heilsame Wirkung - es war wahrhaft eine Wonne, für die, die sich darauf einlassen konnten.
Doch was war das - bewegten sich da nicht Schatten leise plätschernd im Wasser? Und lehnte dort nicht ein pelziges Wesen am Rand, nein mehrere, wispernd? Ohne näher zu kommen, verwehrten nicht nur die Sichtverhältnisse, sondern im weiteren auch die unregelmäßige Form des natürlichen Beckens und die von Quarzsinter überzogenen Felsen und Säulen die Übersicht über das Becken, doch fühlte es sich umgekehrt an, als ob etliche Augenpaare auf den vier Frauen ruhten.
Sanft schwappte eine kleine Woge an den Rücken Befinnas, dann legte sich eine Hand behutsam von hinten auf die Schulter der Baroness. Sie fühlte sich schwielig an, doch war sie warm und die Berührung sanft. “Willkomm’ Kind!” erklang eine kehlige und wie von vielen Jahren rauchig-kratzige Stimme von schräg unten. “Gut Du da sein.” Die Stimme hob sich: “Gut alle da sein.”

Befinna zuckte etwas zusammen, als sie die Berührung auf ihrer Schulter fühlen konnte. Dennoch wagte sie es nicht sich umzuwenden. Und was sollte sie sagen? Sollte sie sich für die Gastfreundschaft bedanken, wie man es unter götterfürchtigen Menschen … sie verwarf den Gedanken. Sie war hier nicht bei Menschen. "Ähm …", setzte sie deshalb zögerlich an, "... warum habt Ihr uns kommen lassen?"

Hinter Befinna ertönte eine schnelle Folge grunzend anmutender Geräusche, die an ein Lachen erinnerten: “DU hier kommen. Mailam Dich herführen - Dich und andere. Zeit sein für Du herkommen. Lange Zeit Dein Blut nicht da sein. Aber jetzt gut! Ich Mailam Dir zeigen. Große Mutter! Und Suulak! Komm! Reden!” Befinna fühlte sich mit sanftem Druck weiter in die Nebel hinein geschoben.

Die anderen konnten jetzt die immer noch halb hinter der Baroness verborgene, für ihr Volk recht stämmige Goblinfrau sehen, die sie um die junge Adlige herum anblickte. Abgesehen von einem ledernen, mit Wildschweinzähnen besetzten Band, schien sie ebenfalls nackt - so nackt diesem einem Goblin möglich war. Ihr rötliches Fell, noch mehr aber ihr trotz der heraustropfenden Feuchte filzig abstehendes langes Haar war, soweit dies in der Dunkelheit erkennbar war, bereits an einigen Stellen ins gelblich-weiße verbleichend. Wach glänzende, anders als bei den meisten der Jäger keinesfalls blutunterlaufene, sondern gelbe Augen sahen neugierig auf die Menschenfrauen, und ihr nur noch von einzelnen weißlichen Haaren und runzligen Lippen gesäumter Mund schien diese, mit gebleckten Hauern, anzulächeln.

"Du hast dir viel Zeit gelassen", stellte die wesentlich ältere Hexe sachlich fest. Ihr Blick galt dennoch weiterhin den badenden Frauen.

Suncuua lachte wieder grunzend. “Mailam da, ganze Zeit. Nein warten.” Dass eine so alte und zugleich doch ewig junge Frau so ungeduldig sein konnte. Sie selbst war schon alt, doch ihre eigene Großmutter hatte ihr bereits, als sie noch ein Kind war, davon erzählt, wie diese ihrerseits als Kind von ihrer Großmutter von der weisen Menschenfrau gehört hatte.

Mutter Waldlieb verfiel nun auch in die gutturale, für fremde Ohren an Grunzen erinnernde Sprache der Gastgeber: “Vielen Dank für die Aufnahme. Ich habe Essen mitgebracht und werde die Göttin bitten es zu verwandeln, so dass alle satt werden.”

“Taati Mulla hungrig. Gut Essen alle Suulak alle Menschen. Suulak freuen. Mailam lachen.” schien sich die Schamanin zu freuen und dankte der Geweihten. “Vor Taati Mulla baden. Reden. Kommen.” Wieder wies sie vor sich.

Lioba begab sich in die gewiesene Richtung. “Kommt ihr?”, fragte sie die anderen Frauen, “wir wollen baden und uns unterhalten.”

Befinna hingegen verfolgte das Gegrunze mit nun wieder zunehmender Unsicherheit. So ging es ihr auch nicht besonders leicht von der Hand den anderen zu folgen. "Über was wollt Ihr reden?", fragte sie die Schamanin. "Wer ist Taati Mulla? Und wie meintet Ihr das, dass mein Blut schon lange nicht mehr hier war?"

Auch Khorena erhob sich um der Bitte von Suncuua nachzukommen. “Es ist schön Euch wiederzusehen.” meinte sie ehrlich erfreut. Es war noch gar nicht so lange her, dass sie einander vorgestellt worden waren, damals war es aber eine kurze Begegnung gewesen. Als sie sah, dass die Baroness weiter zögerte, streckte sie ihr ihre Hand entgegen. “Wenn Ihr mitkommt, werden sicherlich viele Eurer Fragen beantwortet werden.”

"Gut jung Tochter Mailam da sein" zeigte sich ihrerseits die Schamanin Khorena gegenüber erfreut.

Befinna wollte sich zu Khorena umwenden, als die Worte der Schamanin sie davon abhielten. Nun wurde ihr langsam klar warum die anderen hier so ruhig und voller Vertrauen auftraten. Allem Anschein nach kannten sie einander recht gut, wenn die Goblinfrau sogar wusste wie Khorenas Mutter hieß. Mailam war zwar ein Vorname, den sie so nicht kannte, doch wusste die Baroness ja auch nicht woher die Frau stammte. Vielleicht aus dem Vorderkosch? Oder Albernia? Ja, dort hatten sie seltsame Namen. Ohne ihre Gedankengänge zu verbalisieren sah sie zu Suncuua.

"Kommen. Da schön sein." Sie wies in Richtung eines kleinen halbrunden Seitenbeckens, das von drei Sintersäulen gesäumt und ein wenig abgeschirmt wurde. "Mich hinterher! Da tief!" leitete sie die Frauen am Rand des natürlichen Bades entlang, wo auch sie selbst noch gut stehen konnte. Einige Goblin-Frauen rückten tuschelnd zusammen, um den Ankömmlingen Platz zu machen. Suncuua spürte das Zögern der jungen Tochter Wu'mars. "Du komm. Dein VaterVater Ans'arr da sein, viele Taati Mulla her, vor weise Hirschkriegerin geboren.” Einladend bot sie ihr die Hand. “Und Deine Mutter."

"Meine … Mu … tter?", kam es zögerlich über die Lippen der jungen Frau, während sie durch das Wasser wateten. "Aber was wollte sie denn hier?"

Was konnte es wohl nur sein, was die Mutter dieses Mädchens hier gemacht hat. Dieses Mädchen war noch sehr, sehr grün hinter den Ohren. “Sie hat ihr Bündnis mit dem Land gepflegt.” Stellte sie fest und machte sich langsam auf den gewiesenen Weg.

"Bündnis mit dem Land …", wiederholte die Baroness flüsternd und mit einem Stirnrunzeln. Was sollte denn das schon wieder bedeuten? Doch schwieg sie vorerst.

“Dein Mutter da sein all langlang Tag. Aleit!” Die alte Schamanin schien in die Ferne ihrer Erinnerung zu blicken. “Aleit Mailam Dank. Suncuua reden Aleit.” Scheinbar hatte sie Befinnas Mutter Alheyt tatsächlich gekannt. Wieder sah sie Befinna mit einem Ausdruck an, der wie ein nachdenkliches Lächeln wirkte. “Du da sein, kleinklein Kind!”

Es war sehr schwer für Befinna den Worten der Gastgeberin zu folgen. Anscheinend kannte ihre Mutter die Goblinfrau und auch Khorenas Mutter Mailam. Vielleicht würde sie die junge Frau dann später darauf ansprechen. Etwas verstand die Baroness dann doch recht deutlich - dachte sie zumindest. "Ich bin kein Kind mehr", meinte sie trotzig.

Suncuua musste lachen. Das Mädchen mochte längst fruchtbar sein, aber es hatte, nach allem was sie wusste, und wie ihre Brüste aussahen, noch nicht geboren. Natürlich war sie noch ein Kind. Aber kein kleines mehr. “Du nein kleinklein Kind. Du da sein Arm Aleit kleinklein Kind.” Sie machte eine wiegende Armbewegung, vielleicht verstand das Menschenmädchen sie ja dann.

Die Baroness verstand immer noch nicht. “Ja, ein kleines Kind. Aber ich bin schon groß.” Befinna griff sich auf ihren Scheitel und zeigte der Schamanin dann ihre Größe.

‘Meine Güte, ist das Mädchen schwer von Begriff’, erklang Aedhas innere Stimme. “Deine Mutter war hier, als du noch ein kleines Kind warst.” Erklärte die Hexe der Baroness, dass schwer verständliche Garethi alten Goblinfrau.

“Und sie hielt Euch dabei auf dem Arm. Ihr müsst also damals noch ein Säugling gewesen sein.” ergänzte Khorena und ahmte dabei die wiegende Armbewegung nach.

"Oh …", kurz schien es als huschte ein Lächeln über ihre Züge. Nun schien der Heller gefallen, "... ich …", Befinna wies mit dem Zeigefinger auf ihre Brust, "... war schon einmal hier? Mit meiner Mutter." Warum ihre Mutter sie wohl hierhin mitgenommen hatte? Schwach waren die Erinnerungen der Baroness an Alheyt. Sie verschwand vor Jahren in eben diesem Forst, angeblich während einer Jagd. "W … wisst Ihr denn was mit meiner Mutter geschehen ist?"

Die Schamanin sah Befinna lange und eingehend an. Obgleich ihre Mimik fremdartig und daher für die Baroness nur schwer einzuschätzen war, glaubte diese Traurigkeit in Suncuuas Augen schimmern zu sehen. “Ja. Suncuua da sein Aleit Geist heimgehen Mutter Sau.”

