Tannenfelser Hochzeit - Kapitel 3

Einen Bund zu schließen

Kapitel 3 der Briefspielgeschichte "Tannenfelser Hochzeit"

Als die Kunde eintraf, dass die Braut auf dem Weg zum Tempel war, gelang es den Geweihten der Gänsegöttin, recht schnell für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Die Gäste nahmen wieder Platz und vielen war die Erleichterung im Gesicht anzusehen. Bevor Elvrun den Tempel betrat, waren auch die Perainegeweihte Waldlieb, die Traviageweihte Firuna wie auch die Burgoffizierin Coletta von Hadingen und die Kriegerin Meingard eingetroffen.

Gleich nachdem sie den Tempel betreten hatte, huschte Meingard wieder schattengleich zurück an ihren Platz bei ihren Kameraden.
“Einsatz erfolgreich beendet? Hat ja nicht lange gedauert” raunte Emmeran leise mit einem Schmunzeln, offenbar als Anspielung auf das ‘Frauending’, als er aber das von Skepsis durchwirkte Gesicht Meingards erblickte, fiel es von ihm ab. “Bericht.”
“Die Braut galt als vermisst. Ich sollte mit suchen helfen. Mit der Burgoffizierin und eine Ritterin des Herdfeuerordens. Diese erwähnte sie sei aus Rommilys geschickt um dämonische Umtriebe zu ahnden.”
“Was für Umtriebe sollen das sein, häm?” fragte die Schwarzhaarige Rhela gelangweilt und fuhr sich undamenhaft mit dem Handrücken über die juckende Nase.
Emmeran sammelte die Neuigkeiten interssiert ein und seine Stirn furchte sich zunehmends. “Die des Widersachers Travias,” antwortete er, es war aber mehr eine Feststellung. “Weiter!”
“Wir wollten die Suche beginnen, da kam die Braut uns entgegen. Eine Art Prozession. Zwei Gänse voraus und ein Rahjani mit einem Säugling im Arm wie eine Opfergabe hinterdrein. Angeblich ein im Park gefundenes Waisenkind.”
“Die Braut?”
“... gab vor, im Park eingenickt zu sein…”
“Du hältst das für eine Lüge.” Wieder eine Feststellung.
“Es war nicht die volle Wahrheit. Da bin ich mir sicher. Soll der Einsatz ins Protokollbuch?”
“Ja. Besser ist das.” Der Blick des Plötzbogens glitt nach vorn zum Altar, wo der junge Tannenfelser stand. Er war noch so jung und kannte die grausamen Seiten des Lebens noch nicht… er würde sie auch an seinem Hochzeitstag nicht kennenlernen - fällte Emmeran die Entscheidung und wandte sich zu den Seinen um:
“Knoten lösen. Drei links, drei rechts neben die Tür. Würdevoll aber höchst aufmerksam. Wenn’s Ärger gibt sind wir bereit. Und wenn nicht, ist der Weg fürs Spalier nicht so weit. Los jetzt, Beeilung!”
Daraufhin erhoben sich die Kameraden Nivards und nahmen hinten neben der Tempeltür Aufstellung. Für die anderen Gästen sah es wie geplant aus, denn die anwesenden Geweihten wurden ebenfalls auf ihren Platz vorn neben den Altar gebeten.

Vor dem Altar stellte sich der Hochgeweihte aus Elenvina auf, Vater Winrich von Altenberg-Sturmfels. Nivard, der wieder etwas an Farbe gewonnen hatte, stand mit seiner Mutter Celissa von Tannenfels direkt vor ihm und schaute erwartungsvoll zu den Tempeltüren. Tempelvater und Mutter, sowie Mutter Elva standen auf der Herzseite bereit und die Geweihten der anderen Götter auf der gegenüberliegenden. Schwester Lichthild ließ wieder das Glöckchen erklingen. Kurz kehrte Stille ein, nicht einmal ein Husten oder Schniefen war zu hören.
Dann fing es an zu schnattern und die doppelflügelige Tür wurde von der Traviageweihten Relindis von Tannenfels und dem Rechtsgelehrten Amiel von Altenberg geöffnet. Dieser hatte überraschenderweise ein kleinen Jungen im Arm, der in eine orange Decke gewickelt war. Wieder einmal waren alle kurz vom Tageslicht geblendet, bis sich die zierliche Gestalt einer jungen Frau abzeichnete. Das orange-braune Festgewand war züchtig geschlossen, feinst verziert mit Stickereien von Herdfeuer und Gänsen. Ihr rotes Haar war zu zwei ordentlichen Zöpfen geflochten und ihr blasses, hübsches Gesicht hatte eine leichte Röte der Aufregung. In ihrer Rechten hielt sie ein kleinen Strauß weißer Lilien und in ihrer linken die grobe Hand ihres Vaters. Der Efferdgeweihte, Juno von Altenberg, war ein breitschultriger, rüstiger Mann in seinen Siebzigern. Sein volles silbergraues Haar und der gepflegte Vollbart schimmerten im Licht, doch seine grünen Augen wirkten streng. Der Gefährte von Wind und Woge trug sein blaugrünes Schuppengewand, das mit vielen Talismanen behangen war und führte seine Tochter würdevoll zum Altar. Voran schritten zwei Wildgänse, die abwechselnd beim Watscheln die Gäste betrachteten. Den Abschluss machte die junge Cupida, die einige Lilien an die Gäste verteilte. Der ganze Gang wurde von dem Läuten der Tempelglocke begleitet.

Lucilla lächelte. Ja, nun würde hoffentlich alles so wie von ihr - der Braut - gewünscht verlaufen. Hübsch war sie und wie jede andere Frau, die den Traviabund einging, hatte sie es verdient, dass die Vereinende durch die Zeremonie geehrt wurde, auf dass sie den Bund, das Versprechen vor IHR segnete. Recht hatte sie also getan damit, dem Bruch von Brauch und Anstand anzuprangern, auf dass dies ohne Makel geschehen konnte.

Die junge Gärtnerin war verzückt. Überall sah sie nun erleichterte und freudige Gesichter und der Umstand, dass sie von ihren schönen Lilien mitgebracht hat, schien die Laune manches Gastes noch zusätzlich zu heben. Cupida war es egal was im Park wirklich geschehen war, denn nun würde alles wieder gut werden - dessen war sie sich sicher. Wenn Schwester Lichthild es nicht wieder mit der Glocke übertreiben würde, wäre es wohl ein nahezu perfekter Moment gewesen.

Amiel, der Vetter der Braut, nutzte die Gelegenheit, um wieder auf seinen Platz zu gelangen. Noch immer trug er den Knaben auf dem Arm, der nun neugierig und mit Fingerchen im Mund die Gäste betrachtete. Dann drückte er diesen seiner Verlobten Ringard von Tannenfels in den Arm. “Ich brauch mal eine Pause, Kannst du ihn bitte halten?”

"Wo hast Du den süßen Wonneproppen denn her?" fragte Ringard ihren Verlobten erstaunt, nahm den Knaben aber mehr als bereitwillig entgegen. "Und wie lange trägst Du ihn schon herum, dass Du eine Pause brauchst?... Komm mal her, junger Mann. Sag mal, wer bist Du denn?" fing sie mit hoher Stimme an, sich mit diesem vertraut zu machen. "Steht Dir gut, Schwesterherz", feixte Silfrun grinsend von der Seite, so laut, dass auch Amiel es noch vernehmen konnte und Rondrard zischte: "Leise, es geht jetzt los."

“Das ist Tsadoro. Ich hab ihn aus dem Waisenhaus. Ich dachte es wäre … recht traviagefällig.”, flüsterte Amiel. Mit großen Kulleraugen ließ der Junge sich nehmen, als ob Ringard keine Fremde wäre.

Wie merkwürdig vertraut der Knabe wirkte... Ringard war berührt, sowohl von Tsadoro, als auch von Amiel. Dass er bereits jetzt offensichtlich daran dachte, ihre Familie zu vergrößern, in dem er ein Waisenkind zu sich nahm, zeigte eine Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit, die ihr Herz höher schlagen ließ. So schnell... und das, obwohl sie noch gar nicht verheiratet waren... oder waren seine Worte doch anders gemeint? stutzte sie. "Was genau wäre traviagefällig, meinst Du?" konnte sie rasch noch so leise zurück flüstern, dass sie sich keinen weiteren mahnenden Blick einfing.

“Ein Waisenkind mit zu bringen …” sagte Amiel leise und konzentrierte sich auf das Geschehen vor ihm.

Ringard sah Amiel noch einen Moment von der Seite an, war ihre Frage noch nicht gänzlich für sie beantwortet, doch dann zog die beginnende Zeremonie auch ihre Aufmerksamkeit nach vorne. Tsadoro hatte es sich derweil bereits bequem auf ihrem Schoße gemacht und beobachtete gebannt, ein Fingerchen im offen stehenden Munde, den Einzug der Braut.

Nach der kurzen Woge der Erleichterung ob Elvruns Eintreffen schlug Nivards Herz wieder wie wild. Endlich war der große Moment gekommen, dem er so lange entgegen gefiebert hatte. Die ersten Momente des Einzugs sah er dem Brautvater dankbar in die Augen: Es war noch kurz vor der Brautschau gewesen, dass er Seite an Seite mit diesem und weiteren Gefährten gegen eine Schwarzfee und die Macht hinter dieser gekämpft hatte. Nicht nur deswegen bedeutete es ihm viel, dass Juno Elvrun zum Altar führte und damit seinen Segen für ihre Verbindung bestätigte.

Doch dann hatte Nivard nur noch Augen für Elvrun, und die Welt um ihn schien wie versunken. Wie unendlich schön seine Braut war! Gebannt sah er ihr entgegen, und mit dem Blick in ihre Augen war mit einem Male auch alle Unruhe verschwunden und die Marter des Wartens und der Sorge vergessen. Es war ihm, als ob ein Stück Himmel auf Deren herabkam.

Ihre grünen Augen blickten ihn erwartungsvoll an, voller Freude, voller Selbststärke, voller Liebe.

In seiner momentanen Entrückung bekam Nivard auch gar nicht mit, wie Relindis, die in ihrem orangenen Festornat unauffällig um die Bänke herum nach vorne gehuscht war, hinter ihm kurz mit seiner Mutter tuschelte und diese irgendetwas mit einem Nicken bestätigte.

