Tannenfelser Hochzeit - Kapitel 3

Einen Bund zu schließen

Kapitel 3 der Briefspielgeschichte "Tannenfelser Hochzeit"

Als die Kunde eintraf, dass die Braut auf dem Weg zum Tempel war, gelang es den Geweihten der Gänsegöttin, recht schnell für Ruhe und Ordnung zu Sorgen. Die Gäste nahmen wieder Platz und vielen war die Erleichterung im Gesicht anzusehen. Bevor Elvrun den Tempel betrat, waren auch die Perainegeweihte Waldlieb, die Traviageweihte Firuna wie auch die Burgoffizierin Coletta von Hadingen und die Kriegerin Meingard eingetroffen.

Gleich nachdem sie den Tempel betreten hatte, huschte Meingard wieder schattengleich zurück an ihren Platz bei ihren Kameraden.
“Einsatz erfolgreich beendet? Hat ja nicht lange gedauert” raunte Emmeran leise mit einem Schmunzeln, offenbar als Anspielung auf das ‘Frauending’, als er aber das von Skepsis durchwirkte Gesicht Meingards erblickte, fiel es von ihm ab. “Bericht.”
“Die Braut galt als vermisst. Ich sollte mit suchen helfen. Mit der Burgoffizierin und eine Ritterin des Herdfeuerordens. Diese erwähnte sie sei aus Rommilys geschickt um dämonische Umtriebe zu ahnden.”
“Was für Umtriebe sollen das sein, häm?” fragte die Schwarzhaarige Rhela gelangweilt und fuhr sich undamenhaft mit dem Handrücken über die juckende Nase.
Emmeran sammelte die Neuigkeiten interssiert ein und seine Stirn furchte sich zunehmends. “Die des Widersachers Travias,” antwortete er, es war aber mehr eine Feststellung. “Weiter!”
“Wir wollten die Suche beginnen, da kam die Braut uns entgegen. Eine Art Prozession. Zwei Gänse voraus und ein Rahjani mit einem Säugling im Arm wie eine Opfergabe hinterdrein. Angeblich ein im Park gefundenes Waisenkind.”
“Die Braut?”
“... gab vor, im Park eingenickt zu sein…”
“Du hältst das für eine Lüge.” Wieder eine Feststellung.
“Es war nicht die volle Wahrheit. Da bin ich mir sicher. Soll der Einsatz ins Protokollbuch?”
“Ja. Besser ist das.” Der Blick des Plötzbogens glitt nach vorn zum Altar, wo der junge Tannenfelser stand. Er war noch so jung und kannte die grausamen Seiten des Lebens noch nicht… er würde sie auch an seinem Hochzeitstag nicht kennenlernen - fällte Emmeran die Entscheidung und wandte sich zu den Seinen um:
“Knoten lösen. Drei links, drei rechts neben die Tür. Würdevoll aber höchst aufmerksam. Wenn’s Ärger gibt sind wir bereit. Und wenn nicht, ist der Weg fürs Spalier nicht so weit. Los jetzt, Beeilung!”
Daraufhin erhoben sich die Kameraden Nivards und nahmen hinten neben der Tempeltür Aufstellung. Für die anderen Gästen sah es wie geplant aus, denn die anwesenden Geweihten wurden ebenfalls auf ihren Platz vorn neben den Altar gebeten.

