Ozean der Zeit

Die Tage bleiben trübe. Die Nächte sind schwärzer denn je. Und mit der Dunkelheit wachsen Gestalten aus den Schatten im Kampf um die letzten Seelen dieser Welt. Und obwohl einige von ihnen im großen Spiel um Kontrolle und Macht sehr viel erreicht haben, bleiben sie doch allesamt arme Kreaturen, die in ihrem Leben in Verdammnis nur das eine vereint: sie alle sind...

Seelenlos

Schlaf nicht zu lang. Seitdem ich wieder in der Stadt bin – ein hungriges Tier unter Menschen die satt sind – ich bin hier weil ihr mir Leben zuführt, indem ihr anderen die Kehlen zuschnürt. Ihr seid wie ich. Uns trennt nichts. Da ist kein Unterschied. Denn ich spür wie eure Gier euch zu mir runterzieht. Ihr seht nicht was im Dunkeln liegt. Und das genieße ich. Ihr lebt in Sünde denn es ist kein Paradies in Sicht.

Doch etwas liegt in der Luft. Bezeichnet mich als Boten, denn ich bring den süßen Duft des Verbotenen. Ich bin der König der lebendigen Toten. Denn es ist Vollmond. Und mein Kuss gilt denen, deren Tod sich nicht lohnt.

Geh durchs Feuer. Feuer durch den Rauch. Such meine Kinder in der Finsternis – und ich find sie auch.

Aus den Schatten heraus gebe ich geheime Befehle. Und von tödlicher Schönheit sind die Waffen die ich wähle, um euch bluten zu lassen. Wie wollt ihr euch schützen, wenn selbst die die mich hassen, mich dadurch unterstützen?

Ich verstärk euren Schmerz, weil ich von euren Spielen lebe und euern ausgebrannten Herzen neue Ziele gebe. Ich hauche ewige Jugend in euern toten Leib – die Möglichkeit ein Gott zu sein, die sonst verboten bleibt.

Die Maskerade bleibt bestehen, bis die Menschlichkeit fällt. Solang das Morden der Welt sich im Verborgenen hält. Erst wenn die ganzen verdammten Schlachtfelder brennen wird die Welt meinen Namen kennen.

Denn ich bin euer Tod. Wach auf meine schlafende Schönheit, jetzt da mein hässliches Ego dich weckt. Sag nicht es tut dir leid. Deine Gier steht dir gut. Und auch ich habe schon Blut geleckt und du schmeckst. Nach den Erinnerungen, die mir meinen Schädel zu zerfetzen drohen, Flammen aus den Niederhöllen, die mich immer wieder holen, lodern auch in dir. Und es mildert meine Qual, denn dein nächstes Mal ist dein letztes Mal.

HeimIich nehme mir deine Seele. Erst wenn ich dich gefunden habe, geht es mir wieder gut. Du leckst meine Wunden und ich trink dein Blut. Also schrei so laut du kannst. Es ist keiner da. Sie sind alle weg. Niemand wird dich hören. Niemand wird uns stören. Es ist Krieg im Alveran und wir sind auf uns gestellt. Und du dachtest Gebetsketten retten deine Welt?


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Ozean der Zeit

(aus: Die Geschichte der Kinder Mirils und Der gefallene Stern)

593 BF (Magierkriege)

Der Nekromant wusste was er tat. Thargunitoth blickte über die Zinnen der Burg. Der Eisenstein war der Hauptsitz der gleichnamigen Baronie. Die Baronin war in der Schlacht bei Elenvina vor einigen Tagen ums Leben gekommen. Sie hatte keine Chance. Die Burg selbst war danach wehrlos. Es war ein leichtes, sie einzunehmen. Der Magier schaute hinunter ins Tal. Dort in dem Dorf am Südrand des Trollwaldes hatte das feindliche Heer sein Lager aufgeschlagen, in dem Dorf der Menschen. Die Streitmacht der Zwerge. Dachten sie wirklich, sie würden nicht bemerkt? Sie würden die Zwerge vernichtend schlagen und sich aus dem Bergkönigreich Xorlosch nehmen, was und wen sie brauchten. Zulipan würde höchst zufrieden sein.

Thargunitoth ging wieder hinein in das Innere der Burg. Er wollte schauen, ob er dem Nekromant behilflich sein konnte. Thargunitoth war noch ein junger und unerfahrener Magier, Schüler von Zulipan von Punin. Er hatte sich aber bereits einen Namen gemacht, weil er Chimären aus untoten Zwergen geschaffen hatte. Das war ziemlich nachhaltig, denn so konnten sie noch etwas sinnvolles mit den vielen Zwergen tun, die bei ihren Experimenten ums Leben kamen. In der Schlacht von Elenvina waren sie zuletzt erfolgreich zum Einsatz gekommen.

