Generationen - Teil 1: Einleitung

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Teil 1: Einleitung

Begrüßung auf den Wellen

Elenvina, im Rondra des Jahres 1042 nach Bosparans Fall

„Imma von Schellenberg, Borax, wie freuen Wir Uns, Euch beide wieder zu sehen. Und auch ihr, unsere jungen Freunde, seid Uns herzlich willkommen an Bord der Concabella.“ Grimberta vom Berg und vom Großen Fluss – Hoheit, Ritterin, Mutter des amtierenden Herzogs Hagrobald und Oberhaupt des altehrwürdigen Hauses Berg – hatte die Arme in einer für sie beinahe untypischen Geste der Freundlichkeit ausgebreitet, um ihre Gäste willkommen zu heißen. Die Mutter des Herzogs und Schwiegertochter Jast Gorsams, hatte die braunen Haare zu einem strengen Zopf gebunden und schmückte ihr Haupt mit einem eingeflochtenen silbernen Diadem. Sie trug ein eng geschnittenes, bodenlanges Kleid, welches die Farben der Nordmarken zeigte, blau und grün, mit silbern eingesticktem kleinen Wappen. Das Kleid konnte die kriegerische Berufung Ihrer Hoheit nicht verbergen: die starken Arme und kampfgebildeten Muskeln waren klar zu erkennen; genauso wie die flache Körpermitte und die sehnigen Glieder. Um den Hals, der noch straff und faltenlos war, hing eine goldene Kette mit einem einzigen schlicht eingefassten Smaragd. Das fortgeschrittene Alter sah man der Grande Dame der Nordmarken dennoch an. Die Krähenfüße an den grauen Augen und die ersten silbernen Strähnen in den Haaren, die sie mit Fassung zeigte und nicht verbarg, färbte oder gar herausriss, zeugten davon, genauso wie die Hände, die die frische Glätte junger Maiden längst vermissten. Ein jeder, der den Herzog kannte, konnte die Familienähnlichkeit in der Ausstrahlung nicht verkennen. Und an der Nase.

Sachte schaukelte die prächtige Flussgaleere im Wellengang des Großen Flusses. Im Hafen von Elenvina festgemacht, sollten hier alte und neue Gäste Ihrer Hoheit zusammentreffen. Von einer „munteren und von Kameradschaft, Freundschaft und Treue gezeichneten Reise“ war in der Einladung die Rede gewesen, welche den anwesenden jungen Adligen von dienenden Rittern der Herzogenmutter persönlich überbracht worden war. Sie, auf deren Schultern die „Zukunft und Hoffnung des Herzogenhauses“ lag, sollten mit Ihrer Hoheit eine gemeinsame Reise unternehmen.

Gerüchteweise war ein ähnliches Unterfangen während der dunklen Zeit des Feldzugs gegen den Reichsverräter Haffax durch ein Attentat, ausgeübt von Agenten aus dem Osten, gescheitert.

Doch jetzt, im Sommer des Jahres 1042 B.F., war es ruhig in den Nordmarken. Sicherlich, die Tragödie, welche sich kürzlich auf der Hochzeit des Hlûtharswachter Barons abgespielt hatte, war noch in aller Munde. Es wurde von Vampiren gemunkelt, von unzähligen Toten, und nicht wenige Nordmärker verspürten mittlerweile eine wachsende Furcht vor den Schatten der Nacht.

Heute aber funkelten die Wellen lustig im hellen Tageslicht, floss der mächtige Strom ruhig daher, während ein Diener Grimbertas ein kleines Tablett mit Getränken brachte. „Ihr müsst wissen,“ fuhr Ihre Hoheit fort, „Wir kennen die liebe Dame von Schellenberg und den guten Angroscho Borax von meinem ersten Versuch, mit aufstrebenden und vielversprechenden Einwohnern meiner geliebten Nordmarken in Kontakt zu treten.“ Sie deutete mit einem Nicken auf die beiden angesprochenen – eine schlanke hübsche Frau mit dunklem Haar und ein junger Angroscho.

„Doch verzeiht, auch wenn Wir Euch anhand von Empfehlungslisten Eurer Ritter oder Lehrmeister ausgewählt haben, so fehlt Uns doch ein Gesicht zum Namen. So seid doch bitte so gut und sagt Uns wer Ihr seid.“

Quintus straffte sein Gewand und sprach zu sich: „Na dann wollen wir mal.“ Ein Hesindenovize, der in ein klassisches grün-gelbes Wickelgewand der Hesindekirche das durch ein langes grünes Kopftuch ergänzt wurde, trat aus der Reihe der Angetretenen. Verneigte sich höfisch und sprach die ersten Worte als seine Stimme versagte: „Euer Hoheit...“ sein Kopf färbte sich rot doch dann nahm er sich zusammen und sprach mit fester Stimme, das leise Gelächter hinter ihm ignorierend, weiter. „Euer Hoheit, es ist mir eine besondere Ehre von Euch auserwählt worden zu sein um an dieser aufregenden und für alle Parteien vielversprechenden Reise teilnehmen zu dürfen. Mein Name ist Quintus von Münzberg aus dem Bescheidenen Hause Münzberg, sesshaft in der Baronie Kyndoch dient das Haus Münzberg seinem neuen Herrn Otgar Thieltland von Salmfang im Junkergut Ostendorf, welches die Familie Münzberg in der in der das Gut nicht verlehnt war treu verwaltete.“ Den letzten Teil des Satzes betonte Quintus bewusst und gekonnt. „Ich spreche nun für das Oberhaupt der Familie Münzberg, Aurian von Münzberg, von dem ich euch die besten Grüße ausrichten soll und mich per Brief anwies euch dieses Gastgeschenk zu übergeben.“ Quintus trat einen weiteren Schritt nach vorne, kniete sich auf ein Bein und erhob eine goldene Kette mit den Zeichen der Zwölfe, die Symbole von Praios, Peraine und Hesinde waren etwas größer als die anderen. „Euer Hoheit, es ist uns nicht nur eine Ehre, sondern eine besondere Freude unseren Lebensdienst unter eurer herrlichen Herzogenfamilie in der nordwestlichsten Baronie der Grafschaft Isenhag zu verrichten. Sei es als Ritter mit dem Schwert oder als Geweihter der Hüterin des Lebens, gegen Feind oder Dürre oder als Schüler der Allweisen Familie Münzberg dient treu dem Land.“ Er atmete tief durch und hoffte, dass ihn nun möglichst schnell jemand erlöste und ihm das Gastgeschenk abnehmen würde.

Ruhig hatten die grünen Augen der Magierin die herausgeputzte Herzogenmutter beobachtet, jedes Detail ihrer Kleidung, ihres Schmuckes und ihrer Züge, doch nun ruhte der Blick auf den sauber geschrubbten Planken der Flussgaleere. Das Schwanken des Schiffes war sie nicht gewohnt, doch Jonata versuchte sich ihr Unwohlsein nicht anmerken zu lassen, hielt den Rücken gerade und zwang ihr Gesicht dazu, freundlich und höflich zu lächeln. Mit einer Hand stützte sie sich auf ihrem Stab ab, mit der anderen hielt sie sich an der Reling fest, wenn sie nicht gerade die von leichten Wind immer wieder aus dem Dutt wehenden widerspenstigen blonden Locken hinter die Ohren strich. Dankbar sah die Magierin dem Tablett mit den Getränken entgegen, ließ sich dann jedoch einige Momente Zeit und sah etwas elendig drein, als sie sich entscheiden musste, eine ihrer Hände von Reling oder Stab zu lösen. Den Stab wegzustecken war aufwendig, doch die Brüstung gab ihr Sicherheit. Schließlich entschied sie sich dazu, ihr Rechte von der Reling zu lösen, nur um sich dann an diese zu lehnen und griff mit der freigewordenen Hand nach dem Getränk. Erleichtert über diese gute Lösung sah sie hinüber zu ihrer Freundin Imma, prostete ihr leicht zu, ohne jedoch zu trinken, denn vor den anderen einen Schluck zu nehmen wäre wohl unhöflich gewesen. Dann wartete sie, bis sie mit ihrer Vorstellung an der Reihe war. Als Quintus ins Stocken kam, litt sie fast mit ihm, presste die Lippen kurz zusammen, um ihre Mimik zu beherrschen. Umso mehr freute sie sich für ihren Bekannten, als die Vorstellung dann doch flüssig gelang. Aufmunternd lächelte sie ihm zu. Als es endlich so weit war, trat sie einen Schritt von der Reling weg, beugte ihr Haupt vor der Alt-Herzögin. Sie wirkte im Sprechen geübt und hatte eine ruhige angenehme Stimme. Ihre Worte beschränkten sich auf das Wesentliche: „Mein Name ist Jonata von Schleiffenröchte, Euer Hoheit. Ich bin die Tochter Eures ergebenen Dieners Rotger von Schleiffenröchte, Edler zu Eberweiler und seiner Gemahlin Sabea von Schleiffenröchte, Edle zu Eberweiler. Eure Hoheit kennen auch schon meine Schwester Lioba, die als Malerin zu Hofe arbeitet. Ich selbst lernte an der Academie dominationis Elenvinensis unter Lehrmeister Magister ordinarius Corvinius von Blauendorn. Ich danke vielmals für die Einladung und stehe Euch zu Diensten.“ Kurz verharrte sie in ihrer Verbeugung, bevor sie zurücktrat und sich wieder an die Reling lehnte. Neugierig wanderten die Augen der jungen Maga über die anderen Anwesenden, entdeckte freudig bekannte Gesichter und nickte ihnen kurz zu. Hätte sie auch ein Gastgeschenk mitbringen sollen? Nun, wenn dann war es dafür nun zu spät. Sich jetzt noch zu ärgern wäre nicht nützlich. So hob sie also stolz den Kopf und ließ die anderen zu Wort kommen. Zu gerne hätte sie sich ihre Robe wieder glatt gestrichen, doch hatte sie ja die Hände nicht frei.

Glücklich noch viele getrocknete Blätter der Lulanie in seiner Leinentasche zu haben, und das der Tee seinen Magen anfing zu beruhigen, machte Lagorasch einen Schritt nach vorne. Die schwankenden Planken unter den Füßen, beginnend mit den ersten Schritten auf diesem Ding, eine Tortur. ‚Wie die Kurzlebigen nur auf solch unnatürliche Ideen kommen. Über dem Wasser mittels Holz sich aufzuhalten oder gar sich fortzubewegen? Und dann noch diese merkwürdigen Sachen von denen sie reden. Aber Auftrag ist Auftrag, und ein Zwerg ist ein Zwerg.‘ So nahm der - in einfaches Lederwams und Hose gekleidete - Zwerg, trotz des noch rebellischen Magens, seinen Mut zusammen. „Garoschem Euer …“, die aufkommende Welle der Übelkeit niederringend, „Hoheit Grimberta vom Berg und vom Großen Fluss. Es freut mich hier zu sein. Ich bin Lagorasch, Sohn von Sugusch, Lehrling von Emmeran, dem Gesandten des Flussvaters, Diener der Erdmutter und Gefährte des Wassers.“ Mit einem Nicken und kurz darüber nachdenken: Ja, ich habe das Wesentliche gesagt, jetzt muss noch ein Schlusssatz her, wie bei den anderen… „Danke“, und er trat einen Schritt zurück.

Elvan zog die Luft in einem tiefen Zug durch die Nase, straffte sich ein wenig, und hörte den anderen Gästen bei ihrer Vorstellung zu. Er war recht nervös, denn das war sein erster offizieller Besuch bei Hofe. Er war überrascht über die Einladung der Herzoginmutter, auch wenn er aus einer niederadligen Familie stammt, war ein Altenberg seit den Jugendzeiten seiner Großmutter, nie zu Hofe geladen worden. Bis heute gibt es ihm ein Rätsel auf, wem er es zu verdanken hatte, der Herzoginmutter vorgeschlagen zu werden. War es seiner Mutter irgendwie gelungen? Schon immer schwärmte sie davon, eines Tages bei Hofe tanzen zu können. Oder steckt seine neue Freundin Imma von Schellenberg dahinter? Immerhin möchte auch er eines Tages ein ordentlicher Schreiber sein bei Hofe. Zumindest war er nicht ganz unter Fremden. Mit Jonata von Schleiffenröchte hat er schon öfter ein Wein getrunken, philosophiert und ihren Geschichten gelauscht. Auch wenn sie manchmal merkwürdige Fragen stellt, mochte er sie sehr. Den Münzberger kannte er vom sehen her aus dem Hesinde-Tempel. Auch sein Freund Dorcas von Paggenfeld war hier. Ein Stoß in seine Seite, riss ihn aus seine Gedanken. Der Knappe Dorcas zwinkerte ihm zu, und Elvan bemerkte wie die Blicke auf ihn gerichtet waren. Jetzt war er wohl an der Reihe mit der Vorstellung. Mit pochendem Herzen, trat er einen Schritt nach vorne und machte eine Verbeugung. “Den Zwölfen zum Gruße, euer Hoheit! Mein Name ist Elvan Winrich von Altenberg. Ordentlicher Schreiber und Kalligraph meines Zeichens. Ich sende euch Grüße von meiner Familie, insbesondere die von meinem Onkel Winrich Herdfried von Altenberg - Sturmfels, dem Tempelvater des Elenvina Travia-Tempels. Ich danke Euch sehr für diese Einladung, und schaue mit Vorfreude auf diese Flussfahrt mit Euch, eure Hoheit!” Vorsichtig schritt er wieder zurück und blickte zum Himmel. “ Oh ihr Götter”,dachte er sich,” Schritt eins schon mal geschafft!” Mit einem Lächeln auf den Lippen hörte er dem nächsten zu, der nach vorne trat. Der sehnsüchtige Blick Gerwulfs richtete sich auf die Wälder im Norden, die hier, an Bord der Concabella, unendlich fern erscheinen. "Wie gern wäre ich jetzt dort." Er streichelte seinem neben ihm stehenden Wolf sanft über den Kopf. "Was soll ich nur hier, inmitten all dieser gestriegelten Stutzer? Was denkt meine Schwester sich nur dabei, mich hierhin zu schicken?“ Einzig die Anwesenheit seines alten Freundes Welferich von Schleiffenröchte bewahrte ihn davor, sich umzudrehen, und das Schiff sofort zu verlassen. Naja, das, und der strafende Blick seiner Schwester, den er sich lebhaft vorstellen konnte. Ein Räuspern des neben ihm stehenden Recken riss Gerwulf unsanft aus seinen selbstmitleidigen Gedanken. Mit einem erschreckten Zucken nahm er wahr, dass er nun an der Reihe war, vor die Mutter des Herzogs zu treten, die ihn bereits milde amüsiert anblickte: „Nun, junger Recke, was geht in Eurem Kopfe vor?“, fragte Grimberta vom Berg ihn direkt. „Ähm…Frau Mutter Herzogin…ähm…ich meine Firun zum Gruße“, stammelte Gerwulf etwas unbeholfen. „Meine Schwester schickt mich „Ernsthaft Gerwulf? Was Besseres fällt Dir nicht ein? Verdammt nochmal, Du steht hier vor der Mutter des Herzogs! Streng Dich gefälligst ein bisschen an!“, hörte Gerwulf die Stimme seines Lehrmeisters in seinem Kopf), ich meine Euch, die ergebensten Grüße.“ Etwas sicherer geworden, beugte Gerwulf das Knie, nahm den Bogen aus seinem Leinensack und überreichte ihn Grimberta mit gesenktem Blick. „Diesen Bogen habe ich selbst mit der Gnade Firuns aus dem Ast einer Ulme Euch zu Ehren hergestellt. Ich übergebe Ihn mit den besten Wünschen meiner Schwester Salbirg von Wolfentrutz. Ich stehe Euch auf dieser Reise mit meinem Bogen und der Gnade Firuns zu Diensten.“ Auf einen Wink Grimbertas erhob sich Gerwulf mit ein paar Schweißperlen auf der Stirn und trat zurück in die Reihe.

‚Merkwürdige Gesellschaft‘, dachte sich Nivard, während er seinen Blick über die versammelte, sehr gemischte Gruppe schweifen ließ. ‚Dass Welf dabei sein würde, wusste er ja bereits der hatte es alle wissen lassen), aber die von Hartsteig, hier…?‘ Da trat bereits Gerwulf, mit dem er vorhin an Land einige erste Worte gewechselt hatte, zurück in die Reihe. ‚Dann ist es also soweit, Rücken gerade, Brust raus und immer nur nach vorne. Jetzt auf jeden Fall einen guten Eindruck machen. Schließlich habe ich mir die Empfehlung Braganes hart erarbeitet, anders als manch anderer aus einflussreicherem Hause…‘ Das alte, Kettenhemd schlackerte nicht nur ein bisschen um den hageren Leib und ließ dafür die sehnigen Unterarme ebenso wie die bereits recht abgewetzten ledernen Beinkleider etwas zu weit frei sein Großonkel war einfach kleiner und fülliger); Nivard hoffte, dass diese Erscheinung durch den frisch gewaschenen und hoffentlich unauffällig geflickten, grünen Wappenrock, auf dem der goldene Hirsch derer von Tannenfels prangte, wenigstens teilweise kaschiert würde. Endlich war Nivard bei der Herzogsmutter angekommen – in einer ruckartigen Bewegung schlug er seine Hacken zusammen und verneigte sich tief. Mit etwas zu lauter und schneidiger Stimme vielleicht, um hoffen zu dürfen, seine Aufregung wirklich zu verbergen, hörte sich der junge Krieger sagen: „Nivard von Tannenfels, Eure Hoheit, zu Euren Diensten. Ich entbiete Euch die Grüße meiner Mutter, Celissa von Tannenfels, und gelobte auch Bragane Leuinsfold, Euch ihre besten Wünsche zu überbringen. Vernehmt meinen Dank für Eure Einladung – es ist mir eine große Ehre!“ Auch wenn der ungeordnete Rückzug ansonsten nicht das seine war, wollte er bereits hastig in den Kreis der anderen zurücktreten, als er sich siedend heiß an den kleinen, aus Tannenfelser Glas gefertigten, mit geschliffenen Quarzen besetzten und fein mit den Szenen einer Treibjagd bemalten, grünlichen Glaspokal erinnerte, den er in seiner schweißnassen Hand hielt - ein armseliges Geschenk vielleicht im Vergleich zu einer goldenen Kette, aber eine Kostbarkeit in seiner Heimat. „Dies sei Euer als Zeichen der Ergebenheit des Hauses Tannenfels“, sprach er, als er das Gefäß übergab. ‚Jetzt aber wirklich Rückzug!‘ Auf dem Weg zurück sah er Welfs Mundwinkel zucken…

Der große Dorcas betrachtete amüsiert die Vorstellung der Gäste. Mit seinen fast 2 Schritt war er einer der größeren Leute an Bord der Concabella und hatte alle gut im Blick. „Na das ist mir ja ein Haufen“, dachte er bei sich,“die machen sich ja fast alle in die Hosen, und das nur beim Vorstellen.“ Mit selbstsicheren Schritt ging er nach vorne und hielt im gebührten Abstand zur Herzoginmutter halt. Sein blondes, langes Haar war zu einem ordentlichen Zopf geflochten, seine Knappenkleidung lag eng am Körper und betonte seine muskulöse Figur. Auf der Brust trug er Stolz die zwei Rösser, das Wappen der Paggenfeld. Er verbeugte sich kurz und suchte dann mit festen Blick die Augen der Herzoginmutter. Mit fester, etwas lauter Stimme sprach er dann: „ Eure Hoheit, mein Name ist Dorcas von Paggenfeld, Sohn des Edlen Tsadan von Paggenfeld aus Gräflich Paggenau. Ich bin Knappe an der herzoglichen Knappenschule in Elenvina und habe an der Seite Eures Sohnes, dem großen Herzog Hagrobald vom Großen Fluß, in Mendena gekämpft. Meine Schwertmutter, die Ritterin Lindberta von Gorfarsthann ist leider dort gefallen. Und nun stehe ich vor euch, und stehe ich zu Diensten!“ Mit einem Lächeln blickte er in die Runde, um dann sich wieder der Herzoginmutter zuzuwenden. „ Auch ich habe Euch ein Geschenk mit gebracht, doch leider war es mir versagt, es mit an Bord zu bringen. Doch hoffe ich, das ihr Euch daran erfreuen könnt, sobald wir von unsere Reise zurückkehren. Das schönste und schnellste Pferd, ein Elenviner Vollblüter, aus unsere Pferdezucht auf Gut Paggenfeld habe ich Euch, Hoheit, mitgebracht!“ Damit verneigte er sich noch einmal und kehrte an seine Platz zurück.

Auch Ellian beobachtete die anderen jungen Gäste der Alt-Herzogin und achtete darauf, wie sich diese verhielten, um sich möglichst ähnlich vorzustellen. Erstmal keine Aufmerksamkeit erregen. Er bemerkte, dass wohl einige seiner neuen Kumpanen noch Probleme damit hatten sich auf schwankendem Untergrund zu bewegen. Er selbst hatte sich zum Glück schon in den letzten sieben Tagen auf seiner Reise von Albenhus nach Elenvina daran gewöhnen können und sein, durch das Zweikampftraining, geschulter Gleichgewichtssinn war auch nicht hinderlich. Dennoch etwas aufgeregt trat Ellian mit weichen Knien nach vorne, versuchte aber eine ordentliche Haltung anzunehmen. Schultern zurück, Brust raus, schoss es ihm durch den Kopf. „Ellian von Schrötertrutz, Knappe von Iseweine von Unkenau, stets zu Diensten Eure Hoheit. Es ist mir eine Ehre, Euch dieses Gastgeschenk überreichen zu dürfen.“ Kam es Ellian kurz angebunden über die Lippen. Mit einem kurzen unsicheren Lächeln überreichte er der Mutter des Herzogs ein kleines Kästchen, welches aus Koschbasalt gefertigt wurde und kleine goldene Verzierungen aufwies. Mit einer höfischen Verbeugung kehrte auch Ellian zurück in die Reihe.

Es war soweit. Welf schloss zwei Momente die Augen, dann versetzte er sich in Bewegung. Welf hatte weiter seitlich gestanden und wenig Lust verspürt, sich seinen Weg in die Mitte freizudrücken – also hatte er schlicht gewartet, bis die anderen sich für ihre Vorstellungen bewegt hatten – womöglich hatte er sie auch ganz gerne beobachtet. Er war aufrecht und aufmerksam gestanden, den unsicheren Untergrund nicht gewöhnt, als er zur Herzoginmutter herantrat waren seine Bewegungen geschmeidiger. Welf war lange nicht so groß wie Dorcas, nicht so breit wie Nivard oder gar die Angroschim, aber er gehörte doch sichtbar zum Kriegsvolk. Das dunkelblonde Haar lag ihm nach hinten gekämmt halblang über das Haupt, der athletische Körper war an diesem Tag der Präsentation in sein Kettenhemd – gut anliegend natürlich – gehüllt, darunter kam eine leicht gezierte naturfarbene Tunika mit dunkler schlichter Borte zum Vorschein, über die Schulterpartie war ein ebenso dunkler Wolllodenmantel mit kleiner goldener Brosche in Form eines Kleeblattes geschlungen, das gleiche Zeichen war auf jenem Mantel etwas ausführlicher zu sehen: Ein diagonal gespaltenes Schild mit je einem Kleeblatt, dieTinkturen Schwarz und Gold spiegelnd. Eine getreue, aber wenig auffällige, Klinge gehörte ebenso zur Erscheinung des Kriegers, den man sonst selten ohne seine andere Lieblingswaffe sah – doch diese trug er während der Vorstellung nicht, außerdem hatte er seine Hände gebraucht, das Präsent zu hüten. Nivards seltsamen Blick nahm Welf weitgehend ohne Reaktion auf, dessen Obsession war ihm immer ein Rätsel gewesen, doch seit sie beide Prügel für Reibereien bezogen hatten, hielt er sich zumeist vornehm zurück – oder mochte es zumindest so darzustellen. Andererseits hatte er heute sowieso etwas viel besseres als Prügel dabei – ein schöneres Geschenk. Doch im Kern lag heute Welfs Augenmerk sowieso nicht auf seinen… speziellen… Mitschülern. Nicht einmal zum Ärgern hatte Nivard ihm und seinen Standesgenossen noch gut gedient, seit die Schule vor… Ehrrüchigen fast überquoll. Aber nun war er sowieso alleine, nein nicht ganz, Wolf war hier – nun, und sein Herrchen, der sympathisch schrullige Gerwulf auch – wenn dies ihnen nicht noch beiden Ärger bringen würde. Und seine nicht minder faszinierend gefährliche Cousine! Nun… oder eher Urgroßnebennichtentante, wenn man es im Haus Schleiffenröchte genau nehmen wollte. Nachdem er vor die Herzogenmutter getreten war, verneigte der drahtige Krieger sich tief. Mit ruhigerer, aber doch arg konzentrierter, Stimme sprach er dann: „Praios zum Gruße, euer Hoheit. Dieses Gesicht gehört zu Hilberian Welferich von Schleiffenröchte, Kriegerschüler. Ich bin der Sohn der Burgsassin der herzöglichen Burg Haduraldsruh, Helmin von Schleiffenröchte. Von ihr und ihro Ehrwürden Griffdan von Schleiffenröchte, dem Revisor der Wehrhalle zu Elenvina, soll ich euch verbundenste Grüße ausrichten. In ihrem Namen soll ich euch auch jenes Präsent überreichen.“ Dabei neigte er sich erneut und zog das helle Leinen mit dem so häufig zu sehenden Familienwappen von einem mittelkleinen goldenen Handspiegel. Ein fähiger Graveur hatte die Zeichen des Herzogtums und des Götterfürsten als Schutzzeichen stilisiert. „Ich hoffe, es sagt euch zu.“ Sprach der leicht abergläubische Jüngling etwas leiser, als er das Präsent überreichte. Mit dem Präsent überreichte er ihr auch seine erste Vorstellung im Kreise der Herzogenfamilie, im Kreise so vieler unterschiedlicher seiner Art, im Kerne… in die Gesellschaft. Sie würde erst einmal nur sich selbst und den blauen Himmel auf dem Spiegel sehen können, aber einen Moment hielt die Herzogenmutter damit Welfs Schicksal in den Händen.

Als letzte in der Reihe hatte Deryalla aufmerksam die so unterschiedlichen Vorstellungen verfolgt und genügend Zeit gehabt, sich vorzubereiten. Rasch hatte sie beschlossen, nicht mehr Worte zu machen als notwendig, obwohl ihre Aufgabe bei weitem schwieriger war. Zu ihrer Schmach kam zusätzlich hinzu, dass sie durch den Niedergang ihrer Familie keinesfalls mit den anderen gleichziehen konnte, deren Häuser über genügend Mittel verfügten, der Einladung mit handwerklichen Kleinodien zu danken. Im Gegensatz zu Welf und Nivard hatte sie sich aufgrund von Ort und Witterung gegen eine Rüstung entschlossen. So trug sie über der gebauschten Hose ein leichtes weißes Wams von dem sich die dunklen Haare deutlich abhoben - das Barrett hatte sie in ihren Waffengurt geschoben. Die Zugehörigkeit zur Akademie zeigte über ihrer flachen Brust eine grüne Brosche in Form der Kriegslanze. Daneben trug sie das verfemte Wappen der Hartsteig am Platz eines Allianzwappens. Auffällig war der Friedensknoten, den sie gut sichtbar am Gehilz ihres Schwertes angebracht hatte, um jeglichen Verdächtigungen vorzubeugen. Als Welf zurücktrat, wartete sie einen Lidschlag und schritt dann nach vorne. Aufrecht und ungebrochen. Doch niemand der ihren ernsten Gesichtsausdruck sah, konnte ihre Haltung als Stolz missverstehen. Tiefer als jeder andere vor ihr verbeugte sie sich demütig vor der Frau, die ihre verfluchte Base hatte töten wollen – sie setzte ihr Knie auf die Planken der Concabella. Deryalla hob den Kopf, versuchte, dem Blick Grimbertas zu begegnen und schluckte schwer. Dann verkündete sie mit klarer Stimme und für jeden vernehmlich: „Deryalla von Hartsteig ist mein Name, Eure Hoheit. Rondra sei allzeit mit Euch. Eurer Gnade verdanke ich dieses Leben und gelobe, Abbitte zu leisten, bis die Schuld der Verräterin aus meinem Hause getilgt ist.“

Von Hartsteig. Diesen Namen wieder von lebenden Lippen zu hören, war nun doch eine Herausforderung für Grimberta. Bilder schossen durch ihren Kopf: Das verzweifelt und gleichzeitig triumphierende Lachen Sarias, der Base Deryallas, wie sie ihr den vergifteten Dolch in den Bauch rammte. Den Schmerz, den das Gift sogleich in ihrem Innern ausgelöst hatte. Der Moment, als das Richtschwert auf den Hals Sarias herabsauste, um ihr verräterisches Leben zu beenden. Die Kämpferin, Kriegerin, Ritterin hatte sich sonst herausragend unter Kontrolle. Doch jetzt zuckte der Erinnerungsschmerz über ihr Gesicht, ließ sie ihre Hand auf den Bauch pressen und einen Schritt zurücktreten. Nach einem oder zwei Augenblicken aber fing sie sich wieder. Diese hier wollte sühnen. Die Schuld tilgen. Ihr guter Alfons hatte Deryalla observiert, hatte recherchiert, sich ein genaues Bild über das Leben Deryallas gemacht. Und sie empfohlen. Trotz allem. Also trat Grimberta wieder den einen Schritt nach vorn, vor Deryalla von Hartsteig, und versuchte zu lächeln: „Von Hartsteig. Wir gestehen, mit diesem Namen verbinden wir keine guten Erinnerungen. Und doch nehmen wir Euer Versprechen an. Nicht Ihr führtet die Klinge. Auch dies müssen wir uns stets in Erinnerung rufen. Wir werden uns alle Mühe geben.“ Sie nickte, nun tatsächlich freundlich lächelnd. „Deryalla von Hartsteig, seid willkommen auf der Concabella.“

Die Angesprochene schien unberührt, doch aufmerksame Beobachter vermochten die Träne auszumachen, die sich langsam den Weg über ihre Wange bahnte. Mit bewegter Stimme antwortete Deryalla: „… Eure Güte wird nie vergessen werden, Eure Hoheit“. Dann verbeugte sie sich nochmals tief und zog sich zurück.

