Papier ist geduldig (Teil IV)

Verstärkung für die 'Komissare'

Grimbald

Ganz harmlos hatte es geklungen. „Dieses götterlästerliche Schmierwerk wurde im Ort gefunden – bringe es nach Elenvina und gib’ es bei den zuständigen Stellen ab, damit es nicht heißt, wir würden solcherlei Tun unterstützen.“ Mit diesen Worten hatte ihm sein Vater einen gesiegelten Brief übergeben, in dem Grimbald vor einigen Atemzügen ein angeschmuddeltes Papier, das er erschrockene Dorfschulze heute morgen abgegeben hatte, hatte verschwinden sehen. Dennoch hatte er einen viel zu langen Blick auf das Pamphlet werfen können. Folgendes hatte er dort gelesen:

Wider die Finsternis!

Höret, höret, höret! Ein finsterer Tyrann sitzt auf dem Hirschenthron, umgeben von einer ehrlosen Meuchlerbande!

Hartuwal Gorwin II. vom Großen Fluss schimpft sich der Tyrann - rechtmäßiger Herzog glaubt er zu sein! Koradiner schimpfen sich die Meuchler, die ihn umgeben - ehrbare Ritter glauben sie zu sein!

Das Haus vom Großen Fluss ist eine Familie der Mörder, Verräter, Räuber, Diebe, Lügner, Eidbrecher und Heuchler! Der Glaube an den Herrn PRAios HEILIG! HEILIG! HEILIG!, den die Mitglieder des Hauses vom Großen Fluss vor sich hertragen, um den stinkenden Fisch auf ihrem Wappenschild zu überstrahlen, ist nurmehr ein Deckmäntelchen, das jetzt jedoch nichts mehr zu verbergen vermag.

Hartuwal Gorwin II. ließ seinen Vater Jast Gorsam morden, dieser seine eigene Gattin - wie es schon dessen Vater Hartuwal Gorwin I. vor ihm tat. Und zusammen versuchten Vater Jast und Sohn Hartuwal, das Raulsche Reich zu vernichten und damit die ZWÖlfgöttlichen Lande HEILIG! HEILIG! HEILIG!, den Mächten der Finsternis preiszugeben. Dreimal Schande über das ganze Haus vom Großen Fluss, auch über Frankwart und Hagrobald Guntwin, Schande auch über alle schon toten und alle noch nicht geborenen Träger des Barsch-Wappens! Schande über alle Koradiner, denn nichts als Mörder und Handlanger von Mördern sind sie! Aber auch Schande über die Geweihten der Gemeinschaft des Lichts HEILIG! HEILIG! HEILIG!, die wider besseres Wissen nichts gegen das Treiben eines Jast, eines Frankwart und eines Hartuwal unternahmen, sondern die üblen Taten dieser verderbten und den ZWÖlfen HEILIG! HEILIG! HEILIG! höhnenden Familie durch ihr Tun und ihr Unterlassen, durch ihr Lügen und ihr Heucheln doch erst ermöglichten!

Einzig das gleißende Licht des Herrn PRAios HEILIG! HEILIG! HEILIG! vermag die Nordmarken noch zu retten. Einzig der Herr PRAios HEILIG! HEILIG! HEILIG!, König der Götter und Gott der Könige, Herr der Gefilde Alverans, Himmlischer Richter, vermag uns noch den Weg aus der Finsternis zu weisen!

O Herre PRAios HEILIG! HEILIG! HEILIG!, erhöret unser erbärmliches Flehen, erhöret unser unwürdiges Bitten! Schenket uns Eure gerechte Gnade und erlöset die Nordmarken vom Haus vom Großen Fluss und den Koradinern!

O Herre PRAios HEILIG! HEILIG! HEILIG!, möge Euer Bannstrahl all' die treffen und vergehen lassen, in deren Herzen nicht Reinheit und Wahrheit und Licht, sondern Verderben und Falschheit und Finsternis wohnen!