Für einen Moment schien sie alles um sich herum zu vergessen. Dass sie hier nackt unter Fremden stand genauso wie die Tatsache, dass ihr eine Goblinfrau gegenüber stand. Im gegenwärtigen Moment war sie bloß das kleine Mädchen, das einst seine Mutter verlor. Tränen liefen ihre rosigen Wangen herab. “Habt Ihr sie gut gekannt? Meine Mutter … könnt Ihr mir etwas über sie erzählen?”

“Erzählen. Ja.” Suncuua zögerte, schien mit sich zu ringen. “Und zeigen. Du wollen?” Sie griff beide Hände der Baroness und sah diese eindringlich von unten an. “Warnen. Mutig und stark Du sein müssen!”

“Wie zeigen?”, Befinna verstand nicht. “Ihr meint ich kann meine Mutter sehen?”

Die Schamanin nickte. “Geister helfen zeigen Aleit. Du sehen Augen sehen Suncuua.”

Ohne zu wissen worauf sie sich einließ, nickte Befinna. "Ja …", meinte sie tonlos. Sie wollte ihre Mutter sehen - das Wort 'Geister' schien sie zu überhören, oder in diesem Moment keine Bedeutung beizumessen. Zu verblasst waren die wenigen Erinnerungen, die sie zu ihrer Mutter hatte.

“Gut.” nickte die Älteste der Tuluukai-Brydh-Blogai abermals. “Reinigen Du, reinigen allealle, Suncuua rufen Mailam Taati Mulla, Suulak Taati Mulla, Suncuua zeigen Aleit.” erläuterte sie, wie es weitergehen würde. Es würde eine anstrengende Nacht für sie werden.

´Mailam?´ Befinna wandte sich Khorena zu. “Ist deine Mutter etwa auch hier?”, flüsterte sie.

"Vielleicht ist sie das tatsächlich, es würde mich freuen." flüsterte Khorena zurück. Vielleicht war es in dieser Nacht wirklich möglich mit geliebten Verstorbenen zu sprechen. "Aber ich glaube mit Mailam ist die Große Mutter gemeint."

"Oh …", beschämt blickte sie ins Wasser, "... das habe ich falsch verstanden."

Khorena legte eine Hand mitfühlend auf Befinnas Schulter. mit sanfter Stimme sprach sie zur der Gleichaltrigen: "Woher solltest du das denn wissen? Eigentlich hätte dich deine Mutter mit deinem Erwachen," Khorena legte ihre freie Hand auf ihren Unterleib, "in diese Dinge einweihen sollen. Aber du hast hier und heute die Möglichkeit vieles über die Große Mutter und wie es scheint über deine Familie lernen." Die Tsatuara-Priesterin machte eine Handbewegung, welche die anderen Frauen einschloss. "Wir werden dir zur Seite stehen, wenn du uns brauchen solltest."

Befinna biss sich auf die Lippen. Sie hatte so viele Fragen und war immer noch nicht sicher ob sie den anderen vertrauen konnte. Auch wegen dieser Großen Mutter war sie sich unschlüssig. Ihr Weltbild war nicht so breit. Praios erhob den Adel über die anderen Menschen und brachte Ordnung und Gesetz, Rondra verpflichtete die Adeligen gegenüber ihren Schutzbefohlenen. Die Herrin Travia lehrte die Wichtigkeit des Ehebundes, des Zusammenhalts und der Familie. Die gebende Peraine machte, dass eben jene Familie und das Vieh gesund blieb und die Felder genug abwarfen, um die Menschen über die Zeit des grimmigen Firun zu bringen. Ifirn bat ihren erbarmungslosen Vater und läutete damit jedes Jahr den Frühling ein. Tsa schenkte das Leben, Boron gewährte den Tod. Es war da keine Große Mutter … sie tat sich schwer damit.

Khorena schenkte die Baroness nach einer gefühlten Ewigkeit des Grübelns ein Nicken. "Danke", dann lächelte Befinna kurz.

“Na komm, wir sollten uns jetzt reinigen.” meinte Khorena sanft und zog Befinna zu der Stelle, auf die Suncuua gerade eben noch gedeutet hatte. Sie nickte den Goblinfrauen zu und machte sich daran, einen Sitzplatz für sich und die Baroness zu suchen.

"Aber wir stehen doch schon im Wasser …", weiter kam die zögerliche Baroness nicht, hatte sie Khorena doch am Arm gepackt und sanft mit sich gezogen.

“Im Sitzen kann man sich viel besser waschen und zudem ist das warme Wasser eine echte Wohltat. Ich helfe dir auch gerne bei deinen Haaren.” erwiderte Khorena fröhlich.

Suncuua sah mit Freude, dass die junge Tochter der großen Mutter-Sau sich ebenso wie Rakkaus-antaa so treusorgend des Mädchens annahm. “Gut, weise Hirschkriegerin schicken jung Tochter Mailam Taati Mulla.” ließ sie Khorena wissen.

War dem wirklich so? Hatte Celissa ihr deswegen von dem Heiligtum im Mondlicht vorgeschwärmt? Würde sie Khorena in diese, potentiell, gefährliche Lage bringen, ohne ihr die Gefahren aufzuzeigen? Nein, das würde Celissa niemals tun. Und doch war das dieser Schatten eines Zweifels. “Habt Ihr die Hirschkriegerin gebeten, mich hierher zu schicken?”

Die Schamanin verzog ihren Mund zu einem vielsagenden Lächeln - oder war es ein Grinsen? “Hirschkriegerin wissen gut sein jung Tochter Mailam Taati Mulla. Gut sein jung Tochter Mailam. Gut sein Mailam.”

Ungläubig starrte Khorena die Schamanin für einen Moment an, dann warf sie ihren Kopf in den Nacken und lachte herzhaft. Eigentlich sollte sie Celissa deswegen böse sein, sie einfach in die Höhle des Löwen… nein… Goblins laufen zu lassen. Der letzte Rest Anspannung, der irgendwo noch vorhanden gewesen war, löste sich auf. Als ihr Lachen langsam verebbte, grinste sie Suncuua unter der Maske breit an. “Ich freue mich heute hier sein zu dürfen, bei diesem großen Fest. Danke.”

“Gut Du freuen.” stimmte Suncuua in das Lachen ein. Der Blick ihrer wachen Augen ging von Khorena über Aedha, Lioba, die noch immer eifrig im Gespräch mit Tschiiba steckte, hin zu Befinna, auf der sie ihn nachdenklich ein Weilchen ruhen ließ, und dann wieder zurück zu Khorena. “Soviel Suncuua zeigen wollen. Euch.” bekräftigte sie laut in die Runde. Leiser fragte sie nach: “Wann zeigen Dein Gesicht?”

Khorena schüttelte langsam den Kopf. “Ich möchte niemanden ängstigen.” dabei warf sie einen Blick auf Befinna. Die junge Adlige hatte heute schon so vieles Neues und für sie Beängstigendes gesehen, da wollte sie ihr nicht noch einen zusätzlichen Schrecken einflößen.

“Du wahr! So viel Angst.” meinte sie im Hinblick auf Befinna. “Zeigen wahr, was gut, was böse.” Es war zu erkennen, dass sie bedauerte und auch immer nicht ganz verstand, warum Khorena ihr Gesicht glaubte verhüllen zu müssen. Aber sie akzeptierte es. Das Kind würde noch genügend Wahrheiten sehen, die es vielleicht erschrecken würden.

“Was meint sie denn?”, fragte Befinna zögerlich an Khorena gewandt.

“Da bin ich mir selbst nicht sicher.” musste Khorena gestehen. “Aber ich vertraue der Ältesten. Sie hat doch auch versprochen, dir etwas über deine Familie und ihre Verbindung zum Land zu erzählen. Gib ihr die Möglichkeit dazu.”

Die Baroness nickte daraufhin wortlos.

***

Eine der Goblin-Frauen, die zunächst Platz gemacht hatte, deutlich jünger an Jahrens als die Schamanin, näherte sich Lioba vorsichtig an. “Lli-o-bar?” fragte sie, erkennbar aufgeregt abwechselnd zu Suncuua und der Peraine-Geweihten blicken, die Gesichter der anderen Menschen dagegen meidend.

Lioba blickte überrascht auf, lächelte die Goblinfrau aber an: “In Deiner Sprache heiße ich Rakkaus - antaa, falls Dir das leichter über die Lippen geht. Wie lautet Dein Name? Und was möchtest Du denn?”, fragte sie auf goblinisch mit deutlich menschlichem Akzent.

“Ich bin Tschiiba, erinnerst Du Dich.” antwortete sie ihrerseits auf goblinisch. Sie hielt ihr ihren Arm entgegen. Anders als ihr sonstiger Leib war dieser nur lückig behaart, darunter waren Narben zu erkennen, von Wolfsratten gerissen. Lioba erinnerte sich an den Spätwinter vor zwei Jahren, als sie, unweit von hier, rettend eingegriffen hatte.

“Tschiiba, natürlich”, freute sie sich, “bei dem Licht, konnte ich Dich nicht erkennen. Wie ist es Dir ergangen? Hat Mailam Dir neue Frischlinge geschenkt?”

“Oh ja.” nickte Tschiiba eifrig. “Im letzten Frühling eine Tochter, und das Jahr davor zwei, die einmal starke Jäger werden!” Sie war gerade frisch geheilt, da hatte es Mailam besonders gut mit ihr gemeint. “Ohne dich wäre ich längst im Magen von Mutter Sau!” Inzwischen war sie ganz zu Lioba aufgerückt und machte sich ganz selbstverständlich daran, sich behutsam suchend im Haar der Geweihten umzutun.

Im ersten Augenblick verkrampfte sich Lioba, da sie körperliche Nähe dieser Art nicht gewohnt war, doch dann entspannte sie sich. Sie wusste, dass es so Brauch war und sie würde es erwidern, wenn es soweit war. “Ja, das sah ganz schön böse aus. Tut es noch weh oder macht es Dir noch Schwierigkeiten?”

“(Nur) manchmal, wenn (es) ganzganz kalt (ist). (Aber) meistens nicht, (und) hier bei Mailam (ist) mir sauwohl. Dir auch?” Als Zeichen ihrer Zuneigung wühlte sie jetzt richtig ausgiebig. “(Ich habe) viele Zapfen gesammelt diesen Sommer - ich gebe Dir leckere geröstete Kerne mit, vieleviele, für (den) Winter.” wollte sie sich offensichtlich erkenntlich zeigen.