Nivard verfolgte Deryallas Weg zurück in den Kreis der Gäste Grimbertas. Freunde waren sie während ihrer bisherigen Ausbildungszeit nie gewesen. Die etwas ältere Deryalla gehörte aber auch nicht zu den jungen „Edelleuten“, deren abschätzigen Spotts und deren derber Scherze er, die „halbe Portion aus den Wäldern“, sich die erste Zeit an der Akademie weitgehend alleine erwehren musste, nur von Rondra in seinem Willen bestärkt, den Weg zum Krieger gegen alle Widerstände zu gehen. Verräterisch wurde ein Sonnenstrahl von den Wangen Deryallas zurückgeworfen, ein kurzes Aufblitzen, dessen Nivard gewahr wurde. Er war überrascht, die ob ihrer Fertigkeiten von vielen bewunderte, immer so stark, so selbstsicher und für ihn unnahbar auftretende Mitschülerin für einen kurzen Augenblick so reumütig und aufrichtig dankbar zu sehen. Hatte er Deryalla falsch eingeschätzt? Hatte er sie zu Unrecht abschätzig angesehen ob Untaten, die sie selbst nicht begangen hatte, sondern nur die ihren? War er in seinem vorschnellen Urteil tatsächlich besser, weniger selbstgerecht als all die anderen, auch als Welf, dessen harte Blicke in Richtung Deryalla ihm nicht entgangen waren? Sicherlich wog die Schuld, die ihr Blut auf sich geladen hatte, auch schwer auf ihren Schultern - aber war der Kampf um die Reinwaschung der Ehre ihrer Familie, um die Tilgung der Schuld ihres Blutes nicht zutiefst Rondra-gefällig?

Stattlich, so war der Vogt der gräflichen Vogtei Nilsitz knapp zu betiteln. Doch das beschrieb den in der Tat noch recht jungen Angrosch nur ungenügend. Borindarax, Sohn des Barbaxosch war Urenkel des Rogmarog von Isnatosch und entgegen vieler Vertreter seiner Rasse sehr wohl an den Menschen und deren Politik interessiert. Wahrscheinlich auch aus diesem Grund hatte Ghambir, Graf des Isenhag, ihn zu seinem Gefolgsmann ernannt - damit er das langweilige Geschwafel, welches in Elenvina an der Tagesordnung war, verfolgte, um das wichtigste an seinen Herren heranzutragen. Borax, wie er weithin gerufen wurde, trug an besagtem Tag einen dunklen Gehrock aus edlem, aber robustem Stoff, sowie dazu passende Hosen und Stiefel. Um seinen Hals lag eine wuchtige Kette, bestehend aus breiten, mit Angram-Runen verzierten Eisenplättchen - die Amtskette der Vögte von Nilsitz. Ein feuerroter, zu acht kunstvollen Zöpfen geflochtene Bart, den metallische Kuben, Kegel und Kugeln schmückten, komplettierten das Bild eines standesbewussten Zwergen, dessen stechende, giftgrüne Augen alles und jeden neugierig im Blick zu haben schien. Und doch konnte all dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass das schwankende Schiff zumindest ein gewisses Unbehagen auf den Zwergen ausübte. Er war blass um die Nase und hielt sich an einer Seekiste fest, die an Bord vertäut war.

Grimberta war hoch erfreut, von einigen, wenn auch nicht von allen, kleine Aufmerksamkeiten überreicht oder angekündigt zu bekommen. „Nein, vielen Dank. Das ist ja sehr aufmerksam von Euch.“ War nicht nur einmal von ihr zu hören. Die Präsente reichte sie weiter – auch ohne das Kästchen des „guten Ellian“ geöffnet zu haben. Der Diener, ein eher hagerer Mann Mitte 40, dessen auffälligstes Merkmal eine offenkundig häufig gebrochene Nase darstellte, nahm diese in Empfang und reichte sie weiter. Seine edle Livree und die perfekten Umgangsformen kennzeichneten ihn als einen hochgestellten Leibdiener. Als wenig später die Vorstellungen abgeschlossen waren, wurden die Gesichtszüge der Herzoginmutter wieder ernst. Sehr ernst. „So, nachdem dies erledigt ist, kommen wir zu einer unerfreulichen, aber nichtsdestotrotz erforderlichen Aufgabe. Ihr habt sicher vernommen, dass dieses Schiff bei seiner Jungfernfahrt durch vampirische Umtriebe beinahe zerstört wurde? Gut. Und auch von dem massiven Angriff gleich vierer Vampire, wohl einer Familie, auf eine Hochadelshochzeit im vergangenen Rahja dürftet ihr schon gelesen haben. Dies sind alles Dinge, vor denen uns der Sumgard vor einigen Jahren schon gewarnt hatte. Meine Familie, mein Hof nimmt diese Bedrohung sehr ernst. Sie können überall und jedermann sein. Deshalb haben mir zwei liebe Freunde, Hochgeweihte der Peraine und Rahja, dies angefertigt. Alfons?“

Der angesprochene Diener trug mit seinen weißen Handschuhen ein silbernes Tablett, auf dem eine weite Kette lag. An dieser waren genau zwölf kleine Amulette befestigt. Auf den ersten Blick erkannten diejenigen, für die das Brevier der zwölfgöttlichen Unterweisung kein fremdes Werk war, die heiligen Symbole der guten zwölf Götter.

„Dieses Kette vereint geweihte Anhänger unserer heiligen unteilbaren Zwölfgötter. Ein jeder soll es anlegen, auf dass der bloße Hals berührt wird von allen zwölf Amuletten. Imma, sei so gut und hilf meinen Gästen dabei.“

Die anwesenden Flussgardisten gingen in Habachtstellung und packten die Hellebarden fester. Wer rauchte, würde sterben.

Imma nahm die Kette und drehte sich zu den Gästen: „Ich möchte mich an dieser Stelle denjenigen von euch kurz vorstellen, die mich noch nicht kennen.“ Sie lächelte den wenigen ihr bekannten Gesichtern zu. Ihre Wangen röteten sich leicht. Wenngleich sie mittlerweile gelernt hatte, wie es war sich in höfischer Umgebung zu befinden, fiel es ihr nicht unbedingt leicht, sich aus der Sicherheit ihrer Schreibstube oder der Bibliothek zu begeben. „Mein Name ist Imma von Schellenberg. Ich bin seit dem Feldzug gegen den Reichsverräter Haffax als Schreiberin am herzöglichen Hofe beschäftigt. Ich werde nun reihum jedem von euch diese Kette umlegen.“ Die junge Frau trug ein einfaches, angemessenes Kleid, das ihre Figur betonte und insbesondere ihre vollen Brüste dezent zur Geltung brachte. Schuhe und Kleidung waren wenngleich schlicht, dennoch von guter Qualität, und zeigten, dass sie wenn auch aus niederadliger Herkunft und unbelehnt, über ausreichende Geldmittel verfügte.

Auf Nivard lag Welfs Blick diesmal nicht nur in dessen Einbildung… Man hatte Gerüchte gehört, Gerüchte von Staub und Asche… Doch Nivard verging nicht! Welf war froh. Nivard sträubten sich kurz die Nackenhaare. In der Tat hatte er von den Ereignissen während der Jungfernfahrt gehört, in aller Munde waren sie in ganz Elenvina und nicht zuletzt auch an der Kriegerschule. Ob die Vorsichtsmaßnahme immer getroffen wurde, oder auch den Schauergeschichten um seinen Onkel zweiten Grades Hechard geschuldet war, vermochte er aber nicht einzuschätzen. Ihm wurde in diesem Augenblick schmerzlich bewusst, dass seine Position Deryallas nicht gänzlich unähnlich war. Auch auf seinem Haus lastete der Schatten einer Gräueltat, wenngleich dieser vielleicht weniger schwer wog als der auf dem Haus von Hartsteig und den Schultern Deryallas. Er musste Licht ins Dunkel der Taten Hechards bringen, aber erst einmal… Ohne zu zögern trat er daher vor, um als erster unter den Augen der Götter seine menschliche Natur zu beweisen. So erreichte er noch vor der langsam schreitenden Imma Alfons. Rasch zog er seinen Kragen, so gut dies aufgrund dessen metallischer Natur möglich war, etwas weiter, um seinen Hals und ein klein wenig seines hageren Oberkörpers zu entblößen und sah Alfons fest in die Augen, als dieser ihm überrascht selbst die Kette umlegte. Bis auf das leise und regelmäßige Rauschen des großen Flusses und das Knarren der Planken der Concabella war es an Bord mucksmäuschenstill geworden. Nivard legte selbst Hand an, vor aller Augen sicherzustellen, dass alle zwölf der geweihten Anhänger seine bloße Haut berührten und sorgte dafür, dass es das löwenförmige Amulett war, das in Richtung seines Herzens wies. Der junge Krieger wandte sich der Herzogenmutter zu und wartete kurz ihr Nicken ab, bevor er sich die Kette wieder in einer ruhigen Bewegung über sein schon früh schütter gewordenes Haupt streifte. Nivard trat zurück in den Kreis der anderen jungen Männer und Frauen. Obgleich er nicht damit rechnete, machte er sich auf das äußerste gefasst und beobachtete gespannt den Fortgang der Dinge.

Welf schluckte, als die Herzogin diese dunklen Worte gesprochen hatte. Darum ging es also. Eine Monsterplage war wahr geworden? Zumindest glaubte das Herzogenhaus daran und dies hatte sicherlich die klügsten Köpfe unter ihrem Banner vereint. Er würde dringend mit Mutter sprechen müssen! Und mit seinem Bruder. Aber er konnte nicht von diesem Schiff… diesmal würde Welf ohne ihren Rat auskommen müssen. Auf Nivard lag Welfs blick diesmal nicht nur in dessen Einbildung… Man hatte Gerüchte gehört, Gerüchte von Staub und Asche… Doch Nivard verging nicht! Welf war froh.

Lagorasch streifte daraufhin mit seiner rechten Hand über seinen glatten schwarzen Bart, und schaut fragend zu Borax, „Was ist im Rogolan das Wort für Vampir?“.

Borax rümpfte die Nase auf diese Frage hin. Er schien keine gute Antwort darauf zu haben, dennoch versuchte er es. “Mir sind in Verbindung mit unserer Rasse keine solchen ‘Dinge’ bekannt und ich habe nach dem Vorfall in Hlutharswacht sehr wohl in den Archiven von Nilsitz nachgesehen. Ich habe dir ja erzählt, dass ich dort war während der Roten Hochzeit. Demnach würde ich vermuten, dass es in unserer Mundart kein passender Begriff existiert.” Der Vogt seufzte. “Die Menschen verehren viele Götter und so wie es scheint, ist jeder dieser Verdammten von einem ihrer Zwölfgötter verflucht.” Ein Schulterzucken folgte. “Vielleicht ist es besser, nur einen Gott zu haben.”

„Ich verschenke eine goldenen Kette der Zwölfe und bekomme zum Lohn einmalig eine silberne Kette umgehängt?“ schoss es Quintus durch den Kopf. „Ahhh ich muss mich disziplinieren! Durch meine närrischen Gedanken hat mir einer den Vortritt genommen!“ ärgerte er sich und biss auf seine Unterlippe. Hätte eine andere Person vor Quintus gestanden und von Vampiren geredet, er hätte sofort angefangen zu lachen. In Elenvina hatte er jüngst von einem Boroni gehört, der seine Schüler lehrte was Vampire sind, nichts als Hirngespinste! Er beruhigte sich und hatte sich auf die weite Verbreitung von Aberglaube. Bis zu diesem Punkt hatte er große Erwartungen und Hoffnungen in diese Unternehmung gesteckt und sich eine hohe Anstellung versprochen, Glanz der auf die Familie scheinen würde, einen Onkel, der mit Stolz seinen Namen aussprechen würde. Aber dann stand er hier, wartete missmutig ab bis Nivard zurück getreten war. Mit unzufriedener Miene ging es drei Schritte vor, um das Kopftuch abzuziehen, jetzt sah man zum ersten Male seine dunkelblonden Haare, das Wickelgewand strich er über seine Schultern. Er schob das lederne Schlangenhalsband nach oben, fragte mit leicht genervter Stimme: „Reicht es so?“ Die Antwort wurde nicht abgewartet und das Haupt geneigt. Trotz aller Enttäuschung über den naiven Aberglaube, der hier zu herrschen schien, drückte er die Hände aneinander und symbolisierte mit ihnen das Aufschlagen eines Folianten. In Gedanken begann er das Gebet mit der Herrin Hesinde, während man ihm die Kette umlegte. „Mutter der Weisheit, bitte erleuchte den Geist der hier Anwesenden, schenke ihnen deine Gunst und deine Einsicht. Lass sie nicht weiter wandeln auf den Pfaden des Aberglauben, korrigiere ihre fehlerhaften Ansichten, darum bitte ich dich.“ Nachdem ihm die Kette der Zwölfe wieder ausgezogen war, ging er schnell zurück. „Nun ja Herrin, wenigstens bin ich nun sicher kein Vampir, ich werde dies in meinem Buch der Schlange festhalten, sobald ich meine Weihe erhalten habe und es in Kuslik überreicht bekomme.“

„Vampire?“, sagte Elvan leise vor sich her. Die Geschichten darüber waren natürlich auch in Elenivna zu hören, aber so keiner Begriff was das tatsächlich für Wesen waren. Dem jungen Kalligraphen stockte der Atem. „Wie naiv von mir zu denken es gehe hier nur um eine schöne Flussfahrt. Das sind wirklich arge Probleme, für die diese Ritter, Krieger und Magier wirklich die Richtigen sind. Doch ich? Ich bin doch nur ein Kalligraph, ein Schreiber in Ausbildung.“, dachte er bei sich. Imma von Schellenberg kam auf ihn zu. Ernst blickte sie ihn an, in ihren Händen die Kette. Mit erschrockenem Blick starrte er die Kette an. Elvan hatte das Gefühl, als schwanke der Boden unter seinen Füßen. Oder war das nur das Schiff das auf dem Wasser schaukelte? Er räusperte sich. „ Oh, ja, ähm natürlich“,stammelte er. Mit blassem Gesicht senkte er sein Haupt, und flüsterte ein Gebet zur gütigen Mutter Travia. Schwer und kühl fühlte sich die Kette an seinem Hals an. Er wartete kurz und schaute sich um. „Wie sie alle so starren, als ob ich gleich in Flammen auf gehen würde“, dachte er sich. Dann schaute er in Imma´s Gesicht. Sie lächelte.

Sie lächelte. „Elvan von Altenberg ist kein Vampir!“, sagte sie und nahm ihm die Kette ab und ging dann zum nächsten.

Elvans Hände zitterten, und der Blick ging zur Herzogenmutter. „ Nur jetzt Mut beweisen, Elvan. Die Götter haben sich bestimmt etwas dabei gedacht, warum du jetzt hier bist. Der Herzog kann auf dich zählen“, dachte er bei sich.

Lagorasch streichelte sanft mit seiner rechten Hand über seinen kurzen glatten schwarzen Bart, machte ein paar Schritte auf die Herzögliche Schreiberin und den Diener mit der Kette zu und neigte seinen Kopf. Mit seiner tiefen Stimme sagte er: „Im Rogolan, ist mir kein Wort für diese verfluchten Kreaturen bekannt, was aber kein Grund ist, dass es diese nicht geben soll. Da mir nicht bekannt ist, was alles ein Vampir sein kann, bitte ich euch, meine Gefährtin Serescha und mich zu prüfen. Legt mir diese Kette um, und geht bitte einen Schritt zurück, damit Ihr euch nicht erschreckt.“ Er neigte den Blick und die Kette ward ihm angelegt, er schaute den Diener dann an, der einen Schritt zurück machte. Daraufhin griff der Zwerg in seine Leinentasche und eine gelbgrün gesprenkelte, nur knapp 1 Schritt lange, zischelnde Schlange kam zum Vorschein. Sie schlängelte von selbst in Richtung der Kette und durch die Kettenglieder ein- zweimal rund herum um den Hals von Lagorasch, so dass Kette und Schlange ineinander verschlungen um den Hals des Zwerges ruhen. Ein paar Augenblicke vergingen, in denen die Kettenglieder die Haut des Zwerges und die Schuppen der Schlange berührten. Der Zwerg schaute mit seinen blauen Augen die Schreiberin an, bis diese nickte. Daraufhin schlängelte sich die Schlange wieder in seine Leinentasche zurück, der Diener nahm ihm die Kette ab. In sich gekehrt fragte sich der Diener der Erdmutter wer wohl alles außer ihm hier mit der Erdmacht gegen solche Wesenheiten vorgehen konnte. Auch wenn rohe Gewalt helfen mochte… aber es musste anscheinend jemanden geben, der diesen Pakt wider den Prinzipien des Weltengesetzes besser beherrschte. Der Herr dieser Sklaven, die sich Vampire nennen.

Ohne zu zögern oder anderweitig Anstalten zu machen, beugte Jonata ihr Haupt nach vorne, damit ihre Freundin ihr die Kette anlegen konnte. Natürlich war ihr bewusst, dass eine zu große Menge Metall ihren Astralfluss stören konnte, doch nicht bei einer kurzen Berührung. Auch verstand sie diese Vorsichtsmaßnahme nicht als Beleidigung oder Misstrauensbeweis. Nein, es war ein kluger Schachzug der Alt-Herzögin, um die Loyalität ihrer Gäste zu überprüfen. Die Kette brauchte dafür gar nicht wirklich geweiht zu sein. Aufmerksam verfolgte sie die Reaktionen jedes einzelnen. Wer fühlte sich unwohl, wer zögerte? Sie versuchte sich zu erinnern, was ihr Lehrmeister ihr über diese Kreaturen des Unheils beigebracht hatte. Wie waren sie zu erkennen, wie konnte man sich vor ihnen schützen? Besonders fasziniert war sie von der Schlange, die der Angroschim zu Tage förderte. Ein schönes Exemplar, wenn man dies von diesen geschuppten Tieren sagen konnte. Es schien bei Weitem mehr zu sein als ein einfaches Schoßtier - wer trug schon ständig eine Schlange bei sich? Als sie zu Lagorasch treten wollte, als die Blicke noch auf anderen lagen, die die Kette umlegten, trat Quintus an sie heran:

"So ein Familienmitglied der Hartsteigs, das sind ganz üble Verräter. Wir sollten sie im Auge behalten und herausfinden was sie vor hat."

Jonata hob bloß eine Augenbraue: "Zweifelst Du an der Menschenkenntnis Ihrer Hoheit? Sie wird schon ihre Gründe haben, weshalb sie die Einladung aussprach..." Dann jedoch seufzte sie leise und gibt etwas nach: "Aber vielleicht hast Du Recht. Es wird nicht schaden, vorsichtig zu sein...Kennst Du diese Familie näher?"

„Nein, das tue ich nicht im Geringsten, sie kann ihre Augen nur nicht überall haben. Habt ihr ihre Reaktion gesehen? Nein, ich kenne die Familie nicht, nur die Geschichten über den Giftdolch, der von der Hartsteiger Magierin in den Leib der Hoheit geführt wurde.“

Jonata antwortete nicht, aber nickte nachdenklich. Ja, natürlich erinnerte sie sich an Saria, schließlich waren sie auf dieselbe Akademie gegangen. Sie selbst hatte von der Sache nichts mitbekommen, sehr wohl aber von den Folgen. Der feste Blick der Magierin lag auf Deryalla, prüfend, abschätzend. Sie wollte nicht voreingenommen mit dieser jungen Frau zusammen-treffen, doch fiel ihr dies angesichts dieses Nachnamens schwer. Blut war dicker als Wasser, sagte man das nicht? Wie dick waren Tränen? Die Magierin kippte den Inhalt ihres Bechers nun doch in einem Zug hinunter und stellte ihn beiseite. Dann griff sie beruhigend nach Quintus Arm. „Sei deinen Freunden nah, doch sei deinen Feinden näher“, flüsterte sie ihm dann den auswendig gelernten Spruch auf Bosperano zu. Gemächlich begab sie sich in Deryallas Richtung.

Sogleich suchte Quintus wieder die Nähe von Elvan: „Ein Familienmitglied der verräterischen Hartsteigs. Wir sollten es im Auge behalten. Es ist unsere Pflicht, hier schlimmes zu verhindern. Auch wenn ich nach diesem Vampir Ammenmärchen etwas enttäuscht bin."

„Ammenmärchen? Glaubt ihr nicht, das es Vampire gibt?“, flüsterte Elvan zurück. „ Wenn es keine Vampire gibt, was war es denn, dunkle Magie?“ Nun schaute Elvan den Hesinde-Novizen an, und dann in Richtung von Deryalla von Hartsteig. „Mein ihr, sie ist eine Magierin?“, fragte er immer noch flüsternd Quintus.

"Von Vampiren erzählt man den Kindern, damit sie ihre dünne Suppe aufessen." Auf den zweiten Teil der Frage ging Quintus nicht ein. "Die Gabe Madas war bereits in der Familie von Hartsteig, ja ich halte es für durchaus möglich und..."

Quintus schwieg und legte eine scheinheilige Miene auf als der Diener der Hoheit ihn tadelnd anschaute.

Als die Herzogen Mutter die Vampire ansprach, spielte sich vor Ellians geistigem Auge noch einmal die Szene in der Schreibstube der kleinen Burg derer von Unkenau ab. Azula von Unkenau, die Matriarchin der Familie, hatte gerade Ivetta von Leihenhof, ihres Zeichens Hochgeweihte der Peraine und Junkerin von Storchengarten, empfangen. Sie erzählte von den Geschehnissen auf der Hochzeit, woraufhin eine kurze Diskussion über die Vampire entbrannte. Alles hatte Ellian nicht verstanden, was dort gesprochen wurde, aber genug, um zu wissen, dass es wohl kein Zuckerschlecken sein würde, wenn man auf einen Vampir treffen sollte. Der Tagtraum zerfaserte und der junge Knappe, versuchte wieder die Anderen zu beobachten und einzuschätzen was in ihnen vorging. Es schien sich eine große Anspannung auf der Concabella breit gemacht zu haben. Einige standen stocksteif auf dem Deck, andere tuschelten aufgeregt. Verstehen konnte man zwar nichts, dennoch erweckte es seine Aufmerksamkeit. Während Ellian ruhig darauf wartete, bis auch er an der Reihe war, dass Imma und Alfons ihm die geweihte Kette um den Hals legten, zu befürchten hatte er ja nichts, fixierte er Quintus. Er verhielt sich irgendwie anders. ‚Ob er wohl auch mehr über diese Geschöpfe des Namenlosen weiß?‘

Imma schritt weiter zum nächsten, der die Prüfung bestehen musste.

Welf war an der Reihe, da nahm er den heiligen Schmuck ehrfurchtsvoll entgegen. Welf hatte keine Angst, er war oft zum Gebet und im Kontakt mit den erwählten der Götter, aber er hatte großen… Respekt davor. Demütig nahm er jene so gefährliche Kurzzeitgabe also an, hielt sichtlich gebannt die Spannung, und ließ sie sich später wieder abnehmen. Auf Jonata lag wenig später sein Blick. Welf suchte das Gespräch mit der so gebildeten Verwandten.

Jonata hatte sich inzwischen neben Deryalla gestellt und griff nach einem Stofftaschentuch, das sie ihr unauffällig anbot. Aufmerksam beobachtete sie die junge Kriegerin aus ihren Augenwinkeln.

Ungerührt stand die Hartsteig neben der Magierin, die die gleiche Schule besuchte wie einst ihre verfluchte Base. Deryallas ernstes Gesicht glich einer Maske, schwer zu lesen und bar jeder Emotion – wäre da nicht die langsam trocknende Träne auf ihrer Wange gewesen. Auf das versteckte Angebot Jonatas war sie bislang nicht eingegangen oder hatte es schlicht übersehen. Während Imma nun näher kam, bemerkte Jonata wie kurz Muskeln auf Deryallas Wange hervortraten und sich dann wieder entspannten.

Jonata steckte das Taschentuch wieder fort und beobachtete die Szene aus dem Augenwinkel.

Mit einem Ruck beugte sich Deryalla vor, ergriff ihr Haupthaar mit der Rechten und raffte es für Imma zusammen.

Als Imma und Alfons vor Ellian traten, beugte er seinen Kopf, um sich die Kette umhängen zu lassen, stellte sich wieder aufrecht und schob seine senfgelbe mit schwarzen Stickereien verzierte Gugel so zurecht, dass die Kette seinen Hals berühren konnte. Erwartungsvoll blickte er die beiden Hochgeweihten an, bis diese die Zustimmung gaben, die Kette wieder ablegen zu dürfen. Mit einem Lächeln auf den Lippen übergab er Imma das Schmuckstück und trat in die Reihe der jungen Adligen zurück.

Dorcas zog eine Augenbraue hoch bei dem Wort Vampire. `Nur Vampire? Ich bin schlimmerem begegnet`, dachte er bei sich. Ein kurzes Ziehen seiner Narbe auf der Stirn, die seine linke Augenbraue teilte, brachten die Erinnerung an die Schlacht um Mendena zurück. Ein raubtierartiger Dämon hatte ihm diese zugeführt. Er wartete bis alle durch waren mit der Prüfung und trat als letzter vor. Als Imma von Schellenberg mit der Kette in seine Richtung kam, zog er sein Waffenrock aus, und kniete mit entblößtem Oberkörper vor ihr nieder. Er genoss den kühlen Wind auf seiner Haut. Er hoffte, wenn die Herzogenmutter die Narben auf seinem muskulösen Körper sah, dass sie wusste, dass er kämpfen konnte. Über die Kette machte er sich keine Gedanken, er war sich gewiss, dass die Göttin Rahja an seiner Seite war. Als die herzögliche Schreiberin ihm die Kette überstreifte, suchten seine sanften, braunen Augen die ihren, in der Hoffnung eine Reaktion von ihr zu erhalten. `Eine echt hübsche Maid`, dachte er sich. Dorcas bemerkte kaum, wie sie die Kette wieder von ihm abnahm. Zufrieden zog er sich wieder an.

Borindarax beobachtete die Prüfung der Mitreisenden aufmerksam. Der Vogt hatte der Hochzeit der Häuser Sturmfels- Maurenbrecher und Keyserring beigewohnt und wusste daher, wie ernst die Lage war, wie ratsam diese Sicherheitsmaßnahme. Während der Trauungsfeier hatte sich Borax dank seines Leibwächters Boindil recht schnell in relative Sicherheit bringen können, dennoch hatte er einen Großteil des Angriffs der Vampire mit ansehen müssen, eingeschlossen ihre blutige Ernte. Als die Prozedur beendet war, strich sich Borax zufrieden und auch ein wenig erleichtert über den Bart. In den Tagen nach der Roten Hochzeit waren ihm die tiefen Keller seines Amtssitzes in Senalosch eine Zuflucht gewesen. Hier fühlte er sich ein wenig disponiert.

Nachdem alle Gäste bewiesen hatten, nicht von unheiliger Kraft erfüllt zu sein, gab Ihre Hoheit der Kapitänin ein Signal. Diese nickte und gab das Kommando an die Mannschaft weiter: „Klar zum Ablegen!“

Dann wendete sie sich an die Begleiter Grimbertas: „Werte Gäste der Concabella. Bevor wir in wenigen Momenten ablegen, muss ich euch darauf hinweisen, dass hier an Bord mein Wort gilt. Und nur das meine, es sei denn, ich bin verhindert. Jeder, egal welchen Rangs oder Standes, hat sich dem unterzuordnen. Dies ist das Flaggschiff der stolzen Flussgarde, und ich dulde keine Scherereien oder sonstige Probleme auf meinen Planken. Dies ist Efferds Gesetz, und es ist ein altes, ein gutes Gesetz.“ Ernst blickte die Enddreißigerin, die mit sicherem Stand und deutlicher, lauter Stimme sprach, von einem Gast zum anderen. Als kein Widerspruch zu hören war, wies sie ihren ersten Offizier an, die vorbereiteten Kabinen zu zeigen.

Welf widersprach nicht, so viel war selbstverständlich. Er beobachtete die harten Worte der Capitana in der Nähe der Herzogenmutter, doch er begehrte nicht dagegen auf, verzog nur die Braue – immerhin war ihm diese Ansage zu Nutze, Welf hasste das Gerangel unter Altersgleichen. Ein neues Interesse erwuchs von Seiten Welfs zur Schreiberin der Herzögin, auch sie war ihm verwandt – indirekter zwar, aber merklich. Womöglich ließ sich über sie mehr herausfinden, was die Fahrt mit sich bringen würde? Doch war nun ein geeigneter Moment sie anzusprechen. Zuerst galt es die Kajüten zu beziehen und zu sehen, mit wem man sie teilen würde – den Standesgenossen oder wild durchmischt? Doch mit wem der Anwesenden würde er überhaupt ein Zimmer teilen wollen? Sein Blick wanderte zu seinen Akademiekameraden, wirklich gut, oder überhaupt gut, konnte er sein Verhältnis nicht benennen… er verstand zwar nicht wieso, aber beide waren auf ihre Art distanziert. Die Bücherwürmer – weltlich wie magisch – waren ihm fern und die Knappen… Jener Dorcas, der ein ganzes Pferd verschenken konnte und den die Herzogin dafür nicht einmal tiefer beachtet hatte als sie anderen, er wirkte mit seiner Größe auf Welf geradezu protzig. Die anderen Knappen waren aber eher wenig auffällig gewesen. Es versprach also zuerst einmal, keine allzu unterhaltsame Reise zu werden. So verblieb Welfs Blick also auf der ehrenwerten älteren Dame, der Herzogenmutter, die so viel Ruhe und Erfahrung ausstrahlte. Damit blieb Welf offen für Gespräche – während sich die so unterschiedlichen Zöglinge für den Ersten Offizier versammelten.

