Spaziergang im Schlossgarten

Hintergrund
Nach den Ereignissen im und um das Elsternschloss in Zusammenhang mit der Besessenheit des Landgrafen Alrik Custodias-Greifax, bittet der dem Anconiterkloster in Albenhus angehörige Heilmagier Gudekar von Weissenquell, Sohn des Edlen von Lützetal, den Baron von Tälerort in der Rabenmark, Wunnemar von Galebfurten, um ein Gespräch unter vier Augen. Die beiden hatten vorher in einer Ermittlergurppe zusammen mit den Edlen Onjaro von Fuchshag und Thymon vom Traurigen Stein, sowie dessen Knappin Meta Croy offiziell erfolglos in den Vorgängen ermittelt.


Zeit
Im Anschluss an die Feierlichkeiten, die am 5. Rondra 1045 BF begannen.


Dramatis personae
Wunnemar Thankmar von Galebfurten, Baron von Tälerort in der Rabenmark
Gudekar von Weissenquell, Magus und Mitglied der Arconiter


Von Geheimnissen und Bündnissen

Es war zwei Tage nach dem denkwürdigen Fest, welches seine Hochwohlgeboren Frankwart vom Großen Fluss auf dem Elsternschloss zu Klippag gegeben hatte, um das zehnjährige Jubiläum seiner Krönung zum Grafen der Elenviner Mark gebührend zu feiern, da der Baron Wunnemar von Galebfurten und der Magus Gudekar von Weissenquell durch jenen Garten des Prunkbaus schlenderten, in dem sich am Rande jener genannten Festivität lebensbedrohliche Szenen abgespielt hatten. Nun aber, so stellten beide Männer innerlich zufrieden fest, lag er ruhig und ein wenig wenig verwildert da und bot ihnen Gelegenheit, die vergangenen Ereignisse diskret revue passieren zu lassen. Unbewusst steuerte der Rabenmärker dabei den etwas abseits liegenden Schrein des Firun an, welcher mit der Statuette einer Lokalheiligen des Weißen Mannes versehen war.
Nachdem sie jene politisch höchst- brisanten Themen, die sich um niemand anderem als Alrik Custodias-Greifax und eine seiner jungen Liebschaften gedreht hatten, beendet hatten, lief der Anconiter eine Weile schweigend neben dem Baron von Tälerort her.
Irgendwann aber sah Wunnemar Gudekar fragend an, denn dieser hatte ihn um eine Unterredung gebeten und das Gespräch über ihr vergangenes, gemeinsames Abenteuer war in den Augen des Rabenmärkers offensichtlich nicht das Thema, welches den Magus umtrieb. Also begann Gudekar: “Habt Dank, Euer Hochgeboren, dass Ihr einen Teil Eurer wertvollen Zeit für mich opfert!”
“Wenn es euch recht ist gelehrter Herr, ich würde gern auf die formelle Anrede verzichten, wenn wir unter uns sind.” Der Baron lächelte. “Ich für meinen Teil denke, dass dies nicht länger notwendig ist.” Die Stimme des Rabenmärkers war weich, sprach von Ausgeglichenheit und innerer Ruhe. Gudekar hatte ihn anders kennengelernt, befehlsgewohnt, getrieben von ihrer Aufgabe, aber auch nachdenklich im Sinne eines strategisch sinnvollen vorgehens.
“Nennt mich einfach Wunnemar und sagt mir, warum ihr mich sprechen wolltet.”
Gudekar atmete tief durch. Er war es nicht gewohnt, von ihm höhergestellten Personen zu einem solch vertrauten Umgang eingeladen zu werden. Mit seinen bisherigen Reisegefährten blieb er stets auf der formalen Ebene, lediglich Eoban von Albenholz und er nannten sich beim Vornamen. Selbst Gudekars Vater, den Edlen von Lützeltal, sprach er zumeist mit ‚Ihr‘ und ‚Herr Vater‘ an. „Ganz, wie Ihr wünscht, Euer Hochgeboren… ähm, Wunnemar.“ Der Albenhuser räusperte sich. „Es wäre mir eine Ehre, wenn Ihr mich ‚Gudekar‘ nennt.“
Mit nachdenklich gesenktem Kopf ging der Anconiter ein paar Schritte auf und ab. Er wusste nicht, wie er beginnen sollte. Schließlich ging er in medias res. „Es ist noch nicht lange her, dass Ihr Eure Baronie übernommen habt, habe ich Recht? Und Ihr habt dafür Eure Heimat, die Nordmarken verlassen, seid in ein dämonenverfluchtes Land gezogen, um dort etwas Gutes zu tun, das Land zu heilen und es den Göttern zurückzuführen, ist es nicht so? Wie ist es Euch dabei ergangen? Wunnemar, wie fühlt es sich an, der Heimat den Rücken zu kehren?“
Der angesprochene nickte zu der ersten Frage des Magus, nach der zweiten atmete der junge, wenn auch bereits ergraute Ritter tief ein und seufzte.
“Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Einerseits vermisse ich die Heimat meiner Jugend, die die Nordmarken nun einmal unzweifelhaft sind. Die Erinnerungen an Darpatien sind hingegen von kindlicher Natur, wenn sie auch ohne jeden Zweifel ebenfalls prägend für mich waren.
Ich vermisse meine Brüder und Schwester, wann immer ich in der Mark des Raben weile. Ich sehne mich nach den golden, von Korn strahlenden, saftigen Feldern meines Hauses an den Hängen um die Galebra und nach dem erhabenen Anblick der Koschberge.”
Abermals seufzte Wunnemar. “Aber Tälerort ist das was ich immer wollte. Die Verantwortung die ich dort trage und das Leid, dessen ich dort jeden Tag ansichtig werde aber, lasten auf mir, unzweifelhaft. Es ist noch ein langer Weg das Land von seinen Altlasten zu befreien und die Menschen in den Schoß der ZWÖLF zurückzuführen. Er ist beschwerlich, steinig und von unbill geprägt, doch er ist lohnenswert und göttergefällig.”
Während der Galebfurtener in die Ferne, zum Schrein des Firun am Rand des Waldes geblickt hatte, unterdessen er gesprochen hatte, blickte er nun in Gudekars Gesicht.
“Ich glaube nicht an Vorhersehung oder gar Schicksal, Gudekar. Woran ich glaube ist, dass wir alle einen Platz im Leben finden müssen, indem wir den Göttern dienen können. Und ja, dieser Platz ist nicht immer bequem.”
Gudekar wirkte weiterhin sehr nachdenklich, nickte jedoch bei den letzten Gedanken Wunnemars zögerlich mit dem Kopf. „Lange Zeit hatte ich geglaubt, mein Platz sei das Anconiterkloster. Menschen zu heilen, für die es sonst wenig Hilfe gibt, die sich keine Hilfe leisten können, das schien mir in hohem Maße göttergefällig. Es fühlte sich gut an, auf diese Art Peraine zu dienen, und ebenfalls Travia. Denn auch für den Traviatempel habe ich gewirkt, indem ich den Kindern im Waisenhaus des albenhusener Tempels beistand. Doch seien wir ehrlich: den Menschen in Albenhus geht es gut, selbst den Armen und Waisen, verglichen mit dem Leid, das den Menschen an anderen Orten widerfährt.“ Der Magier stocherte mit der Fußspitze im Boden und schob einen Stein hin und her. „Doch immer häufiger denke ich, das Leben, dem ich bisher gefolgt bin, war ein von Bequemlichkeit geprägtes Leben.“ Er machte eine Pause und schaute den jungen Baron an, schien ihn regelrecht zu mustern.
Wunnemar zuckte leichthin mit den Schultern. “Bedeutung ist etwas, das bisweilen vom Standpunkt abhängt”, sprach der Baron nachdenklich. “Dass eure Arbeit wichtig ist, haben die vergangenen Tage aber mit Sicherheit gezeigt, meint ihr nicht?”, fragte er rethorisch und gab dann selbst die Antwort.
“Zwei von uns wären wohl einem Gift erlegen, hättet ihr nicht vermocht dies zu neutralisieren. Ihr tut euch also Unrecht, wenn ihr euer Leben mit dem Wort Bequemlichkeit betitelt.”
“Ich redete auch von meinem bisherigen Leben, nicht dem der letzten beiden Jahre”, widersprach der Magier.
Kurz schwiegen die beiden so unterschiedlichen Männer und hingen ihren Gedanken nach, dann fuhr der Magier fort. „Seit fast zwei Jahren wirke ich in einer Mission, die von nicht unerheblicher Brisanz für die Nordmarken – und auch für Mutter Travia – ist. Verzeiht, wenn ich dies nicht näher erläutern kann, doch würde es Euch und viele andere in Gefahr bringen, würde ich mein Wissen teilen. Nicht ich habe mir diese Mission ausgewählt, sie wurde mir auferlegt. Doch zeigte mir das Wirken während der Mission, dass es eine Welt außerhalb des beschaulichen Albenhusischen gibt, mit anderen, weit größeren Genüssen, aber erst recht mit weit größeren Gefahren. Dieses Fest hier
ist sicherlich ein gutes Beispiel dafür.“
Wunnemar nickte und es lag Anerkennung in seinem Blick. “Ich weiß wovon ihr sprecht, wenn mir auch die Details fremd sind. Ich habe gewisse Zuträger im Orgilsbund, die mich auf dem Laufenden halten was passiert, während ich in der Fremde weile.”