“Jaaa, hier ganzganz gut. Kerne lecker. (Ich) habe Essen gebracht, kann Teil von Kerne zugeben, dann Mailam freuen. Essen für alle. Später”

“Guut! Nach Taati Mulla HungerHunger, immer! Du auch, sehen!” ließ Tschiiba Lioba an ihren Erfahrungen teilhaben.

In Liobas Blick schlich sich Unsicherheit und sie biß sich auf die Unterlippe, aber nur kurz, dann sagte sie mit Bestimmtheit: “Viele Jäger nicht gutgut (genug für) Taati Mulla (mit) Rakkaus-Antaa. Wer (wird) sein Jäger (für) Rakkaus-Antaa?

Tschiiba sah Lioba sichtlich überrascht an: “Rakkaus-Antaa wissen, wer Du wollen sein Dein Jäger. Rakkaus-Antaa bestimmen!”

“Guut. Rakkaus-Antaa gewählt!”

“Guut, Du Frühjahr kleinklein Kind!” Tschiiba schien sich zu freuen. “Viel Kind du haben?” wurde sie neugierig.

“Rakkaus-Antaa kein Kind”, sagte sie traurig. Ja, sie mochte es zu wandern und die Bauern der gesamten Baronie zu betreuen. Hatte viele Freunde, doch einen Ehemann und Kinder hatte sie bisher noch nicht und sie wusste, dass sie schon fast zu alt dafür war. “Rakkaus-Antaa allein, wie Mailam gesterngestern viele, kein Jäger.”

Tschiiba spürte den Schmerz von Rakkaus-Antaa und konnte diesen nur zu gut verstehen. Sie streichelte der so freundlichen Menschenfrau über das Haar. “Heute anders! Heute Taati Mulla. Du Jäger. Dann kleinklein Kind.” versuchte sie zu trösten und Mut zu machen.

“Ja, heute Taati Mulla”, lächelte sie traurig. Tschiiba würde nicht verstehen, dass eine Frau mit einem unehelichen Kind in der Welt der Menschen nur schwer einen `Jäger` finden würde. Allein das Prinzip von Ehe war den Goblins fremd. Leise seufzte sie. “Rakkaus-Antaa reinigen Tschiiba”, versuchte sie das Thema zu wechseln.

Tschiiba fühlte, dass ihre Worte nicht die aufmunternde Wirkung entfalteten, die sie erhofft hatte. Rakkaus-Antaa war doch nicht etwa unfruchtbar? Neinnein, aber doch nicht heute! Ganz behutsam strich sie mit der rechten Hand, um die sich die gute Menschenfrau nebst dem ganzen zerfleischten Arm so gekümmert hatte, über deren Stirn, wie die Älteste es nachher tun würde: “Suncuua Segen Mailam! Dann kleinklein Kind! Du sehen!”

“Du sicher richtig. Rakkaus-Antaa vertrauen.” Sie nahm die Hand der Goblinfrau und drückte diese sanft. “Danke.”

Die vielfache Mutter Tschiiba freute sich, dass Rakkaus-Antaa Vertrauen in die besondere Kraft der heutigen Nacht fasste, und ließ sich nun mit Wonne von dieser reinigen, wie ihre genießerisch halb-geschlossenen Augen und ihr wohliges Grunzen bestätigten.

***

Inzwischen saßen alle bereits eine Weile gemeinsam in dem kleinen Nebenbecken, reinigten sich ausgiebig und ließen es sich im Wasser so gut gehen, wie es jeweils ging. Offensichtlich hatten die Frauen der Tuluukai-Brydh-Blogai soweit Zutrauen in die Gäste gefasst, die dort so einmütig bei ihrer Ältesten saßen, dass sie sich nun auch wieder ganz der gegenseitigen Körperpflege hingaben, teils ruhig und andächtig, teils aber auch angeregt schwatzend.
Jenseits der Mitte des ganz großen Beckens, das weite Teile der Höhle einnahm, befanden sich kaum mehr der Suulak, kam doch etwa dort von unten das heiße Wasser empor, das unmittelbar über der Austrittstelle unangenehm heiß war und erst nach Durchmischung mit kühlerem Wasser erträglich und schließlich wohltuend wurde. Es kam nicht von ungefähr, dass die Goblins im großen Becken beinahe wie auf einer Kette aufgereiht badeten und mit jedem heißen Schwall ein wenig wegrückten und danach wieder langsam auf die Quelle zudrifteten.
So wäre wohl auch niemandem der jäh auftreibende Leib aufgefallen, wäre mit diesem nicht auch eine Lichtkugel aufgetaucht, die sich aber kurz danach in der Dunkelheit des Höhlenendes, wo das Wasser in der Wand verschwand, auflöste.
Erschrocken eilte gleich eine ganze Frauentraube zu Suncuua, um der Schamanin aufgeregt von ihrer Sichtung zu berichten.
Überraschend behende schwang sich die Älteste aus dem Wasser, das noch in langen Strömen von ihrem Fell rann und tropfte. “Noch Euch Freunde? Schauen!”

Freunde? Keinen dieser Grünschnäbel konnte sie tatsächlich als Freund betrachten, sie hatten diesen Abend gestört - Teils wissentlich, aber auch unwissentlich. Dennoch hatte sie inzwischen gelernt, dass Leben zu kostbar war um es zu vergeuden. “Eine Suchende …”, stellte sie deshalb fest.

“Wer auch immer das ist, er oder sie braucht Hilfe”, sagte Lioba und machte sich auf den Weg Richtung Llyilliala. “Kommt schon, steht da nicht so rum”, forderte sie die anderen auf. Den Goblins rief sie zu: “Helfen. Heute Taati Mulla. Fest von Leben.”

Auch Khorena erhob sich und eilte in Richtung der im Wasser treibenden Gestalt. Neugierig beugte sie sich vor um zu sehen, wer das wohl war. Ein dumpfes Stöhnen entrang ihrer Kehle als sie die Elfe erkannte, die mit ihrem Bogen beinahe für schwerwiegende Probleme gesorgt hätte. Der Priesterin Blick glitt an dem gertenschlanken Körper der Bewusstlosen herab und verharrte dann an dem Gürtel und dem Dolch. Einmal mehr stöhnte sie auf und warf Lioba einen entnervten Blick zu. Sie verabscheute Waffen zutiefst. Mit schnellen Bewegungen löste sie den Gürtel und reichte ihn, samt Dolch, an eine der umstehenden Goblinfrauen weiter. Erst dann packte sie mit an um die Elfe auf den Beckenrand zu hieven. Atmete sie überhaupt noch?

“Licht vielviel schnell”, rief Rakkaus-Antaa und eilte zur Elfe, sie drehte ihren Körper auf die Seite und schlang dabei ihre eigenen Arme um die Brust der Bewusstlosen und drückte ein paar mal kräftig zu. Sie hatte sicherlich Wasser verschluckt und das musste erstmal raus, bevor sie sich um die Atmung kümmern konnte. “Khorena haltet ihren Kopf seitlich und streckt den Hals ein wenig, wenn sie sich bewegt, lasst sofort wieder los.” Ihre Stimme war sicher und beherrscht, freundlich, doch keinen Widerspruch duldend.

Suncuua hatte noch ein Säckchen aufgenommen und war dann hinter den anderen zur Elfe geeilt, nicht ohne vorher den anderen anwesenden Frauen ihres Stammes gedeutet zu haben, zurückzubleiben.
Da sie sah, dass sich bereits die Tochter Mailams und Rakkaus-Antaa des leblosen Körpers annahmen, griff sie nach ihrem Beutelchen, öffnete dieses ein wenig und steckte ihren rechten Zeige- samt Mittelfinger hinein. Als sie diesen wieder herauszog, waren beide mit einem weißen Puder benetzt, mit dem sie anfing, rasch ein Wildschwein auf die Stirn der Elfe zu zeichnen. Trotz oder vielleicht auch wegen der Feuchte blieb die Farbe gut haften. Dabei gab sie unverständliche Wortfetzen von sich, halb gemurmelt, halb in einer monotonen Melodie gesungen.
Derweil nahmen zwei der Frauen der Suulak ihren Mut zusammen, dem Winken Liobas zu folgen und kamen mit zwei brennenden Fackeln herbei.

Die junge Frau war der Aufforderung Liobas sogleich nachgekommen und hielt nun den Kopf der Elfe in ihre Händen. Sie strich der Bewusstlosen ein paar nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht. Nachdenklich betrachtete Khorena das Gesicht der Elfe. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, sich hier einzuschleichen und wo war sie überhaupt hergekommen? Das leise Gemurmel von Suncuua ließ sie aufblicken und neugierig verfolgte sie, wie diese die Figur auf dem Gesicht der Elfe malte.

Nachdem sie ein paar mal gleichmäßig und kräftig gepresst hatte, war Suncuua mit dem Zeichnen fertig. Die Elfe rührte sich nicht, also beugte sich Lioba über sie, hielt deren Nase zu und blies ihren Atem in den Mund der Elfe. Andere, die nicht wussten, was sie da tat, mochten es für einen Kuss halten. Drei, vier mal blies sie, dann fing sie wieder an knapp unter den Hügeln auf die Bewusstlose zu drücken.

Inzwischen hatte sich Suncuua noch die Handflächen eingepudert und drückte Llyilliala zum Abschluss ihres Rituals die Abdrücke beider Hände auf die Wangen.
Im selben Moment zeigten Liobas Bemühungen endlich Wirkung: der Brustkorb der Elfe begann heftig zu beben, als diese in einen heftigen Husten ausbrach und einen Schwall Wasser von sich gab, dem weitere folgten.
Die Schamanin hockte sich aufrecht und taxierte von oberhalb des Hauptes der Geretteten eingehend deren Reaktionen.

Befinna hatte den entstandenen Aufruhr genutzt und die Ruhe genossen, als die anderen sich zu einer unbekannten Frau hinbewegten. Kurz schloss sie ihre Augen, doch dann traf sie die Erkenntnis wie Rondras Blitz. Was tat sie denn? Hier ganz alleine? Die Baroness sammelte sich erstaunlich schnell und watete zu den anderen.

Das erste, was Llyilliala verspürte, als ihre Sinne zurückkehrten, war ein überwältigender Würgereiz. Hustend und keuchend gab sie das in ihre Lunge eingedrungene Wasser mühsam von sich. Dann bemerkte sie, dass sie nicht mehr allein war und dass eine Menschenfrau nahezu auf ihr lag, während ihr Blick den einer Goblinin traf. Ihre Hand fuhr zu ihrem Dolch und sie versuchte, aufzuspringen. Doch der Dolch war nicht da. Und um sie herum standen noch weitere Menschen ... die sie kannte, vom Sehen zumindest.

