Tannenfelser Hochzeit - Kapitel 3

Einen Bund zu schließen

Kapitel 3 der Briefspielgeschichte "Tannenfelser Hochzeit"

Als die Kunde eintraf, dass die Braut auf dem Weg zum Tempel war, gelang es den Geweihten der Gänsegöttin, recht schnell für Ruhe und Ordnung zu Sorgen. Die Gäste nahmen wieder Platz und vielen war die Erleichterung im Gesicht anzusehen. Bevor Elvrun den Tempel betrat, waren auch die Perainegeweihte Waldlieb, die Traviageweihte Firuna wie auch die Burgoffizierin Coletta von Hadingen und die Kriegerin Meingard eingetroffen.

Gleich nachdem sie den Tempel betreten hatte, huschte Meingard wieder schattengleich zurück an ihren Platz bei ihren Kameraden.
“Einsatz erfolgreich beendet? Hat ja nicht lange gedauert” raunte Emmeran leise mit einem Schmunzeln, offenbar als Anspielung auf das ‘Frauending’, als er aber das von Skepsis durchwirkte Gesicht Meingards erblickte, fiel es von ihm ab. “Bericht.”
“Die Braut galt als vermisst. Ich sollte mit suchen helfen. Mit der Burgoffizierin und eine Ritterin des Herdfeuerordens. Diese erwähnte sie sei aus Rommilys geschickt um dämonische Umtriebe zu ahnden.”
“Was für Umtriebe sollen das sein, häm?” fragte die Schwarzhaarige Rhela gelangweilt und fuhr sich undamenhaft mit dem Handrücken über die juckende Nase.
Emmeran sammelte die Neuigkeiten interssiert ein und seine Stirn furchte sich zunehmends. “Die des Widersachers Travias,” antwortete er, es war aber mehr eine Feststellung. “Weiter!”
“Wir wollten die Suche beginnen, da kam die Braut uns entgegen. Eine Art Prozession. Zwei Gänse voraus und ein Rahjani mit einem Säugling im Arm wie eine Opfergabe hinterdrein. Angeblich ein im Park gefundenes Waisenkind.”
“Die Braut?”
“... gab vor, im Park eingenickt zu sein…”
“Du hältst das für eine Lüge.” Wieder eine Feststellung.
“Es war nicht die volle Wahrheit. Da bin ich mir sicher. Soll der Einsatz ins Protokollbuch?”
“Ja. Besser ist das.” Der Blick des Plötzbogens glitt nach vorn zum Altar, wo der junge Tannenfelser stand. Er war noch so jung und kannte die grausamen Seiten des Lebens noch nicht… er würde sie auch an seinem Hochzeitstag nicht kennenlernen - fällte Emmeran die Entscheidung und wandte sich zu den Seinen um:
“Knoten lösen. Drei links, drei rechts neben die Tür. Würdevoll aber höchst aufmerksam. Wenn’s Ärger gibt sind wir bereit. Und wenn nicht, ist der Weg fürs Spalier nicht so weit. Los jetzt, Beeilung!”
Daraufhin erhoben sich die Kameraden Nivards und nahmen hinten neben der Tempeltür Aufstellung. Für die anderen Gästen sah es wie geplant aus, denn die anwesenden Geweihten wurden ebenfalls auf ihren Platz vorn neben den Altar gebeten.

