Tiergefährten - Epilog

Epilog

Epilog der Briefspielgeschichte Tiergefährten

Ende gut, alles gut?

Lilienpark, Herzogenfurt, Traviastunde

Der liebliche Duft der Lilien stieg Relindis in die Nase, doch reichte es nicht, sie aus ihrem erholsamen Schlummer zu wecken. Erst das Schnattern einer Gans und das fröhliche Glucksen eines Kindes und das Läuten der Glocke des Traviatempels holten sie wieder in den Tag zurück. Ach, was für ein fantastischer Traum! Dryaden, eine wundersame Welt, regenbogenfarbenes Wasser, eine turbulente Flussüberquerung, eine riesige Ulme … eine verschwundene Elvrun. Ja, Elvrun! Erschrocken riss sie die Augen auf. Kurz war sie geblendet von der Sonne, doch dann erkannte sie, dass sie sanft im Gras am See im Lilienpark lag. Eine Wildgans saß neben ihr und schaute Relindis erwartungsvoll an. Nicht weit von ihr lag Elvrun, die ebenfalls, mit einem Lächeln im Gesicht, die Augen aufschlug. Eine andere Wildgans saß in ihrem Schoß und schnatterte. Das kindliche Glucksen kam von dem kleinen, dunklen Jungen, der in einer orangen Decke gewickelt auf dem Schoß eines Mannes saß. Relindis erkannte ihn als ihren zukünftigen Schwager Amiel von Altenberg. Eine Koschkröte floh vor den neugierigen Griffen des Kindes in den See, während das Krächzen eines Raben sie wieder erinnern ließ.

“Akka?” Es hätte nicht erst deren zustimmenden Schnatterns, gefolgt von einem sanften Zuppeln an Relindis merkwürdigerweise wieder wohlgeordneten Haar bedurft, um der Geweihten Gewissheit zu schenken, dass es genau die war. “Akka!” streichelte sie ihre neue Freundin einige Augenblicke versonnen mit einer Hand. Die Gans genoss die Berührungen sichtlich. Doch allzu lange konnten die beiden ihre vertrauliche Begrüßung nicht auskosten. Die beiden Ringe in ihrer anderen Hand, bereits ganz warm von dieser, taten ihr übriges zu den wiederkehrenden Erinnerungen, insbesondere auch die, dass ja noch eine Hochzeit auf Elvrun wartete, ihre Hochzeit!
Dennoch sprach Relindis, bevor sie ihre baldige Schwägerin aufweckte, zunächst deren Vetter an. “Amiel! Die gütige Mutter sei mit Dir! Wie ich sehe, hast Du Dich bereits mit Tsadoro bekannt gemacht. Er scheint Dich zu mögen…” stellte sie schmunzelnd fest. “Tsadoro! Lässt du die arme Kröte in Frieden?!” ‘Leb wohl, guter Onyx’ sandte sie diesem in Gedanken hinterher, als er im Wasser verschwand. “Wie lange liegen wir denn schon hier?” erkundigte sie sich wieder bei Amiel. “Und sag, wie hast Du uns gefunden?” Insgeheim war sie vor allen Dingen gespannt, ob der junge Altenberger mitbekommen hatte, wie sie hierhergekommen waren. Die Tatsache, dass Amiel so ruhig da saß, ließ zudem ihre Hoffnung wachsen, dass sie noch nicht allzu viel zu spät waren… am Ende vielleicht sogar noch gar nicht zu spät? - selbst wenn sich dies mit ihrem Zeitgefühl so gar nicht in Deckung bringen ließ. “Weißt Du, welche Stunde wir haben?”

