Tannenfelser Hochzeit - Kapitel 1: Unterschied zwischen den Versionen

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“Später, später.” maulte Rhela. “Ich will doch nur sehen, ob sie vielleicht heult oder so. Du weißt doch, Emme, ich ergötze mich gern…”<br>
 
“Später, später.” maulte Rhela. “Ich will doch nur sehen, ob sie vielleicht heult oder so. Du weißt doch, Emme, ich ergötze mich gern…”<br>
 
Wolfmar verdrehte die Augen und auch Emmeran entlockte der Ausspruch ein Seufzen. “Meingard zeigt sie dir bestimmt gern später bei der Feier.” - Meingard nickte hörig, Rhela fügsam. - “Und jetzt alle Ruhe, es geht los!”<br>
 
Wolfmar verdrehte die Augen und auch Emmeran entlockte der Ausspruch ein Seufzen. “Meingard zeigt sie dir bestimmt gern später bei der Feier.” - Meingard nickte hörig, Rhela fügsam. - “Und jetzt alle Ruhe, es geht los!”<br>
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Ein Glöckchen erklang und gab den Gästen das Zeichen, dass die Zeremonie begann. Sogleich suchten alle ihre Plätze und bemühten sich um Ruhe. Der zornige Blick, der die Glöckchenträgerin traf, entging den Meisten. '''Schwester Lichthild''', eine magere, junge Frau und Geweihte, ignorierte diesen und schlug gleich nochmal das Glöckchen an. Nun konnte die alte Elva, ehemalige Tempelmutter dieser Hallen, nicht an sich halten, stand auf und tappte schnellen Schrittes mit ihrem Krückstock zu der Jüngeren. “Was soll das denn?”, zischte sie ihr flüsternd entgegen. “Die Braut ist doch noch gar nicht da!” Lichthild behielt ihre Fassade und flüsterte zurück. “Oh, ich dachte, naja, es ist ja schon so spät …” Elva zog scharf die Luft ein. “Du dumme Gans, denken war noch nie deine Stärke, du...” Weiter kam sie nicht, denn ihr Enkelsohn '''Elvan von Altenberg''' war an ihr herangetreten. ”Großmütterchen, ist alles in Ordnung? Du sollst dich doch nicht mehr so viel bewegen. Hat Mutter gesagt. Komm, ich bring dich wieder zu deinem Platz.” Nun senkte er die Stimme. “Du machst Nivard noch mehr nervös. Der fällt uns sonst noch um.” Elva drehte sich um, und schaute sich den blassen Tannenfelder an, der zappelig vor dem Altar stand. “Du hast recht. Bring mich zurück.” Noch auf halber Strecke ertönte das Glöckchen noch einmal und Elvan entging das unterdrückte Fluchen seiner Großmutter nicht. Kaum hatten sie sich gesetzt, kehrte Ruhe in den Tempel ein. Genauer gesagt fast. Aus den Reihen der Altenberger ertönten zischende, ja furzende Geräusche, die von der dunklen Stimme der schwangeren '''Sabea von Altenberg''' kommentiert wurden. “Ach herje... Verzeihung... Na ja, der kleine Troll halt ... Oh, haha, der Kleine hat wieder vom Kohl genascht.” Ihr zukünftiger Gemahl und Vater des Kindes, J'''unker Thankred von Trollpforz''', saß nur mit einem seeligen Lächeln daneben und nickte bestätigend bei jedem Laut. Die andere Störquelle der Ruhe kam aus den letzten Reihen der Armen. Hier waren es die '''Witwe Schwartenfleck''' und ihre zehn Kinder, die im schönsten Hinterhofjargon ihre Bälger zur Ruhe bringen wollte. “Du kleine Pottsau! Jetzt setz dich auf dein Arsch! … Concabella, ich zieh dir die Zitzen lang, wenn du jetzt nicht Schweini in Ruhe läßt … Ohh, du altes Ferkel, wie sieht denn jetzt der Tempelteppich aus…”<br>
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Doch dann ertönte ein Rumpeln von der Eingangstür des Tempels. Sichtlich erleichterte Gesichter schauten erwartungsvoll auf den Eintritt der Braut, denn die doppelflügelige Tür öffnete sich. Kurz wurden alle von Tageslicht geblendet, bis sich die zierliche Gestalt der Frau abzeichnete. Doch schnell wandelte sich das erwartungsvolle Lächeln der Gäste in ein überraschtes. Denn durch die Tür trat … <br>
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... eine junge Frau, mit langen weißen Haaren, doch zu einem kunstvollen Zopf geflochten, so dass ihre leicht spitzen Ohren viel besser zur Geltung kamen als sonst, zumal sie von kleinen, silbernen Anhängern in Form einer Mondsichel verziert wurden. Die weiße Haut der Frau war deutlich zu erkennen, denn das weinrote Samtkleid, das sie trug, ging ihr, obwohl nahezu hochgeschlossen mit einem sehr schmalen Ausschnitt vorne und einer rautenförmigen Öffnung über den Schulterblättern, nur bis zu den Knien, und die Arme wurden zwar bis zum Handgelenk bedeckt, aber lediglich von einem durchscheinenden blauen, schleierartigen Stoff, der zudem noch geschlitzt war. Um die Hüfte der schlanken Frau wand sich ein kunstvoll geknoteter gelber Schleier. Der Rock des Kleides war schräg geschnitten, so dass er an der einen Seite das weiße Bein fast bis zur Hüfte freiließ. Nach unten abgeschlossen wurde der Rock durch ein grünes Band mit Fransen, die im Moment wild hin- und her schwangen, als die Frau, deren Füße in goldenen Sandalen steckten, eilig hereinlief, um dann wie angewurzelt stehen zu bleiben, als ihr gewahr wurde, dass alle Anwesenden sie anstarrten, als hätten sie einen Geist gesehen.<br>
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Ihr Blick suchte Nivard, der neben dem Altar stand und einen extrem nervösen und angespannten Eindruck machte. Elvrun war nirgends zu sehen.<br>
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"Äh ...", entfuhr es Doratrava, denn niemand anderes stand hier im Tempeleingang, wenn sie auch mit den geflochtenen Haaren für die, die sie kannten, recht befremdlich aussah, "bin ich zu spät? Ist etwas... mit mir?" Verwirrt blickte sie von Nivard zu den Geweihten, dann zu den Gästen und zurück zu Nivard.<br>
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“Oh, das ist doch Blümchen!” ertönte die laute Stimme Sabeas.<br>
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Ein schwaches Lächeln huschte über Doratravas Gesicht, als sie Sabeas Ausruf hörte, und kurz nickte sie dieser zu. Dann fiel ihr Blick auf Cupida und sie stockte kurz, erst vor Überraschung, sie hier zu sehen, dann vor Freude - und dann vor banger Erwartung. Aber die seltsame, angespannte Stimmung in der Halle ließ nicht zu, dass ihre Gedanken sich jetzt zu sehr mit ihrer Freundin beschäftigten.<br>
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Nivard, der bereits seit geraumer Zeit wie im Hab-Acht durchgestreckt dastand, zuckte noch höher, als die Tür aufgestoßen wurde, nur um sogleich ein wenig in sich zusammenzusacken. Doratrava war auch gekommen! Wie sehr hätte er sich ungeachtet deren Verspätung darüber gefreut, wenn er nur wüsste, wo Elvrun steckte. Ohnehin schon mehr als aufgeregt angesichts des großen Tages, stand ihm nun bereits der Schweiß auf der Stirn, und es durchliefen ihn abwechselnd heiße und kalte Wogen. So war es ihm noch auf keinem seiner Abenteuer ergangen - bald wären seine Gewänder völlig durchnässt: Zu einer eigens für diesen Tag neu geschneiderten schwarzen Hose und ebenfalls neu erworbenen schwarzen Schnallenschuhen (die einen gehörigen Teil seines letzten Soldes gekostet hatten) trug er ein weißes, mit gleichsam weißen Stickereien geschmücktes Hemd und darüber ein dunkelgrünes, samtenes Wams, am Armansatz grünweiß gepufft, in dem bereits sein Vater den Bund mit seiner Mutter geschlossen hatte.<br>
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"Doratrava!" begrüßte Nivard die Gauklerin. "So komm doch herein und setz Dich!" Als diese näher gekommen war, fragte er leiser und in verzweifelter Hoffnung hinterher: "Hast Du Elvrun gesehen?" Vielleicht wusste sie ja etwas, so stürmisch sie hereingekommen war.<br>
