Eine Harte Schule Verhoer

Kapitel 19: Verhör

Adda lag entspannt auf einer Chaiselongue und blätterte verträumt in einem 5-Heller-Roman. Als sich die Tür öffnete, seufzte sie, blickte jedoch nicht hoch. Die Halbergerin wusste, wer es war.

„Mutter …“, Rahjalinds Wangen waren vor Zorn gerötet, „… was fällt dir ein … meinen Bruder … die Bannstrahler …“, sie japste nach Luft, „… was hat sie dir getan?“

Die reife Frau leckte in einer sinnlichen Bewegung über ihren Zeigefinger und blätterte damit um. Immer noch würdigte sie ihrer Tochter keines Blickes. „Ich bin dir gegenüber keine Rechenschaft schuldig, Kind.“

Die Wangen ihrer Tochter begannen daraufhin nur noch mehr zu glühen. „Ich lasse nicht zu, dass du sie so behandelst.“

Nun blickte Adda erstmals von ihrem Schmöker auf. Auf ihren Zügen lag ein Lächeln. Fast schien es, als würde sich die Halbergerin über das Gebaren ihrer Tochter amüsieren. „Du bist ein Sturkopf wie dein Vater, Rahjalind …“, sie verzog ihren Mundwinkel, „… und wie dein Vater lässt du dich stets von Gefühlen und nur selten von rationalem Denken leiten.“ Sie seufzte. „Bring sie her.“

Die Gesichtsfarbe der jungen Novizin änderte sich ein weiteres mal. Dieses Mal von einem intensiven Rotton hin zu blass. „Mutter?“

Adda begegnete ihrem Zögern mit einer erhobenen Augenbraue. „Was denn? Willst du sie nicht in meinem Beisein verteidigen und empfindest du es nicht als unhöflich, über jemanden hinter dessen Rücken zu sprechen?“ Sie machte eine von sich weg wedelnde Handbewegung. „Also dann, husch … husch …“

Rahjalind ärgerte sich, doch sie kam der Anweisung ihrer Mutter nach. Sie öffnete die Tür und bedeutete Doratrava mit einer Handgeste, zu ihr zu kommen.

Doratrava setzte die Teeschale ab und schaute verwundert hinüber zu Rahjalind. Dann dämmerte ihr etwas. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch erhob sie sich und folgte dem Wink ihrer Freundin. Sie betrat den Nebenraum und sah sich wie erwartet mit Adda konfrontiert, welche in ihren Augen fast schon lasziv auf einer Liege lag. Unwillkürlich stellten sich der Gauklerin die Nackenhaare auf, doch sie weigerte sich, schon wieder eingeschüchtert wie die Maus vor der Schlange zu kuschen. Sie hatte in Mendena vor einem Jahr einem leibhaftigen Dämonen gegenübergestanden, da würde sie doch jetzt nicht vor Rahjalinds Mutter klein beigeben? Sie stählte sich innerlich, konnte allerdings nicht verhindern, dass sich ihre Kiefer aufeinanderpressten.

„Doratrava … habe ich nicht recht?“, Adda hob abschätzig ihre Augenbraue. Es war ihr jetzt schon klar, dass sie sich wohl nie an den Anblick der Gauklerin gewöhnen würde.

Irritiert suchte Doratrava in Addas Zügen nach Anzeichen, wie sie das meinte. Rahjalinds Mutter wusste doch genau, wer sie war, was fragte sie dann? Vermutlich wollte sie sie provozieren, und das gelang ihr gut. Schon wollte sie aufbrausen, aber Adda sprach weiter.

„Du nimmst mir die Sache mit den Bannstrahlern hoffentlich nicht übel, aber es wäre mir leichter, wenn gottesfürchtige Männer und Frauen dich Zeit deines Aufenthaltes hier im Auge behalten.“ Ein grausames Lächeln umspielte ihre Züge. „Wenn wir hier in Linnartstein schon mit der Anwesenheit von Männern und Frauen im Dienste des Götterfürsten gesegnet sind, warum sollte man sich ihrer denn nicht bedienen.“

„Mutter …“, warf Rahjalind empört ein, doch vermochte es ein einfacher Blick der Halbergerin, ihr das Wort abzuschneiden.