Der Hexenmeister von Angbar, wie der Nekromant vom Stillen Grund genannt wurde, war dabei eine uraltes großes Beschwörungsritual durchzuführen: die „Heulende Finsternis“. Die zwergische Streitmacht würde mit einem Schlag vernichtet werden. Thargunitoth beobachtete, wie der Hexenmeister die Schwarzen Kerzen aufstellte und somit die Ecken des dreizehnzackigen Sterns betonte. Ein Symbol, dass an den Durchbruch erinnerte des Namenlosen zur siebten Sphäre: Die dreizehnzackige Dämonenkrone. Jede der Kerze wurde mit einem eigenen Ritual versehen. Es war sehr wichtig, dass alle Linien stabil waren, sonst würde diese große Beschwörung womöglich schief gehen und die Folgen wären unabsehbar.

„Thargunitoth?!“, rief ihn der Hexenmeister her. Leise murmelnd fügte er hinzu: „Wer ist nur auf die Idee gekommen, dir diesen dämlichen Namen zu geben?“ Der junge Magier trat heran. „Du wirst an dieser Kerze Wache halten. ... Ich werden an jeder Kerze eine Wache postieren. Halte dich mit Schutzzaubern bereit. Dämonen könnten diese Beschwörung nutzen. Der Schutzkreis darf nicht durchbrochen werden. Sonst sind wir alle verloren.“ Der junge Magier nickte. Fast war er sich für solche Hilfsdienste zu schade. Aber Zulipan hatte dem Hexenmeister den Befehl über diese Truppen übertragen. So wollte Thargunitoth gehorchen.

Der Raum war geschwängert mich Räucherwerk und Duftölen. Der leise Singsang der Beschwörung drang tief in die Seelen der Anwesenden. Trotz der dreizehn Kerzen war der Raum in ein unwirkliches Halbdunkel gehüllt. Die große Beschwörung drang voran. Bald würde sich der Stern lösen. Der Meteorit würde alle Feinde töten. Vielleicht noch ein paar andere. Aber was tat da schon? Kollateralschäden. Thargunitoth sann über das Wesen dieser großen Beschwörung. Domäne Tijakool. Soviel hatte er deutlich erkannt. Es war sicher eine Stellar-Beschwörung. Oder etwa Theurgie? Der Hexenmeister von Angbar war sehr mächtig. So wollte der junge Magier auch einmal sein. Mit einem einzigen Zauber ein ganzes Heer auslöschen. Das war wahre Macht. Ein nackter Fuß wischte über die Linien am Boden und verwischte den Kreidestrich des Schutzkreises. Was tat er da? Wer war das? Der junge Magier kannte diese Gestalt. Er wusste aber nicht woher. Während dieser Kerl mit seinem bloßen Fuß über den Boden wischte sah er den jungen Magier an und grinste breit. Was amüsierte ihn?

Thargunitoth musterte den Kerl, der im Halbdunkel des Kerzenscheins in seiner Nähe stand. Es war ein junger Mann, vielleicht siebzehn Sommer. Der Mann war halbnackt. Genauer gesagt: Die vordere Hälfte war nackt. Der Rücken und die Rückseiten aller Glieder waren mit Teer bestrichen und voller Gänsefedern. Wenn er seine Arme ausbreitete wirkte das, als wäre er ein Alveraniar mit Flügel. Die Vorderseite war unbekleidet. Der durchaus gutaussehende und trainierte Körper des schlanken jungen Mannes war über und über bemalt in schillernden buntesten Farben. Sein Gemächt war betont mit einem großen blutroten Kreis, der in die Mitte des Körpers gemalt war. Wenn man genau hinsah erkannte man, dass es tatsächlich frisches Blut war, dass diesen Kreis auf die Haut zeichnete. Von seinem Haupt hing von der einen Schädelseite langes, schlohweißes Haar herunter bis hin zur Hüfte. Auf der anderen Schädelhälfte wuchsen kleine rote Stacheln. Das Gesicht war so bemalt, dass es wie ein Totenschädel aussah. Oder war die Haut abgezogen, dass man die Knochen des Schädels sah? Aus den Augenhöhlen lugten zwei blutrote Augäpfel ohne Iris und Pupille. Die blanken Zähne des Kiefers glänzten golden im Kerzenlicht. Ab und an schnalzte eine spitze, schwarze Zunge zwischen den Zähnen hindurch.

