Kreuzweiher

Szenen aus Witzichenberg – Alltägliches und Tiefsinniges:
Kreuzweiher

Ort: Edlengut Kreuzweiher in Witzichenberg

Zeit: Anfang Efferd 1045 BF

Personen:


Es war ein sonniger Morgen, an dem Melinde sich und ihre Tochter Eleonore in ihrer Kutsche zum Gut Kreuzweiher fahren ließ. Es war noch sommerlich, doch die kühleren Temperaturen wiesen schon auf das Scheiden des Sommers hin. Melinde blickte zufrieden aus dem Fenster auf bereits abgeerntete Felder. Die Ernte lief gut – Peraine sei Dank! Nicht mehr lange, und alles würde trocken in den Lagerhäusern und Scheunen untergebracht sein.

Da - Hase!“ krähte die kleine Eleonore fröhlich und zeigte aus dem Fenster.

Melinde drückte ihre Tochter, die auf ihrem Schoß saß, zärtlich an sich. In wenigen Tagen würde dieser Schatz zwei Jahre alt werden.

Den Weg nach Kreuzweiher fuhren die beiden fast jede Woche. Es war Melindes Zuhause, der Ort, wo sie aufgewachsen war und sich geliebt wusste - bei ihrer Ziehmutter Liliane. Es war immer wieder ein Nachhausekommen und doch war es auch etwas fremd, so wie wahrscheinlich alle Kinder, die ausgezogen waren, diese leichte Distanz fühlten, wenn sie zu Besuch nach Hause kamen.

Die Kutsche hielt im Hof des Gutes und eine Dienerin sprang vom Kutschbock, um Melinde die Tür zu öffnen. Melinde stieg aus und begab sich ins Haus, wo Liliane schon im Kaminzimmer auf sie wartete. Obwohl es erst Efferd war und die Temperaturen noch nicht niedrig, brannte im Kamin ein kleines Feuer.

Liliane erhob sich aus ihrem Lehnsessel und fing Eleonore auf, die sich vor Freude quietschend in die Arme ihrer „Nana“ warf.
Guten Morgen“, wünschten sie einander und Melinde gab ihr ein Küsschen auf die Wange.

Ist Dir nicht gut, dass Du jetzt schon ein Feuer im Kamin entzündest, oder ist es für Eleonore?“, erkundigte sich Melinde.

Es ist für uns beide“, erhielt sie zur Antwort. „Ich friere inzwischen leichter.

Die beiden unterhielten sich miteinander, während sie mit dem Kind auf einem Teppich spielten. Nach einer Weile läutete die ältere Dame und eine Zofe erschien.
Ich möchte mit Ihrer Hochgeboren etwas besprechen. Bitte bringt das Mädchen in die Küche und gebt ihm dort einen Becher Milch und vielleicht ein süßes Brötchen, wenn es mag.

Jaaa!“, ertönte die begeisterte Antwort.

Die Zofe streckte dem Kinde die Hand entgegen und vertrauensvoll ergriff die kleine Hand die große. Die beiden Frauen blickten zärtlich dem kleinen Mädchen mit den blonden Locken nach.

Als sie das Zimmer verlassen hatten, blickte Melinde ihre Ziehmutter auffordernd an.

Verzeih, wenn ich Dich mit diesem Gespräch überfalle, aber was würde es ändern, wenn ich zuvor um eine Audienz gebeten hätte?

Nana, Du brauchst mich doch nicht um eine Audienz zu ersuchen! Was hast Du auf dem Herzen?

Es geht um das Gut. Um Kreuzweiher.

Was ist damit? Die Ernte war sehr gut und auf dem Weg hierher habe ich nichts gesehen, was nicht in Ordnung war.

Mir wird die Last, dieses Gut zu führen, langsam zu viel. Bereits vor vielen Götterläufen hat Herr Boron meinen Gemahl zu sich genommen und seitdem habe ich hier alles bewirtschaftet und geführt. Ich habe mehr als 70 Sommer kommen und wieder gehen sehen und jetzt merke ich, wie meine Kräfte nachlassen. Ich bitte Dich, mich von meinen Aufgaben und Pflichten zu entbinden“, behutsam kniete die ältere Frau vor der jüngeren, die nicht nur ihre Tochter, sondern auch ihre Lehnsherrin war, nieder.