Vor dem Altar stellte sich der Hochgeweihte aus Elenvina auf, Vater Winrich von Altenberg-Sturmfels. Nivard, der wieder etwas an Farbe gewonnen hatte, stand mit seiner Mutter Celissa von Tannenfels direkt vor ihm und schaute erwartungsvoll zu den Tempeltüren. Tempelvater und Mutter, sowie Mutter Elva standen auf der Herzseite bereit und die Geweihten der anderen Götter auf der gegenüberliegenden. Schwester Lichthild ließ wieder das Glöckchen erklingen. Kurz kehrte Stille ein, nicht einmal ein Husten oder Schniefen war zu hören.
Dann fing es an zu schnattern und die doppelflügelige Tür wurde von der Traviageweihten Relindis von Tannenfels und dem Rechtsgelehrten Amiel von Altenberg geöffnet. Dieser hatte überraschenderweise ein kleinen Jungen im Arm, der in eine orange Decke gewickelt war. Wieder einmal waren alle kurz vom Tageslicht geblendet, bis sich die zierliche Gestalt einer jungen Frau abzeichnete. Das orange-braune Festgewand war züchtig geschlossen, feinst verziert mit Stickereien von Herdfeuer und Gänsen. Ihr rotes Haar war zu zwei ordentlichen Zöpfen geflochten und ihr blasses, hübsches Gesicht hatte eine leichte Röte der Aufregung. In ihrer Rechten hielt sie ein kleinen Strauß weißer Lilien und in ihrer linken die grobe Hand ihres Vaters. Der Efferdgeweihte, Juno von Altenberg, war ein breitschultriger, rüstiger Mann in seinen Siebzigern. Sein volles silbergraues Haar und der gepflegte Vollbart schimmerten im Licht, doch seine grünen Augen wirkten streng. Der Gefährte von Wind und Woge trug sein blaugrünes Schuppengewand, das mit vielen Talismanen behangen war und führte seine Tochter würdevoll zum Altar. Voran schritten zwei Wildgänse, die abwechselnd beim Watscheln die Gäste betrachteten. Den Abschluss machte die junge Cupida, die einige Lilien an die Gäste verteilte. Der ganze Gang wurde von dem Läuten der Tempelglocke begleitet.

Lucilla lächelte. Ja, nun würde hoffentlich alles so wie von ihr - der Braut - gewünscht verlaufen. Hübsch war sie und wie jede andere Frau, die den Traviabund einging, hatte sie es verdient, dass die Vereinende durch die Zeremonie geehrt wurde, auf dass sie den Bund, das Versprechen vor IHR segnete. Recht hatte sie also getan damit, dem Bruch von Brauch und Anstand anzuprangern, auf dass dies ohne Makel geschehen konnte.

Die junge Gärtnerin war verzückt. Überall sah sie nun erleichterte und freudige Gesichter und der Umstand, dass sie von ihren schönen Lilien mitgebracht hat, schien die Laune manches Gastes noch zusätzlich zu heben. Cupida war es egal was im Park wirklich geschehen war, denn nun würde alles wieder gut werden - dessen war sie sich sicher. Wenn Schwester Lichthild es nicht wieder mit der Glocke übertreiben würde, wäre es wohl ein nahezu perfekter Moment gewesen.

Amiel, der Vetter der Braut, nutzte die Gelegenheit, um wieder auf seinen Platz zu gelangen. Noch immer trug er den Knaben auf dem Arm, der nun neugierig und mit Fingerchen im Mund die Gäste betrachtete. Dann drückte er diesen seiner Verlobten Ringard von Tannenfels in den Arm. “Ich brauch mal eine Pause, Kannst du ihn bitte halten?”

"Wo hast Du den süßen Wonneproppen denn her?" fragte Ringard ihren Verlobten erstaunt, nahm den Knaben aber mehr als bereitwillig entgegen. "Und wie lange trägst Du ihn schon herum, dass Du eine Pause brauchst?... Komm mal her, junger Mann. Sag mal, wer bist Du denn?" fing sie mit hoher Stimme an, sich mit diesem vertraut zu machen. "Steht Dir gut, Schwesterherz", feixte Silfrun grinsend von der Seite, so laut, dass auch Amiel es noch vernehmen konnte und Rondrard zischte: "Leise, es geht jetzt los."

“Das ist Tsadoro. Ich hab ihn aus dem Waisenhaus. Ich dachte es wäre … recht traviagefällig.”, flüsterte Amiel. Mit großen Kulleraugen ließ der Junge sich nehmen, als ob Ringard keine Fremde wäre.

Wie merkwürdig vertraut der Knabe wirkte... Ringard war berührt, sowohl von Tsadoro, als auch von Amiel. Dass er bereits jetzt offensichtlich daran dachte, ihre Familie zu vergrößern, in dem er ein Waisenkind zu sich nahm, zeigte eine Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit, die ihr Herz höher schlagen ließ. So schnell... und das, obwohl sie noch gar nicht verheiratet waren... oder waren seine Worte doch anders gemeint? stutzte sie. "Was genau wäre traviagefällig, meinst Du?" konnte sie rasch noch so leise zurück flüstern, dass sie sich keinen weiteren mahnenden Blick einfing.

“Ein Waisenkind mit zu bringen …” sagte Amiel leise und konzentrierte sich auf das Geschehen vor ihm.