Celissa von Tannenfels hatte zum heutigen feierlichen Anlasse, es war zum ersten Mal seit vielen Jahren, tatsächlich ein Kleid angelegt: es bestand aus einem detailliert, aber dennoch unauffällig mit Motiven des Waldes bestickten schwarzen Oberteil, und besaß dunkelgrüne Trompetenärmel sowie einen ebensolchen Rock, der unter ihrer schmalen Taille ansetzte und ihr bis zum Knöchel reichte. Über ihre Schultern fiel ihr offen getragenes weißes Haar; das sparsam eckig ausgeschnittene Decolleté zierte eine Kette mit einer Brosche, in die ein roter Stein eingelassen war.
Celissas Hand aber ruhte auf der Schulter ihres zweitältesten Sohnes. In seinem grünen samtenen Wams mit grünweiß gepufftem Armansatz und seinem darunter getragenen weißen Hemd, das mit gleichsam weißen Stickereien geschmückt war, sowie seiner dunklen Hose erinnerte er sie sehr an ihren eigenen Gemahl zu ihrer Hochzeit. Jetzt aber packte auch sie eine Woge aus Stolz und Rührung, und sie musste hart mit sich kämpfen, dass diese ihre Contenance nicht bereits jetzt wegspülte, die Freudentränen vorläufig noch unterdrücken.

Nivards älterer Bruder Rondrard war schwer beeindruckt vom Einzug der Braut und vergaß für dessen Dauer sogar, regelmäßig zu Befinna zu linsen.
"Sie ist wunderschön." hauchte Ringard Amiel leise zu, während sie sich mühte, den kleinen Tsadoro so zu halten, dass auch dieser etwas von der Szenerie mitbekam.
Selbst Silfruns Schalk schien in diesem Augenblick wie verflogen, und ihre Augen hingen am Geschehen.
Befinna von Fadersberg war neidisch und ein wenig traurig, zu sehen, welche Zuneigung füreinander aus Braut und Bräutigam schien. Ob ihr jemals eine solche Hochzeit vergönnt sein würde? Auch ihre Schwester Wunnemine, die Baronin von Ambelmund, verspürte einen leichten Neid, noch mehr aber die hoffentlich nicht voreilige Erleichterung, dass Travia nicht gänzlich fern zu sein schien, wo sie wandelte. Außerdem war sie sehr auf Elvrun gespannt.

Ganz vorne watschelte Akka mit ihrer Schwester Bakka und verkündete, für die menschlichen Ohren nur schnatternd, in alle Richtungen: “Hier kommt die Braut, hier kommt die Braut, jaja!”

***

Während sich die Tempeltüre schloß, überlegte die Gauklerin Doratrava noch immer, was sie nun tun könnte. Da öffnete sich eine Seitentür am Tempel und eine Geweihte der Travia lugte heraus. Als Schwester Lichthild die Gauklerin sah, winkte sie Doratrava eilig heran.

Doratrava sah auf und runzelte die Stirn, als sie Lichthild entdeckte. Sie zögerte, aber schließlich gewann ihre Neugier die Oberhand über das leichte Unbehagen, dass sie gegenüber Lichthild empfand. Wieder mal meldete sich ihr Verstand mit warnenden Worten. Lichthild würde sie in den Tempel schmuggeln, damit sie bei der Zeremonie zusehen konnte, aber wenn man sie dabei erwischte, würde alles nur noch schlimmer werden … doch ihre Neugier überwand auch diesen Widerstand. Doratrava sprang auf und eilte zu der Seitentür.

Dort wurde ihr schnell eine braune Kutte übergeworfen und geschickt von der Geweihten auf die letzte Bank der Gäste befördert. Lichthild zwinkerte ihr zu und entfernte sich dann nach vorne, wo gerade die Braut auf den Bräutigam stieß. Viel Zeit blieb Doratrava nicht, um sich umzuschauen, doch saß sie genau neben dem pummeligen Schwartenfleck und seiner Mutter.

Doratrava verdrehte die Augen, als sie ihre Sitznachbarn erkannte, und zog die Kapuze der Kutte tiefer ins Gesicht. Dann sah sie sich verstohlen um, ob jemand Notiz von ihr nahm. Falls das hier schief ging, hatte Lichthild sie in des Namenlosen Küche gebracht, zumindest war das ihre Befürchtung. Verdammte Neugier. Einmal nur hätte sie auf ihren Verstand hören sollen. Sie warf einen halben Blick zur Seitentür, aber dann konzentrierte sie sich doch auf das Geschehen vorne beim Altar. Wenn sie nun schon hier war, wollte sie auch etwas davon haben.

***

Ein Glöckchen, wieder einmal von Schwester Lichthild ausgelöst, deutete den Gästen zu schweigen. Nun standen das Brautpaar vor dem Altar und Vater Winrich von Altenberg- Sturmfels. Der alte Mann, sonst gefestigt in seinem Gemüt, viel es diesmal schwer, seine Aufregung und seine Freude zurück zu halten. In all den Jahren seines Dienstes, gelang es wenigen Novizen, in der Art zu berühren, wie es seine Nichte Elvrun tat. In ihr sah er die reinen Tugenden der gütigen Mutter, eine durch und durch von Travia berührten Geweihten. Auch wenn er von Freude durchdrungen war, so machte es ihn auch traurig, diesen Bund der beiden zu schließen. Er wußte, daß hiermit Elvrun eine neue Heimat gewählt hatte und schon sehr bald ihren Dienst am Hofe der Baronin Wunneminne von Fadersberg zu Ambelmund antreten würde. Und somit war der Glanz in seinen feuchten Augen nicht nur zurückgehaltene Tränen der Freude. Der Hochgeweihte aus Elenvina erhob feierlich seine Arme und wartete bis sich das Paar zueinander drehten , sich an den Händen nahmen und sich anschauten. Den Strauß Lilien hatte die Braut ihren Vater, den grimmen Juno, in die Hand gedrückt, die auf komischerweise deplatziert in den groben Händen des Efferdgeweihten wirkten. Die Wildgans Bakka, die nur unscheinbar größer als ihre Gelegeschwester war, stellte sich direkt zwischen das Paar und blickte neugierig zu den Gästen. Das Auftreten der Wildgänse, das heilige Tier der gütigen Mutter, schien den meisten wie ein Zeichen und Segen für diese Bindung und ließ die Verspätung der Braut in den Hintergrund rücken. Ein kurzes Schluchzen der Tempelmutter unterbrach kurz die Stille, denn auch sie war aufgrund des Zeichen tief berührt. Die zweite Gans jedoch, Akka genannt, watschelte zu der Schwester des Bräutigams, Relindis von Tannenfels, und nahm ihren Platz an deren Seite ein.
Vater Winrich schloß kurz die Augen, als er anfing mit fester Stimme zu sprechen. “Oh gütige Herrin Travia, was für ein freudiger Tag! All diese treuen Seelen hier, sind gekommen, um in deinem Hause, Zeuge eines gar wichtigen und heiligen Bund in deinem Namen zu werden.” Er machte eine Pause und blickte das Brautpaar an. “Schwester Elvrun Gandril von Altenberg, Tochter in deinem Dienste, und Nivard Leuenhard von Tannenfels, ein Krieger zu Rondras Ehr, sind vor deinem Altar, gütige und heilige Mutter Travia, bereit einander den Bund der Ehe zu versprechen. Doch vorher, lasst uns alle Singen, unsere Herzen mit Liebe erfüllen und zu bekennen.“ Nun hatte sein rundliches Gesicht eine leichte Rötung angenommen. Dann begann er mit tiefer und wohlklingender Stimme an, ein Lied anzustimmen, in dem Geweihte und Gäste nach bestem Können, einfielen:

“Mein schönste Zier und Kleinod bist
auf Dere Du, Herrin Travia;
Dich will ich lassen walten
und allezeit in Lieb und Leid
in meinem Herzen halten.
Dein Lieb und Treu vor allem geht,
kein Ding auf Dere so fest besteht;
solchs muss man frei bekennen.
Drum soll nicht Tod, nicht Angst, nicht Not
von Deiner Lieb mich trennen.
Dein Wort ist wahr und trüget nicht
und hält gewiss, was es verspricht,
im Tod und auch im Leben.
Du bist nun mein und ich bin Dein,
Dir hab ich mich ergeben.
Der Tag nimmt ab. Ach schönste Zier,
Herrin Travia, bleib Du bei mir,
es will nun Abend werden.
Lass doch Dein Licht auslöschen nicht
bei uns allhier auf Dere.

Ganz kurz nur war Nivards Stimme noch belegt von all der von ihm abfallenden Aufregung, doch sang sich jene bereits mit den ersten Tönen frei, nun, da Elvrun endlich neben ihm stand. Behutsam und doch gut vernehmbar wob er seinen Gesang zu dem Elvruns, stimmte seine Harmonien auf die seiner Braut ein, getragen vom Chor der versammelten Festgemeinde. Nivard war warm ums Herze und am ganzen Leibe.

Auch Relindis sang mit weicher Stimme doch nichtsdestoweniger voll Inbrunst das Travialob. Mit jeder Strophe wurde ihr mehr gewahr, das nun wirklich alle Wirrungen, die sie seit heute Morgen erlebt... oder war es doch nur erträumt... hatte, zu einem guten und glücklichen Ende kommen würden, einem Ende, das zugleich und vielmehr der Anfang von etwas noch besseren neuen sein würde. Eine tiefe Glückseligkeit erfüllte sie beim Blick auf das Brautpaar im gemeinsamen Lobpreis auf die gütige Mutter, in das selbst Akka neben ihr leise schnatternd einzustimmen schien.

´Ach wie schön´, dachte Cupida derweil bei sich. Sie war eine Romantikerin und Hochzeiten liebte sie. Auch wenn diese nach dem Ritus Mutter Travias geschlossen wurden, wie es unter Adeligen ja sein musste, waren sie dennoch ein Zeichen der Liebe und somit auch von ihrer Herrin Rahja erfüllt. Vor allem auch im Fall von Elvrun und Nirvad, die sich wohl wirklich liebten und der Bund kein rein politischer war. Demnach war es umso schöner gewesen. Ob sie auch einmal heiraten würde? Eine Frau, die sie liebte und die bei ihr sein würde? Cupida seufzte und hielt sich dann erschrocken die Hand vor den Mund. Hoffentlich hatte man sie nicht gehört.

