Der Sturm

Kapitel 1: Der Sturm

Am Hafen von Yar´ Dasham, 30. Rahja 1045 BF

“Bei Efferd, so hört doch zu, Kapitän Nollenborgen! Ich weiß das es nach einem Kauca aussieht, doch dafür ist es viel zu früh. Ihr müsst mir glauben, wenn ich euch sage, dass dieser Wirbelsturm etwas anderes ist. Ich kann mit jeder Faser meines Körpers spüren, dass es etwas unheiliges ist! Auch wenn die Flucht in die Stadt oder Wald am nächsten liegt, sag ich euch, dass wir Segel setzen sollten. Noch ist es nicht zu spät!” Die Efferdgeweihte Stevyana war aufgebracht. Mit festem Stand hielt sie sich auf einem Steg, der neben der recht schwankenden Thalukke “Kaiserin” lag. Seit gut zwei Götterläufen hatte sie auf diesem Handelsschiff ihren Dienst angetreten und stand dem Kapitän mit Rat und Tat zur Seite. Der Mittfünfzigerin sah man ihr Alter nicht an und fast jeder schätzte sie ganze zehn Götterläufe jünger ein. Sie war groß gewachsen und hatte eine athletische Figur. Ihr Gesicht war hübsch: feine geschwungene Augenbrauen, rehbraune Augen, eine schmale Nase und volle, sinnliche Lippen. Ihr dunkelblondes Haar trug sie schulterlang und wurde von einem blauen Haarband aus ihrem Gesicht gehalten. Die Geweihte des alten Gottes trug eine blaugrüne Robe mit weiten Ärmeln, welche sich in Hüfthöhe teilten. Ihre Hose und Stiefel waren ebenfalls blau und mit einem komplexen Schuppenmuster bestickt. Kragen und Gürtel waren mit Schildpatt und Perlmutt verziert und etliche Muscheln hingen daran. Auch ein Entermesser war daran befestigt und in ihrer rechten Hand hielt sie einen Efferdbart, den sie ´Juno´ nannte.
Vor ihr stand der Kapitän und schaute sie ungläubig an. Der bärtige Mann hatte beide Hände in die Hüften gestemmt und sein blauer Mantel flatterte im Wind. “Das ist Wahnsinn, euer Gnaden. Der Kauca wird uns zerreißen und in Borons Hallen schleudern. Wir stehen kurz vor den Namenlosen Tagen.” Sein Blick wanderte zu der kleinen Siedlung Yar´ Dasham. “Ich bin mir nicht mal sicher, ob meine ´Kaiserin´ das hier am Hafen übersteht. Zumindest können wir unser Leben in der Stadt retten. Die Hälfte der Mannschaft ist eh schon dort.” Wütend stieß die Geweihte den Schaft des Efferdbarts auf die Holzplanken. “Dann holt sie jetzt zurück. Ich habe gegen den Dämonenmeister und Heptarchen gekämpft. Glaubt mir, das, was da kommt, ist schlimmer als jeder diese und jede Dämonenarche, die die Meere unsicher gemacht hat.” Der Kapitän spie aus. “Verdammt nochmal, Stevyana. Ich bete zu den Göttern, dass ihr nicht falsch liegt. Also gut … ich hole die Mannschaft!” Dann stapfte er in die Richtung der Stadt.

Die Efferdgeweihte seufzte und blickte zum Horizont. Der Himmel war trüb und viel zu dunkel für die Tageszeit. Der Wind war stark und wurde stetig stärker. Das Meer war unruhig und schlug jetzt schon hohe Wellen an die Küste an dem das kleine Nest Yar´ Dasham lag. In der Weite war der dunkle Wirbelsturm zu erkennen und alle Zeichen deuten darauf hin, dass er direkt aufs Land steuerte. Stevyana war schon vielen Kauca begegnet, doch dieser war anders. Im dunklen Sturm zeichneten sich trübe, purpurne Blitze ab und das Heulen des Windes klang fast schon wie die Schreien von Kreaturen. Wie immer kurz vor den Namenlosen Tagen fühlte sie die Bindung zu ihrem Gott Efferd, Herr von Meer und Wind, schwächer werden, aber heute hatte sie das Gefühl, dass er selbst zur Flucht auffordern würde. So etwas hatte sie noch nie gespürt. Und das machte ihr gewaltig Angst. Inbrünstig hoffte sie, dass der Kapitän mit der Mannschaft rechtzeitig zurückkehren würde. Dann schaute auch sie zur Stadt. ´Alle werden wir nicht retten können. Oh Efferd, was kann ich nur tun?´

