Tannenfelser Hochzeit - Kapitel 2

Die verspätete Braut - II

Kapitel 2 der Briefspielgeschichte "Tannenfelser Hochzeit"

Fast ein halbes Wassermaß war Elvrun von Altenberg, die Braut, zu spät. Besser gesagt: Sie war bis jetzt nicht erschienen. Während sich im Tempel die Gemüter und Meinungen beruhigten, so versammelten sich einige Leute vor den Toren des Tempels. Auf der einen Seite stand die Gauklerin Doratrava, die mit ihrem freizügigen Tanz die Gemüter der Geweihten und Gäste zum Kochen gebracht hatte, was mit einem Rausschmiss geendet hatte. Ihre Freundin Gelda, Base der Braut, versuchte ihr ein Lächeln abzugewinnen, während die hagere Traviageweihte Lichthild versuchte ebenfalls aufmunternd auf sie einzuwirken. Auf der anderen Seite stand eine weitere Gruppe besorgter Gäste, die um die Perainegeweihte Lioba standen. Doch ihre Sorge galt weniger dem Auftritt der Tänzerin, sondern dem Verbleib der Braut.

***

“Also, ich fand deinen Tanz sehr schön. Vielleicht ein wenig zu … al´anfanisch? Wahrscheinlich ist es dieses Kleid”, lächelte die sechzehnjährige Gelda und richtete der Gauklerin das Haar. Still nickte Schwester Lichthild. Die sonst recht ernst wirkende Geweihte wirkte aussergewöhnlich fröhlich. “Nimm es dir nicht all zu sehr zu Herzen. Das Paar ist alt und hat keinen Sinn für die Künste der Schönen Göttin. Und immerhin hat Regintrud dich ja zum Tanzen aufgefordert. Ganz Herzogenfurt kennt ja deine Tänze. An deiner Stelle würde ich mich auch nicht entschuldigen wollen.” Nun lächelte sie. Ein kleiner pummeliger Junge kam aus dem Tempel und blieb vor den Frauen stehen. Bohrend in der Nase, mit wenig Aussicht auf schnellem Erfolg, starrte er Doratrava an. Eindeutig ein Kegel der Schwartenfleck.

“Al’anfanisch?” knirschte Doratrava, immer noch um Beherrschung bemüht. Doch war es nun weniger Wut, die in ihr brodelte, sondern eher das Gefühl der Kränkung, dass man ihre Kunst nicht zu schätzen wusste da drinnen. Ihr Verstand sagte ihr, wie er es auch vorher schon getan hatte, dass sie nichts anderes hatte erwarten dürfen und dass sie doch ihr Ziel erreicht hatte, Nivard ein wenig Zeit zu verschaffen. Ihr Verstand sagte ihr auch, dass es gekränkte Eitelkeit war, die an ihr nagte. Dass die “einfache Gauklerin” so langsam eingebildet und ein wenig arrogant wurde. Oder zumindest zu werden drohte. Aber ihr Verstand sagte viel, wenn der Tag lang war, und in den seltensten Fällen hörte sie auf ihn.
“Ich habe ja keinen Tanz der Sieben Schleier aufgeführt. Vielleicht sollte ich das einmal anbieten”, sprach sie mürrisch weiter, aber dann bemühte sie sich um einen freundlicheren Gesichtsausdruck. “Hab’ Dank, Gelda, aber es reicht, wenn ich mir die Hochzeit von Nivard und Elvrun versaut habe. Ich will nicht auch noch daran Schuld sein, dass du sie versäumst, also geh’ lieber wieder hinein, bevor du noch der unsittlichen Konspiration oder etwas ähnlichem bezichtigt wirst.” Nun grinste Doratrava schon wieder. “Und auch Euch danke ich, Schwester Lichthild, für Eure freundlichen Worte, doch glaube ich, Euer Platz ist auch eher im Tempel als davor bei diesem Anlass.”
Dann warf sie dem pummeligen Bengel einen Blick zu, der sie so frech anstarrte. Zumindest war das ihr Eindruck. “Und was ist mir dir? Hat man dich wegen Nasebohren des Tempels verwiesen?” Gleich darauf schalt sie sich für diese Bemerkung, die zu nichts anderem diente, als einen Teil ihrer schlechten Stimmung an dem (vermutlich) unschuldigen Jungen abzuleiten.