Das Lied weckte Erinnerungen in Doratrava, doch keine, welche in der Absicht der Singenden lagen. Ihre Zieheltern hatten dieses Lied nur selten bei den wenigen Trauungen verwendet, denen sie als Kind beiwohnte, aber natürlich hatten sie es ihr beigebracht, wie so viele andere traviagefällige Lieder auch. Nach der langen Zeit brachte sie den Text zwar nicht mehr zusammen und hätte daher nur mitsummen können, aber das brachte sie nicht über sich. Erstens wollte sie nicht auffallen, und zweitens war sie sich ihrer Stimme nicht sicher. Der Widerstreit der Gefühle ließ sie schlucken und Tränen in ihre Augen treten. Hier die Hochzeit eines guten Freundes, welcher dieses Lied seinen Glanz geben sollte, dort die Erinnerung an ihre travia-gestrengen Zieheltern, deren Versuch, das seltsame Findelkind umso härter im Sinne der Göttin zu erziehen, auf dass es aufgrund seiner vermutlich gottlosen echten Eltern nicht in die Irre gehe, sie im Alter von acht Jahren in die Flucht getrieben hatte. Das Verhalten der hiesigen Geweihten der Travia hatten auch nichts dazu beigetragen, den Schmerz der Erinnerung zu lindern. Aber sie verbiss sich die Tränen und verdrängte das Salz in ihren Wunden. Sie war ja hier, um sich für und mit dem Paar zu freuen, und das sollten ihr die Schatten der Vergangenheit nicht vermiesen.

Trotz ihrer Ausbildung, die Gelassenheit, Pragmatismus und Selbstdisziplin beinhaltete, konnte Lioba nicht verhindern, dass ihr die Tränen kamen. Zum einen natürlich aus Freude, zum anderen aber auch aus Schmerz und Verzweiflung, sehnte sie sich doch so sehr nach eben diesem Glück.

Von einer Bank im Hintergrund beobachtete Rahjania glücklich das Geschehen. Ja, es war Schwester Travias Fest und Bund, doch ohne Hilfe der Schönen, Cupida, die sie auf die Suche geschickt hatte, wäre es nicht gut geworden. Sie hielt sich zurück. Aufmerksamkeit war jetzt nicht wichtig. Und so wie sie Nivrad kannte, legte er wahrscheinlich keinen Wert auf einen zusätzlichen Rahjabund, gemeinsam mit ihr besiegelt. Wenn die anderen fertig waren, würde sie gratulieren. Rahjania musste an Wulfi denken. Sie vermisste ihn. Als Vertrauten und Partner. In Gedanken sortierte sie versonnen, was sie ihm alles erzählen würde.

Coletta beobachtete die Hochzeit, das Brautpaar und die Gäste aus dem hinteren Teil des Tempels, wo sie nach ihrer Rückkehr geblieben war und an eine Seitenwand gelehnt stand. Sie freute sich, dass die Braut doch noch rechtzeitig gesund und munter zur Hochzeit erschienen war. 'Was für ein schönes Paar', dachte sie, und hoffte, dass zwischen beiden, angesichts dessen, dass Elvrun offenbar kurz vor der Hochzeit Zweifel überkommen waren, nun alles in Ordnung war. 'Na, hoffentlich wird sie mit ihrer Entscheidung glücklich…' Wie sehr einen eine unglückliche Zweckehe verbittern konnte, sah man ja an Jorams Ehegattin Mareia, die mit griesgrämiger Miene die Zeremonie verfolgte. Coletta warf dieser einen kurzen, gelassenen Seitenblick zu und schmunzelte, als sie die nicht wenigen Gäste wahrnahm, welche gerade in Tränen ausbrachen. Obwohl sie sich für das junge Paar freute - so nah war sie dann doch nicht am Wasser gebaut.
Zufrieden, dass dieser Programmpunkt sich so langsam seinem Ende näherte, ließ sie sich ihren weiteren Zeitplan durch den Kopf gehen: 'Jetzt noch schnell prüfen, ob Schweinsmann die Geräte für die Schwertübungen wieder am richtigen Ort in der Burg verstaut hat, dann zur Vorbesprechung mit den diensthabenden Wachleuten für die Junggesellenabschiede. Noch schnell umkleiden und zurecht machen…. Und dann kommt hoffentlich der entspannte Teil des Abends.' Coletta seufzte leise, schloss kurz die Augen und konzentrierte sich wieder auf die Trauzeremonie.

Nachdem das Lied geendet hatte und wieder Ruhe einkehrte, sprach Vater Winrich weiter.
“Oh was für eine Freude, was für ein schöner Anlass, sich im Heim der gütigen Mutter Travia zu treffen. Einen Travienbund gilt es zu schließen, auf dass unsere göttliche Familie auf Dere weiter wachsen kann.” Nun schaute er gütig in die Augen seiner Nichte Elvrun, dann in die Nivards. “Wie ein weiser Großvater habe ich euch beiden zugehört und eure Seelen und Herzen geprüft. Und nun verkündige ich es laut vor allen: Ja, die beiden wollen aus tiefster Zuneigung diesen Bund vor der Göttin schließen! Heil Travia!”, sagte er feierlich und ein jeder Gast stimmte ein. “Doch nun sagt mir, für welches Symbol der Verbundenheit habt ihr euch entschieden?”

Nivard deutete zu seiner Mutter, die die Ringe mit sich führte. Zu seiner Verwunderung zögerte diese jedoch einen kurzen Moment und blickte noch einmal in Richtung Relindis', die nur auffordernd zurücknickte. Statt des erwarteten kleinen, mit Samt ausgekleideten Kästchens streckte Celissa dem Brautpaar ihre bloße, geschlossene Hand entgegen. Als sie diese vorsichtig öffnete, offenbarten sich Elvrun und Nivard zu deren Überraschung zwei identisch anmutende, silberne Ringe, wie sie sie noch nie gesehen hatten, so fein und filigran waren diese gefertigt, von eingravierten, ineinander verschlungenen Lilien geschmückt und von einem kleinen blauen Saphir glänzend, der in deren Mitte eingelassen war.
Nivard war das erste Erstaunen anzusehen, doch vergegenwärtigten ihm die zuckenden Brauen seiner Mutter, fortzufahren. So sah er Elvrun wieder in die Augen und sprach laut und mit feierlicher Stimme:
„So wie diese Ringe gleich sind, so sollen auch unsere Herzen stets eins und einig sein und nichts jemals zwischen uns stehen.
So wie diese Ringe sich um unsere Finger legen und stets mit uns sind, so soll unsere Liebe uns immerzu begleiten, uns Heimat und Obhut sein und Schutz in den Stürmen unseres Lebens.
So wie diese Ringe keinen Anfang und kein Ende haben, so soll und wird auch unsere Liebe mit Travias Segen unendlich sein!"

Elvrun konnte ihre Überraschung kaum verbergen und so weiteten sich ihre Augen. Solch kostbare und kunstfertige Ringe hätte sie nie erwartet. Mit schimmernden Augen ließ sie sich den Ring aufstecken. Als sie jedoch Nivard den Ring ansteckte, geschah etwas äußerst überwältigendes. Ein silbernes Flackern wanderte augenblicklich über ihre und seine Augen und ein Schwall starker Emotionen rauschte über sie hinweg. Für einen Bruchteil eines Augenaufschlags spürte Nivard eine äußerste Traurigkeit, einen dunklen Fleck in Elvruns Herzen. Tiefste Melancholie, gefolgt von einem Weinen eines Säuglings, trieben ihm Tränen in die Augen. Doch dann folgte das Schnattern einer Gans, das ermutigende Lachen seiner Schwester Relindis, begleitet vom Duft der Lilien und dem Rauschen von Ulmenblättern. Vor seinem geistigen Auge sah er die zarte Hand Elvruns, die hilfesuchend im Dunkeln nach etwas suchte. Nivard wußte was zu tun war. Er ergriff ihre Hand. Er hatte sie. Nie wieder wäre sie allein. Das Gefühl größter Freude und Liebe folgte und beide sahen sich mit einem liebevollem Lächeln an.

Ganz und gar übermannt von seinen Gefühlen stand Nivard vor Elvrun, nicht imstande auch nur ein Wort zu tun, doch drückten seine tränenfeuchten Augen und die Liebe, die aus diesen und seinem Lächeln schien, mehr aus, als alle Sprache jemals hätte vermitteln können.

Als die Ringe getauscht wurden, fühlte Coletta, wie sich ihr Herz in einem plötzlichen Gefühl von Rührung zusammenzog und ihre Augen feucht wurden. Sie schluckte heftig und wischte sich peinlich berührt eilig die Feuchtigkeit aus dem Augenwinkel. Hoffentlich hatten das die anderen Wachleute nicht gesehen. ‘Oje, werde ich auf meine alten Tage doch noch rührselig?’ überlegte sie. ‘Na ja, ist ja auch eine wirklich schöne Hochzeit.’

Relindis dagegen versuchte gar nicht, gegen ihre Tränen anzukämpfen, sondern ließ diese frei ihre Wangen hinabrinnen. Sie war durch und durch berührt von den mitempfundenen Gefühlen, dem Glück und der Liebe, die geradezu greifbar waren, und dankte Travia still für all dies. Mit einem Kloß im Halse lächelte sie ihrer Mutter zu, die genauso gerührt und ebenfalls mit glänzenden Augen neben dem Brautpaar stand.

Weitaus heftiger noch von der Woge an Empfindungen erschüttert wurde Befinna, die sich zunächst sogar in jenen Augenblick vor wenigen Wochen zurückversetzt wähnte, als sie unbegreiflicherweise eins mit dem Land geworden war und bereits einmal so vieles auf sie eingestürmt war. Recht rasch bemerkte sie aber, dass es diesmal anders war. Weniger durcheinander, viel klarer, aber keineswegs weniger stark. Sowohl die Melancholie als auch die miterlebte Liebe ließen sie beben und vernehmbar schluchzend in einen wahren Strom aus Tränen ausbrechen. Ob sie selbst jemals solche Liebe empfinden und empfangen könnte?

Wunnemine war die Überreaktion ihrer Schwester erkennbar peinlich. 'Das hätte das junge Ding vor wenigen Wochen doch alles selbst haben können…'. Sie war ja selbst gerade auch gerührt gewesen, wie sie sich eingestehen musste, doch sich so gehen zu lassen, war mehr als deplatziert. Etwas unbeholfen fasste sie schließlich Befinna am Arm und reichte ihr ein eilig herausgenesteltes Tuch.

Auch die junge Cupida konnte sich die eine oder andere Träne nicht verkneifen. Sie fand die Geste wunderschön und dachte daran, dass der Eheschluss wohl genauso einen Segen zwischen den beiden Liebenden darstellte, wie er es zwischen der gütigen Mutter und den Sterblichen war. Im nächsten Moment fühlte sich die junge Gärtnerin jedoch einsam - gerade in diesem Moment wünschte sie sich mehr als ihre Rosen und Lilien in ihrem Leben. So viel Freude ihre Aufgabe Cupida auch machte, die Blumen konnten sie nicht in den Arm nehmen wenn sie traurig war, oder ihr Abends das Bett wärmen.