Das kleine Hafenstädtchen Yar-Dasham, das südlich von Sylla lag, wurde nur selten angefahren und so befand sich im Hafen, neben den heimatlichen Fischerbooten, nur eine fremde Thalukke. Die Luft war geschwängert von feuchter und heißer Luft und der konstante Wind brachte keine Abkühlung. In der Ferne braute sich ein Unwetter zusammen und die Bewohner, hierzulande Bukanier genannt, hatten sich in ihre Häuser und Hütten zurückgezogen. Doch der Sturm, der auf dem Meer wütete, war nicht die einzige Sorge der Yar-Dashamer. In den letzten Jahrzehnten verschwanden immer wieder Bewohner spurlos und es wurde von grausigen Wesen aus dem Dschungel berichtet, doch so viele Menschen wie in den letzten Tagen waren noch nie verschwunden. Ganze 13 Einwohner innerhalb einer Woche, darunter der Truchsess des Gouverneurs. Dieser lebte auf einer Anhöhe in der Nähe der 600-Seelen-Siedlung.
Ugdalf von Pandlarilsforst und von Hauberach war der jetzige Verwalter des Ortes und hatte die Gouverneurswürde erst seit einem Götterlauf inne. Selten ließ er sich bei den Einwohnern blicken und schien auch jetzt zurückgezogen. Die Familie des verschwundenen Truchsess Ulmato Amanyas stellten die Hausangestellten und waren Mittler zwischen dem mittelreichischen Gouverneur und den Yar-Dashamer. Die meisten Bewohner mieden es, hoch zu der Anhöhe zu gehen, denn in Sichtweite und landeinwärts gelegen, lag ein überwucherter Tempel eines schädelhäuptigen Gottes, der seit unzähligen Generationen gemieden wurde. Ausgerechnet zeigte der neue Herrscher Interesse an der Ruine und so war es nicht verwunderlich, dass die Leute anfingen, ihm die Schuld an den verschwundenen Leuten zu geben. Dennoch gab es kein mutiges Herz vor Ort, der es wagen würde, dies offen auszusprechen. Nun lag es an den Amanyas herauszufinden, was hier geschah.

Mühsam stieg er den Pfad zum Gouverneurshaus hoch, der Wind wurde stärker und wirbelte den Sand vom Strand bis hier hoch. Der junge Mokko Amanyas, Sohn des Truchsess, war in Eile. Der näherkommende Sturm verhieß nichts Gutes und die meisten Städter hatten sich in ihre Häuser zurückgezogen. Einige wenige suchten Schutz im nahe gelegenen Dschungel, doch kannten sich die meisten im Land der Waldmenschen kaum aus. Mokkos Großmutter stammte von einem nahegelegenen Stamm ab und war die einzige in der Familie, die noch losen Kontakt hielt. Diese war es auch, die ihn schickte, um den Gouverneur und seine Gäste zu überzeugen, sich ihnen anzuschließen, in den Dschungel zu gehen. Eigentlich lag dem Jungen, der fast schon sechzehn Götterläufe zählte, nicht viel am Gouverneur, doch hatte er eine Freundschaft zu dessen Knappen Lechdan entwickelt. Dieser war im selben Alter und litt sehr unter der charyptischen Sonne. Anfänglich war ihm der hellhäutige Junge suspekt, doch stellte sich schnell heraus, dass sie beide sich nicht ganz unähnlich waren. Er war höflich, doch voller Tatendrang.
Der Umzug in den Süden des Kontinents machte ihm aber schwer zu schaffen. Die Welt hier am Perlenmeer war eine andere und vor allem: abgelegen. Lechdan verfiel schnell in Langeweile und brütenden Gedanken. Die Freundschaft zwischen dem Sohn des Truchsess und dem Knappen brachte aber Abwechslung und so verbrachten die beiden viel Zeit miteinander. Endlich war die Veranda des Hauses in Sicht und Mokko sah zu seiner Freude seinen Freund Lechdan, der mit einem Holzschwert zu üben schien. Schweiß rann dem jungen Mann über den nackten, muskulösen Oberkörper. Sein braunes Haar wirkte bei diesem Licht und der Feuchtigkeit fast schwarz. Es war schulterlang, leicht gewellt und offen. Sein Gesicht war ebenmäßig, die Stupsnase thronte über einem gleichmäßigen Amorbogen und einer dazu passenden Unterlippe. Das Kinn zierte ein Grübchen. Offenbar hatte er mit Haarwuchs zu kämpfen, denn obwohl er sich heute morgen rasiert hatte, lag bereits ein Schatten auf seinem Gesicht. Brust und Unterarme waren ebenfalls bedeckt. Er war nur in Hose und Stiefel gekleidet, dazu einen Tuchgürtel, wie er hier Mode war. Es war ihm wieder einmal zu heiß und schwül, doch durfte er seine Übungen nicht vernachlässigen. Der Himmel war an drei der vier Himmelsrichtungen bereits grau, doch wusste Lechdan nicht, was ein Kauca war. Ja, er kannte den Namen, doch konnte er sich nicht vorstellen, welche verheerende Macht dahinter stand. Und so nutzte er die aufkommende "Brise", um die gelernten Bewegungen zu verbessern. Dass Mokko sich näherte, bekam er nicht mit.