„Ich hätte genauso gut Onkel Adelhelm schicken können, sie würde hier nicht mehr stehen“, fauchte sie ihre Tochter an, dann wandte sie sich wieder Doratrava zu. „Also wie lange gedenkst du noch hier zu bleiben? Verlangt es dir nach mehr Silber für deinen Auftritt gestern …“, Addas Blick wurde nun noch eisiger, „… ich dachte, du wärst ausreichend entlohnt worden.“

Doratrava schnappte verärgert nach Luft bei dieser Anschuldigung. Auch das Herunterspielen des Einsatzes der Bannstrahler stieß ihr übel auf, aber wie sie sich vorgenommen hatte, widerstand sie dem Drang, vor Adda zurückzuweichen. „Was?“ entfuhr es der Gauklerin. „Ihr … nein, ich will kein Geld! Was soll das alles? Warum wollt Ihr mich los haben? Ich will doch nur mit Rahjalind eine schöne Zeit verbringen – und sie mit mir, ganz so, wie es Rahja gefällt. Und dann gehe ich. Ich dachte, Ihr haltet Rahja in Ehren?“ Herausfordernd sah sie Adda ins Gesicht, ihre braunen Augen loderten, ihr Gesicht war rosa angelaufen, sie atmete schwer. Irgendwo in ihrem Hinterkopf meldete sich eine kleine Stimme, die sie erschreckt ermahnte, dass man so nicht mit einer Adligen sprechen konnte, aber das war Doratrava im Moment egal. All die aufgestaute Angst vor Adda und den Bannstrahlern hatte sich in Wut verwandelt, und diese spülte alle Bedenken hinfort.

Demonstrativ trat Doratrava zu Rahjalind und legte ihr einen Arm um die Hüfte. „Lasst Rahjalind in Ruhe, sie ist erwachsen und kann selbst aufpassen, dass ich sie nicht fresse!“

Addas Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Sie setzte sich auf, schlug ihre Beine übereinander und lehnte sich entspannt zurück. Es war nicht schwer zu erkennen, dass sie Doratravas Worte nicht ernst nahm. „Hüte deine Zunge …“, kam es in bedrohlichem Ton, „… ich bin keine Dirne von der Gosse, dass du meinst, so mit mir reden zu können. Eigentlich sollte ich dich dafür einen Tag lang an den Pranger stellen lassen.“ Die Adelige tippte für einen Moment auf ihr Unterkiefer und es schien als würde sie diesen Gedanken ernsthaft in Erwägung ziehen. „Es mag unter deinesgleichen normal sein, dass ihr euch respektlos begegnet und es mag auch sein, dass dir nie jemand einen anständigen Umgangston anerzogen hat … ich lasse deshalb für diesen einen Anlass Gnade vor Recht ergehen, doch sei versichert, dass bei der nächsten Respektlosigkeit der Pranger wartet.“

Doratrava presste die Lippen aufeinander. Alles in ihr schrie danach, der hochnäsigen, eingebildeten Schnepfe ihren Zorn weiter entgegenzuschleudern, aber noch – noch! - behielt ihr Verstand die Oberhand, denn natürlich würde sie in jedem ernsthaften Streit den Kürzeren ziehen. Außerdem würde sie Rahjalind damit mindestens in Verlegenheit bringen, und das wollte sie nicht. Ganz zu schweigen, dass sie dann vermutlich gewaltsam von ihrer Freundin getrennt werden würde.

Die Halbergerin leckte sich über ihre Lippen und maß die beiden jungen Frauen vor sich. „Nun da das gesagt ist – ja, ich kann meiner Tochter nicht verbieten, mit dir Umgang zu haben. Doch genauso ist es mein Recht, dich beobachten zu lassen. Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich dich für unpassenden Umgang halte.“ Sie schob ihre Augenbrauen zusammen. „Ich weiß nicht, was du bist. Eine Elfe? Ein Feenwesen? Vielleicht auch irgendeine Laune oder Perversion der Natur … Du bist jedoch auf jeden Fall etwas Magisches und ja, ich will dich deswegen nicht in der Nähe meiner Familie haben. Und wenn es sich nicht vermeiden lässt, dann nur unter den kundigen Augen der Diener Praios‘.“

Die Augen der Gauklerin weiteten sich in plötzlichem Verstehen. „Ihr … ihr habt Angst vor mir! Weil ich anders bin, und ‚magisch‘ dazu. Was immer das heißt, ich kann niemandem auf magischem Wege schaden, das versichere ich Euch! Ich kann niemanden ‚verzaubern‘, niemandem meinen Willen aufzwingen. Linnart hat mir versichert, er sehe keine Gefahr in mir. Reicht Euch das denn nicht?“