Von so weit hinten konnte Doratrava nur erahnen, was Braut und Bräutigam genau taten, aus Nivards Worten konnte sie aber schließen, dass Ringe ausgetauscht wurden. Machte man das so bei einem Traviabund hier? Wenn sie an die Unterweisungen ihrer Zieheltern aus ihrer Kindheit zurückdachte, war da von einem solchen Ritual nicht ausdrücklich die Rede gewesen. Was sie aber sehr verwunderte, war das aufsteigende Gefühl in ihrem Inneren, welches ihr den Hals zuschnürte und Tränen in die Augen treten ließ. Sie keuchte fast schon erschrocken. Natürlich freute sie sich für das Paar, insbesondere für Nivard, aber der Akt eines Traviabundes an sich sollte eigentlich keine solche tiefempfundene Rührung in ihr auslösen, zumal sie noch aufgewühlt war von ihrem Rausschmiss und dem erneuten Einschmuggeln in den Tempel durch Schwester Lichthild. Ihr kam der Gedanke einer Beeinflussung von außen, etwas, das sie überhaupt nicht leiden konnte und das ihre Freude an der Zeremonie durchaus trübte. Der Widerstreit der Gefühle in ihrer Brust ließ sie ein zweites Mal keuchen.

“Ach Kleine, mach dir mal den ganzen Rotz weg, das macht ja kein hübschen Gesicht. Das verscheucht dir nachher noch die Kunden”, flüsterte die Schwartenfleck Doratrava zu und hielt ihr ein Stofftuch hin. Fürsorglich schaute die ungepflegte Frau sie an, während ihr Sohn wieder in der Nase bohrte.

Angewidert warf Doratrava einen kurzen Blick auf das fleckige Tuch und schüttelte den Kopf, um sich stattdessen mit der Hand über das Gesicht zu wischen. Immerhin riss das Angebot der Alten sie aus der seltsamen Stimmung heraus, was es ihr leichter machte, den Tränenfluss zu stoppen. Sie versuchte, die Frau und ihre Kinder zu ignorieren und konzentrierte sich wieder auf das Geschehen am Altar, auch wenn sie genau wusste, worauf die Alte angespielt hatte und Empörung in ihr aufwallte. Aber wenn sie jetzt eine Diskussion darüber anfing, konnte sie sich auch gleich selbst den Traviageweihten zum Fraß vorwerfen.

Erst ein nahes und zugleich wie aus großer Ferne zu ihm durchdringendes Glockenschlagen erinnerte Nivard an den Fortgang der Zeremonie und die heimlich mit Vater Winrich vereinbarte Besonderheit in deren Ablauf. Sanft griff er beide Hände Elvruns, und begann, mit den Augen ganz und gar in deren versunken, mit klarer, doch immer wieder auch von der Macht seiner Gefühle bebender Stimme, zu singen:

“Hör die Glocken, hör die Glocken,
hör die Glocken, hör sie rufen mich zu Dir.
hör die Glocken, jetzt stehst Du endlich hier mit mir.

Um mein Herz wird's wärmer führt der Pfad mich zu Dir hin,
Bei Dir spür ich wer ich wirklich bin,
Jetzt bist Du hier, und all mein Dasein findet Sinn.

Ich fasse Deine Hand, fühle Dich bei mir,
und spür die Liebe, die immer wir uns spenden,
ich halt Dich fest, steh treu zu Dir,
und schwör Dir, das wird niemals enden.

Ich seh in mir, seit i-ich Dich kenn,
ein helles Feuer, warm und ewig leuchten
Mag alles vergehn, wir werden bestehn.

Hör die Glocken, Travia ist ganz nah bei uns,
ihr Klang, lässt uns wissen, ihr Segen ruht auf dieser Stund.

Jeden Schritt, all Taten, die wir jemals tun,
all unser Streben, Wollen und auch ruhn,
fußt auf der Gewissheit: ihr können wir vertraun!

Es ist ein brüchig Ding, unser Leben hier,
man mag am liebsten gar nicht daran denken.
Doch führ's freudig ich mit Dir,
wohin die Götter uns auch lenken.

Will, dass Du weißt, was auch immer wird,
immerzu ich lieb Dich, immerzu ganz Dein bin,
Ich sehe Dich an, und alles ist gut.

Ich fasse Deine Hand, fühle Dich bei mir,
und spür die Liebe, die immer wir uns spenden,
ich halt Dich fest, steh treu zu Dir,
und schwör Dir, das wird niemals enden.

Will, dass Du weißt, was auch immer wird,
immerzu ich lieb Dich, immerzu ganz Dein bin,
Ich sehe Dich an, und alles ist gut,
und alles ist gut, und alles ist gut.”

Sichtlich überwältigt und glücklich hing Elvrun an Nivards Lippen und ihre Wangen waren erfüllt mit Tränen. Selbst ihr grimmer Vater Juno ließ seinen Tränen freien Lauf, strich über die Schultern seiner Tochter und flüsterte ihr: ”Lass alles raus, genieße die Gefühle!”, zu. Dann faltete Vater Winrich seine Hände und bat wieder um Ruhe.
“Mit diesen Ringen, soll nun der Bund gesprochen werden, unter den gütigen Augen der Mutter Travia. Mit ihrem Segen steht dieser Bund, diese Familie, unter ihrem Schutz. Doch achtet und ehrt ihre Güte und Gebote. Seid stets füreinander da, in Treue und Anstand. Öffnet eure Herzen und Heim, denn euer Haus ist auch der Göttin Heim. Mehret eure Familie, den niemand muss alleine sein. Zeigt Milde und Barmherzigkeit, den ein jedem obliegt ein Platz in der zwölfgöttlichen Gemeinschaft!” Dann legte der Hochgeweihte seine Schwurhand, auf die Hände der Beiden. “Und nun schwört vor der Göttin Travia.”

Nun war es Elvrun die mit fester Stimme sprach, den Blick ungebrochen auf Nivard. “Hiermit schwöre ich, Elvrun Gandril von Altenberg, Dienerin der Hüterin des himmlischen Herdfeuers, dir, Nivard Leuenhard von Tannenfels, die ewige Treue, die ungebrochene Fürsorge. Ich werde dein Gefährtin, Geliebte und Freundin sein und behütende Mutter unsere Familie. So soll es sein, für alle Zeit, das schwöre ich vor der himmlischen Herrin und gütigen Mutter Travia!”

Gleichsam inniglich galt auch Nivards Blick einzig und alleine Elvrun, während er mit feierlicher Stimme und leuchtenden Augen seinen Schwur leistete: "Hiermit schwöre ich, Nivard Leuenhard von Tannenfels, Krieger nach den Idealen der alveranischen Leuin und der Ritterlichkeit, Dir, Elvrun Gandril von Altenberg, die ewige Treue, die ungebrochene Fürsorge. Ich werde Dein Gefährte, Geliebter und Freund sein, und Vater und Beschützer unserer Familie! So soll es sein, für alle Zeit, das schwöre ich vor der himmlichen Herrin und gütigen Mutter Travia!" Sein Herz bebte, so feierlich und bedeutend war ihm dieses Versprechen, so heilig und erhaben dieser unzerbrechliche Eid, der ihn für immer mit der Frau, die er liebte, vereinte.

“Magna Dea, Große Göttin, himmlische Mutter Travia, segne diesen Bund in deinem Namen. Vereint ist, was zusammen gehört, für Jetzt und aller Ewigkeit!”
Winrichs Stimme hatte an Wärme gewonnen und war in der ganzen Tempelhalle zu hören. Das Herdfeuer fing an zu knistern und die beiden Wildgänse schlugen mit ihren Flügeln und schnatterten laut. Für einige Augenblicke war die Halle mit dem Geruch von frischem Brot und Bier erfüllt.
“Und so ist es geschehen. Nun seid ihr verbunden in Travias Namen.” Der Geweihte strahlte und das Brautpaar ebenfalls. “Und nun bitte ich meine Schwestern und Brüder im Glauben nach vorne zu treten und den beiden frisch Vermählten ihren Segen zu geben.” Eine junge Novizin trat nach vorne und hielt ein hölzernes Kästchen in den Händen, das mit bunten Bändern gefüllt war. Als erster baute sich Juno, der Efferdgeweihte und Vater der Braut vor den beiden auf. Er griff nach einem blauen Bändchen und wickelte es um die Hände seiner Tochter und Schwiegersohn. “Möge der Ewige, Efferd, euch seinen Segen spenden, auf euren gemeinsamen Lebensweg.”, sagte er knapp und ließ den nächsten Geweihten vortreten.

Muter Waldlieb griff nach dem apfelgrünen Band und wickelte es um die Hände der Brautleute: “Möge die Gebende euch Fruchtbarkeit schenken, auf dass Feld, Stall und Haus erfüllt sein mögen von den Früchten eures Fleißes.” Sie trat wieder zurück in die Reihe und ließ dem Nächsten Platz.

Rondradin trat als nächstes nach vorne. Lächelnd legte er die Hände der Frischvermählten ineinander und umschloss sie die dann mit den seinen. “Möge der Segen der Wächterin von Alverans Zinnen allzeit auf euch und eurer Familie liegen. Mögen eure Liebe, Wertschätzung und Verbundenheit zueinander ein uneinnehmbares Bollwerk bilden, auf dass es euren Kindern eine sichere Wohnstatt bietet. Der Segen der Alveransleuin sei stets mit euch.” Der Geweihte löste einen kleinen Beutel von seinem Gürtel und überreichte sie dem Paar. “Darin befindet sich eine Eichel. Pflanzt sie bei eurem Heim und die daraus erwachsende Eiche möge ebenso wachsen und gedeihen wie eure Liebe.” Damit machte er der nächsten Geweihten Platz.

Hand in Hand miteinander verbunden nahmen Elvrun und Nivard dankbar und glücklich die Segenswünsche der Geweihten entgegen. Jeder einzelne Wunsch bedeutete beiden viel, denn stammten sie nicht nur von den guten Göttern, sondern wurden auch von Menschen überbracht, die beiden viel bedeuteten:
Juno, Elvruns gestrenger und im tiefen Herzen doch liebender Vater, den mit Nivard einige Geheimnisse und Abenteuer verbanden. Mutter Waldlieb - Lioba - an die und deren Wirken, zunächst als Novizin bis heute als gestandene Geweihte und gute Seele in den Wäldern von Ambelmund, Nivard sich von Kleinauf erinnern konnte. Und Rondradin, sein einstiger Rivale vor Rahja, dessen Sieg auf jenem Felde ihn auf den Weg zu seinem wahren Glück und dem heutigen Tag gebracht hatte, und dem er sich heute in Freundschaft verbunden fühlte. Auf der Eiche würden dereinst hoffentlich ihre Urenkel und deren Kindeskinder klettern.
Auf einmal nahmen Nivards geleitschutzgeschulte Augen eine plötzliche schnelle Bewegung im Hintergrund wahr...

