Der Anfang vom Ende

Kapitel 1: Der Anfang vom Ende

"Die Unendlichkeit und das Ewige sind das einzig Gewisse." - Kirkegard Sörensdottir

Lilienpark in Herzogenfurt, 15. Travia 1043 BF

"... drei … vier … fünf … uuuund schnipp …”, trällerte die schöne Stimme einer jungen Frau. “... zwei … drei … vier … fünf … uuuund schnipp … hihihi … bald seid ihr wieder hübsch, meine Lieben.” Die junge Urheberin dieser Worte hatte den wenigen Besuchern des Lilienparks ihren Rücken zugewandt und stand vor einem Rosenbusch. “Eins … zwei … drei … vier … fünf … schniiiip … so jetzt habt ihr es gleich geschafft”, in ihrer Rechten hielt sie eine Schere, in der Linken abgeschnittene Triebe. Rote Locken fielen der Frau über Schultern und Rücken und sie war in ein schmuckloses, aber festes Kleid gewandet. Neben ihr stand ein Weidenkorb, in welchem sich Rosenzweige befanden. Kurz hielt sie inne. Komischerweise hatte sie das Gefühl, diesen Moment zu kennen. War da jemand hinter ihr und wollte sie überraschend umarmen? Ihr Blick fiel auf einen kleinen Finken, der vor ihr auf einem Ast saß und sie mit schräg geneigtem Kopf beobachtete. Cupida empfand den Blick des Vogels als eine Herausforderung, weshalb sie sich ein paar Herzschläge später umwandte, obwohl ihr erster Impuls ihr davon abriet. Doch statt einer Umarmung rief jemand, mit flüsternder Stimme, ihren Namen. Sie war männlich und Vorsicht schwang in ihrem Klang. "Jaaaa?", fragte sie mit zunehmend beklemmendem Gefühl in der Brust. "Wer ist denn da?" Der junge Mann, den sie erblickte, war ihr unbekannt … dennoch hatte sie ein vertrautes Gefühl. Er war groß, schlank und trug sein braunes Haar wellig und schulterlang. Hohe Wangenknochen und ein starkes Kinn mit Grübchen waren ausdrucksstark, genauso wie seine grünen Augen, die einen silbrigen Schimmer aufwiesen. Seine Haut war sonnengebräunt, auch wenn der Sommer schon lange am Vergehen war. Gekleidet war er in einer grünen Tunika, darunter trug er eine erdbraune Hose aus Leinen. Auf die Tunika war das Symbol einer Lilie gestickt worden. Ein breiter Gürtel aus Leder trug eine kleine Schippe, Handschuhe, wie auch eine Gartenschere. “Cupita, ich bin’s, Flavenius. Ich wollte dich nicht erschrecken.” Vorsichtig kam er näher, blickte sich aber nervös um. “Sind wir alleine?” fragte er sie. “Flavenius …”, wiederholte die junge Frau, “... bist du auch ein Gärtner?” Cupida wies auf die Gartenschere und die Handschuhe des Mannes. Sie kannte ihn nicht, aber das Gefühl der Beklemmung ließ wieder nach. “Ich schneide gerade meine Rosen zurück. Möchtest du mir helfen?” Kurz kräuselte er die Stirn. “Was redest du, Schwesterherz?” Er kam noch etwas näher. “Ich bin mir nicht sicher, ob wir beobachtet werden”, flüsterte er weiter. “Caracalla wurde festgenommen.” Nun war seine Sorge deutlich spürbar. “Ich bin mir nicht sicher, aber es kann sein, dass man sie in die Vindobona gebracht hat.” “Bruder”, unterbewusst machte sie einen Schritt zurück. “Ich habe nur zwei Schwestern …”, meinte Cupida dann etwas unsicher, “... Flora und Victualia. Keinen Bruder. Und ich weiß auch nicht, wer Caracalla ist und wo dieses Vindobona sein soll.” Kurz schaute Flavenius hilfesuchend in ihre Augen, atmete tief durch und ließ die Schultern sinken. “Ach, Cupita. Das ist jetzt echt ein schlechter Moment für dein …”, und sprach nicht weiter. “Ich bin dein Bruder und Caracalla und Flavia sind deine Schwestern. Trabintaia ist unsere Mutter. Wir sind die Gärtner und Hüter hier. Erinnerst