Veränderungen

Szenen aus dem Wohnzimmer – Alltägliches und Tiefsinniges:
Veränderungen

Ort: Wohnung Circes und Darios

Zeit: 2. Hälfte FIR 1045 BF

Personen:


Eines grauen Wintertags kommt Dario nach Hause zurück, mit einer Miene, daß selbst Nuphara, die schon einen munteren Spruch parat hat, ihm mit leisem „Oh-oh“ schleunigst aus dem Weg fliegt. Er verschwindet im Arbeitszimmer und kommt sehr, sehr lange nicht heraus. Circe, die mit ihrer Scholarin im Labor beschäftigt ist, bekommt von alledem nichts mit. Als sie Stunden später das Arbeitszimmer betritt, findet sie dort Darios Arbeitsplatz penibel geputzt und aufgeräumt, Bücher und Schriften neu sortiert. Auf dem Schreibtisch liegen einige ältere Briefe aus Orgils Heim, Storchengarten und anderswo, eine Karte der Nordmarken sowie Manuskripte, an denen Dario schon seit Jahren nicht mehr weitergeschrieben hat. – Dario selbst findet sie scheinbar entspannt in der Guten Stube in seinem Lesesessel sitzen, vertieft in eine Ausgabe der »Nordmärker Nachrichten«, einen Stapel weiterer Hefte neben sich.

Was ist los? Was ist denn Schlimmes geschehen?“, fragt Circe.

Verwundert schaut Dario sie an – übertrieben verwundert. „Nichts. Was soll denn geschehen sein?“

„Liebster, ich kenne dich gut genug“, entgegnet Circe. „Wenn dich etwas bedrückt, dann möchte ich damit behelligt werden.“ Auf eine frühere Bemerkung Darios über ihre Scholarin anspielend fügt sie hinzu: „Wenn ich jetzt auf dem Zahnfleisch gehen würde, hätte ich ein gewisses Verständnis für dein Schweigen, aber so ein Monsterpersönchen ist die junge Dame ja nun nicht.“

Dario lächelt, auch dies etwas angespannt, findet Circe. „Durchaus nicht, durchaus nicht. Zuweilen sogar erschreckend umgänglich. Wie macht sie sich denn? Was habt ihr heute durchgenommen?“

Circe insistiert: „Ich warte immer noch auf die Behelligung. Lenk nicht ab. Du kannst dich natürlich für meine ‚eigenmächtige‘ Annahme der jungen Dame revanchieren, aber irgendwann wirst du die Boltankarten aufdecken müssen.“

Alle Ausflüchte helfen Dario nichts, umso mehr, als dies ein ganz ungewöhnliches Verhalten für ihn ist und Circe sich ernste Sorgen zu machen beginnt. Erwartungsvoll blickt sie ihn an.

„Ach naja ...“ Darios Lächeln und heiterer Tonfall wirken nun beinahe echt. Circe kann er freilich nichts vormachen. Etwas muß ihn zutiefst erschüttert haben. „Ihre Hochgeboren und ich kamen überein, daß sich unsere Wege als medizinisch Betreute und ärztlicher Betreuer trennen sollten. Ich bin meiner Aufgaben als Leibmedicus entbunden.“

Circe erstarrt zunächst, ergreift dann aber Darios Handgelenk. Sie zieht ihn sanft aus dem Sessel und umarmt ihn zum Trost. Leise flüstert sie: „Wenn ich rausgeflogen wäre, hätte ich das ja noch verstanden – und diesem Pamphletisten die Schuld dafür in die Schuhe geschoben.“ Dann sagt sie in normaler Lautstärke: „Und das gerade jetzt. Deshalb die Frage, wann ich wieder nach Punin gehe.“

„Und? Wann gehst du?“ Sacht entzieht sich Dario der Umarmung, bleibt aber dicht bei Circe stehen.

Circe entgegnet entsetzt: „Das weiß ich nach dieser Nachricht doch nicht. Das ist unter Umständen sogar ein Grund, das Seminar ein Jahr später stattfinden zu lassen.“

Dario wiegt nachdenklich den Kopf. „Warum? Ich könnte wieder mitgehen. Punin genießen, mich umsehen ...“

„Natürlich kommst du mit“, erwidert Circe, „bist du doch sonst auch. Aber wenn du nach Alternativen suchst, was angesichts deiner Lektüre naheliegend ist, werden wir einiges zu organisieren haben. Die Mitteilungen an meine Alma Mater und die werte Grandenfamilie sind die Dinge, die den geringsten Aufwand bedeuten. Um es klar zu sagen: Wenn du gehst, werde ich nicht bleiben. Offene, konkrete Aufgaben, deren Erledigung ich zugesagt habe, erfülle ich natürlich, auch nach meinem Weggang. Ich hoffe, deine Enttäuschung über die Sache ist nicht so groß, daß du mir das übel nimmst.“

„Langsam! Langsam!“ Dario hebt beschwichtigend die Hände. „Noch bin ich Leiter des Hospitals. Wir werden zwar derzeit nicht von Patienten überrannt, aber zu tun gibt es ja wirklich einiges. Außerdem könnte ich mich wieder dem Sagensammeln widmen oder etwas dieser Art.“ Er weist in Richtung des Gazetten-Stapels. „Enttäuschung ...“, fährt er nachdenklich fort, „ja, enttäuscht bin ich schon. Ansonsten ... Im Moment nicht einmal mehr wütend. ‘Perplex’ trifft es am ehesten. Und ich zweifele völlig an meiner Kenntnis des menschlichen Gemüts. Im Moment frage ich mich, ob ich nicht besser als Feldscher oder Kräuterteemännlein meine Tage fristen sollte.“

„Feldscher und Kräuterteemännlein?“, fragt Circe zurück. „Weil Erkomir schon den Kartoffelacker bestellt, oder was?“

„Rübenacker“, murmelt Dario.

„Mach dich bitte nicht runter.“

„Hast ja recht“, brummt Dario, „ich ver-erkomire.“

„Natürlich kannst du auf Feldscherei und Kräutertee machen“, meint Circe, „auch da stehe ich hinter dir. ‚Falls du gehst‘, hätte ich sagen sollen. Aber wenn dich das nicht ausfüllt, dann sei bitte konsequent. Du horchst in dich rein und bist ehrlich zu dir selbst, ja?“

Dario nickt.

„Und im Notfall bin ich ja auch noch da.“

„Weiß ich doch.“ Diesmal wirkt Darios Lächeln sogar echt. Kurz zieht er Circe an sich und küßt sie.

„Gab es eigentlich einen Grund für diese Entwicklung?“, fragt Circe.

Dario atmet tief durch. „Sagen wir: es gab eine grundlegende Divergenz in den Ansichten. Für mich völlig überraschend, das irritiert mich so. Ich muß darüber erst nachdenken.“

„Du behältst das Ergebnis aber nicht für dich!“

„Ich werde es dir umgehend mitteilen“, erwidert Dario ernst und gibt ihr einen weiteren Kuß. Dann schiebt er sich den Sessel vor den Kamin und vertieft sich in eine weitere NN. Eine Weile später lacht er bei der Lektüre sogar kurz auf.


(Anm.: Erkomir ist ein Magus und gemeinsamer Freund, der sich in einem Stimmungstief schon für den Rest seiner Tage als Besteller eines Rübenackers sah.)