Und so war Grimbald schließlich in Elenvina gelandet – und nach gutem Rat, was die ‚zuständige Stelle’ denn wohl sei, beim Stadtvogt gelandet. Eine Audienz hatte sich überraschend schnell ergeben, und so stand er dem Herrn Ardo von Plötzbogen-Schwertleihe in seinem Arbeitszimmer gegenüber. Dieser musterte ihn über seinen imposanten Schnauzbart hinweg und bot ihm einen Sitz. „Sagt, was hat euch hergeführt? Und wie war Euer Name nochmals?“

Als Grimbald das Haus des Stadtvogtes betrat, wurde ihm ein wenig unbehaglich zu Mute. Nein, wenn er ehrlich zu sich selbst war, beschlich ihn dieses Gefühl bereits, als er Elenvina mit diesem vermaledeiten Schreiben in der ledernen Umhängetasche betrat. Es schmorte an seiner Seite wie ein glühendendes Stück Kohle. „Wer mag wohl ein solches Schundblatt verfasst haben“, fragte sich Grimbald murmelnd. Schnell ordnete er seine Gedanken. Was ging es ihn an, sollte der Vogt seine Arbeit tun, er tat die Seine. Immer wieder bemerkte der junge von Finsterbinge, wie die vorbeigehenden Menschen ihn unverhohlen skeptisch musterten. „Überall das Gleiche“, murmelte er vor sich hin. Dass dieses Starren auf seine breite, von der Sonne rot gebrannte Nase her rührte, bedachte Grimbald nicht. Die Fahrt auf dem großen Fluss war für ihn zwar durchaus belebend gewesen, die Warnungen des Schiffers jedoch, hatte er als „Getue“ in den Wind geschlagen. Obwohl er nur kurz in der Stadt verweilen würde, sehnte er sich bereits zu seinen Aufgaben und in die Abgeschiedenheit seiner Schreibstube zurück. Monatelang hatte er sich bereits abgemüht um das Gut des Vaters wieder in Schuss zu bringen und was tat dieser als Dank, schickte ihn mitten in der jährlichen Abrechnung in die 80 Meilen entfernte Stadt. Einen Knecht wollte der alte Gero nicht schicken, dass hatte er ihm unmissverständlich klargemacht. Ein Schundblatt, mit Anschuldigungen in einem solchem Maße, vertraute der Vater lediglich seinem Erstgeborenen an. Wäre es nach Grimbald gegangen, hätte dies auch durchaus einer seiner umtriebigen Geschwister erledigen können. Genug Zeit hatte dieses reimende und trällernde Pack ja.

„Ach Grimbald, was regst du dich auf…“, beruhigte er sich selbst. Aber wo er schon mal hier war, konnten sich sicher einige Besorgungen machen lassen. Für die Abrechnung brauchte er dringend Papier und sei es nur eine Tasche voll. Ob sich dies hier vielleicht auch in größeren Mengen, einschließlich Lieferung, günstiger beschaffen ließe als sonst, würde man dann sehen. In Gedanken über Mengen und Rabatte versunken, hatte der junge Mann das Tor passiert und war auf den Marktplatz gelangt. Er besah sich die Auslagen der Händler und schmunzelte hier und da über die unangemessenen Preise. Von einer Stadtwache ließ er sich den Weg zum Haus des Vogts weisen. Als er dazu aufgefordert wurde, trat er nach kurzem Zögern ein.

Als der recht freundlich erscheinende Vogt ihn ansprach, antwortete Grimbald mit fester, tiefer Stimme:

„Mein Name lautet Grimbald von Finsterbinge, euer Wohlgeboren. Sohn des Gero von Finsterbinge.“

Diese Angewohnheit, die er in seinen Lehrjahren beim Pfalzgrafen übernommen hatte, würde er wohl nicht mehr los.

„Mein Vater bat mich euch ein Schreiben zu überbringen, welches der Dorfschulze einem Reisenden abgenommen hat.“ Mit diesem Satz zog er eilig den Umschlag hervor und händigte ihn dem Vogt aus. Erst dann ließ er sich auf das bequeme Sitzmöbel nieder und wartete ungeduldig auf seine Entlastung.

Der Stadtvogt indessen nahm das Papier entgegen, las es mit zusammengekniffenen Augen, seufzte und legte es vor sich auf den Schreibtisch. „Aus Angroschsgau seid Ihr, nicht wahr?“ Ein weiterer Seufzer entrang sich dem Stadtvogt. „Das Pack hat auch vor nichts und niemandem Respekt. Wann habt ihr denn diesen Wisch gefunden?“ Die klaren, aufmerksamen Augen des Vogtes wollten so gar nicht zu seinem behäbigen, gemütlichen Äußeren passen.