Vorsichtig ging der Bursche näher, doch warnte er Lechdan vor. “Lechdan, gut das du da bist.”, sagte er mit angenehm teifer Stimme. Mokko war ganze 5 Halbfinger größer als der Knappe und hatte eine Haut wie dunkler Zimet. Sein schwarzes Haar war lockig und schlängelte sich bis zu seinen Schultern. Sein Gesicht zierten hohe Wangenknochen und volle Lippen, seine Augen hatten ein tiefes Grün. Der Diener trug eine leichte, ärmellose, aber am Hals geschlossene, Tunika in grüner Farbe und dazu kurze Hosen. Die Arme waren muskulös, so wie sein ganzer Körperbau athletisch war. Seine Füße zierten einfach Sandalen. “Zieh dir dein Hemd an, siehst du, was da auf uns zukommt? Wir müssen fort.” Sein Blick war äußerst besorgt. Überrascht hielt der Knappe inne und richtete sich auf. Doch anstatt nach seinem Hemd zu greifen, dass über einer Brüstung hing, griff er nach einem Stück Stoff, dass auf dem Boden lag und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht und schaute seinen Freund aus braunen Augen an. “Mokko! Was sagst Du da? Wir müssen weg? Warum?” “Schau doch.” Er deutete auf den dunklen Horizont über dem Meer. “Kauca.” Dann schaute er Lechdan wieder an. “Die Gigantin ist wütend. Großmutter sagt es dürstet sie nach unseren Tapam, unsere Seele. Wir sind hier nicht mehr sicher.” Besorgt blickte er in die Richtung, die sein Freund ihm gewiesen hatte. Schwarz türmten sich die Wolken und verbreiteten eine Dunkelheit, als würde die Nacht hereinbrechen. Ein mulmiges Gefühl erfasste Lechdan. “Wo sind wir denn sicher?”, fragte er und griff nach seinem Hemd. “Und können wir da alle hin?”

Mokkos Blick wurde ratlos. “Der Dschungel. Zumindest meinte Großmutter das. Doch die Leute aus Yar´Dasham werden hier bleiben, in ihren Hütten. Wir müssen den Gouverneur überreden und eure Gäste.” Lechdan nickte. “Gut, ich gehe rein und sag Bescheid.” Dann fiel ihm etwas ein. “Meine Nichte ist vorhin Richtung Strand gegangen. Glaubst Du, wir erreichen sie noch rechtzeitig?” Ungläubig zog er eine Augenbraue hoch. “Deine Nichte? Sie ist doch genauso alt wie du. Und hübsch ist sie auch.” Dann nickte er. “Ich denke schon wir haben Zeit, doch sollten wir uns trotzdem beeilen.” “Gut! Dann werde ich meinen Schwertvater suchen und Du kümmerst Dich um die Dienerschaft. Wir treffen uns dann wieder hier.” ´Gut. Dann ist sie wohl tatsächlich seine Nichte´, dachte er sich, da seine Frage ignoriert wurde. Mokko nickte. “Ich hole meine Schwester Mihi, sie müsste bei den Ställen sein. Alle anderen sind in der Stadt. Bis gleich.” Der Schwertleiher bemerkte die Kränkung, die kurz im Blick Mokkos aufflammte. “Ich erkläre Dir das später, ist etwas kompliziert. Bis gleich.”