Die beiden jüngeren Goblinfrauen, die die Fackeln gebracht hatten, sprangen angsterfüllt zurück und kauerten sich hinter der ersten Deckung, die sie finden konnten, zusammen. “Wjassus! Wjassus turuvkorvu!” Hörte man sie keuchen, und sie wagten gar nicht hinzusehen. Hoffentlich würde die Älteste mit dem Geist fertig werden. Sicher würde sie… musste… Aber die schien zunächst nur zuzuwarten...

Gehetzt suchte Llyilliala nach einer Lücke, nackt, ohne Waffen, ausgeliefert, wie sie war, doch dann kämpfte sie die Emotionen des in die Enge getriebenen Tieres nieder. Hätte man sie töten wollen, könnte sie jetzt nicht mehr darüber nachdenken. Mit einer sichtlichen Anstrengung entspannte die Elfe sich, wenn sie auch eine Position suchte, in der niemand mehr in ihrem Rücken war. Sie hob die Hände mit den Handflächen nach außen und sprach auf Garethi: "Ich werde euch nichts tun."

“Gut zu wissen”, sagte Mutter Waldlieb, “ich fände es äußerst bedauerlich mein Leben auszuhauchen, als Dank dafür, dass ich das Deine gerettet habe. Und das heute: an Taati Mulla.” Sie gab die Elfe frei: “Wie fühlst Du Dich?”

Ihr Leben gerettet? Llyilliala blickte die ältere Frau an. Und hatte das gerade Ironie sein sollen? “Ich …”, begann die Elfe, hielt dann aber inne und lauschte in ihren Körper. Ihr war noch ein wenig schwummrig zumute, flau im Magen, das eingeatmete Wasser kratzte in ihrem Hals, aber sonst fühlte sie sich schon wieder einigermaßen gut. “Gut”, antwortete sie also. “Was ist ‘Taati Mulla’?” Nach einem wachsamen Blick auf die Goblins nahm sie die Hände herunter.

Befinna starrte den Neuankömmling derweil an - in einer Mischung aus Neugier und Furcht. Eine echte Elfe. Sie liebte die Geschichte über dieses Volk. War es jene, die sie zuvor im Heiligtum auszumachen schien? Die Baroness hielt sich etwas zurück beobachtete das hübsche Wesen jedoch neugierig und auch die gesprochenen Worte interessierten sie.

“Taati Mulla ist ein Fest des Lebens und der Fruchtbarkeit. Ein Fest zu Ehren der großen Mutter”, erklärte Lioba. Das Wort ´Sau´ ließ sie dabei absichtlich weg. Mit Blick auf Befinna und ihre Gastgeber fragte sie: “Wer bist Du und was machst Du hier?”

“Ich bin Llyilliala von Lar’ilayant und ich suche”, antwortete die schwarzhaarige Elfe mit den grauen, fast ein wenig silbern schillernden Augen, ohne zunächst auf die Erklärung einzugehen. Ihre sonst so melodiöse Stimme klang noch deutlich mitgenommen von der eben überstandenen Tortur, aber sie ließ sich kein Unbehagen anmerken. Für eine Elfe war sie nicht sehr groß, vielleicht etwas über 85 Finger, dafür von schlankem und vollkommenem Wuchs, wie in ihrer Nacktheit unschwer zu erkennen war. “Und wiE nennt man euch?” Sie machte eine Geste, die alle Anwesenden umfasste. Aus irgendeinem Grund blieb ihr Blick an Befinna ein wenig länger hängen.

Lioba lachte. “Das kommt darauf an, wen ihr fragt. Hier bin ich Rakkaus-Antaa, die meisten Menschen nennen mich Waldlieb, meine Mutter gab mir den Namen Lioba. Wen oder was suchst Du denn?” Auch, wenn sie Befinna gerade brüskierte, vermied sie es die anderen vorzustellen.

Llyilliala runzelte leicht die Stirn. Geben und Nehmen war der Lauf der Natur. Man nahm nur, was man brauchte, und gab, was man entbehren konnte, und am Ende glich sich alles aus. Doch bei den Menschen war es meistens anders. Sie nahmen, was sie kriegen konnten, ob sie es brauchten oder nicht, und sie gaben niemals bereitwillig. Diese Frau gab ihr wenig. “Das weiß ich, wenn ich es gefunden habe.”
Unvermittelt wandte sie sich der jungen, unsicheren Frau zu, die nicht hierher zu passen schien. “Wer bist du?”

"Regintrud Befinna von Fadersberg", stellte sich die Baroness mit leiser Stimme vor. "Meine Schwester Wunnemine ist die hiesige Baronin." Sie musterte die Elfe interessiert, aber scheu. Dabei fiel es ihr aber schwer den Blick der Unbekannten zu halten. "Ih … äh … du bist eine Elfe", sprach sie das Offensichtliche aus.

“Du bist ein Mensch”, gab Llyilliala mit der schwächsten Andeutung eines Lächelns zurück und musterte weiter unverwandt die junge Frau … das Mädchen. “Was tust du hier?” fragte sie dann weiter.

Befinna verstand nicht so recht. Natürlich war sie ein Mensch. “Ich … ich weiß es nicht …”, beantwortete sie dann die Frage der Elfe. “Ich weiß ja nicht einmal wo ich bin. Wir wurden hierher geführt und es gibt hier anscheinend ein … Fest.”

“‘Taati Mulla’, ja.” Die goblinischen Worte vertrugen sich nicht recht mit dem Stimmorgan der Elfe, aus ihrem Munde hörte sich der Begriff seltsam dissonant an. “Willst du hier sein?” fragte Llyilliala weiter, obwohl sie die Antwort schon zu kennen glaubte.

Die junge Frau hob zur Antwort ihre Schultern. "Nun, ich wurde nicht gefragt", meinte sie dann knapp. "Und du?"

“Ich auch nicht”, antwortete Llyilliala, absichtlich mit der Zweideutigkeit der Frage spielend, was man vielleicht an dem nun etwas deutlicher ausgeprägten Lächeln um ihren Mund erkennen mochte. Oder auch nicht. Dennoch, die Elfe entspannte sich langsam. Alle hier waren nackt und unbewaffnet, niemand wollte ihr bisher ans Leder, selbst die Goblins schienen friedlich zu sein, und der Name des Festes ließ ebenfalls keine bevorstehende kriegerische Auseinandersetzung befürchten. Aber noch gab es zu viel, dass sie nicht wusste, also fragte sie weiter: “Das war nicht die Antwort auf meine Frage. Willst du gehen?”
Alle anderen Anwesenden waren im Moment nur Schatten am Rande ihrer Wahrnehmung, aber dennoch in ihren Gedanken präsent. So galten ihre Fragen nur dem Wortlaut nach dieser Regintrud Befinna von Fadersberg. Ob zumindest die Menschen sich dessen bewusst waren?

“Wo soll ich denn hin?”, antwortete die Baroness und wies an sich selbst herab, ganz so als wolle sie ihr Gegenüber auf ihren nackten Zustand aufmerksam machen. “Die Goblinfrau hat mir auch gesagt, dass ich Mam … äh ... meine Mutter sehen kann.” Nun schien es als würden ihre Augen vorfreudig leuchten.

Wieder keine Antwort auf ihre Frage. Ihre Mutter sehen? Was auch immer das bedeuten sollte, vermutlich war es nicht wichtig für Llyilliala. Sie wandte sich nun doch den anderen zu, die zumindest weniger unsicher zu sein schienen. Die ältere Goblinfrau behielt sie aus den Augenwinkel im Blick. “Was ist das hier für ein Ort? Warum wird gerade heute gefeiert?” Ihr Blick fiel auf Lioba, dann auf Khorena und Aedha. Nach allem, was sie mitgehört hatte, war keiner heute freiwillig hier, von Aedha vielleicht abgesehen, aber das mochte auch ein falscher Schluss sein, weil sie die Situation noch immer nicht durchschaute.

Jede Regung, jede Bewegung, jedes Wort und jeder Blick der Elfe standen unter genauester Beobachtung Suncuuas. Was Mailam Rekdai nur im Sinne hatte, ausgerechnet heute Nacht eines dieser geisterhaften Wesen aus dem Boden zu wühlen und ihnen vor die Füße zu werfen? Einerseits sorgte sich die Schamanin um den Frieden und die Harmonie des Taati Mulla, brachten doch die Spitzohren selten Gutes, andererseits konnte es kein Zufall sein, musste etwas bedeuten. Nur was? Sie sah, wie die Elfe sie aus den Augenwinkeln ebenfalls immer wieder beäugte. Suncuuas Blick zuckte deshalb nicht weg, sondern ruhte nach wie vor und unverhohlen auf ihr, versuchte, in den fremdartigen Augen der Elfe zu ergründen, ob Feindseligkeit, gar Boshaftigkeit oder doch andere Motive sie hierher führten. Wie alt und zaubermächtig dieses Wesen auch sein mochte - sie war die älteste ihres Stammes, sie war eine Tochter Mailams.
Als sich ihre Blicke ein weiteres Mal kreuzten, bleckte Suncuua ihre Zähne zu einem Lächeln, und sie ließ den Arm einmal um sich kreisen: “Heilig Ort sein. Viel Leben! Mutter Sau schenken Suulak. Suulak jetzt feiern Leben.” Dann deutete sie auf Llyilliala: “Aber Du suchen Dein Volk.” unterstellte sie. “Tot sein. Lange.”

Llyillialas Kopf ruckte herum, als die alte Goblinfrau sie ansprach. "Mein Volk stirbt nicht ... es ist nur fort ... zumindest von diesem Ort", gab sie mit einer gewissen Schärfe zurück. "Aber ... etwas ... davon mag hier noch irgendwo verweilen. Ich muss den Geist dieses Ortes trinken, um seine Geschichte zu ergründen und seinen Ruf zu hören. Ich muss seinen Willen erspüren, um seiner Absicht zu gedenken." Abrupt hielt die Elfe inne. Ihr missbraucht die Kraft dieses Ortes, die älter ist als eure Götter leben, drängte es aus ihr heraus, doch sie fing die Worte, bevor sie ihren Mund verlassen konnten. Im Moment war sie eine Gefangene, ohne sichtbare Ketten zwar, aber dennoch. Wer weiß, was passierte, wenn sie die Goblins provozierte, Feierstimmung hin oder her. Dennoch konnte Llyilliala nicht verhindern, dass ihre Augen gefährlich aufblitzten.