Gudekar hob eine Augenbraue. Was wusste der Baron? Und von wem? Waren sie nicht alle zur Verschwiegenheit aufgefordert worden? Doch es gab inzwischen wohl bereits zu viele Mitwisser. Eine kurze Pause entstand, indem beide Männer wieder die Richtung des Schreins einschlugen, Schulter an Schulter.
„Seit fast göttergefälligen 12 Jahren diene ich nun meinem Orden”, nahm Gudekar schließlich wieder das Wort auf. “Damit habe ich bald meine Verpflichtungen erfüllt, die ich als Gegenleistung für die mir gewährte Ausbildung zu leisten hatte. Ich denke, sobald die Mission, die ich von höchster Stelle erhalten habe, erfüllt ist, wird es Zeit, die Klostermauern zu verlassen und mich anderen Aufgaben zu widmen. Auch gilt es, gewisse Fehlentscheidungen aus meinem vergangenen Leben hinter mir zu lassen.“ Mit festem Blick schaute der Magier dem Rabenmärker in die Augen. „Wunnemar, ich könnte mir vorstellen, dass in Eurem Land meine Dienste gebraucht werden könnten.“
Überraschung, dies war die erste Regung, die der Arconiter in den Augen des Barons erkannte. Seite Augen waren geweitet, huschten unstet hin und her, während er den Magier musterte und dessen Miene studierte.
“Jeder götterfürchtige Mann und jede aufrechte Frau werden dort im Rahja des Reiches gebraucht, daran besteht kein Zweifel. Ich fürchte jedoch, ich verstehe nicht Gudekar”, setzte Wunnemar dann zu einer Antwort an. “Wie meint ihr das?”, hakte er nach und bat damit um eine weitere Erklärung.
“Nun, ich bin mir nicht sicher, was Ihr tatsächlich über die Mission wisst, in der ich noch gebunden bin. Doch geht es im weitesten Sinne um die Machenschaften eines Anhängers von Travias Gegenspieler.” Der Magier vermied es, den Namen auszusprechen, da er die Erfahrung gemacht hatte, dass dies bei vielen eher Besorgnis und Angst auslöste. “In diesem Zusammenhang war es mir und meinen Mitstreitern unter anderem vor knapp zwei Jahren gelungen ein Nest der Frevler in Elenvina auszuräuchern – ähm, im wahrsten Sinne des Wortes. Ihr habt davon vielleicht im Greifenspiegel gelesen, Wunnemar. Während der Hochzeit der Baronin von Schweinsfold in Herzogenfurt war ich sogar am Kampf gegen einen Dämon beteiligt, der von dem Paktierer gerufen wurde. Dies sind zwei Geschehnisse, die mehr oder weniger öffentlich bekannt sein dürften. Über die weiteren Vorgänge kann ich jedoch nicht berichten. Was ich damit sagen will, ich besitze Erfahrungen im Umgang mit solchen Umtrieben, obwohl ich eigentlich ein einfacher Heilmagier bin. Ich könnte mir vorstellen, dass meine Dienste in Eurem Land nützlich sind, wenn es darum geht, gegen die Auswirkungen der Vergangenheit angehen zu wollen. Ich könnte Euch zur Seite stehen und über Euer Wohl wachen, sollte Euch etwas zustoßen. Und wenn es hart auf hart kommt, bin ich auch in der Lage, mein Scherflein zur Bekämpfung des Ungezüchts beizutragen. Ich bin sehr daran interessiert, mit den so gewonnenen Erfahrungen meine Kompetenzen im Kampfe gegen das Böse weiter zu verbessern. Ein Magier, der der rechten Hand folgt, sollte auch diesen Weg gehen können. Zu lange habe ich meine heilenden Kräfte hinter Klostermauern vergeudet.”
Der Baron von Tälerort, der kurzerhand stehen geblieben war, als ihm Gudekar indirekt seine Dienste anbot, musterte den Aconiter erneut aufmerksam und nahm sich Zeit, bevor er sprach.