Das letzte Mal, als sie ihren Halbbruder Lechdan gesehen hatte, war nur wenige Monde nach seiner Geburt. Die Ritterin mit dem rotblonden Pagenschnitt hatte ein aufregendes Leben hinter sich. Ulinai war das älteste Kind des verstorbenen Barons Traviadan von Schwertleihe, doch wurde sie schon früh von diesem enterbt. Sie war Knappin des Herzogs, Novizin in einem weidener Rondratempel und zeitweise Novizin im Orden des Heiligen Zorns. Nie hielt sie sich lange an einem Ort und folgte ihrer träumerischen Art. Frau fand sich auf vielen Schlachtfeldern und Turnieren wieder, doch nie schien es, dass sie Fuß in ihrer Heimat fasste. Das sie ausgerechnet jetzt in Yar´Dasham war, verwunderte sie nicht. Oft entschied der Dukat, wohin ihre nächste Reise ging, so wie auch diese. Zumindest fast.

Einerseits wurde sie gebeten einen alten Freund bei seiner Bußmission im Auge zu behalten, auf der anderen wurde sie von der Landhauptfrau der Nordmarken bezahlt, eine Nachricht an den Gouverneur von Yar´Darsham zu bringen. Iseweine von Weiseprein, die Landhauptfrau, war Lechdans Mutter und die zweite Gemahlin ihres Vaters. Sie respektierte die resolute Frau und so hatte sie kein Problem damit, das gute Geld für die Botschaft anzunehmen. Die andere Bitte, der sie folgte, kam vom Landgrafen Alrik Custodias-Greifax von Gratenfels. Ihr alter Freund und Geliebter, der Ritter Baldos von Paggenfeld, war durch eine Dummheit in Ungnade gefallen, hatte aber die Möglichkeit bekommen, seinen Namen wieder reinzuwaschen. Gänzlich seine Titel und Privilegien verlustig, wurde ihm aufgetragen, als Gemeiner und mit eigenen Mitteln, im Auftrage der Nordmarken, ins ferne Port Emer im Südmeer zu reisen, um von dort die jährlichen Steuern nach Elenvina zu bringen. Doch gänzlich alleine mit Baldos trat sie diese Aventurie nicht an, sondern nahm ihr einziges Kind mit: ihre Tochter Ifirnia.

Die Sechzehngötterläufige war an der Kriegerschule zu Elenvina untergebracht und es hatte nicht viele Worte gebraucht, um sie zu Überzeugen, sich ihrer Mutter anzuschließen. Wie auch diese brach sie mit der Schule und trat die Reise in den Süden an. Nun befanden die drei sich wieder auf der Rückreise in die Nordmarken, wobei sie dem angeheuerten Handelsschiff, die Thalukke ´Kaiserin´, einen Umweg über Yar´Darsham bezahlte. Am gestrigen Tag legten sie am Hafen an, doch der Gouverneur ließ sich nur kurz blicken, übernahm die Botschaft und bot den Reisenden ein Zimmer in seinem Haus an, bis zur Abreise nach den Namenlosen Tagen. Zu einem Gespräch mit ihrem Bruder kam es auch nicht und Ulinai hoffte, dass sich das bald ändern würde.

Das Wetter war schlagartig umgeschlagen und versetzte das Anwesen des Gouverneurs in ein stetiges Knarren und Knirschen. Im Gegensatz zum Vortag waren kaum Hausangestellte zu sehen und Ulinai schob es auf die Vorbereitung der unheiligen Tage. Baldos und Wando von Gehrheim, ein Gast, den sie auf der Reise im Südmeer kennengelernt hatten, wollten sich in einer Taverne treffen, während ihre Tochter sich die Zeit am Strand vertreiben wollte. Mit sicheren Schritten lief sie zu dessen Privatgemächern und klopfte an die Tür. Mit einem tiefen ´Herein´ wurde sie herein gebeten.