Eigentlich war die Hexe wegen all der ungewollten Gäste und der mit ihnen kommenden Störungen aufgebracht, zugleich aber hatten sie in ihrer jugendlichen Art etwas belustigendes. Sie waren Kinder, einige mehr als andere, doch sie alle waren noch so unglaublich jung und unerfahren. Als die Elfe davon gesprochen hatte, den Geist dieses Ortes trinken zu müssen, hatte die rothaarige leise und nur kurz, doch angenehm warm gelacht.

Irritiert blickte Llyilliala zu Aedha hinüber, doch da begann schon Khorena zu sprechen.

“An diesem Ort und in dieser Nacht haben Gewalt und Zwietracht nichts zu suchen. Wie Mutter Suncuua schon sagte, dies ist ein heiliger Ort, an dem das Leben gefeiert wird. Niemand will dir etwas böses. Du hast die Suulak, die Goblins nur mit deiner Anwesenheit und deinen Waffen verschreckt.” versuchte Khorena auf die Elfe einzuwirken. “Wenn du mehr über dein Volk in den Nordmarken erfahren willst, solltest du nach Rodaschquell gehen und mit der Baronin dort sprechen. Sie gehört deinem Volk an.”

Von der Elfenbaronin hatte Llyilliala schon gehört, doch ob sie bei dieser viel erfahren konnte? Wer sich so sehr in die menschlichen Hierarchien einfügte, hatte doch bestimmt verlernt, die feineren Töne der Melodie der Welt zu hören und zu verstehen. Aber das war eine Überlegung für einen anderen Tag.

Suncuua pflichtete Khorenas Worten nickend bei. “Wenn du Frieden, du hier sicher!” versicherte sie der Elfe. Ihr war das Blitzen in deren Augen keineswegs entgangen. “Dein Volk nein fort.” widersprach sie dann Llyilliala, in leisem Tonfall. “Da sein. Tot. Das übrig sein, böse! Da Wald dunkel. Nein trinken! Nein Willen spüren! Nein Ruf hören! Böse!” warnte sie Llyilliala eindringlich. “Hier du sicher.”

Llyilliala kniff die Augen zusammen. “Was ist übrig? Was meinst du mit ‘böse’?” Nun war ihr Interesse erst recht geweckt. Wenn hier Dinge aus der Vergangenheit ihr Unwesen trieben, dann sollte sie diesen erst recht auf den Grund gehen.

Die Stammesälteste starrte die Elfe einige Momente an, in denen sie mit sich selbst rang, ehe sie sich näher zu dieser neigte und doch noch auf deren Fragen einging. Ihre Stimme war nurmehr als ein Wispern zu vernehmen, schwer zu hören aber nichtsdestoweniger eindringlich: “Tot sein.” Sie riss ihre Augen weit auf: “Nein aufessen Mutter Sau! Nein weg!... Immer da!” Auf einmal schoss ihre Hand vor und umschlang das Handgelenk Llyillialas. “Gieren Leben! Nehmen Leben! Auch Dein!” Die Stammesälteste ließ die Elfe wieder los und schüttelte sich kurz, dann sah sie in die Runde. “Heute Taati Mulla! Leben! Nein Tod! Nein Angst! Freuen!”

Verwirrt schaute Llyilliala erst die Goblinin an, dann die Menschenfrauen. Das gebrochene Garethi der Goblinfrau bereitete ihr Schwierigkeiten. Erst verspätet nahm sie die Berührung der Schamanin überhaupt war, und bevor sie ihre Hand unangenehm berührt wegziehen konnte, hatte diese sie schon wieder losgelassen. Ihr fragender Blick irrte herum, dann richtete er sich auf Aedha und nahm an Intensität zu. “Ich verstehe nicht … ?” fragte sie auffordernd.

Einen Augenblick überlegte die Hexe wie sie den Zustand des Ortes am Besten für die Elfe beschreiben konnte. “Das Leben, dass dort einst durch dein Volk einzug gehalten hat, ist fort. Das Böse hat, das Gute verdrängt und einen verderbten Ort zurückgelassen. Statt des Todes, möchte Suncuua das du dich heute für das Leben interessierst.”

Suncuua pflichtete nickend bei. Wenn sie doch die Zunge der Menschen besser beherrschte. Aber ihr ganzes Leben lang, viele Sommer und Winter schon, hatte es gereicht, und die der Menschen, die gelegentlich zu ihr kamen, sprachen zumeist in der ihren.

Llyilliala fühlte, dass hier eine Aufgabe auf sie wartete. Aber sie spürte auch, dass sie diese nicht hier und heute würde angehen können. “Nun gut”, wandte sie sich hauptsächlich an Aedha und Suncuua, “ich will euer Fest nicht stören. Aber nach dem Fest will ich mehr darüber wissen. Vor allem, was dieses ‘Böse’ sein soll.”

Abermals nickte Suncuua, diesmal aber zögerlicher. Die Elfe wühlte wie eine Sau. War es die Mutter aller Säue Mailam Rekdai, die durch sie den modrigen Boden umwälzen wollte, oder war jene doch ein Werkzeug der bösen Geister ihrer eigenen Ahnen? Sie würde sie genau im Auge behalten. Wie gut, stellte sie für sich nochmals fest, dass die ewigjunge alte Frau und die junge Tochter Mailams heute da waren. Beiden widmete sie einen eindringlichen Blick.
“Mehr wichtig Leben fühlen nein Tod wissen! Mehr wichtig gut sein nein böse sehen.”

Llyilliala nickte knapp, auch wenn sie nicht wirklich der gleichen Meinung war. Später. Nach dem Fest. Sie machte eine auffordernde Handbewegung, um anzuzeigen, dass das Fest seinen Gang nehmen konnte.

***

Wie aus großer Entfernung ertönte auf einmal ein gedämpfter, aber dennoch gut vernehmbarer Ton, einem Hornstöße gleich. Im selben Moment verstummten die Trommeln.
Suncuua blickte auf, sah hinüber zu den ihren und dann in die Runde. “Taati Mulla!” sprach sie aus, was in sicherer Entfernung auch von den rüberäugenden Goblinfrauen geraunt wurde.

“Abhängen, Dämpfen und Räuchern”

Tsamitrius, Ulfaran und Rondrard wurden nach oben geführt und erreichten nach einigen Windungen und größeren und kleineren Hohlräumen eine große, relativ runde Höhle, die ein wenig so aussah, als sei sie von einem Mühlstein ausgefräst. Einige Schritt über ihnen verjüngte sich der Raum, doch schloss die Decke nicht vollends, sondern besaß ein großes Loch, durch das der Rand des Madamals verschwommen zu erahnen war und auch die Sterne zu sehen gewesen wären, stiege nicht durch einige längliche, schmale Klüfte im Boden und den Wänden Dampf in die Kaverne, der durch die Öffnung in die Wälder entwich. Auch in diesem Raum brannte ein Holzfeuer, von dem ein merkwürdiger, einerseits recht rauchiger, andererseits auch würziger Geruch ausging, der mit dem aus der Tiefe empor dringenden Dampf eine eigentümliche Melange bildete und sich schwer auf Nase und bald auch Zunge legte.
"Puhdista! Pysyä aika Kurim!" grunzte einer der Jäger, ebenfalls ein stattlicher Goblin, auf dessen Haupt das struppige rote Fell aber eine gar nicht mehr so kleine Pläte aufwies. Er deutete auf einige Felle, die um das Feuer herum platziert waren, offenbar sollten die Menschen Platz nehmen. Jedenfalls taten das die Goblins, vierzehn an der Zahl, ihrerseits und sahen die drei Männer auffordernd an.

“Wir sollen rein werden. Und auf die Zeit des Jägers warten”, übersetzte Rondrard knapp. Er schien nicht ganz bei der Sache, wirkte vielmehr erschrocken. Suchend fuhren seine Blicke herum.

Tsamitrius schaute sich um und lächelte den Männern zu. Das erste mal, dass der stille Mann nicht mehr grimmig schaute. “Ihr habt gehört. Rein werden.” Mit geschickten Griff löste er seinen Gürtel und zog seinen Wams über den Kopf. Ziemlich schnell war klar, das der Schweinsfolder von schlanker Gestalt war, doch offensichtlich körperlich tätig. Definierte Muskeln zeigten einen athletischen Körper. Als auch die Hose fiel, sah man eine Tätowierung oberhalb seines Schams: Eine Eule unter einem Sichelmond. Der Hexer streckte sich und nahm dann mit einem Schneidersitz auf den Fellen platz, ohne sein Wolfsmesser in der Nähe zu wissen...

Ulfaran dementgegen machte keinerlei Anstalten sich zu entkleiden. Bei genauerer Betrachtung hatte er das schon sicherlich seit Monden nicht mehr, so verfilzt waren seine Haare und sein Bart. Über die Tatsache, dass er von seinem Schützling getrennt wurde war der Alte nicht sonderlich zufrieden, doch zwang sie die Situation, sich anzupassen. So also setzte er sich auf den ihm zugewiesenen Platz und rümpfte ob der gehetzten Attitüde des jungen Ritters die Nase. “Was suchst du Bursche?”