Ringard sah Amiel noch einen Moment von der Seite an, war ihre Frage noch nicht gänzlich für sie beantwortet, doch dann zog die beginnende Zeremonie auch ihre Aufmerksamkeit nach vorne. Tsadoro hatte es sich derweil bereits bequem auf ihrem Schoße gemacht und beobachtete gebannt, ein Fingerchen im offen stehenden Munde, den Einzug der Braut.

Nach der kurzen Woge der Erleichterung ob Elvruns Eintreffen schlug Nivards Herz wieder wie wild. Endlich war der große Moment gekommen, dem er so lange entgegen gefiebert hatte. Die ersten Momente des Einzugs sah er dem Brautvater dankbar in die Augen: Es war noch kurz vor der Brautschau gewesen, dass er Seite an Seite mit diesem und weiteren Gefährten gegen eine Schwarzfee und die Macht hinter dieser gekämpft hatte. Nicht nur deswegen bedeutete es ihm viel, dass Juno Elvrun zum Altar führte und damit seinen Segen für ihre Verbindung bestätigte.

Doch dann hatte Nivard nur noch Augen für Elvrun, und die Welt um ihn schien wie versunken. Wie unendlich schön seine Braut war! Gebannt sah er ihr entgegen, und mit dem Blick in ihre Augen war mit einem Male auch alle Unruhe verschwunden und die Marter des Wartens und der Sorge vergessen. Es war ihm, als ob ein Stück Himmel auf Deren herabkam.

Ihre grünen Augen blickten ihn erwartungsvoll an, voller Freude, voller Selbststärke, voller Liebe.

In seiner momentanen Entrückung bekam Nivard auch gar nicht mit, wie Relindis, die in ihrem orangenen Festornat unauffällig um die Bänke herum nach vorne gehuscht war, hinter ihm kurz mit seiner Mutter tuschelte und diese irgendetwas mit einem Nicken bestätigte.

Celissa von Tannenfels hatte zum heutigen feierlichen Anlasse, es war zum ersten Mal seit vielen Jahren, tatsächlich ein Kleid angelegt: es bestand aus einem detailliert, aber dennoch unauffällig mit Motiven des Waldes bestickten schwarzen Oberteil, und besaß dunkelgrüne Trompetenärmel sowie einen ebensolchen Rock, der unter ihrer schmalen Taille ansetzte und ihr bis zum Knöchel reichte. Über ihre Schultern fiel ihr offen getragenes weißes Haar; das sparsam eckig ausgeschnittene Decolleté zierte eine Kette mit einer Brosche, in die ein roter Stein eingelassen war.
Celissas Hand aber ruhte auf der Schulter ihres zweitältesten Sohnes. In seinem grünen samtenen Wams mit grünweiß gepufftem Armansatz und seinem darunter getragenen weißen Hemd, das mit gleichsam weißen Stickereien geschmückt war, sowie seiner dunklen Hose erinnerte er sie sehr an ihren eigenen Gemahl zu ihrer Hochzeit. Jetzt aber packte auch sie eine Woge aus Stolz und Rührung, und sie musste hart mit sich kämpfen, dass diese ihre Contenance nicht bereits jetzt wegspülte, die Freudentränen vorläufig noch unterdrücken.

Nivards älterer Bruder Rondrard war schwer beeindruckt vom Einzug der Braut und vergaß für dessen Dauer sogar, regelmäßig zu Befinna zu linsen.
"Sie ist wunderschön." hauchte Ringard Amiel leise zu, während sie sich mühte, den kleinen Tsadoro so zu halten, dass auch dieser etwas von der Szenerie mitbekam.
Selbst Silfruns Schalk schien in diesem Augenblick wie verflogen, und ihre Augen hingen am Geschehen.
Befinna von Fadersberg war neidisch und ein wenig traurig, zu sehen, welche Zuneigung füreinander aus Braut und Bräutigam schien. Ob ihr jemals eine solche Hochzeit vergönnt sein würde? Auch ihre Schwester Wunnemine, die Baronin von Ambelmund, verspürte einen leichten Neid, noch mehr aber die hoffentlich nicht voreilige Erleichterung, dass Travia nicht gänzlich fern zu sein schien, wo sie wandelte. Außerdem war sie sehr auf Elvrun gespannt.

Ganz vorne watschelte Akka mit ihrer Schwester Bakka und verkündete, für die menschlichen Ohren nur schnatternd, in alle Richtungen: “Hier kommt die Braut, hier kommt die Braut, jaja!”