Dieser schenkte der Gauklerin nur einen Augenschlag, während er den nun gefundenen Schatz in der Nase in seinem Mund versteckte. “Ich wollte nur schauen, wie ein Flittchen aussieht”, war seine (ehrliche) antwort. Nun war es an Gelda ihre Fassung zu verlieren. “Was fällt dir ein, du Frechdachs. Dir sollte man den Hosenboden langziehen. Nun aber rein mit dir, sonst werd ich deine Mutter holen!” Der Junge verzog sein Gesicht, streckte die Zunge raus und rannte wieder in den Tempel. “O je. Mach dir nichts draus, Doratrava. Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. So sagte meine Großmutter immer.” Nun lachte Schwester Lichthild. Doch abrupt verschwand ihr Lächeln, als die Geweihte wieder zum Tempel blickte. Direkt aus dem Tempeleingang kam der untersetzte Vater Winrich mit einer dampfenden Schüssel in der Hand und strebte direkt die Frauen an.

Doratrava riss die Augen auf, welche eine violette Farbe angenommen hatten und wurde blass, was man nicht sehen konnte. Soviel zum Thema “unschuldiger Junge”. Aber bevor sie noch reagieren konnte, war der schon wieder im Tempel verschwunden, zu seinem Glück. Sie wusste nicht, was sonst hätte passieren können. Ihr Verstand flüsterte ihr derweil zu, dass sie nun wusste, wie man drinnen im Tempel über sie tuschelte. Wenigstens hielt Gelda weiter zu ihr, sie warf ihrer Freundin einen dankbaren Blick zu.
Bevor die Gauklerin weiter darüber nachdenken konnte, sah sie Vater Winrich auf sie zukommen. Sie runzelte die Stirn, als sie die dampfende Schüssel sah. Leitete man hier Standpauken mit einem Teller Suppe ein?

“Ah, Frau Doratrava, gut das ihr noch hier seid. Ich habe eine Suppe für euch, glaubt mir, sie wirkt beruhigend.” Dann nahm sein Gesicht eine leichte Röte an. “Bei der gütigen Mutter Travia, ich möchte euch sagen, dass ich nicht … das gesehen habe, was Mutter Regintrud hat. Nun, die Gute ist immer noch sehr aufgebracht. Wenn ihr also …” Weiter kam der Hochgeweihte nicht, denn Schwester Lichthild nahm ihm die Suppe ab und reichte sie der Gauklerin. “Ihr könnt der Mutter sagen, dass Doratrava einsehen hat und sich bei mir im Namen der Gütigen entschuldigt hat. Sozusagen in Travias Ohren”, log sie. Gelda runzelte kurz ihre Stirn, sagte jedoch nichts. “Travia sei dank, da fällt mir aber ein Stein vom Herzen!” Sichtlich erleichtert strahlte der Alte. “Nun, ich möchte euch sagen, dass ich eure Darbietung bei der Brautschau sehr genossen hatte und freue mich auch auf weitere. Nun, vielleicht nicht im Gänsetempel. Aber ich verstehe, ihr wolltet nur helfen.” Väterlich strich er ihr über die Schulter.