"Wen werde ich wohl suchen...?" gab Rondrard ebenso barsch zurück. Er hatte Befinna doch versprochen, auf sie aufzupassen. Und kaum waren sie in den Höhlen, waren sie auch schon getrennt worden. Nicht dass Rondrard sich Sorgen darum machte, dass ihr etwas zustoßen könnte - solange sie Lioba und Khorena bei sich hatte und an der Seite Aedhas weilte, musste sie sich wohl vor nichts in diesen Höhlen fürchten. Aber was ihre Angst und Verunsicherung mit ihr machten, mochte er sich lieber nicht ausmalen. Am liebsten wollte er direkt kehrtmachen, was nicht nur Ulfaran, sondern auch den Goblins im Raum nicht entging. Ein scharfes und unmissverständliches "Mailak Puhdista Suncuua, yksin!" (Die Frauen/Mütter werden bei Suncuua rein, alleine!) machte ihm klar, dass er gegen die Sitte verstieße, versuchte er jetzt zu den Frauen zu gelangen, und er durfte nicht darauf hoffen, dass man ihm dies durchgehen ließe.
Also fügte er sich dem Unvermeidlichen.
"Reinheit schadet uns allen nicht!", vermerkte er zu den beiden anderen Menschenmännern, meinte damit aber spürbar Ulfaran. Unter zustimmendem Gekecker der Goblins in der Höhle entledigte er sich dann, Tsamitrius' Vorbild folgend, ebenfalls seiner Rüstung und Gewandung und platzierte diese an einem trockenen Plätzchen. Rondrard war weit schmaler, als er bekleidet wirkte, doch offenbarte jede Bewegung seines recht stark behaarten Körpers, dass er beileibe kein Schwächling war. Dann setzte er sich neben Tsamitrius, straffte sich und atmete einige Male tief ein und aus. War es die Müdigkeit oder der Dampf, der ihn kurz schwindeln ließ? Aber es ging ja schon wieder...
Wie würde dieses Reinigungsritual ablaufen? Ein leises, grunzendes Schwatzen und ein Geräusch, dass er selbst als Lachen erkannte, gegenüber verriet ihm, dass offensichtlich kein Stillschweigen erwartet wurde. Als zwei der Jäger begannen, sich gegenseitig das Fell zu durchsuchen, und es ihnen weitere bald nachmachten, löste sich seine Anspannung ein wenig und gab einem nur halbherzig unterdrückten Grinsen Raum. "Na, was sagt Ihr? Hättet Ihr damit gerechnet, dass Ihr heute Abend nackt unter Goblins sitzen würdet?" eröffnete er das Gespräch mit Tsamitrius, mit dem er bislang kaum ein Wort gewechselt hatte.

“Nackt schon … Rotpelze eher weniger.”, war Tsamitrius Antwort und ignorierte Ulfaran. “Wir sind an einem heiligen Ort der Fruchtbaren. Ist es euer erstes Mal, an solch einem Ritual teilzunehmen? Wenn ihr euch unsicher seid, solltet ihr Khorena als erstes erwählen. Sie wird euch die Unsicherheit nehmen.” Dann legte er seine Hand in Rondrards Nacken und massierte ihn fest. “Entspannt euch. Die große Mutter ist mit uns heute Nacht.”

Ulfaran gab darauf nur ein tiefes Grunzen von sich. Die Lumpen, die ihn kleideten, hatte er nicht abgelegt, doch hatte er schon vor Jahren verstanden, dass dieses Ritual weit über eine körperliche Reinigung hinausging.

“Ich war schon einige Male hier, doch noch nie so tief in den Höhlen.” gestand Rondrard, zunächst ein wenig an der Frage Tsamitrius’ vorbei ein. “Und ein Fruchtbarkeitsritual dieser Art habe ich noch nicht miterlebt.” Zu seiner eigenen Verwunderung ließ er die Massage seines Nackens durch den Vetter Khorenas, den er eigentlich gar nicht kannte, ohne Zucken geschehen. Irgendwie wirkte der Vorgang in Gesellschaft der sich gegenseitig lausenden Tuluukai wie das natürlichste auf der Welt. Eher irritierte ihn die Bemerkung des Schweinsfolders über Khorena. “Ich habe… um ehrlich zu sein… noch gar nicht darüber nachgedacht… was es für uns selbst bedeutet… bei dem, was da auf uns zukommt, dabei zu sein.” Vor allem für Befinna. Er schwieg und schluckte. Gleichzeitig aber spürte er, wie sich im Nacken tatsächlich erste Verspannungen zu lösen begannen. “Ihr scheint Khorena schon lange und sehr gut zu kennen?”

“Kinder die in solchen Nächten gezeugt werden, sind der Mutter ganz besonders.” hing der Hexer noch an. Dann hörte er auf Rondrard zu massieren. “Sie ist meine Base. Aber sie ist der großen Mutter auch sehr nahe.” Sein Blick wanderte nun zu Ulfaran. “Habt ihr etwas vor der großen Mutter zu verbergen? Oder ist es auch euer erstes Fruchtbarkeitsritual? Den Frauen zu liebe könnt ihr wenigstens ihnen eure alte Kutte ersparen.”, stellte Tsamitrius fest.

Ulfaran verdrehte die Augen. Mit großer Mühe entwirrte er das Leinen seiner Kleidung und die verfilzten Haare an Bart und Brust. Seinen von oben bis unten behaarten, dennoch leidlich sehnigen Körper ließ er schlaff auf die Sitzgelegenheit zurückfallen. Vereinzelte Käfer huschten, vom wenigen Licht in der Höhle geblendet und aufgescheucht, über die krause Brust. Zyniker würden behaupten, dass der bärtige Mann sich kaum von den pelzigen Goblins unterschied.

Rondrard erschrak - und sein Gesicht sprach Bände davon, wie es in ihm arbeitete: Tsamitrius schien tatsächlich davon auszugehen, dass sie alle mit vollem Einsatz am Taati Mulla teilnahmen - aber natürlich, was sonst sollte es bedeuten, dass sie ins offensichtliche Reinigungsritual einbezogen wurden? In diese Richtung hatte er noch gar nicht gedacht. So verlockend die Aussicht einem Teil von ihm einerseits erschien, so sehr fürchtete sich der Ritter in ihm auch davor. Befinna war doch jetzt schon von allem überfordert. Er wusste von Ringard, dass die Baroness sicherlich ganz andere Vorstellungen von der Liebe hatte, als sich dieser zuallererst hier, unter Goblins hinzugeben. Auch wenn es wohl kaum einen besseren Ort und eine bessere Zeit als im Schoße der großen Mutter geben konnte, konnte er sich nur allzu gut in Befinna hineinversetzen. Er musste etwas tun. Er wollte sie doch beschützen.
Ihm wurde schummerig. War das die Vorstellung des Bevorstehenden, oder dieser Dampf? Oder der Anblick des Wimmelns auf dem Leib des Druiden? Rondrard riss die Augen weit auf und versuchte den aufkommenden Schwindel abzuschütteln.

Tsamitrius fühlte wie sich langsam seine Sinne öffneten. Langsam spürte er IHRE Nähe. Er wünschte sich nur, das dieser schmutzige Mann mit seiner schlechten Körperpflege die armen Frauen nicht zu viel zumutet. Oder ließe er sich darauf ein mit den Goblinweibchen …. ? Nun schenkte er Ulfaran ein Schmunzeln. “An Befinna liegt euch viel, nicht wahr?” Sein Blick suchten den besorgten von Rondrard. Mit einem stummen Nicken bejahte Rondrard die Frage Tsamitrius’. “Versucht zu vertrauen." fuhr Tsamitrius fort. "Heute ist die Nacht Tsatuaras. Und sie ist mit den anderen Frauen. Khorena, Mutter Waldlieb und Aedha”, wobei er bei der letzten nur mutmaßte, “sind Priesterinnen. Sie ist in sicherer Gesellschaft und alles was heute passiert, wird freiwillig geschehen. Die Große Mutter verabscheut Gewalt. Das haben auch die Goblins begriffen.” Er sog tief die rauchige Luft ein.

“Nur die Goblins verstehen anderes unter Gewalt als ihr”, brummte Ulfaran, der den Rauch genüsslich einsog. “Zum Beispiel sind sie weit nicht so verklemmt, sondern körperlicher.”

Auch hier hatte der Druide Recht, aber dennoch. “Egal wie sie Gewalt verstehen, bin ich mir sicher, dass Befinna kein Leid von Ihnen geschehen wird.” Rondrard sah nachdenklich in die Flammen. Auf seiner Stirn bildeten sich erste große Schweißtropfen, von denen einer seine Wange hinabfloss. “Ich sorge mich eher darum, wie sie selbst reagiert… sie hat zuletzt viel durchmachen müssen… vieles, auf was sie nicht vorbereitet war… ihre Welt ist gewissermaßen zerbrochen. Es kann sein, dass das hier alles zu viel für sie ist, nach alldem, was die letzten Tage bereits geschehen ist. Aber Ihr habt Recht - ich kann nur darauf vertrauen, dass Khorena und Mutter Waldlieb bei ihr sind.” Welche Rolle Aedha spielen würde, konnte er nicht einschätzen. “... auch auf die Weisheit der Suncuua...” Er nahm einen tiefen Atemzug. Langsam begann er sich an das seltsame Gefühl zu gewöhnen. Und ihm wurde etwas leichter ums Herz. “... und auf die heilsame Kraft der großen Mutter.”

Die Gesichtszüge des Schweinfolders entspannten sich nun komplett. Dann nahm er die Hand Rondrards. “Wenn das so ist, wie du sagst, dann ist heute Nacht die Richtige für Befinna. Die Mutter bietet Vergessen und Erkennen. Es kann sein das Tsatuara ihr eine Bestimmung gibt, ihr einen Weg aufzeigt. Im Morgengrauen kann ihre zerbrochene Welt schon eine neue, vollständige sein. Das gleiche kann auch dir passieren … uns …” Sein Blick wanderte nun zu dem Druiden. Tsamitrius Pupillen weiteten sich. Tsatuaras Herrlichkeit kam in kleinen Schritten.

“Wovor haben deinesgleichen Angst, wenn eure künstliche, mechanische Welt zerbricht? Was verliert ihr? Zerbrechen eure Mauern? Fallen eure Türme ein? Sie sind nichts im Vergleich zur Schönheit von Sumus Leib. Befinna kann froh sein, dass eure kleine Welt zerbrochen ist. Heute Nacht kann sie die Augen öffnen.” Ulfaran musste sich mäßigen. Die Wirkung des Stechapfels brachte sein Blut in Wallung. Er durfte sich nicht verraten. Noch nicht.