Plötzlich verflog Doratravas Zorn so schnell, wie er gekommen war. Ihre Schultern sackten nach unten und sie lehnte sich nun eher Schutz suchend als beschützend an Rahjalind. „In Rahjas Namen, ich bin keine Bedrohung, weder für Euch noch für Eure Tochter“, erklärte die Gauklerin mit müder Stimme. „Ihr müsst keine Angst vor mir haben.“

Adda öffnete ihre Kiefer und ihre Augen weiteten sich. Für einen kurzen Moment schien es, als wäre sie sprachlos. Der Blick der Adeligen ging zu ihrer Tochter und dann wieder zurück zu Doratrava. Dann warf sie ihren Kopf in den Nacken und begann lauthals zu lachen. Nicht höhnisch, sondern ehrlich amüsiert.

Verwirrt ob dieser unerwarteten Reaktion blinzelte Doratrava mehrmals Was war denn jetzt wieder? Versuchte Adda die Angst nur zu überspielen?

Währenddessen warf Rahjalind ihrer Freundin einen besorgten Blick zu, der sie zur Vorsicht rief.

„Du denkst, ich hätte Angst vor dir …“, es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Ihr Lachen war so schnell verschwunden wie es gekommen war und stattdessen wirkte der Ausdruck auf ihrem Antlitz wieder todernst, „… mitnichten meine Liebe. Es ist eher Ekel und keine Angst.“

„Mutter …“, rief Rahjalind empört, „… mäßige dich. Du befindest dich in einem Haus der Göttin.“

Die Halbergerin beachtete den Einwurf ihrer Tochter nicht, stattdessen erhob sie sich und ging ein paar Schritte auf die Gauklerin zu. „Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die die Lehren des Gleißenden in höchsten Ehren hält. Magie macht uns keine Angst …“, sie schüttelte ihren Kopf, „… sie muss bekämpft werden, wo man ihrer habhaft wird. Was auch immer du bist und ob du zaubern kannst oder nicht, tut nichts zur Sache. Du trägst Magie in dir – du bist eine Ausgeburt von Madas Frevel, das ist offensichtlich.“ Addas Lippen umspielte ein grausames Lächeln. „Und deswegen will ich nicht, dass du meine Kinder damit vergiftest.“

Adda schaffte es, den Zorn erneut in Doratrava hochwallen zu lassen. „Vergiften?“ fuhr sie auf. „Wie sollte ich das tun, wenn ich niemanden verzaubern kann? Und was ist mit all den Magiern auf der Welt? Und den Elfen? Kennt Ihr die Baronin von Rodaschquell? Ich habe sie bei der Jagd von Nilsitz flüchtig kennengelernt. Sie ist seltsam, ja, aber auch … edel, und sie macht nicht den Eindruck, als wünschte sie jemandem Leid zuzufügen. Ekelt Ihr Euch auch vor der Elfenbaronin? Und der Barde auf Eurer Feier, ein verabscheuungswürdiger Halbelf?“ Erneut sprühten die Augen Doratravas Feuer, doch sie klappte den Mund mit sichtlicher Anstrengung zu. Wahrscheinlich versteckte Adda nur ihre Angst hinter dem vorgeblichen Ekel, und die Gauklerin war drauf und dran gewesen, das auszusprechen, aber wenn sie die Halbergerin wirklich traf, wer weiß, wozu diese dann fähig wäre?

Adda schnaubte verächtlich. „Sagt dir der Tralloper Vertrag etwas?“ Sie wartete keine Antwort ab. Natürlich würde es das nicht. „In diesem Werk sichern die Menschen den Elfenvölkern ihre Unantastbarkeit zu. Das sollte deine Frage beantworten. Oder gehst du jetzt schon so weit mir zu unterstellen ich würde die Gesetze nicht achten? Genauso stehen Magierakademien und auch die Akademie unseres Barden unter rechtlichem Schutz des Gildenrechtes. Magie ist ein Übel, mit dem wir wohl oder übel konfrontiert sind, wichtig ist es, sie dort auszumerzen, wo sie wild ist und keiner Kontrolle unterworfen wird.“



Kapitel 18: Hexen

Kapitel 20: Verbindungen