***

Während sich die Tempeltüre schloß, überlegte die Gauklerin Doratrava noch immer, was sie nun tun könnte. Da öffnete sich eine Seitentür am Tempel und eine Geweihte der Travia lugte heraus. Als Schwester Lichthild die Gauklerin sah, winkte sie Doratrava eilig heran.

Doratrava sah auf und runzelte die Stirn, als sie Lichthild entdeckte. Sie zögerte, aber schließlich gewann ihre Neugier die Oberhand über das leichte Unbehagen, dass sie gegenüber Lichthild empfand. Wieder mal meldete sich ihr Verstand mit warnenden Worten. Lichthild würde sie in den Tempel schmuggeln, damit sie bei der Zeremonie zusehen konnte, aber wenn man sie dabei erwischte, würde alles nur noch schlimmer werden … doch ihre Neugier überwand auch diesen Widerstand. Doratrava sprang auf und eilte zu der Seitentür.

Dort wurde ihr schnell eine braune Kutte übergeworfen und geschickt von der Geweihten auf die letzte Bank der Gäste befördert. Lichthild zwinkerte ihr zu und entfernte sich dann nach vorne, wo gerade die Braut auf den Bräutigam stieß. Viel Zeit blieb Doratrava nicht, um sich umzuschauen, doch saß sie genau neben dem pummeligen Schwartenfleck und seiner Mutter.

Doratrava verdrehte die Augen, als sie ihre Sitznachbarn erkannte, und zog die Kapuze der Kutte tiefer ins Gesicht. Dann sah sie sich verstohlen um, ob jemand Notiz von ihr nahm. Falls das hier schief ging, hatte Lichthild sie in des Namenlosen Küche gebracht, zumindest war das ihre Befürchtung. Verdammte Neugier. Einmal nur hätte sie auf ihren Verstand hören sollen. Sie warf einen halben Blick zur Seitentür, aber dann konzentrierte sie sich doch auf das Geschehen vorne beim Altar. Wenn sie nun schon hier war, wollte sie auch etwas davon haben.

***

Ein Glöckchen, wieder einmal von Schwester Lichthild ausgelöst, deutete den Gästen zu schweigen. Nun standen das Brautpaar vor dem Altar und Vater Winrich von Altenberg- Sturmfels. Der alte Mann, sonst gefestigt in seinem Gemüt, viel es diesmal schwer, seine Aufregung und seine Freude zurück zu halten. In all den Jahren seines Dienstes, gelang es wenigen Novizen, in der Art zu berühren, wie es seine Nichte Elvrun tat. In ihr sah er die reinen Tugenden der gütigen Mutter, eine durch und durch von Travia berührten Geweihten. Auch wenn er von Freude durchdrungen war, so machte es ihn auch traurig, diesen Bund der beiden zu schließen. Er wußte, daß hiermit Elvrun eine neue Heimat gewählt hatte und schon sehr bald ihren Dienst am Hofe der Baronin Wunneminne von Fadersberg zu Ambelmund antreten würde. Und somit war der Glanz in seinen feuchten Augen nicht nur zurückgehaltene Tränen der Freude. Der Hochgeweihte aus Elenvina erhob feierlich seine Arme und wartete bis sich das Paar zueinander drehten , sich an den Händen nahmen und sich anschauten. Den Strauß Lilien hatte die Braut ihren Vater, den grimmen Juno, in die Hand gedrückt, die auf komischerweise deplatziert in den groben Händen des Efferdgeweihten wirkten. Die Wildgans Bakka, die nur unscheinbar größer als ihre Gelegeschwester war, stellte sich direkt zwischen das Paar und blickte neugierig zu den Gästen. Das Auftreten der Wildgänse, das heilige Tier der gütigen Mutter, schien den meisten wie ein Zeichen und Segen für diese Bindung und ließ die Verspätung der Braut in den Hintergrund rücken. Ein kurzes Schluchzen der Tempelmutter unterbrach kurz die Stille, denn auch sie war aufgrund des Zeichen tief berührt. Die zweite Gans jedoch, Akka genannt, watschelte zu der Schwester des Bräutigams, Relindis von Tannenfels, und nahm ihren Platz an deren Seite ein.
Vater Winrich schloß kurz die Augen, als er anfing mit fester Stimme zu sprechen. “Oh gütige Herrin Travia, was für ein freudiger Tag! All diese treuen Seelen hier, sind gekommen, um in deinem Hause, Zeuge eines gar wichtigen und heiligen Bund in deinem Namen zu werden.” Er machte eine Pause und blickte das Brautpaar an. “Schwester Elvrun Gandril von Altenberg, Tochter in deinem Dienste, und Nivard Leuenhard von Tannenfels, ein Krieger zu Rondras Ehr, sind vor deinem Altar, gütige und heilige Mutter Travia, bereit einander den Bund der Ehe zu versprechen. Doch vorher, lasst uns alle Singen, unsere Herzen mit Liebe erfüllen und zu bekennen.“ Nun hatte sein rundliches Gesicht eine leichte Rötung angenommen. Dann begann er mit tiefer und wohlklingender Stimme an, ein Lied anzustimmen, in dem Geweihte und Gäste nach bestem Können, einfielen:

“Mein schönste Zier und Kleinod bist
auf Dere Du, Herrin Travia;
Dich will ich lassen walten
und allezeit in Lieb und Leid
in meinem Herzen halten.
Dein Lieb und Treu vor allem geht,
kein Ding auf Dere so fest besteht;
solchs muss man frei bekennen.
Drum soll nicht Tod, nicht Angst, nicht Not
von Deiner Lieb mich trennen.
Dein Wort ist wahr und trüget nicht
und hält gewiss, was es verspricht,
im Tod und auch im Leben.
Du bist nun mein und ich bin Dein,
Dir hab ich mich ergeben.
Der Tag nimmt ab. Ach schönste Zier,
Herrin Travia, bleib Du bei mir,
es will nun Abend werden.
Lass doch Dein Licht auslöschen nicht
bei uns allhier auf Dere.”

Ganz kurz nur war Nivards Stimme noch belegt von all der von ihm abfallenden Aufregung, doch sang sich jene bereits mit den ersten Tönen frei, nun, da Elvrun endlich neben ihm stand. Behutsam und doch gut vernehmbar wob er seinen Gesang zu dem Elvruns, stimmte seine Harmonien auf die seiner Braut ein, getragen vom Chor der versammelten Festgemeinde. Nivard war warm ums Herze und am ganzen Leibe.

Auch Relindis sang mit weicher Stimme doch nichtsdestoweniger voll Inbrunst das Travialob. Mit jeder Strophe wurde ihr mehr gewahr, das nun wirklich alle Wirrungen, die sie seit heute Morgen erlebt... oder war es doch nur erträumt... hatte, zu einem guten und glücklichen Ende kommen würden, einem Ende, das zugleich und vielmehr der Anfang von etwas noch besseren neuen sein würde. Eine tiefe Glückseligkeit erfüllte sie beim Blick auf das Brautpaar im gemeinsamen Lobpreis auf die gütige Mutter, in das selbst Akka neben ihr leise schnatternd einzustimmen schien.

´Ach wie schön´, dachte Cupida derweil bei sich. Sie war eine Romantikerin und Hochzeiten liebte sie. Auch wenn diese nach dem Ritus Mutter Travias geschlossen wurden, wie es unter Adeligen ja sein musste, waren sie dennoch ein Zeichen der Liebe und somit auch von ihrer Herrin Rahja erfüllt. Vor allem auch im Fall von Elvrun und Nirvad, die sich wohl wirklich liebten und der Bund kein rein politischer war. Demnach war es umso schöner gewesen. Ob sie auch einmal heiraten würde? Eine Frau, die sie liebte und die bei ihr sein würde? Cupida seufzte und hielt sich dann erschrocken die Hand vor den Mund. Hoffentlich hatte man sie nicht gehört.