„Vor ungefähr 3 Tagen Euer Wohlgeboren. Ich bin, nachdem mein Vater mich instruierte und ich einige Reisevorbereitungen getroffen hatte, schnellstmöglich aus unserem Gut Raboschsalm in Angroschsgau aufgebrochen.“

An dem Verhalten des Vogts erkannte Grimbald, dass es sich wohl nicht, wie er bisher angenommen hatte, um einen Einzelfall handelt. Er zögerte kurz, ergänzte dann aber doch noch:

„Der Dorfschulze hat es einem Reisenden abgenommen. Beim Verhör wurde dem Schulzen zu Protokoll gegeben, dass das Schreiben wohl an eine der Eichen, die den Pfad von Eisenstein nach Angroschsgau säumen, genagelt wurde. Hier hat der Reisende das lästerliche Dokument nach eigenen Angaben entfernt, um es vor Zugriffen durch das gemeine Volk zu schützen und es der nächsten Gerichtsbarkeit auszuhändigen.“

Während er mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand seinen um den Mund verlaufenden schwarzen Bart nachstrich, dachte Grimbald über seinen vorgetragenen Bericht nach. Innerlich schalt er sich, den Namen des Reisenden nicht bei seinem Vater erfragt zu haben. „Wenn man nicht an alles selber denkt“, murmelte er an sich selbst gewandt.

Stadtvogt Ardo von Plötzbogen-Schwertleihe seufzte erneut und fuhr sich durch sein schütter werdendes Haar. „Das bin dann wohl ich.“ Mit einem leicht abwesenden Blick betrachtete er die Züge seines jungen Gegenübers. Dann erhellte ein Gedanke seine gramvollen Züge. Er schnippte mit den Fingern, an denen ein einzelner Ring mit einem dicken Smaragd glänzte. „Der Allwasservogt!“ Leicht war seine Miene geworden. „Seine Exzellenz Gorfang Reto vom Großen Fluss und von Brüllenfels hat sich doch dieser Schmähschriften angenommen! Ihm müßt Ihr diesen Schandzettel überbringen!“ Zufrieden lehnte der Stadtvogt sich zurück und faltete seine Hände über seinem wohlgerundeten Bauch. „Ihr solltet ihm unverzüglich Eure Aufwartung machen. Ihr findet Seine Exzellenz auf der Veste Eilenwïd-über-den-Wassern.“

Mit festem Blick trat Grimbald dem Vogt entgegen und nahm das ihm hin gehaltene Schreiben entgegen. Er würde diese lästerliche Schmähschrift schon noch loswerden und dann endlich zurück nach Raboschsalm reisen. “Danke für den Hinweis hoher Herr, ich werde das Schreiben sofort dort abgeben. Ähm, einen Boten könnt ihr nicht zufällig erübrigen, der diese Angelegenheit übernehmen könnte? Ach, ich mach mich auf den Weg, um so schneller der Wisch dort ankommt um so eher kann ich zurück reisen. Ich danke euch für eure Mühe…Gehabt euch wohl.“ „Junger Mann.“ Der Vogt schnaufte tief aus. „Euer Eifer ehrt Euch. Aber wenn Ihr in der Stadt bestehen wollt, dann solltet Ihr Euch einiger Regeln vergegenwärtigen.“ Ardo runzelte leicht die Stirn. Der Junge erinnerte ihn an seine eigenen Söhne und einige Erlebnisse, die er mit selbigen ebenfalls durchlebte. „Schleudert niemals einem Ranghöheren ein ‚Adieu’ ins Gesicht, wenn Euch dieser nicht entlassen hat. Dies möchte Euch übel bekommen.“ Umständlich kramte er in seinem Schreibtisch nach Pfeife und Tabaksbeutel. „Da ich diesen Ausrutscher jedoch Eurem Tatendrang und Eurem jugendlichen Ungestüm zuschreiben will, belassen wir es für dieses Mal dabei.“ Er blinzelte aus kurzsichtigen Augen. Doch der Empfehlungsbrief, den er ihm eigentlich für den Allwasservogt hatte mitgeben wolle, blieb ungeschrieben. Nun ja – der Bursche war aus der Provinz und würde es so oder so nicht bemerken, wenn er über Gebühr auf seine Audienz bei Seiner Exzellenz warten würde. Manche Erfahrungen konnte man den jungen Leuten nicht abnehmen. „Der Herr Praios möge sein Licht auf Eurem Wege leuchten lassen.“ Er erhob sich, darauf bauend, dass der junge Adelssohn es ihm gleichtun würde. „Nun lauft schon.“ Ein leichtes Schmunzeln lag auf den gutmütigen Zügen des Vogtes.