Doppelt überrumpelt vergaß Doratrava, bei Winrichs Berührung zusammenzuzucken, runzelte die Stirn und schaute hin und her, während sie geistesabwesend die Suppe nahm, obwohl sie gerade gar keinen Hunger hatte. Vater Winrich hätte sie so eine Geste gar nicht zugetraut. Aber mehr noch verwirrte sie Lichthild. Die Geweihte kannte sie doch gar nicht. Wieso setzte sie sich so für sie ein, wieso log sie sogar für sie? Doratrava brachte es nicht über sich, ihr in den Rücken zu fallen und die Lüge offenbar werden zu lassen, also entschloss sie sich kurzerhand, diese nachträglich zumindest halb wahr zu machen, obwohl sie eigentlich nicht vorgehabt hatte, sich zu entschuldigen. “Vater Winrich, es tut mir wirklich leid, dass mein Auftritt manche Gemüter über Gebühr erregt hat, aber ich wollte Nivard nur helfen. Sagt das Mutter Regintrud bitte, ich kann ja jetzt schlecht wieder hineingehen.” Dann lächelte die Gauklerin andeutungsweise. “Es freut mich aber zu hören, dass meine Darbietungen Euch ansonsten gefallen. Ich hoffe sehr, Euch an anderer Stelle noch mehr davon bieten zu können.” Ihr Blick streifte Lichthild, aus der sie noch immer nicht recht schlau wurde, und traf dann Gelda, der gegenüber sie ein Schulterzucken andeutete mit einer unmerklichen Kopfbewegung in Lichthilds Richtung. Doratrava war Geldas Befremden nicht entgangen bei Lichthilds Lüge.

“Das freut mich zu hören. Ich werde das natürlich weitertragen, wie in einer Familie können wir uns wieder vertragen.” Dann wanderte sein Blick über Doratravas Schulter und seine Augen weiteten sich. “Bei Travia, da ist sie ja! Elvrun! Die Braut kommt!” Aufgeregt schaute er zu Gelda. “Gelda, Kind, komm, lass uns den anderen die Ankunft antragen.” Dann ging er zurück in den Tempel. Gelda stammelte nur, “Oh, sicher Oheim”, und schaute ihre Freundin entschuldigend an. Dann folgte sie. Zurück blieben Lichthild und die Gauklerin. “Siehst du, es herrscht wieder Frieden. Doch ich warne dich. Mutter Regintrud ist nachtragend.”

Doratrava hob halb die Handfläche, um sich vorläufig von Gelda zu verabschieden, und schenkte dieser auch noch ein Lächeln. Dann wandte sie sich Lichthild zu, in einer Hand immer noch unschlüssig den Suppenteller haltend. “Danke für die Warnung. Nicht, dass das überraschend ist. Aber sagt, was bewegt Euch denn, Partei für mich zu ergreifen? Im Gegensatz zu allen anderen der Travia nahestehenden Leuten scheint Ihr nicht im Mindesten empört zu sein über meinen Auftritt. Was mich einerseits freut, andererseits aber verwundert. Wenn Mutter Regintrud so nachtragend ist, bekommt Ihr dann keinen Ärger, wenn Ihr Euch so offen auf meine Seite stellt?”

Nun lachte sie kurz. “Meine Aufgabe ist es, verlorene Seelen zu ihrer Familie zu führen und nicht zu verstoßen. Ich erkenne dein Herz. Nun lass es mich so sagen: In den meisten Fällen liebt eine Mutter ihr Kind. Auch wäre es eine Lüge zu sagen, dass eine Mutter ihre Kinder alle gleich liebt. Glücklicherweise gibt es da aber auch noch Tanten und Onkel. Ich bin in diesem Fall die Tante.” Dann faltete sie ihre Hände. “Um ehrlich zu sein, Travia ist keine Göttin für dich. Und das beruht wahrscheinlich auch auf Gegenseitigkeit. Aber es gibt ja noch mehr und ich bin mir sicher, dass du bald den Gott finden wirst, der dich so respektiert und liebt, wie es deiner Seele entspricht. Welchen Gott fühlst du dich am nächsten?” Nun war ihr Lächeln verschwunden.

Lichthild war wirklich seltsam. Eine solche Traviageweihte hatte sie noch nie getroffen. Ob denn Travia überhaupt die richtige Gottheit für sie war? Aber das musste die Geweihte selbst wissen. “War das so deutlich, dass ich und Travia ein wenig auf Kriegsfuß stehen?” antwortete die Gauklerin schließlich sarkastisch, um dann aber auch ernst zu werden. “Früher habe ich mir nie Gedanken über die Götter gemacht, und auch heutzutage beschäftige ich mich selten aktiv mit ihnen. Sagt man nicht, fahrendes Volk hätte eine Nähe zu Tsa? Das ist bei mir wohl nicht anders.” Ein Schatten lief kurz über ihr Gesicht, als sie an Glöckchen dachte und an deren Großmutter Ise, die sie nur kurz gekannt hatte und die sich vor nicht einmal einem halben Jahr im Kampf gegen einen Dämon geopfert hatte. “In letzter Zeit scheine ich aber Rahja näherzukommen. - Wieso fragt Ihr?”