Das Lied weckte Erinnerungen in Doratrava, doch keine, welche in der Absicht der Singenden lagen. Ihre Zieheltern hatten dieses Lied nur selten bei den wenigen Trauungen verwendet, denen sie als Kind beiwohnte, aber natürlich hatten sie es ihr beigebracht, wie so viele andere traviagefällige Lieder auch. Nach der langen Zeit brachte sie den Text zwar nicht mehr zusammen und hätte daher nur mitsummen können, aber das brachte sie nicht über sich. Erstens wollte sie nicht auffallen, und zweitens war sie sich ihrer Stimme nicht sicher. Der Widerstreit der Gefühle ließ sie schlucken und Tränen in ihre Augen treten. Hier die Hochzeit eines guten Freundes, welcher dieses Lied seinen Glanz geben sollte, dort die Erinnerung an ihre travia-gestrengen Zieheltern, deren Versuch, das seltsame Findelkind umso härter im Sinne der Göttin zu erziehen, auf dass es aufgrund seiner vermutlich gottlosen echten Eltern nicht in die Irre gehe, sie im Alter von acht Jahren in die Flucht getrieben hatte. Das Verhalten der hiesigen Geweihten der Travia hatten auch nichts dazu beigetragen, den Schmerz der Erinnerung zu lindern. Aber sie verbiss sich die Tränen und verdrängte das Salz in ihren Wunden. Sie war ja hier, um sich für und mit dem Paar zu freuen, und das sollten ihr die Schatten der Vergangenheit nicht vermiesen.

Trotz ihrer Ausbildung, die Gelassenheit, Pragmatismus und Selbstdisziplin beinhaltete, konnte Lioba nicht verhindern, dass ihr die Tränen kamen. Zum einen natürlich aus Freude, zum anderen aber auch aus Schmerz und Verzweiflung, sehnte sie sich doch so sehr nach eben diesem Glück.

Von einer Bank im Hintergrund beobachtete Rahjania glücklich das Geschehen. Ja, es war Schwester Travias Fest und Bund, doch ohne Hilfe der Schönen, Cupida, die sie auf die Suche geschickt hatte, wäre es nicht gut geworden. Sie hielt sich zurück. Aufmerksamkeit war jetzt nicht wichtig. Und so wie sie Nivrad kannte, legte er wahrscheinlich keinen Wert auf einen zusätzlichen Rahjabund, gemeinsam mit ihr besiegelt. Wenn die anderen fertig waren, würde sie gratulieren. Rahjania musste an Wulfi denken. Sie vermisste ihn. Als Vertrauten und Partner. In Gedanken sortierte sie versonnen, was sie ihm alles erzählen würde.

Coletta beobachtete die Hochzeit, das Brautpaar und die Gäste aus dem hinteren Teil des Tempels, wo sie nach ihrer Rückkehr geblieben war und an eine Seitenwand gelehnt stand. Sie freute sich, dass die Braut doch noch rechtzeitig gesund und munter zur Hochzeit erschienen war. 'Was für ein schönes Paar', dachte sie, und hoffte, dass zwischen beiden, angesichts dessen, dass Elvrun offenbar kurz vor der Hochzeit Zweifel überkommen waren, nun alles in Ordnung war. 'Na, hoffentlich wird sie mit ihrer Entscheidung glücklich…' Wie sehr einen eine unglückliche Zweckehe verbittern konnte, sah man ja an Jorams Ehegattin Mareia, die mit griesgrämiger Miene die Zeremonie verfolgte. Coletta warf dieser einen kurzen, gelassenen Seitenblick zu und schmunzelte, als sie die nicht wenigen Gäste wahrnahm, welche gerade in Tränen ausbrachen. Obwohl sie sich für das junge Paar freute - so nah war sie dann doch nicht am Wasser gebaut.
Zufrieden, dass dieser Programmpunkt sich so langsam seinem Ende näherte, ließ sie sich ihren weiteren Zeitplan durch den Kopf gehen: 'Jetzt noch schnell prüfen, ob Schweinsmann die Geräte für die Schwertübungen wieder am richtigen Ort in der Burg verstaut hat, dann zur Vorbesprechung mit den diensthabenden Wachleuten für die Junggesellenabschiede. Noch schnell umkleiden und zurecht machen…. Und dann kommt hoffentlich der entspannte Teil des Abends.' Coletta seufzte leise, schloss kurz die Augen und konzentrierte sich wieder auf die Trauzeremonie.

Nachdem das Lied geendet hatte und wieder Ruhe einkehrte, sprach Vater Winrich weiter.
“Oh was für eine Freude, was für ein schöner Anlass, sich im Heim der gütigen Mutter Travia zu treffen. Einen Travienbund gilt es zu schließen, auf dass unsere göttliche Familie auf Dere weiter wachsen kann.” Nun schaute er gütig in die Augen seiner Nichte Elvrun, dann in die Nivards. “Wie ein weiser Großvater habe ich euch beiden zugehört und eure Seelen und Herzen geprüft. Und nun verkündige ich es laut vor allen: Ja, die beiden wollen aus tiefster Zuneigung diesen Bund vor der Göttin schließen! Heil Travia!”, sagte er feierlich und ein jeder Gast stimmte ein. “Doch nun sagt mir, für welches Symbol der Verbundenheit habt ihr euch entschieden?”