"Dass jemand, dem die Käfer näher stehen als die Menschen, das nicht versteht, ist mir klar." Noch immer stand Rondrard das Gewusel, dessen er vorher angesichtig worden war, vor Augen. Ihre zerbrochene Welt,..." eigentlich wollte er sich mit diesem Zausel gar nicht duzen, umgekehrt tat der Druide selbst das ganz unverschämt, und außerdem saßen sie gerade nackt unter Goblins... "die mag Dir vielleicht künstlich und mechanisch erscheinen..." Einen Moment lang musste er den gerade entgleitenden Gedankengang wieder einfangen. Was schwebte nur in diesem Dampf? Ach ja: "Die Baroness... Befinna war tatsächlich immer vom wahren Leben hier draußen, von der Natur, abgeschirmt... aber schau Dich selbst an: Dein Dasein ist doch genauso wenig natürlich. Der Mensch gehört unter Menschen - unsere Beziehungen machen unser Leben aus, das ist unsere Natur. Und heute hat Befinna vielleicht endgültig mit ihrer Schwester gebrochen, ihrem Lehrer, ihrem Verlobten... gut, die letzten beiden sind kein wirklicher Verlust..." Hatte er das gerade laut gesagt - verdammt, er war nicht mehr vollständig Herr seiner Gedanken und Worte. Egal... "Jedenfalls scheinen fast all ihre Bindungen aufgelöst, beinahe alles Vertrauen in die Menschen in ihrer Nähe ist... weg, einfach weg. Wahrscheinlich auch das Vertrauen in mich." Sein Blick wirkte bei seinen letzten Worten seltsam leer. Dann sah er Tsamitrius an: "Hoffentlich hast Du Recht. Möge ihr die Mutter das Vergessen ihrer Verwirrung und ihres Schmerzes schenken. Möge Befinna die wahre Seele dieses Landes und ihre eigene Bestimmung erkennen. Und die Menschen, die sie wirklich lieben."

“Was helfen Beziehungen, wenn sie dich belügen? Was hilft eine künstliche Welt, die nicht echt ist? Befinna braucht keine Menschen, die sie lieben, sondern eine Welt, in der sie ungezwungen leben kann und die sie respektiert. Aber dass du das nicht verstehst, war mir klar”, äffte der Druide den Ritter nach. Der Respekt für die Welt, für die Mutter Sumu, für ihre Kinder und Enkel; das konnten diese Egoisten nicht verstehen.

“Sie braucht natürlich beides.” insitierte Rondrard. “Wenn man nur in der Einsamkeit, fern aller Menschen ungezwungen leben kann, obwohl das Herz sich nach menschlicher Nähe sehnt, was ist die Ungezwungenheit dann wert? Wirkliche Ungezwungenheit heißt, von den Menschen so akzeptiert zu werden, wie man ist, nicht dafür alle menschlichen Bande abreißen zu müssen.” Er war sich bewusst, dass das in der adligen Gesellschaft mit ihren Verpflichtungen und Ritualen ein mehr als hehrer Wunsch war - Befinna war nicht umsonst geflohen. Aber nur noch mit den Käfern zu leben konnte es auch nicht sein.

Das manche Sumudiener sich nicht als Menschen betrachten, verschwieg Tsamitrius. Wie es schien, legte Ulfaran seine Prioritäten anders als die Anwesenden. Doch nun hieß es sich zu reinigen und das begann mit dem Geist. Der Hexer schloß seine Augen und ließ sich auf die Gefühle seines Körpers ein.

“Welcher von euch akzeptiert den anderen schon so, wie er ist? Wer? Wo ihr schon nicht die Schöpfung Sumus so akzeptieren wollt, wie sie ist. Alles wollt ihr begradigen, abbauen, aufschlichten. Nichts kann einfach so sein, wie es ist”, brummte Ulfaran sanft - denn auch sein Geist konnte und wollte sich der befriedenden Wirkung des Rauchs nicht erwehren.

“Wir sind doch selbst Teil der Schöpfung und Kinder der großen Mutter.” entgegnete Rondrard, doch war nicht deutlich zu hören und wohl auch ihm selbst nicht so recht klar, ob er damit beipflichten oder widersprechen wollte. Seine Gedanken schienen sich ebenso wie sein vorhin noch so starker Widerwille dem Druiden gegenüber in den wallenden Schwaden um sie herum zu verlieren.

***

Jeder Atemzug half Tsamitrius dabei, zur Ruhe zu kommen und eins mit sich und seinem Leib zu werden. Gleichzeitig erhob sich sein Geist in Freiheit, fühlte sich leicht und unbeschwert. Aus unendlicher Ferne bekam er mit, wie weitere der Tuluukai in die Höhle huschten und sich zu ihnen ums Feuer gesellten. Sie waren genauso nur Schatten, die um das Feuer tanzten wie die Schwaden, die hier beinahe Gestalt annahmen, um sich dort wieder aufzulösen. Zeit existierte nicht mehr - es gab kein Gestern und kein Morgen, kein Gewesen und kein Werden, nur das Sein im Hier und Jetzt.
Tsamitrius wachte auf. Das Feuer war heruntergebrannt und glomm nur noch dunkel-rötlich vor sich hin. Die Trommeln waren verstummt, und er schien allein, nur die Dampfschwaden wallten noch immer durch die zum nächtlichen Himmel hin offene Höhle. Der Blick des Hexers ging kurz zu den verkohlten Holzscheiten. Als er ihn wieder hob, trafen seine Augen die des Wesens, das ihm jenseits des vergehenden Feuers gegenüber saß, und eben doch noch gar nicht da war, gar nicht dagewesen sein konnte! Es hatte die Gestalt eines groß-gewachsenen Mannes, das war trotz der sitzenden Position und des im Zwielicht schwarz erscheinenden weiten Fellumhangs zu erkennen, dicht thronte aus seinem langen Halse das Haupt eines Hirsches mit einem ausladenden Geweih.
Schwarz-glänzende Augen sahen Tsamitrius ruhig an. “Wer bist Du?” vernahm er eine dunkle Stimme tief in seinem Haupt erklingen.

´Levthan?´, kam ihn als erste Gedanke. Doch dann scholt er sich. Kein Widder, sondern Hirsch. Dieser Ort war wahrlich seltsam. Wo waren die Frauen? Die fruchtbaren Vereinigungen? Tsamitrius schüttelte mit dem Kopf. ´Eine Vision?´ “Tsamitrius, Sohn der Amadis Vea aus dem Haus Schweinsfold. Wer bist du?”, fragte er direkt zurück und richtete sich selbstbewusst auf.

“Unwichtig, wie Du heißt. Wer bist Du?” hörte Tsamitrius das Wesen fragen. “Ich bin der Jäger.”

Der Hexer schaute ihn abschätzig an. “Ich auch”, war die knappe Antwort. Sofort spürte er das Bedürfnis seinen Waldkauz Strinx in seiner Nähe zu wissen. So wie er, fühlte Tsamitrius sich wie ein nächtlicher Jäger. “Was jagst du?”

“Schatten. - Geister der Nacht.” Der Jäger ließ die Worte in Tsamitrius’ Haupt nachklingen. “Und du?”

“Lebende Schatten der Vergangenheit” Er schaute sich um. “Wo sind die Anderen?”

“Auf ihrem Pfad.” Es war schwer auszumachem, wohin genau der Jäger schaute, doch glaubte Tsamitrius dessen Augen bei jeder seiner Bewegungen stets auf sich zu spüren, obgleich sich das Hirschhaupt überhaupt nicht bewegte. “Für wen jagst Du?”

“Hauptsächlich für mich selbst. Und du? Warum bin ich hier?” Noch immer fühlte er sich ruhig, wie es scheint ist er in der Welt der Geister … oder so etwas ähnliches.

“Weil Du nach mir suchst.” Die andere Frage Tsamitrius’ überging der Jäger zunächst. “Hast Du keine Sippe, dass Du nur für Dich jagst?”

“Zarte Bande bringen uns gerade wieder näher.” Der Hexer musste an seine Basen denken, die Baronin Selinde Tsasalda von Schweinsfold und die Tsatuara-Priesterin Khorena von Foldenau. Erst in jüngster Zeit, gab es wieder interesse untereinander. “Suche ich dich deshalb? Ein neues Ziel?”

“Es ist gut, dass Du Deine Sippe wiederfindest. Du bist ein Kind der Mutter. Deine Sippe sind Kinder der Mutter. Du kannst nicht nur für Dich jagen. Du wirst niemals nur für Dich jagen. Es ist Deine Bestimmung, für Deine Sippe zu jagen und für das Land.” Der, der sich der Jäger nannte, ließ die Worte einige Momente lang schwer im Raum hängen. “Die Mutter. Das Land. Die Sippe. Du. Alle sind eins.”

Tsamitrius nickte. Er hatte verstanden.

***

Auch Ulfaran konzentrierte sich auf seinen Atem, nahm das Pulsieren dieses Ortes, das nichts anderes sein konnte als der Herzschlag der Erdmutter Sumu, in sich auf, und ließ deren Kraft durch sich strömen. Für einen Moment trug der Rausch ihn hinfort. Als er wieder zur Besinnung kam, lag er auf weichem, feuchten Waldboden. Käfer krabbelten kratzend auf und in altem Nadelstreu. Das Madamal warf sein bleiches Licht durch die wallenden Nebelschwaden, die sich um den Druiden herum aus Sumus Leib erhoben. Ulfaran hob seinen Blick.
In einigen Schritt Entfernung, etwas oberhalb von ihm, zeichnete sich die Silhouette eines Wesens, mit dem Leib eines Mannes, und dem Haupt eines Hirsches schwarz vor dem Mond ab. Es schien ihn anzusehen. “Wer bist Du?” fragte es, und seine dunkle Stimme ließ Ulfarans Seele vibrieren.

“Nur ein Kind der Mutter”, antwortete der Druide wortkarg. Doch innerlich pochte sein Herz; es schlug schneller als das Trampeln der Hufe einer ganzen Herde Rehe auf der Hatz durch den Wald. Er entschied sich, in seiner Position zu verharren. Der Griff Sumus in seinem Rücken gab ihm Halt und dringend benötigte Stabilität, wo doch sein Geist forteilen und dem Wesen Haut an Haut begegnen wollte.

“Ein Kind, das die Mutter achtet, nicht aber seine Geschwister.” hallte wieder diese Stimme in Ulfarans Ohren und Geist. Für ihn war nicht zu ermessen, ob es sich um eine Aussage handelte oder ein Vorwurf mitschwang.

“Wie soll ich die Geschwister achten, die ihre Mutter verachten, Geist? Wer nicht einmal der, die ihn geboren hat, Respekt erweist, hat selbst keinen Respekt verdient.”

“Mütter wollen ihre Sippe zusammenhalten.” entgegnete der als Geist angesprochene.

“Was Strafen für ungezogene Kinder erfordert”, erwiderte Ulfaran prompt.