Lichthild musterte sie kurz. “Ganz einfach, es ist offensichtlich, dass du verloren wirkst, ganz so als ob du enttäuscht von den Göttern wärst. Dass du dich nicht einmal klar zu einem der Zwölfe zugehörig fühlen kannst, bestätigt das nur. Die Geweihten müssen dich im Stich gelassen haben. Nun, zumindest hast du jetzt eine, die dich zumindest wahrgenommen hat. Ich werde dir helfen, wenn du magst.” Nun blickte sie zu der ankommenden Braut mit ihren Begleitern. “Rahja, sagst du? Glaub mir, sobald die Schönheit verblüht, lassen auch die dich in Stich. Selbst die Geweihte, die sich für dich eingesetzt hat, wird bald merken, dass ihre Göttin keine Aufgabe für sie haben wird. Die Jüngste ist sie nicht mehr.” Nun schweifte sie ab, richtete aber wieder ihren Blick auf die Gauklerin. “Nun ja. Ich bin für dich da, doch für den Moment muß ich wieder hinein. Du kannst deinem Freund gratulieren, wenn sie zum Park nach der Trauung gehen.” Noch immer schlich sich kein Lächeln in ihr Gesicht und wirkte nun so streng, wie man sie kannte.

“Ja dann … vielen Dank”, antwortete Doratrava etwas verunsichert. Die Frau war komisch. Dass Traviageweihte auf die Rahjakirche nicht gut zu sprechen waren, hatte sie ja schon selbst erlebt - mehrfach. Aber diese Lichthild sprach ja schon irgendwie … irgendwie so, als gehöre sie gar nicht “dazu”. Wenn man jetzt böswillig wäre, könnte man ja fast unterstellen … aber das war nun wirklich sicher zu weit hergeholt. “Vielleicht komme ich darauf zurück”, fuhr die Gauklerin trotzdem fort. “Dann … bis irgendwann”, verabschiedete sie sich von der Geweihten und lenkte ihre Schritte tatsächlich zum Park. Immerhin war die Braut nun endlich aufgetaucht, wie sie am Rande mitbekommen hatte. Sie freute sich für Nivard, dass offensichtlich nichts Ernsthaftes mit der Braut passiert war.
Auf ihrem Weg kam Doratrava auch in der Nähe der Dreiergruppe Frauen vorbei, deren einer Bestandteil diese breitschultrige Geweihte war, die auf sie los war, als wolle sie sie gleich handgreiflich aus dem Tempel werfen. Die drei Frauen warfen ihr Blicke zu, das machte sie neugierig, und sie verlangsamte ihre Schritte.

***

Lange bleiben die Frauen nicht allein, denn die Traviageweihte Firuna aus Rommilys, ehemalige Gänseritterin, gesellte sich zu ihnen. Ihr Blick verriet, dass sie etwas ahnte, doch ließ sie den anderen den Vortritt, etwas zu sagen.

`Alveran hilf! Wie viele kommen denn noch? Naja, zumindest sind wir jetzt traviagefällige Vier.` “Travia zum Gruße! Ich bin Mutter Waldlieb und Nivard bat mich nach seiner Braut zu sehen. Wir wollten gerade los.”

“Peraine zum Gruße. Schwester Firuna.” sagte sie knapp und mit einem Ton, der eher zu einem Oberst der Armee passen würde. “Gibt es Bedenken, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte? Dieser Vorfall im Tempel gerade war äußerst … unpassend.” Ihr Blick ging flüchtig rüber zu der Gauklerin. “Ich frage mich nur, ob diese Dinge zusammengehören und ob jemand Interesse haben könnte, dieses traviagefällige Ritual zu stören und Unfrieden in die heilige Halle der gütigen Mutter zu bringen.” Nun musterte sie ihr Gegenüber eindringlich.