Grimbald bemerkte schnell, dass ihm sein Eifer, wenn er auch mehr darauf gerichtet war wieder zurück zu seinen Geschäften zu kommen als zur Veste Eilenwïd über den Wassern, mal wieder im Weg gestanden hatte. Etwas reumütig, wenn auch trotzdem den Blick fest auf den Vogt gerichtet, erhob er sich und machte sich nach wenigen Abschiedsfloskeln ein wenig entnervt auf den Weg zur Veste. Wann sollte ihn dieser Papier gewordene Fluch endlich verlassen. Er hoffte sich bei Seiner Exzellenz dessen entledigen zu können. Hatte er schon mal etwas von Gorfang Reto vom großen Fluss gehört, was ihm die Unterhaltung ein wenig einträglicher machen würde als die Vergangene? Nein, wohl eher nicht. Eines wusste er aber. Diesmal würde seine Ungeduld nicht wieder mit ihm durchgehen. Die auf der Herzogenpromenade flanierenden Menschen ließen ihn diesmal ebenso unbeachtet, wie er sie. Mit schnellem Schritt stapfte er die letzten Meter zur Veste. “Ein imposantes Gebäude!”

Und das war die Eilenwïd-über-den-Wassern in der Tat. Weiß gekalkt leuchtete der Bergfried der Herzogenburg, der ‚Dicke Eppo’, über die grauen Mauern der Burg, die sich auf einer Klippe direkt am Großen Fluss weit über die Stadt erhob. Wehrhaft standen die Mauern und vermochten nahezu jeden Angreifer abzuwehren, wie auch der Angriff einiger Thorwaler vor einigen Jahren gezeigt hatte. Das wuchtige Burgtor war geöffnet, und zu jeder Seite standen drei Wachen in den blau-weiß-grünen Farben der Flussgarde. Wie jeder Passant wurde auch Grimbald nach seinem Woher und Wohin gefragt, und schließlich zum Arbeitszimmer des Allwasservogtes geführt. Sehr unbekannt war die Situation nicht – auch Seine Exzellenz Gorfang Reto vom Großen Fluss empfing den jungen Edlensohn nach einer mäßigen Wartezeit, während der Grimbald eines emsigen Betriebes auf den Gängen der Herzogenburg gewahr wurde. Wie in einem Bienenstock schien es zuzugehen. Zwar war von übermäßiger Eile oder Sorge keine Spur, doch schien dieser große Haushalt, von dem aus die Geschicke eines ganzen Herzogtumes verwaltet wurden, auf das Beste durchorganisiert zu sein. Endlich wurde auch Grimbald in das Arbeitszimmer des Allwasservogtes gerufen. Ähnlich wie beim Stadtvogt verlief die Begrüßung, und nahezu gleich waren die Fragen. „Was führt Euch zu mir?“ Gorfang Reto, ein attaktiver Mittfünziger mit hellbraunen Augen und von hochgewachsener, aber nicht über Gebühr fülliger Statur, strich sich über seinen akkurat getrimmten Vollbart, vom gleichen Dunkelbraun wie sein dichtes Haupthaar. Mit ruhigem Blick musterte er den jungen Mann, und irgend etwas an der Haltung des Älteren ließ darauf schließen, dass der Tag heute für ihn schon recht lange gewesen war.

Das lange Warten hatte Grimbald noch ungeduldiger gemacht als er bereits gewesen war. Immer wieder hatte er das Blatt Papier mit seinen Fingern gerollt und gedreht, bis es ihm nun fast unangenehm war, es dem Allwasservogt in diesem Zustand aushändigen zu müssen. Aber sollte es doch so aussehen wie das, was es war, nämlich Schund.

Nicht unbeeindruckt vom Pomp der Feste, war Grimbald, nachdem er dazu aufgefordert worden war, in die große Halle eingetreten.

“Eure Excellenz, wie schon erwähnt lautet mein Name Grimbald von Finsterbinge, Sohn des Gero von Finsterbinge aus Raboschsalm in Angroschsgau.” Grimbald kam die Länge seiner Vorstellung fast unangemessen vor. “Der Vogt leitete mich, nachdem mein Vater mir den Auftrag der Überbringung eines Schriftstückes anvertraut hatte, an euch weiter.” Grimbald wollte gerade vortreten und dem Allwasservogt das Pamphlet in die Hand drücken, überlegte es sich aber dann doch anders. Er atmete tief durch. “Wenn eure Excellenz es wünscht, würde ich euch dieses Schriftstück gerne übergeben.” In Gedanken fügte er noch hinzu: “Ich bin froh wenn ich den Dreck los bin….” In der Hoffnung nun bei der richtigen Stelle angelangt zu sein, blickte er Gorfang Reto erwartungsvoll in die Augen.