Plötzlich überkam Doratrava eine ihrer berüchtigten Anwandlungen und sie sprang auf, wobei sie den Mantel, den Lichthild ihr gegeben hatte, von sich warf. Mit schnellen Schritten stürmte sie zum Altar, bevor sie jemand aufhalten konnte. Dort fasste sie die freien Hände der Brautleute und blickte ihnen in die Augen; dass sie selbst geweint hatte, war ihr noch deutlich anzusehen. "Ich bin zwar keine Geweihte", sprach Doratrava hastig, da sie befürchtete, unterbrochen zu werden, "aber ich wünsche euch, dass alles, was ihr selbst euch wünscht, in Erfüllung gehen möge. Und wenn ihr euch Kinder wünscht, so sollen diese prächtig gedeihen und sich möglichst lange an Vater und Mutter erfreuen. Ich habe zwar kein anderes Geschenk für euch, aber nehmt dies als Erinnerung an meine Wünsche." Damit wickelte sie sich den gelben Schleier von der Hüfte und schlang diesen ebenfalls um die bereits "gefesselten" Hände des Paares. Dann trat sie schnell zurück und drehte sich zu den Traviageweihten um. "Nichts für ungut, ich wollte nur helfen und sicher nicht diese Feier stören, Travia sei meine Zeugin!", rief sie, winkte kurz, blinzelte Rondradin kurz verstohlen zu und stürmte dann zum Portal des Tempels, um hinauszuschlüpfen.

Schon zog die Tempelmutter die Luft scharf ein, doch es war Vater Winrich, der sie sanft am Arm berührte. “Schon gut, Mutter Regintrud. Schau, Travia hat es wieder gerichtet. Was für eine schöne Geste.” Dann schritt Schwester Lichthild vor das Paar und legte ihre Schwurhand auf den gelben Schleier. “Eure Freundin ward von ihrem Herzen geleitet, dennoch ist sie keine Geweihte oder Akoluthin. Doch so seid gewiss, das auch ihr Band, ein gottgegebenes ist. Vertrauen wir diesen und lasst mich stellvertretend für sie, die Segenswünsche abschließen.” Dann zog sie ein Beutelchen aus ihrer Tasche. “Hier einige Samen aus dem Park, pflanzt diese und seht es als Symbol für eine wachsende Familie in all ihrer Herrlichkeit!” Die magere Frau lächelte freundlich und reichte es Celissa.

Nivard musste schmunzeln, war aber auch gerührt. Doratrava wie sie leibte und lebte! Sein Herz machte darüber einen weiteren Hüpfer, denn wenn es einen Wermutstropfen gegeben hätte, dann wäre es der gewesen, dass seine Freundin wegen eines Gefallens, den sie ihm und der Hochzeitsgesellschaft tun wollte, nicht an ihrer Hochzeit dabei hätte sein können. Aber Doratrava wäre nicht sie selbst, wenn sie nicht doch einen Weg gefunden hätte…
Der Bräutigam freute sich daher auch über die versöhnlichen Worte der jungen Schwester, die hier als einfache Geweihte den Mut hatte, für Doratrava einzutreten, und lächelte diese an. "Habt Dank. Es wird sicherlich ein schönes Fleckchen, dessen Blütenpracht uns stets an Herzogenfurt und die Geschenke, die die gütige Mutter uns hier gemacht hat, erinnern und unser Herz wärmen wird."
Celissa nahm derweil dankend das Säckchen entgegen. Sie würde es trocken und geschützt verwahren, bis Elvrun und Nivard dieses im Frühjahr zur Aussaat bringen konnten. Vor Peraine würde der Nordgratenfelser Winter den Keimlingen leider den sicheren Tod bringen.

Hinter der Gauklerin trat auch die junge Cupida mit einem sehr schönen, selbst gebundenen Strauß aus Lilien und Rosen an das Paar heran. “Auch ich bin keine Geweihte, aber ich wünsche euch beiden alles Liebe. Mögen alle eure Wünsche in Erfüllung gehen. Ich trage einen Gruß aus dem Park mit mir.” Mit einem Lächeln auf den Lippen überreichte sie der Braut die Blumen und schritt dann in den Reigen der Gäste zurück.

Rahjania war an der Reihe und zwinkerte das Paar fröhlich lachend an. „Eure Hände will ich nicht noch mehr binden. Nehmt diesen feinen Schleier, man hat ihn mir aus Fasar geschickt. Rahja sei mit Euch. Möge ihr Funke in eurem Leben nie erlischen.“ Dann beugte sie sich vor und küsste Braut und Bräutigam auf den Mund. „Wenn ihr noch einen richtigen Rahjabund mit mir wünscht, lasst es mich wissen.“

Rahjania, ausgerechnet Rahjania! Nivard war zunächst etwas überrascht vom Kuss auf den Mund. Doch welch schöneres Zeichen konnte es geben, dass er mit Rahja und vor allem Rahja mit ihm ihren Frieden gemacht hatte, als dass jene Hochgeweihte, mit der er noch in Nilsitz, vor fünf Monden, der Liebe wegen mehr oder weniger aneinandergeraten war, aber auch lange gesprochen hatte, ihnen nun den Segen der Liebholden überbrachte.

Als letzte kam Elvruns Schwester zu dem Paar. Die Lichtbringerin trug ihre einfache rotgoldene Robe mit halbhoher Filzmütze und zwei Sphärenkugeln am Gürtel. Ihr volles, dunkelbraunes Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten, aber dennoch fanden einzelne Locken ihren Weg aus der gebundenen Form. Ihre großen und ausdrucksstarken grün-braunen Augen strahlten vor Freude und ein glucksendes Lachen erhellte die Halle. Die kugelrunde Frau ergriff etwas ungeschick die gebundenen Hände des Brautpaares und schüttelte diese. “Oh wie glücklich ich bin. Und was für einen Prinz du erwischt hast, naja, du weißt ja, fast hätte es mich erwischt …” Praiona zwinkerte Nivard zu und Elvrun kicherte. “Nun, als ich und Nivard …”, plapperte diese weiter, als die brummige Stimme Junos sie unterbrach. “Der Segen. Das Bändchen. Und weniger … reden.” Die Geweihte des Praios überlegte kurz. ”Oh, ja, natürlich.” Dann griff sie nach einem goldene Bändchen und wickelte, etwas zu fest, um die Hände. “Wandelt stets im Licht, seid ehrlich zueinander. Die Götter haben gefügt, was zusammen gehört. Praios, der Himmlische, hat für Ordnung gesorgt, auf dass die Zukunft der Nordmarken gesichert ist. Es sei!” Damit drehte sie sich um, breitet die Arme aus und nickte den Gästen zu. Juno verdrehte die Augen und zuckte mit den Schultern.

Nivards Mundwinkel zuckten, während er Praiona für ihren… sehr eigenen... Segensspruch dankte. Er stand - wie es in seiner Familie ebenso feste wie entsprechend zurückhaltend zur Schau getragene Tradition war - der Praioskirche alles andere als nahe. Wenn nur alle Diener des gestrengen Sonnengottes mehr wie seine Schwägerin wären, dann hätte er seine Haltung vielleicht überdenken können… wenigstens ein bisschen.

Nun war es wieder Winrich, der sprach. “Und nun, liebe Gäste in Travias Haus, kommen wir zur Speisung, ich bitte Familie Schwartenfleck und die Waisenkinder als erstes nach vorne, das Paar ist nun bereit, die Speisung vorzunehmen.” Mit Krakelee und Gelächter stürmten die schmuddeligen Kinder der Witwe nach vorne, noch bevor sich die Gäste erheben konnten. Elvrun und Nivard, befreit von ihren Segensbändern, hatten mühe an den Tisch mit den Speisen zu kommen, um die Ärmsten Herzogenfurts, zu verpflegen. “Was für eine schöne Hochzeit,” sagte die Schwartenfleck, während sie sich eine Schale Suppe geben ließ,” und meinen Ferkeln scheint es auch zu gefallen.” Nun gelang es auch den ersten Gästen, sich an den Kindern vorbei zu drängeln, um dem Paar zu beglückwünschen und etwas von der Speisetafel zu bekommen.

Es war Nivard eine Ehre und Freude, als erste gemeinsame Tat mit seiner nun vor Travia angetrauten Elvrun die Armenspeisung vorzunehmen, wie es alter und guter Hochzeitsbrauch war. In Tannenfels hatten sie schon manch langen und am Ende mageren Winter erdulden müssen - dann war seine Familie um alles froh und dankbar gewesen, das half, alle im Dorf vielleicht etwas hagerer, aber am Ende halbwegs unbeschadet durch die Monde des Darbens zu bringen. Umso mehr war es selbstverständlich, in guten Zeiten die Armen teilhaben zu lassen an der reich gedeckten Tafel. Neben Brot und Suppe standen aus Tannenfels mitgebrachte Honigküchlein und neuer, noch nicht ganz säuerlich gewordener Ambelmunder Apfelmost bereit. Emsig und freundlich reichten Elvrun und er Schüsseln und Backwerk aus und wünschten allen eine gesegnete Mahlzeit. Wann immer seine Blicke sich dabei mit denen seiner Gemahlin trafen oder sich ihre Hände bei ihrem barmherzigen Werk berührten, strahlte er Elvrun selig an.

Nachdem die Armen Herzogenfurts glücklich versorgt waren und zufrieden ihre Suppen schlürften und damit der erste Ansturm verebbt war, ließ sich Celissa die Gelegenheit nicht nehmen, als erste der nicht im Dienste der Kirchen stehenden (außer Doratrava) ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter zu gratulieren. Fest drückte sie Elvrun an sich und hieß sie überglücklich und von ganzem Herzen in ihrer Familie willkommen.
Etwas hinter der Edlen von Tannenfels hatten sich Ringard und Amiel eingereiht und traten, als sich eine weitere Lücke eröffnete, zum Brautpaar, diese ebenfalls zu herzen. “Wen habt Ihr denn da mitgebracht?” erkundigte sich Nivard überrascht mit Blick auf Tsadoro, der noch immer auf Ringards Arm saß. Diese sah Amiel auffordernd an.