Aufmerksam hörte Elvan der Kapitänin zu und nickte als sie fertig gesprochen hatte. Nun schaute er sich um. Er fühlte sich ein wenig verloren unter den kampferprobten Leuten. Er selbst war gerade mal 175 Halbfinger groß und doch eher von schmächtiger Gestalt. Mit wem sollte er sich eine Kabine teilen? Am liebsten würde er Jonata fragen wollen, doch schickte sich das? Ein kräftiger Schlag auf seine Schulter riss ihn aus seinen Gedanken. Der Knappe Dorcas, sein neuster Freund, stand neben ihm.

„Los Elvan, lass uns eine Kabine suchen, ich hab sogar guten Ferdoker im Gepäck. Eine Seefahrt soll ja lustig sein, hab ich gehört!“, sagte Dorcas zu ihm.

„Ähh, gut. Dann schauen wir mal“, sagte der Schreiber etwas zögerlich.

Quintus trat an die Gruppe, die auf Deck stand, bei der sich auch die beiden Zwerge befanden, heran und sprach in einem akzeptablem Rogolan, dem allerdings der Bass fehlte, folgende Worte: „Ah, na dann können wir ja gespannt sein, mit wem wir das Zimmer teilen dürfen, nicht wahr?“ Nach dieser Höflichkeitsfloskel sprach er sehr direkt. „Für die Herren Angroschim muss dies eine überaus wichtige Reise sein. Ich meine, ihr verlasst dafür sogar das sichere Land und betretet ein Schiff. Was erhofft ihr euch von dieser Reise?“

´Ich wurde von meiner Schwester auf diese Reise geschickt und weiß selbst nicht, was ich hier soll´, dachte Gerwulf, sehnsuchtsvoll ans Ufer blickend. Zu Quintus gewandt sprach er: „Die Jagd zeichnet unseren Herrn Firun in allen Aspekten aus. Sei es die Jagd nach dem Neuen und Unbekannten, sei es die Jagd auf verderbte, untote Kreaturen. Ich bin hier, um meinem Herrn und Ihrer Hoheit zu dienen, so gut ich es eben vermag.“ Mit diesem Satz wandte Gerwulf sich wieder dem Ufer zu, den Kopf des neben ihm hockenden Wolfs kraulend. ´Alles in Ordnung, Wolf´, dachte Gerwulf mit Blick auf das Tier, ´unser Herr Firun wird schon wissen, was er mit dieser unserer Reise bezweckt. Wir werden uns als stark und würdig erweisen, was auch kommen mag. Und wenn wir damit dem Hause von Wolfentrutz auch noch Ehre erweisen, so ist unser Werk wohl gelungen. ´

Der schwarzhaarige Zwerg drehte sich zu dem Neuankömmling mit einem etwas gequälten Gesicht zu und antwortete in Rogolan. „Nun zuerst einmal das dieses Schwanken nicht allzu lange dauert.“ Daraufhin nahm er einen Schluck aus seinem Wasserschlauch, und schaute die beiden Herren an, „Tee aus den Blättern der Lulanie, hilft gegen Übelkeit, eventuell auch etwas erwünscht?“ Und bot seinen Wasserschlauch an.

Auch der Vogt nahm dankend einen Schluck aus dem Schlauch.

„Nun zu Deiner Frage, mag es keine einfache umfassende Antwort geben. Oft ergibt sich ein Ziel aus der Vereinigung von Möglichkeiten und der Bereitschaft zu lernen, so hat es mich Emmeran immer gelehrt. Meine Aufgabe ist im Kern eigentlich ganz einfach, ich soll lernen …“ kurz verzog er sein Gesicht und schien sich darauf zu konzentrieren, die Kontrolle über seinen Körper zu behalten. „Entschuldigung, aber ich bin dieses Schwanken einfach nicht gewohnt. Jedenfalls soll ich Menschen kennenlernen.“

Borax strich sich mit den Händen über den Bart und verschränkte sie danach in seinem Rücken, bevor er zu einer Antwort ansetzte. “Ich war an der Aufdeckung des Mordkomplots gegen ihre Hoheit beteiligt und fühle mich ihr auch aus diesem Grund verbunden. Ein Ausschlagen der Einladung war nicht zuletzt deswegen kaum möglich, immerhin ist die letzte derartige Reise gescheitert beziehungsweise konnte nicht angetreten werden. Zudem fühle ich mich als gräflicher Vogt auch als Mittler der Rassen. In Nilsitz gibt es nahezu ähnlich viele Angroschim wie Menschen. Daher versuche ich jede Möglichkeit zu nutzen, in diesem Sinne zu agieren, für Verständigung zu sorgen. Diese Rundfahrt ist eine gute Gelegenheit hierfür. Ich hoffe, einige von euch jungen Herrschaften kennenzulernen und Kontakte zu knüpfen.

Und noch eine Anmerkung sei mir an dieser Stelle gestattet.” Der Vogt grinste süffisant. “Nicht jeder Angroschim sinkt im Wasser wie ein Stein zu Boden. Einige lernen sogar Schwimmen. Aber natürlich ist es richtig, dass der Großteil meiner Rasse Wasser aus gutem Grund meidet. Bei uns ist es unüblich, sich näher mit dem Wasser auseinanderzusetzen. Wir leben für gewöhnlich unter den Bergen, zumindest aber im Gebirge und dort gibt es kaum eine Notwendigkeit, schwimmen zu lernen. Ich selbst verfüge nur über rudimentäre Kenntnisse auf diesem Gebiet, könnte mich allenfalls in einem ruhigem See dauerhaft über Wasser halten. Der Große Fluss jedoch ist selbst für einen geübten Schwimmer zum Teil tödlich. Stromschnellen, Strömungen unter der Wasseroberfläche, die geringe Temperatur des Wassers und der daraus resultierende Schock- all das kann eine erhebliche Gefahr darstellen.”

Bei diesen Worten kamen dem kleineren der beiden Zwerge beinahe die Tränen in die Augen. Er hatte die Geschichte Borax damals bei ihrem ersten Treffen in Senalosch erzählt, dachte der Vogt eben an seine Geschichte? Die verwirrenden Bilder aus der allzu fernen Vergangenheit holten Ihn ein: ‚Da war das Beben, die ganze Erde bebte die letzten Wochen immer wieder, ohne dass jemand wusste warum, der Fels erzählte von einem Schmerz tief und weit entfernt in seinem Inneren, die Welt wurde entzweit. Und dann kam das Wasser, aber so viel, mit so viel Wasser hatte er noch nie zu tun. Und dann die Schreie seines Zwillings… Angst und wilde Bewegungen, irgendwie fühlte es sich richtig an sich so zu bewegen, er wollte Logarasch beschreiben wie er sich zu bewegen hatte, aber es war einfach zu laut… und wo war Logarasch?‘

„Es ist mir eine so große Freude, endlich einmal wieder die wunderbare Sprache der Angroschim zu sprechen. Lulanie gegen Übelkeit? Ich werde dies direkt meinem Herbarium zufügen. Aber danke ich klage nicht über Übelkeit, zumindest nicht von der Schifffahrt. Allerdings“ dieses Wort wurde sehr stark betont, „ändert sich das, wenn ich über bestimmte Personen hier an Bord nachdenke.“ Qiuntus ließ den Namen unausgesprochen, wechselte dann jedoch ins Garethi und hob die Stimme in der Hoffnung, seine Gesprächspartner würden dies auch bewusst oder unbewusst tun. „Oh, na das ist ja interessant. Ihr müsst uns alles darüber erzählen! Ein Ermittler im Mordkomplott gegen ihre Hoheit? Ihr meint in dem Mordkomplott in den diese...“ er legte den Finger an die Unterlippe und schaute nach oben als hätte er überlegen müssen „ diese Magierin von Hartheim, ach nein, von Heitersteig, meine Güte ich komme einfach nicht mehr auf den Namen. So helft mir doch, es ist ja so spannend.“

Die Worte von Quintus hatten Logarasch wieder in die Welt zurückgeholt. ‚Borax ist mein Freund‘ dachte der junge angehende Geode, ‚zudem kommt der Schmerz aus mir, wie soll er wissen wie weit ich davon entfernt bin mit meiner Vergangenheit abzuschließen?‘

In geruhsamen Nordmärker Garethi antwortete der schwarzharige Zwerg mit dem goldenen Ring um den Hals: "hm... es ist wichtig sich den korrekten Namen zu merken." Wesentlich schneller, als ob er befürchtete, unterbrochen zu werden, fuhr er fort: "Der Name ist ein elementares Merkmal, die Macht, die ein Name in sich trägt, solltet Ihr nicht unterschätzen. Seit dem Sternenfall gelten viele der alten Regeln in anderer Weise. Ihr müsst bedenken, das die Sternenkonstellation mit dem Gefüge der Welt wechselwirkt. So war früher der bei euch so genannte Levtansmond in Wechselwirkung mit den körperlichen Bedürfnissen der Fortpflanzung. Folglich waren Liebeszauber besonders mächtig, ebenso waren manche Pflanzen, die zu dieser Zeit gepflückt wurden besonders mächtig. Auch waren manche Menschen und Zwerge, deren Name oder Seele besonders geprägt waren, in dieser Zeit sehr erfolgreich in ihrem Tun." In den Gedanken des Geoden formte sich eine Warnung von Emmeran wieder in den Vordergrund: 'Wisse immer was Du sagst, aber sage nie alles was Du weißt'. In wesentlich langsameren und wieder geruhsamen Worten fuhr er fort: "Nun, auf mich wirkt mehr dieses Schwanken, auf mein Gemüt... und ansonsten mag mich eher Lautstärke und Geruch vertreiben. Wobei vertreiben wohl das falsche Wort ist. Wenn es irgendwo laut ist, dann vertreiben diese Lautstärke eher die Aufmerksamkeit und Sinnesschärfe. Und das mag ich eher als beunruhigend bezeichnen... eventuell meinst Du das. Vielleicht verlierst Du Deine Sinneswahrnehmung? Es könnte ja sein, dass Dich Erinnerungen und Verknüpfungen so sehr beschäftigen und in der Vergangenheit halten, dass es diese körperliche Reaktion hervorruft. Nun der Tee hilft bei Magenverstimmungen im Allgemeinen... folglich würde ich Dir auch einen Schluck empfehlen... aber noch mehr mag es helfen, wenn Du es schaffst, Dich Deinen bösen Geistern zu stellen." Mit einem zufriedenen Nicken schien sich der Geode zu seinem Gedankengang selbst zu beglückwünschen.

Ein leichtes Lächeln kräuselte Deryallas Lippen angesichts der ausschweifenden Antwort des schwarzhaarigen Zwergen. Sie stand weiter vorne – nahe des Offiziers, der kurz gewartet hatte, bis sich die Zöglinge sammelten. Folglich war ihr das affektierte Getue des Novizen nicht verborgen geblieben. Eines war jetzt bereits klar: Dieser Spross aus dem Hause Münzberg war alles – nur nicht so bescheiden wie der Rest seines Hauses. Wenn der Redeschwall Lagoraschs nicht mittlerweile die Frage in den Hintergrund gerückt hätte, wäre sie diesem Quintus liebend gerne helfend entgegengekommen, doch nun setzte sich der erste Offizier in Bewegung und steuerte einen nahen Niedergang an, so dass sie ihm folgte.

Der Vogt schmunzelte während Lagorasch sprach. Er mochte den jungen Geoden wegen seiner natürlichen Art und dem Fehlen von Vorurteilen. Manch ein Sohn Isnatoschs konnte sich an ihm ein Beispiel nehmen. Doch anstelle dessen hatte er es immer wieder mit Granitköpfen zu tun, die ihm die Arbeit erschwerten.

Quintus musste Lagorasch Respekt zollen und nickte ihm einmal zu. So eine schlagfertige und zutreffende Antwort, die zugleich auch von einer hohen Menschenkenntnis zeugte, hatte er dem schrullig wirkenden Geoden nicht zugetraut. Er griff nach dem ihm angebotenen Schlauch und trank daran, eher um Zeit zu gewinnen um sich eine Antwort zurecht zu legen als gegen die nicht vorhandenen Übelkeit. Er reichte den Schlauch zurück. „Eine bittere Note.“ Und damit meine er nicht unbedingt den Tee. „Die Sinneswahrnehmung verliere ich sicher nicht, ich habe sie geschärft und das ist mir auch bei dir gelungen. Mit einer Sache magst du recht haben, auch wenn 'böse Geister' wohl nicht zutreffend ist weiß ich um was es dir geht. Vielleicht war mein Eifer die Hoheit beschützen zu wollen einfach zu groß und hat meine Sicht eingeschränkt. Ich wollte nur nicht das uns dieser... Stein auf die Füße fällt.“ Ohne hin hatte er Deryalla von Hartsteig schon in den Fokus der Gedanken und Gespräche gerückt. Sie ließ sich nicht einfach aus der Reserve locken und provozieren, das hatte Quintus schon gelernt, und sie musste schon Nerven wie Ankerketten haben wenn sie jetzt noch losschlagen würde. Sofern sie überhaupt etwas geplant hatte. Eine Provokation müsse sie noch über sich ergehen lassen und er würde ihr ihre Ruhe lassen aber dieser Prüfung musste sie sich noch stellen. „Vogt, Lagorasch.“ damit deutet er an, dem Stand entsprechend hinter dem Vogt zu laufen, wo auch immer dieser Niedergang sie hinführte.

Borindarax von Nilsitz nickte dankend in Richtung des Novizen und trat auf die Treppe, die unter Deck führte.

Ohne ein weiteres Wort folgte der Geode Borindax von Nilsitz.

Als sich alle so beeilten, der Aufforderung des Kapitäns nachzukommen, blieb Jonata noch kurz an Deck, um sich zu sortieren. Ihre Gedanken waren noch immer bei dem Vampirthema. Sie hatte das Gefühl, dass die meisten Anwesenden sehr gelassen damit umgegangen waren, was sie überrascht hatte. Hatten sie keine Angst oder hielten sie Vampire für bloßen Aberglaube? Oder – was noch schlimmer wäre - litten sie an so großer Selbstüberschätzung, dass sie Vampire nicht als Gefahr sahen? Dann schweifte ihr fragender Blick zu ihren Freunden Imma und Elvan, ob diese wohl Lust hatten, mit ihr die Kabine zu teilen? Die junge Magierin hoffte darauf, oberflächlichem Geplapper entgehen zu können und stattdessen Ansprechpartner zu haben, denen sie vertrauen konnte. Doch Elvan war schon drauf und dran mit einem der Krieger unter Deck zu verschwinden. Sie biss sich auf die Lippen, nun, warum auch nicht? Es war gut, hier neue Freunde zu machen. Ihr Blick wanderte weiter hinüber zu Imma und hin zu Quintus, der sich prächtig mit den Zwergen zu verstehen schien. Sie hätte auch liebend gern mit dem Besitzer der Schlange gesprochen, doch nicht zu diesem Zeitpunkt, nicht zwischen Tür und Angel, oder Reeling und Planken. So begab sich Jonata also langsam hinüber zu der Schreiberin Imma und fragte sie freundlich, ob sie schon einen Schlafplatz gefunden hatte

Imma nickte. „Ja, mein Gepäck steht schon in einer der Kajüten. Borax und ich sind ja etwas vor euch hier gewesen, daher haben wir zwei der Kajüten schon bezogen. Wenn dort noch Platz ist, würde ich mich freuen, wenn du dich dort einquartierst.“ Die brünette Schreiberin lächelte ihre Freundin erfreut an. „Ich muss leider noch etwas mit ihrer Hoheit besprechen. Aber ich freue mich später mit dir zu plauschen.“ Sie berührte sacht den Jonatas Ellenbogen und wandte sich bedauernd ab.

Ellian blieb noch einen Augenblick stehen und schaute über das Deck. ‚Es kennen sich wohl schon einige hier. Mal sehen, ob ich auch noch Anschluss finde’, schoss es Ellian durch den Kopf als sich die ersten in kleinen Grüppchen zusammenfanden. Zuerst viel ihm die Magierin Jonata ins Auge, die wohl gedankenverloren ins Leere schaute, denn als er ihr zunickte, zeigte sie keinerlei Reaktion. ‚Dann stör ich die wohl besser nicht in ihren Gedanken.‘ Zu seiner Rechten stand der Krieger Welferich auch etwas verloren auf dem Schiff herum, so machte es zumindest den Anschein. Ellian machte ein paar Schritte auf ihn zu, „Du bist Hilberian, nicht? Kennst wohl auch noch niemanden hier?“

Welf lächelte Ellian kurz etwas verlegen an. Erst nickte er reflexartig, dann überdachte er die Aussage aber noch einmal und erläuterte. „Ja, Hilberian von Schleiffenröchte, ihr seid Ellian von Schrötertrutz, nicht wahr? Ich kenne hier schon einige Gesichter, meine Verwandte vor allem.“ Direkt war damit wohl Jonata gemeint, aber im Kern waren sie doch alle irgendwo verschwägert. „Aber bisher…“ Er sah sich kurz etwas um und lächelte milde. „Muss ich diese Eindrücke wohl noch verarbeiten. Was ist mit euch? Hattet ihr damit gerechnet? Also mit der Sabotage der letzten Fahrt, mit den Tests unseres Wesens, mit dieser… Vampirplage?“ Er hob fragend die Braue. Dann sah er zu seinen beiden hochverdächtigen Kameraden von der Akademie. „Es gab ja bei uns schon lange Gerüchte… Bei euch auch?“ Fragte er den Krieger

Ellian stockte kurz, lächelte dann verlegen, allerdings ärgerte sich innerlich über seine Unachtsamkeit. „Oh verzeiht, dass Ihr Verwandte seid hätte ich auch selbst erkennen müssen. Scheint so als müsste ich auch noch einiges verarbeiten. Aber um auf Eure Fragen zu sprechen zu kommen. Von den Vampiren habe ich erst vor kurzem, nach der der Hochzeit in Hlûtherswacht erfahren, als eine entfernte Verwandte meiner Herrin, die auf der Hochzeit war, davon berichtete. Daher verwundert es mich nicht, dass man uns testet. Allerdings muss ich gestehen, dass ich nicht sonderlich viel über die Sabotage, von der Ihr sprecht, weiß. Könnt Ihr mehr darüber berichten? Aber wir sollten unsere Taschen vielleicht vorher unter Deck bringen. Stört es Euch, wenn wir uns eine Kabine teilen?“

Welf schüttelte den Kopf, er lächelte milde zu Ellian. „Nein, das stört mich keineswegs. Zu der Sabotage weiß ich leider auch nicht viel mehr… nur, dass dies nicht die ersten Vorbereitungen dieser Art in Elenvina gewesen sein sollen.“ Gab er verschwörerisch raunend von sich. „Aber diesmal scheint es ja zu gelingen.“ Dann geleitete er Ellian nach unten.

Unter Deck: Kojenwahl

Nivard klangen sie noch immer in den Ohren, die ebenso monoton wiedergegebenen wie gebetsmühlenartig wiederholten Worte ihres einstigen Lehrmeisters in Kriegskunst, Fredegar von Harthals möge er selig in Rondras Hallen weilen): ‚Kennt immer genauestens Eure Stellung!‘ Und genau das würde er beherzigen, während die Kajüten zu beziehen waren: sich umsehen, die Concabella kennenlernen, Wege, Verstecke, Schwachstellen ebenso wie gut zu verteidigende Positionen und die Abstände zwischen diesen einprägen. Wer weiß, wozu es gut ist. ‚Der gute Krieger ist immer vorbereitet‘, auch das eine Weisheit Fredegars, die Nivard gerade jetzt, auf dieser Fahrt in ihm unbekannter Mission, genauestens umzusetzen gedachte. Welche Prüfung, welche Aufgabe auch immer Grimberta für sie ausersehen hatte, er würde sich wappnen. Er war natürlich auch gespannt, mit wem gemeinsam er seine Kajüte beziehen würde. Und fragte sich, wen er wählen würde, falls eine Wahl überhaupt vorgesehen war. Sicherlich geziemte es sich für die jungen Edelleute – war man doch nicht im Kriege – wenn jedes Geschlecht sich ausschließlich mit seinesgleichen die Kammer teilte. Nivard war dies nicht nur um der guten Sitten Willen recht – wenn ein Terrain ihn taktisch überforderte, ihm Fallen stellte und ihm all seinen Mut und Willen, die ihn sonst so verlässlich trugen – zu rauben vermochte, dann war es der Umgang mit der holden Weiblichkeit, vor allem wenn diese jung, hübsch und nicht ausschließlich als Kampfgefährtin und damit im Prinzip geschlechtslosen Kämpen) zu sehen war. Gerwulf schien ihm ein angenehmer Geselle zu sein, umso verwunderlicher, dass er mit Welf befreundet war. Dorcas erinnerte ihn vom ersten Eindruck unangenehm an jene, gegen die er sich anfänglich an der Kriegerschule behaupten musste - auch wenn ihm dies sicher keine Furcht mehr) bereitete, stand ihm nach dieser Art von Gesellschaft nicht der Sinn. Angroschim galten als bodenständige und umgängliche Zeitgenossen. Die anderen wusste er noch nicht so recht einzuordnen…

Mit Blicken um sich schweifend, folgte er erst einmal den anderen, die sich dem Ersten Offizier angeschlossen hatten und in die Eingeweide des Flussschiffes hinabstiegen.

Auch wenn die Concabella herrschaftlich gebaut war, zeigte sich hier am Fuße des Niedergangs, dass wenig Platz zwischen den zu beiden Seiten liegenden Kabinen blieb: Die kleinen und eher unaufgeregt eingerichteten Räume boten Platz für je vier Mitreisende und sollten für die nächsten Tage Heimstatt der jungen Nordmärker werden.

Deryalla nahm ihren Waffengurt ab und legte ihn gleich in der ersten Kabine demonstrativ auf eine Koje. Ihr war reichlich egal, mit wem sie den Raum teilte: Nach den letzten Götternamen konnte es nicht viel schlimmer werden.

Als Elvan hinter Dorcas dem ersten Offizier folgte, fiel ihm die Kriegerin Deryalla wieder auf, die sich gleich die ersten Kabine wählte. Auch wenn Quintus ihr misstraute, fühlte er so etwas wie Mitleid für sie. Aus einem spontanen Bauchgefühl heraus, zog er Dorcas am Arm und sagte: „Lass uns hier mit rein“, und deutete auf die erste Kabine.

„Von mir aus. Spaß haben können wir überall und Rahja ist mit mir“, sagte Dorcas mit lauter Stimme. Doch bevor er die erste Kabine betrat, drehte er sich zu den Anderen um. „Ein Platz gibt es noch, wer hat Lust auf gesellige Abende?“, fragte er in die Runde.

Auch Elvan drehte sich um, und suchte die Blicke von Jonata und Quintus, bevor er die Kabine betrat.

Nachdem klar wurde, dass sie zu mehr als zwei Personen einen der Räume unter Decke beziehen mussten, drehte sich der Vogt zu dem Mitglied der Familie Münzberg. „Ich würde mich freuen, wenn ihr mit uns eine Kajüte nehmen würdet. Ich denke, es würde so manch interessantes Gespräch ermöglichen.“

Als Quintus Elvan in der Tür zu Deryalla sah, nickte er ihm unauffällig zu. 'Sehr gut mitgedacht Elvan, Die Nähe der verdächtigen Person zu suchen und ihr Vertrauen zu gewinnen ist eine sehr gute Taktik.' Für was Quintus sie verdächtigte, wusste er selber nicht genau, doch er konnte sich einfach noch keinen Reim darauf machen, warum er hier war. An die Vampire glaubte er nach wie vor nicht und er hielt es für einen Vorwand um die Reaktionen der Anwesenden zu prüfen. Auch glaubte er nicht an ein Kriegsmanöver das ihnen bevorstand, dafür war die Gruppe zu durchmischt. Das einzige was in diesem Moment in seinen Gedanken möglich war und gut zu einem abgeschlossenen Raum, den dieses Schiff ja in gewissen Maßen darstellte, war das Aufklären einer Intrige. Er hielt seine Hand flach vor die Brust und neigte seinen Oberkörper leicht. „Es wäre mir eine Ehre und Freude. Ich habe es mir als Arbeitsaufgabe gestellt die Stammbäume der hier anwesenden zu erfassen und zu gegebener Zeit in den Archiven abzugleichen. Ich weiß nicht ob es bei den Angroschim in schriftlicher Form dokumentiert wird, da eurem Volke das gesprochene Wort ja so wichtig ist, doch es wäre mir eine große Ehre mit dem euren anfangen zu dürfen Vogt Borax.“ Nicht wissend auf was er sich dort eingelassen hatte verstaute Quintus sein schmales Gepäck unter der Koje und holte Papier und Stift vor. Als der Zwerg die Stiefel auszog kamen ihm fast die Tränen. 'So riechen nicht alle Käsereien des Horasreiches zusammen! Riecht er das nicht selbst?' „Habt ihr etwas dagegen wenn wir die Tür bei der Erfassung des Stammbaumes offen lassen?“ Fragte er den Zwerg beiläufig.

„Pfff“, mit einem Ruck und ungläubigem Gesicht schaute der Geode den Novizen der Hesinde an. ‚Wie kann man ohne sich vorzustellen, seine eigene Familie und Tradition vorzustellen, die Geschichten und Taten der Familie vorzustellen… und überhaupt, ohne die andere Kultur zu kennen und zu erfragen… wie konnte man so an jemanden herantreten?‘ so dachte es sich der Geode. Und seine Gedanken gingen weiter mit der Frage: wie erzähle ich es dem Kinde‘. Kurz darauf sprach der den Novizen an, „Eine interessante Aufgabe… aber eine unpassende Art zu beginnen. Wollt Ihr eure Herangehensweise an dieses Thema noch einmal überdenken?“

Fragend schaute der Novize den Geoden an. „Habe ich etwas falsches gesagt? Ich dachte, es ist jedem Zwerge eine Ehre über die Ahnen zu reden.“

Amüsiert warf sich der Zwerg auf seine Koje und bewegte die Schultern auf und ab. ‘Zu weich’- befand er für sich, ließ sich darüber jedoch nicht von einer Antwort abhalten.“Nuuun- ich wette der Junge Herr ist gerne bereit, uns zuerst von sich und seinen Ahnen zu berichten. Was meine Ahnenlinie angeht- so hoffe ich wir werden viel Zeit für diese Erörterung haben, denn die Faxarasch- Sippe lässt sich bis zurück zu den Drachenkriegen belegen. Euer Unterfangen wird also für uns beide eine große Herausforderung. Ich muss alles in die richtige Reihenfolge und den korrekten Zusammenhang bringen und ihr müsst versuchen dabei nicht einzuschlafen.” Lachend schloss Borax die Augen und versuchte sich zu entspannen. Die seichte Bewegung des Schiffes jedoch verhinderten dies im Ansatz.Resigniert führte er an. “Lasst die Tür ruhig offen- dies ist ohnehin sinnvoll, da wir ja bisher nur zu dritt sind und es vier Schlafplätze gibt.”

„Die Drachenkriege vor 8200 Götterläufen gewütet haben und die 2700 Götterläufe andauerten?“ Er kannte die Antwort bereits und schluckte einen dicken Kloß herunter. 'Na das kann ja heiter werden, jetzt musst du durch!' Er griff zu seinem Bündel unter dem Bett und holte seinen Stammbaum hervor. „Das Haus von Münzberg, nachweislich vierundzwanzig Generationen Nordmärkerblut.“ verkündete er stolz auch wenn das den Zwergen wohl lächerlich erscheinen musste und von der Tradition den Namen in ihrem Haus. Wenn der Vater zum Beispiel Corintan hieß musste der Name des Kindes zwangsläufig mit D beginnen da es der nächste Buchstabe im Alphabet war. Und von der Nähe zur Mutter Peraine und Praios der fast alle in der Familie verband. Während er es erläuterte halten die Worte des Geoden über die Wichtigkeit der Namen in seinem Kopf nach. Nun, viel hatte er den Zwergen nicht zu berichten da oft außer den Namen und dem Tsa- wie auch dem Boronstag nichts zu den Personen bekannt war. „So und dann sind wir auch schon bei meinem Onkel Aurian Familienoberhaupt, Ritter von Klein Münzberg und stolzes Mitglied vom Schutzbund der ostendorfer Lande auch als Hainritter bekannt. Seine Großtante ist euch vielleicht noch ein Begriff Ansualda von Münzberg die Gattin des Barons Rajodan von Keyserring und hier natürlich: meine Eltern Perainlind und Odumir beides Priester der Mutter Peraine.“ Er hat sich sein Gähnen verkniffen und strich über das Symbol der Hesinde an seinem Armband.

Borax erhob sich, nachdem Quintus seine Ausführungen beendet hatte.Der Seegang bracht seine Gedärme in Unruhe. Es gluckerte und brodelte in seinem Innersten, zumindest schien es ihm so. Dennoch wollte er nicht unhöflich sein. „Beginnen wir mit den Clans von Isnatosch, ihrer Geschichte, Verbreitung und Bedeutung.“ Und so berichtete der Vogt von der Sippe der Faxarasch, Ghartogasch, Xorex, sowie einiger anderer, während er Pfeife rauchend auf seinem Bett saß.