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Dem Wink des Bräutigams folgend und dabei die Gäste, an denen sie vorbeikam, nickend, aber wortlos grüßend, gesellte sie sich zu ihm. Auf seine Frage hin schüttelte sie allerdings den Kopf und stellte leicht irritiert einmal mehr fest, dass sich ihre Haare in dieser Frisur seltsam anfühlten. “Tut mir leid, nein”, setzte sie in Worten flüsternd hinzu, “was ist denn mit ihr?” Doch gleich ging ihr auf, dass das eine blöde Frage war, denn wenn Nivard das wüsste, bräuchte er nicht so zappelig sein. “Äh - wann hast du sie denn zum letzten Mal gesehen … oder wann hat jemand von ihrer Familie sie zum letzten Mal gesehen?”, versuchte sie hilfreich zu sein, während ihr Blick erst zu Sabea, dann zu Maura wanderte und sie jetzt auch Gelda ausmachen konnte. Ihr fielen gleich noch viel mehr Fragen ein, die den Verbleib der Vermissten vielleicht klären konnten, aber es hatte ja jetzt bestimmt keinen Sinn, wenn sie den aufgelösten Bräutigam damit überschüttete, zumal sie sich denken konnte, dass viele dieser Fragen schon jemand anderes gestellt hatte. Also beließ sie es bei der einen und blickte Nivard an, wobei sie versuchte, ein “Wird-schon-werden”-Gesicht aufzusetzen.<br>
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"Heute noch gar nicht." gab Nivard nur bedrückt von sich. 'Wie es sich gehört.' Gerade wäre es ihm lieber, gegen die alte Tradition verstoßen zu haben und dafür zu wissen, wie es um Elvrun stand. Er wollte gerade ausholen, als er Mutter Waldlieb sich erheben sah.<br>
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Auch Cupida war die Ankunft Doratravas natürlich nicht entgangen. Sie nestelte an ihrem Kleid und richtete ihren Zopf, damit die junge Gärtnerin ihre Freundin nicht ansehen musste. Hier und jetzt ging es nicht um sie und die Gauklerin, es war eine Hochzeit zweier liebender Menschen und demnach hatten ihre Probleme hier auch keinen Platz. Sie hoffte, dass auch Doratrava sich so weit zurückhalten konnte. Noch dazu weil es auch der Lilienhainerin langsam aber sicher dämmerte, dass es hier wohl schon genug Drama gab.<br>
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Doratrava! Mutter Waldlieb hatte, wie alle anderen gehofft, dass die Braut durch das Portal schritt und war zunächst enttäuscht. Dann aber schien Hesinde selbst ihr einen Folianten gegen den Kopf zu werfen. Die Meisterin der Ernte stand auf, stellte den Korb auf ihren Platz und schlängelte sich entschuldigend durch die Reihe bis zum Hauptgang. Dort schritt sie nach vorn zu Nivard und Doratrava und winkte dem Geweihtenpaar, sich zu der kleinen Gruppe zu gesellen. Sie sprach alle vier gleichermaßen an und flüsterte: "Ich weiß zwar nicht, was hier gerade vorgeht, aber die Gäste werden langsam unruhig. Und Du bist es sicher schon, Nivard." Sie legte mitfühlend eine Hand auf seine Schulter. "Mir kam da gerade eine Idee. Wenn ihr es erlaubt, Bruder und Schwester im Geiste, und Du damit einverstanden bist, Doratrava, dann würde ich Dich bitten hier eine Deiner berühmten Vorstellungen zu geben, wenn auch dem Thema und dem Heiligen Hause angepasst. Ich weiß, dass ist… ähm… unorthodox… aber vielleicht können wir so zumindest die Gäste beruhigen. Ich könnte derweil schauen, wo die Braut abgeblieben ist."<br>
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Nivard nickte auf Mutter Waldliebs Vorschlag hin und erwiderte die beruhigende Berührung, in dem er ihr kurz auf die Hand fasste, die sie auf seine Schulter gelegt hatte. Ein wenig Ablenkung für die Gäste, ja, das wäre gut, denn jedes Sandkorn, das bis zu Elvruns Ankunft noch unter ihrer aller ungeteilter Aufmerksamkeit den Uhrentrichter hinab rieselte, würde seine - und wahrscheinlich nicht nur seine - Nerven unbarmherzig ein kleines Stückchen weiter zerschmirgeln. Und er könnte seine Verlobte mitsuchen gehen. Seit einigen Momenten bereits begann ihn nämlich ein ganz mieses Gefühl zu beschleichen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er hoffte inständig, dass ihm nur seine Instinkte zusammen mit der Aufregung vor seinem Traviabund einen Streich spielten und Elvrun jeden Augenblick genauso aufgeregt ob ihrer Verspätung, ansonsten aber guter Dinge in Begleitung seiner Schwester hereinkommen würde. "Der Vorschlag ist gut! Doratrava, wärst Du bereit dazu?" Er war sich nicht sicher, wie seine Freundin zu einem Auftritt im Travia-Tempel stehen würde. Und was Vater Eberbald und Mutter Regintrud davon hielten.<br>
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Doratrava nickte, obwohl ihre Miene undeutbar war. Einerseits hatte sie ja ein wenig darauf hingearbeitet und gehofft, hier tanzen zu können, als kleine Provokation ihren Zieheltern gegenüber, obwohl diese das wahrscheinlich niemals erfahren würden, und gegen die Traviakirche als solches, die es zuließ, dass Leute wie vor allem ihr Ziehvater ungestraft Kinder verkorksten, während ihre Ziehmutter untätig zugesehen oder ihn gar bestärkt hatte.<br>
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Bevor sie aber etwas sagen konnte, sprach Nivard schon weiter.<br>
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"Und ich komme mit Dir!" wandte er sich zu Lioba. "Ich gehe sonst ein." Es gab nichts schlimmeres, als untätig zu warten, während sich der Geist ausmalte, was los sein könnte. Nivards Blick fiel auf Emmeran von Plötzbogen und seine Kameraden. Ob er sie einbinden sollte? Zusammen hätten sie Elvrun sicher schnell gefunden, hoffte er.<br>
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“Nein, wirst Du nicht”, sagte sie in bestimmendem Tonfall, “wenn Du jetzt gehst, werden die Leute anfangen zu reden und sich fragen, ob die Hochzeit abgeblasen wurde. Tut mir Leid, aber da musst Du jetzt durch.”<br>
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Das sah er, wenngleich widerwillig, ein. Mit erkennbarem innerlichen Aufstöhnen nickte Nivard. “Du hast ja Recht.” gab er leise zurück, um im Flüsterton - er wollte die ‘übrigen Pferde’ nicht alleine seiner Aufregung wegen gänzlich scheu machen - fortzufahren: “Aber sag bitte sofort Bescheid, falls Du irgendwelche Anzeichen erkennst, dass mehr als ein widerwilliges Kleid oder eine andere Lappalie dahinter steckt, versprichst Du mir das?” <br>
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“Natürlich Nivard”; antwortete sie und schaute dann zu seinen Kameraden herüber, “Wem von denen traust Du am meisten?”, fragte sie unverblümt und drehte ihn leicht in die Richtung, dass er sie besser sehen konnte.<br>
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Nivard schürzte leicht die Lippen, während er kurz nachdachte. Er wusste und hatte in dem guten Jahr, das er bei den Plötzbognern war, erproben dürfen, dass er sich auf jeden seiner Kameraden verlassen konnte. Doch wenn es darum ging, voll sorgfältigem Ernst und ohne nachträgliches Prahlen und Feixen (immer nur intern natürlich) die Dinge zu tun, würde er der stillen Meingard  den Vorzug geben. “Ich traue allen von Ihnen, blind. Aber siehst Du die Frau mit den blonden Locken? Ihr Name ist Meingard von Kropfenhold. Wenn etwas unauffällig sein und bleiben soll, ist sie die richtige. Sie wird Dir sicher helfen.”<br>
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“Gut.” Lioba nickte. “Ich werde sie mitnehmen. Wann und wo hast Du Elvrun zuletzt gesehen, oder weißt Du, was sie zuletzt vorhatte?”<br>
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“Mit eigenen Augen habe ich sie zuletzt gestern, zur Abendandacht hier im Tempel gesehen.” berichtete Nivard in Flüsterstimme. “Heute morgen hat man uns getrennt gehalten. Vielleicht weiß meine Schwiegermutter… meine angehende, meine ich…, Bescheid.” Er nickte in Richtung Maura. “Oder jemand anders aus dem Tempel? Relindis fehlt im Übrigen auch…”<br>