“Oh, die Götter wissen, das ich jemanden von eurem Schlag, eurer Befähigung gebrauchen könnte.” Wunnemar lachte auf und Gudekar erkannte einen Unterton von Bitterkeit, der ihm auch sogleich erklärt wurde. “Doch könnte ich euch niemals bezahlen. Alles Silber, welches hier in den Nordmarken übrig ist, hilft beim Wiederaufbau. Wir haben zum Teil nicht Mal genug Saatgut, um die Felder zu bestellen, denn die Ernten in Tälerort sind mager, das Land noch zu ausgezehrt von den Jahren der Schändung durch die Diener der Siebtsphärischen. Der Dreischwesternorden und die Geweihten dort leisten fast unmenschliches, aber dennoch braucht alles seine Zeit.”
Müde schüttelte der Rabenmärker den Kopf. “So gerne ich es täte Gudekar, ich kann mir eure Dienste schlicht nicht leisten, denn ich bin gezwungen andere Prioritäten zu setzen. Ich diene dem Land und dem Volke und daher gilt ihm all mein Streben.”
Gudekar schaute kurzzeitig sichtlich enttäuscht, sagte aber zunächst nichts. Er hatte den Traum, eines Tages das Leben eines angesehenen und gut bezahlten Hofmagiers zu führen. Doch sicherlich war es dafür noch viel zu früh. Er schien eine Weile über das gesagte nachzudenken. Schließlich rang er sich zu einer Antwort durch. “Dies alles ehrt Euch sehr. Es ist gewiss eine aufopferungsvolle Aufgabe, ein solch verdorbenes Land wieder lebenswert zu machen. Und die Früchte der Arbeit Eurer Untertanen hier in den Nordmarken auf’s Spiel zu setzen, um dort etwas aufzubauen, fällt Euch gewiss nicht leicht. Nun, somit ist es verständlich, dass Ihr mir nicht viel bieten könnt, um mich für meine Dienste zu entlohnen. Dennoch muss auch ein Magier essen und trinken, braucht ein Dach über dem Kopf und ein Feuer in den kalten Nächten. Ihr versteht, was ich meine? Ich vermute, die Meisten meiner Kolleginnen und Kollegen würden ein kleines Vermögen verlangen, stellten sie sich in die Dienste eines Barons, und dazu noch in Angesicht solch großer Gefahren, die Euer Land vermutlich noch immer bereithält. Wisst Ihr, ich bin es jedoch gewohnt, auf großen Komfort zu verzichten, und erwarte dies auch in Zukunft nicht, schon gar nicht in einem Land, wie das Euch anvertraute. Auch mir geht es in erster Linie darum, dem Land und den Menschen zu dienen.” Bei diesen Worten wurde seine Stimme etwas unsicher und sein Gesicht nahm eine leicht rote Färbung an, als das Blut in seine Ohren floss. Denn in erster Linie ging es ihm darum, Albenhus zu verlassen. “Doch gerade, weil ich in meinem bisherigen Dienst ebenfalls ein einfaches Leben führte, war es mir nicht möglich, Rücklagen zu schaffen, die mir ein Leben ohne jegliche Einkünfte ermöglichen würden.” Der Magier ließ seine Worte wirken, bevor er weiter sprach. “Es müsste mir zumindest die Gelegenheit gegeben werden, meinen Geldbeutel durch andere kleinere Aufträge innerhalb oder außerhalb Eurer Baronie zu füllen. Es sind ja nicht nur die Lebensgrundlagen, die Kosten verursachen. Kräuter und Ingredienzien für heilende Tinkturen und Salben haben ihren Preis, eine Laborausstattung muss angeschafft werden. Um meine Studien in der Bekämpfung des Übels voranzutreiben, werde ich auch Bücher benötigen, oder Mittel, um geeignete Bibliotheken aufzusuchen. Alles Dinge, die der Orden durch großzügige Spenden wohlhabender Unterstützer bereitzustellen wusste. Mir ist bewusst, dass Euch dies zu bezahlen nicht möglich sein wird. Doch müsstet Ihr mir auf die eine oder andere Art Gelegenheit geben, die nötigen Mittel zu beschaffen.”
Die Worte Gudekars gaben Wunnemar zu denken. Seine Miene war einige Zeit lang undeutbar, bevor der Rabenmärker lang gezogen ausatmete und kaum merklich mit den Schultern zuckte.