„Zeigt einmal her.“ Der Allwasservogt streckte die Hand aus, betrachtete das zwischenzeitlich arg mitgenommene Pamphlet und legte es vor sich auf den Tisch. Er stützte die Fingerspitzen gegeneinander und musterte den jungen Mann. „Wo habt Ihr es gefunden?“ Auch Gorfang Reto zeigte nicht die geringste Überraschung über das Schundpapier.

Nun war Grimbald sich sicher, diese Verunglimpfungen kursierten wohl schon ein wenig länger und in größerer Zahl. Was hatte der Vogt noch geäußert, als er es ihm aushändigte? „Seine Excellenz hatte sich der Schmähschriften angenommen“, genau, das war es.

„Nun eure Excellenz, das Schreiben wurde von einem Reisenden beim Dorfschulzen abgegeben. Er will es an einen auf dem Pfad von Eisenstein nach Angroschsgau befindlichen Baum genagelt gefunden haben. Weitere Details sind mir leider nicht bekannt.“

In Grimbald entzündete sich ein Funken Interesse für die Angelegenheit. Wer würde solch eine verräterische Schrift denn vervielfältigen und dann auch noch in der Öffentlichkeit verteilen. Leider hatte er sich den Text nicht so genau eingeprägt, aber die Aussage war ihm wohl bewusst und auch Gebrauch dieser Anrufung des Herrn Praios. Der Verfasser zog damit ja nicht nur den Zorn der Obrigkeit, sondern auch noch Ermittlungen der Praioskirche auf sich. Entweder handelte es sich hier um sehr einfältige, oder sehr gerissene Schurken. Grimbald beschloss nachzuhaken.

„Wenn ich eine Frage an euch richten dürfte, eure Excellenz? Wie mir der Vogt zu verstehen gab, laufen hier bereits Ermittlungen in dieser Sache. Mir ist bewusst, dass über laufende Ermittlungen selten ein Wort gesagt werden kann, aber gibt es bereits eine Spur des Übeltäters?“

Gorfang Reto strich sich über seinen wohlgepflegten Bart und überlegte, ehe er antwortete. „Der Spuren gibt es mehrere. Unter anderem werden zur Zeit die Druckereien der Stadt von einer Gruppe meiner Leute untersucht – denn allem Anschein nach stammt der Druck von hier.“ Ein prüfender Blick streifte den jungen Edlensohn. „Magus Lukardis Praiostan von Grauningen begleitet die Herrschaften zur Zeit.“ Der Allwasservogt verharrte, griff nach Feder und Tintenfass, zog ein leeres Blatt hervor und begann zu schreiben. Als er fertig war, löschte er die Schrift mit Sand, blies selbigen vorsichtig in eine auf seinem Schreibtisch bereitstehende Schüssel und faltete das Blatt. „Mögt Ihr mir einen Dienst erweisen?“

Grimbald schalt sich innerlich für seine Neugier, die er wohl vom Vater geerbt haben musste. War er es doch, der die Mutter und ihn bei der Geburt seiner Geschwister allein gelassen hatte. Und wofür, für Sagen und Legenden. Grimbald hatte als 5 Jähriger am Wochenbett seiner Mutter geschworen, niemals in solche Abenteuer und Verwicklungen verstrickt zu werden. Aber war dies tatsächlich mit dem Verhalten seines Vaters zu vergleichen. Nein, es war ein Auftrag einer wichtigen Persönlichkeit, den man wohl kaum Ausschlagen konnte. Und wer weiß, vielleicht konnte er sich ja beweisen und sich so bei wichtigen Leuten bekannt machen. Plötzlich packte ihn die Zuversicht. Ach was soll´s, wird schon nicht schaden. Mit einem für Grimbald sehr seltenen Gesichtsausdruck, der auf seinen Wangen tatsächlich sogar Grübchen bildete, antwortete er auf die Frage von Gorfang Reto vom Großen Fluss: „Es wäre mir eine Ehre, Euer Excellenz.“