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“Natürlich wird sie Deine Schwiegermutter, dafür sorge ich schon, “ die Geweihte lächelte. Dass auch Relindis fehlte, war ihr nicht bewusst gewesen. Sie war einfach davon ausgegangen, dass diese sich um die Braut, oder irgendwelche Vorbereitungen, gekümmert hätte. “Seit wann fehlt Relindis denn?”, fragte sie immer noch flüsternd.<br>
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“Ich sah sie heute in der Frühe zum Tempel kommen, habe sie darinnen aber nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ich dachte, sie hilft Elvrun oder geht sonst im Tempel zur Hand.” Nivard dachte nach, konnte aber nicht viel mehr sagen. “Ich kann mir gut vorstellen, dass sie bei Elvrun ist.” Wenigstens hoffte der junge Krieger das.  “Wer aber mehr wissen könnte, sind die hiesigen Geweihten der gütigen Mutter.”<br>
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Fragend, aber auch auffordernd, blickte Lioba das Tempelpaar an.<br>
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Doratrava war dem Austausch angespannt gefolgt, während sie sich schon ein paar Gedanken gemacht hatte, wie ihre Vorführung aussehen sollte. Allerdings war auch ihr klar, dass die Tempelvorsteher zuerst einmal zustimmen mussten. Also schaute auch sie etwas unsicher in deren Richtung.<br>
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“Nun ja,” räusperte sich der pausbäckige Tempelvater Eberbald, “Mutter Elva hat uns schon vorgewarnt, dass wir die zukünftige Braut wahrscheinlich erst kurz vor der Zeremonie zu sehen bekommen.” Nun wanderte sein Blick zu der Greisin. Diese hatte die Gruppe schon eine Weile mit zusammen gekniffenem Blick im Visier. Dann erhob sie sich und gesellte sich zu ihnen. “Oh, Mutter Elva, wir hatten uns gerade gefragt, ob wir nicht nach Elvrun schauen lassen sollten…”, hob Mutter Regintrud vorsichtig an. Die Alte rollte nur kurz mit ihren Augen. “Diese Lichthild… , ich wusste, dass nun alle wie aufgescheuchte Gänse unruhig werden. Ich bitte euch, habt Geduld. Relindis und Amiel werden Elvrun zu uns bringen.” Resigniert atmete die rundliche Tempelmutter aus. “Nun gut, geben wir ihnen noch einen Moment.” Dann wanderte ihr Blick zu der Gauklerin. “Gesang und Tanz könnten wir wohl gebrauchen. Aber nur kurz!” Sie deutete einen strengen Blick an. <br>
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Voller Erwartung auf den schönen Anblick der Braut sah Coletta zum Eingang, erblickte dann jedoch nur die Gauklerin, die sie zur Mittagsstunde schon einmal kennengelernt hatte. Leicht amüsiert schaute sie zu, wie Doratrava scheinbar etwas peinlich berührt nach vorne schritt. Doch wo war nur die Braut? Hoffentlich hatte sie keine kalten Füße bekommen. <br>
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Aufmerksam beobachtete Coletta die Diskussion zwischen Doratrava, Nivard, Mutter Waldlieb und dem Tempelpaar, doch sie konnte von der leisen Unterhaltung nur Bruchstücke verstehen. Anscheinend gab es ein Problem. Hatte es sich die Braut tatsächlich anders überlegt? Um die Sicherheit der Hochzeit, oder dass der Braut etwas zugestoßen sein könnte, sorgte sich Coletta bisher eher weniger. Doch fiel ihrem geschulten Auge nun der verdächtige Blickkontakt von Nivard und Mutter Waldlieb zu dem Plötzbogener Geleitschutz auf. War wirklich alles in Ordnung?<br>
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Sie stupste ihren Verwandten an: ”Tsamitrius, denkst du, die Braut hat sich aus dem Staub gemacht? Vielleicht sollte ich mal nachschauen, ob es Ärger gibt.”<br>
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Der Herold schaute nachdenklich. Tsamitrius schaute in die Menge, um sich ein Bild zu verschaffen. “Hmmm. Ich weiß nicht, Coletta. Vielleicht sollten wir warten mit solch einer Vermutung. Obwohl, es wäre dann an dir nachzufragen, oder?” Nun war sein Blick ein amüsierter. <br>
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Auf den belustigten Blick von Tsamitrius antwortete sie mit einem schnellen Abwinken. "Ja ja, du denkst wohl, ich kann meine Arbeit nie ruhen lassen… Aber tatsächlich bin ich in erster Linie deswegen hier."<br>
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Die Erbvögtin von Galebquell spitzte die Ohren und wandte ihren Kopf in Richtung jener Personen, die dort Mutmaßungen anstellten, wobei sie eine Augenbraue hob und ein dezentes Lächeln ihre Lippen umspielte - war es gar ein Anflug von Belustigung über die Situation?<br>
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Borindarax von Nilsitz hingegen saß ungeachtet des Gemurmels um sich auf seinem Platz. Er maß dieser Verzögerung keine Bedeutung zu, ja vielleicht gehörte sie in seiner Unwissenheit ja sogar zu der Zeremonie des Traviabundes?<br>
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Rahjania war bisher brav auf ihrem Platz geblieben und hatte sich über vieles gewundert. In ihrer Heimat wäre das anders gewesen und wohl selbst in Weiden. Warum saß sie irgendwo in der Masse? War sie nun als Geweihte hier oder nicht? Nivard schien sich überhaupt nicht an sie zu erinnern. Gut, das mochte seinem Gemüt entsprechen. Auch, als es anscheinend unter Geweihten etwas zu tuscheln gab, blieb sie Gast. Warum sollte sie sich jetzt also einmischen? Rahjania sah sich um. Ein seltsamer Haufen. Es ziemte sich nicht, eine Hochgeweihte der schönen Göttin falsch zu behandeln, aber sie wusste, dass sie die schönste Frau im Raum war. Natürlich bevorzugten viele Männer Frauen, die mürrisch und unnahbar wirkten, doch etwas Aufmerksamkeit, ein Gespräch vielleicht, das hatte sie erwartet. Sie seufzte. Es war um keinen Deut einfacher als in Weiden. Nein, schwieriger sogar. In Wargentrutz hatte sie gewusst, wo Vorurteile bestanden und Männer hatten sich so verhalten, wie man es erwartete. Hier… na ja sie wollte immer noch kein vorschnelles Urteil über die Nordmärker fällen und sah sich um, wer noch im Kreis der Ausgeschlossenen war. Ah, da war eine Frau nicht jung, nicht alt, deren Blick suchend umher irrte. Sicher galt es nicht ihr, aber sie lächelte Coletta trotzdem aufmunternd zu. Zudem sah sie eine Frau, die wohl eine junge Geweihte oder Akoluthin war. Sie saß dort, wo die Geweihten Platz genommen hatten. Anscheinend war sie Nivard wichtig, wenn er den Bund von einer Anfängerin statt einer Hochgeweihten besiegeln wollte. Rahjania war es egal. Sie verstand es nicht, und es wäre die Mühe nicht wert. Auch dieser Person lächelte sie zu.<br>
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Der irritierte Blick, wie aber auch das aufgesetzte Lächeln der Hochgeweihten entgingen dem Herold Tsamitrius nicht. Dieser stupste seine Platznachbarin an. “Hast du den Blick gesehen, den dir die Rahjani zugeworfen hat?” flüsterte er Coletta ins Ohr. “Sie wirkt verstimmt, trotz ihres Lächelns. Also wenn hier was nicht in Ordnung ist, dann wird es vielleicht Zeit, dass du der Sache nachgehst oder?”<br>
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Auch Cupida beobachtete ihre schöne Glaubensschwester. Warum sie wohl unter den Gästen saß und nicht bei der Zeremonie half? Sie hob ihre Schultern, es war nicht die Aufgabe der Akoluthin dies zu entscheiden. Im Grunde genommen war die Lilienhainerin bloß für den Blumenschmuck zuständig - die Braut war zwar eine weitschichtige Verwandte, aber sie hatte nicht wirklich engen Kontakt zu ihr.<br>
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“Findest Du?”, fragte sie Tsamitrius nachdenklich und runzelte die Stirn. “Der Gründe, weshalb die Rahjani verstimmt umherschaut, gibt es viele. Beispielsweise weil die Braut auf sich warten lässt. Vielleicht sollte ich mal zu dem Gemach gehen, wo sich diese umkleiden sollte”, fügte sie hinzu und ergriff das Langschwert, welches sie neben sich abgelegt hatte.<br>
 