Mutter Waldlieb ließ sich nicht einschüchtern. Sie war in ganz Ambelmund dafür bekannt allein durch die Wälder zu reisen, in denen es vor wilden Tieren und Goblins wimmelte. Manche munkelten gar sie hätte bereits den verbotenen dunklen Wald betreten. Aber diese Anspielung, in den Worten der Traviageweihten, und die Tatsache, dass es gerade wichtigeres zu tun gab, beschwor ihren Zorn herauf. Mit einer ebenfalls befehlsgewohnten Stimme und versteinerter Miene antwortete sie: "Euer Verhör kann warten, bis wir die Braut gefunden haben. Helft uns, oder lasst es bleiben. Eure Entscheidung."

Schwester Firuna ließ sich keine Miene abringen. “Ihr versteht nicht. Ich bin direkt vom Hohen Paar aus Rommilys damit beauftragt worden, ein Auge auf traviafrevlerische Gegebenheiten zu werfen. Und zu ahnden. Sicher bin ich hier zu helfen. Ich fragte lediglich nach eurer Meinung und Einschätzung.”

Liobas Züge entspannten sich etwas. "Dann habe ich Eure Worte wohl missverstanden, verzeiht. Aber lasst uns dennoch unterwegs darüber sprechen." Sie blickte sich kurz um und lenkte ihre Schritte Richtung Park. Warum? Mutter Waldlieb würde selbst, wenn sie eine schwierige Entscheidung zu fällen hätte, und das konnte eine bevorstehende Hochzeit durchaus sein, die Abgeschiedenheit der Natur aufsuchen, und der Park war das, was hier der Natur am nächsten kam. "Ob hier frevlerisches Wirken vorliegt wollt ihr wissen?!" Die Perainegeweihte überlegte kurz. „Dass jemand vor seiner Hochzeit kalte Füße bekommt ist ja eigentlich normal. Aber bei einer Traviageweihten doch eher ungewöhnlich. Deshalb tragen Nivard und ich ja auch Sorge, ihr könnte etwas zugestoßen sein.”

“Verzeiht, habe ich das richtig verstanden, wir sehen nicht nach der Braut, sondern suchen sie?” drängt sich die uniformierte Kriegerin in die Unterhaltung. “Verstehe.” Also keine Frauensache in dem Sinne. Sondern anders.

“So ist es. Was den Auftritt angeht, den ich nicht zur Gänze gesehen habe, so stammte die Idee von mir. Ich ermahnte aber die Gauklerin zuvor sich dem heiligen Ort und der bevorstehenden Liturgie entsprechend zu verhalten. Merkwürdig fand ich allerdings, dass Eure Mitschwester die Glocke in unpassendem Moment läutete. Wäre sie eine Novizin oder gar Postulantin, so hätte man das auf ihre Nervosität oder Unerfahrenheit schieben können, aber als von der Göttin geweihte…“

Firuna nickte nur. Das Läuten eines Glöckchen war eher eine Nichtigkeit, doch diese Gauklerin … “Und ihr kennt die Darstellerin?”, fragte sie nach. “Und was meint ihr?” Sie richtete ihren Blick auf Meingard und Coletta.

Die Plötzbognerin schüttelte den Kopf. “Nur äußerst flüchtig.”

“Kennen? Nein! Ich sah sie gestern, als ich über den Marktplatz wollte. Natürlich hatte ich nicht die Muße mir den ganzen Auftritt anzusehen, denn mein Tagewerk war noch nicht vollbracht, aber da ich sie auch schon auf der Burg gesichtet hatte, schien es mir, als wenn sie ganz offiziell zum Unterhaltungsprogramm gehört. Vielleicht wendet Ihr Euch diesbezüglich an die erste Hofkünstlerin.”