Der dunkelhaarige Altenberger lächelte Relindis an. “Es wurde ja Zeit. Dieser Park scheint etwas besonderes an sich zu haben. Nun, wir sind zu spät. Aber immerhin hast du Elvrun gefunden.”, sagte er mit einer Ruhe, die anbetracht der Hochzeit fehl am Platze war. Dann wiegte er den Jungen ein wenig. “Ja, den kleinen Tsadoro hier kenne ich. Ein Waisenkind.” Dann blickte er auf die erwachte Elvrun. Diese gähnte, streckte sich und streichelte instinktiv die Gans in ihrem Schoß. “Ach herrje, ich muss wohl eingeschlafen sein.” Dann musterte sie ihren Vetter mit dem Kind. “Na wen hast du denn da mitgebracht? Ist das nicht der kleine Tsadoro?” sagte sie mit einem Ton, als ob sie nichts von dessen Herkunft wußte. Dann wanderte ihr Blick zu Relindis. “Ich hatte einen seltsamen Traum. Wie spät ist es denn eigentlich?” Ein misstrauischer Blick schlich sich in Amiels braunen Augen. “Nun, es ist… Tsadoro. Und…” dann schaute er hilfesuchend Relindis an. ´Stimmte etwas nicht mit Elvrun? Wieso ist sie so … fröhlich?´, ging es ihm durch den Kopf.

Relindis warf Amiel einen Blick zurück, der einen Augenblick mindestens genauso hilfesuchend war wie seiner. Auf einmal verschwammen Wirklichkeit und Traum, die sie gerade noch zu durchblicken schien, in ihrem Geiste wieder ineinander. War Tsadoro etwa doch nicht… aber nein, diese Augen. Und sein Haar… War es Teil der Heilung Ulmaceaes gewesen, dass sie jegliche Erinnerung Elvruns an ihr Fehlen getilgt hatte … oder hatte Elvrun doch gar nicht… gefehlt... und die Dryade war nur eine Traumgestalt…? “Ich habe auch seltsam geträumt” fing Relindis langsam an. “Aber auch gut… Es muss wirklich an diesem Park liegen…”
Die Ringe in ihrer Hand waren es, die ihrem schwindelnden Geiste abermals Halt gaben. Sie drückte diese kurz fester, und ein Lächeln trat auf ihr Gesicht, als sie gefasster fortfuhr: “Ein erholsamer Schlaf und gute Träume sind oft heilsam für Leib und Seele. Und in manchen Träumen liegen tiefere Wahrheiten. Manchmal sogar Fingerzeige für unser Leben.” Relindis ging vor Amiel und Tsadoro in die Hocke und streichelte dem Jungen sachte über den Schopf. “Ich habe von Tsadoro geträumt.” Dabei drehte die junge Tannenfelserin sich zur Braut ihres Bruders. “Ich sah ihn bei Dir.” Relindis machte eine kurze Pause. “Ich glaube,... der gütigen Mutter würde es gefallen, wenn mit Eurem Bund ein Waisenkind ein neues Zuhause fände…. Könntest Du Dir das vorstellen?”

Der misstrauische Blick Amiels entging ihr nicht und Relindis konnte spüren, dsas er sich zurückhielt. Elvrun lachte fröhlich auf. “Schwesterchen, Adoption ist einer der größten Gesten Travias. Was für eine Frage, natürlich werde ich einem Kind oder zweien eine Familie schenken, die ohne geboren sind. Du etwas nicht? Und wer weiß, wieviel eigene ich mit Nivard haben werde.” Nun war sie aufgestanden und die Wildgans schnatterte aufgeregt, nur um sich dann zu der anderen zu gesellen. “Nun?” griff sie die Worte Amiels wieder auf. Dieser räusperte sich kurz. “Nun, ich habe den Jungen mitgebracht. Er weinte so sehr. Naja, du weißt ja, ich kann gut mit Kindern”, log er. “Und du bist zu spät zu deiner eigenen Hochzeit.”, setzte er dann beiläufig nach. Elvrun schaute plötzlich entsetzt. “Was?! Oh nein, Nivard, das Tempelpaar, die Gäste. Warum habt ihr mich denn nicht geweckt. Oh nein, oh nein! Wie seh ich aus? Wir müssen loss! Komm, Bakka!” Aufgeregt raffte Elvrun ihre Robe, während die Wildgänse den Vormarsch machten. Nun setzte sich auch Amiel auf und unterdrückte sich ein Lachen. “Folgen wir der Braut!” sagte er zu Relindis und dem Knaben.