Der Geode betrachtete seine drei Bündel und die Koje. Serescha hatte sich gleich in die Koje aufgemacht und erkundete die Möglichkeiten, ihr machte das Schwanken weitaus weniger aus. Das Bündel mit dem Wirselkraut hatte er für die Großlinge gesammelt, bei denen soll die Heilpflanze besser anschlagen, aber warum wusste niemand zu sagen. Die anderen Heilkräuter hielt er getrennt von diesem Kraut, gemeinsam mit dem Käse und ein paar anderen Pilzen, Beeren und Wurzeln. Während Quintus Vortrag gingen seine Gedanken zurück zu seinen Kindheitstagen, als ihm die Namensregeln des Klans erklärt wurden. Erst als Quintus eine Pause ließ, setzte er ein: „Kangroscha, ein guter Anfang. Es ist gut das Du nur auf die Grundlegenden Regeln der Namensvergabe eingehst, man sollte erstmal die Zeit finden sich kennenzulernen bevor man solche Details betrachtet. Ich jedenfalls muss mich wieder nach oben begeben, dieses Schwanken kommt mir oben irgendwie schwächer vor.“ Der Zwerg drehte sich kurz zu seiner Koje um, wartete bis Serescha in seine Tasche zurückschlängelte, nahm die Tasche und ging Barfüßig die Treppen nach oben.

Als Deryalla aus der Tür der ersten Kabine treten wollte, fand sie den Gang von Dorcas und Elvan versperrt vor, die noch in andere Richtung orientiert waren. Als sie dem Blick des schlanken Schreibers folgte, blieb ihr das Nicken von Quintus nicht verborgen. Dann stimmte der Novize jedoch dem Nilsitzer Vogt zu und verschwand in einer anderen Kammer. Was auch immer das zu bedeuten hatte. Als nun auch Nivard hinter den beiden noch etwas unschlüssigen Zöglingen vor ihr durchschlüpfte – keine Kleinigkeit angesichts von Dorcas Größe – stellte sie provokant fest: „Entweder haben Sie Angst vor Dir, oder vor mir oder sie sind vielleicht nicht gesellig? Mein Namen kennt Ihr bestimmt schon – ich bin die Verfemte Deryalla von Hartsteig: Meine Base hat versucht, Ihre Hoheit zu töten, Schande auf mein Haus und auf mich geladen. Nachdem das also geklärt wäre – könntet ihr bitte den Weg freimachen?“ Die angehende Kriegerin beobachtete aufmerksam die Reaktionen der beiden, nachdem sie so mit der Tür ins Haus gefallen war – sie wollte ja niemanden zwingen, im gleichen Raum mit ihr zu schlafen und hatte auch nichts dagegen, falls sich noch einer von den beiden umentscheiden wollte.

Verblüfft drehte sich Dorcas um, stellte sich Deryalla in den Weg und hob beschwichtigend seine großen Hände. „Na, na, immer ruhig mit den jungen Pferden, ehrenwerte Maid“, sagte er. „Es wird Zeit, das ihr euch mal ein wenig entspannt. Die Herzoginmutter hat Euch doch willkommen geheißen, da sieht sie euch sicher nicht als verfemt an. Es scheint mir eher, dass ihr ein wenig Rahja in eurem Leben braucht. Und da, meine Liebe, habe ich gute Nachrichten für Euch, wir teilen uns jetzt eine Kabine!“, mit einem verschmitzten Lächeln gab er den Weg wieder frei.

Auch Elvan schaute die Kriegerin erstaunt an. „Hohe Dame, ihr seid doch nicht eure Base. Ihre Taten sind nicht die Eure. Ich glaube auch, dass Ihr eurer Worte Taten sprechen lasst, die ihr der Herzoginmutter über geäußert habt. Wenn es Euch also nicht stört, würden wir gerne mit Euch diese Kabine teilen“, sagte er und versuchte so zuversichtlich wie möglich zu klingen.

„Habt Dank für Eure Freundlichkeit, die nicht selbstverständlich ist, wie Ihr Euch vorstellen könnt. Deshalb werde ich Euch auch an diesem so leichthin zugestandenen Verständnis messen, nachdem ich Euch vorher gewarnt habe.“ Ernst sah sie von einem zum anderem. „Und - nein, es stört mich nicht im Geringsten, mit Euch zusammen hier zu wohnen“, sie wies mit dem Arm einladend auf die Kabine, bevor sie weiter fortfuhr, „wenngleich ich Eure Annahme und Eurer Selbstvertrauen nicht bestätigen will, Dorcas.“ Sie hielt kurz inne und fügte dann neutral hinzu: „Achtet darauf, Ihre Hoheit vor anderen mit HerzogENmutter anzusprechen.“

`Na das kann ja was werden, ich hoffe, Dorcas wird sich benehmen können. Ich hätte vielleicht doch auf Jonata warten sollen, um mit ihr das Zimmer zu teilen`. Mit einem Seufzer ging er in die Kabine, verstaute sein Gepäck und sein Schreibzeug. Dann nahm Elvan seine silberne Kette vom Hals, die einen Gänsekopf als Anhänger zierte und hängte sie offensichtlich an einen Balken. Mit einem stummen Gebet an die Göttin Travia verließ er mit Dorcas die Kabine, um zu den anderen an Deck zu gehen.

Nivard war beim Umschauen etwas hinter den anderen zurück gefallen, die - teils bereits angeregt miteinander plaudernd - vorangingen, ihre Kabinen zu beziehen. 'In einem so engen Gang ist ein Streitkolben gar nicht und ein Schwert nur schwerlich zu gebrauchen' überlegte er noch, während er sich als letzter an den ersten beiden Schlafräumen und den jungen Leuten in deren Eingang vorbeischob. In diesen waren die Kojen, die er beim Blick in den Raum ausmachen konnte, bereits alle belegt. Die dritte schien dagegen noch nicht vollends eingenommen; eine freie Koje mit guter Sicht auf die Tür, von dieser jedoch nur durch Umrundung eines kleinen Tisches und einiger Hocker zu erreichen, mutete ihm einladend an. Nivard ging geradewegs darauf zu, und sah sich dabei im Raum um. Vom im Sichtschatten der Tür gelegenen Schlafplatz blickte ihm ein bekanntes Gesicht entgegen. 'Ausgerechnet Welf!', durchfuhr es ihn…

Auch Welf hatte sich den Raum mit Bedacht ausgesucht, er wollte nicht unbedingt zu seinen Bekannten – neue Kontakte waren gut – aber sich aktiv jemand Fremden zu suchen hatte ihn überfordert. Der taktische Aspekt der Zimmerwahl war da ein… einfaches Hilfsmittel der Entscheidung. Als nun Nivard in sein Gesicht sah war auch er kurz erschrocken. Der schmale Krieger hatte ihn schon immer… seltsam… behandelt. Meist gab es eine einfache Verteidigung ihn auf Distanz zu halten. Spott. Er nickte Nivard diesmal einfach zu. Beobachtete ihn einige Handbewegungen lang, verwundert über seinen Gesichtsausdruck.

Vielleicht war es nur ein kurzer Moment des gegenseitigen Anschweigens, aber für Nivard schien Satinav die Zeit anzuhalten, als er in Welfs Antlitz blickte. Unvermittelt stiegen Erinnerungen in ihm auf, … an den letzten Sommer… ihre Augen… seine Verse… die Briefe… ihr Lächeln… Welf… das Geständnis… Lachen… Schmerz… für Welf so belanglos… „Schwarz schweigt der Tann…“ Nivard rang kurz mit sich, drängte die Gedanken zurück, die Verse voll Schwermut, die in ihm aufstiegen… sollte ihm alle Poesie doch gestohlen bleiben! Sollte er den Rückzug antreten, eine andere Kabine aussuchen? Nein, er würde sich, Rondra zum Wohlgefallen, dieser Zumutung stellen, Welf nicht auch diesen Sieg schenken. Nivards Kiefer malmten, als er Welf kurz in die Augen blickte und zunickte. Dann drehte er sich um und warf sein Gepäck in seine Koje. Rasch legte er sein Kettenhemd ab und drapierte es so auf einem der Hocker unmittelbar neben seiner Schlafstätte, dass er es sich des Nachts, im Falle eines Überfalls oder anderer Gefahr, schnell überstreifen konnte. Die eingeübten Handgriffe halfen ihm, seine Gedanken wenigstens etwas zu ordnen.

„Schön, wenn die Brünne so leicht vom Körper gleitet.“ Scherzte er dann, ehe er doch wieder schwieg, im Kern war es sein altes Muster… Spott. Aber Nivard war nun einmal selbst schuld! Konnte man doch kaum mit ihm sprechen und war es doch seine eigene Schuld, dass sein Haus nicht genug Vermögen für eine anständige Ausrüstung hatte… oder naja… irgendwie. „Nivard. Warte.“ Fragte er dann etwas zögerlich, sah den Krieger an, ob er warten würde, ehe er seinen Weg nehmen wollte, oder ob er direkt stürmte.

‚Welf wird sich nie ändern‘, dachte sich Nivard, als er dessen schalen Scherz vernahm, und schüttelte unmerklich sein Haupt, ohne sich Welf zuzuwenden. Diese Art von Spott quittierte er nur noch mit trotzigem Stolz – was wusste der Abkömmling eines wohlhabenden Geschlechts aus dem Süden, dem die Gaben Firuns, Peraines und Rahjas in den Schoß fielen, vom Kampf ums tägliche Leben in den Wäldern von Nordgratenfels? Alles was sie hatten, war einem rauen Land abgerungen, und gegen Goblin, Ork und Räuberpack verteidigt.‘ Nachdem Nivard seinen Wappenrock schweigend wieder über die Tunika gestreift und sein Schwert angelegt hatte, verlangte es ihn nach Frischluft, und Abstand zu Welf. Er wollte bereits aus dem Raum in Richtung Deck stürmen, als Welf ihn direkt ansprach. Nivard hielt inne, und fragte, ohne Welf direkt anzusehen: „Was ist, Welf? “

Welf sah Nivard direkt an, er wirkte etwas unsicherer als sonst. „Deine Geschichte, eure Geschichte… die Gerüchte… Ist das wahr? Ist all das hier wahr?“ Fragte er unsicher. Die mysteriöse Geschichte um den Verrat und das merkwürdige Ende des Verwandten Nivards hatte er bisher von seinem Spott ausgenommen… Kriegerehre und auch eine so unglaubwürdige Geschichte, sie musste doch fast eine phexisische List sein… aber nach diesen Worten. Die Unsicherheit war weniger verschleiert als sonst, die selten zu sehende Weichheit – vor allem nicht gegenüber der Damenwelt zu sehenden – tat durch diese… Angst hervor.

„Falls Du die Gerüchte um Hechard meinst, er war mein Onkel 2. Grades, so scheinen diese wahr zu sein. Auch wenn ich wahrscheinlich nicht viel mehr weiß als Du. Oder sonst jemand hier an Bord. Aber glaube mir… sobald ich den Kriegerbrief in Empfang genommen habe, werde ich nach Meilingen aufbrechen und Licht ins Dunkel bringen.“ Nivard schwieg kurz und fügte zunächst in Gedanken ‚wenn Mutter es mir in ihrem Schreiben vor dem Abschluss meiner Ausbildung nicht ausdrücklich untersagt hätte, wäre ich längst dort gewesen‘, dann leise hinzu: „Hechard war ein aufrechter und göttertreuer Mann. Das kann nicht er selbst gewesen sein…“. Er hielt kurz inne und dachte über Welfs zweite Frage nach. ‚Ob das hier wahr ist, ist eine gute Frage…‘ So nachdenklich hatte er Welf noch nie gesehen, so unsicher, und nahbar… Doch dann kreisten seine Gedanken wieder zurück zum letzten Sommer. Etwas in seinem Inneren verhärtete sich wieder. „Vor mir brauchst Du auf jeden Fall keine Angst zu haben“ schloss er mit leicht sarkastischem Unterton. „Ich bin ganz ich selbst.“

„Also ists wahr…“ Er schüttelte den Kopf, das Kritische war etwas zurück. „Nicht er selbst?“ Er hob die Brauen. „Ein einfacher Gedanke, nicht wahr…“ Sein Blick streifte kurz den Boden. „Angst vor dir?“ Baute sich Welf wieder etwas auf – aber ganz konnte er seine sonstige Fassade nicht entfalten, irgendwas fehlte ihm hier einfach, vermutlich seine Mitverschwörer, Harpyien, Gefolgsleute und Lästerschwestern… oder war es der Fluss? „Aber gut zu wissen… DANN muss ich mir ja keine Gedanken machen.“ Er schüttelte missbilligend den Kopf. Eines Nachts würde Nivard ihn noch erdolchen… Kurz verharrte Welf, winkte dann ab, „Naja, immer noch was anderes als die eingebildeten Knappen, verweichlichten Gelehrten und frevlerischen Zauberer, was?“ Sagte er leicht übertrieben und ließ Nivard dann ziehen.

Noch immer leicht aufgewühlt, trat der junge Krieger wieder in den schmalen Gang hinaus. Vor sich sah er Deryalla ebenfalls den Weg zurück an Deck nehmen. Als sich ihre Blicke begegneten, nickte er ihr kurz zu und versuchte, ihr dabei ein aufrichtig freundlich gemeintes Lächeln zu schenken. Er hoffte, dass es ihm angesichts seines derzeitigen inneren Zustands nicht zu schief geraten war…

‚Unterschiedlicher hätten wir nicht sein können‘, überlegte die angehende Kriegerin und antwortete Nivard ihrerseits mit einem neutralen Nicken. Sie war nie sonderlich warm geworden mit dem von vielen als Streber belächelten Zögling. Aber die Schattenseite der Isolation hatte sie seit ihrem tiefen Fall nur zu gut kennengelernt. Die praiosgefälligen Verhöre hatten sie einen ganzen Götterlauf an der Akademie gekostet, da sie zurückgestuft worden war – und nun war sie in seinem Jahrgang. Immerhin konnte sie sicher sein, dass er einer der wenigen Zöglinge der Akademie ohne Allüren war. Daneben zeigte er eine fast schon zwanghafte Hinwendung zur Kriegskunst – von der sie durchaus profitieren konnte, wie sie sich selbst eingestehen musste: eine Erkundung des Schiffes war später auf jeden Fall angebracht. „Und, wer ist noch in deiner Kabine?“, fragte sie, bevor sie langsam die ersten Stufen des Niedergangs hinaufstieg.

„Welf“ sagte Nivard zunächst, kürzer angebunden, als er wollte. Gerne hätte er Deryalla sein Verständnis gegenüber ihrer Situation ausgedrückt, ihr vermittelt, dass er sie ob der Untaten ihrer Verwandten nicht abschätzig oder misstrauisch ansah… aber er fürchtete, gerade jetzt, nicht die richtigen Worte zu finden… „Und bei Dir?“ schob er daher nur hinterher. „Ich habe bereits den großen Recken Dorcas in Deiner Kabine gesehen… und gehört, und den Schreiber, Elvan, nicht wahr…“ schob er mit einem angedeuteten Grinsen hinterher, als er ihr aufs Deck zurück folgte.

„Ja, richtig“, nickte sie zustimmend und stieg weiter hinauf. „Ich bin auch schon zu rahjagefälligem Treiben eingeladen worden, wenn ich das richtig verstanden habe. Aber die Einladung zu geselligen Abenden hast du sicherlich auch mitbekommen. Falls die Luft also bei euch zu dick wird – Dorcas wird sicherlich einen Schlummertrunk dabei haben oder selbst keinem abgeneigt sein.“ Sie trat wieder auf das Deck und orientierte sich zu ihrem Gepäck.

„Klingt nach keinem schlechten Angebot… umgekehrt scheinen aber auch bei uns noch Plätze frei zu sein – falls Dorcas gar zu zudringlich wird und Dir trotz dicker Luft nach Heimatgefühlen ist…“ Hinter Deryalla an Deck getreten, ließ Nivard seine Blick kreisen. „Warst Du schon mal auf einem solchen Flussschiff unterwegs? Ich überlege bereits, wie es sich am besten verteidigen oder auch zu einem Angriff nutzen lässt…“

„Na ja...“, hakte sie etwas zögerlich ein und fuhr dann gedämpfter fort: „Ich glaube nur zwei Mal und ich kann dir versichern, dass die wegen der Strömung meist so wendig sind, wie eine Kuh im Wasser. Und auch wenn die Concabella der Stolz der Nordmarken ist, glaube ich nicht, dass das hier viel anders ist – es sei denn die Kapitänin von Flusswacht steuert mit der Strömung. Aber vielleicht fragst du sie einfach?“

„Den Eindruck, dass sich die Concabella recht träge manövriert, habe ich auch, aber ich muss gestehen, mir fehlt hierin jegliche Erfahrung… dafür scheint sie aufgrund ihrer Größe wenigstens gut verteidigbar, zumindest, wenn die Mannschaft eingespielt und auf Zack ist. Je nachdem, welche Ziele Grimberta mit dieser Reise verfolgt, würde ich die eine oder andere Schiffskampfübung erwarten, oder wenigstens eine kurze Einweisung, wie wir uns im Falle eines Angriffs zu verhalten haben…“ gab Nivard, ebenfalls mit gedämpfter Stimme zurück. „Ich werde die Capitana auf jeden Fall ansprechen, bin auch neugierig, wie stark die Concabella bemannt ist.“

„Ich muss allerdings noch mein Gepäck hinunter bringen und komme später dazu.“

Leinen los

Die Zimmer waren bezogen, die Taschen und Koffer verstaut, da trafen sich alle Mitreisenden erneut auf Deck. Ein letztes Mal ging der Blick der Kapitänin prüfend über ihr Schiff, und dann zu Ihrer Hoheit. „Hoheit, wir sind klar zum Ablegen. Leinen los?“ Und diese antwortete mit befehlsgewohnter Stimme: „Leinen los, Kapitänin von Flusswacht! Möge die Concabella lange unter Efferds Segen fahren.“

Die große Herzogenstadt Elenvina war laut und hektisch und fast jede Ecke wartete mit einem neuen Geruch, der neuerlichen Gefahr von einem Wagen umgefahren oder von einem Beutelschneider um sein Geld gebracht zu werden, auf. Nirgendwo lagen praiosgefällige Ordnung mit der prächtigen Wehrhalle und ihren traditionalistischen Praiosgeweihten und die dunklen Gassen abseits der Betriebsamkeit, in der sich phexisches Zwielicht verbarg, beieinander. Gut, vielleicht noch in Gareth. Aber nach der Stadt des Lichts war wohl nirgends im Kaiserreich die Zahl der Geweihten des Sonnengottes höher, als in der Kapitale der Nordmarken. Dabei war die Stadt an der Biegung des Großen Flusses durchaus auch für andere sehens- und besuchenswert. Das Kanzleiviertel außerhalb der Stadt glich zwar mit seinen nur für Angestellte der Reichsverwaltung offenen Toren einer Festung der Bürokratie – das herzögliche Gestüt mit seinen anmutigen Rössern, den Elenvinern, als von der Wunderschönen gesegnet. Die Gastwirte schenkten herben Wein aus, der von den Nordmärker jedoch geliebt wurde. Den Himmel verdeckten hohe Häuser mit Stuckfassaden und das Straßenpflaster emsige Füße. Das Stadtbild beherrschte allerdings die große trutzige Herzogenburg Eilenwïd-über-den-Wassern, die, auf einer Klippe hoch über dem Großen Fluss gelegen, geradezu majestätisch auf alles und jeden herabblickte. Zu ihren Grundmauern die große Turnierarena – Mittelpunkt nordmärkischen Ritterlebens. Die magisch begabten Nordmärker zog es eher zur Akademie der Herrschaft, einem ehrfurchtgebietenden Schulbau, in dem Magie mit Zucht und Strenge gelehrt wurde. Hier lehrte einst auch ein Gaius Cordovan Eslam Galotta. Rondra war durch eine Burg des Donnererordens vertreten, außerhalb der Stadt konnten sich adlige Sprößlinge zu einem renommierten Elenviner Krieger ausbilden lassen, während auch die Knappenschule bei Hofe schon große Namen hervorgebracht hatte. Zwei Papiermühlen und gleich drei Druckereien verbreiteten hesindegefällige Werke, und nicht zuletzt die Zeitung „Greifenspiegel“, die regelmäßig erschien. Die Elenviner waren ein buntes Völkchen, die Nähe zu den Zwergenstädten im Eisenwald und den hohen Ingrakuppen zog auch einige hundert Angroschim in die Stadt Herzog Hagrobalds. Dazu kamen Albernier, Windhager, Almadaner, Horasier, sowie Händler aus dem In- und Umland, denn so zentral die Lage der Stadt auch war, so wichtig war sie für den Warenverkehr. Das schlagende Herz der Nordmarken. Bunt. Alt. Mächtig.

Auf euren Einladungen stand geschrieben, dass ihr euch am Hafenkai einfinden solltet. Als ihr dort ankamt, entfaltete sich gerade das riesige Großsegel des größten Schiffes, das euch schon von Weitem ins Auge stach, weil ein großer gekrönter Barsch von grün-blau-geteiltem Tuche auf Besatzung und adeligen Gäste herabsah. Am Kai lösten Uniformierte gerade die Leinen, während andere den Landungssteg einzogen, über den eben erst noch die letzten Säcke Proviant eingeladen worden waren. Gleich würde die stolze ‚Concabella‘ – wie mit dicken Lettern am Bug stand – ablegen. Und dazu ertönte der Ruf „LEINEN LOS!“

„Haltet ein, haltet ein!“ Amiel zog die grüne Tunika über die Knie, um seine Schritte beschleunigen zu können. Er wollte ein weiteres Mal rufen, doch er war bereits so außer Atem, dass er kein weiteres Wort hervorzubringen vermochte. Vielmehr mühte er sich, seine Umhängetasche festzuhalten, aus der er mit Missmut ein Knacksen vernahm. Der Landungssteg kam allmählich in Reichweite und Amiel verlangsamte seinen Lauf, um seine bodenlange Tunika und seinen Gürtel zu richten. Er zog den Gürtel etwas enger, was zur Folge hatte, dass sich sein Bauch darauf absetzte. „Ich sollte mich vielleicht mal wieder im Verzicht üben“ dachte Amiel und lockerte den Sitz des Gürtels wieder ein wenig. Er drehte sich auf den letzten Schritten bis zum Landungssteg noch einmal um, froh im Gedanken das hektische Elenvina hinter sich zu lassen und setzte vorsichtig einen Fuß auf den leicht schwankenden Landungssteg, während er sich mit seinem Wanderstab abstützte. „Gerade noch rechtzeitig“ dachte sich Amiel und ging mit einem Schmunzeln an Bord der Concabella.

Schon als man die Planken einziehen mochte, hörte man das Gekreische der Vögel, die sich an den Fischen im Großen Fluss gütlich taten. Das Geschehen wirbelte ein junger Mann auf, der einen der Vögel zärtlich streichelte. Er überquerte die Planke mit einer Sicherheit, die seinesgleichen suchte. Er hielt vor der Herzogenmutter Grimberta an, fixierte sie für einen Augenblick, um sich danach vor ihr nieder zu knien. „Ich kniee mit Ernst vor euch, Eure Durchlaucht Heldora Grimberta vom Großen Fluss. Zuallererst richte ich euch Grüße von der Meisterin des Flusses, Quelina von Salmfang aus. Als zweites, Grüße von dem Haus, aus dem ich stamme, dem Haus von Brunsböckel. Ich berichte euch, das mein älterer Bruder der Edle Gero von Brunsbückel weiterhin treu zu der Herzogenfamilie steht, wie es auch schon unsere Mutter, Edelgart von Brunsbückel getan hat.Vor euch kniet Konradin von Brunsbückel“ Anscheinend ließ sich der Grauling nichts davon anmerken, dass er der letzte war. Nach kurzer Zeit, für ihn eine Ewigkeit, gabt die Herzogenmutter ihm ein Zeichen, das er aufstehen sollte. Nachdem der Jüngling wieder stand, war ganz klar zu erkennen, das er ein Novize des Efferd war. Nachdem der blonde Novize, dessen Augenfarbe den Wellen des Flusses glich, respektvoll zu der Kapitänin von Flusswacht nickte, sagte er: „Bei dem Alten Gott, Wind und Wogen sind bereit, die Concabella zu tragen“. Dabei lachte er laut auf, und schaute sich neugierig um, wer wohl sonst noch an Bord war.

Während die beiden Nachzügler sich mühten, das Schiff noch zu erreichen, gingen sowohl die vergnügte Herzoginmutter, als auch der krummnäsige Alfons von Gast zu Gast, um sich nach dem Befinden zu erkunden. Vor allem Grimmberta hielt hier und da einen Plausch, wusste bereits erstaunlich viel über die Mitreisenden und war sich auch nicht zu schade, den einen oder anderen Schwank aus dem Herzogenhaus zum Besten zu geben. Von Geschichten über ihren Sohn, den Herzog und dessen Eskapaden als Jugendlicher, über die aufregenden Zeiten, die zum Alberniakrieg oder früher zur Borbaradkrise geführt hatten – die Grandé Dame der Nordmarken verfügte über einen tiefen Schatz an Erfahrung und war offenbar gewillt, diesen zu teilen.

Nach den Gesprächen an und unter Deck mit seinen Altersgenossen, nachdem er sich um alles und alle gekümmert hatte, hatte sich Welf an einen der Sonnenplätze an der Reling zurückgezogen, er hatte die letzten Eindrücke seiner Lieblingsstadt der einzigen die er wirklich kannte) aufgesogen und seine neue Rolle bedacht… Nur drei seiner Schule waren hier, seine Kameraden mussten gerade Laufen und Reiten üben, sie gedachten der drei sicherlich neidvoll. Aber wenn Welf sicherlich gerne zwei andere Kameraden mitgenommen hätte – warum er ausgewählt worden war? Eine gute Frage… Ob er es wagen könnte, die Herzogsmutter zu fragen? Wohl kaum… zur Antwort käme sicherlich nur einer seiner vielen Verwandten… Der Patriarch der Schleiffenröchtes, der mit dem Herzog ritt? Der Revisor der Wehrhalle? Einer der Sekretäre am Hofe? Seine Mutter gar? Sicherlich die Mutter… sie war es doch immer, auch wenn nicht immer direkt. Welf seufzte kurz. Sehnte sich nach einem ‚Gespräch‘ mit Gerwulf… Doch er blieb an seinem Orte, denn unlängst war klar, dass die Herzogenmutter mit ihnen allen ins Gespräch kommen wollte und er wollte sie keineswegs einfach übergehen. Er würde aufmerksam sein, seine gute Laune nicht verbergen und ihr das geben, was sie angeblich suchte… junge starke Nordmärker Adlige, für eine prachtvolle Zukunft des Herzogtums… und ebenjener Adliger. Nun, zumindest einen konnte Welf anbieten – oder? Vor und nach dem Gespräch jedoch blieb er schlicht aufmerksam die neuen Erfahrungen aufsaugend und sich nach seiner verbleibenden Kameradin, seiner lieben Verwandten oder dem guten Novizen des Eisigen umsehend. Ihnen Offenheit und Freude signalisierend.

Als Ellian wieder das Deck der Concabella betrat, suchte er sich einen Platz an der Reling um das Treiben im Hafen der, erst gestern erreichten, Stadt eine Weile zu beobachten. So viele Menschen hatte er bisher selten gesehen, höchstens auf dem Markt in Albenhus, wo er schon ein paar Mal war. Bei nächster Gelegenheit, so nahm er es sich vor, würde er Elenvina einen längeren Besuch abstatten. Mit einem letzten Blick auf die Herzogenburg drehte er sich um und warf sich ins Getümmel der Gäste ihrer Hoheit.

Kaum war Elvan wieder an Deck, ließ er sein Blick zwischen den Gästen schweifen. `Das sind ja echt viele Leute. Erinnere dich an das, was deine Mutter dir sagte. „Elvan, nimm dich diesmal nicht so zurück, wie sonst immer. Menge dich unter die Leute und halte höfisches Geplauder mit ihnen, so wie ich es dir beigebracht habe“, sagte sie. Na gut, dann auf in die Schlacht`. Er straffte sein Gewand und zielte als erstes Jonata an, wohlweislich der Altherzogin Gimberta aus dem Weg gehend. Und so begann Elvan´s Abend des Geplauders. „Ich bin ja so froh, dass du auch hier bist. Und nun sag mal, du bist also mit diesem Krieger dort verwandt? Ist der auch so Magiern ablehnend gegenüber wie dein Bruder?“, fragte er Jonata und deutete unauffällig auf Hilberian.

Jonata hatte ihre Sachen nur schnell in der Kabine abgelegt, in der auch Imma nächtigte und sich dann wieder an Deck begeben. Sie beobachtete die anderen neugierig und auch das sonstige Treiben an Deck. Die junge Magierin freute sich, von Elvan angesprochen zu werden. Sie winkte beruhigend ab „Ach was! Ja, wir sind verwandt, aber nur über zig Ecken. Ich glaube nicht dass er was gegen Magier hat, aber er ist ein ziemlicher Naturbursche, glaube ich…aber recht nett. Soll ich euch vorstellen?“

Elvans Blick fiel zurück auf Welf und musterte ihn von oben nach unten. „Auf jedenfall ein Naturbursche, ein stattlicher Mann, das muss auch ich zugeben. Fester Stand, schöne kräftige Beine, strammes Gesäß..“. Er hielt inne, als ihm bewusst wurde , was er gerade gesagt hatte. Er errötete. „Oh, äh, ich glaube ich muss mir noch ein Wein holen, wenn du mich entschuldigst, Jonata“, stammelte er und wandte sich schnell von der Magierin ab.