Coletta folgte nur halbherzig der Unterhaltung und wunderte sich, dass nun doch eine ganze Menge Leute den Tempel wieder verlassen hatten. ‘Was für ein Tag…’, dachte sie. Sie atmete tief durch und hoffte ein wenig von ihrem Stress dadurch abstreifen zu können. Als sie von Schwester Firuna angesprochen wurde, mühte sie sich ein professionelles Lächeln ab. “Die Gauklerin ist mir durchaus bekannt, scheint ein wenig verrückt zu sein, aber gewiss harmlos”, sagte sie mit fester Überzeugung und wandte sich an Mutter Waldlieb, welche die Richtung vorgab, in die die Gruppe ihr folgte. “Wo gehen wir denn eigentlich hin? Wo sollte sich die Braut direkt vor der Vermählung eigentlich aufhalten und zurechtmachen?”

"Elvrun hätte im Tempel sein sollen. Ich vermute mal, dass man sie dort auch gefunden hätte, wenn ihr Bedenken gekommen wären. Also muss sie sich außerhalb aufhalten. Mir persönlich hilft es immer einen schönen, stillen Ort aufzusuchen, wenn ich schwierige Entscheidungen zu treffen habe. Hier wäre das der berühmte Lilienpark. Sich zu binden, auch, wenn man die Person liebt, ist eine schwere Entscheidung, die den Rest des Lebens und eventuell darüber hinaus betrifft. Die sollte man nicht leichtfertig treffen. Vielen macht das Angst, die sich aber erst kurz vor der Zeremonie Bahn bricht."

"Einverstanden, schauen wir im Park zuerst nach", stimmte Coletta zu. Insgeheim überlegte sie, dass sicherlich nicht jede Braut mit Zweifeln den Lilienpark aufsuchen würde. In Herzogenfurt gab es bestimmt noch mehr Orte, wohin eine Frau gehen könnte, wenn sie kalte Füße bekam. “Ich hätte in der Situation vermutlich den Schwertübungsplatz oder die nächste Taverne aufgesucht”, fügte sie mehr zu sich selbst hinzu.

“Wir können uns gerne aufteilen,” schlug die Kropfenhold vor.

Doch dann fiel Lioba auf, dass die Gauklerin Doratrava ihnen langsam folgte, mit einem Blick, als wollte sie etwas sagen. Doch nur einen Augenblick später sahen sie die Braut! Aus der Richtung des Parks ging sie schnellen Schrittes, ihr voran zwei watschelnde Wildgänse, die mit ihrem Schnattern Elvrun ankündigten. Ein Mann mit einem Kind auf dem Arm, eine Traviageweihte und eine weitere junge Frau folgten.

“Ist das etwas die Vermisste??” fragte die Kriegerin und musterte den seltsamen Zug kritisch.

Die Geweihte starrte den kleinen, aber dennoch beeindruckenden Zug an. Und obwohl sie Elvrun nicht persönlich kannte, antwortete sie: "Ja. Ja, das ist sie."

***

Mit zügigen Schritten ging die junge Gärtnerin, Cupida vom Lilienhain, auf das Gasthaus ihrer Familie zu. Schon war das große Fachwerkhaus in Sicht, als das Geschnatter zweier Gänse ihre Aufmerksamkeit an sich riss. Ihr Blick wanderte zum Tor des Lilienparks und siehe da, die Braut Elvrun war in Sicht! Begleitet von der Traviageweihten Relindis, sowie Cupidas Vetter Amiel, der einen kleinen Jungen auf dem Arm trug.

Cupida lief schnellen Schrittes zu ihrer Entdeckung. "Da … da seid ihr ja", japste sie. "Es warten doch schon alle …", die Gärtnerin blickte auf das Kind, "... wer ist denn der Kleine?" Cupida erinnerte sich daran, dass auch sie selbst einmal als Findelkind im Park gefunden wurde.

"Tsadoro. Ein Waisenjunge..." entgegnete Relindis zunächst nur knapp, schenkte Cupida dabei aber ein warmherziges Lächeln. Für lange Erklärungen war jetzt keine Zeit, zumal auch die abgehetzt klingende Gärtnerin die Dringlichkeit, endlich den Tempel zu erreichen, verdeutlichte. "Suchtet Ihr nach uns?" erkundigte sich die junge Geweihte. "Herrscht schon große Aufregung?"