“Dies ist … ähhmm… Tsadoro, ein Waisenkind.” sagte er zögerlich und schaute Elvrun vorsichtig an. Diese lächelte nur und strich dem Jungen über die Wange. “Was für ein hübscher Junge.” Dann lehnte sie sich an Nivard an, der seinen Arm um sie legte.

"Und wie kommt Tsadoro in eure Obhut?" wollte Nivard wissen, während er den Knaben anstrahlte. "Hast Du denn mit Ringard schon Gobelin-Gob gespielt?” wandte er sich dann diesem mit gehobener Stimmlage zu. “Sie ist sicher ein ganz hervorragendes Reitschwein!"
"Nivard!" empörte Ringard sich lachend. "Auch wenn Du mein Bruder bist und Du heute heiratest, lasse ich Dir nicht alle frechen Vergleiche durchgehen! Reitschwein... sag mal!"
“Komm, das ist doch das beste, was man für so einen rothaarigen kleinen Abenteuerer sein kann, oder?” - “Das wird Dir sicher gefallen…” fuhr er in Kindersprache fort.
“Wollt Ihr Tsadoro bei Euch aufnehmen?” erkundigte er sich dann aber weiter bei Amiel, dessen zögerliche Antwort ihm nicht entgangen war. Eine große Geste, noch vor ihrer Hochzeit? Seine Neugier war geweckt.

Ein wenig entglitt ihm seine Gesichtszüge und schaute dann ratlos. “Ähh … also, da musst du deine Schwester fragen?”, brachte er heraus und schaute wieder zu Elvrun. Diese strahlte und schaute Ringard an. “Oh, das würde der Göttin gefallen. Wir werden sicherlich auch ein Kind adoptieren.”, sagte sie selbstsicher.

Nivard nickte beipflichtend. "Ja, das werden wir." Vor seinem inneren Auge malte er sich schon ihre gemeinsame Familie aus.
"Ja, äh, also, müssten wir dafür nicht... erst heiraten?" war sich Ringard unsicher. Das war immerhin Voraussetzung, zusammen zu leben, und das wiederum dafür, einem Kind Heimstatt bieten zu können. Wobei sie nichts dagegen einzuwenden hätte, bereits vor dem Winter ein gemeinsames Zuhause beziehen zu können. In ihrem Gesicht sah man regelrecht ihre Gedanken arbeiten.

“Genau.” sagte er nun selbstsicher. “Und der kleine hier sollte bald eine Familie bekommen.” Dann nahm er den Jungen aus Ringards Arm und reichte ihn Nivard.

Nivard nahm den Jungen überrascht und auch ein wenig überrumpelt entgegen, während Ringard anzusehen war, dass sie nicht wusste, ob sie besser erleichtert oder enttäuscht sein sollte. "Ja, äh, das meine ich auch, genau!" schloss sie sich Amiel eilig an.
"Tsadoro ist Dein Name?" machte sich der Krieger derweil mit dem Knaben vertraut, der ihn und Elvrun mit großen Augen ansah. "Ich bin Nivard, und das ist Elvrun." Nivard versuchte zu fassen, was hier gerade geschah, aber was er auf jeden Fall erkannte, war, dass er hier Erwartungen geweckt hatte: "Und Du bist tatsächlich noch nie auf einem Wildschwein geritten?" Vorsichtig setzte er ihn zu sich auf die Schulter. "Gut festhalten!" fasste er selbst auch die Beinchen Tsadoros mit sicherem Griff.
In diesem Moment sah Relindis, durch ein Zuppeln Akkas an ihrem Kleid aufmerksam gemacht, hinüber zu dem Grüppchen um das Brautpaar ganz in ihrer Nähe, und ihr Herz ging ihr fast über, als sie alles bereits sich fügen wähnte. Leise gesellte sie sich zu den anderen. "Habt ihr beide Euch dafür entschieden?" sprach sie Elvrun und ihren Bruder freudestrahlend an. "Wie schön! Der gütigen Mutter wird es gefallen."
Warum schienen alle genau Bescheid zu wissen? wunderte sich Nivard stirnrunzelnd, fragende Blicke zu Elvrun werfend, doch erinnerte ihn ein Ziehen an seinem Haar daran, dass er sich eigentlich gerade zu anderem verpflichtet hatte. "Natürlich… pass auf, Tsadoro: Hoppel-di-hoppel-di-hoppel-di-hopp, reitet der Gobeli-Gobeli-Gobelin-Gob, auf der Wildsau Galopp, Galopp." Nivard blieb mit Tsadoro an Ort und Stelle und ließ ihn etwas leiser und sanfter reiten als Murla oder vor einigen Jahren mehr noch Silfrun, waren sie doch in einem Tempel Travias, und natürlich war der Knabe auch noch keine zwei oder drei... höchstens eins, wenn er schätzen müsste.
“Also im Reiten bist Du ein Naturtalent.” zog er Tsadoro vorsichtig von seinen Schultern wieder auf seinen Arm. Wenn es ihrer beider Wunsch war, warum nicht gleich heute, am Tage ihres Traviabundes? Aber reden hätte trotzdem jemand mit ihm können, über diese besondere Überraschung....
Dann sah er Elvrun in die Augen.

Elvrun schaute sich den Jungen an. Dann nahm sie ihn Nivard ab. “Du hübscher Knabe. Travia wird für dich eine Familie finden und ich habe fast das Gefühl, das es diese sein wird.” Sie küsste den Jungen auf die Stirn und gab ihn Ringard zurück. “Doch so etwas sollte gut überlegt sein. Wer sich berufen fühlt, ein Kind in seine Familie aufzunehmen, sollte sich den Moment nehmen, sein Herz vor der gütigen Mutter zu prüfen. Solch eine Entscheidung ist für Ewig und sollte gut bedacht sein. Wir werde das tun und ihr solltet das auch.” Amiel legte überraschend seinen Arm um Ringards Schulter und nur Nivard sah den leicht verständnislosen Blick, den er Relindes zuwarf. “Oh … ja, da hast du recht, Elvrun. Das werden wir machen, nicht wahr?” Dabei drückte er seine Verlobte.

"So will es die gütige Mutter - ein lebenslanger Bund will nicht leichtfertig geschlossen sein." pflichtete Relindis bei - natürlich hatte Elvrun voll und ganz recht, noch dazu, wenn, wie sie selbst jetzt sicher war, tatsächlich alle Erinnerungen von deren Seele genommen waren. Wie hatte sie - bei allem sanften Schubsen ihrerseits im Park und jetzt offenkundig Amiels - ernsthaft erwarten können, dass ihr Bruder und ihre Schwägerin bereits wenige Augenblicke nach ihrer Vermählung stante pede einen Knaben adoptieren, den sie vermeintlich erst heute oder sogar erst in diesem Moment kennengelernt hatten? Die jähe Röte ihrer Wangen und der Blick, den sie Amiel zurückgab, verrieten die merkwürdige Gefühlsmischung, in der sie sich befand. Da war die noch immer andauernde gute Hoffnung, trotz des Dämpfers gespeist aus Elvruns geäußerten Überlegungen, dass sich für ihre Schwägerin und deren Sohn alles zum Guten wenden würde. Und natürlich ihr schlechtes Gewissen, hier nicht mit offenen Karten spielen zu können, noch dazu im Tempel ihrer Göttin. Sie würde heute ein besonders langes Gespräch mit Travia zu halten haben... und vorher mit Amiel.
"Aber ich glaube, wenn ihr mir das zugesteht, dass Tsadoro Euch beide mag." erlaubte Relindis sich dennoch einen weiteren sanften Anschub, in den Akka schnatternd von unten einstimmte.

Ringard hatte derweil Tsadoro wieder auf ihrem Arm und sah unsicher in die Runde. Sie wurde immer noch nicht schlau aus dem Verhalten ihres Verlobten, und auch der Auftritt ihrer Schwester erschien ihr mehr als merkwürdig. Was wollten die beiden? Wollten sie Tsadoro jetzt in Nivards und Elvruns Obhut sehen? Und warum ausgerechnet Tsadoro? Was verband Amiel und Relindis mit diesem? Irgendetwas war da... Sie hatte nach alldem hier ausgiebig mit Amiel zu reden, und auch Relindis würde ihr nicht ohne eine Erklärung davon kommen. Dennoch ließ sie sich bereitwillig von Amiel an sich drücken und pflichtete diesem bei. "Ja, das machen wir!"

Auf Nivards Gesicht breitete sich derweil ein Lächeln aus, denn er spürte, dass Elvrun genauso wie er von den anderen dreien überrascht worden war. In diesem Lichte begann ihm die Idee der Adoption immer besser zu gefallen. Elvrun und er würden sich gemeinsam in aller Ruhe Gedanken dazu machen. Mit seinen Schwestern, allen voran Relindis, hatte er dennoch ein Wörtchen zu reden.
Jetzt war dazu aber keine Gelegenhein, denn in diesem Moment kam Vater Winrich auf das Grüppchen zu.

Cupida war eine der ersten, die sich aus dem Tempel verabschiedeten. Sie wusste, dass danach noch ein Treffen in der Taverne ihrer Eltern geplant war und da wollte sie mithelfen. Sie verabschiedete sich nett von den Anwesenden und machte sich auf den Weg in den Lilienpark.

Während sich inzwischen eine rege Gästetraube um Elvrun und Nivard herum bildete, machten sich Rondrard und Silfrun unauffällig auf den Weg nach draußen, wo sie vor dem Tempel noch rasch etwas vorzubereiten hatten.

Vater Winrich war zufrieden und glücklich, nun war seine ehemalige Novizin und Nichte Elvrun in guten Händen. Er war sich sicher, dass sie das wärmende Herdfeuer gut im Ambelmunder Land unter die Menschen bringen würde. Doch eine letzte Tat war noch zu erledigen, bevor er die Beiden aus dem Tempel entlassen konnte. Kurz wartete er, bis Elvrun und Nivard ihre Gäste bedient hatten und rief sie dann zu sich. “Es gibt noch eine Sache, die ihr machen müsst.” Dann suchte er die Burgoffizierin, die jetzt einen dicken Folianten trug. “Coletta, ihr könnt jetzt das Adelsregister bringen. Dann wäre das nun auch bestätigt.” Freundlich winkte Winrich sie heran. Kaum setzte die Hadingerin sich in Bewegung, zischte eine Stimme von einer der Bänke hinüber. “Schande. Ausgerechnet diese da.” Der eisige Blick Mareias von Grötzingen, Ehefrau des Stadtvogtes, traf die Burgoffizierin und es gab keinen Zweifel, dass diese Worte an diese gerichtet waren.