Nivard deutete zu seiner Mutter, die die Ringe mit sich führte. Zu seiner Verwunderung zögerte diese jedoch einen kurzen Moment und blickte noch einmal in Richtung Relindis', die nur auffordernd zurücknickte. Statt des erwarteten kleinen, mit Samt ausgekleideten Kästchens streckte Celissa dem Brautpaar ihre bloße, geschlossene Hand entgegen. Als sie diese vorsichtig öffnete, offenbarten sich Elvrun und Nivard zu deren Überraschung zwei identisch anmutende, silberne Ringe, wie sie sie noch nie gesehen hatten, so fein und filigran waren diese gefertigt, von eingravierten, ineinander verschlungenen Lilien geschmückt und von einem kleinen blauen Saphir glänzend, der in deren Mitte eingelassen war.
Nivard war das erste Erstaunen anzusehen, doch vergegenwärtigten ihm die zuckenden Brauen seiner Mutter, fortzufahren. So sah er Elvrun wieder in die Augen und sprach laut und mit feierlicher Stimme:
„So wie diese Ringe gleich sind, so sollen auch unsere Herzen stets eins und einig sein und nichts jemals zwischen uns stehen.
So wie diese Ringe sich um unsere Finger legen und stets mit uns sind, so soll unsere Liebe uns immerzu begleiten, uns Heimat und Obhut sein und Schutz in den Stürmen unseres Lebens.
So wie diese Ringe keinen Anfang und kein Ende haben, so soll und wird auch unsere Liebe mit Travias Segen unendlich sein!"

Elvrun konnte ihre Überraschung kaum verbergen und so weiteten sich ihre Augen. Solch kostbare und kunstfertige Ringe hätte sie nie erwartet. Mit schimmernden Augen ließ sie sich den Ring aufstecken. Als sie jedoch Nivard den Ring ansteckte, geschah etwas äußerst überwältigendes. Ein silbernes Flackern wanderte augenblicklich über ihre und seine Augen und ein Schwall starker Emotionen rauschte über sie hinweg. Für einen Bruchteil eines Augenaufschlags spürte Nivard eine äußerste Traurigkeit, einen dunklen Fleck in Elvruns Herzen. Tiefste Melancholie, gefolgt von einem Weinen eines Säuglings, trieben ihm Tränen in die Augen. Doch dann folgte das Schnattern einer Gans, das ermutigende Lachen seiner Schwester Relindis, begleitet vom Duft der Lilien und dem Rauschen von Ulmenblättern. Vor seinem geistigen Auge sah er die zarte Hand Elvruns, die hilfesuchend im Dunkeln nach etwas suchte. Nivard wußte was zu tun war. Er ergriff ihre Hand. Er hatte sie. Nie wieder wäre sie allein. Das Gefühl größter Freude und Liebe folgte und beide sahen sich mit einem liebevollem Lächeln an.

Ganz und gar übermannt von seinen Gefühlen stand Nivard vor Elvrun, nicht imstande auch nur ein Wort zu tun, doch drückten seine tränenfeuchten Augen und die Liebe, die aus diesen und seinem Lächeln schien, mehr aus, als alle Sprache jemals hätte vermitteln können.

Als die Ringe getauscht wurden, fühlte Coletta, wie sich ihr Herz in einem plötzlichen Gefühl von Rührung zusammenzog und ihre Augen feucht wurden. Sie schluckte heftig und wischte sich peinlich berührt eilig die Feuchtigkeit aus dem Augenwinkel. Hoffentlich hatten das die anderen Wachleute nicht gesehen. ‘Oje, werde ich auf meine alten Tage doch noch rührselig?’ überlegte sie. ‘Na ja, ist ja auch eine wirklich schöne Hochzeit.’

Relindis dagegen versuchte gar nicht, gegen ihre Tränen anzukämpfen, sondern ließ diese frei ihre Wangen hinabrinnen. Sie war durch und durch berührt von den mitempfundenen Gefühlen, dem Glück und der Liebe, die geradezu greifbar waren, und dankte Travia still für all dies. Mit einem Kloß im Halse lächelte sie ihrer Mutter zu, die genauso gerührt und ebenfalls mit glänzenden Augen neben dem Brautpaar stand.