“Selbstverständlich könnte ich euch ein großzügiges Zimmer, eine Studienstube auf Burg Talbruck zur Verfügung stellen und für euer leibliches Wohl würde ich schon sorgen.“ Gudekars Mine hellte sich deutlich auf und er bemerkte: „Mehr verlange ich für mein persönliches Befinden nicht.“ Seine Lippen formten ein leichtes Lächeln, während der Baron weitersprach.
„Im Dornenmoor werden Kräuter und Pilze für alchemistische Zwecke gesammelt, dort könntet ihr euch selbstverständlich für eure Zwecke bedienen. Das Moor ist eine der Einnahmequellen der Baronie. Dort gibt es seltene Pflanzen, die begehrt sind in bestimmten Kreisen.”
Wunnemar schmunzelte. “Ich verstehe davon nicht viel, aber…” Der Magier schaute ihn neugierig herausfordernd an.
Die Lippen des Rabenmärkers spitzten sich für einen kurzen Moment, ihm schien etwas eingefallen zu sein. Es brauchte erneut eine kleine Weile, bevor Wunnemar mit gesenkter Stimme fortfuhr: “Im Dunstkreis meines Hofes gibt es zwei von Mada gesegnete, die kein Gildensiegel tragen und unterschiedliche Professionen besitzen – Naturzauberer könnte man vereinfacht ausdrücken. Beide sind mir treu ergeben.” Wunnemar nickte wiederholt, wie in einer selbstbestätigenden Geste. “Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr dort auch etwas lernen könntet. Etwas, dass abseits der wissenschaftlich geprägten Magie der Akademien liegt.”
Schmunzelnd lauschte der Anconiter den Worten Wunnemars, doch versuchte er, einen rügenden Blick aufzusetzen. Ihm gelang dies jedoch so schlecht, dass seine folgenden Worte – gewollt oder ungewollt – zutiefst ironisch wirkten. „Aber Euer Hochgeboren! So etwas solltet Ihr hier in den Nordmarken nicht einmal andeuten!“ Er schaute für einen Wimpernschlag strafend auf den Rabenmärker, musste aber sofort wieder grinsen. „Doch, Hesinde sei Dank, habe ich meine Ausbildung in Donnerbach erfahren und stehe den verschiedenen Spielarten der arkanen Künste offener gegenüber, solange sie dem Wohle dienen.“ Ein Umstand, der dem Baron sehr wohl bewusst war. Wunnemar war vorsichtig in diesen Dingen, handelte es sich bei beiden Personen, deren Existenz er angedeutet hatte doch um Mitglieder seines Hauses. Eine davon war gar sein lange verschollen gegoltener Bruder. Doch bei Gudekar sagte Wunnemars Menschenkenntnis, dass er ihm zumindest soweit vertrauen konnte, diese Dinge in den Mund zu nehmen. Alles andere würde sich dann ohnehin in der Rabenmark zeigen, wenn ihre Wege sie gemeinsam dorthin führen würden.
Der Albenhuser holte indes tief Luft. Er genoss die sich langsam abkühlende Luft. „Meine Erfahrungen zeigten mir, dass gerade die naturverbundenen Magiewirker oftmals wertvolle Erkenntnisse über die Möglichkeiten gesammelt haben, Körper und Geist zu heilen. Dies klingt alles äußerst interessant.“
Gudekar unterbrach seine Worte und schaute in den Himmel. Seine Gesichtszüge ließen einen Menschenkenner vermuten, dass es noch etwas gab, was er zur Sprache bringen mochte. Doch wusste er nicht, wie er anfangen sollte. So blieb er eine Weile stumm. Wunnemar wollte gerade das Wort ergreifen, als Gudekar dann noch eine Frage stellte. Doch war es ihm anzusehen, dass diese nicht das einzige war, das den Magier beschäftigte. „Wie stellt Ihr Euch meine Dienste vor? Wie könnte ich Euch und Eurem Land am besten dienen, Wunnemar?“
“Da gibt es vieles, was mir sogleich bei eurer Frage in den Sinn kommt”, antwortete der Rabenmärker, diesmal ohne nachzudenken. Es sprudelte aus ihm heraus und Gudekar erkannte, wusste, dass Wunnemar nicht spekulierte. Nein, er sprach von realen Gefahren, denen er bereits begegnet war.
“Wir haben Grenzreiter, die dann und wann immer noch vereinzelte Söldnergruppen aufschrecken. Nicht immer gehen diese Aufeinandertreffen unblutig aus.