Kurz erreichte ein Lächeln die Augen des Allwasservogtes. „Gut. Dann bitte ich Euch, die Ermittler zu unterstützen. Ihre Gruppe könnt Ihr schwerlich verfehlen – es sind mehrere junge Adlige, die von einem Magus begleitet werden. Meister Grauningen ist wohl beleibt und in die weiße Robe eines Angehörigen der Elenviner Gilde gekleidet. Forscht bei den Druckereien in Elenvina nach – es sind drei an der Zahl – und Ihr werdet sie gewißlich rasch finden.“ Er reichte Grimbald das gefaltete Dokument. „Hiermit könnt Ihr Euch über meinen Auftrag ausweisen. Erstattet mir Bericht über die Vorgehensweise und ihre Erfolge. Magus von Grauningen besitzt mein Vertrauen – seine Vorschläge sind wohlüberlegt, er wird Euch gut raten. Nun denn – Hesinde und Phex anempfohlen!“

Der Raboschsalmer trollte sich nach einer artigen Verabschiedung aus der großen Halle und betrachtete dabei verwirrt das immer noch zusammengefaltete Schreiben des Allwasservogts.

Grimbald schwirrte ein wenig der Schädel. Mit einem Auftrag zur Berichterstattung beim Praiosorden oder einem weiteren Botenauftrag hatte er gerechnet, aber mit seiner Aufnahme in den Kreis der Ermittler, dazu noch in einer so delikaten Angelegenheit, nicht.

Schnell besann er sich auf die von seinem zwergischen Lehrmeister erworbene Fähigkeit der logischen Ordnung seiner Gedanken und fühlte sich gleich ein wenig besser.

Während er auf den Ausgang zur Stadt zusteuerte strickte er sich in Gedanken einen groben Plan zusammen.

„Nun was haben wir denn bisher? Wahrscheinlich mehrere druckgleiche Pamphlete die offensichtlich die gesamte herzögliche Familie denunzieren sollen. Es entsteht der Eindruck, dass es sich um einen fanatischen Praioten handelt, der dieses Werk verfasst hat. Fragt sich nur, ob dieser Eindruck vielleicht entstehen sollte. Wer könnte ein Motiv für eine solche Tat besitzen und vor allem, was wird damit bezweckt. Ein Aufstand, ein Putsch ? Eher unwahrscheinlich. Für eine bloße Kundgebung der Meinung allerdings, war die gesamte Aktion jedoch zu aufwendig.“

Grimbald begann bereits Gefallen an den „Ermittlungen“ zu finden, beschloss aber zunächst dem Rat des Allwasservogtes zu folgen und eine der Druckereien zu besuchen.

Er war gespannt auf seine Mitstreiter, obwohl er sich einer gewissen Furcht vor einer eingeschworenen Gemeinschaft nicht erwehren konnte. Hatte er in seiner Jugend doch nie zu einer solchen Gruppe gehört. Lediglich zwei gute Freunde hatte er vorzuweisen. Das diese Freundschaften jedoch umso inniger waren, bestärkte ihn wiederum.

Blieb nur noch die Frage, wo sich die Druckereien befinden. Hiervon hatte seine Excellenz nämlich nichts verlauten lassen.

Einer der vor der Feste stationierten Gardisten wurde von Grimbald kurzerhand als Wegweiser missbraucht und nachdem ihm nun die Richtung bekannt war, machte er sich auf den Weg zur nächstgelegenen Druckerei.

Nach kurzer Zeit kam er ein Gebäude, welches ihm wie das Gesuchte erschien.