Nivard nickte. "Natürlich." Neben dem göttlichen Segen und dem menschlichen Glück durfte auch das profane Administrative nicht gänzlich vergessen werden, bevor es nach draußen ging... Zusammen mit Elvrun machte er sich bereit für den Eintrag ins Register. Doch was war das für ein Misston? "Wie meinen?" erkundigte sich der frisch Getraute mit gedämpfter Stimme, wollte er doch keine allzugroße Aufmerksamkeit auf diese Sache ziehen. Dass manche Leute sich noch nicht einmal im Tempel der gütigen Mutter, dazu noch bei einer Traviabundfeier zusammenreißen und friedlich bleiben konnten?

Coletta brachte Vater Winrich den schweren Folianten und legte ihn vorsichtig auf den Tisch, an dem auch das Brautpaar stand. Sie ignorierte zunächst den Zwischenruf von den billigen Plätzen und gratulierte Elvrun und Nivard herzlich: “Ich freue mich sehr für Euch. Alles Gute für Euer gemeinsames Leben. Ihr seht so glücklich aus; mögen die Götter die schützende Hand über Euch halten.” Sie blickte nun amüsiert zu Mareia hinüber und dann zu dem Bräutigam. “Nehmt dies der Dame nicht krumm; ich tue es auch nicht…” sagte sie gelassen und ruhig und deutete mit der Hand an, dass die Frau von Grötzingen an diesem Morgen vielleicht schon einen Kartoffelschnaps zu viel intus hatte.

Nivard wandte seinen Blick von der Zwischenruferin ab und Coletta zu. "Wenn Ihr sie kennt und dem keine Bedeutung beimesst, so will ich es - gerade heute - auch nicht tun.” Der kurze Schatten auf seinem Gesicht war verschwunden und hatte wieder dem hellen Schein des Glückes Platz gemacht. “Habt vielen Dank für Eure guten Wünsche!” Dann sah er auf das dicke und bereits altehrwürdig anmutende Buch. “Wo genau dürfen wir uns eintragen?”

Vater Winrich kräuselte kurz die Stirn, doch da sich die Angesprochene offenbar in keiner Schuld sah, wandte er sich wieder dem Brautpaar zu. “Eigentlich nur hier”, und deutete auf eine freie Stelle im Buch. Währenddessen erhob sich die Gemahlin des Stadtvogtes, gestützt von ihrer Tochter, und verließ mit tot-traurigem Gesicht die Tempelhalle.

Coletta zuckte noch einmal entschuldigend mit den Achseln und verabschiedete sich freundlich vom Brautpaar und von Vater Winrich, dann entschuldigte sie sich mit dem Hinweis auf dringende Pflichten. Während sie nach draußen schritt, verdüsterte sich jedoch ihre Miene. Warum musste auch noch Mareia hier im Traviatempel für Rabatz sorgen? Der Tag war nun wirklich schon anstrengend genug gewesen… Coletta überlegte, ob sie noch einmal unter vier Augen mit ihr sprechen sollte. Aber im Grunde war alles gesagt. Coletta wollte ihr den Gemahl und Vater ihrer Kinder gar nicht wegnehmen, doch dass Jorams Herz nicht seiner Ehefrau gehörte, war etwas, woran niemand etwas ändern konnte, womit sich Mareia nach all den Jahren endlich abfinden sollte, statt sich immer noch in Verbitterung und Selbstmitleid zu suhlen. Coletta konnte für die Frau eigentlich nichts tun, außer weiterhin diskret zu sein.
Sie atmete die aromatische Herbstluft ein und schüttelte die negativen Gedanken bewusst ab. Heute abend würde sie auf dem Junggesellinnenabschied der Baronin das Fest genießen und sich nicht mehr die Laune verderben lassen.

Zwischenzeitlich aber versammelten sich einige Gäste vor dem Tempel, um das Paar beim heraustreten zu begrüßen.

Und endlich war es soweit, stolz traten Elvrun und Nivard von Tannenfels vor den Tempel.

Die Mitglieder der Geleitschutztruppe, zu denen Bräutigam Nivard sich zählte, waren den Göttindienst über aufgereiht neben dem Hauptportal gestanden. Nachdem sich abzeichnete, dass die Speisung ihr Ende finden und das Brautpaar bald den Tempel verlassen würde, hatten die Plötzbogner das Portal geöffnet und waren durch den Schein der freudig ins Tempelinnere dringenden Sonnenstrahlen hindurch auf den Vorplatz getreten. Auf das Kommando ihres Obersten, Emmerans, hatten sie wieder links und rechts vom Portal Stellung bezogen, diesmal saßen aber ihre mit blaugefärbtem Rosshaar verzierten Helme auf den Köpfen der mit glänzend gefetteten Lederrüstungen und einem durchaus respekteinflößenden militärisch-einheitlichen Äußeren ausgestatteten Truppe. Die blitzenden Schwerter gezückt aber noch locker auf der Schulter liegend erwarteten die Krieger, dass ihr junger Kamerad mit seiner Herzensdame aus dem Tempel trat.
Als der Schatten des jungen Ehepaares sich aus dem Dunklen schälte, ertönte der laute Ruf Emmerans von Plötzbogen: “Oooo-bacht! Plötzboooo-gner! Dem Brautpaar zur Ehr, Rondra zur Wehr!”, woraufhin alle ihre Klingen mit der Schwerthand stolz und absolut gleichzeitig zu einem Spalier in die Höhe hoben. Die behandschuhte Linke zur Faust geballt traf als Kriegergruß die gerüstete Brust, während der Ruf der Plötzbogner über den Platz hallte:
“DEM BRAUTPAAR ZUR EHR, RONDRA ZUR WEHR! - UNUS PRO MULTIS. OMNES PRO NIVARD!” drang es würdevoll-feierlich aus den Kehlen der sechs selbstbewussten Kriegerinnen und Krieger.
Dem Krieger Nivard war zumindest die Hälfte der Worte vertraut: ‘Unus pro multis’ (einer für viele) lautete der Wahlspruch der Elenviner Kriegerakademie, der sie allesamt entstammten. ‘Omnes pro Emmeran’ (alle für Emmeran) so riefen sich die Kameraden abends am Lagerfeuer gerne mal neckisch zu, um ihrem alten Freund, Waffenbruder, Kommandant und Anführer Respekt zu zollen - in der speziell für diesen Tag abgewandelten Form aber hatte Nivard beides noch nie gehört.

Nivard war überwältigt vom Spalier seiner Kameraden und deren schallendem Ehrensalut. Gerührt hielt er inne, erwiderte den Kriegergruß und ließ das imposante Bild auf sich wirken: alle, die sie im Auftrag der Altenberger nach Herzogenfurt gekommen waren, standen hier, nur Godufiga, die die Zentrale in der Elenviner Speicherstadt hielt, sowie Ossian, Herlinde, Eremalrik, Sariella und Praiosmar, die anderweitig unabkömmlich waren, fehlten. Reihum sah er jeden von ihnen an, Rhela, Wolfmar und Meingard, die rechtzeitig wieder zurück von der Suche gewesen war, Anthelm und Gerrigunde sowie natürlich Emmeran von Plötzbogen, von dem er in der Zeit seit seinem Abschluss an der Kadettenschule soviel Vertrauen geschenkt bekommen und noch viel mehr gelernt hatte. Einmal schluckend atmete er tief durch, dann schritt Nivard Hand in Hand mit Elvrun stolz und glücklich durch die Reihen, bis sie vor Emmeran zum Stehen kamen. “Melde Mission erfüllt!” gab der junge Krieger grinsend zu Protokoll.

Der charismatische Plötzbogen erwiderte das Grinsen Nivards mit einem eigenen herzlichen Schmunzeln und neigte anschließend noch einmal zufrieden das Haupt, so wie er es immer tat, wenn ihm eine Meldung gemacht wurde: “Dann wegtreten, Tannenfels! - Und Altenberg...” ergänzte er sein Kommando hin mit dem selben Schmunzeln an die Braut gerichtet, “willkommen in der Truppe.”

Mit stolzen Blick erst auf ihren Gemahl gerichtet, machte Elvrun einen höflichen Knicks. “Habt Dank”, und schenkte jedem in der Truppe ein Lächeln.

Mutter Waldlieb erwartete das frisch gebackene Paar am Ende des Spaliers: “Herzlichen Glückwunsch, Nivard”, sie umarmte ihn und drückte ihm links und rechts einen Kuss auf die Wange. “Und auch Dir, Elvrun.” Auch diese wurde umarmt und geküsst. “Ich war so frei euch beiden eine Kleinigkeit zusammenzustellen.” Sie nahm die Kette aus Arangen ab und striff sie Elvrun über, dann nahm sie das Arangenarmband ab und striff es Nivard über. “Die Arange zählt zu den Perainäpfeln und kann, wegen seiner Farbe, als beiden Göttinnen gefällig betrachtet werden. Und da eine Familie auch etwas zu Essen benötigt, habe ich hier diesen Korb für euch. Darin sind frisches Brot, Äpfel, Lauch, Wasser und Apfelmost. Auch ein kleines Fläschchen mit Knoblauchöl habe ich hinzugefügt.” Mit einem Lächeln überreichte sie den beiden einen Henkelkorb aus Weide, der mit einem Tuch abgedeckt war.

Nivard ließ sich gerne von Mutter Waldlieb herzen. "Es ist so schön, dass Du zu unserer Hochzeit gekommen bist!" strahlte er sie an und nahm den Korb dankend entgegen. Wo die gütige Mutter Travia weilte, war auch die gebende Seite Peraine nicht fern, wurden sie durch das Geschenk hoffnungsfroh erinnert, sei es in den Zutaten für das Familienmahl, die Feld und Obstbäume schenkten, sei es in der Familie selbst, die dank Peraines und Tsatuaras Segen wuchs und gedieh. Neugierig besah Nivard das Arangen-Armband - er war diesem kostbaren Obst bislang nur wenige Male in kleinstückiger und kandierter Form begegnet - als ganze Frucht hatte er die Perain-Äpfel dagegen noch nie gesehen oder gekostet. Mit einem Lächeln sog er genussvoll deren Duft ein und freute sich bereits auf deren Verzehr. "Kann man die ganz essen?" erkundigte er sich bei Lioba.