In den Wäldern der Rabenmark gibt es vereinzelte, von den Jenseitigen befleckte Tiere, grotesk entstellt. Sie sind zum Teil aggressiv und dann auch äußerst gefährlich, selbst wenn sie eigentlich nur einfache, harmlose Pflanzenfresser sein sollten.
Im Dornenmoor gibt es Schlangen, große Springegel und… schlimmeres. Naja und Dornen, die selbst zäheste Stoffe zerreißen, wenn man ihnen zu nahe kommt. Verletzungen und kleinere Vergiftungen, zum Teil auch einfach Krankheiten aufgrund von verdorbenen, verseuchten Pilzen aus dem Wald oder ähnliches sind fast an der Tagesordnung.”
Wunnemar holte einmal tief Luft, dann fügte er an: “Es gäbe sehr viel zu tun. Ihr könntet dort viel Gutes bewirken.”
Während der Ausführungen des Barons nickte Gudekar die ganze Zeit verstehend mit dem Kopf. All dies klang nach viel Arbeit. Viel und harter Arbeit. Das war auch nicht anders zu erwarten. Mit solch einer ähnlichen Antwort hatte Gudekar gerechnet. Es war gut, denn es waren, so klang es, herausfordernde Gebrechen, die ihn dort erwarten würden. Nicht die üblichen Wehwehchen, mit denen die Menschen in Albenhus zum Kloster rannten. Gudekar drehte seinen Zauberstab mit den Händen, so dass sich ein kleiner Krater im Boden bildete. “Ihr habt noch immer viele Schlachten zu schlagen in eurem Land. Nicht unbedingt auf dem Schlachtfeld, aber an vielen Fronten. Dies erledigen Eure Vasallen für Euch?” Der Magier ließ bewusst offen, worauf seine Frage abzielte. Es war auch in seinem Gesicht nicht abzulesen.
“Das tun sie, alle”, erwiderte der Baron mit bedrücktem Unterton. “Es gibt schwarze Schafe, Menschen, die mit dem Glauben an die Dunkle Mutter und den Feurigen Vater aufgewachsen sind. Ihr Weltbild aufzubrechen und sie die Liebe der wahren ZWÖLF zu lehren ist die größte aller Aufgaben.
Meine Mutter hat die Ländereien meiner Familie niemals verlassen, sie herrscht als meine Vögtin dort. Ich kann mir niemand besseren vorstellen. Sie kennt dort nahezu jeden Menschen, jeden Baum und jeden Stein.
Wir haben Hilfe. Der Dreischwesternorden ist dort. Unser Perainetempel ist seit einigen Jahren geweiht, der Traviatempel, dessen Grundstein wir nach dem Rabenmarkfeldzug gelegt haben, inzwischen auch. Der Weg ist der richtige, man muss nur den langen Atem und die konsequenz besitzen, ihn zuende zu gehen. Zum Wohle des Volkes und des Landes.”
„Gut. Sobald meine Mission hier in den Nordmarken vollendet ist, werde ich Euch die nächste Zeit in Tälerort unterstützen. Dies scheint mir eine lohnenswerte Herausforderung zu sein“, versprach der Anconiter. In Gedanken ergänzte er: ‚und es gibt mir den Abstand von Albenhus, den ich benötige.‘ An Wunnemar gewandt ergänzte er stattdessen: „Die Zeit bis dahin werde ich nutzen, meine Angelegenheiten in Albenhus zu regeln.“ Er machte eine kurze Pause, um seinen folgenden Worten mehr Nachdruck zu verleihen. „Ich gehe davon aus, Wunnemar, dass Ihr dies akzeptiert, ebenso wie die Tatsache, dass ich auch dann, wenn ich in Euren Diensten stehe, gegebenenfalls zu von mir bestimmten Zeitpunkten vorübergehend in die Nordmarken zurückkehre.“ Er biss sich auf die Lippe, denn als die Worte ausgesprochen waren, war er sich nicht sicher, ob eine solche Forderung angemessen war, oder ob er sich hier zu weit hervor gewagt hatte. Deshalb ergänzte er schnell: „Natürlich nur, wenn es die Umstände in Tälerort erlauben!“ “Gudekar”, sprach Wunnemar mit warmherziger Stimme, “ihr kommt nicht an meinem Hofe, um mir zu Dienen und zu Gefallen zu sein, sondern um euch dem selben Ziel zu verschreiben, dem ich in meiner Heimat folge. Jeder Tag, den ihr in Tälerort weilt, wird meine Dankbarkeit euch gegenüber wachsen lassen.