du dich jetzt?” Seine Stimme hörte sich schon fast flehend an. Noch immer kannte sie ihn nicht, obwohl er das silbrige Glimmen in seinen Augen mit ihrer Lilienhainer Familie teilte. Irritiert griff Cupida nach dem Rosenstrauch, an welchem sie gerade arbeitete. “Aua …”, presste die junge Frau zwischen ihren Zähnen hervor und betrachtete die blutende Wunde. Wie es schien träumte sie nicht. “Hör zu, meine Eltern sind Nordrun und Rahjagoras vom Lilienhain … sonst habe ich keine Eltern, denn meine leibliche Mutter hat mich weg gegeben. Aber ich helfe dir, obwohl ich mir nicht sicher bin, dass ich dir helfen kann.” Cupida legte die Schere in ihren Korb. “Also, wo ist dieses Vindobona?” Kurz blickte er zu Boden. “Ich verstehe. Mit einem hast du recht. Mutter hatte dich am Teich gefunden. Nun,” Hoffnung schwang wieder in seiner Stimme, ”ich weiß, dass du den Garten nicht gerne verlässt, doch könnte es nun hilfreich sein. Die in der Stadt kennen dich nicht gut oder gar nicht. Ich und Flavia dagegen…”, kurz machte Flavenius eine Pause, “der Praefectus hat einige Priester festnehmen lassen und unsere Schwester gehört dazu. Wir müssen wissen, wo sie ist. Nur so können wir sie da wieder raus holen. Nun, die Vindobona, die Garnison, ist dort.” Er drehte sich um und deutet in rahjawärtige Richtung. Als Cupida seinem Finger mit ihrem Blick folgte, sah sie den gewohnten Hügel mit den Ruinen, doch stand dort nun ein schweres, dunkles Gebäude. Die Gärtnerin wusste nicht, wovon der Mann sprach: Praefectus? Vindobona? Welche Garnison und welche Priester? "Wovon redest …", sie stockte, als sie das Gebäude sah, "... was … wo bin ich? Wo sind die Ruinen … Herzogenfurt?" Nochmals schaute er sich nervös um. “Cupida. Versuch dich zu beruhigen. Jemand könnte uns hier sehen. Am besten ist es, wir gehen zu Mutter. Die kann dir das besser erklären. Du bist aber genau dort, wo du immer bist. Im Lilienpark.” Flavenius versuchte beruhigend zu wirken. “Lass uns nach Hause gehen, ja?” Er hielt ihr seine Hand hin. “Das … das ist nicht meine Heimat …”, bockig blieb Cupida stehen und weigerte sich weiterzugehen. “Ich kenne dich nicht, der Park sieht ganz anders aus und die Stadt auch. Erkläre mir jetzt wo ich bin, dann helfe ich dir.” Unverständlich schaute er sie an. “Wir sind in Terra Porcum, im Lilienpark. Unsere Heimat. Am Tor ist unser Haus. Wir sind die Gärtner vom Lilienhain.” Ratlosigkeit machte sich in seinem Gesicht breit. “Vielleicht sollte ich Mutter zu dir holen …”, sagte er fast flüsternd. “Terra Porcum?” Cupida runzelte ihre Stirn. Sie kannte diesen Namen und meinte, dass Herzogenfurt einmal so geheißen hatte. “Welches Jahr haben wir denn?” “26 Jel-Horas.” Nun wirkte er besorgt. "Jel … was?", kam es ungläubig zurück. "Wir haben 1043 nach Bosparans Fall und das hier sollte eigentlich Herzogenfurt sein und nicht Terra … irgendwas. Entweder ich träume, oder ich bin in … nein ich träume wohl." “Du träumst nicht. Unsere Schwester ist in Gefahr, Cupida. Ich weiß nicht was ich noch sagen soll.” Dann blickte er sich wieder nervös um. “So kannst du nicht helfen”, flüsterte er resigniert. Die Angesprochene wirkte immer noch verstört, doch obsiegte schlussendlich ihr gutes Herz über die Angst vor dem Ungewissen. Sie nickte … erst zögerlich, dann fester. "Gut, ich helfe dir. Auch wenn ich immer noch nicht weiß, wo genau ich hier bin. Also wo ist unsere Schwester und was ist der Plan?" Hoffnung flackerte in seinem Blick. “Gut, lass uns zu Mutter gehen.”