Ugdalf war ein wenig neugierig, wer ihn zu dieser ungewohnten Stunde wohl sprechen wollte, waren Besucher doch eher selten, zog es die einheimische Bevölkerung doch vor, ihre Angelegenheiten unter sich zu regeln. Etwas, dass ihrem ‘Gouverneur’ - dem dieser Titel stets ein wenig zu bombastisch ob des kleinen Ortes, auf den er sich bezog - durchaus recht war, solange nur sichergestellt war, dass der Pöbel wusste, wer letztlich die Zügel in der Hand hielt. So konnte der Junker sich so auf die wenigen wirklich wichtigen Dinge konzentrieren, wozu die Prüfung der Einnahmenlisten des Ortes für ihn definitiv nicht zählte. Er musste für einen kurzen Moment schmunzeln. Niemals hätte er nach seinem unfreiwilligen Abgang aus Perricum gedacht, hier ein neues Leben, eine neue Aufgabe zu finden, die ihn auch noch sehr erfüllten. Aber offenbar konnte man selbst am Ende der Welt - oder zumindest nahe dran - derlei Papierkram nicht entkommen. Also blieben die Neuankömmlinge als wahrscheinlichste ‘Störenfriede’. Ob das etwas mit Lechdans Schwester zu tun hatte, die jüngst eingetroffen war? An einen Zufall mochte der Adlige jedenfalls nicht glauben. Interessiert blickte er zur Türe und war gespannt zu sehen, wer ihm wohl seine Aufwartung machen wollte.

Die Tür öffnete sich und die rotblonde Schwester seines Knappen trat hinein. Gleichaltrig mochte sie und der Schwertvater ihres Bruders sein und Ulinai musste nochmals feststellen das Ugdalf ein ansehnlicher Mann war. Genau von der Sorte, die ihr besonders gefiel und somit fiel ihr das Lächeln nicht schwer. “Ehrwürdige Wohlgeboren, ich hoffe ich störe euch nicht. Ich konnte allerdings keinen eurer Diener finden, um nach einem Gesuch bei euch zu fragen. Verzeiht bitte meine Eigenständigkeit. Wir hatten ja gestern nur eine kurze Unterredung und ich konnte mich noch gar nicht dafür bedanken für eure Gastfreundlichkeit. Die Namenlosen Tage möchte wirklich keiner auf dem Meer verbringen.” Dann deutet sie eine Verneigung an. “Ich hoffe, die Nachricht, die euch aus Elenvina überbracht habe, waren gute.” Nun blieb Ulinai vor dem schweren Tisch stehen, hinter dem Ugdalf saß. Der Enddreißiger blickte seinen Gast mit einem freundlichen Lächeln an, dabei durchaus die Familienähnlichkeit zu ihrem Halbbruder erkennend. Mal schauen, was sie wollte, auch wenn dem ehemaligen Oberst eine gewisse Ahnung beschlich. “Nein, ihr kommt nicht ungelegen, werte Dame. Aber setzt euch doch. Ja, die Tage des Namenlosen sollte man in der Tat an einem angemessenen Ort und nicht auf hoher See verbringen, da habt ihr völlig recht.” Beim letzten Satz wurde das Lächeln ein klein wenig breiter. “Und was eure Frage betrifft, so bin ich leider noch nicht dazu gekommen, die Depesche aus der Herzogenstadt zu lesen, werde dies aber natürlich in Bälde nachholen. Aber wo bleiben meine Manieren? Möchtet ihr etwas trinken? Ich habe hier einen vorzüglichen Roten, bei dem es sich doch gleich viel besser plaudern lässt! Also, was kann ich für euch tun?”

Enttäuscht verzog sie kurz ihren Mund und zuckte dann mit den Schulter. “Oh. Nun gut. Ein Kelch Wein nehme ich gerne.” Dann zog sie sich einen Sessel näher und setzte sich hin. “Und, habt ihr euch gut eingelebt? Yar´ Darsham ist schon sehr anders als die Nordmarken. Ist es oft so stürmisch hier?” fragte sie und es war offensichtlich das Ulinai hoffte das Eis zwischen den beiden zu brechen. Sehnsüchtig schaute sie ihren leeren Kelch an. Ugdalfs Miene nahm, als er zu einer Antwort ansetzte, nachdenkliche Züge an. “Es kann hier schon sehr stürmisch und damit auch gefährlich werden, zumal besagte Stürme oftmals sehr schnell aufziehen und man dann schleunigst Schutz suchen sollte. Und ja, es ist hier schon deutlich anders als in den Nordmarken oder in Perricum. Das Klima, die Leute, die Probleme - beinahe alles halt. Es hat hier alles doch eher dörflichen Charakter, so ganz anders als die großen Städte Elenvina oder Perricum.” Nun umspielte ein Lächeln das Antlitz des Adligen: “Aber nach einer zugegebenermaßen nicht ganz einfachen Eingewöhnungszeit fühle ich mich hier mittlerweile sehr wohl, wozu die gewisse Beschaulichkeit des Ortes zweifelsohne beigetragen hat. Zudem war es eine gute Gelegenheit, einmal ausgetretene Wege zu verlassen - wann eröffnet sich einem auch schon die Möglichkeit, für das Reich in die Ferne zu ziehen und dort Aufgaben zu übernehmen? Da fühle ich mich fast schon ein wenig wie mein Großvater Ralmir, der vor vielen Jahren Gouverneur von Khemi war. Aber jetzt rede ich die ganze Zeit nur von mir. Wie ist es Euch denn-” Plötzlich wurde die Tür aufgerissen.