Es ist wie mit meinen Brüdern und Schwestern des Orgilsbundes, die dort an meiner Seite standen und stehen. Es gibt kein Anrecht oder Forderung, wir stehen zueinander im Sinne der göttergefälligen Ordnung und zum Heil von Land und Leut.”
Gudekar atmete erleichtert aus und kurzzeitig lächelte er beruhigt. Aber es war dem Albenhuser deutlich anzusehen, dass es immer noch etwas gab, dass ihm auf dem Herzen lag. Er schien etwas nervös zu werden und wechselte von einem Bein auf das andere.
“Und nun Gudekar, heraus damit, was treibt euch noch um, ich sehe doch, dass ihr mindestens eine, weitere Frage habt, die ihr mir stellen wollt?”, sprach der Rabenmärker fordernd, aber das in einem gutmütigen Ton.
“Heraus damit, vergesst den Standesdünkel. Ihr habt euch bereit erklärt an meiner Seite zu stehen, wer wäre ich, wenn ich dann nicht versuchen würde eure…”, Wunnemar zuckte mit den Schultern, “Bedenken… auszuräumen?”
„Nun, ähm“, begann Gudekar. „Bedenken habe ich keine. Ich sehe meinen Platz in nächster Zeit an Eurer Seite. Es ist eher… Ich mache mir Gedanken um die junge Dame Croy, die uns bei unseren Ermittlungen begleitet hat, die Knappin, die mit dem Traurigensteiner reist. Sie hat sicherlich den Mut einer jungen Löwin, doch Ihr habt sie kennengelernt, sie ist ebenfalls so wild wie eine junge, ungezügelte Stute.“ Der Anconiter war sich nicht sicher, ob dieser Vergleich falsch verstanden werden konnte, deshalb ergänzte er: „Ich meine, sie hat eine flinke Zunge.“ Oh nein, dies war ja noch doppeldeutiger! Sein Gesicht lief rot an. „Also, ich sorge mich, ob sie auf Dauer ein Geheimnis von solchem Gewicht für sich behalten kann, wenn sie nicht kontrolliert wird. Ich denke, sie wird in nicht allzu ferner Zeit den Ritterschlag erhalten. Dann verlässt sie vielleicht das Haus ihres Schwertvaters. Und wer hat sie dann im Blick?“ Gudekar machte eine bedeutungsvolle Pause. „Wunnemar, ich habe überlegt, ob es nicht sinnvoll wäre, sie mir zur Seite zu stellen, als meine Leibwache sozusagen. Wenn ich durch Eure Lande ziehe, um Gutes zu tun, könnte sie für meinen Schutz sorgen. Wenn ich in der Burg verweile, könnte sie Eure Streitkraft gegen die dunklen Kräfte verstärken.“
Der Rabenmärker wirkte für einen Moment irritiert ob der Ausführungen Gudekars. Dieser hatte jedoch nicht das Gefühl, dass dies an den Zweideutigkeiten lag.
“Sie ist die Knappin des Traurigen Steiners und meiner Meinung nach noch nicht reif für den Ritterschlag. Ihr fehlt die Demut, sie ist zu impulsiv, hitzköpfig. Doch es ist letztlich seine Entscheidung. Bis zu ihrer Schwertleite aber, wird sie gehen, wohin er geht.”
Gudekar schluckte. Seine Nervosität war spürbar. „Ich, ich“, stotterte er, „ich meinte ja auch, nach ihrer Schwertleite, wenn der Herr Thymon sie nicht mehr unter Kontrolle hat. Ich bin mir ihres unsteten Wesens durchaus bewusst. Und dennoch hat sie mein vollstes Vertrauen. Es gäbe kaum jemanden, dem ich…“, er brach den Satz ab und blickte zu Boden. Abermals schob er mit dem Fuß Kieselsteine hin und her. „Nun, ich würde mich wohler fühlen, wüsste ich sie an meiner Seite.“
Wunnemar wirkte skeptisch, was sich auch in seiner Stimmlage wiederspiegelte.
“Gudekar, ich möchte euch nicht zu nahe treten, aber könnte es sein, dass es noch weitere Gründe gibt, warum ihr besagte, junge Frau gern an eurer Seite wissen möchtet?”
Der Magier lief rot an, blickte seinem Gegenüber jedoch fest in die Augen. „Wunnemar, seid meiner Dienste für Euch versichert, egal ob die Dame Croy an meiner Seite stehen wird oder nicht! Ich gebe Euch mein Wort!“ Als an Wunnemars Blick offensichtlich wurde, dass er sich nicht damit zufrieden geben würde, dass der Anconiter auf diese Art der Frage auswich, lenkte er seinen Blick auf die Statue. „Nun, es war während unseren gemeinsamen Nachforschungen nicht die erste Begegnung zwischen dem Herrn vom Traurigenstein, Meta – ich meine der Dame Croy – und mir. Wir sind uns bereits zuvor begegnet.“ Ein süffisantes Lächeln stahl sich auf die Züge des Rabenmärkers.