“Wem obliegt das Strafen?” fragte der Hirschhauptige. “Der Mutter der ungezogenen Kinder. Oder deren Geschwistern?”

“Der Mutter und ihren aufrichtigen Söhnen und Töchtern gemeinsam”, brummte Ulfaran. “Ich bin nur ein Werkzeug ihrer Gerechtigkeit.”

“Bist Du nur das Werkzeug, oder selbst die Gerechtigkeit?” Der Nebel wirbelte nur so um den Jäger, und kalte, klamme Luft floss Ulfaran entgegen.

“Entscheide du. Ich glaube, Mutters Wille umzusetzen.”

“Keine Liebe ist stärker als die einer Mutter.” Obwohl Ulfaran die Augen des geheimnisvollen Fremden nicht sehen konnte, spürte er, dass diese fest auf ihm lagen, ihm direkt ins Herz zu blicken schienen. Der Nebel lag nun wieder ruhiger.

“Was ist Liebe ohne Härte, Geist?” Ulfaran knurrte sichtlich erregt. Dieses Spiel ging ihm schon viel zu lang. “Was willst du?”

“Du bist gekommen! Was suchst Du?” fragte die Gestalt mit dröhnender Stimme zurück. Einige Augenblicke verstrichen still, dann antwortete sie selbst leiser: “Ich sage Dir: Du hast vor lauter Härte die Liebe zu Deiner Sippe verloren. Glaubst Du, das gefällt der Mutter?”

“Die Mutter stirbt, weil ihr die, die du meine Sippe nennst, rücksichtslos Baum um Borke, Tier um Tier entreißen. Aus reiner Selbstsucht. Aus Gier und Hass auf das Leben! Ich kann nicht glauben, dass sie will, dass ich mit denen jage, die sie töten.” Ulfaran schluckte. Diesen Schwachsinn würde er nicht akzeptieren. “Befinna, die ist anders. Sie ist offen für die Schönheit der Natur. Sie ist noch nicht verdorben. Sie kann ich noch retten.”

"Hilfst Du der Mutter, wenn Du fast alle Deiner Sippe aus der Familie ausstößst? Rettest DU sie, ganz alleine, in dem Du die, aus deren Schoß Versöhnung sprießen könnte, ganz auf Deine einsame Seite ziehst? Du wähnst Dich demütig, doch erkenne ich nur Selbstgerechtigkeit und Hochmut. DU willst die Mutter nicht retten, DU willst alleine mit ihr und Deinem Stolz sterben!" Die letzten Sätze des geisterhaften Wesens fuhren wie Donner über den Druiden hinweg. Der Nebel verdichtete sich, so dass Ulfaran kaum mehr die Hand vor seinen Augen sehen konnte. Der Hirschmann schien darin verschwunden.

***

Schwaden umgaben Rondrard, zogen sich zu immer dichteren Nebel zusammen, der auch in seinen Geist drang.

Wo war das Feuer, das gerade noch da gewesen war? Rondrard rappelte sich mühsam auf und wankte in die Richtung, in der er das rauchende und brennende Holz erwartete. Der Boden war nicht mehr hart und felsig, sondern nass und morastig, der Nebel nicht mehr wohltuend warm, sondern kalt und drückend, noch mehr, da er noch immer nackt war.
Wo war er nur? Furcht ergriff ihn und er beschleunigte seinen Schritt. Da - aus dem Nebel vor ihm tauchten Konturen auf. Bei der großen Mutter - es war die Statue, die immer anders, niemals gleich war. Er wusste jetzt wo er war. Von allen Orten auf dem Derenrund, war es derjenige, an dem er in dieser Nacht am wenigsten sein wollte. Wie war er hierhergekommen? Und wie kam er wieder zurück? Er musste schnell hier weg - weg von diesem Ort und hin zu den anderen. Zu Befinna.
Wenn die Statue wenigstens immer in die selbe Richtung blicken würde. Verdammte Elfen... In die Richtung müsste es doch weiter zu den Ruinen gehen. Also in die andere. Bloß nicht in Panik geraten, Panik war ein schlechter Berater.
Mühsam zwang sich Rondrard zur inneren Ruhe. Wachsam lauschte er auf die Umgebungsgeräusche, doch war es bis auf seine eigenen Schritte still. Nur der schwarze Boden freute sich schmatzend über die bloßen Füße, die sich ihm vermeintlich zum Fraß anboten und gluckerte umso enttäuschter, wenn sie sich ihm immer wieder entzogen.
Der junge Ritter, wusste nicht wie lange er gegangen war - es kam ihm ewig vor, als er zu seiner Überraschung ein Feuer vor sich in der Dunkelheit brennen sah. Vorsichtig schlich er sich an, versuchte herauszufinden, wer es entzündet hatte und vielleicht noch an diesem saß. Von hinten sah er eine große schwarze Gestalt, grob menschlicher Statur, die auf dem Haupt ein Hirschgeweih trug. Offensichtlich hatte ihn diese noch nicht bemerkt...

Doch er irrte: "Setz Dich!" hörte er die tiefe Stimme des Wesens in seinem Kopf, fremdartig... und doch... auf merkwürdige Weise... vertraut...

Vorsichtig und in weitem Abstand ging Rondrard um die Gestalt herum. "Wer bist Du?" wollte er wissen.

"Der Jäger." kam die Antwort. "Und Du?"

"Rondrard von Tannenfels, ältester Sohn der Edlen von Tan..."

"Der junge Hirsch bist Du, ja..." unterbrach er ihn. "Setz Dich! Wärm Dich!" Der Jäger deutete auf ein Moospolster gegenüber von sich. "Warum fliehst Du? Vor was?"

"Ich..." Rondrard war kurz unschlüssig, ob er sich setzen sollte, und was er sagen konnte. "Ich stehe hier nackt und alleine im dunklen Teil des Walds..." glaubte Rondrard, allen Grund zur Flucht zu haben, während er sich nahe ans Feuer setzte, so nahe, dass einige abstehende Haare bereits knisternd versengten.

"Du fliehst nicht nur hier und heute!" bemerkte die Gestalt ruhig, doch glaubte Rondrard Vorwurf daraus zu hören.

Rondrard hielt die Hände ans Feuer. "Was weißt Du, was ich hier gesehen habe?"

"Ich weiß, was Du gesehen hast."

"Dann weißt Du, warum ich fliehe." Die Kälte wollte trotz des Feuers nicht aus Rondrards Gliedern weichen.

"Du kannst vielleicht diesem Ort entfliehen, aber nicht seiner Dunkelheit." widersprach ihm der Hirschhäuptige. "Du trägst sie in Deinem Herzen."

"Woher weißt..." entfuhr es Rondrard.

Der Fremde hob die Hand. "Du wirst Dich der Vergangenheit dieses Ortes und deines Blutes stellen müssen. Genauso wie die Frau, der Du hierher gefolgt bist."

Rondrard schaute den Jäger betreten schweigend an. Dann nickte er stumm und sah in die Flammen, die bald das einzige waren, was er wahrnahm.
Irgendwoher kam ihm dieser Jäger bekannt vor, obwohl er hätte schwören können, diesem noch nie begegnet zu sein. Der Ritter hob seinen Kopf, um dem seltsamen Mann nochmal ins Gesicht zu blicken, doch sah er sich gegenüber nur eine Gruppe von Goblinjägern sitzen.

***

Tsamitrius war der erste der drei Männer, der die Augen wieder öffnete und sich zurück in der Schwitz-Höhle fand. Ulfaran lag noch immer in Trance bäuchlings auf dem Boden, und Rondrard saß ebenso aufrecht wie weggetreten am Feuer, immer wieder unwillkürlich zuckend. Auch die Goblin-Männer befanden sich teils noch auf ihren Traumreisen, einige blickten sich verwundert um und wenige beäugten die Welt bereits wieder mit aufmerksamen Augen. Kurze Zeit später fuhr erst Ulfaran hoch, schließlich auch Rondrard und nach und nach die anderen Jäger, soweit dies erkennbar war, denn das Feuer war zwar weit heruntergebrannt, doch war der Nebel von den aus den Spalten im Boden tretenden Dampfschwaden dichter denn je.

Ulfaran sammelte seine Gliedmaßen wieder ein und verbannte den Kopfschmerz, der nagend seinen Hals hinaufkroch. Er streckte sich und blickte sich in der düsteren Höhle um. Er war noch immer mit diesen Gestalten hier. Ward die große Mutter so enttäuscht von seiner redlichen Müh’, ihr Schicksal zu erleichtern, dass sie ihn noch immer mit diesen Schändern ihres göttlichen Leibes strafte?

Tsamitrius atmete langsam und blieb ruhig. Aufmerksam betrachtete er seine Umgebung. Jeder braucht seine Zeit und am besten man ginge das ruhig an. Der Jäger hatte ihm geholfen seine Richtung zu finden. Ob es den anderen auch so ging?

Rondrard ruhte weit weniger in sich wie Tsamitrius, wirkte erkennbar aufgewühlt und in den ersten Momenten deutlich desorientiert. Vor allem aber schien er trotz der Wärme in der Höhle zu frieren. “Habt ihr ihn auch gesehen?”, entrutschte ihm die Frage, ohne zu bedenken, wie töricht diese klingen musste.”

***

Jäh fuhr ein Windstoß von oben in die Höhle, der erste, den sie überhaupt wahrnahmen, seit sie in die Höhle kamen. Er mischte die Schwaden auf und erweiterte die Sicht für einen Moment deutlich. Einer der Jäger deutete nach oben, zur Öffnung zu den Sternen hin: “Kurim!”
Alle blickten nach oben. Dort stand der schwarze Hüne mit dem Hirschhaupt, und sein Blick schien auf jedem einzelnen gleichzeitig zu ruhen, jedem direkt ins Herz zu blicken.
Nach Augenblicken, die sich wie kleine Ewigkeiten anfühlten, hob er einen Arm zum Haupt. In seiner Hand befand sich ein Schatten, der wie ein Horn aussah, und in der Tat setzte er diesen an die Lippen. Ein lauter Stoß erklang, der den Felsen zum Vibrieren zu bringen schien. Mit dem Ton erstarb das ferne Trommeln und die Schwaden erhoben sich von neuem.
Als sie sich wieder ein wenig auflösten, war der Jäger verschwunden.
Dafür kam Bewegung unter die Goblins. “Taati Mulla!” war ihr vielstimmiger Ruf zu vernehmen.

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