"Verzeiht mein rüdes Eintreten, Wohlgeboren, doch Mokko sagt, dass der aufziehende Sturm ungewöhnlich stark ist und wir uns in Sicherheit begeben sollen." Er holte tief Luft und bemerkte erst jetzt die Besucherin. "Oh, verzeiht. Ich wusste nicht, dass Ihr hier seid." Hastig nestelte er sein Hemd am Kragen zusammen, da er es auf dem kurzen Weg hierher nur schlampig übergeworfen, aber nicht geschlossen hatte. “Danke für die Warnung, Lechdan. Ich denke, wir Drei sollten uns sofort in den Keller begeben und dort warten, bis sich der Himmel wieder beruhigt hat.” Ugdalfs Stimme verriet zwar eine gewisse Anspannung, aber keine echte Besorgnis. Entweder versteckte er diese gut oder aber er hatte - was wahrscheinlicher war - schon genügend solcher Stürme miterlebt.

“Lechdan.”, sagte Ulinai überrascht und sprang instinktiv aus ihrem Sessel. Viel Zeit hatte sie mit ihrem jüngeren Halbbruder noch nicht verbringen können … und eigentlich war er ihr ein Fremder. Doch bevor sie weitersprechen konnte, krachte es laut und eines der Fensterläden wurde vom stürmischen Wetter aufgerissen. Die Pergamente, die Aufzeichnungen des Gouverneurs, wirbelten von seinen Schreibtisch auf und verteilten sich im Raum. Ritterin wie Knappe erkannten Pläne von Gebäuden, doch nur Lechdan erkannte den schädelköpfigen Turm der Tempelruine, die die Bewohner von Yar´Darsham abergläubig mieden. Schnell sammelte der Knappe die Papiere ein und tat so, als hätte er nicht gesehen, was da drauf war. "Aber Mokko und seine Schwester sind noch da draußen und… Ifirnia." “Dann geh´ sie suchen und bring sie her!”, rief der Gouverneur. “Und beeil´ Dich!” "Jawohl", bellte der Knappe automatisch, übergab die Papiere und rannte los.

Verwundert schaute Ulinai auf die Papiere, dann aus dem Fenster. Der Sturm wurde stärker und schien draußen Dinge herum zu wirbeln. Dann sah sie einen Schatten.´Der Keller. Wahrscheinlich eine gute Idee … doch, was ist das?”, sagte sie geistesabwesend und deutete mit dem Finger aus dem Fenster. “Was genau meint ihr?”, fragte Ugdalf, während er sich zum Fenster umdrehte und ebenfalls hinaus schaute. Als Ugdalf aus dem Fenster sah, konnte er huschende Gestalten erkennen, die aus dem Dschungel, durch den Sturm, auf das Haus zuhielten. “Ich weiß nicht, wer die sind und was sie wollen, aber das möchte ich bestimmt nicht erst hier in meinem Arbeitszimmer herausfinden”, knurrte Ugdalf, während er sich seinen Schwertgurt umschnallte. “Ich wäre euch sehr verbunden, wenn ihr mich begleitetet, werte Dame. Mir scheint, dass eure Klinge bei der anstehenden Konfrontation eine große Hilfe wäre und wüsste euren Schwertarm daher gerne an meiner Seite.” Dann wandte sich der Gouverneur zum Gehen und strebte der Treppe ins Erdgeschoss entgegen.