Nivard war überrascht, wie herzlich und ohne jeden Dünkel die Herzogenmutter ihnen allen und auch ihm begegnete, wie viel sie bereits selbst über ihn, den Zweitgeborenen eines im Süden sicherlich gering bekannten Geschlechts aus den Wäldern der Baronie Ambelmund wusste und wie sehr sie an jedem Einzelnen ihrer jungen Gäste interessiert war. Einerseits gab ihm dies das gute Gefühl, tatsächlich willkommener Gast an Bord zu sein, anderseits fragte er sich immer mehr, welche Ziele diese Fahrt genau verfolgte. ‚War es möglich, dass Grimberta tatsächlich „nur“ hoffnungsvolle junge Adlige in geselligem Rahmen kennen lernen wollte? Oder steckte mehr dahinter?‘ Es schickte sich allerdings nicht, dass Nivard sie direkt darauf ansprach, daher beantwortete er zunächst – noch spürbar aufgeregt - ihre Fragen, lauschte später ihren spannenden Erzählungen und hakte schließlich auch dann und wann beherzt nach, vor allem, als sie vom Krieg gegen Albernia berichtete. Als sich die Gastgeberin der Fahrt schließlich einer anderen Gruppe zuwandte, sah sich Nivard zunächst unschlüssig nach einer weiteren Gesprächsgelegenheit um, entschied sich dann aber, nun endlich Hadelin von Flusswacht aufzusuchen. „Werte Capitana, dürfte ich Euch ein wenig Eurer kostbaren Zeit stehlen und Euch mit Fragen zur Concabella und deren Fertigkeiten im Kampffalle behelligen?...“

„Unser erster Offizier wird euch Rede und Antwort stehen,“ antwortete die Kapitänin und zog sich zurück.

Nach einer kurzen Weile, fand Elvan sich im Gespräch mit Quintus wieder. „Meine Ahnenlinie? Nun ja, das ist ein wenig kompliziert. Unserer Familienchronik liegt im Travia-Tempel in Elenvina und mein Onkel Winrich hat da seine Hände drauf. Ich weiß das sie nicht ganz vollständig ist, aber er schwört das wir mit den „von Berg“ verwandt sind...“

Quintus war sichtlich genervt, hatte er doch erst über den sechsten Teil eines Tages die Ahnen von Borax gehört, aufgeschrieben, in Reihenfolge gebracht und immer noch nicht verstanden in welchem Zusammenhang sie standen. „Bitte“, sprach er mit leicht gereizter Stimme, „als ich die Ahnenlinie eben erwähnte, war es noch keine Aufforderung direkt zu beginnen. Ich habe eben ungefähr fünfzehn Male das Wort Grabobolosch korrigiert. Mein Schädel fühlt sich nach dieser Arbeit an dem Stammbaum des Vogtes an als hätte ich drei Tage mit einem bornischen Bronjaren getrunken. Erlaubt mir auf euch zuzukommen wenn ich diese Arbeit vollendet habe. Jetzt möchte ich nur einer Weile dem monotonen Geräusch der Wellen lauschen die sich am Bug brechen.“ 'Dir hätte auch etwas besseres einfallen können, als die Hartsteig über ihren Stammbaum zu provozieren und dann fängst du bei den Zwergen an die Stammbäume zu erstellen, ganz große Arbeit Münzberg! Ganz groß!' Der Vogt hatte ihm, ohne es zu wissen, eine Lektion erteilt und mehrfach kam der Gedanke in Quintus auf sich um die begonnene Arbeit zu drücken aber er wusste wie schlecht so etwas angesehen war und er konnte den Rohrstock schon auf seinen Fingerknöcheln spüren sollte er einen Arbeitsabbruch in seinem Heimtempel melden oder noch schlimmer jemand es der Geweihten melden. So stand er etwa eine Meile dort am Bug und lauschte dem Wasser, während er in den Himmel starrte kamen ihm die Gedanken des Geoden über den Sternenfall in die Gedanken, schließlich wandte er sich wieder dem Treiben auf dem Deck zu.

Der schwarzhaarige Zwerg beobachtete das Treiben und versuchte die vielen Worte und Geschehnisse zu verstehen und einzuordnen. Er hatte irgendwie mitbekommen, das diese Deryalla eine große Aufgabe vor sich hatte. ‚Hm… warum wird sie bestraft, wenn doch ihre Verwandte die Tat begangen hat? Klar es muss der Namen des Klans entzogen werden, und eine solche Schande liegt schwer… aber wie ein krankes Tier, muss auch eine solche Tat verheilen. Wie läuft so ein Heilungsprozess ab? Eine Interessante Frage.‘ Mit diesen Gedanken ging der junge Geode auf die Kriegerin zu. „Deryalla“, der Zwerg hielt der Kriegerin die Hand hin, „ich habe keine Ahnung, wie das so abläuft mit deiner Queste zur Wiedergutmachung. Ich finde es gut, das Du Dich um Heilung bemühst, ich selbst habe fast zwanzig Jahre gebraucht, um zu verstehen, warum ich schwimmen kann. Wobei ich mir immer noch nicht sicher bin, ob ich es verstehe. Aber Du musst nicht nur Deinen Schmerz überwinden, sondern auch noch den Schmerz der Anderen erkennen und willst ihn zudem lindern.“

Überrascht blickte die angehende Kriegerin auf die ihr vom Zwergen hingestreckte Hand und war für einen recht peinlich langen Augenblick vollkommen aus dem Tritt. Er war zwar einer der Wenigen, die so offen mit ihr umgingen, wie sie es sich wünschte - das aber auf eine fast schmerzhafte direkte Art. Sie bemerkte anhand der bleiernen Schwere in den Gliedern und der Leere in ihrem Kopf, dass sie noch nicht so weit war, wie sie sich selbst immer versuchte, Glauben zu machen.

Zögerlich ergriff sie schließlich die angenehm ruhige Hand Lagoraschs und drückte sie fest In Gedanken fragte sich in diesem Moment der Geode, wie er aus dieser Ansprache wieder rauskam, er wollte nicht die Hand in die Wunde legen, aber eine Wunde musste auch gründlich ausgewaschen werden. Da kamen die Worte wie von selbst: „Habt Ihr schon einen Plan für eure künftigen Heldentaten?“

Deryalla blickte den seltsamen Zwerg direkt in die blauen Augen und antworte lahm, immer noch bemüht, die Bedeutung seiner Worte zu verstehen: „Nein, keinen. … Es bleibt mir vorerst nichts, als auf die Gunst der Götter zu hoffen und dann ihre Prüfungen zu bestehen.“

Ein freundliches Lächeln stahl sich auf das sehr junge Gesicht des Zwerges, „Emmeran pflegte mir immer zu sagen, wenn Du etwas verändern willst, dann fange bei Dir an.“ Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Ich brauchte selbst einige Zeit bis ich meinen Weg fand, seine Aussagen zu verstehen. Oder vielleicht sogar brauche ich bis heute noch Zeit, ach, streich das vielleicht.“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Jedenfalls kann man die Aussage auch so verstehen, dass wenn man Heldentaten vollbringen will, dass man dazu in die weite Welt hinaus gehen muss, also seine Position in der Welt zu ändern hat. Jedenfalls, deswegen bin ich hier, ich will eine Welt kennenlernen, deren Regeln mir bislang unbekannt sind. Und Ihr Großlinge habt verdammt viele Sachen und Regeln, die ich nicht kenne.“ Er verzog kurz noch einmal sein Gesicht zu einem breiteren Lächeln, so das man erkennen konnte, dass er soweit gesagt hatte, was er sagen wollte.

Die angehende Kriegerin nickte verständig, aber an ihrem Gesicht konnte Lagorasch ablesen, dass sie nur teilweise zustimmen wollte: Fast schien es ihm, als hätte sie zuerst gegen seine Worte aufbegehren wollen, aber als er nun mit seinen Überlegungen zum Ende kam, schwieg sie einen Augenblick. Dann gab sie entschieden zurück: „Veränderung im Leben ist sicherlich wichtig, sie sollte aber nicht als Flucht ausgelegt werden können. Und so leicht werde ich nicht aufgeben und in die Fremde ausweichen.“ Etwas milder fügte sie hinzu: „Hab‘ dennoch Dank für den Fingerzeig, Lagorasch.“

Der junge Zwerg nickte der Kriegerin zu. ‚Hm… wieso nahm sie das Beispiel auf, aber nicht die Nachricht? Oder vielleicht hat sie die Nachricht aufgenommen, aber wusste keine Antwort auf die Nachricht zu geben. Es ist auch schwer über eine Veränderung zu reden, von der man noch nicht weiß.‘ Der angehende Geode dachte noch viel über dieses kurze Gespräch nach, er wollte keinen Fingerzeig geben… was hatte er falsch gemacht?

Elvan führte seine Runde fort: „Ihr habt einen kräftigen Händedruck, Hoher Herr von Tannenfels, man sollte Euch nicht unterschätzen. Ich glaube ich habe Euch schon mal in den Gassen Elenvinas gesehen. Ob ich mit dem Schwert umgehen kann? Ich muss zugeben, das meine Familie nicht viel vom Schwerthandwerk hält. Ich kann allerdings mit Pergament und Kohle umgehen. Wenn es die Zeit her gibt, würde ich euch gerne einmal porträtieren, ihr habt ein schönes, markantes Gesicht...“

Der junge Schreiber schien recht gesprächig, wirkte dabei aber durchaus sympathisch auf Nivard. Er vermochte bei Elvan auf den ersten Blick nicht den Dünkel manches anderen Edlen aus dem Süden auszumachen; außerdem fühlte sich Nivard ob der Anfrage eines Porträts geschmeichelt. „Nur junger Herr, junger Herr von Altenberg, den Ritterschlag habe ich bislang nicht erhalten. Ich bin mir nicht sicher, ob sich unsere Wege bereits vor dieser Reise gekreuzt haben, aber möglich ist dies durchaus. Und wisset: Ein guter Schwertarm ist nicht alles im Leben,“ - Nivard setzte ein Grinsen auf – „wenngleich in der Begegnung mit manch Bepelztem oder anderem Pack oftmals das einzig Wahre. Auch Worte, seien sie geschrieben oder gesprochen, vermögen von großem Gewicht zu sein und die Welt zu bewegen.“ Nivard sah kurz nachdenklich in die Ferne und fügte - in hoffentlich unbemerkter Bitterkeit still in sich hinein seufzend in Gedanken an ‚auch wenn selbst die aufrichtigsten, in Verse gekleideten Worte, ein dafür blindes Herz nicht gewinnen können‘. Er wandte sich Elvan wieder lächelnd zu: „Und ich bin neugierig, mein Antlitz von Euch auf Papier gebannt zu betrachten. Vielleicht finden wir auf dieser Reise Gelegenheit hierzu. Ihr habt bereits einige Gespräche führen lönnen – habt Ihr schon eine Ahnung von den Zielen dieser Unternehmung?“

„Vorzüglich, ich freue mich schon sehr euch Porträtieren zu dürfen! Nun, das ist eine gute Frage. Es hieß ja, wir, die Gäste, wären Zukunft und Hoffnung des Herzogenhauses. Ich war allerdings sehr überrascht über diese Einladung. Vielleicht wird es ein Turnier irgendwo geben, wo wir unsere Treue unter Beweis stellen können? Aber egal was es ist, ich bin ganz beruhigt solch einen starken Mann wie Euch an Bord zu wissen. Ich hingegen, bin bestimmt nur zum Aufzeichnen ausgesucht worden. Ihr müsst wissen, meine Familie ist zwar vom gratenfelser Niederadel, aber ein Lehen haben wir schon lange nicht mehr. Was meint ihr , wo es hingeht?“ Er schaute Nivard tiefgründig an und stellte sich schon vor, wie er ihn zeichnen würde.

„Ich muss gestehen, noch vollständig im Dunkeln zu tappen. Ein Turnier war auch mein allererster Gedanke, angesichts der vielen in den Kampfkünsten geschulten Teilnehmer dieser Fahrt. Da jedoch auch Diener der Götter und Gelehrte, wie Ihr es seid, unter uns weilen, könnte ich mir ebenso gut vorstellen, dass Ihre Hoheit uns vielleicht vor die Aufgabe der Erkundung einer alten Stätte und der dort verborgenen Rätsel zu stellen gedenkt. Dann wäre unser Schwertarm nur Schutz für Euer Wissen und Eure Schrift- und Zeichenkünste.“ ‚Vielleicht ist aber auch die Reise selbst und die teilnehmende Gesellschaft die eigentliche Prüfung‘ dachte Nivard noch bei sich selbst…

Später dann, war Elvan im Gespräch mit Ellian von Schrötertrutz vertieft. „..Ah, und die Schenkel der Unken werden dann geröstet oder in einer Suppe verkocht? Ich erinnere mich, dass mein Onkel Winrich schon mal von diesen Unken aus dem albenhuser Land erzählt hat, er ist ein vortrefflicher Koch müsst ihr wissen.“

„Ja genau, aber vorher muss man ihnen vorsichtig die giftige Haut abziehen. Die kann man aber anscheinend in der Alchimie verwenden, wofür genau kann ich Euch leider nicht sagen. Aber verzeiht mir meine Neugier, eure Ausbildung findet hier in Elenvina statt, nicht wahr? Verratet mir doch, wie ist das Leben hier? Ich bin erst gestern dort angekommen und hatte gar keine Möglichkeit mich dort umzuschauen. Bisher war Albenhus die größte Stadt, in der ich war und die ist ja um ein vielfaches kleiner. Wie ist es dann erst in der Herzogenstadt, es muss doch sehr aufregend sein?“

„Meine Mutter pflegt zu sagen, das Elenvina die aufregendste Stadt der Nordmarken ist. Ich wiederum muss zu geben, das ich nur Elenvina, Gratenfels und das kleine Örtchen Herzogenfurt kenne. Ab und zu hat mein Vater mich auf seinem Hausboot mit genommen und wir sind auf dem Großen Fluß gefahren. Allerdings haben wir nie an großen Orten Halt gemacht. Aber ja, Elenvina ist großartig. Der Herzog ist nicht weit und es gibt immer Turniere. Ward ich schon mal bei einem Imman-Spiel? Die herzögliche Schreiberin Imma hatte mich da mal zu einem mitgenommen. Ich sage euch, das ist absolut aufregend“, erzählte er mit leuchtenden Augen.

„Nein, leider habe ich noch kein Imman-Spiel besuchen können, aber so die Zwölfe mir gewogen sind, werde ich das nachholen. Verzeiht, aber habe ich das richtig verstanden, ein Hausboot? Das klingt ja spannend und um einiges luxuriöser als unsere Kabinen dort unten“, antwortete Ellian mit einem Grinsen auf den Lippen.

Nach dem Gespräch mit Amiel schlenderte Elvan rüber zu dem Krieger Hilberian, der gerade im Gespräch mit dem Firun-Novizen war. Nach kurzer Vorstellung ging die Plauderei weiter. „Ich muss zugeben, das ich schon ein wenig neidisch auf Eure Muskeln werden kann. Ihr müsst sicherlich viel Leibesübungen vollbringen. Wart ihr auch bei der Schlacht vor Mendena dabei? Ihr werdet bestimmt einst ein großer Mann am Schwerte werden, so wie unser heldenhafter Herzog!“ …

Welf hatte sich zu Gerwulf gestellt und die beiden hatten ein paar Worte ausgetauscht, oft waren es eher stille Gespräche zwischen ihnen, man wollte ja kein Wild verscheuchen. Als Elvan zu ihnen trat musterte Welf ihn erst einmal grinsend, seltsame Komplimente, eine überschwängliche Wortwahl, begehrliche Blicke und Neugier… eine unterhaltsame Mischung bei einem klugel Kopf. Zumindest etwas, das so wirkte. Welfs wölfisches Grinsen wandelte sich zu einem sanfteren Lächeln, als er das Haupt schüttelte. „Vor Mendena waren wir Krieger nicht, nein, ich würde ja gerne leider sagen…“ Aber er schüttelte das Haupt. Die meisten Jüngeren, die dort standen, hatten danach wie Jahre gealtert gewirkt, Alpträume und Angstzustände waren nicht selten gewesen, Welf misstraute ihnen sogar oft ein wenig… wie sollten all die guten Adligen denn die letzten Jahre korrumpiert worden sein? Wenn nicht durch däimonische Versuchungen, Beherrschungen und all dem anderen Dunklen, dass man sich genau vor Mendena einfangen konnte? „Aber ich hoffe dem ehrenwerten Herzog dennoch mit meiner Klinge zur Seite zu stehen, wenn es eins soweit ist.“ Bestätigte dann etwas großmütiger, dem jungen Gelehrten etwas vom dem Anblick gebend – ein junger Krieger in seinen besten Jahren – den dieser, zumindest in Welfs Vorstellung, so sehr sehen wollte. „Was ist mit euch? Was bringt euch auf diesen Schiff?“

“Die Einladung der Herzogenmutter. Ich kann mir vorstellen, das meine gute Mutter hinter der Empfehlung steckt, aber vielleicht auch mein Lehrmeister im Hesinde-Tempel in Elenvina. Meine Mutter ist eine Doctora und kennt die eine und den anderen vom Hofe. Wie auch immer, ich bin sehr froh darüber. Es gibt mir die Möglichkeit, die Edlen der Zukunft kennenzulernen.“ Elvan lächelte und hob den Kelch Wein zum Anstoßen an. Dann wanderte sein Blick zur Seite, wo er einen neuen Gast ausmachte. „Wenn die Herren mich entschuldigen könnten, ich sehe gerade unser neuer Gast, der Peraine-Novize Amiel, ist an Deck!“ Er verneigte sich kurz und zielte Amiel an. „Na Peraine sei Dank, dass Ihr das noch rechtzeitig an Bord geschafft habt, Amiel! Habt ihr eigentlich schon eine Koje bezogen? Wir haben da bei uns in der Kabine noch eine frei“, sagte Elvan mit einem Lächeln und schenkte noch etwas Wein nach.

„Fürwahr, Elvan“ sprach Amiel und nahm einen tiefen Schluck aus dem ihm gereichten Weinbecher. „Das klingt verlockend, mit wem hätte ich denn sonst noch das Vergnügen? Es ist doch hoffentlich niemand dabei, der schnarcht oder? Ich habe einen fürchterlich leichten Schlaf zur Zeit.“ 

„Ich glaube, da wird es keine Schwierigkeiten geben. Wir sind mit dem Knappen Dorcas von Paggenfeld und der Hohen Dame Deryalla von Hartsteig in der Kabine“, dabei deutete er auf den größten Mann an Bord, der gerade schallend lachte. Leicht angetrunken von den vielen Verlegenheitsschlückchen seines Weins, versuchte der Schreiberlehrling, weiterhin einen geraden Gang beizubehalten. ´Und nun die Zwerge´, dachte er bei sich. „Und ihr seit tatsächlich der Abgesandte vom Flussvater? Mein Vater, der ist ein Gefährte von Wind und Wogen, schwört, er hätte ihn auch schon mal besucht...“

Der junge Geode war verwirrt, und dann kam das Verstehen in seine Augen. „Ach was für ein Fehler wenn man sich kurz halten will. Tja, nun denn ich bin der Lehrling von Emmeran, und Emmeran ist der Gesandte des Flussvaters. Und wen meinst Du hat Dein Vater besucht, Emmeran oder den Flussvater?“ Dem jungen Geoden kamen Erinnerungen an seinen Lehrmeister hoch, die Geschichten über die Feenwelten. ‚Es ist schwer sich in diesen Welten zurechtzufinden, sie folgen eigenen Regeln. Als erstes muss Du lernen die Regeln der Natur und der Erdkraft zu verstehen. Dann wäre es gut wenn Du etwas über die Regeln von Gemeinschaften lernst. Wenn Du verstehst wieso manche Leutz das Falsche machen, aber am Anfang dachten auf dem Richtigen Weg sind, dann wurdest Du im Feuer eines Abenteuers geschmiedet.‘

„Ach so. Nun mein Vater sprach von dem Flußvater. Obwohl ich mir vorstellen kann, das er Euren Meister Emmeran kennen könnte. Von welchen Welten sprecht ihr, Meister Lagorasch, gibt es den nicht nur die eine, die wir Dere nennen? Oder glaubt ihr auch an die Anderswelten? Ich habe davon schon mal im Hesinde-Tempel in Elenvina gelesen.“

Lagorasch lächelte erfreut zurück, „Die Antwort wäre eine Frage der Sprachauslegung, sind wir nun in einer Welt und zwischen den Welten gibt es einfach nur Tore in verschiedene Zonen der Wahrheit? Wo hört Sumu auf, und wo beginnt Los? Und was ist mit der Zone zwischen den Welten? Ich halte es so, dass es viele mehr oder weniger miteinander verbundene Welten gibt. So nennt man doch die zwölf Götter als die untrennbaren Zwölfe, damit wäre also die Welt auch nur eine, mit unterschiedlichen Zonen und Unterwelten über Tore verbunden. Jedenfalls hat der Flussvater seine eigene Welt, seine eigenen Regeln, ebenso wie Farindel auch.

Elvan schaute nachdenklich. „Sehr interessant, was ihr da sagt. Wir sollten uns unbedingt mal mit Quintus von Münzberg darüber unterhalten. Ich denke da können wir stundenlang drüber reden. Ich hoffe wir werden die Gelegenheit hier auf der Fahrt noch finden. Ich werde Eure Zeit fürs erste nicht weiter strapazieren und mal schauen wie es dem Vogt so geht. Freundlich berührte er die Schulter des Geoden und wendete sich zum Vogt Borax. „Ihr seht wirklich blass aus, Herr Vogt, vielleicht solltet ihr Euch setzen“, sagte Elvan, und legte seine Hand mitfühlend auf die Schulter von Borax.

Der Angesprochene lächelte dünn, es war offensichtlich aufgesetzt und ein kläglicher Versuch seine Verfassung zu überspielen. “So langsam begreife ich, warum meine Brüder und Schwestern mich vor einer Fahrt auf dem Fluss gewarnt haben. Seid ihr schon einmal auf diese Art und Weise gereist?“

„Mein Vater ist ein Geweihter des Herren Efferd. Er fährt die meiste Zeit des Jahres auf dem Großen Fluß auf und ab in seinem Hausboot. Als Kind hat er mich ab und zu mit aufs Boot mitgenommen. In den letzten Jahren eher nicht mehr. Mir macht das Reisen auf dem Fluß nichts aus, allerdings bevorzuge ich die Reise zu Pferd. Ich hoffe Ihr werdet euch schnell daran gewöhnen, wer weiß wie lange wir noch unterwegs sind“, sagte Elvan und reichte dem Vogt ein Krug Wasser.

Dankend nahm dieser ihn entgegen und bemühte sich erneut um ein Lächeln. „Diese Hoffnung teile ich. Meine Befürchtungen jedoch sehen uns sehr lange den Wellen ausgeliefert.“ Schnell wechselte Borax das Thema. Alles was ihn von dem Schwanken unter seinen Füssen abzulenken vermochte, war willkommen. „Darf ich fragen, wo ihr eine Anstellung habt und mit welcher Art von Dokumenten ihr euch befasst?“

„Oh, ich bin noch in der Lehre zum ordentlichen Schreiber, aber ich werde bald geprüft. Aber eigentlich habe ich mich der Kalligraphie verschrieben, die Hohe Kunst der Schrift. Zauberzeichen interessieren mich auch, ach es gibt so viel. Nun, bis jetzt arbeite ich für meine Familie, doch ich hoffe, eines Tages eine gute Anstellung zu bekommen oder ein schönes Gut zu verwalten. Wenn ihr möchtet, könnte ich Euren Namen kalligraphieren? Im Bosparano oder in Tulamidya-Schriftzeichen?“ Elan schaute den Vogt erwartungsvoll an.

Die Augenbrauen des Vogts hoben sich leicht. „Tulamidya? Ja, das würde ich in der Tat gerne sehen. Ich führe eine Abschrift der Lex Zwergia bei mir, ein Geschenk eines meiner Lehrer am Hofe des Rogmarog. Sie begleitet mich stets, wenn ich auf reisen bin. Im Einband habe ich meinen Namen in Rogolan- und Angram Runen geschrieben. Nun könnt ihr ihn in Tulamidya hinzufügen.“ Borax lächelte bei dem Gedanken, dann jedoch stutzte er. „Ist diese Schrift gängig für einen Schreiber in den Nordmarken? Ist dies aus Sicht des Handels erforderlich?“

Elvan überlegte kurz. „Nein, gängig ist das in den Nordmarken nicht, aber es sieht schön aus. Es sein ihr treibt Handel mit den Tulamidenlande. Überlegt es Euch, wir haben ja noch Zeit auf dieser Fahrt.“

“Das werde ich“, versicherte Borindarax. „Wenn ihr nach der Vollendung eurer Lehre danach strebt auch die Runen meiner Rasse zu erlernen, so kommt zwei, drei Götterläufe zu mir nach Senalosch. Ich habe bedarf was euer Handwerk angeht. Mein Vorgänger war zwar sehr praiostreu, hat die Verwaltung der Ländereien aber eher nachrangig behandelt. Ich lege hingegen großen Wert darauf und komme selbst kaum hinterher. Allein sechs Götternamen habe ich benötigt um eine mir gefällige Struktur in die Bücher und Schriftrollen der Vogtei zu bringen. Darunter sind viele Dokumente, die noch aus der Zeit stammen, da die Nordmarken ein Königreich waren.”

„Das hört sich fantastisch an, Herr Vogt! Ich würde Euch gerne in Senalosch besuchen kommen und sicherlich interessieren mich auch die Rogolan-Runen, einen ersten Einblicke hatte ich bereits in den Büchern der Schriftkunde im Hesinde-Tempel zu Elenvina.“ Der Schreiberlehrling war begeistert.

„Ausgezeichnet.“ Borindarax präsentierte einen zufriedenen Gesichtsausdruck. „Dann schreibt mir, wenn es soweit ist. Alles andere klären wir dann.“

Elvan lächelte nochmals und wendete sich höflich ab, um noch ein wenig Wein zu holen. Zu guter Letzt, wurde Elvan dann doch von der Altherzogin, in Begleitung von Imma von Schellenberg, angesprochen.

„Ihr bringt mich in Verlegenheit, Eure Hoheit. Aber sicherlich, ich würde gerne für Euch Euren Namen kalligraphieren. Oh, ihr habt gehört, dass ich Tulamidya spreche? Nun es ist nicht besonders gut, aber ich hatte einen guten Lehrmeister.“ Fast hätte er sich am Wein verschluckt, als Grimberta seine Schwärmerei über ihren Sohn erwähnte. „Ähm, nun, ja, wer verehrt Euren Sohn, den Herzog, denn nicht? Er ist ein wahrer Held und guter Landesvater“, leicht errötet versuchte er, zu Lächeln und schaute verzweifelt Imma an.

Die amüsierte sich freilich etwas über seine etwas irritierende Schwäche für den Herzog und lächelte ihn an. Sollte er sich keine Sorgen machen. Also zwinkerte sie ihm heimlich zu, um zu signalisieren, dass er nichts falsch gemacht hatte.

„Amiel von Bienenturm!“ Mit weit ausgebreiteten Armen und lauter Stimme schritt Quintus auf den Novizen der Peraine zu und umarmte ihn ohne abzuwarten ob dieser sich für eine Umarmung öffnete. „Mein Name ist Quintus von Münzberg und wie ihr sehen könnt bin ich ebenfalls ein Novize einer der göttlichen Schwestern des alveranschen Panteons. Meine Eltern Perainlind und Odumir sind Geweihte der gütigen Schwester und auch mir bereitete die Feldarbeit und die Nähe zur Gebenden als junger Bursche große Freud. Es ist mir eine Ehre euch kennenzulernen. Oh seht dort! Der Herr mit dem Wolf an seiner Seite ist Gerwulf von Wolfentrutz, ein Novize des Firun, lasst ihn uns aufsuchen!“ Bestimmend drückte Quintus mit der flachen Hand an die Schulterblätter von Amiel und ging in Richtung Gerwulf. Mit leiserer Stimme setzte er seinen Monolog fort: „Wir als künftige Geweihte sollten uns im Klaren darüber sein, dass unsere Verantwortung hier doppelt so schwer wiegt und die Erwartungen an uns doppelt so hoch sind, ich habe vor diese Erwartungen zu übertreffen. Wie sieht es mit euch aus?“  

„Schön euch kennenzu…“ - Amiel stockte ob der unerwarteten Umarmung des jungen Hesindenovizen. „… lernen“. Er versuchte vergeblich, den ununterbrochenen Redefluss Quintus‘ zu unterbrechen und zupfte stattdessen seine Tunika zurecht. „Die Verantwortung lastet schwer auf unserer aller Schultern, doch eure Tüchtigkeit sollte uns allen ein Vorbild sein Quintus“ antwortete er mit gesenkter Stimme, ohne den Blick vom Wolf Gerwulfs zu nehmen. ‚Ob er sich in dieser Umgebung wohlfühlt?‘ dachte er sich und ging vor dem Wolf auf ein Knie, um sich von ihm beschnuppern zu lassen.

Das Tier schnupperte und leckte anschließend mit der Zunge über Amiels Hand. „Wolf mag dich. Dann tue ich das für gewöhnlich auch,“ erklärte der Novize des Firun.

Etwas nervös zupfte Amiel seine grüne Tunika zurecht, richtete sich zu voller Größe auf und suchte die Nähe der Herzogin. „Euer Hoheit“ sprach er mit lauter Stimme und verneigte sich. „Bitte verzeiht mein spätes Ankommen, ich habe mich im Treiben Elenvinas regelrecht verloren. Habt Dank für eure Einladung, es ist mir eine Ehre an dieser Reise teilnehmen zu dürfen. Mein Name ist Amiel Godehard von Bienenturm aus dem jungen Hause Bienenturm, welches seinen Sitz in der Baronie Wolfsstein hat. Wir dienen dem Hause Wolfsstein seit fast 50 Götterläufen ergeben, was natürlich auch auf eure Familie zutrifft.“ Amiel öffnete seine Umhängetasche, deren Inhalt ihm augenblicklich die Blässe ins Gesicht fahren ließ: „Dies ist“ er zog einen rötlichen Tiegel aus der Tasche „ein Geschenk meines Hauses, ein Tiegel Plumbshonig – er zeichnet sich durch seinen vollmundigen Geschmack aus, der mit einer würzigen Note unterlegt ist“. ‚Gütige Mutter Peraine, bitte lass der Herzogin dieses Geschenk gefallen‘ dachte er sich und reichte das Gefäß weiter.