“Man schält sie normalerweise. Aber diese hier sind getrocknet und gehärtet worden, damit sie als Schmuck dienen können. Aber sie riechen so, wie sie schmecken. Fruchtig, mit einer leichten Säure. Wenn man die Schale entfernt hat, ist die Frucht in einzelne Kammern unterteilt. Darin sind oft kleine Kerne. Und sie sind sehr saftig. Wenn Du willst, werde ich eine Bitte nach Storchengarten schicken, ob sie in den Gärten dort versuchen wollen dort Arangen anzubauen. Dann könnte ich euch mal welche mitbringen, die ihr essen könnt.”

“Das würdest Du? Ich glaube, das wäre nicht nur mir eine Freude.” erwiderte Nivard. Er hatte keine Ahnung, wie aufwendig es war, so exotische Früchte in den rauen Nordmarken zu ziehen, wenn doch schon der Wein sich hier so schwer tat…. Aber wenn es jemandem gelingen würde, dann wohl den emsigen Geweihten der gebenden Mutter.

“Aber natürlich. Einen Brief zu schreiben ist ja nicht schwer”, lächelte Lioba, “ob Ivetta mich erhören wird, steht natürlich auf einem anderen Blatt.”

Nivard lächelte. Er kannte Ivetta von Leihenhof lediglich flüchtig, konnte sich aber gut vorstellen, dass diese sich dafür begeistern ließe.


Einer alten Tradition in Ambelmund folgend waren Rondrard und Silfrun währenddessen geschäftig dabei, das aus der Heimat mitgebrachte, dort im Wald als dessen Geschenk gesammelte und bereits gut getrocknete Holz eilig aus seinem zeitweiligen Versteck hinter dem Tempel vor diesen auf den Marktplatz zu schaffen und dort zu einem nicht allzu hohen, aber dennoch veritablen Haufen aufzuschichten. Der große Bruder des Bräutigams besah den Stapel noch einmal kritisch, dann nickte er Silfrun zu, ihm die kleine Feuerschale zu reichen, in der die Holzkohlen ebenfalls bereits seit kurz vor der Traviabund-Zeremonie vor sich hin glommen. Die jüngste Tannenfelserin dachte jedoch nicht im Traum daran, diese auszuhändigen, sondern kippte sie kurzer Hand gleich selbst in das Haufwerk, das, auch dank eines günstigen Windzuges, sofort knisternd Feuer fing und bald in orangeroten Flammen aufging, die den Duft nach Lagerfeuer und verdampfendem Tannenharz verströmten. Grinsend sah sie ihren ältesten Bruder an. "Es ist bereitet." Beider Augen gingen nun auffordernd zum Brautpaar.

Celissa trat in diesem Moment neben das Brautpaar und ergriff für alle gut vernehmbar das Wort: "Die gütige Mutter segne Euch, auf dass Eure Liebe Euch beiden stets der Boden unter Euren Füßen sei, wärmendes Feuer und Heimstatt für Euch und Eure Familie. Möget ihr alle Herausforderungen gemeinsam meistern, alle Wege gemeinsam gehen und am Ende vereint nach Hause zurückkehren, wie ihr jetzt auch vereint und unbeschadet über die Flammen und wieder zurück springen möget! Springt! Springt mit dem Segen der Mutter! Springt zusammen in Euer gemeinsames Leben! Und springt zurück nach Hause, zu Eurer Familie und Euren Freunden!"

Rondrard deutete derweil allen, aus der Anlaufbahn zu treten, auf dass das Brautpaar den ersten Sprung wagen konnte, von Ost nach West, wie es die alte Tradition verlangte, als Symbol für die lebenslange Gemeinschaft der Liebenden, und nachher auch wieder zurück, von West nach Ost, als Zeichen dafür, dass die beiden dereinst auch den Weg heim zu den Göttern, zurück in den Schoß der Mutter, gemeinsam gehen würden und eine Gemeinschaft für die Ewigkeit bilden wollten.

"Bist Du bereit?" fasste Nivard Elvruns Hand fester. "Dann los!"

Noch etwas ungläubig schaute sie Nivard an und ihre Wangen röteten sich. Dann raffte sie ihr Kleid. “Auf Drei?”

"Auf Drei!" bestätigte Nivard lächelnd. "Eins... zwei... drei...!" zählten sie gemeinsam hinab, dann liefen sie zeitgleich los. Nivard achtete darauf, sein Tempo dem Elvruns anzupassen, hatte sie für einen schnellen Spurt doch die deutlich undankbarere Gewandung.
Seite an Seite, Hand in Hand und im Bewusstsein, eins zu sein, ging es auf die Flammen zu, und in einer einigen Bewegung setzten sie auch sicher über diese hinweg - nur die etwas wacklige, am Ende aber dennoch geglückte Landung zeigte, dass insbesondere die Braut nicht ganz vertraut mit dieser Art von Sprung war.
"Gleich wieder zurück?" strahlte Nivard Elvrun an, gab ihr aber einige Momente, in denen sie sich unter dem Applaus der Hochzeitsgesellschaft langsam umdrehten, Zeit, wieder zu Atem zu kommen und zu prüfen, ob das Kleid auch noch für den Rücksprung geeignet saß. "Wieder auf drei?... Eins... zwei... drei...!" ging es zurück, diesmal noch schwungvoller und sicherer, nachdem Elvrun mit der Sache vertrauter wurde.

"Wer will, darf es ihnen nachtun!" rief Celissa in die ein weiteres Mal applaudierende Runde, als das Brautpaar wieder bei ihr angelangte. "Doch wisset, wenn zwei noch nicht Vermählte diesen Sprung gemeinsam wagen, gelten sie in unserer Heimat als verlobt!"

"Erstmal muss das Brautpaar sich küssen!" insistierte jedoch Silfrun lachend von der Seite. Die Traditionen mussten schließlich gewahrt bleiben.
Auffordernd gingen die Blicke zu den beiden frisch Vermählten.

Strahlend vor Glück und vor Vorfreude drehte sich Nivard, selbst noch leicht außer Atem, zu Elvrun. Diese schloß ihre Augen und küsste ihren Ehemann.

Auch Nivard schloss die Augen und genoss ihren ersten Kuss als frisch vermähltes Paar. Gerne hätte er sich diesem länger hingegeben, doch riss sie rasch erneut aufbrandendes Applaudieren der Umstehenden aus der ebenso kurzen wie inniglichen Begegnung ihrer Lippen zurück ins Hier und Jetzt vor dem Tempel. Manchen Dingen gingen sie doch besser in trauter heimischer Zweisamkeit nach... Nivards Augen glänzten dennoch verklärt.

Der Rondra-Geweihte grinste Gelda an und streckte ihr seine Hand entgegen. “Was meinst du? Sollen wir es wagen?” Ungläubig schaute Gelda ihren Verlobten an. “ War deine Frage ernst gemeint?”, sie nahm seine Hand und setzte zum Springen an.
Gemeinsam nahmen sie Anlauf und sprangen über das Feuer hinweg. Bei der Landung klirrte das Kettenhemd des Geweihten vernehmlich, doch setzten sowohl er als auch seine Verlobte sicher auf. Lachend nahm er sie in den Arm und küsste sie. Dann nahmen beide erneut Anlauf und machten den zweiten Sprung. Diesmal strauchelte Rondradin bei der Landung, doch Gelda fing ihn auf und verhinderte so, dass er stürzte. “Mein Halt auf Dere.” Murmelte er leise, nur für Gelda hörbar und strich ihr zärtlich über die Wange. “Immer und ewig.”, antwortete sie.

"Verlobt sind wir bereits... wollen wir schon mal für unsere Hochzeit üben?" stupste Ringard Amiel leise an und deutete auf das noch immer lodernde Feuer auf dem Platz. “In der Zwischenzeit passt Relindis sicher gerne auf Tsadoro auf.”, winkte sie ihre ältere Schwester zu ihnen heran.

Nachdem diese den Jungen nahm, reichte Amiel ihr die Hand und sprang.

Gemeinsam eilten sie auf die Flammen zu, Hand in Hand, wie es die beiden Paare zuvor getan hatten. Ringards Blick war bereits mit den ersten Schritten geradezu krampfhaft auf die Flammen fixiert, und je näher sie kamen, desto fester klammerte sich ihre Hand an der Amiels fest. Er konnte spüren, wie sie sich geradezu zum Sprung über die Flammen zwingen musste, und erst als sie darüber waren, wurden ihre Schritte leichter. "Verzeih!" raunte sie Amiel leise und leicht außer Atem ins Ohr, als sie am Wendepunkt angelangt waren. "Das Orakel... das Orakel kam wieder hoch... Trotzdem zurück, oder?!" Nein, sie würde nicht kneifen. ”Jetzt bloß nicht abergläubisch werden, meine Liebe!”, zuversichtlich lächelte er sie an.<br

"Nein, ich bin nicht abergläubisch." sagte sie . sich selbst straffend - mehr zu sich als zu Amiel, dann lächelte sie zurück und zog Amiel geradezu los in Richtung Feuer.

Noch einen juckte es, den Sprung über das Feuer zu wagen, doch wusste Rondrard, dass er, wenn er Befinna hier und jetzt dazu auffordern würde und diese auch noch zustimmen würde, nicht nur dieses Feuer, sondern gleich auch die kalten Feuer der Niederhöllen zu überqueren hätte, die seine Baronin ihm bereiten würde. Dennoch schob er sich vermeintlich unauffällig in die Nähe der Baroness. "Mal sehen, wer noch den Sprung wagt..." fing er unverfänglich und im Plauderton an.
"Du." vernahm er darauf eine Stimme und ein Zupfen von der Seite, noch ehe Befinna zur Antwort ansetzen konnte. "Du und ich. Komm schon, großer Bruder." setzte Silfrun nach. "Du musst mich auch nicht heiraten, versprochen." "Na gut, was bleibt mir schon anderes übrig." verabschiedete er sich zunächst seufzend und dann mit einem schalen Lachen gleich wieder von der jungen Fadersberg, noch ehe der bohrende Blick deren Schwester sie ereilte, und ließ sich schicksalsergeben zum Feuersprung ziehen.

Mit untergeschlagenen Beinen saß Doratrava auf einer Mauer hinter einem Busch und sah dem Geschehen lächelnd zu. Wohl juckte es sie in den Fingern, oder vielmehr Beinen, ebenfalls über das Feuer zu springen, aber das wäre reine Angeberei gewesen, und sie wollte nicht die Leistungen der anderen Springer herabwürdigen, indem sie einen eleganten Salto über das Feuer machte, der nach keiner Mühe aussah. So beschränkte sie sich darauf, die Aktionen der anderen Gäste mit stiller Freude zu beobachten und sich ansonsten ruhig zu verhalten.

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