Vor dem Altar stellte sich der Hochgeweihte aus Elenvina auf, Vater Winrich von Altenberg-Sturmfels. Nivard, der wieder etwas an Farbe gewonnen hatte, stand mit seiner Mutter Celissa von Tannenfels direkt vor ihm und schaute erwartungsvoll zu den Tempeltüren. Tempelvater und Mutter, sowie Mutter Elva standen auf der Herzseite bereit und die Geweihten der anderen Götter auf der gegenüberliegenden. Schwester Lichthild ließ wieder das Glöckchen erklingen. Kurz kehrte Stille ein, nicht einmal ein Husten oder Schniefen war zu hören.
Dann fing es an zu schnattern und die doppelflügelige Tür wurde von der Traviageweihten Relindis von Tannenfels und dem Rechtsgelehrten Amiel von Altenberg geöffnet. Dieser hatte überraschenderweise ein kleinen Jungen im Arm, der in eine orange Decke gewickelt war. Wieder einmal waren alle kurz vom Tageslicht geblendet, bis sich die zierliche Gestalt einer jungen Frau abzeichnete. Das orange-braune Festgewand war züchtig geschlossen, feinst verziert mit Stickereien von Herdfeuer und Gänsen. Ihr rotes Haar war zu zwei ordentlichen Zöpfen geflochten und ihr blasses, hübsches Gesicht hatte eine leichte Röte der Aufregung. In ihrer Rechten hielt sie ein kleinen Strauß weißer Lilien und in ihrer linken die grobe Hand ihres Vaters. Der Efferdgeweihte, Juno von Altenberg, war ein breitschultriger, rüstiger Mann in seinen Siebzigern. Sein volles silbergraues Haar und der gepflegte Vollbart schimmerten im Licht, doch seine grünen Augen wirkten streng. Der Gefährte von Wind und Woge trug sein blaugrünes Schuppengewand, das mit vielen Talismanen behangen war und führte seine Tochter würdevoll zum Altar. Voran schritten zwei Wildgänse, die abwechselnd beim Watscheln die Gäste betrachteten. Den Abschluss machte die junge Cupida, die einige Lilien an die Gäste verteilte. Der ganze Gang wurde von dem Läuten der Tempelglocke begleitet.

Lucilla lächelte. Ja, nun würde hoffentlich alles so wie von ihr - der Braut - gewünscht verlaufen. Hübsch war sie und wie jede andere Frau, die den Traviabund einging, hatte sie es verdient, dass die Vereinende durch die Zeremonie geehrt wurde, auf dass sie den Bund, das Versprechen vor IHR segnete. Recht hatte sie also getan damit, dem Bruch von Brauch und Anstand anzuprangern, auf dass dies ohne Makel geschehen konnte.

Die junge Gärtnerin war verzückt. Überall sah sie nun erleichterte und freudige Gesichter und der Umstand, dass sie von ihren schönen Lilien mitgebracht hat, schien die Laune manches Gastes noch zusätzlich zu heben. Cupida war es egal was im Park wirklich geschehen war, denn nun würde alles wieder gut werden - dessen war sie sich sicher. Wenn Schwester Lichthild es nicht wieder mit der Glocke übertreiben würde, wäre es wohl ein nahezu perfekter Moment gewesen.

Amiel, der Vetter der Braut, nutzte die Gelegenheit, um wieder auf seinen Platz zu gelangen. Noch immer trug er den Knaben auf dem Arm, der nun neugierig und mit Fingerchen im Mund die Gäste betrachtete. Dann drückte er diesen seiner Verlobten Ringard von Tannenfels in den Arm. “Ich brauch mal eine Pause, Kannst du ihn bitte halten?”

"Wo hast Du den süßen Wonneproppen denn her?" fragte Ringard ihren Verlobten erstaunt, nahm den Knaben aber mehr als bereitwillig entgegen. "Und wie lange trägst Du ihn schon herum, dass Du eine Pause brauchst?... Komm mal her, junger Mann. Sag mal, wer bist Du denn?" fing sie mit hoher Stimme an, sich mit diesem vertraut zu machen. "Steht Dir gut, Schwesterherz", feixte Silfrun grinsend von der Seite, so laut, dass auch Amiel es noch vernehmen konnte und Rondrard zischte: "Leise, es geht jetzt los."

“Das ist Tsadoro. Ich hab ihn aus dem Waisenhaus. Ich dachte es wäre … recht traviagefällig.”, flüsterte Amiel. Mit großen Kulleraugen ließ der Junge sich nehmen, als ob Ringard keine Fremde wäre.

Wie merkwürdig vertraut der Knabe wirkte... Ringard war berührt, sowohl von Tsadoro, als auch von Amiel. Dass er bereits jetzt offensichtlich daran dachte, ihre Familie zu vergrößern, in dem er ein Waisenkind zu sich nahm, zeigte eine Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit, die ihr Herz höher schlagen ließ. So schnell... und das, obwohl sie noch gar nicht verheiratet waren... oder waren seine Worte doch anders gemeint? stutzte sie. "Was genau wäre traviagefällig, meinst Du?" konnte sie rasch noch so leise zurück flüstern, dass sie sich keinen weiteren mahnenden Blick einfing.

“Ein Waisenkind mit zu bringen …” sagte Amiel leise und konzentrierte sich auf das Geschehen vor ihm.