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Version vom 6. Dezember 2021, 01:48 Uhr

Die verspätete Braut - I

Kapitel 1 der Briefspielgeschichte "Tannenfelser Hochzeit"

15. Travia 1043 BF, Traviastunde, Gänsetempel von Herzogenfurt

Maura von Altenberg, Doctora und zukünftige Schwiegermutter des jungen Kriegers Nivard von Tannenfels, schaute ungeduldig aus dem Fenster. Die Vorbereitungen der Hochzeiten, die ihres Sohnes Elvan, wie auch ihrer Tochter Elvrun, hatten sie ordentlich in den letzten Wochen beschäftigt. Sie hätte nie im Traum daran gedacht, dass ihr Bemühen, eine Brautschau für die Familie auf die Beine zu stellen, solche Früchte tragen würde. Zwölf ganze Verlobungen gab es und ihre Kinder darunter. Und heute nun war ihre Elvrun dran, den Traviabund einzugehen. Nach Wunsch des Paares, sollte die Trauung im hiesigen Gänsetempel stattfinden, mit einer kleinen Runde im Stadtpark als Nachgang. Wie glücklich war sie darüber, dass Elvrun, wie auch Nivard, von bescheidenem Charakter waren. Denn die Hochzeit der Baronin von Schweinsfold, Selinde II von Schweinsfold, mit Mauras Sohn Elvan stellte natürlich alles in den Schatten. Aber dennoch, wollte die Altenbergerin sich nicht lumpen lassen und hat zumindest für einen schönen Aufbau im Park gesorgt. Ihr Blick wanderte durch die Tempelhalle, die nun ordentlich gefüllt war. Die meisten Altenberger waren zugegen, wie auch die Tannenfelser. Von großer Ehre konnte man davon sprechen, dass Vater Winrich von Altenberg-Sturmfels extra aus seinem Tempel in Elenvina nach Herzogenfurt angereist war. Der Hauptgrund war natürlich die Hochzeit der Baronin, doch konnte das Oberhaupt des Hauses Altenberg es sich nicht nehmen lassen, die Trauung seiner Lieblingsnichte selbst zu übernehmen. Der Morgen bis hin zur Mittagszeit verging wie im Fluge und nun war es soweit, die Traviastunde hatte begonnen. Vor kurzem schon hatte das Tempelpaar, Mutter Regintrud und Vater Eberbald, die Führung übernommen und einem jeden einen Platz zugewiesen. Eine Seite für die Altenberger, die andere für die Tannenfelser. Dann Freunde und Ehrengäste und zu guter Letzt in den hinteren Reihen, die ärmsten und bedürftigsten Bürger Herzogenfurts. Nun sollten alle anwesend sein, doch einige Personen fehlten noch. Ausgerechnet Elvrun, die Braut, war noch immer nicht eingetroffen, sowie Amiel von Altenberg, ihr Vetter, wie auch Relindis von Tannenfels, die Schwester des Bräutigams. Unruhig nickte Maura der Mutter Nivards zu und hoffte inständig, dass die beiden ihrer Tochter beim Ankleiden halfen und nun jeden Moment durch die Tür des Tempels kommen würden. Der grimme Blick ihres Gemahls, Juno von Altenberg, der auf ihr lag, unterstützte ihre Unruhe. Innerlich ärgerte sie sich: ´Ganz so, als ob das meine Schuld wäre, für diese Verspätung!´ Maura zog die Luft scharf ein und verdrehte die Augen und zuckte ratlos mit den Schultern. Gerade wollte Juno, Geweihter des Wassergottes Efferd, zum Sprechen ansetzen, als der harte Druck einer Hand auf seinen Schultern ihn wieder zum Schweigen brachte. Seine Mutter, die greise Elva von Altenberg, kannte ihren Sohn. Dies war jetzt nicht der richtige Ort, um seinem Ärger freien Lauf zu lassen. Sie selbst war auch nicht in bester Stimmung. Schon früh hatte sie geahnt, dass etwas mit Elvrun nicht stimmte und wie es schien, hatte sie Recht. Die junge Braut war verschwunden und nun waren Relindis und Amiel auf der Suche nach ihr. Doch noch immer hielt sie am Glauben fest, dass Travia es richten würde. Winrich indessen kannte solche Verspätungen. Von seinen unzähligen Traviabünden, die er gesprochen hatte, hatten die meisten Zeremonien verspätet angefangen. Oft standen dem zukünftigen Paar die Nerven im Weg und zogen so Missgeschicke auf dem Weg zum Altar an. Gelassen wie er war, richtete er sich noch einmal das Zeremonialgewand und rührte noch mal in der Suppe für die Armenspeisung.

Auch die junge Cupida vom Lilienhain hatte sich im Tempel der gütigen Mutter eingefunden. Eine Hochzeit war immer auch ein Zeichen der Liebe - zumindest in den naiven Augen der jungen Frau - und deshalb sollte wohl auch Rahja eine Rolle spielen. Die junge Gärtnerin und Rahja-Akoluthin hatte bereits eine Glaubensschwester im Tempel ausmachen können - diese mutete südländisch an, doch kam Cupida noch nicht dazu sie zu begrüßen. Mitgebracht, als ein Geschenk an die Brautleute, hatte sie ein paar Rosen und Lilien aus dem Park. Nicht viele und von dezenter Farbe, denn die Gärtnerin wusste, dass sie hier immerhin in einem Haus Travias war, doch sollte das Fest nicht ganz so trostlos sein. Auch einen Blumenkranz für die Braut hatte Cupida gebastelt … wo die wohl blieb? Hm, die Lilienhainerin sah gespannt auf das Tempelportal. Es konnte sich sicher nur mehr um wenige Momente handeln bis es losging.

***

Auch Celissa von Tannenfels, die Mutter des Bräutigams wurde zusehends unruhig. Wo steckte nur Elvrun? Und wo Relindis? Dass von der Braut zuletzt jede Spur fehlte, und von ihrer ältesten Tochter noch dazu... beide waren doch Geweihte der Travia und nicht nur deswegen die personifizierte Zuverlässigkeit! Was mochte es nur bedeuten, wenn ausgerechnet diese beiden zu spät zur heutigen Zeremonie kämen? Nach dem xten fragenden Blick zu Maura beugte Celissa sich zu Ringard, ihrer mit sechzehn Jahren jüngsten leiblichen Tochter, deren Verlobter sich bislang ebenfalls rar machte. "Hat Dein Amiel irgendetwas verlauten lassen, wo sie stecken könnten?" Sie hatte davon gehört, wie vertraut ihre angehende Schwiegertochter mit dem jungen Rechtsgelehrten war. Doch Ringard schüttelte nur, ihre Lippen schürzend und die Schultern hebend, ihren Kopf. Sie machte sich ebenfalls bereits ihre Gedanken und wartete sehnsuchtsvoll auf das Eintreffen aller drei. Nur Silfrun, mit dreizehn Sommern die allerjüngste der Tannenfels-Kinder, wirkte noch recht unangefasst. Stattdessen schien sie die Regungen aller Anwesenden voll unverhohlener Neugier zu beobachten und dabei gut unterhalten.
Die Blicke des ältesten Bruders des Bräutigams, des Ritters Rondrard von Tannenfels, der sich zur Seite gedreht hatte, um alles übersehen zu können, wanderten zwischen dem armen Nivard, der in offensichtlich wachsender Aufregung harrte, und deutlich verstohlener der zwei Reihen hinter ihnen sitzenden Befinna von Fadersberg hin und her. Der scharfe Blick ihrer älteren Schwester und Baronin von Ambelmund, Wunnemine, offenbarten ihm jedoch, dass er ertappt war. Rasch drehte er sich zu seiner Mutter. "Soll ich nach ihnen suchen gehen?" Die schüttelte energisch den Kopf. "Nicht auch Du noch. Sie werden hoffentlich gleich da sein." Möge die große und die gütige Mutter es wahr werden lassen.

***

Waldlieb saß inmitten der Gäste auf der Seite der Tannenfelser. Obwohl sie eher pragmatisch unterwegs war, hatte sie sich dem Anlass entsprechend zurechtgemacht. Über der grünen Kutte trug sie den traditionellen Überwurf mit den geschlitzten Ärmeln. Auf der Brust waren, aus gelbgefärbter Wolle, drei Ähren eingestickt. Ihr langes nussbraunes Haar war in diverse Strähnen aufgeteilt und geflochten worden und die einzelnen Zöpfe zu einer kunstvollen Frisur zusammengefügt. Darin eingewoben waren getrocknete Blüten von Klatschmohn und Kornblume und einige Ähren der aktuellen Ernte, so dass man sich an ein Kornfeld erinnert fühlte. Wie immer hatte sie das Haar vorher mit ihrer Apfelseife gewaschen, so dass sie einen dezenten Duft von fruchtiger Frische verströmte. Ungewöhnlich war, zumindest für diejenigen, welche Waldlieb näher kannten, dass sie heute Schmuck trug. Es handelte sich dabei um eine Kette und ein Armband, welche beide aus kleinen getrockneten und polierten Arangen bestanden. Des Weiteren hatte sie einen kleinen Henkelkorb mitgebracht, dessen Inhalt von einem grünen Tuch vor neugierigen Blicken abgeschirmt war. Besonders feine Nasen vermochten den Duft von frischem Brot und würzigem Lauch vernehmen, welcher dem Korb entstieg.
Die Geweihte saß mit gemischten Gefühlen auf der Bank. Einerseits freute sie sich für Nivard und das ganze Haus Tannenfels, andererseits ahnte sie bereits, dass sie bald in Tränen ausbrechen würde, denn ihr selbst war dieses freudige Ereignis bisher verwehrt geblieben.
Ungeduldig rutschte sie auf ihrem Platz herum und sah immer wieder zum Portal, dann wieder in Nivards banges und nervöses Gesicht. Irgendetwas stimmte nicht. Wo nur war die Braut?