Der junge Magier war sich sicher, er begegnete diesem fremden Mann in dieser Nacht zum ersten Mal. Und dennoch hatte er etwas vertrautes an sich, als ob sie sich schon sehr lange kennen würden. Thargunitoth konnte nicht sagen, was es war.

„Wusstest du eigentlich, dass Asfaloth nicht das Pferd eines Elfen ist?“, fragte ihn der junge Mann deutlich vernehmlich mit einem breiten Grinsen. Warum sprach er so laut? Wollte er das Beschwörungsritual gefährden? Asfaloth? Was für eine dumme Frage? Natürlich wusste Thargunitoth wer Asfaloth war. Er hatte intensiv studiert und war ein Meister der Beschwörungsmagie. Außerdem war er ein Schüler Zulipans, des großen Chimärologen, und wusste deshalb selbstverständlich wer Asfaloth war. Nun hatte er den Namen der Erzdämonin bereits dreimal gedacht und sein gegenüber hatte den Namen sogar ausgesprochen – laut und vernehmlich. Mitten hinein in dieses große Beschwörungsritual hinein. Und Thargunitoth hatte inzwischen vergessen, dass er hier an der Kerze doch die Ritualsprüche ständig wiederholen musste. Nun schwirrte der Name der Erzdämonin des Chaos durch seine Schädel. Da beobachte er, wie dieser junge bunt angemalte Mann mit seinen Fingern fuchtelte, während sein linker Fuß weiterhin die Kreidesymbole auf dem Boden verwischten und den Bannkreis zerstörten. Der Mann hatte sieben Finger an der einen Hand und neun an der anderen. Nein! Jetzt waren es drei an der einen und 13 an der anderen. Der junge Magier konnte sich nicht mehr konzentrieren. Da! Auf dem Unterschenkel. Trug der fremde Mann dort nicht das Auge von Calijnaar, das Synmbol der Herzogin des Chaos? Was passierte hier? Der geteert und gefederte Mann brachte ein Durcheinander in die wohl vorbereitete und gut überlegte Beschwörung die gerade vollzogen wurde. Thargunitoth spürte, wie sich die chaotischen Kräfte der Domäne Calijnaar im Raum ausbreiteten.

Draußen war ein lautes Dröhnen und andauerndes Zischen zu vernehmen. Da stürzte etwas vom Nachthimmel. Der junge Magier konnte durch ein kleines Fenster kurz unter dem Gewölbe der Halle einen Meteoriten erkennen, der mit einem brennenden Schweif herabstürzte.

„Neeeeiiiin!“, schrie der Hexenmeister zutiefst entsetzt aus, als er merkte, dass seine Beschwörung so fatal aus dem Ruder lief. Wie Dominosteine kippten die schwarzen Kerzen an den Ecken des Tridekagon um und erloschen. Dafür waren plötzlich überall in der Halle kleine Flammen zu sehen, in den unterschiedlichsten und schillerndsten Farben, die zufällig auftauchten und wieder verschwanden. Es öffneten sich dreizehn winzig kleine Portale, der Limbus waberte an diesen Stellen, die Gehilfen des Hexenmeisters wurden einer nach dem anderen in eines dieser Portale gezogen. Ihre Körper wurden regelrecht verzerrt und gestaucht, so dass sie durch die kleinen Portale passten. War einer von ihnen hindurchgezogen, schloss sich das Portal. Schließlich wurde auch der Hexenmeister in eines der Portale in die Niederhöllen gerissen. Mit einem entsetzlichen Schrei verabschiedete er sich. Draußen war ein lautes Donnergrummeln zu hören. Ein heftiger Einschlag. Das Erdbeben erschütterte auch die Burg auf der sie waren, als der Meteorit einschlug. Die Wände wackelten, es stürzten Steine und Mauerteile herab, das Gewölbe bekam Risse. Bald würde hier alles in Trümmern liegen.

Der junge Mann, der all das ausgelöst hatte, reichte dem Thargunitoth seine Hand – dieses Mal waren vier Finger daran. Intuitiv ergriff der junge Magier die Hand. Grynematz – schoss dem Magier in diesem Moment wie eine Erkenntnis durch den Kopf, die wie selbstverständlich schien. Das war sein Name. Bevor die beiden entrückt wurden sagte Grynematz noch zu Thargunitoth: „Leg deine Hand in meine und lass uns ewig sein.“


Autor: Innozenz m.c.