Ringard sah Amiel noch einen Moment von der Seite an, war ihre Frage noch nicht gänzlich für sie beantwortet, doch dann zog die beginnende Zeremonie auch ihre Aufmerksamkeit nach vorne. Tsadoro hatte es sich derweil bereits bequem auf ihrem Schoße gemacht und beobachtete gebannt, ein Fingerchen im offen stehenden Munde, den Einzug der Braut.

Nach der kurzen Woge der Erleichterung ob Elvruns Eintreffen schlug Nivards Herz wieder wie wild. Endlich war der große Moment gekommen, dem er so lange entgegen gefiebert hatte. Die ersten Momente des Einzugs sah er dem Brautvater dankbar in die Augen: Es war noch kurz vor der Brautschau gewesen, dass er Seite an Seite mit diesem und weiteren Gefährten gegen eine Schwarzfee und die Macht hinter dieser gekämpft hatte. Nicht nur deswegen bedeutete es ihm viel, dass Juno Elvrun zum Altar führte und damit seinen Segen für ihre Verbindung bestätigte.

Doch dann hatte Nivard nur noch Augen für Elvrun, und die Welt um ihn schien wie versunken. Wie unendlich schön seine Braut war! Gebannt sah er ihr entgegen, und mit dem Blick in ihre Augen war mit einem Male auch alle Unruhe verschwunden und die Marter des Wartens und der Sorge vergessen. Es war ihm, als ob ein Stück Himmel auf Deren herabkam.

Ihre grünen Augen blickten ihn erwartungsvoll an, voller Freude, voller Selbststärke, voller Liebe.

In seiner momentanen Entrückung bekam Nivard auch gar nicht mit, wie Relindis, die in ihrem orangenen Festornat unauffällig um die Bänke herum nach vorne gehuscht war, hinter ihm kurz mit seiner Mutter tuschelte und diese irgendetwas mit einem Nicken bestätigte.

Celissa von Tannenfels hatte zum heutigen feierlichen Anlasse, es war zum ersten Mal seit vielen Jahren, tatsächlich ein Kleid angelegt: es bestand aus einem detailliert, aber dennoch unauffällig mit Motiven des Waldes bestickten schwarzen Oberteil, und besaß dunkelgrüne Trompetenärmel sowie einen ebensolchen Rock, der unter ihrer schmalen Taille ansetzte und ihr bis zum Knöchel reichte. Über ihre Schultern fiel ihr offen getragenes weißes Haar; das sparsam eckig ausgeschnittene Decolleté zierte eine Kette mit einer Brosche, in die ein roter Stein eingelassen war.
Celissas Hand aber ruhte auf der Schulter ihres zweitältesten Sohnes. In seinem grünen samtenen Wams mit grünweiß gepufftem Armansatz und seinem darunter getragenen weißen Hemd, das mit gleichsam weißen Stickereien geschmückt war, sowie seiner dunklen Hose erinnerte er sie sehr an ihren eigenen Gemahl zu ihrer Hochzeit. Jetzt aber packte auch sie eine Woge aus Stolz und Rührung, und sie musste hart mit sich kämpfen, dass diese ihre Contenance nicht bereits jetzt wegspülte, die Freudentränen vorläufig noch unterdrücken.

Nivards älterer Bruder Rondrard war schwer beeindruckt vom Einzug der Braut und vergaß für dessen Dauer sogar, regelmäßig zu Befinna zu linsen.
"Sie ist wunderschön." hauchte Ringard Amiel leise zu, während sie sich mühte, den kleinen Tsadoro so zu halten, dass auch dieser etwas von der Szenerie mitbekam.
Selbst Silfruns Schalk schien in diesem Augenblick wie verflogen, und ihre Augen hingen am Geschehen.
Befinna von Fadersberg war neidisch und ein wenig traurig, zu sehen, welche Zuneigung füreinander aus Braut und Bräutigam schien. Ob ihr jemals eine solche Hochzeit vergönnt sein würde? Auch ihre Schwester Wunnemine, die Baronin von Ambelmund, verspürte einen leichten Neid, noch mehr aber die hoffentlich nicht voreilige Erleichterung, dass Travia nicht gänzlich fern zu sein schien, wo sie wandelte. Außerdem war sie sehr auf Elvrun gespannt.

Ganz vorne watschelte Akka mit ihrer Schwester Bakka und verkündete, für die menschlichen Ohren nur schnatternd, in alle Richtungen: “Hier kommt die Braut, hier kommt die Braut, jaja!”

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