***

In einem dunklen, moosgrünen Gehrock mit Stehkragen und dem goldenen, steigenden Gebirgsbock auf der Brust, stand der Urenkel des Rogmarog von Isnatosch unter den versammelten Gästen.
Der Sohn des Barbaxosch hatte seine Hände auf dem Rücken verschränkt und nickte jedermann freundlich zu, der ihn, den Vogt von Nilsitz grüßte. Und heute war Borindarax sein Amt leicht anzusehen, denn der noch junge Angroscho, mit den leuchtend roten Haaren und dem prächtig geschmückten Bart, trug die massige Amtskette aus diversen, runenverzierten Metallplatten stolz um den Hals.
Seine beiden Aufpasser indes mussten abseits warten, bei einer solchen festlichen Gesellschaft konnte er auf sie verzichten, so hatte er befunden, wenn auch Boindil dies nicht so einfach hatte akzeptieren wollen - alter Sturkopp. Borindarax grinste. Er freute sich aus purer Neugierde auf die Zeremonie.

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Hauptsächlich Pflichterfüllung war die Trauung hingegen für Lucilla Amaltheia von Galebfurten. Die noch recht junge Junkerin war in Vertretung ihres Lehnsherrn, des Barons von Galebquell zugegen. Als Erbvögtin von benannter Baronie im fruchtbaren gratenfelsener Becken, würde sie nun bald häufiger anstatt von Roklan von Leihenhof an gesellschaftlichen Festivitäten teilnehmen - eine Aufgabe, die ihre auf dem Rabenmarkfeldzug der Nordmärker verstorbene Vorgängerin Jolenta von Galebfurten stets als Graus empfunden hatte. Die aufrechte Ritterin war niemals eine Dame des Hofes geworden, aber wahrscheinlich war dies einer der Gründe, warum Roklan sie so geschätzt hatte. Sie, Lucilla mochte in den Augen vieler eine nüchterne Rechtsgelehrte sein, doch war sie eben auch eine junge Frau. Und so war die Feier für sie doch auch eine kleine Freude, denn sie mochte all die bunten Farben der geschmückten Stadt, die prächtigen Kleider der Damen, ebenso wie die Aufmachungen der herausgeputzten Herren.
Die Galebfurtenerin selbst hatte zu diesem Anlass ein hochgeschlossenes, dunkelblaues Kleid gewählt, dezent konnte man sagen, schließlich sollte die Braut an diesem Tage alles überstrahlen. Ihre hüftlangen Haare trug sie zu einer Hochsteckfrisur, so dass auch ein jeder anwesende Junggeselle erkennen musste - so hoffte Lucilla zumindest, dass sie bereits vergeben war.

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Rahjania war aufgeregt und freute sich nahezu kindlich. Endlich eine Hochzeit, die nicht ganz so ungemein steif sein würde aber eine Gelegenheit, eines ihrer Kleider anzuziehen. Schade nur, dass Wallfried sie nicht begleitete. Ja, das war auch eine ihrer Eigenheiten. Sie schätzte die Gesellschaft von Männern nicht nur zu Rahjas Freuden, nein, sie mochte es, wie ein Problem anders angegangen wurde oder bei einer Diskussion neue Argumente gebracht wurden. Nun ja, dabei kam es natürlich auf den Mann an. Für den Anlass hatte die Zofe Rahjanias kräftiges, dunkles Haar meisterlich zu einer Hochsteckfrisur gelegt und frisiert. Sie trug ein Kleid, welches den Rücken bis kurz nach dem Becken frei ließ. Dafür waren Dekolleté, Brust und Bauch schon fast brav verdeckt - schließlich befanden sie sich in einem Haus Travias. Dass der Stoff dennoch so gut hielt, war ein Werk zahlreicher gut versteckter Klammern. Der Stoff fiel locker und luftig. Ach, was wirkte sie in den Nordmarken doch wie ein exotischer Vogel. Fast genauso wie in ihrer Wahlheimat Weiden. Rahjania roch nach Flieder und Stachelbeere, der Lieblingduft ihres Favoriten, ihre Haut war ansehnlich gebräunt und dort, wo man ihre Muskeln sah, wurde deutlich, dass ihr Arbeit nicht fremd war. Sie lächelte so offen und fröhlich, dass es schwer war, nicht ebenfalls gute Laune zu bekommen.

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Coletta von Hadingen hatte es nach der Schwertübung im Stadtpark nicht mehr geschafft, sich umzukleiden. Noch immer trug die schlanke durchtrainierte Dame ihre weiße Tunika mit dem Schweinsfolder Wappen. Die Lederschienen hatte sie noch abnehmen können und einzig ein kostbar wirkendes, goldenes Amulett trug sie nun deutlich sichtbar an einer Halskette über ihrer Kleidung.
Zu viele Aufgaben warteten heute auf die Hadinger Burgfrau. Die Übungen hatten mehr Zeit in Anspruch genommen als erwartet, und nach längeren Gesprächen mit dem ein oder anderen Teilnehmer hatte sie noch die Gerätschaften und Übungswaffen abbauen lassen, sodass ihre Leute diese zur Burg abtransportieren konnten. Danach hatte sie sich schnell mit dem Stadtvogt einen Überblick zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage verschafft. Eigentlich hatte sie sich dann umziehen und frisch machen wollen, doch hatte Joram unerwartet ein Treffen mit dem Landgrafen und so musste Coletta für ihn die Tannenfelser Hochzeit übernehmen und sich vor der Zeremonie mit der Stadtwache besprechen. Unter den anwesenden Gardisten waren nicht nur vier offensichtliche Hellebardiere, die das Umfeld des Traviatempels von draußen absicherten, sondern auch drei Leute der Stadtwache, welche sich in ziviler Kleidung unter das gemeine Volk mischten, um so die Sicherheit zu erhöhen. ‘Was für ein Tag…’, dachte die Burgoffizierin und ließ sich erschöpft auf die Bank in der ersten Reihe des Traviatempels neben ihrem Neffen Tsamitrius nieder. Vorsichtig stellte sie ihr Schwert neben sich ab und fuhr sich mit den Händen durch ihre dunkelblonden, über die Schultern fließenden offenen Locken. Sie schaute sich um und beobachtete, wie die Gäste nach und nach ihre Plätze einnahmen. Während der Zeremonie würde sie ein wenig entspannen können. Sie merkte, dass ihre Augenlider, jetzt wo sie saß, doch etwas schwer wurden. ‘Bleib wach und munter und setze ein freundliches und frisches Lächeln auf…’, dachte sie und versuchte bemüht aufmerksam zu wirken. ‘Nachher noch der Junggesellenabschied der Baronin... Hoffentlich schaffe ich es vorher noch, mich umzuziehen und zurecht zu machen’; in diesem Moment wurde Coletta bewusst, dass es anscheinend ein Problem gab. Wo war die Braut?

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Der Albenholzer beobachtete die Szenerie. Trotz dieses freudigen Ereignisses konnte er seine Anspannung nicht ablegen. Ganz im Gegenteil. Das Fernbleiben der zukünftigen Gemahlin steigerte seine Nervosität. Noch vor wenigen Stunden hatte er mit Nivard darüber gesprochen: Ein jeder von Ihnen schwebte in Gefahr. Eoban hoffte inständig, dass sich eine einfache Erklärung finden und die Braut bald auftauchen würde. Er sandte ein kurzes Gebet an die gütige Göttin.