Als Elvrun ihre Base Cupida erblickte, war sie überraschenderweise sehr erfreut. Nicht dass sie die junge und hübsche Frau nicht mochte, doch kannten sich die beiden Verwandten kaum. Doch in diesem Moment kam sie ihr so vertraut vor wie noch nie. War sie nicht in ihrem Traum gewesen? Wie auch immer, Elvrun war glücklich ein Familienmitglied zu erblicken, gerade, wo es um ihre eigene Hochzeit ging. “Wie schön, Cupida! Es tut mir unsäglich leid, ich bin im Park eingeschlafen. Wahrscheinlich die Aufregung.” Elvrun versuchte ein Lächeln, stürmte aber weiter.

“Oh … äh … ich verstehe. Wir warten alle schon und die Hälfte der Gesellschaft will aufbrechen und nach dir suchen, Elvrun.” Cupida musterte ihre Base, die nun gehetzt vor ihr ging. “Soll ich dir irgendwie helfen? Mit deiner Frisur oder deinem Kleid?”

Elvruns Blick richtete sich auf Relindis. “Oh, sitzt es doch, nicht?” Unsicherheit machte sich im Gesicht der blassen und zierlichen Frau breit. “Das hier ist meine Festlichkeitsrobe. Siehst du Grasflecken? Hmm, ja, ich nehme gerne deine Hilfe an.” Dann blieb sie stehen.

"Doch, doch, es sitzt noch", meinte Relindis, eilte zur Sicherheit aber noch einmal um Elvrun herum. War sie etwa aufgrund des Erlebten... oder Erträumten... so froh gewesen, die Braut und sich selbst überhaupt hochzeitsfähig vorzufinden, dass ihr der Blick für die Details verlustig gegangen war? Nein, weder Grasflecken noch eine zerstörte Frisur oder ausgeprägte Kleidfalten vom Liegen - nach ihrem Dafürhalten war das Ornat in bester Ordnung. "Du siehst wunderschön aus, Elvrun, glaub mir." Dabei warf sie Cupida einen Blick zu, darauf hoffend, dass diese zustimmte und die Aufregung nicht noch wegen einer Lappalie, die sie selbst nicht und auch kein anderer jemals wahrnähme, verschärfte.

Cupida schien den Wink zu verstehen und lächelte. “Nein, es sitzt alles noch und Grasflecken sehe ich auch keine, aber ich dachte, dass ich vielleicht noch etwas nachbessern kann … hm, aber vielleicht sollten wir die Gäste auch nicht länger warten lassen.”

Relindis nickte beipflichtend. “Vielleicht könnt Ihr unmittelbar vor dem Tempel noch einen letzten Blick über das Ornat werfen. Aber jetzt lasst uns sputen… bevor Akka und Bakka noch lange vor uns da sind”, deutete sie auf die beiden Gänse, die es fröhlich schnatternd weiterzog.


Der Tempel war schon in Sicht, so wie eine Gruppe Frauen, die anscheinend ebenfalls auf der Suche nach der Braut waren.

Erleichterung breitete sich auf Liobas Gesicht aus und sie eilte der Gruppe entgegen, wobei sie Doratrava ganz vergaß. "Relindis! Da seid ihr ja. Ist das Elvrun? Kommt, alle warten schon auf Euch, kommt", sprudelte es aus ihr heraus. Offenbar hatte sie sich innerlich große Sorgen gemacht.

Relindis nickte. "Oh Mutter Waldlieb, endlich sind wir da. Ich hoffe, es herrscht noch nicht zu viel Aufregung wegen unserer Verspätung. Alle warten noch, hast Du gesagt? Travia sei dank, dann sind noch Gäste da. Ich dachte schon, inzwischen suchen alle nach uns."

Cupida hielt sich zurück. Sie freute sich die Braut gefunden zu haben und darauf, dass es nun endlich losgehen würde.

“Elvrun, nicht wahr?” sprach Coletta die Braut direkt an. "Geht es Euch gut? Gab es irgendein Problem?" Mit geschultem, prüfenden Blick musterte sie die junge Traviageweihte, die jedoch unversehrt, wenn auch ein bisschen zerstreut wirkte. "Wir sind froh, dass wir Euch so schnell gefunden haben."