Weitaus heftiger noch von der Woge an Empfindungen erschüttert wurde Befinna, die sich zunächst sogar in jenen Augenblick vor wenigen Wochen zurückversetzt wähnte, als sie unbegreiflicherweise eins mit dem Land geworden war und bereits einmal so vieles auf sie eingestürmt war. Recht rasch bemerkte sie aber, dass es diesmal anders war. Weniger durcheinander, viel klarer, aber keineswegs weniger stark. Sowohl die Melancholie als auch die miterlebte Liebe ließen sie beben und vernehmbar schluchzend in einen wahren Strom aus Tränen ausbrechen. Ob sie selbst jemals solche Liebe empfinden und empfangen könnte?

Wunnemine war die Überreaktion ihrer Schwester erkennbar peinlich. 'Das hätte das junge Ding vor wenigen Wochen doch alles selbst haben können…'. Sie war ja selbst gerade auch gerührt gewesen, wie sie sich eingestehen musste, doch sich so gehen zu lassen, war mehr als deplatziert. Etwas unbeholfen fasste sie schließlich Befinna am Arm und reichte ihr ein eilig herausgenesteltes Tuch.

Auch die junge Cupida konnte sich die eine oder andere Träne nicht verkneifen. Sie fand die Geste wunderschön und dachte daran, dass der Eheschluss wohl genauso einen Segen zwischen den beiden Liebenden darstellte, wie er es zwischen der gütigen Mutter und den Sterblichen war. Im nächsten Moment fühlte sich die junge Gärtnerin jedoch einsam - gerade in diesem Moment wünschte sie sich mehr als ihre Rosen und Lilien in ihrem Leben. So viel Freude ihre Aufgabe Cupida auch machte, die Blumen konnten sie nicht in den Arm nehmen wenn sie traurig war, oder ihr Abends das Bett wärmen.

Von so weit hinten konnte Doratrava nur erahnen, was Braut und Bräutigam genau taten, aus Nivards Worten konnte sie aber schließen, dass Ringe ausgetauscht wurden. Machte man das so bei einem Traviabund hier? Wenn sie an die Unterweisungen ihrer Zieheltern aus ihrer Kindheit zurückdachte, war da von einem solchen Ritual nicht ausdrücklich die Rede gewesen. Was sie aber sehr verwunderte, war das aufsteigende Gefühl in ihrem Inneren, welches ihr den Hals zuschnürte und Tränen in die Augen treten ließ. Sie keuchte fast schon erschrocken. Natürlich freute sie sich für das Paar, insbesondere für Nivard, aber der Akt eines Traviabundes an sich sollte eigentlich keine solche tiefempfundene Rührung in ihr auslösen, zumal sie noch aufgewühlt war von ihrem Rausschmiss und dem erneuten Einschmuggeln in den Tempel durch Schwester Lichthild. Ihr kam der Gedanke einer Beeinflussung von außen, etwas, das sie überhaupt nicht leiden konnte und das ihre Freude an der Zeremonie durchaus trübte. Der Widerstreit der Gefühle in ihrer Brust ließ sie ein zweites Mal keuchen.

“Ach Kleine, mach dir mal den ganzen Rotz weg, das macht ja kein hübschen Gesicht. Das verscheucht dir nachher noch die Kunden”, flüsterte die Schwartenfleck Doratrava zu und hielt ihr ein Stofftuch hin. Fürsorglich schaute die ungepflegte Frau sie an, während ihr Sohn wieder in der Nase bohrte.

Angewidert warf Doratrava einen kurzen Blick auf das fleckige Tuch und schüttelte den Kopf, um sich stattdessen mit der Hand über das Gesicht zu wischen. Immerhin riss das Angebot der Alten sie aus der seltsamen Stimmung heraus, was es ihr leichter machte, den Tränenfluss zu stoppen. Sie versuchte, die Frau und ihre Kinder zu ignorieren und konzentrierte sich wieder auf das Geschehen am Altar, auch wenn sie genau wusste, worauf die Alte angespielt hatte und Empörung in ihr aufwallte. Aber wenn sie jetzt eine Diskussion darüber anfing, konnte sie sich auch gleich selbst den Traviageweihten zum Fraß vorwerfen.