Auch hier nahm Grimmberta das Geschenk erfreut entgegen, betrachtete das Tiegelchen kurz interessiert, bevor sie es an ihren stets präsenten Diener Alfons weiterreichte. „Oh habt Dank, von Bienenturm. Wir werden uns diesen Honig dann morgen zum Frühstück schmecken lassen.“ Sie erkundigte sich noch weiterhin über die Herkunft der Würze im Honig und den neuesten Neuigkeiten aus dem Haus Bienenturm. Auch fragte sie nach, ob Amiel über das Wohl und Wehe der Perainehochgeweihten Ivetta von Leihenhof zu berichten wusste.

„Das Geheimnis eines würzigen Honigs liegt tatsächlich nicht in der Verarbeitung, sondern bei den Bienen. Im Kloster Storchengarten war ich mit der Pflege der Bienenstöcke beauftragt, sodass ich hin und wieder auch in den Genuss dieser süßen Tropfen kam.“ Amiel schmunzelte nun: „Ich habe die Tiere eingehend untersucht und keinerlei Unterschied zu denen auf Gut Bienenturm feststellen können, welches darauf schließen lässt, dass die Umgebung etwas mit dem Geschmack zu tun haben muss. Die gütige Mutter war stets gut zu uns!“ Der junge Novize ließ seinen Blick über das am Horizont immer kleiner werdende Elenvina schweifen bevor er nach einem Seufzer fortfuhr: „Ich bin noch immer äußerst betrübt über den Tod Talinas, welches gleichwohl auf meinen Vater Baldur und meinen Onkel Rotger zutrifft. Mein Vater ist dabei das Gut wieder vollständig in Stand zu setzen.“ Wieder schweifte Amiels Blick über die vorbeiziehende Landschaft bevor sein Blick wieder den Grimmbertas traf: „Euer Hochwürden Ivetta von Leihenhof ist bester Dinge, die Organisation des Klosters geht ihr regelrecht von der Hand. Sie ist wirklich eine tüchtige und inspirierende Kraft, die uns allen ein Vorbild ist. Ich überbringe ihrer aller Grüße.“

´Was für eine herrlich Fahrt´, dachte der große Dorcas bei sich, als er an der Reling stand und der Wind durch sein blondes, langes Haar streifte. Gerade hatte er sich sein Kelch zum zweiten mal mit Wein füllen lassen, ließ sich aber dennoch Zeit mit den anderen Gästen zu sprechen. Er schaute sich um, und musterte jeden einzelnen, bis sein Blick bei der hübschen Schreiberin Imma zum ruhen kam. Dann ging er zielstrebig auf sie zu. „ Der Liebholden zum Gruß, edle Dame Imma! Wie es scheint, ist der Geiste Rahjas in diesem Wein. Gar lieblich, so wie ihr es seid. Darf ich Euch nachschenken?“, fragte er mit einem Lächeln auf den Lippen.

Die Schreiberin lief knallrot an, hielt Dorcas aber ihr Glas hin.

Nächtigen auf Planken

Und so vergingen die ersten Stunden auf der Concabella in lockerer Konversation, während an den Ufern die Kernlande der Nordmarken vorbeizogen. Die Nacht wurde dann zwar angelegt, aber geschlafen wurde auf dem Flaggschiff der ehrenwerten Flussgarde. Sicherlich für so manchen der Gäste eine mehr als ungewohnte Erfahrung.

Sehr spät am Abend fiel Elvan völlig erschöpft in seine Koje. `Was für ein Abend. Das fühlt sich jetzt schon an wie ein richtiges Abenteuer. Ich bin echt gespannt, wie die nächsten Tage werden`. Im sanften Takt des Wellengangs ließ er sich in den Schlaf fallen.

Lange nachdem die Herrin der Abendröte ihrem Bruder Boron gewichen war, torkelte Dorcas zurück in seine Kabine. `Oh oh, wie sich das alles dreht´, dachte er sich, und fiel wie ein Stein in seine Koje. Bevor er in den Schlaf fiel, hörte er sich noch Lallen: “Möge Boron unsch alle beschützn.“

Dem Vogt von Nilsitz war derweil spei übel und dass nahezu die ganze Nacht hindurch. In der Horizontalen hielt er es nicht aus, schon der seichte Seegang raubte ihm den letzten Nerv und so wanderte er unruhig auf Deck auf und ab, rauchte Pfeife und trank beruhigenden Tee. Zum Glück hatte er mit einer derartigen Situation gerechnet und so hatte er vor dem Betreten des Schiffes zwei Tage und zwei Nächte in einem angenehmen Gasthof, welches auch auf die Bedürfnisse zwergischer Anatomie und deren kulinarischen Vorlieben ausgelegt war, verbracht. Das er obendrein eh wenig Schlaf benötigte, eine Eigenart, die in seinem Clan recht verbreitet war, kam ihm auch hier zugute.

Der junge Geode gesellte sich auch sehr schnell wieder nach oben an Deck. Die Anwesenheit und Gedanken seiner Seelengefährtin beruhigten ihn sehr, aber dennoch war der Seegang nichts was ihm lieb war. Er bebachtete Borax eine ganze Weile, wie dieser unruhig hin und her ging. So saß er still an einem Platz, betrachtete die Wellen des Großen Flusses und kaute auf einem sehr alten trockenen Brotstück. Langsam verarbeitete der Geode den Tag, wem war er heute alles begegnet, was solle er als nächstes machen? Da war diese Magierin, die Menschen bedienten sich anders der Erdkraft… aber wie kann man aufeinander zukommen? Auf jeden Fall nicht wenn so viele Leute um einen stehen. Dann Quintus… wie soll er ihm erklären, das die Geoden außerhalb der Gesellschaft stehen. Elvan, hm…‘ er wiederholte die ganzen Namen. Es war so schwer die Menschen zu verstehen. Und dann diese Geschichte mit den Vampiren… Konrad, Lagorasch, 26.04.2019) Dann stand der Zwerg auf einmal auf, und ging auf die Wachen, die in der Nähe der Planken standen, zu. „Entschuldigt, Serescha liegt mir schon eine Weile damit in den Ohren und würde gerne über Nacht noch etwas jagen, darf ich sie an Land bringen und später wieder abholen bevor wir wieder ablegen? Oder darf ich selber vielleicht sogar etwas von dem Schiff runter?“

Die von Konrad angesprochene Wache nickte und deutete auf Planke. Diese lag auf Deck, hochkant an die Bordwand angelehnt, und harrte ihrem Einsatz. „Dann packt mal bitte kurz mit an, ja? Wir müssen sie anlegen, sonst wird das nichts mit Eurem nächtlichen Spaziergang. Soll ich Euch begleiten? Ihre Hoheit hat uns euer aller Wohl in aller Deutlichkeit anempfohlen.“ Der Flussgardist lehnte die Hellebarde an eine Kiste und fasste mit starken Händen nach dem langen Holzbrett. „Mit Verlaub, wenn es beliebt, was habt Ihr denn draußen vor?“

Auch wenn der schwarzhaarige Zwerg zu den schwächsten unter den Zwergen zählte, so war die Planke gemeinsam schnell in Position gebracht. Kurz darauf schlängelte sich die gelbgrün gesprenkelte Schlange am Arm des Zwerges entlang, bis Ihr Kopf auf etwa gleicher Höhe wie der des Geoden war. Dieser Blickte die Wache an und fuhr fort: „Tja wie gesagt, Serescha möchte sich gerne etwas austoben und ich glaube es ist einfach besser, wenn eine junge Kvillotter nicht einfach so auf dem Schiff nach Mäusen und Ratten jagt. Und ich hätte mich einfach kurz zum Schlafen gerne etwas ins Schilf gelegt, meinem Magen geht es mittlerweile schon recht gut, aber die Aufregung in der Stadt und dann noch dieses Schwanken ist doch recht anstrengend. Das Ufer sieht fast wie auf der vergessenen Insel aus, verstehst Du wie es ist, wenn Du Dich nach der Heimat sehnst, und sie ist nur eine Planke von Dir entfernt?“

Der Gardist verstand nicht wirklich, wie an seinem Mienenspiel erkennbar war, doch er fing keine Diskussion an und nickte nur. „Ay!“

Danach ging der junge Zwerg beschwingt die Planke hinunter und als er den ersten Fuß auf festem Boden hatte, schlängelte sich seine Seelenverwandte in das Schilf, glücklich und begierig etwas leckeres zu fangen. Während dem Zwerg in den ersten Momenten etwas mulmig wurde. ‚Warum schwankte nun die Erde so wie das Schiff?‘ Er war völlig verwirrt. Er setzte sich ein paar Schritte weiter auf ein Stück Holz und betrachtete die Pflanzen und Bewegungen des Wassers um sich herum. Und es brauchte einiges an Zeit bis er sich entspannte. Serescha hatte schon die ersten Tiere vertrieben, es gab wenige Jäger die sich mit einer Giftschlange anlegen wollen, und hatte gerade eine Maus entdeckt. Es waren schöne Bilder die sie ihm zeigte, eine gesunde Welt. Als sie Angriff aber die Maus im Maul einfach nicht sterben wollte, kam die Erkenntnis, und der junge Geode sprang auf und rannte zu seiner wütenden und verwirrten Gefährtin… wie konnten sie beide nur vergessen haben das er Stundenlang auf sie eingeredet hatte, und sie überredet hatte, das er ihr das Gift abnehmen sollte. So wäre keine Gefahr, falls ein Mensch in der Stadt sich blöd verhält dann wäre ein Biss von Ihr nicht sofort tödlich, und nach ein zwei Tagen hätte sie ja wieder ihr Gift. Er fand schnell die Beiden im Kampf und töte die Maus. Ein merkwürdiges Gefühl, ein Lebewesen zu töten… es tat ihm innerlich weh, er konnte nur nicht sagen was. Er betrachte Serescha und sprach sie laut an: „Tja, ich kann mich nur entschuldigen bei Dir.“ Danach stand er auf, und suchte sich ein gemütliches Plätzchen um sich hinzulegen.

Da Ellian schon die Tage zuvor auf dem Weg von Albenhus nach Elenvina auf einem Boot verbracht hatte, störte ihn das Schwanken der Concabella gar nicht. Einzig in einer Kajüte mit drei ihm noch fast unbekannten Leuten zu schlafen, auch wenn Ellian sich fast sicher war, dass Grimberta wohl keine Halunken auf ihr Schiff eingeladen hat, ließ ihn nur in einen leichten Schlummer fallen.

Nivard fand noch lange keinen Schlaf. Vielleicht hätte er etwas mehr dem Wein zusprechen sollen, aber er wollte Herr seiner selbst bleiben, gerade am ersten Abend… auf seinen Schultern ruhten die Erwartungen der seinen, die er nicht enttäuschen wollte, nicht enttäuschen durfte. Der junge Krieger lies zunächst den zurückliegenden Tag vor seinem inneren Auge passieren, sann über die Gesellschaft, der er die nächsten Tage angehören würde, und seine mögliche Rolle auf dieser Fahrt. Schließlich kreisten Nivards Gedanken aber wieder um den letzten Sommer, während sich ihm die leisen Atemzüge Welfs geradezu ins Gehör bohrten und alle sonstigen Geräusche an Bord zu übertönen schienen…

Welf lag ebenso wach, wie Nivard. Er atmete ruhig und gleichmäßig, bewegte sich kaum, er war heute Still gewesen, er hatte heute seine Kräfte nicht herausgebracht, war auf diesem Schiff ‚gefangen‘ und irgendwie noch nicht aufgegangen im Gespräch mit all diesen neuen Gestalten. Kurz stoben ihm die kurzen Worte Elvans durch den Kopf und Welf grinste. Das Lächeln vereiste jedoch zunehmend, je mehr er darüber nachdachte, was für einen Unterschied seine Anwesenheit in Mendena für ihn gemacht hätte? Natürlich nicht für die Schlacht… aber für ihn selbst. Wäre er noch am leben? Wäre er bei seinem Bruder? Wäre sein Bruder heute hier? Wäre er ein besserer Repräsentant seiner Familie? Mehr aber… wären sie beide hier, wie würde sich das anfühlen? Nicht Nivards unruhiges Schnauben im Nacken, sondern einen wahren Bruder… Waffenbruder… an der Seite. Zusammen waren sie das charismatische Lächeln und der tiefsinnige Blick – so war Welf gerade nur ein stiller Beobachter im kalten der wankenden Nacht. Wankend…

Jonata konnte es kaum erwarten, sich mit Imma auszutauschen. Sie wartete, bis die Schreiberin ihren Aufgaben nachgekommen war. Bis dahin widmete sie sich ihren Aufschrieben. Sie hatte schließlich einen wichtigen Auftrag zu erfüllen und musste sich Gedanken machen, wie sie am besten an die Herzogenmutter herantreten konnte…


Der nächste Morgen

Am nächsten Morgen bedeckten feine Nebelschwaden die Ufer, als Sonnenstrahlen sich durch das milchige Geflecht zwängten. Am Himmel wich das nächtliche Grau einem güldenen Sonnenaufgang. Vereinzelt sprangen freche Fische nach den ersten wagehalsig über die zart glitzernde Wasseroberfläche surrenden Mücken. Der Große Fluss floss wie eh und je gemächlich und breit dahin, schaukelte die Boote und Schiffe, die die Nacht über am Ufer festgemacht hatten.

Etwas Fluss aufwärts lag ein Kahn mit Weinfässern vertäut. Gegenüber, am Windhager Ufer schaukelte ein schmaler Segler in den Wellen.

An Bord der ‚Concabella‘ herrschte schon früh rege Betriebsamkeit. Beim ersten Dämmerlicht des zarten Morgens hatte die Schiffsglocke alle Schlafenden an Bord geweckt, aber ebenso die letzte Nachtwache zu Bett geleitet. Die nun täglich gleichen Arbeitsabläufe bewältigten die Männer und Frauen der Flussgarde mit geübten Handgriffen und Disziplin. Nichts war spürbar davon, dass eine Majestät an Bord weilte. Allein die Anwesenheit des hakennäsigen Dieners der Herzogenmutter machte diese Fahrt nicht zur Routine. Und, ja, natürlich, da war noch eine bunte Gästeschar. Doch würde keiner aus der Mannschaft auch nur eine Bemerkung fallen lassen, dass hin und wieder jemand von den jungen Leuten im Weg stand. Sie verrichteten ihren Dienst gewissenhaft und zweifellos souverän. Die Segel wurden entfaltet, und irgendwoher duftete es herrlich nach warmem Brot und Honig.

Wen das Geläut ebenfalls aus den Kojen schmiss und der sich deshalb an Deck befand, sah, wie sich durch den Nebel von Richtung der Straßen zwei Pferde näherten. Auf einem saß eine junge Frau in einen roten Mantel gehüllt, hinter ihr die eigentliche Reiterin, eine Gerüstete. Auch der andere Reiter war ein Gerüsteter. Beide trugen dunkelblaue Gambesons und auffällig gearbeitete Lederrüstungen, hohe schwarze Stiefel, ebenso Schwert und Schild am Sattel, das Relief auf der ledernen Brustplatte zeigte einen dicken Fisch unter einem Brückenbogen. Elenvinern waren Wappen und Reiter bekannt: Es war das Hauswappen derer von Plötzbogen, einem alten Ministerialadelsgeschlecht, dessen Familienoberhaupt auch gleichzeitig das derzeitige Oberhaupt der Stadt war – bei den uninformierten Reitern handelte es sich aber nicht um Stadtgardisten, wie man vielleicht meinen konnte, sondern um zwei Mitglieder vom ‚Geleitschutz Plötzbogen‘: einem Trupp Waffenfähiger, die sich als Bedeckung von Handelszügen und bessergestellten (sprich adeligen) Reisenden ihr Tagwerk verdienten. Gegründet 1020 BF von dem Krieger Emmeran von Plötzbogen, dem ältesten Sohn des Stadtvogts, rekrutierte sich der Trupp fast ausschließlich aus Abgängern der Kriegerakademie und hatte mittlerweile einen klangvollen Namen, weswegen gerade unter Akademiezöglingen oftmals eine Anstellung als ‚Plötzbogner‘ angestrebt wurde. Schließlich diente man als solcher dem Stadtvogt, und über diesen wiederum auch dem Herzogenhaus. Nur anders als in der Flussgarde reiste man abwechslungsreich durch die Lande, kam viel herum und musste sich lediglich einer flachen Hierarchie beugen.

Jener schwarzhaarige Reiter mit dem akkurat dressierten Ankerbart und der Narbe auf der Stirn beugte sich allerdings niemandem. Denn er war größtenteils sein eigener Herr. „Die Götter mit Euch und unserem schönen Herzogtum! Emmeran von Plötzbogen für die junge Dame Rajalind von Zweibruckenburg, Gast Ihrer Hoheit auf der ehrenwerten Concabella.“ Rief der hochgewachsene Recke mit fester Stimme, ehe er aus dem Sattel glitt, um die junge Frau galant vom Reittier seiner Begleiterin zu heben.

„Die Dame von Zweibruckenburg darf an Bord kommen,“ gab der Offizier, der die Sache vom anderen Ende des Landungsstegs beaufsichtigte, bekannt, nachdem vom Diener der Herzogenmutter ein zustimmendes Nicken erfolgt war.

Ihre Hoheit, Grimberta von Großen Fluss und vom Berg, war heute morgen etwas mürrischer als noch gestern Abend. Auf höfliches Nachfragen hin kritisierte sie dezent die Schlafstätten – in ihrem Alter hätte man sich nun mal an gewissen Begebenheiten in der Eilenwid gewöhnt. Die Ankunft der jungen Frau in Rot zauberte jedoch für den Augenblick ein Lächeln ins Gesicht der Altherzogin. „Die sinnliche Schöne mit Euch, meine Liebe. Wir freuen uns, dass Ihr es doch noch geschafft habt, Unserer Einladung zu folgen. Aves sei wohl dank. Willkommen an Bord.“ Unterschwellig schwang natürlich Kritik mit. Allzu ernst mochte sie es trotzdem nicht meinen, denn sie tätschelte fast mütterlich das braunhaarige Haupt der jungen Frau, die vor der Landesmutter sofort auf ein Knie gegangen war.

„Los, los, steht auf und mischt Euch unters Jungvolk! - Und Flusswacht: lasst Segel setzen!“ erging sogleich auch der Befehl an die Kapitänin. „Wir gedenken zu reisen.“

Und so schäumte bald die Gischt am Bug des stolzen Schiffes, die Segel waren voll gebläht und die Kapitänin von Flusswacht hatte ihre wahre Freude daran, zu zeigen, was ‚ihre‘ Concabella und Mannschaft leisten konnten. War der Große Fluss in Albenhus zum Beispiel schon erschreckend breit, so gelangten die Gäste ihrer Hoheit nun in jenen Flussabschnitt, an dem die Ufer beinahe nicht mehr zu erkennen waren. Breit war sie, die Lebensader der Provinzen Nordmarken und Albernia. Und unüberwindbar. Aber auch träge und so nahm die Concabella in spiegelnden Wassern ruhige Fahrt auf. Mit ihr fuhren weitere Schiffe und Lastenkähne flussabwärts. Der Weinhändler aus Elenvina, der schon nächtens in der Nähe der Concabella ankerte, suchte weiterhin den Schutz des Kriegsschiffes der Flussgarde und folgte im Kielwasser.

Währenddessen fanden die adligen Gäste und ihre Hoheit zu einem Frühstück zusammen. So konnte auch der letzte Mitreisende einen Blick auf die hübsche Novizin der Rahja werfen, welche diese bunt gemischte Reisegesellschaft ergänzte.

Rein zufällig gemischt schien die illustre Runde Niederadeliger, die Grimberta um sich geschart hatte, jedoch bei näherem Hinsehen nicht. Denn betrachtete man die bisherige Gemeinsamkeiten, fiel auf, dass etliche der Anwesenden – Grimberta inbegriffen – schon jetzt in irgendwelcher Verbindung zueinander standen. Nicht alle. Doch mehr als es der reine Zufall erlaubte. Die „Neue“ machte da keine Ausnahme:

Auch Rajalind von Zweibruckenburg hatte die Prüfung der ‚Vampirpräventionskette‘ bestanden und versprühte mit zauberhaftem Lächeln mädchenhaften Charme als auch fast kindliche Freude auf die gemeinsamen Tage. Ihr Familienname erinnerte indes vor allem Imma und Borax an weniger schöne Momente ihrer gemeinsamen Vergangenheit.

Auch Deryalla horchte auf, als Rajalind von sich erzählte.

Dass sie aus dem Rosentempel in Albenhus stamme, wo ihre Mutter, eine ehemaliger Gunstgewerblerin sie zur Welt gebracht und dass sie erst erfahren habe, wer ihr Vater sei, als nach dem mörderischen Wirken jener Saria von Hartsteig das Testament des verstorbenen Flussgarde-Obristen Burghard von Zweibruckenburg aufgetaucht sei, in dem er alle seine unehelichen Kinder als Früchte seiner Lenden anerkannte. Sie kenne ihre Geschwister zwar bisher noch nicht, und den Namen eines Unbekannten zu tragen fühle sich immer noch fremd an, sie freue sich aber sehr, nun zu wissen, wer ihrer Mutter Mond für Mond Silber für sie geschickt habe. Noch viel mehr freue sich die junge Rahjani aber über die Einladung zu dieser Fahrt und über neue Freunde, weil Freunde etwas so Schönes seien. Und dabei sah Rajalind unvoreingenommen und freudig in die Runde.

'Die Tochter einer Gunstgewerblerin? Jede andere Person auf diesem Schiff müsste sich jetzt einen schneidenden Spruch anhören, aber dir, bezauberndem Geschöpf, verzeihe ich deine Herkunft.' Die Rahjanovizin hatte Quintus bereits in den ersten Augenblicken in ihren Bann gezogen, er beobachtete sie sehr genau und saugte jedes Wort von ihr auf, das er hören konnte, um dann die erste Gelegenheit zu nutzen, sich vorzustellen, denn wie sagte die Hesindegeweihte stets: 'Auf dem Fundament ruht das Werk' - sicher meinte sie damit nicht den Umgang mit anderen Menschen, aber Quintus drehte es sich auch hier wieder zurecht und sah sich somit in seinem Handeln bestätigt. Als sich ihre Blicke trafen ging er schnurgerade auf Rajalind von Zweibruckenburg zu ohne seinen Blick zu senken und zur Überraschung einiger Anwesenden, die seine überzogenen Auftritte bezeugen konnten, sprach er diesmal mit einer deutlich gedämpften Stimme: „Rajalind von Zweibruckenburg“ er reichte ihr die rechte Hand und umfasste die ihre zusätzlich mit seiner linken und streichelte dabei ihren Handrücken, was der jungen Frau ein leises Kichern entlockte, „mein Name ist Quintus von Münzberg aus dem Hause von Münzberg, aber wir wollen nicht über Titel sprechen. Es freut mich, auch dich auf diesem Schiff begrüßen zu dürfen. Nun, du bist hier in bester Gesellschaft einiger Brüder im Glauben an die Zwölf. Auch kann ich bei der Auswahl der Kabine behilflich sein.“

„Verzeiht Herr von Münzberg, wenn ich Euch unterbreche. Auch andere möchten sich vorstellen und sind durchaus in der Lage, für sich selbst zu sprechen.“ Dann wandte sich Deryalla der Schülerin der Leidenschaft zu und kniete sich rasch vor ihr nieder: „Mein Name ist Deryalla von Hartsteig. Meine Base nahm Eurem Vater das Leben, wofür ich Abitte leisten möchte. Auch wenn ich ihre Tat nicht ungeschehen machen kann, hoffe ich auf Eure Vergebung. Ihr könnt jeder Zeit einen Dienst bei mir einfordern“.

Noch bevor es irgendeine Gelegenheit gab, zu antworten, kniete der große Dorcas neben der Kriegerin Deryalla. Mit einem breiten Grinsen sprach er: „Wie ihr seht, euer Gnaden, ihr seit jetzt schon umschwärmt wie die Bienen eine herrlich duftende Rose. Mein Name ist Dorcas von Paggenfeld. Meine Familie züchtet die herrlichen Elenviner Rösser und der Segen der Holden liegt schon seit Generationen auf uns. Ich bin ebenfalls ein glühender Verehrer und ich streite in ihrem Namen. Sollt es irgendetwas geben, was ich für Euch tun kann, so sprecht nur meinen Namen aus!“ Mit einer Eleganz, die man dem kräftigen Mann nicht zugetraut hätte, erhob er sich wieder.

‚Besser hätte ich es nicht ausdrücken können‘ dachte Amiel als er die Worte Dorcas vernahm. Er blieb zunächst im Hintergrund, um den Gesprächen lauschen zu können. ‚Wie würde ich sie ansprechen?‘ grübelte der Novize als die junge Rahjani wieder das Wort ergriff.

Der junge Zwerg schaute verdutzt dem Schauspiel zu: ‚Was hat diese Frau? Gut sie ist eine Frau, aber bei den Großlingen gibt es so viele Frauen. Oder hat das mehr mit ihrer Berufung zu tun?‘ So trat der Angroscho Seelenruhig zu Borax und wartete einfach neben ihm, und dachte sich: ‚der Vogt kennt sich in solchen Sachen besser aus… und warten und dem Trubel zuschauen ist wohl bestimmt nicht verkehrt.‘

Gerade eben noch hatte sie Quintus mädchenhaft errötend angelächelt, nun blickte die Albenhuserin überrascht, ja, fast peinlich berührt drein, als erst die eine und dann der andere vor ihr niederging, und ihre Wangen wurde noch etwas roter. Wortlos sah sie von Deryalla zu Dorcas und wieder zurück. Ob die lieblichen Worte des hochgewachsenen Recken aus Paggenau überhaupt in Rajalinds Geist drangen – wer wusste das schon. Sie ging vor Deryalla in die Hocke und streckte ihre Hand nach jener Deryallas aus, mit deren Arm sich die Kriegerin auf ihrem Knie abstützte. „Bitte,…oh bitte tu das nicht. Das Leben ist zu schön, um es mit dem Blick zum Boden zu verbringen. Ich, ich habe meinen Vater nicht gekannt und du, du bist nicht deine Base. Du hast auch nicht ihre Hand geführt, ebenso wenig konntest du in ihr Herz sehen, um zu verhindern, was sie tat.“ Nun lächelte die Rahjanovizin doch wieder. Ihre Hand lag derweil warm und tröstend auf Deryallas. „Lass dein Herz lieber fröhlich sein! Es ist so schön, dass wir uns treffen. Wir können doch Freundinnen sein, Deryalla. Schwestern. Das würde mich mehr erfüllen, als dich vor mir knien zu sehen.“

Deryalla schluckte schwer und errötete ebenfalls. Es war offensichtlich, dass sie von dem großherzigen Angebot der angehenden Rahjani überfordert war: „Wir können es versuchen...“, meinte sie zögerlich, ergriff ihrerseits nun deren Hand und blickte Rajalind direkt an. „Verzeih‘, ich bin solche Freundlichkeit nicht mehr gewohnt...“, fügte die junge Hartsteig hastig hinzu und ihr ging auf, dass Rajalinds Worte eine indirekte Einladung gewesen, der sie immer noch nicht nachgekommen war. Also stemmte sie sich rasch wieder auf die Beine: „Es würde mich wirklich freuen, wenn wir uns näher kommen könnten“, schloss Deryalla unbeholfen.

Rajalind lächelte freudig. Sie hingegen war alles andere als unsicher, strahlte die Ernsthaftigkeit aus, die bereits in ihren Worten gelegen hatte. In ihrer erfrischend naiven Art griff sie noch einmal die Hand der Hartsteig, beugte sich zu der Kriegerin vor und gab ihr einen Kuss auf deren Wange. In Rajalinds Augen loderte dabei das wärmende Feuer von Vergebung, unbekümmerter Jugend und kostbarer, ja, Unschuld auf. Es schien die junge Frau auch nicht weiter zu kümmern, dass man sie und Deryalla bei ihrem ungewöhnlichen Kennenlernen beobachtete.

„Hab‘ Dank“, flüsterte Deryalla leise als sie sich nahe waren.

Erst nach ihrem Kuss gab Rajalind Deryallas Hand endgültig frei und richtete ihre neugierigen Augen auf Dorcas. „Ein Streiter der Holden! Das ist ja lieb.“ Sie freute sich wohl wirklich. Darüber hinaus zeigte sie, dass sie doch von allem um sich herum Notiz genommen hatte.

Auch Welf hatte die Ankunft der Neuen interessiert beobachtet. Er stand nahe der Grüßenden, und so grüßte er die Fremde natürlich ebenso. Jedoch weit… zurückhaltender. Freundlichkeit und Anstand lag in seinem Wesen, aber den Bann Rahjas konnte die Ungeweihte durch ihre bloße Präsenz noch nicht entfalten – zumindest bei Welf. Und diese Geschichte mit den Bastarden… konnte er auch lange nicht so frei von Standesdünkeln sehen, wie diese ‚Progressiven‘ hier…Ja Welf schüttelte gar das Haupt, es war doch ein Glück, dass der Bastard eine Geweihte werden würde… da blieb kein wahrer Adel erhalten, doch dafür war der Makel mehr als passend… fast ein Schönheitsfleck? Der hübsche Krieger grüßte also respektvoll, fixierte kurz die Augen der Novizin, schwieg aber erst einmal… und beobachtete die standesvergessenen Auftritt der begierigen Kriegerinnen und Knappen. Wo Deryallas Auftritt sein Interesse noch geweckt hatte – er sprach von ihrer Ehre – war der zweite Auftritt geradezu… unangenehm. Dieser übergroße Krieger, mit dem übertriebenen Geschenk und der übertriebenen Gunsterweisungen… war wahrlich stillos. Oder war Welf einfach neidisch, begierig?