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Nivards Kameraden vom Geleitschutz Plötzbogen indes hatten ganz am Rand der Reihen Platz genommen, aus dem Grunde, dass sie planten, später ohne viel Aufsehen den Tempel zu verlassen. In dem Gewirr der Gäste fielen die mit einer eindrucksvoll punzierten Plattenrüstung gekleideten drei Männer und drei Frauen durchaus aufgrund des einheitlichen Erscheinungsbilds auf. Die Friedensknoten an ihren Waffen waren mit orangefarbenen Bändern gefasst. Für die Trauung ihres jungen Kameraden Nivard hatten sie auch ihre mit blaugefärbtem Rosshaar behängten Helme mitgebracht, die nun auf dem Schoß jedes Einzelnen lagen.
Emmeran blickte wachen Auges über die wartende Gästeschar.
“Der Kleine wirkt ein bisschen nervös.” Die schwarzhaarige Rhela beugte sich schmunzelnd zu Emmeran herüber.
Doch bevor der etwas antworten konnte, kam ihm Wolfmar, der hinter den beiden saß, zuvor: “Och, ich finde, er macht sich noch ganz gut. Da kenn ich andere!” brummte der Krieger mit dem Backenbart, wie ihn gerne die Schiffer trugen, und stieß mit einem beherzten Stoß den vor ihm sitzenden Freund an.
“Stiiiiimmt,” sinnierte nun auch die Schwarzhaarige gespielt ernst. “Ich erinnere mich da an einen Bräutigam, der nicht wusste, ob seine Verlobte nach 10 Götterläufen wirklich noch den Arsch in der Hose hat für diesen Schritt.” Dabei grinste sie ihren Freund und Kommandanten breit an.
Emmeran runzelte zwar die Stirn, entschied sich aber dann das Spiel mitzumachen: “Wenn meine Godugifa etwas hat, dann wohl Arsch in der Hose! Aber hei, so nervös war ich nicht.”
“Nein, natürlich nicht. Du konntest nur Hände und Füße nicht stillhalten und gingst vor dem Altar auf und ab wie ein Lindwurm vor seiner Schatzhöhle.” lachte Rhela und deutete wirre Bewegungen mit ihrer Rechten an.
“Das war doch nur, weil ich so Hunger hatte und das Festmahl nicht erwarten konnte.” Emmeran schmunzelte selbst bei dieser Ausrede. Ein wenig stimmte es ja auch. Vor Nervosität hatte er damals vor der Trauung keinen Bissen hinunter- und vor dem Altar dann großes Magenknurren bekommen.
“Hattest gut aufgetischt! Bin gespannt, was uns Nivard hinstellt.” brummte Wolfmars Bass.
“Ja ja, der Nivi. Wer hätte bloß gedacht, dass er mal nicht diese Gelda heiratet, mit der er uns in den Ohren gelegen ist.”
“Äh, Freunde, diese Gelda sitzt übrigens da vorne.” meldete sich nun die stille Meingard zu Wort und deutete verstohlen, vielmehr peinlich berührt in die Richtung der Altenberger Sippe.
Rhela machte große Augen und versuchte im Folgenden den Kopf zu recken: “Echt jetzt? Wo? Wer von denen ist die denn?”
“Seit wann stieren wir potenzielle Kundschaft an?!” erklang Emmerans Stimme mahnend.
“Also jetzt gönn mir doch den Spaß, Bruder.” Sie waren keine leiblichen Geschwister, nur langjährige Waffengefährten. Und da Emmeran mit seinen Plötzbognern einen sehr kameradschaftlichen Umgang pflegte, war das ungefähr dasselbe.
“Meingard zeigt sie dir später.”
“Später, später.” maulte Rhela. “Ich will doch nur sehen, ob sie vielleicht heult oder so. Du weißt doch, Emme, ich ergötze mich gern…”
Wolfmar verdrehte die Augen und auch Emmeran entlockte der Ausspruch ein Seufzen. “Meingard zeigt sie dir bestimmt gern später bei der Feier.” - Meingard nickte hörig, Rhela fügsam. - “Und jetzt alle Ruhe, es geht los!”

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Ein Glöckchen erklang und gab den Gästen das Zeichen, dass die Zeremonie begann. Sogleich suchten alle ihre Plätze und bemühten sich um Ruhe. Der zornige Blick, der die Glöckchenträgerin traf, entging den Meisten. Schwester Lichthild, eine magere, junge Frau und Geweihte, ignorierte diesen und schlug gleich nochmal das Glöckchen an. Nun konnte die alte Elva, ehemalige Tempelmutter dieser Hallen, nicht an sich halten, stand auf und tappte schnellen Schrittes mit ihrem Krückstock zu der Jüngeren. “Was soll das denn?”, zischte sie ihr flüsternd entgegen. “Die Braut ist doch noch gar nicht da!” Lichthild behielt ihre Fassade und flüsterte zurück. “Oh, ich dachte, naja, es ist ja schon so spät …” Elva zog scharf die Luft ein. “Du dumme Gans, denken war noch nie deine Stärke, du...” Weiter kam sie nicht, denn ihr Enkelsohn Elvan von Altenberg war an ihr herangetreten. ”Großmütterchen, ist alles in Ordnung? Du sollst dich doch nicht mehr so viel bewegen. Hat Mutter gesagt. Komm, ich bring dich wieder zu deinem Platz.” Nun senkte er die Stimme. “Du machst Nivard noch mehr nervös. Der fällt uns sonst noch um.” Elva drehte sich um, und schaute sich den blassen Tannenfelder an, der zappelig vor dem Altar stand. “Du hast recht. Bring mich zurück.” Noch auf halber Strecke ertönte das Glöckchen noch einmal und Elvan entging das unterdrückte Fluchen seiner Großmutter nicht. Kaum hatten sie sich gesetzt, kehrte Ruhe in den Tempel ein. Genauer gesagt fast. Aus den Reihen der Altenberger ertönten zischende, ja furzende Geräusche, die von der dunklen Stimme der schwangeren Sabea von Altenberg kommentiert wurden. “Ach herje... Verzeihung... Na ja, der kleine Troll halt ... Oh, haha, der Kleine hat wieder vom Kohl genascht.” Ihr zukünftiger Gemahl und Vater des Kindes, Junker Thankred von Trollpforz, saß nur mit einem seeligen Lächeln daneben und nickte bestätigend bei jedem Laut. Die andere Störquelle der Ruhe kam aus den letzten Reihen der Armen. Hier waren es die Witwe Schwartenfleck und ihre zehn Kinder, die im schönsten Hinterhofjargon ihre Bälger zur Ruhe bringen wollte. “Du kleine Pottsau! Jetzt setz dich auf dein Arsch! … Concabella, ich zieh dir die Zitzen lang, wenn du jetzt nicht Schweini in Ruhe läßt … Ohh, du altes Ferkel, wie sieht denn jetzt der Tempelteppich aus…”

Doch dann ertönte ein Rumpeln von der Eingangstür des Tempels. Sichtlich erleichterte Gesichter schauten erwartungsvoll auf den Eintritt der Braut, denn die doppelflügelige Tür öffnete sich. Kurz wurden alle von Tageslicht geblendet, bis sich die zierliche Gestalt der Frau abzeichnete. Doch schnell wandelte sich das erwartungsvolle Lächeln der Gäste in ein überraschtes. Denn durch die Tür trat …

... eine junge Frau, mit langen weißen Haaren, doch zu einem kunstvollen Zopf geflochten, so dass ihre leicht spitzen Ohren viel besser zur Geltung kamen als sonst, zumal sie von kleinen, silbernen Anhängern in Form einer Mondsichel verziert wurden. Die weiße Haut der Frau war deutlich zu erkennen, denn das weinrote Samtkleid, das sie trug, ging ihr, obwohl nahezu hochgeschlossen mit einem sehr schmalen Ausschnitt vorne und einer rautenförmigen Öffnung über den Schulterblättern, nur bis zu den Knien, und die Arme wurden zwar bis zum Handgelenk bedeckt, aber lediglich von einem durchscheinenden blauen, schleierartigen Stoff, der zudem noch geschlitzt war. Um die Hüfte der schlanken Frau wand sich ein kunstvoll geknoteter gelber Schleier. Der Rock des Kleides war schräg geschnitten, so dass er an der einen Seite das weiße Bein fast bis zur Hüfte freiließ. Nach unten abgeschlossen wurde der Rock durch ein grünes Band mit Fransen, die im Moment wild hin- und her schwangen, als die Frau, deren Füße in goldenen Sandalen steckten, eilig hereinlief, um dann wie angewurzelt stehen zu bleiben, als ihr gewahr wurde, dass alle Anwesenden sie anstarrten, als hätten sie einen Geist gesehen.
Ihr Blick suchte Nivard, der neben dem Altar stand und einen extrem nervösen und angespannten Eindruck machte. Elvrun war nirgends zu sehen.
"Äh ...", entfuhr es Doratrava, denn niemand anderes stand hier im Tempeleingang, wenn sie auch mit den geflochtenen Haaren für die, die sie kannten, recht befremdlich aussah, "bin ich zu spät? Ist etwas... mit mir?" Verwirrt blickte sie von Nivard zu den Geweihten, dann zu den Gästen und zurück zu Nivard.

“Oh, das ist doch Blümchen!” ertönte die laute Stimme Sabeas.

Ein schwaches Lächeln huschte über Doratravas Gesicht, als sie Sabeas Ausruf hörte, und kurz nickte sie dieser zu. Dann fiel ihr Blick auf Cupida und sie stockte kurz, erst vor Überraschung, sie hier zu sehen, dann vor Freude - und dann vor banger Erwartung. Aber die seltsame, angespannte Stimmung in der Halle ließ nicht zu, dass ihre Gedanken sich jetzt zu sehr mit ihrer Freundin beschäftigten.