“So so”, sagte er so neutral, wie er es vermochte. “Mehr muss ich wohl nicht wissen.”
Mit diesen Worten legte er Gudekar den Arm um die Schulter. “Damit kann ich gut leben.
Kommt, lasst und am Schrein des Weißen Jägers niederknien und beten. Er war uns wohlgesonnen auf der vergangenen ‘Jagd’.”
Gudekar war verblüfft. Er hatte mit so ziemlich jeder Reaktion gerechnet, in erster Linie jedoch mit einer Standpauke oder einer strikten Ablehnung durch den Baron, zumindest jedoch mit weiteren Nachfragen. Entsprechend verdattert schaute Gudekars Gesicht aus. „Für Euch wäre es kein Problem? Ihr könntet es akzeptieren?“ Gudekar konnte es kaum glauben. Ein zufriedenes, von Dankbarkeit geprägtes Lächeln zog sich über sein Gesicht.
Wunnemar legte kurz den Kopf schief und hob beide Augenbrauen, eine Geste, die Gudekar nur aus den Augenwinkeln wahrnehmen konnte.
“Ich wege ab, so einfach ist es. Das, was ihr in Tälerort leistet könntet, wiegt ein bisschen ‘Bauchweh’ meinerseits auf. Doch vergesst nicht, dass die Rabenmerk einst Teil von Darpatien war und dereinst wieder seien wird. Es ist das Land der gütigen Mutter. Erzürnt sie nicht. So ihr aufrechte Absichten habt, was diese Meta Croy betrifft, so werde ich über einiges hinwegsehen, wenn”, der Baron machte eine Pause und drehte seinen Kopf zu Gudekar, damit dieser seine ernste und auch warnende Miene sehen konnte. “Wenn ihr es heimlich tut und weder Hof noch Volk etwas davon mitbekommt.”
Nach diesen Worten klopfte der Rabenmärker dem Magus erneut auf die Schultern und sein Blick glitt wieder zu ihrem näherkommenden Ziel am Waldrand.
Der Magier legte dem Rabenmärker die rechte Hand auf die Schulter und schaute ihm in die Augen, während er sprach.„Danke, Wunnemar, nun stehe ich wahrlich in Eurer Schuld! Die Aufgaben, die uns bevorstehen erfordern ein hohes Maß an Vertrauen. Wenn ich an Eurem Hofe wirken soll, dann müsst Ihr mir ein hohes Vertrauen entgegen bringen. Nicht alles, was ich bei meiner Arbeit tun werde, wird sich einem Manne sofort erschließen, der nicht mit den arkanen Künsten vertraut ist. Deshalb ist ein gegenseitiges Miteinander überaus wichtig. Doch wenn ich dieses Vertrauen von Euch verlange, so ist es selbstverständlich, dass auch ich mich Euch gegenüber öffne dieses Vertrauen. Deshalb dürft Ihr mir sehr gern weitere Fragen stellen, jetzt oder später, von denen Ihr denkt, dass ich Euch Antworten schuldig bin.“
Der Albenhuser machte eine Pause, während der er dem Blick des Rabenmärkers standhielt. Hier und jetzt wusste der Anconiter, was er wollte. Er war sich so sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, wie er sich schon lange nicht mehr sicher war. Diese Entschlossenheit spiegelte sich auch in seinen Augen wieder. Dann lächelte er und sprach weiter: „Eine hervorragende Idee, danken wir dem Herrn Firun für eine erfolgreiche Jagd unter den Augen seines Heiligen, gegen einen Feind, der nicht den firungefälligen Tugenden folgte! Meine Schwester wäre vermutlich stolz auf uns, wenn wir dem Meister der Disziplin huldigen.“
Und so beteten die beiden so ungleichen Männer in dem Wissen, dass sie eine Übereinkunft getroffen hatten und bald eine Zeit lang Seite an Seite stehen und jeder auf seine Weise kämpfen würde.
Entbehrungsreich war das Leben in der Rabenmark, ebenso wie das des einsamen Jägers. Wo, wenn nicht am Schrein des Weißen Mannes, hätten sie ihren Bund besser besiegeln können?

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