Amiel wippte von einem Bein auf das andere während er versuchte den richtigen Moment zu erwischen, um in das Gespräch einzusteigen. „Herzlich Willkommen auch von meiner Seite! Wie schön, dass sich so viele Novizen der Zwölfgötter auf diesem Schiff eingefunden haben. Mein Name ist Amiel von Bienenturm und ich freue mich euch kennenzulernen. Habt ihr denn schon eine Kabine bekommen?“

„Eine Kabine?“ Rajalind sah den Bruder der Gütigen fragend an. Entweder war ihr der Begriff nicht geläufig oder sie bekam den Zusammenhang gerade nicht hin.

„Eine Schlafkabine, es müsste noch Platz in der von… Quintus, helft mir doch kurz?“ stammelte er, während er sich am Kopf kratzte und ihm die Hitze ins Gesicht stieg.

„Ich bedauere es sehr, aber leider ist in der meinen Kabine keine freie Koje mehr, aber ich kann dir die gute Gesellschaft meiner guten Freundin Jonata von Schleiffenröchte nur anempfehlen. Ich werde sogleich zu ihr gehen und sie von deiner Einquartierung in Kenntnis setzen.“ Tatsächlich kannte er Jonata nur vom Sehen aus dem Hesindetempel zu Elenvina.

„Ach, ihr seid alle so lieb…“ Nach wie vor zauberhaft lächelnd sah Rajalind für den Moment Quintus nach, wie er zu der weißgekleideten Scolarin ging.

„Hesinde mit dir, Jonata. Ich habe mir erlaubt, Rajalind eine Koje in deiner Kabine anzubieten. Dies war ja sicher auch in deinem Sinne, nicht?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: „Nun Jonata, wir als Kinder der Allwissenden stehen uns auf eine Art nahe, die viele hier nicht verstehen können und aus dieser Bindung entsteht natürlich auch eine große Verantwortung unnnnnd...“ er beschleunigte nach kurzem Zögern seine Stimme, als wollte er etwas verbergen „...als Kind Hesindes habe ich eine Bitte an dich, es ist mehr eine Forderung.“ Was er nun tat, war absolut ungewöhnlich bei ihm und konnte bis jetzt von keinem der Mitreisenden beobachtet werden, er brach den Augenkontakt im Gespräch ab und schaute bei dem Sprechen auf den Boden. „Wenn ihr mit Rajalind alleine seid und das Gespräch sollte aus Zufall, warum auch immer, über mich verlaufen, sprecht die Wahrheit über mich, also so wie ich die Wahrheit sehe also... du weißt schon...“

Etwas überfordert von Quintus Tatendrang blickte Jonata von ihm zu Rajalind und wieder zu ihm zurück. Sie musste ein leises Seufzen unterdrücken - was führte der aufgeweckte Hesindenovize denn nun schon wieder im Schilde? „Ja…sicherlich“, sagte sie deshalb nur vage. Sie hob eine Braue, hakte jedoch nicht weiter nach, sondern betrachtete die Erwähnte neugierig. Freundlich nickte sie der jungen Frau zu und ging zu ihr hinüber.

Die Albenhuserin neigte lächelnd das Haupt. „Grüß dich – Jonata?“ Mehr Feststellung als Frage.

„Eine Freude, Eure Bekanntschaft zu machen“, sagte die Schleiffenröchte dann bedächtig mit einem Seitenblick zu Quintus. „Ja. Ich bin Jonata von Schleiffenröchte, ich studiere an der Akademie von Elenvina. Mein Kollege hat Euch freundlicherweise eine Schlafstatt in meinem Zimmer angeboten..“, leichter Tadel schwang in ihrer Stimme mit, die Augen blitzten jedoch amüsiert „das ich mit meiner Freundin Imma von Schellenberg teile. Wir haben darin noch Platz, bitte versteht meine Worte als Einladung.“ Die Magierin stützte sich noch immer auf ihren Stab, noch hatte sie sich nicht an das Schwanken des Bootes gewöhnt. Sie sah jedoch recht freundlich aus und trug ihre blonden Locken an diesem Tag offen und nur von einem einfachen Haarband gebändigt, so dass der Wind mit ihnen spielen konnte.

Rajalind nickte. „Dann nehme ich die Einladung liebend gerne an.“ Ihr Blick verfing sich einen Augenblick in den Haaren der Schleiffenröchte und dann wandte sie den Kopf zu Quintus, musterte ihn kurz nachdenklich und meinte dann ernsthaft, aber charmant: „Quintus, dir würden lange offene Haare auch stehen. Hast du schon mal nachgedacht sie wachsen zu lassen?“

„Lange offene Haare?“ er wollte zu einen spöttischen Spruch ansetzen aber bei dem Blick in ihr liebliches Gesicht begann der eigentlich sichere Rhetoriker zu stocken, „I-ii-ich, i-ii-ch, ich halte sehr viel von den Traditionen meiner Kirche und so sehe ich das Kopftuch als Zeichen meiner Treue der Kirche gegenüber u-u-und ja so sehe ich das deswegen ist meine Frisur zweitrangig.“ Er hatte sich während er sprach wieder in ihren Augen verloren und errötete als er sich seiner Ausdrucksweise bewusste wurde.

„Schade.“ Die Rahjani zuckte schmunzelnd mit den Schultern, während sie den Blick des Novizen weiterhin allein mit der weltfremden Art, wie sie den jungen Mann ansah, band. „Ich finde, dass langes Haar deine schönen Augen betonen würde. Du hast so schöne Augen. Interessante Augen.“ Dabei trat Rajalind noch etwas näher an Quintus heran, sah mit forschendem Blick, in dem jedoch keinerlei Spur von Argwohn lag, eher Melancholie, in dessen Seelentore. „Ich sehe sie die Welt verschlingen. Geheimnissen auf der Spur. Das Unergründliche ergründen… Aber dabei gütig und ja, in manchen Punkten jetzt schon ein Stück weise.“ Nach dieser Analyse trat sie demütig zurück. „Wer von uns kann das schon behaupten.“ Dann fiel die nachdenkliche Seelenforscherin von ihr ab wie ein Mantel: „Aber ein Kopftuch kann auch kleiden, das stimmt.“ Setzte sie heiter hinterher und lächelte einfach nur.

Wie gerne wäre er jetzt mit ihr alleine gewesen und hätte ihr gesagt was er wirklich dachte und wie dankbar er für diese Worte war, wie gerne hätte er ihr gesagt was er dabei fühlte? Aber noch lieber hätte er sie behandelt wie eine seiner Eroberungen, um bei den Anwesenden sein Profil zu stärken, doch konnte er es nicht. Und so geschah es wieder, er zögerte mit seiner Antwort. „Wenn du meinst, ich muss mich nun entschuldigen, ich habe noch jede Menge Arbeit vor mir.“ Er bereute die Worte schon bevor er sie ausgesprochen hatte.

Die Schönheit und der unbefangene Anmut der jungen Rahjani faszinierten Nivard… und verunsicherten ihn gleichermaßen. Er war geradezu dankbar, Rajalind sogleich von einer Traube seiner Alters- und Standesgenossen belagert zu sehen. Er würde sich ihr mit einigen selbst geschmiedeten Versen vorstellen… zu passender Gelegenheit… später… vielleicht…

Als sich Rajalind wieder Quintus zuwandte, gab dies Jonata die Möglichkeit, die umschwärmte Schönheit genauer zu betrachten. Sie hatte ein einnehmendes Wesen, wie ein Schmetterling vermochte sie es zwischen den Kriegern umherzuschwirren und mit wenigen freundlichen Worten eine angenehme Stimmung zu verbreiten. Anmut und Charme, Eigenschaften, denen die junge Magierin sich selbst weniger rühmen konnte, das war offensichtlich. Denn warum sonst überschlugen sich die Herren der Schöpfung darin, dem Neuankömmling den Hof zu machen? Sogar sie sonst so kratzbürstige Deryalla schien ihrem Charme erlegen zu sein. Nicht, dass sie selbst sich gewünscht hätte wie die Rahjadienerin im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, sagte sie sich. Nein, solche Aufmerksamkeit war sicherlich oft mehr Fluch als Segen, oder nicht? Sie, Jonata, hatte nun einmal das ihr von der Herrin Hesinde geschenkte Glück, ihren Unterhalt mit der Wachheit ihres Geistes und mit ihrer magischen Gabe bestreiten zu können, statt auf die vergängliche Schönheit ihres Körpers angewiesen zu sein. Erst langsam sickerte ein flüsternder Gedanke in ihr Bewusstsein: Hatte Rajalind ihr wohl gerade implizit ein Kompliment gemacht? So ganz sicher war sie sich nicht, einmal davon abgesehen dass sie selbst ihre widerspenstigen Locken nicht als schön sondern eher als lästig bezeichnet hätte. Der eben noch leicht missgünstige Seitenblick verwandelte sich in ein nachdenkliches Lächeln, während sie anfing, mit einer blonden Strähne ihres Haares zu spielen. Ja, der Zauber der Rahja mochte auch die verstockte Scolara zu erwärmen.

Während man sich an Bord austauschte und die Ufer als grünes Band dahinzogen, kam der Marktflecken Klippag in Sicht. Doch lag das Ziel der Concabella für heute noch in weiter Ferne: Bis in die Stadt Turehall in der Baronie Eisenhuett sollte es gehen, um dort den Vogt Jast Godehard von Schleiffenröchte zu besuchen.

Doch plötzlich waren laute Stimmen zu hören. Nicht vom Schiff schienen sie zu kommen, denn sie waren seltsam verzerrt und undeutlich, wie durch starken prasselnden Regen und Sturm hindurch gesprochen. Zwei waren es. Sie schienen erbittert zu streiten.

„RESPEKTLOSE KAULQUAPPE, WAS HAST DU GETAN?“ rief die eine klagend, sie klang dunkel und tief.

„ES WURDE ZEIT, WIEDER SPASS UND FREUDE IN DEIN REICH ZU BRINGEN, DU GRANITERNSTER ALTER BARSCH!“ erwiderte die andere schrill, mädchenhaft hell.

„HÜTE DEINE ZUNGE, LARVE!!“

Gischtkronen schraubten sich derweil höher und höher, schlugen bereits über die Bordwand und durchnässten in kürzester Zeit jeden, der an Deck stand.

Ein Zittern kam durch den Schiffskörper, als er in den aufbegehrenden Fluten träge zu rollen begann.

Elvan horchte auf. ´Was für seltsame Stimmen, wo das wohl herkommt?´ Seine Neugier war geweckt und ging zur Reling. Doch bevor er dort ankam, war er auch schon durchnässt.

‚Kaulquappe, Barsch, Larve, wer streitet da?‘ Als sich die ersten Fragen in seinem Kopf formierten und irgendwas von ‚Mensch oder Feen?‘ in seinem Kopf manifestierte, da war sein Körper schon aus dem Gleichgewicht gekommen. Die ersten schweren Schwankungen hatten ihm schon die Planken und den Füßen weggerissen.

Geistesgegenwärtig griff Deryalla nach einem Stag am Fockmast der Concabella und schlang ihren Arm darum, während die Gischt über das Deck fegte.

Ein Schwall Wasser spritzte auf die Hartsteig zu, direkt an Dorcas vorbei. Auch er wurde von der Gischt durchnässt und schlug ihm seinen Kelch Wein aus der Hand . Geistesgegenwärtig griff er zu seinem Schwert und erwartete einen Feind.

‚Was waren das für Stimmen, was war das für ein widernatürliches Stürmen? Rondras Macht schien diesem jedenfalls nicht innezuwohnen!‘ Nivard stockte der Atem… doch direkt nach der ersten Überraschung und dem folgenden kurzen Schrecken versuchte er, das in der Kriegerschule immer wieder Eingedrillte umzusetzen… seine Blicke zuckten von den Gischtkronen, wo er sich erfolglos) mühte, irgendeinen Angreifer zu erkennen, zum Deck der Concabella, um auszumachen, wie sich die Kämpfer der Flussgarde positionierten, und suchten die Kapitänin und die Altherzogin, deren Befehle erwartend…

Rajalind verstaute ihre Habseligkeiten unter Deck, als die Concabella heftig zu schwanken begann. Auch im Schiffsrumpf waren die Stimmen zu hören. Wie eine Spielball warf die Concabella die junge Rahjani in ihrem hölzernen Bauch herum, als diese versuchte, zu erfahren was vor sich ging.

Amiel spannte die Schulterblätter an, als ihm das kalte Nass am Körper herablief. „Heilige Mutter Peraine, steh mir bei“, murmelte er, als er mit der freien Hand den Stoff seiner Tunika so zurechtrückte, damit das Wasser den Gürtel auf seinem Weg abwärts passieren konnte, während er versuchte den Ursprung der seltsamen Äußerungen ausfindig zu machen.

Auch Welf vernahm die Worte und sah sich verwirrt um, er tat einen Schritt ins Zentrum des Schiffes, da begann das Wasser zu fluten.

Gerade noch in die Überlegung vertieft, wie wohl der Verwandtschaftsgrad zu Jast Godehartd von Schleiffenröchte stand, wurde Jonata von den plötzlich über sie hereinbrechenden Wassermassen völlig überrascht. Mit einem erschreckten Aufschrei klammerte sie sich an die Reling.

Ein bisschen verträumt stand Ellian an Deck und lies seine Blicke über das Ufer schweifen, als die plötzlichen Bewegungen des Schiffs den Jungen Knappen beinahe von den Füßen holte.

“Ich denke nicht daran, mir weiterhin schöne Dinge verbieten zu lassen!”

„SCHLUSS JETZT! Reize mich nicht noch mehr! SAG! WO IST MEIN DREIZACK, NICHTE? GIB. IHN. MIR. WIEDER!“ Die tiefe Stimme klang nun tödlich ernst und war von einer Autorität getragen, die keinen Widerspruch duldete. Und wohl auch nicht gewohnt war.

„NÖ.“ war die trotzige Antwort. Kurz, knapp, und ein Kichern schien die Sprecherin zu erfassen. „SUCH IHN DOCH, alter Narr.“

Ein lautes Grollen, wie ein empörter Zornesschrei ertönte daraufhin aus den Tiefen des feuchten Spiegels. Wut peitschte die Wasser hoch. Die Wellen prügelten nun auf alle Schiffe in der näheren Umgebung ein. Von den anderen Lastenkähnen und Handelsreisenden waren verzweifelte, undeutliche Hilfeschreie zu vernehmen. Holz barst irgendwo, Rufe endeten schrill - für immer?

Koboldrufe in der Luft, Wassermassen auf dem Weg und Peitschen unter ihren Füßen – so fühlte sich das Grollen an, während an anderen Stellen die Stimmen eifriger Vasallen für immer verstummten. Angst wühlte sich durch Welfs Gemüt, Gedärm, Gedanken. Gewand brachte er sich in die hintere Mitte des Schiffes, stellte sich an eine Wand und übernahm einen Hilfszug der Kletterer auf der Waid – er zog schnell seinen Dolch, rammte ihn in das Holz des Schiffes und krallte sich daran fest.

Der Schreiberlehrling Elvan hielt sich hingegen an der Reling fest.´Bei den Göttern, was passiert hier?´ Mit Angst erweiterten Augen schaute er sich um und versuchte ruhig zu bleiben.

Doch das war gar nicht so einfach, denn im Tosen und Gischten waren weder Freund noch Feind auszumachen. Nivard rann kaltes Wasser den Leib hinab, das Schäumen um ihn raubte ihm schier den Atem. Während er mit der Linken versuchte, sich an einem Tau festzuhalten, zog er mit der Rechten sein Schwert, eine verzweifelt anmutende Geste.

Die Quintus zumindest nicht mehr mitbekam, denn er mühte sich in die Mitte des Schiffes zu kommen, aber die nasse Tunika erschwerte die Bewegungen sehr. „HARTSTEIG, ELENDE DÄMONENBUHLE, WAS HAST DU GETAN?!“ schrie er dabei wie von Sinnen.

Deryallas aufflammende Wut auf die Worte des verwirrten Novizen wurde jedoch erst einmal von einem Brecher ertränkt, der über den Bug des Schiffes rollte und am Fockmast brach. Die Fluten rissen die Kriegerin von den Beinen und nur ihr eiserner Griff verhinderte, dass sie mit nach achtern gespült wurde. Prustend und nass lag sie an Deck, als ein weiterer Brecher übers Deck brach, doch diesmal von der anderen Seite. Intuitiv versuchte sich Dorcas schützend vor die Alt-Herzogin zu stellen, doch diesmal riss es auch ihn von den Beinen. Als er wieder klare Sicht hatte, lag er direkt neben Deryalla und schaute sie entsetzt an. Er blickte über ihre Schulter, als mit dem Aufkommen der nächsten Wellenflut ein greller weiblicher Schrei aus dem Schiffsinnern zu hören war, während Amiel sich verzweifelt an seinen Wanderstab krallte, um sich auf den Beinen zu halten. Ehe er sich versah geriet auch Borindarax unweigerlich ins Stolpern. Ohnehin nicht in bester, körperlicher Verfassung aufgrund fast ununterbrochener Übelkeit, prallte er scheppernd gegen die Bordwand. Allein seinem niedrigen Schwerpunkt verdankte er es, dass er nicht augenblicklich über die Reling flog. Mit weit aufgerissenen Augen und hämmerndem Herzen sank er auf den Hosenboden und ergriff panisch ein ihm zunächst befestigtes Tau, welches er sich mehrfach um den Arm wand. ‚Nicht herab gespült werden‘, dies war sein einziger Gedanke, als eine weitere Welle das Schiff trat und Wasserfontänen an Deck sandte. Borax schluckte Wasser und wurde bis auf die Haut durchnässt, währen Lagorasch verzweifelt versuchte, sicheren Halt zu bekommen. Wenn er leichter gewesen wäre, dann wäre er sicherlich schon über Bord gespült worden.

Auch Welf war von den Wellen erfasst worden, auch er war geschleudert und hatte mehrfach die Bodenhaftung verloren, so hing er, eine Hand an der Waffe im Holz – die sich bedrohlich lockerte – eine Hand als bewegliche Stütze und zur Abwehr der herumfliegenden Objekte… bald fast eher der herumfliegenden Kameraden. Als sie da purzelten und flogen, streckte Welf den Arm aus – gleich für wen, jegliche Standesdünkel und Konkurrenzen vergessend – und wäre bereit zu halten und damit selbst gehalten zu werden.

Da bekam Welf die lange wallende grüne Robe der jungen Magierin zu packen, die sich noch immer innig an die Reling klammerte und erneut aufkreischte, als auf einmal so viel weiteres Gewicht drohte, sie von dem sicheren Holz wegzureißen. Erst auf den zweiten Blick erkannte sie ihren entfernten Cousin wieder, traute sich jedoch nicht, die Arme von der Reling zu lösen, wobei sie mit einer Hand ja auch noch ihren Stab festhalten musste. „Welf!“, brüllte sie besorgt und erbost zugleich. „Hör auf, sonst kann ich mich nicht mehr halten!“ Kein Gedanke galt in diesem Augenblick den unheimlichen Stimmen aus dem bedrohlichen Nass. „Weeeeeeeelf!“

‚Bei Efferd, was ist hier los`, schoss es Ellian durch den Kopf, nachdem er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Er schob sich langsam an der Reling entlang in Richtung der Stimmen, vorsichtig bedacht auf dem von den Brechern nun rutschigem Deck nicht wieder den Halt zu verlieren oder von den Wellen über Bord gespült zu werden. Seine Aufmerksamkeit richtete sich voll auf die Stimmen, die Probleme der Anderen an Deck nahm er gar nicht wahr.

Imma hatte sich unter Deck geflüchtet. Was war das nur mit ihr und Booten? Das eine war explodiert, das zweite mit ihr darauf fast untergegangen. Dieses Schiff, dieses Herzstück der nordmärkischen Seefahrt… darauf lastete ein Fluch! Womöglich zumindest. Sie mühte sich sich aufrecht zu halten, doch ihr Bein. Dieses Schwanken. Ein neuerliches Aufbrausen des Wassers ließ sie aufschreien, den Halt verlieren und stürzen. Die Kante einer der Reisetruhen flog auf ihr Gesicht zu. Zu schnell um sich noch davor zu bewahren. Zu schnell. Ihr Schädel prallte genau auf eine der eisenverstärkten Ecken des Möbelstücks und ihr Geist explodierte. Bewusstlos glitt sie auf den Boden ihrer Kajüte.

Es war Rajalind, die nur noch entsetzt feststellen konnte, dass der hübschen Schellenberg Blut über die Stirn lief und ihr Angst und Bange wurde, weil Imma auf nichts mehr reagierte. In ihrer Panik rief die Rahjani nach Hilfe und hoffte, einer der Flussgardisten würde sie bei all dem Gebraus hören.

Als die nächste Wellenflut über das Vordeck brach und das Deck überspülte, löste Deryalla ihren Griff und ließ sich geschickt vom Wasser zum Niedergang tragen. Im Sog des Wassers, dass in das Schiffsinnere drängte, wurde sie einige Stufen hinabgezogen: Schmerzhaft bohrten sich die Auftritte in ihren Rücken, bis die Kraft des abfließenden Wassers schlagartig nachließ und ihre Füße für einen Lidschlag abrupt Halt fanden. Aus dem Gleichgewicht gebracht, stürzte sie schwer nach vorne in das flache Wasser des Gangs zwischen den Gästekammern. Instinktiv zog sie die Unterarme an sich und dämpfte so den Sturz. Trotzdem trieb ihr die Wucht des Aufpralls die Luft aus den Lungen und als das Wasser zurückströmte, tauchte ihr Kopf unter. Prustend stemmte sie sich hoch und orientierte sich. Woher war der Schrei eben gekommen? „Rajalind? Imma?“ Langsam watete sie den Gang entlang, die Hände zu beiden Seiten an der Wand, um sich jederzeit abstützen zu können. Rasch öffnete sie eine Kabine nach der anderen, um nachzusehen, wer gerufen hatte: „Rajalind? Imma?“

In der zweiten schon wurde Deryalla fündig: Dort lag Imma auf dem Boden inmitten von Kleidungsstücken und Habseligkeiten und einer ausgekippten Reisetruhe, regungslos. Rajalind saß auf dem Boden, Immas Kopf auf ihren Schoß gebettet und drückte einen Blut durchdrungenen Fetzen gegen die Stirn der Schreiberin, während sie mit der freien Hand Immas Hand hielt und diese mit dem Daumen streichelte. Als die Kriegerin eintrat, sah die Zweibruckenburg mit sorgenvollem Blick auf. „Die Götter haben mich erhört! – Imma…sie… Es hört nicht auf zu bluten…“ Ein schneller analytischer Blick Deryallas mit geschultem Auge ergab den Zusammenhang zwischen Immas Leid und dem Chaos auf dem Kabinenboden, aber ebenso auch Rajalinds Überforderung, ihre zittrige Hand und das schillernde Wasser zwischen ihren Lidern.

Sofort watete sie nach vorn zu Rajalind, griff nach der Bettwäsche einer der Kojen und riss einen Streifen daraus. Dann beugte sie sich zu Rajalind hinab, schlang den Streifen einmal um Immas Kopf und brachte dann auf dem Blut durchtränkten Fetzen der Novizin einen Knoten zustande. „Komm, lass uns gehen – wir bringen sie nach oben“, stieß sie hervor, griff unter Immas Arme und Beine und stemmte die Schreiberin mühsam hoch.

Und dann plötzlich, wie als Höhepunkt eines wilden Aktes noch wilderer Worte und Gesten, hörte der Fluss auf zu fließen. Wie mit dem Messer gezogen erschien eine Linie in den Fluten, an der kein Wasser mehr weiterfloss. Es hörte einfach auf. Und die Concabella befand sich nur wenige Schritt von der Kante entfernt, als diese entstand. Noch konnten die Fahrgäste des Flussgardeschiffes den Elenviner Weinhändler hinter sich erahnen, geradeso, während sie auf die Kante zurasten.

Dann.

Mit einem grellen Blitz.

Urplötzlich.

Verschwand die Concabella von der Wasseroberfläche. Und mit ihr alle an Bord.

Jedes einzelne schlagende Herz.

Fort.


Der Alte und die Junge - in der Kaverne

Grünblau leuchtendes Licht drang durch die geschlossenen Lider. Zwinkernde Augen sahen funkelnde Sterne an einem gewölbten Himmel. Wasser rauschte in gewaltigem Donnern, doch das Deck schaukelte nur noch sanft.

„Jetzt guck was du angerichtet hast. Du hast Menschen hergebracht! Was sollen wir jetzt mit denen machen?“ Fragte die junge Stimme.

„Flussgarde, zu mir!“ Befahl Grimberta mit leicht zitternder Stimme, wohl noch ebenso verwirrt und orientierungslos wie ihre Gäste. Schnelle Stiefelschritte folgten der Order.

Als sich eben jene Gäste an das Zwielicht gewöhnt hatten, konnten sie folgendes feststellen: Das Schiff war in einer großen Höhle gelandet und schwamm auf einem See aus sanft grünbläulich leuchtendem Wasser. Ohne Strömung bewegte es sich kaum vom Fleck. Aus einem Riss in der Höhlendecke schossen Unmengen an Wasser herab, stürzten als tosender Wasserfall hernieder und füllten den See, jedoch ohne, dass der Wasserpegel merklich anstieg. In den Felswänden waren Durchgänge sichtbar, die tiefer in unbekanntes Gebiet führten. Erhellt wurde die Szenerie von leuchtenden Steinen, die an der Höhlendecke gleich einem Sternenhimmel verteilt waren. Mitten auf dem See, der von Wand zu Wand sicherlich eine Meile maß, war eine kleine Insel. An deren Rand schwammen zwei Wesen, die Concabella in völliger Überraschung anstarrend, halb im Wasser. Nur die Oberkörper ragten heraus. Die Wände der Höhle waren gut 500 Schritt entfernt und das Wasser war unergründlich tief und dunkel.

Ein Wesen schien alt zu sein. Breite Schultern, an die muskelbepackte Arme anschlossen, waren in eine Art Netz gekleidet. Lange, graue Haare, wild den Kopf umrahmend und als mächtiger, struppiger Bart, schienen zu schwimmen, bewegten sich leicht in einer unsichtbaren Strömung. Tiefblaue Augen unter buschigen Brauen, äonenalt und hart blickten ungnädig und zornig der Concabella entgegen. Wenn er blinzelte, schob sich eine durchsichtige Haut über die seltsam geschlitzten Augen. Um den Hals, auf der muskulösen Brust, trug er einen weinroten Anhänger in Form des Barsches, nur ohne Krone. Von der Hüfte abwärts war er im Wasser, doch deutete das verzerrte Bild durch die spiegelnde Oberfläche eher eine große Flosse denn Beine an.

Das andere hingegen war jung. Sie war wohl hin und hergeschwommen, bewegte sich immer noch mit schnellen, kurzen Schwanzschlägen ihrer großen, ebenso bunt schillernden Flosse. Die dunkelgrünen Haare wogen dabei um ihr Gesicht, strichen zart über die schmalen Schultern und bedeckten die kleinen Brüste. Ein weiblicher Oberkörper, ohne Netz, aber mit einem feinen, regenbogenbunten Gürtel um die schmale Hüfte geschlungen. Die Augen funkelten angriffslustig, als sie gerade mit einer Hand auf die Concabella zeigte. Scharfsinnige Gäste der Herzoginmutter konnten eine kleine Kette am zarten Handgelenk erkennen, an der so etwas wie eine frühlingswiesenbunte Eidechse hing. „Ertränke sie, sie sollten nicht hier sein, ich will sie nicht in meinem Garten haben.“ War die trockene Reaktion des alten Flusswesens.

Hier hatte sich Grimberta jedoch wieder gefasst und stützte sich mit beiden Händen auf dem Reling ab, den alten erbost anblickend. „Was erlaubt Ihr Euch eigentlich? Ihr entführt uns in dieses Reich und wollt uns dann dafür ertränken?“ Sie warf einen kurzen Seitenblick zu ihrem Leibdiener, Alfons, bevor sie mit einer Hand eine die Gäste umfassende Geste zeigte: „Unsere werten Gäste hier haben sicherlich auch das ihre dazu zu sagen. Also bitte!“

Welf brauchte eine Weile, um sich der Situation gewahr zu werden. Er erschrak und zitterte kurz am ganzen Leib. Dann drangen die Worte der Herzoginmutter zu ihm durch. Er schnaubte und wie automatisiert folgte er ihrem Befehl. Er krabbelte in ihre Richtung, erhob sich dann, stand an der Seite der Flussgarde – auch wenn er ja noch Kriegerschüler war.

Sobald Welf ihre Robe losgelassen hatte, folgte Jonata ihm krabbelnd und mit tellergroßen Augen. Verschreckt verbarg sie sich hinter seinem Rücken und hoffte, nicht gesehen zu werden.