Nivard, der bereits seit geraumer Zeit wie im Hab-Acht durchgestreckt dastand, zuckte noch höher, als die Tür aufgestoßen wurde, nur um sogleich ein wenig in sich zusammenzusacken. Doratrava war auch gekommen! Wie sehr hätte er sich ungeachtet deren Verspätung darüber gefreut, wenn er nur wüsste, wo Elvrun steckte. Ohnehin schon mehr als aufgeregt angesichts des großen Tages, stand ihm nun bereits der Schweiß auf der Stirn, und es durchliefen ihn abwechselnd heiße und kalte Wogen. So war es ihm noch auf keinem seiner Abenteuer ergangen - bald wären seine Gewänder völlig durchnässt: Zu einer eigens für diesen Tag neu geschneiderten schwarzen Hose und ebenfalls neu erworbenen schwarzen Schnallenschuhen (die einen gehörigen Teil seines letzten Soldes gekostet hatten) trug er ein weißes, mit gleichsam weißen Stickereien geschmücktes Hemd und darüber ein dunkelgrünes, samtenes Wams, am Armansatz grünweiß gepufft, in dem bereits sein Vater den Bund mit seiner Mutter geschlossen hatte.
"Doratrava!" begrüßte Nivard die Gauklerin. "So komm doch herein und setz Dich!" Als diese näher gekommen war, fragte er leiser und in verzweifelter Hoffnung hinterher: "Hast Du Elvrun gesehen?" Vielleicht wusste sie ja etwas, so stürmisch sie hereingekommen war.

Dem Wink des Bräutigams folgend und dabei die Gäste, an denen sie vorbeikam, nickend, aber wortlos grüßend, gesellte sie sich zu ihm. Auf seine Frage hin schüttelte sie allerdings den Kopf und stellte leicht irritiert einmal mehr fest, dass sich ihre Haare in dieser Frisur seltsam anfühlten. “Tut mir leid, nein”, setzte sie in Worten flüsternd hinzu, “was ist denn mit ihr?” Doch gleich ging ihr auf, dass das eine blöde Frage war, denn wenn Nivard das wüsste, bräuchte er nicht so zappelig sein. “Äh - wann hast du sie denn zum letzten Mal gesehen … oder wann hat jemand von ihrer Familie sie zum letzten Mal gesehen?”, versuchte sie hilfreich zu sein, während ihr Blick erst zu Sabea, dann zu Maura wanderte und sie jetzt auch Gelda ausmachen konnte. Ihr fielen gleich noch viel mehr Fragen ein, die den Verbleib der Vermissten vielleicht klären konnten, aber es hatte ja jetzt bestimmt keinen Sinn, wenn sie den aufgelösten Bräutigam damit überschüttete, zumal sie sich denken konnte, dass viele dieser Fragen schon jemand anderes gestellt hatte. Also beließ sie es bei der einen und blickte Nivard an, wobei sie versuchte, ein “Wird-schon-werden”-Gesicht aufzusetzen.

"Heute noch gar nicht." gab Nivard nur bedrückt von sich. 'Wie es sich gehört.' Gerade wäre es ihm lieber, gegen die alte Tradition verstoßen zu haben und dafür zu wissen, wie es um Elvrun stand. Er wollte gerade ausholen, als er Mutter Waldlieb sich erheben sah.

Auch Cupida war die Ankunft Doratravas natürlich nicht entgangen. Sie nestelte an ihrem Kleid und richtete ihren Zopf, damit die junge Gärtnerin ihre Freundin nicht ansehen musste. Hier und jetzt ging es nicht um sie und die Gauklerin, es war eine Hochzeit zweier liebender Menschen und demnach hatten ihre Probleme hier auch keinen Platz. Sie hoffte, dass auch Doratrava sich so weit zurückhalten konnte. Noch dazu weil es auch der Lilienhainerin langsam aber sicher dämmerte, dass es hier wohl schon genug Drama gab.

Doratrava! Mutter Waldlieb hatte, wie alle anderen gehofft, dass die Braut durch das Portal schritt und war zunächst enttäuscht. Dann aber schien Hesinde selbst ihr einen Folianten gegen den Kopf zu werfen. Die Meisterin der Ernte stand auf, stellte den Korb auf ihren Platz und schlängelte sich entschuldigend durch die Reihe bis zum Hauptgang. Dort schritt sie nach vorn zu Nivard und Doratrava und winkte dem Geweihtenpaar, sich zu der kleinen Gruppe zu gesellen. Sie sprach alle vier gleichermaßen an und flüsterte: "Ich weiß zwar nicht, was hier gerade vorgeht, aber die Gäste werden langsam unruhig. Und Du bist es sicher schon, Nivard." Sie legte mitfühlend eine Hand auf seine Schulter. "Mir kam da gerade eine Idee. Wenn ihr es erlaubt, Bruder und Schwester im Geiste, und Du damit einverstanden bist, Doratrava, dann würde ich Dich bitten hier eine Deiner berühmten Vorstellungen zu geben, wenn auch dem Thema und dem Heiligen Hause angepasst. Ich weiß, dass ist… ähm… unorthodox… aber vielleicht können wir so zumindest die Gäste beruhigen. Ich könnte derweil schauen, wo die Braut abgeblieben ist."

Nivard nickte auf Mutter Waldliebs Vorschlag hin und erwiderte die beruhigende Berührung, in dem er ihr kurz auf die Hand fasste, die sie auf seine Schulter gelegt hatte. Ein wenig Ablenkung für die Gäste, ja, das wäre gut, denn jedes Sandkorn, das bis zu Elvruns Ankunft noch unter ihrer aller ungeteilter Aufmerksamkeit den Uhrentrichter hinab rieselte, würde seine - und wahrscheinlich nicht nur seine - Nerven unbarmherzig ein kleines Stückchen weiter zerschmirgeln. Und er könnte seine Verlobte mitsuchen gehen. Seit einigen Momenten bereits begann ihn nämlich ein ganz mieses Gefühl zu beschleichen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er hoffte inständig, dass ihm nur seine Instinkte zusammen mit der Aufregung vor seinem Traviabund einen Streich spielten und Elvrun jeden Augenblick genauso aufgeregt ob ihrer Verspätung, ansonsten aber guter Dinge in Begleitung seiner Schwester hereinkommen würde. "Der Vorschlag ist gut! Doratrava, wärst Du bereit dazu?" Er war sich nicht sicher, wie seine Freundin zu einem Auftritt im Travia-Tempel stehen würde. Und was Vater Eberbald und Mutter Regintrud davon hielten.

Doratrava nickte, obwohl ihre Miene undeutbar war. Einerseits hatte sie ja ein wenig darauf hingearbeitet und gehofft, hier tanzen zu können, als kleine Provokation ihren Zieheltern gegenüber, obwohl diese das wahrscheinlich niemals erfahren würden, und gegen die Traviakirche als solches, die es zuließ, dass Leute wie vor allem ihr Ziehvater ungestraft Kinder verkorksten, während ihre Ziehmutter untätig zugesehen oder ihn gar bestärkt hatte.
Bevor sie aber etwas sagen konnte, sprach Nivard schon weiter.

"Und ich komme mit Dir!" wandte er sich zu Lioba. "Ich gehe sonst ein." Es gab nichts schlimmeres, als untätig zu warten, während sich der Geist ausmalte, was los sein könnte. Nivards Blick fiel auf Emmeran von Plötzbogen und seine Kameraden. Ob er sie einbinden sollte? Zusammen hätten sie Elvrun sicher schnell gefunden, hoffte er.

“Nein, wirst Du nicht”, sagte sie in bestimmendem Tonfall, “wenn Du jetzt gehst, werden die Leute anfangen zu reden und sich fragen, ob die Hochzeit abgeblasen wurde. Tut mir Leid, aber da musst Du jetzt durch.”

Das sah er, wenngleich widerwillig, ein. Mit erkennbarem innerlichen Aufstöhnen nickte Nivard. “Du hast ja Recht.” gab er leise zurück, um im Flüsterton - er wollte die ‘übrigen Pferde’ nicht alleine seiner Aufregung wegen gänzlich scheu machen - fortzufahren: “Aber sag bitte sofort Bescheid, falls Du irgendwelche Anzeichen erkennst, dass mehr als ein widerwilliges Kleid oder eine andere Lappalie dahinter steckt, versprichst Du mir das?”

“Natürlich Nivard”; antwortete sie und schaute dann zu seinen Kameraden herüber, “Wem von denen traust Du am meisten?”, fragte sie unverblümt und drehte ihn leicht in die Richtung, dass er sie besser sehen konnte.

Nivard schürzte leicht die Lippen, während er kurz nachdachte. Er wusste und hatte in dem guten Jahr, das er bei den Plötzbognern war, erproben dürfen, dass er sich auf jeden seiner Kameraden verlassen konnte. Doch wenn es darum ging, voll sorgfältigem Ernst und ohne nachträgliches Prahlen und Feixen (immer nur intern natürlich) die Dinge zu tun, würde er der stillen Meingard den Vorzug geben. “Ich traue allen von Ihnen, blind. Aber siehst Du die Frau mit den blonden Locken? Ihr Name ist Meingard von Kropfenhold. Wenn etwas unauffällig sein und bleiben soll, ist sie die richtige. Sie wird Dir sicher helfen.”

“Gut.” Lioba nickte. “Ich werde sie mitnehmen. Wann und wo hast Du Elvrun zuletzt gesehen, oder weißt Du, was sie zuletzt vorhatte?”