Die Druckerei Garoschax und Tochter war ein kleines, weißgekalktes Fachwerkhaus in der Karrengasse, unweit der Herzogenpromenade im Handwerkerviertel, das sich zwischen der Wehrhalle, Herzogenpromenade und Kaiserallee erstreckte. Die Karrengasse lag zwei Häuserzeilen abseits der Allee, war jedoch fein säuberlich gepflastert, die Unratsrinnen waren gefegt und der Putz der schmucken Fachwerkhäuschen, die sich über einem massiven Bruchsteinsockel wie Spielzeuge rechts und links der Straße aufreihten und ihre Giebelseiten zur Straße streckten, leuchtete in der Sonne. Über dem Eingang der Druckerei baumelte ein kunstfertig gearbeitetes schmiedeeisernes Schild, dass eine neumodische mechanische Druckpresse zeigte und mit geschlagenem Blattgold und geschwärztem Metall geziert war. Die dunkelbraun gestrichenen Fensterläden waren seltsamerweise ordentlich zugeklappt und kein Laut drang aus dem Haus. „Wenn ich es dir sage, die Flußgarde hat vorhin alle mitgenommen und die Druckerei zugeschlossen. Nein, Ketten hatte man ihnen nicht angelegt.“ Eine junge Magd stand auf einen Besen gestützt da und unterhielt sich mit einem, vielleicht 15 Sommer zählenden, Burschen. Nachdem Grimbald seine Verwunderung über das zu dieser Tageszeit geschlossene Geschäft, durch das Gehörte, überwunden hatte, ging er ein paar Schritte auf die Magd und den Burschen zu. Nachdem er sich Ihrer Aufmerksamkeit gewiss war, sprach er die Frau an: „Entschuldigt meine Dame, ich kam nicht umhin eure Worte zu vernehmen. Da diese Druckerei ja nun geschlossen zu sein scheint, wäret ihr so freundlich mir den Weg zur Nächsten zu weisen? Dringende Geschäfte, ihr versteht? Habt ihr im Übrigen den Grund für die Schließung erfahren können?“

Sollten seine eben aufgenommenen Ermittlungen etwa schon wieder beendet sein?

„Die Zwölfe zum Gruße, Hoher Herr.“ Erwiderte die doch recht verblüfft wirkende Magd nachdem sie den Neuankömmling neugierig gemustert hatte. „Die nächste Druckerei müsste die vom alten Beyerle sein. Geht in Richtung des rahjawärtigen Tores und nach der Pikenierkaserne biegt Ihr links ab. Die Druckerei findet Ihr dann rechter Hand an der Stadtmauer.“ Sie hielt kurz inne und dachte scheinbar nach. Dann fügte sie noch hinzu. „Um Eure zweite Frage zu beantworten, ich weiß es nicht weshalb die Angroscha und ihre Angestellten weggebracht wurden. Vielleicht hängt es aber mit den anderen hohen Herrschaften zusammen, die heute Mittag hier waren. Oder mit dem Kuttenträ… ich meine Magier, der während der Verhaftung anwesend war.“

„Ich danke euch für die Auskunft.“ Mit einer angedeuteten Verbeugung machte sich Grimbald auf den Weg der ihm beschrieben wurde. Bis zur Pikenierkaserne beschäftigte er sich mit der Frage, welcher Magier wohl gemeint war, bis ihm die Worte des Allwasservogts wieder dämmerten: „Magister, wie hieß er doch gleich…. ach ja, Grauningen war der Name, richtig.“ Nun den würde er wohl auch an der nächsten Druckerei nicht treffen, was Grimbald nicht sonderlich störte. Mit der Magie hatte ihn noch nie etwas verbunden. Nein, ihn schreckte diese Kraft eher ab. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, war er nicht sehr erpicht darauf mit Menschen oder auch anderen Lebewesen zu verkehren, die beispielsweise Gedanken manipulieren oder ihn mit einem Wort blenden konnten. Über schlimmere Dinge wollte er gar nicht erst nachdenken.

Von Finsterbinge bog links ab und hielt an der Stadtmauer entlang Ausschau nach dem beschriebenen Gebäude. „Ah, das scheint es zu sein.“, brummte er an sich selbst gewandt, als er es rechter Hand entdeckte.

An die firun-efferdwärtigen Seite der Stadtmauer schmiegte sich das Fachwerkgebäude, welches die Druckerei Beyerle beherbergte. Das mit roten Schindeln gedeckte Gebäude hatte schon bessere Tage gesehen, hier und da bröckelte bereits der weiße Putz von den Wänden und doch strahlte das Haus immer noch eine gewisse Erhabenheit aus. Vielleicht lag es an den Butzenglasfenstern im ersten Stockwerk oder der kunstvoll verzierten Eingangstür aus Eiche. Ein großes, ebenfalls reich verziertes Schild hing über dem Eingang und verkündete stolz, dass dies die Druckerei Beyerle ist, eröffnet im Jahr 992 BF.

Eine Traube mehr oder minder vornehm gekleideter Personen stand gerade vor dem Gebäude und unterhielt sich. Dann machte sich der Großteil der Gruppe auf, die Druckerei zu betreten.


zurück zu Papier ist geduldig (Teil I) - wie alles begann


weiter zu Papier ist geduldig (Teil V)