Der tote Baum

Szenen aus Gut Bösalbentrutz
Der tote Baum

Ort: Gutshaus Eberbach in Gut Gräflich Bösalbentrutz und dessen Wälder

Zeit: Rondra 1036 BF

Dramatis Personae:


Irminella stand in ihrem Gemach auf Gut Eberbach vor einem großen Bücherregal.
„Wo habe ich es nur…?“, murmelte sie, während ihr Blick über die Buchrücken wanderte. Als sie fand, was sie suchte, weiteten sich ihre Augen:
„Hab' ich dich!“.
Sie zog ein kleines Büchlein hervor, auf dessen Rücken 'Von der Rosenbuschpflege' stand, schlug es auf und entnahm den Seiten ein kleines Bündel Papiere, kaum mehr als ein Dutzend Seiten. Das Buch legte sie beiseite und setzte sich auf einen Stuhl. Während sie die wenigen Seiten der kleinen Broschüre überflog, las sie leise mit:
„ … die Lamifaari beziehen ihre Kraft aus dem Sikaryan anderer Lebewesen, nur so können sie selbst überleben. In der dritten Sphäre hält sie ein magischer Anker, der eine Art Brücke zwischen dem Reich der Feen und dem unseren schlägt.“
Irminella fuhr hoch und war die Broschüre auf den Tisch. Sie hatte gefunden, was sie suchte! Sie war schon fast aus der Türe, als sie innehielt. Behutsam faltete sie die Seiten, legte sie zurück in das Büchlein und schob selbiges an seinen Platz im Regal, wo es nun wieder als Versteck für einen Teil der Aufzeichnungen über die verschiedensten magischen Geschöpfe dienen sollte, die die Burgvögtin besaß. Schnellen Schrittes eilte sie hinaus, ihr Ziel fest vor Augen. Sie würde diese namenlose Ausgeburt vertreiben und den bösalbentrutzer Waldbauern wieder ein friedliches Leben ermöglichen!

Als der junge Bauerssohn mit Schrecken in den Augen tags zuvor an der Schwelle des Gutshofes stand und unter herzzerreißendem Flehen um Hilfe bat, hatte Irminella nicht lange gezögert. Auch, wenn sie damals noch keinerlei Verpflichtungen gegenüber diesen Menschen hatte, wollte sie sie von ihrem Joch befreien. Der Junge hatte erzählt, dass sie von einem äußerst hässlichen, fliegenden Vieh terrorisiert würden, mit langen Nägeln und gemeinen Zähnen:
„Ganz verdreht und schrecklich sieht's aus, jawohl! Und's kann hex'n. So wie'ne ganz abartig hässliche Fee!“
Bereits während der Junge gesprochen hatte, hatte Irminellas Geist Fahrt aufgenommen. „Wie hießen sie noch diese Art der Feen…? Larim…, nein, Larsifa… Malif… nein, nein, Lamifaar! Lamifaar!“, dachte sie.
Am Liebsten wäre sie sofort losgestürmt, doch sie hatte sich zur Ruhe gemahnt. „Heute warten andere Aufgaben“, erinnerte sie sich still.
„Morgen nehme ich mich der Sache an!“, hatte sie deshalb gesagt und den Jungen entlassen. Denn sie wollte forschen. Forschen nach Möglichkeiten, wie diesen Monstren beizukommen war.

Und eben gerade war sie fündig geworden. Ein Anker! Wenn sie die Verbindung des Lamifaar mit ihrer Welt würde kappen können, wären die Tage des Monsters gezählt und die Bauern könnten wieder beruhigt ihrem Tagewerk nachgehen.
Der Junge hatte erzählt, dass es bereits einen Todesfall gegeben hatte. Die Schwarzfee – so nannte der Volksmund die Lamifaari – hatte von den Bauern Blutzoll gefordert, den diese aber nicht bereit waren zu zahlen. Also hatte sie das Haus der Familie in Brand gesteckt, aus der ein Unglücklicher, der Bruder des Jungen, nicht mehr entkommen konnte. Dies war der Grund, dass sich der Junge ein Herz fasste und an die Tür der Hohen Herrschaften derer zu Eberbach klopfte.