“Mit eigenen Augen habe ich sie zuletzt gestern, zur Abendandacht hier im Tempel gesehen.” berichtete Nivard in Flüsterstimme. “Heute morgen hat man uns getrennt gehalten. Vielleicht weiß meine Schwiegermutter… meine angehende, meine ich…, Bescheid.” Er nickte in Richtung Maura. “Oder jemand anders aus dem Tempel? Relindis fehlt im Übrigen auch…”

“Natürlich wird sie Deine Schwiegermutter, dafür sorge ich schon, “ die Geweihte lächelte. Dass auch Relindis fehlte, war ihr nicht bewusst gewesen. Sie war einfach davon ausgegangen, dass diese sich um die Braut, oder irgendwelche Vorbereitungen, gekümmert hätte. “Seit wann fehlt Relindis denn?”, fragte sie immer noch flüsternd.

“Ich sah sie heute in der Frühe zum Tempel kommen, habe sie darinnen aber nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ich dachte, sie hilft Elvrun oder geht sonst im Tempel zur Hand.” Nivard dachte nach, konnte aber nicht viel mehr sagen. “Ich kann mir gut vorstellen, dass sie bei Elvrun ist.” Wenigstens hoffte der junge Krieger das. “Wer aber mehr wissen könnte, sind die hiesigen Geweihten der gütigen Mutter.”

Fragend, aber auch auffordernd, blickte Lioba das Tempelpaar an.

Doratrava war dem Austausch angespannt gefolgt, während sie sich schon ein paar Gedanken gemacht hatte, wie ihre Vorführung aussehen sollte. Allerdings war auch ihr klar, dass die Tempelvorsteher zuerst einmal zustimmen mussten. Also schaute auch sie etwas unsicher in deren Richtung.

“Nun ja,” räusperte sich der pausbäckige Tempelvater Eberbald, “Mutter Elva hat uns schon vorgewarnt, dass wir die zukünftige Braut wahrscheinlich erst kurz vor der Zeremonie zu sehen bekommen.” Nun wanderte sein Blick zu der Greisin. Diese hatte die Gruppe schon eine Weile mit zusammen gekniffenem Blick im Visier. Dann erhob sie sich und gesellte sich zu ihnen. “Oh, Mutter Elva, wir hatten uns gerade gefragt, ob wir nicht nach Elvrun schauen lassen sollten…”, hob Mutter Regintrud vorsichtig an. Die Alte rollte nur kurz mit ihren Augen. “Diese Lichthild… , ich wusste, dass nun alle wie aufgescheuchte Gänse unruhig werden. Ich bitte euch, habt Geduld. Relindis und Amiel werden Elvrun zu uns bringen.” Resigniert atmete die rundliche Tempelmutter aus. “Nun gut, geben wir ihnen noch einen Moment.” Dann wanderte ihr Blick zu der Gauklerin. “Gesang und Tanz könnten wir wohl gebrauchen. Aber nur kurz!” Sie deutete einen strengen Blick an.

Voller Erwartung auf den schönen Anblick der Braut sah Coletta zum Eingang, erblickte dann jedoch nur die Gauklerin, die sie zur Mittagsstunde schon einmal kennengelernt hatte. Leicht amüsiert schaute sie zu, wie Doratrava scheinbar etwas peinlich berührt nach vorne schritt. Doch wo war nur die Braut? Hoffentlich hatte sie keine kalten Füße bekommen.
Aufmerksam beobachtete Coletta die Diskussion zwischen Doratrava, Nivard, Mutter Waldlieb und dem Tempelpaar, doch sie konnte von der leisen Unterhaltung nur Bruchstücke verstehen. Anscheinend gab es ein Problem. Hatte es sich die Braut tatsächlich anders überlegt? Um die Sicherheit der Hochzeit, oder dass der Braut etwas zugestoßen sein könnte, sorgte sich Coletta bisher eher weniger. Doch fiel ihrem geschulten Auge nun der verdächtige Blickkontakt von Nivard und Mutter Waldlieb zu dem Plötzbogener Geleitschutz auf. War wirklich alles in Ordnung?
Sie stupste ihren Verwandten an: ”Tsamitrius, denkst du, die Braut hat sich aus dem Staub gemacht? Vielleicht sollte ich mal nachschauen, ob es Ärger gibt.”

Der Herold schaute nachdenklich. Tsamitrius schaute in die Menge, um sich ein Bild zu verschaffen. “Hmmm. Ich weiß nicht, Coletta. Vielleicht sollten wir warten mit solch einer Vermutung. Obwohl, es wäre dann an dir nachzufragen, oder?” Nun war sein Blick ein amüsierter.

Auf den belustigten Blick von Tsamitrius antwortete sie mit einem schnellen Abwinken. "Ja ja, du denkst wohl, ich kann meine Arbeit nie ruhen lassen… Aber tatsächlich bin ich in erster Linie deswegen hier."

Die Erbvögtin von Galebquell spitzte die Ohren und wandte ihren Kopf in Richtung jener Personen, die dort Mutmaßungen anstellten, wobei sie eine Augenbraue hob und ein dezentes Lächeln ihre Lippen umspielte - war es gar ein Anflug von Belustigung über die Situation?
Borindarax von Nilsitz hingegen saß ungeachtet des Gemurmels um sich auf seinem Platz. Er maß dieser Verzögerung keine Bedeutung zu, ja vielleicht gehörte sie in seiner Unwissenheit ja sogar zu der Zeremonie des Traviabundes?

Rahjania war bisher brav auf ihrem Platz geblieben und hatte sich über vieles gewundert. In ihrer Heimat wäre das anders gewesen und wohl selbst in Weiden. Warum saß sie irgendwo in der Masse? War sie nun als Geweihte hier oder nicht? Nivard schien sich überhaupt nicht an sie zu erinnern. Gut, das mochte seinem Gemüt entsprechen. Auch, als es anscheinend unter Geweihten etwas zu tuscheln gab, blieb sie Gast. Warum sollte sie sich jetzt also einmischen? Rahjania sah sich um. Ein seltsamer Haufen. Es ziemte sich nicht, eine Hochgeweihte der schönen Göttin falsch zu behandeln, aber sie wusste, dass sie die schönste Frau im Raum war. Natürlich bevorzugten viele Männer Frauen, die mürrisch und unnahbar wirkten, doch etwas Aufmerksamkeit, ein Gespräch vielleicht, das hatte sie erwartet. Sie seufzte. Es war um keinen Deut einfacher als in Weiden. Nein, schwieriger sogar. In Wargentrutz hatte sie gewusst, wo Vorurteile bestanden und Männer hatten sich so verhalten, wie man es erwartete. Hier… na ja sie wollte immer noch kein vorschnelles Urteil über die Nordmärker fällen und sah sich um, wer noch im Kreis der Ausgeschlossenen war. Ah, da war eine Frau nicht jung, nicht alt, deren Blick suchend umher irrte. Sicher galt es nicht ihr, aber sie lächelte Coletta trotzdem aufmunternd zu. Zudem sah sie eine Frau, die wohl eine junge Geweihte oder Akoluthin war. Sie saß dort, wo die Geweihten Platz genommen hatten. Anscheinend war sie Nivard wichtig, wenn er den Bund von einer Anfängerin statt einer Hochgeweihten besiegeln wollte. Rahjania war es egal. Sie verstand es nicht, und es wäre die Mühe nicht wert. Auch dieser Person lächelte sie zu.

Der irritierte Blick, wie aber auch das aufgesetzte Lächeln der Hochgeweihten entgingen dem Herold Tsamitrius nicht. Dieser stupste seine Platznachbarin an. “Hast du den Blick gesehen, den dir die Rahjani zugeworfen hat?” flüsterte er Coletta ins Ohr. “Sie wirkt verstimmt, trotz ihres Lächelns. Also wenn hier was nicht in Ordnung ist, dann wird es vielleicht Zeit, dass du der Sache nachgehst oder?”

Auch Cupida beobachtete ihre schöne Glaubensschwester. Warum sie wohl unter den Gästen saß und nicht bei der Zeremonie half? Sie hob ihre Schultern, es war nicht die Aufgabe der Akoluthin dies zu entscheiden. Im Grunde genommen war die Lilienhainerin bloß für den Blumenschmuck zuständig - die Braut war zwar eine weitschichtige Verwandte, aber sie hatte nicht wirklich engen Kontakt zu ihr.

“Findest Du?”, fragte sie Tsamitrius nachdenklich und runzelte die Stirn. “Der Gründe, weshalb die Rahjani verstimmt umherschaut, gibt es viele. Beispielsweise weil die Braut auf sich warten lässt. Vielleicht sollte ich mal zu dem Gemach gehen, wo sich diese umkleiden sollte”, fügte sie hinzu und ergriff das Langschwert, welches sie neben sich abgelegt hatte.

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