Mit leicht gerötetem Gesicht lächelte Elvrun verlegen. “Es tut mir wahnsinnig leid … doch bin ich im Park eingenickt.”

Eingenickt? Und dann dieser mords Aufzug wie bei einer Prozession? Irgendetwas an dem Ganze gefiel Meingard nicht. Sie wusste aber nicht genau was es war. Sie hatte sich in all den Jahren, die sie mit Emmeran und den anderen Plötzbognern ritt, einen ganz genauen Blick auf die Leute angewöhnt, denen sie stummes Geleit und im Ernstfall ihren Schwertarm gab. Und sie hatte festgestellt: sehr gerne geschönt, gelogen, verschwiegen. Sie musterte jeden Einzelnen, der die Braut begleitete. Und natürlich die Braut selbst. Etwas schleppte diese mit doch mit sich herum. Irgendein Geheimnis. Da war sich Meingard sicher. Wie immer hielt sie sich im Hintergrund. Von dort aus ließ sich einfach besser beobachten.

“Na Kind, nun bist Du ja hier”, sagte Mutter Waldlieb und lächelte erleichtert, “Komm, Dein Zukünftiger wartet schon.”

Die Burgoffizierin schloss sich der sich nun wieder dem Tempel nähernden Gruppe an. Sie nahm der Braut die Erklärung nicht ab, dass diese im Park lediglich eingeschlafen war. Vielmehr vermutete sie, dass Elvrun Zweifel gekommen waren, ob sie wirklich bereit für den Traviabund mit diesem Mann war. Aus Elvruns gerötetem Gesicht schloss Coletta, dass diese geweint haben könnte. Da sie nicht wollte, dass die junge Frau von den vielen auf sie einredenden Leuten zu etwas gedrängt wurde, was diese vielleicht nicht wollte, trat sie noch einmal an Elvrun heran und legte dieser vertrauensvoll die Hand auf den Oberarm. “Seid Ihr Euch wirklich sicher, dass Ihr bereit seid?” fragte sie mit einem einfühlsamen, aber auch prüfenden Blick.

Überraschenderweise war es eine der Wildgänse, die sich zwischen Coletta und Elvrun drängte und der Burgoffizierin in die Wade zwickte. Etwas verwundert schaute Elvrun die ältere Frau an. “Oh, ja natürlich, alles ist gut, ich bin bereit."

"Hey!" rief Coletta, als der vorwitzige Vogel ihr ins Bein kniff. Sie wollte die Wildgans schon reflexartig mit dem Stiefel wegschubsen, besann sich jedoch, dass sie ein heiliges Tier der Göttin vielleicht nicht in Sichtweite des Traviatempels treten sollte. Also ignorierte sie die gackernde Gans, behielt das freche Federvieh aber vorsichtshalber scharf im Auge. Sie wandte sich noch einmal an Elvrun: "Na, wenn wirklich alles in Ordnung ist… Dann mal los." So richtig überzeugt war Coletta nicht, aber jetzt wollte sie auch nicht weiter nachfragen. Sie rang sich noch ein aufmunterndes Lächeln ab und machte sich, während sie der Gruppe folgte, insgeheim ihre Gedanken. 'Wenn die Braut schon vor der Hochzeit weinend weglaufen will, weckt das ja recht große Hoffnungen für den Erfolg dieser Ehe', grübelte sie. Da war sie doch glücklich, dass sie unverheiratet und frei war und und sich mit solcherlei Problemen nicht beschäftigen musste.

Die tuschelnde Gruppe der drei Frauen löste sich auf, als die Braut mit diversem Gefolge vor dem Tempel anlangte. Auch Cupida war darunter, was Doratrava allen Schmerzes zum Trotz ein kleines Lächeln auf die Lippen zauberte.
Da sie nun nicht mehr wichtig war und auch nicht mehr in den Tempel konnte, zog sie sich ein wenig zurück und setzte sich auf ein kleines Mäuerchen, um dem Trubel noch ein wenig zuzusehen, bis alle im Tempel waren. Dann würde sie überlegen, was sie mit ihrer plötzlich freien Zeit machte.

Hier gehts weiter...