Nun war es ihr Herz, das sie bis in die kleinste Faser ihres Körpers klopfen hörte. Das tat es immer, wenn Irminella sehr aufgeregt war. Balther, ihrem geliebten Gatten, erzählte sie, dass sie sich die Sache nur einmal kurz anschauen würde.
„Nein, ich werde nichts unternehmen. Vermutlich finde ich den Ort, den ich suche, nicht einmal.“
Sie hasste es mehr als alles andere, ihre Familie zu belügen. Ihr Vertrauen zu missbrauchen. Doch sie wusste, dass Balther sie nicht alleine gehen lassen würde. Und sie wusste, wie gefährlich Lamifaari waren. Dass Balther schwer verletzt oder getötet werden könnte war ein Gedanke, der so schrecklich war, dass sie dafür eintausend mal gelogen hätte. Nein, das hatte sie alleine tun müssen.
Also ging Irminella, von rondrianischem Mute beseelt, auf die Suche und fand nach einer Weile inmitten von grünem Leben des Waldes einen stinkenden Tümpel voller totem Holz. Es roch nach Moder und Schwefel, Tod und Verwesung. Wenn eine der Blasen aus dem Tümpel aufstieg und geräuschvoll zerplatzte, verströmte sie einen Geruch, der einem beinahe die Besinnung raubte. Inmitten des kniehohen Tümpels stand ein toter Baumstamm. Krumm und schief gewachsen, schwarzer Harz troff aus den Löchern darin, wie Blut aus einer klaffenden Wunde.
Und dort war auch sie, die schreckliche Kreatur. Nur wenige Ellen lang doch auserkoren, schlaflose Nächte zu bereiten. Lange Klauen und Zähne hatte sie und stürtzte sich damit unumwunden auf Irminella. Nur wenige Augenblicke dauerte der Kampf, in der die feige Fee mit Zaubern, Zähnen und Krallen attackierte und Irminella an den Rand der Niederlage brachte. Als die Gift und Galle spuckende Schwarzfee sich ihres Sieges gewiss war und einen spotttriefenden Fluch nach dem anderen ausspie, gab sie sich für einen Moment eine Blöße. Diesen Moment nutzte Irminella und Rondra musste es an diesem Tag gut mit ihr gemeint haben. Denn nicht nur, dass sie die Schwarzfee traf, nein. Der wuchtig geschlagene Hieb war so verheerend, dass er das Monstrum auf der Stelle tötete, das, noch kurz mit den verkümmerten Flügeln sirrend, zu Boden stürzte und eins wurde mit dem Sumpf. Irminella sackte nur wenige Herzschläge spüter zusammen und blieb, angelehnt an einem Baum am Rande des Tümpels, bewusstlos liegen...

Erst einige Stunden später fand man sie. Ihr Mann, dem sie ein Mitkommen untersagt hatte, fand sie mit einem Suchtrupp aus Waldbauern aus ganz Gut Gräflich Bösalbentrutz. Als man sie fand, war der Sumpf zwar noch immer da, der morsche, tote Baum aber war zerstört. Man brachte sie zum Stammsitz, wo man sie gesundpflegte. Währenddessen verbreitete sich die Kunde von Irminella, der Feentöterin.

Nicht lange und der Graf von Gratenfels, Alrik Custodias-Greifax, hörte ebenfalls von der Geschichte. Das Lehen Gut Gräflich Bösalbentrutz, in dem der Stammsitz derer zu Eberbach auch heute noch liegt, war vakant, die Eberbachs eine Adelsfamilie und gleichsam wohlgelitten hier in Gut Gräflich Bösalbentrutz. Also belehnte er Irminella, die Feentöterin, am 27. Peraine 1036 BF mit demselben und übertrug ihr zugleich die Wacht wider die Schwarzfeen.