“Trägst Du den jungen Mann? Ihr könnt ja gut miteinander…” lächelte Relindis Amiel zu und schloss sich dem Zug eilig an. “Am Ende trage ich die Schuld für Deine Verspätung”, raunte sie Elvrun zu. “Ich hätte Dich eigentlich suchen und rechtzeitig mit Dir in den Tempel kommen sollen… stattdessen habe ich mich offensichtlich neben Dir ins Gras gelegt... auf jeden Fall siehst Du bezaubernd aus, auch ohne noch stundenlang in der Ankleide zu stehen. Nivard wird hingerissen sein.” Dessen war sie sich tatsächlich gewiss.
Auf dem Weg warf sie Amiel einen vielsagenden Blick zu. Wie viel wusste er?… Immerhin war er ein enger Vertrauter Elvruns… sie würde die Frage jedenfalls nicht offen ansprechen. Insgeheim betete sie zu Travia, dass ihre Worte der letzte Anstoß gewesen sein mochten, dass Tsadoro in sein neues und zugleich wahres Zuhause fand...

Noch bevor sie den Park verließen, ließ sich Amiel an die Seite Relindis zurückfallen und stellte ihr flüsternd nur eine Frage. “Muss ich wissen, was hier wirklich passiert ist?”

“Das wüsste ich selbst gerne.” flüsterte Relindis - ganz aufrichtig - zurück.
Es schien verschiedene Wahrheiten zu geben. Welche Wahrheit war die wahre? Musste Elvrun ‘die Wahrheit’ über ‘ihr Kind’ wissen? Und Nivard? Und war das, an das sie selbst sich erinnerte, überhaupt ‘die Wahrheit?’ Wenn die Dinge nicht so klar waren, so erschien ihr die sich jetzt darbietende jedenfalls nicht die schlechteste zu sein. Dennoch würde sie noch lange darüber nachzudenken haben.
Doch nicht jetzt, denn ein Zuppeln an ihrem Rocksaum und zwei schwarze Gänseaugen, die sie von unten ansahen, rissen sie aus diesen Gedanken.

Dann erreichten sie das Tor nach draußen.

***

Kaum waren die Menschen mit den Gänsen außer Sichtweite, bewegte sich ein Spinnerich aus seinem Versteck. Auf seinem Rücken trug er ein gefährliches Päckchen: das gefangene Übel! Doch allein war er nicht, denn die Koschkröte Onyx beobachtete ihn vom Ufer des Teiches.

Ohne sich umzuwenden krabbelte Rotlöckchen zu jenem Baum, wo ihn Frenya zuvor abgesetzt hatte. Er würde auf sie warten und sendete dabei seinen Ruf aus, obwohl er wusste, dass seine Gefährtin sowieso kommen würde wann sie das wollte. Die Beute behütete der Spinnerich, so gut es ging. Es war schön nicht mit leeren Beinen zurückzukommen und Frenya würde bestimmt etwas damit anzufangen wissen.

Träge blinzelte die Kröte in das viel zu helle Licht. Endlich fühlte sich der Körper wieder gut und richtig an. Er streckte sein langes Hinterbein, da erblickte Onyx die Spinne. Kurz war er versucht, zu ihr zu hüpfen, aber er liess es bleiben. Das sah nach Ärger aus. Lieber wollte er seiner Herrin später ein paar Vorschläge machen. Sie freute sich stets über seine Vorschläge.

Die glückliche Braut

Am Hofe der Lilienkönigin

Folgt...