Nana!“, erschrocken kniete sich Melinde zu ihrer Ziehmutter und schloss sie zärtlich in ihre Arme. „Bist Du krank? Hast Du Herrn Doktor Eraldo konsultiert?

Ja, mein Liebling, das habe ich, aber mir fehlt nichts. Nichts, außer dem Alter. Ich spüre, wie meine Kräfte langsam nachlassen und man muss sein Haus mit fester Hand führen. Ich möchte diese Pflicht abgeben, bevor ich das Gut herunter wirtschafte. Jetzt übergebe ich ein wohlbestelltes Haus und ich bitte Dich, mich von meinem Eide zu entbinden!

Nana“, etwas ratlos ließ Melinde sich auf den Teppich sinken. „Wer soll es übernehmen?

Nun, Quirin war Anfang Rondra hier, als Du zu Gast auf dem Elsternschloss in Klippag weiltest. Ich habe ihn gebeten, mich zu besuchen und habe die Angelegenheit mit ihm besprochen. Er leitet sein Weingut und sein Kontor in Elenvina. Nach Witzichenberg möchte er nicht zurückkehren. Meiner Tochter Maximiliana habe ich nach Kuslik geschrieben. Sie lebt dort recht zufrieden und widmet sich ihrer Malerei, auch sie möchte nicht nach Witzichenberg zurückkehren.

Was ist mit Deiner jüngsten Tochter, Selindiane?

Auch sie möchte das Gut nicht übernehmen.

Möchtest Du hier wohnen bleiben? Oder wirst Du zu einem Deiner Kinder ziehen? Kuslik ist sicher eine interessante Stadt. Oder zu Deinem Sohn Quirin. Auf dem Weingut ist es bestimmt schön und Du hast Deine Familie um Dich.

Tief blickte Liliane in die Augen der jungen Frau. „Ich bin in Witzichenberg zuhause und werde hier nicht fort gehen. Mit Ihrer Hochwürden Elfriede Gumbeltritt verbindet mich eine sehr lange Freundschaft. Sie hat mir angeboten, dass ich ein Quartier im Perainetempel beziehen kann. Dort kann ich mit meiner Heilkunst noch von Nutzen sein. Und die Bäder in den heißen Quellen werden meinen alten Knochen wohl tun. Ich bitte Dich nur, mir eine kleine Rente auszusetzen, damit ich mein Auskommen habe, obwohl ich natürlich auch einige Ersparnisse habe.

Du willst in den Peraine Tempel ziehen?“ fragte die Baronin vollkommen irritiert.

Liliane schwieg.

Warum ziehst Du nicht zu uns nach Tannwirk?“ fügte Melinde hinzu. „Wir wären glücklich, Dich bei uns zu haben. Du könntest mehr Zeit mit Eleonore verbringen und weitere Aufgaben, dass Dir nicht langweilig wird, finden wir schon.

Ein warmes Lächeln überzog das Gesicht der älteren Frau. Sie hatte auf ein solches Angebot gehofft. Glücklich schloss sie ihre Ziehtochter in die Arme.

Nach einigen Momenten der stillen, glücklichen Umarmung erhob Liliane sich langsam und nahm wieder in ihrem Sessel am Feuer Platz. Melinde setzte sich ihr gegenüber in einen zweiten Sessel.

Liliane fragte: „Hast Du mal daran gedacht, Ingrawin, Deinen Gemahl, zu versorgen?

Wie meinst Du das?

Was wird aus ihm, falls Dir etwas zustößt?

Er verfügt über seine Apanage, die bliebe ihm auch nach meinem Tode.

Du solltest Gut Kreuzweiher in seine fähigen Hände legen. Er hat seine Heimat verlassen und ist Dir nach Witzichenberg gefolgt. Sogar seinen Namen hat er für Dich aufgegeben. Glaubst Du nicht, dass er Gut Kreuzweiher verdient hat? Es ist mein Zuhause und das Deine auch. In wessen Obhut würdest Du es lieber sehen?

Nana, ich glaube, Du hast recht!


(Autor: Windwanderer SGS)