Ihre Worte hingegen verwirrten ihn etwas: sie, die Jugendlichen, sollten Sprechen? Doch zunehmend wurde ihm die Abstraktheit der Situation… die Absurdität bewusst. Vor ihnen standen zwei Meerwesen? Ein Mann, ein Weib? Alte Flussgötzen oder Dämonen? Der Flussvater gar oder der launische Herr Efferd?! Ja sicher… es musste Efferd sein! Neben ihnen die Herzoginmutter, die ihr Schicksal in die Hände der Jungschar legte? Es musste… Es musste ein bitterer Traum sein! Vampire, Götter, Flüsse… es musste alles ein Traum sein! Welf atmete durch. Er hatte keinen Blick wer das war und was sie wollten und wo sie waren und wie er diesem Traum entkommen könnte, aber er hatte seine innere Stärke hier wie dort. Also trat er hervor. „Oh machtvolle Wesen des Flusses.“ Sprach er sie überdramatisierend an. „Wir sind die Kinder des Landes des Flusses, deren Schwerter seine Ufer schirmen, deren Blut zu seinem Schutze fließt, deren Ahnen ihn seit Generationen befahren.

Die Nixe kicherte, blickte Welf interessiert an und schwamm näher an die Concabella heran. Blickte mit ihren unergründlichen Augen tief in die Welfs‘ und lächelte ihm aufmunternd zu.

Wir bitten euch, gewährt uns… eh… eure Gnade und bringt uns zurück zu unserem Fluss, den wir hüten, auf dass keiner in diese Welten der Träume eindringt! Dunkle Wesen… eh… machen die Lande unsicher, unser Fleisch und unser Blut steht gegen sie, blutet gegen sie, auch zum Schutze des Flusses, der unserer Heimat Lebensader ist – auf dass hier nie das Dunkle und Böse herrscht!“ Er hustete kurz nach den überraschend raschen und einigermaßen fließenden Worten und sah den Flussvater an – nicht das junge Weib. Warum konnte Welf nicht außerhalb seiner Träume so gut reden? Ärgerte er sich kurz…

Der Alte nickte, schien jedoch etwas verwirrt und hatte wohl nicht alles verstanden.

Dorcas blickte aus zweiter Reihe über die Köpfe der Gäste und war fasziniert.´Mal was anderes außer das Dämonengezücht´, dachte sich Dorcas und kratzte sich dabei die Narbe an der Augenbraue. Wasserwesen und auch noch hübsch anzusehen, doch die Worte des kräftigen Alten ließen Dorcas erschrecken. ´Erst das Vampirgerücht, jetzt den feuchten Tod?´,ging es durch seine Gedanken. Dorcas wurde aus seinen Gedankenfluss gerissen als Grimberta das Wort laut erhob. Das Gedankenspiel setzte sich fort: ´Ist das eine Falle?´, schoss es Dorcas in den Kopf und stieß Elvan mit den Ellbogen in die Seite. Er flüsterte Elvan ins Ohr: „Ist das eine Falle? Was wollen die? Was sind das für Wesen?" Dorcas Blick ging wieder auf die ansonsten faszinierende Szenerie.

Noch blasser als ohnehin schon seitdem er das Schiff betreten hatte, stand Borindarax von Nilsitz starr in der Menge der anderen Gäste Grimbertas und fühlte sich außerstande ein Wort herauszubringen. Es war dem jungen Angroscho als wühle sich ein riesiger, erbärmlich stinkender Oger mit einer Hand durch seine Gedärme, während ihm die andere mit gnadenlosem Griff an der Kehle die Luft abschnürte. Elendig ersaufen- es gab nichts wovor ein Zwerg mehr Angst haben konnte. Damit einher ging die albtraumgleiche Vorstellung eines nassen Grabes- nirgends war ein Kind Angroschs der ewigen Esse ferner.

Nivard fröstelte – lag es an dem merkwürdigen, götterfernen ?) Ort, an den es sie verschlagen hatte, oder doch nur am kalten Wasser, das an seinem Leib herabrann? Er war noch etwas benommen und brauchte einige Augenblicke, um sich zu orientieren und zu fassen. Wie in einem schaurigen Traum erlebte er die Worte der fremden Wesen, erst Grimbertas Aufforderung holten ihn ganz zurück ins Hier und Jetzt. Während Welf sprach, besann sich Nivard auf die alten Sagen und Legenden zu den Mächten der Fluten. In vielen war die Rede davon, dass diese über Lieder besser zu erreichen seien als über das gesprochene Wort… Und Nivard wusste, was er zu tun, zu sagen hatte. Wie von selbst stieg ihn ihm die alte, wehmütige Melodie empor, die er vor einigen Jahren von einem albernischen Flötenspieler vernommen und nie mehr vergessen hatte. Auf die er noch im letzten Jahr traurige Verse dichtete… doch nun flossen neue Strophen aus ihm. Er steckte sein Schwert in die Scheide, schritt zur Reling und begann, als Welf geendet hatte, zu singen. Erst mit leiser, brüchiger Stimme, dann zusehends besser vernehmbar, erklang sein zunächst trauriges und gegen Ende nachdrücklich bittendes Lied:

Wir sind nur ein Schiff auf den Wogen, ein Spielball Eurer Macht, scheinen schwach, von Euch verlacht, sind gespült in Euer Reich.“

Die Nixe blickte von Welf zu Nivard und begann, im Takt hin und her zu schwimmen. Der Alte jedoch zuckte mit seinem Kopf herum und warf Nivard einen grimmigen Blick zu.

Der fuhr fort:

„Ich bin nur ein Mann in den Fluten, verlor'n, aber ohn' Wut, bin hier fremd, doch noch voll Mut, such den Weg nach Haus sogleich. Lasst uns zieh'n, lasst uns gehen! Nur der Hei-mat Sterne woll'n wir wiederseh'n.“

Er endete, und für einen Moment kehrte Stille ein. ‚Was habe ich getan?‘ fuhr es ihm durch den Kopf. Er versuchte, eine Reaktion der beiden fremden Wesen auszumachen.“

„Was singt dieser da so falsch und komisch in meinem Garten? Das gab es ja noch nie! Aufhöhren, sofort!“ Rief erbost das alte Flusswesen und drohte mit seiner Faust.

Nivard erschrak – hatte er mit seinem Gesang etwa alles nur noch schlimmer gemacht? ‚Krieger, bleib bei Deinem Schwerte, schalt er sich bereits in Gedanken‘…

„Ach du alter Griesgram, lass ihn doch. Es klingt so schön, fast so wie die Eidechsenfreunde im Hafen der Königsstadt. Gesang, das ist doch gerade das, was uns hier unten fehlt! Echt, oh altehrwürdiger Fürst der Muscheln, lass ihn. Ihn werde ich nicht ersaufen, nein, den will ich behalten. Er kann singen!“

‚Nein, der Nixe Gefallen vermochte mein Gesang zu finden und vielleicht sogar ihre Gunst zu gewinnen!‘ – Nivards Herz schlug höher. Auch wenn die Absicht des geheimnisvollen Wasserwesens „ihn zu behalten“ Als was eigentlich? Als Diener? Als Haustier? Als Gefährten? Oder gar als Geliebten, wie in mancher alten Mär?) nicht sein erster Wunsch gewesen war, so war es doch besser, als ersäuft zu werden und ein solider Anfang. Ein mehr als solider Anfang - je länger er die schwimmende Schönheit betrachtete, umso betörender erschien sie ihm … Nivard wurde warm ums Herz, und ein kurzer Moment des Glücks strahlte türkisblau in ihm auf. Dann schalt er sich erneut – solche Geschichten gingen nie gut aus… Nivard straffte sich, blickte verlegen um sich, und reihte sich in die Ordnung der Flussgardisten ein.

Welf staunte nicht schlecht, als Nivard sich als Sänger herausstellte… es untermalte seine Worte perfekt. Er sah fast verwundert zu seinem sonst so… ungeselligen Kameraden. Und nickte. Nur kurz – aber immerhin. Dann schüttelte er grinsend den Kopf – oh, ja, es war offensichtlich ein Traum… das war der Beleg!

Rajalind und Imma dachten erst auch, dass sie träumen würde, als sie mit Deryalla den Schiffsbauch verließen und zurück auf Deck kletterten. Es war ganz klar die Neugier, welche die jungen Frauen trieb. Das Schiff schwankte nicht mehr, was ein Herausklettern aus dem Innern trotz des Wassers, das bei dem Sturm hinabgeschwemmt worden war, leicht machte. Und dann diese Stimmen! Und erst der Gesang! Die Wunde auf Immas Stirn blutete nicht mehr, denn sie hatten sie mit einer blutungsstillenden Arznei behandelt. Allerdings war die Platzwunde gut sichtbar. Der Schreiberin war schummrig und ihr Kopf dröhnte noch von dem Zusammenstoß mit der Reisekiste. Gut, dass Deryalla sie stützte, während Rajalind vorging und als erste der dreien mit offenem Mund staunend den Ort betrachtete, an dem sie sich nun befanden.

Langsam rappelte Jonata sich auf, kam wankend hinter Welf zu Stehen und versuchte die grünliche Umgebung zu erfassen. Die Wesen, das Wasser und dann diese Stimme! Erstaunt sah sie sich um und bemerkte etwas enttäuscht, dass sie von Nivard stammte und nicht von einem Flusswesen, wie zuerst angenommen. Neugierig beäugte sie die fremdartigen Wesen und versuchte sich zu erinnern, ob sie jemals im Unterricht oder in anderen Erzählungen von solchen gehört hatte oder ob sie schon einmal etwas darüber gelesen hatte. Es musste sich um Wasserwesen handeln, um Nixen oder Necker oder ähnlich verwandte Wesen. Natürlich kannte sie auch die Geschichten vom Flussvater, hatte diese jedoch bisher für weit verbreiteten Aberglauben gehalten. War die Kirche des Herrn Efferd diesen Märchen nicht überaus kritisch gestimmt? Und was war das für ein Streit gewesen? Es war um einen verlorenen Dreizack gegangen, oder hatte sie sich in all der Aufregung verhört? Mit zögerlichen Schritten näherte Jonata sich wieder der Reling, um die Wesen im Wasser besser betrachten zu können. Ihre Knie fühlten sich weich an und ihr war ein wenig übel. Trotzdem konnte sie sich der eigentümlichen Schönheit der Umgebung und der beiden Wesen im Wasser nicht entziehen. Sie wagte es nicht, die Stimme zu erheben, doch konnte sie ihren Blick nicht von den eleganten Körpern, den schillernden Schuppen und den wogenden Haaren wenden. Sie erfasste auch die Kette mit dem roten Fisch und das Eidechsenarmband am filigranen Handgelenk der Nixe.

Immer noch außer Atem, hörte er der Aufforderung von Grimberta aufmerksam zu und ignorierte das Flüstern von Dorcas. ´Ich kann es kaum fassen. Sind wir im Reich vom Flussvater? Ist das der Ort von dem mein Vater immer sprach?´, dachte Elvan. Seine Gedanken gingen zurück zu den wenigen Abenden, wenn sein Vater im Kreise der Familie weilte. Der alte Efferd-Geweihte war eher von grimmiger Art, doch wenn er Geschichten vom Flussvater und seinem Gefolge erzählte, war seine Stimme voller Bewunderung erfüllt. „Ich glaube nicht, dass das eine Falle ist, ich glaube wir sind in der Feenwelt, Dorcas.“, murmelte er vor sich hin. Während der Krieger Welf als erstes sprach, schaute der Schreiberlehrling sich nach dem Geoden um. `Lagorasch weiß bestimmt, wie man hier mit dem Flussvater sprechen und überzeugen kann´. Kaum als er sich auf die Suche nach dem Zwerg machen wollte, erklang das Lied von Nivard. Die schöne, melancholische Stimme bewegte etwas in ihm. Elvan hielt an und drängte sich nach vorne. Mit einer kurzen Bewegung strich er sich durch sein nasses, dunkelbraunes Haar, straffte sich, und blickte mutig in Richtung der beiden Feenwesen. Als Nivard zurück in die Reihen der Flussgardisten zurück trat, stütze Elvan sich mit beiden Händen fest an der Reling. „Mein...mein Name ist Elvan. Ich bin auch ein Gast hier auf diesem Schiff. Wie ihr auf unseren Segel sehen könnt, reisen wir unter dem Zeichen des Barsches. Wir sind nicht einfach nur Menschen. Wir hier“, er machte eine ausholende Geste und zeigt in Richtung der Schiffsbesatzung,“ achten den Fluss, ihre Bewohner und wissen was es bedeutet, einen Herrschenden zu respektieren. Wir würden niemals unerlaubt Euer Reich betreten, ehrwürdiger Flussvater. Doch wie Ihr selbst wisst, sind wir unverschuldet hierher geraten. Auch haben wir von euren Streit mitbekommen. Vielleicht können wir Menschen helfen, für euch eine Lösung zu finden. Niemand mag Streit. In Efferds Namen, ich bitte Euch, führt uns wieder in unsere Welt oder lasst uns beweisen, das wir vielleicht nicht ohne Grund hier gelandet sind.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und gesellte sich zu dem Krieger Nivard. Sein Herz hämmerte in seiner Brust. Gespannt lauschte er nun den Worten des nächsten Gastes.

Laut grollend lachte der Alte, der Fürst der Muscheln genannt ward. „Ich, der Vater des Flusses? Junges Wesen, dass kaum schwimmen kann, sag das nicht zu laut in seinem Reich. Er kann grausam sein in seinem Stolz, und eifersüchtig hütet er, was sein ist. Auch seine Krone!“ Jetzt schaltete sich auch Grimberta ein. „Nun wirklich, was lernt ihr denn an den Akademien und Schulen. Der Flussvater? Mitnichten. Dies ist der Herr der Muscheln, einer der ältesten Krieger unter den Wassern. Man sagt, er habe vor Havena schon Lata geholfen, damals, in den Zeiten, die dunkel waren.“

Unterdessen war Borindarax Blick zu Lagorasch hinüber gewandert. Erwartungsvoll sah der Vogt den jungen Zwergen an, der mit ihm aus Senalosch nach Elenvina gekommen war. Als Schüler des Gesandten des Flussvaters setzte er große Hoffnung darauf, dass der Geode es war, der das Gemüt des sicherlich launischen Wassergeistes- des Flussvaters zu besänftigen vermochte. Nur um ihn konnte es sich bei dem Aufbrausenden handeln. Borax war in jenem Moment jedenfalls gewillt so ziemlich an alles zu glauben, immerhin war die Existent der Wesenheiten und ihres Reiches, in dem sie sich nun unzweifelhaft befanden, nicht zu leugnen.

Mit schmerzenden Muskeln rappelte sich der kleine Zwerg auf. Das grünbläuliche Leuchten um ihn war zuerst etwas verwirrend, hinzukam das Tosen des Wassers. Als er die Worte der Wesen und die Antwort von Grimberta hörte, machte er sich auf zur Reling und betrachtete die beiden Wesen. Er wartete zuerst noch etwas ab, und dann, sehr leise in seinen Bart murmelnd, so dass man es nur in seiner Nähe, jedoch nicht über das Tosen des Wasserfalls hören sollte, sprach er vor sich hin: „Barsch und Eidechse als Symbole, dazu hat noch die jüngere von den Beiden eine Flosse, das spricht eher für Necker als für Feenwesen. Wobei der Ältere auch ein Flussfürst sein könnte… aber er ist zu klein für den Flussvater. Wobei der Flussvater erscheint einem immer so wie er will, aber es passt nicht in die Erzählungen. Wie Emmeran mir immer wieder erzählte: Die Feen entziehen sich den uns bekannten Regeln, am einfachsten muss man sie sich wie verspielte Kinder vorstellen... tja nur das diese Kinder so mächtig sind, dass sie die Welt ihrem Spiel unterordnen. Aber egal ob Necker oder Feenwesen, sie haben eines gemeinsam… es ist immer wie ein Spiel unter Kindern, und man muss die Regeln des Spieles erkennen, ohne sie zu überschreiten, sie einhalten und mitmachen... ob Flussvater oder nicht, wenn der Flussvater sich nicht als König seines Reiches zeigt... dann will er wohl so weder erkannt noch behandelt werden.“ Lagorasch stellte sich auf eine kleine Kiste, damit die Flusswesen ihn besser sehen konnten und mit deutlicher Stimme, gerichtet an die Flusswesen, sprach er: „Ehrenwerter Herr, es war nie in unserem Sinne euren Garten zu betreten. Und wir sind wirklich bestürzt ob der Tatsache hier zu sein. Aber alles mag seinen Sinn haben. So lasst uns doch erst einmal uns vorstellen. Ich bin Lagorasch, der Schüler von Emmeran dem Gesandten des Flussvaters, von der Insel des Vergessens.“

„Hihi, ist das ein putziger, kleiner Kerl. Was ist denn das? Können wir das auch behalten?“ Kurz verschwand die junge Nixe unter der Wasseroberfläche, dann kam sie emporgeschossen und hielt sich, mit wild schlagender, schillernder Fischflosse an der Reling fest. Wasser spritze in Lagoraschs Gesicht, als sie ihre wilde Mähne schüttelte und die Tropfen perlten, glitzernd wie tausend Diamanten, auf Deck und kullerten tatsächlich hin und her, ohne zu zerlaufen. Doch schnell stellte sich ihre Hoheit, Grimberta, neben Lagorasch und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Nein, keinen meiner Begleiter kannst Du behalten, junges Ding. Hast Du denn keinen Respekt? Stell dich ersteinmal vor, wenn dir eine Königin der Lande über den Wassern entgegentritt!“

„Ja, höre zu, Kaulquappe. Und sei still, wenn sich die Alten unterhalten.“ Er blickte zu Grimberta, musterte sie und neigte sein Haupt. Anerkennend. Grüßend. „Alte Königin über den Wassern, jetzt erkenne ich Dich. Verzeih, dass ihr in unseren Streit hineingezogen wurdet. Lange sah ich dich nicht mehr in die Wellen blicken. Bergfrau, früher tatest du das oft, und voll Sorge waren deine schönen Augen getrübt.“

Grimberta nickte, ließ die Schulter Lagoraschs‘ los und legte beide Hände auf die Reling. Nicht weit weg von der jungen Nixe, hielten sich beide an dem Holz fest. Die einen Hände faltig, schwielig, vom Alter und Schwertkampf gezeichnet. Die anderen Schuppig, fest und glänzend, junges Wasser an einem jungen Wesen. Die Herzogenmutter fuhr fort: „Lass meine Begleiter weiter für sich selbst sprechen und lernen, Herr der Muscheln.“

Ein lautes Pfeifen dröhnte in den Gehörgängen von Quintus als er die kräftige Seemannshand spürte, die ihm von der Bauchlage in eine Position auf den Knien und den Händen stützend verhalf, als er mit dumpfem Hall die Stimmen der Hoheit vernahm. Mit einer abwinkenden Bewegung gab er dem Seemann zu verstehen, dass er seine Hilfe nicht mehr benötigte. 'Meine Aufzeichnungen! Verflucht meine Aufzeichnungen! Wenn das Wasser die Tinte gelöst hat und... und... und der Dienst an der Göttin Hesinde unvollendet bleiben wird beziehungsweise neu aufgesetzt werden muss...' Hecktisch rollte er sich auf die Seite und kramte in seiner Umhängetasche und erblickte erleichtert die durchnässten Lettern 'Sie werden Pflege brauchen, viel Pflege aber das ist die Arbeit wert und der Göttin gerecht.' „Rajalind, Rajalind!“ er suchte das Deck in seiner Seitenlage nach ihr ab und konnte nicht einmal sagen, ob er ihren Namen eben nur gedacht oder tatsächlich ausgesprochen hatte, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen erhob er sich unter Schmerzgestöhne. Als er stand und die Situation wahrnahm bemerkte er wie unangebracht seine Gedanken an Rajalind waren. 'Da säufst du fast ab und denkst an ein Weibsbild, raus aus meinen Gedanken!' In diesem Moment bemerkte er wie gerissen die Herzogenmutter war, sie schob ihre Begleiter vor, um die Situation besser erfassen zu können und um Zeit zu gewinnen und einen Plan zurecht zu legen. Geistesgegenwärtig begann Quintus mit den brüchig gewordenen Kohlestiften einen Plan der Höhle mit der Lage des Schiffes, der Insel so wie den entfernten und ins unbekannte führende Tunneln zu skizzieren. Nachdem Welf seine Worte an das Wesen gerichtet hatte rief Quintus ihn, mit gedämpfter Stimme und Handzeichen zu sich. „Welf hierher, hast du auf der Kriegerakademie gelernt Entfernungen einzuschätzen? Wenn ja schätze welcher der Tunnel und ob überhaupt einer geeignet ist um zu fliehen. Trage die Entfernungen hier auf der Skizze ein. Kann hier noch wer helfen? Unterrichtet die Herzogenmutter von unserer Skizze“ Er stand entschlossen auf und ging in Richtung Reling, kehrte nach zwei Schritt zurück und signierte die Skizze in deutlich lesbaren Buchstaben und dann mit gesammeltem Mut fortzuschreiten.

„Als Krieger nicht…“ Schüttelte Welf den Kopf, als er zu dem Novizen kam. „Aber als Jäger, ja, das kann ich… nicht so gut wie Gerwulf… Aber… Verdammt, wo ist Gerwulf?“ Kurz sah er sich erschrocken um, hatte er seinen Freund hier im Getöse verloren?! Dann besann sich der Kriegerschüler, schüttelte abwesend den Kopf. „Ja, ich mach‘s, also sagt mir nur wohin und…“ Da wandte sich Quintus auch schon ab:

„BRAVO, BRAVO, BRAVO!“ diese gerufenen Worte schallten in der Höhle nach und wurden von dem provokanten Händeklatschen verstärkt. „Das war beeindruckend, wirklich, von der Flußoberfläche hier in diese Höhle und dann diese ‚Ersäufe sie!' - wie gesagt beeindruckend. Ein schmuckes Heim, das ihr hier euer Eigen nennt.“ Nickend und mit weit ausgebreiteten Armen stand Quintus nun an der Reling, „Doch es bewegt uns doch alle eine Frage: quaqua est fuscinatridens?“ Wer wirklich Bosbarano sprach musste wohl den Kopf schütteln. „Wo ist der Dreizack? Hat ihn hier einer unserer starken Krieger oder unsere mächtige Magierin?“ er zeigte auf Jonata und die Gruppe Knappen, die an Bord standen, gleichgültig in welche Gefahr er sie dadurch gebracht hatte.

Eine Welle schoss auf die Concabella und ihre Besatzung zu, als der Alte mit der Faust auf das Wasser schlug. Zornig und Wild schoss sein Blick hierhin und dorthin, er begann, auf das stark schwankende Schiff hinzu zu schwimmen.

Welf staunte nicht schlecht – zu mehr war er nicht in der Lage. Was um alles in der Welt war das für ein verrückter Traum? Knappen wie aus dem klischeehaftesten Märchenbuch, schweigsame Zauberinnen, wunderschöne Rahjadienerinnen, magische Stürme mit Strudeln in Feenwelthöhlen, wo Efferd und Nixen auf einen warteten? Eine Herzogenmutter, die Jünglinge fürs sich sprechen ließ, seine eigene überraschende Wortgewandtheit, ein singender Waldschrat und jetzt der herausfordernde Sesselpupser?! Kein Barde könnte abenteuerlicheres erfinden! Köstlich!

Erschrocken fuhr Jonata aus ihren Überlegungen hoch als sie von Quintus Worten angesprochen wurde. War dies sein Ernst? Sagte er dem Flussvater gerade, sie hätte den Dreizack, um den der Streit gerade gegangen war gestohlen? Erst sog sie erschrocken Luft ein, dann funkelte sie Quintus wütend an „Untersteh dich!“, fauchte sie leise. „Könntest du bitte für einen Augenblick deinen ungestümen Mund halten und aufhören, uns noch tiefer in dieses Ungemach zu reiten als ohnehin schon?! Hör auf, mich zu beschuldigen!“

„Ist unsere Anwesenheit vielleicht kein Zufall, ist der Dreizack am Grund des Teiches, haben wir ihn in einem Tunnel versteckt?“ anschuldigend erhob er die Stimme und zeigte auf das weibliche Geschöpf: „Wurden wir vielleicht sogar gerufen und uns der Dreizack als Geschenk versprochen oder hat ihn wer an seinen heimlichen Geliebten verpfändet?“ Quintus drehte den Kopf in das Profil zu den Wasserwesen erhob ihn bewusst und verharrte statuenhaft.

Die Nixe schaute Quintus an. „Häh?“

Quintus' Worte wirkten wie ein weiterer kalter Schauer auf Nivard. "Oh Herrin Hesinde, schenke Deinen Dienern mehr von Deiner Weisheit, vor allem diesem", zischte er entsetzt in sich hinein, während ihm seine Gesichtszüge für einen kurzen Moment entglitten. Eine der wesentlichen Lehren der Kriegskunst war, dass in einer Einheit alle stets einer gemeinsamen Strategie und Taktik folgen sollten... eine offene Konfrontation mit solch mächtigen Wesen in deren Reich war bestenfalls tollkühn, mit Wahnsinn aber besser beschrieben, und würde sich am Ende hoffentlich nicht als bodenlose und tödliche Dummheit erweisen. Und das von einem Diener der Hesinde! Hoffentlich besitzen diese Wesen einen Sinn für Humor, dann - vielleicht - könnte die Vorstellung dieses Gecken doch noch zum Vorteil gereichen... an den Mast gehört er gebunden, und geknebelt, vor allem geknebelt... Greift denn keiner ein? Nivard wollte schon das Wort erheben, da kam ihm Jonata zuvor…

Nein, er wollte den Mund offenbar nicht halten. Was dachte er sich bloß dabei? Was erzählte er nur für einen Unfug? War es Panik, die ihn so sinnlos brabbeln ließ? Jonata richtete sich zu voller Größe auf und stellte sich vor Quintus, schenkte ihm noch einmal einen eindringlichen Blick, der ihm bedeutete, still zu sein. „Bitte verzeiht das wirre Geschwätz des jungen Novizen, das Wasser muss ihn wirr gemacht haben!“, hob sie die feste Stimme, die bisher selten an Bord erklungen war. Sie wandte sich mit Herzklopfen den Wasserwesen zu und stand somit nun neben Lagorasch: „Seht es ihm nach, denn Eure mächtige Drohung ist angsteinflößend und keiner möchte in Eurem mächtigen Reich ertrinken. Bitte, werter Herr Necker, verehrter Flussvater“, sie hielt kurz inne und hoffte, damit nichts falsches gesagt zu haben „Bitte erklärt uns, was vorgefallen ist. Wir haben Euren Dreizack nicht genommen, es war bloßer Zufall, der uns in Euren Garten geronnen. Bitte hört auf die melodiösen Worte, lasst uns euch helfen oder gehen. Ihr werdet kaum jemals auf eine solch fähige und hilfsbereite Schiffsbesatzung stoßen wie an diesem Orte, ihr werdet schon sehen!“ Sie hatte einmal gelesen, dass Feenwesen Reime mochten, vielleicht würde diese improvisierte Reimerei ein wenig helfen.

'Rondra sei Dank, wenigstens die Zauberin ist mit Vernunft gesegnet' Nivard fasste sich wieder innerlich und atmete hörbar aus. Sicherheitshalber bereitete er sich aber dennoch auf einen Kampf vor – auch wenn ihm beim Gedanken an eine Konfrontation mit der Nixe schwer ums Herz wurde – in dem er sich ebenfalls - wenngleich ohne Kohlestift – ein Bild der taktischen Lage machte. Er widerstand seinem inneren Drang, seine Blicke der Schönheit in den Fluten zuzuwenden und vergegenwärtigte sich stattdessen die Umgebung, die Positionen Grimbertas, der Flussgardisten und derjenigen jungen Mitreisenden, die im Kampf eine Stütze sein könnten. Sein Blick suchte den Deryallas, und wo versteckte sich eigentlich dieser Diener Efferds, wenn man ihn brauchte?

Lagoraschs Gesicht war nach den Worten von Quintus entgleist. ‚Was ist jetzt los?‘, dachte sich der Zwerg, während Serescha sich ihren Weg hinauf schlängelte, sie wollte sich leicht über dem Kopf des Zwerges einen Überblick verschaffen. Wenn eine Schlange lächeln könnte, dann würde sie lächeln. Da hatte Lagorasch sich mal wieder in seiner hoffnungslosen Naivität zu unbedachten Worten verleiten lassen… und Dinge zu sagen von denen er keine Ahnung hatte. Er hatte noch nie mit Neckern oder Feenwesen zu tun. Nur die vielen verwirrenden Aussagen von Emmeran und dann noch diese Begegnung, kurz mit dieser komisch riechenden blauen Frau in Havena, die hatte irgendwas Emmeran gegeben, und der hatte sich so gefreut. Während sich Serescha umschaute, liefen die Gedanken von Lagorasch im Kreis, ‚Warum stellt sich den keiner der Anderen vor? Ist es denn so ungewöhnlich das man sich nicht als erstes gegenseitig vorstellt? Das hat Emmeran doch immer als so wichtig hervorgehoben, war das nicht richtig?‘, mit diesen Worten kam auch die Angst etwas falsch gemacht zu haben in ihm hoch.

“Auch ich möchte nicht unhöflich sein oh ihr Holden.” Eine passendere Anrede fiel dem Vogt in diesem Moment nicht ein, dennoch kam er sich ein wenig albern vor. Es war irgendwie unwirklich vor diesen Geschöpfen zu stehen. Wenn einer von ihnen wirkliche der Flussvater war, dann stellte er die Inkarnation einer Naturgewalt dar. Wie sollte man so ein Wesen ansprechen? Die Mythen und Legenden, die sich Feenwesen und auch den Herrn des Großen Flusses rankten, gaben schließlich den Ausschlag. Borax trat an die Reling und kletterte kurzerhand auf eine vertäute Seekiste. Als er dort aufrecht stand, senkte er kurz ehrfurchtsvoll das Haupt. “Ich bin Borindarax, der Sohn des Barbaxosch aus der Stadt Senalosch am Hang des Eisenwaldes”, setzte er erneut an, als er den Kopf wieder erhoben hatte. “Meine Rasse lebt seit Jahrtausenden in den Ingrakuppen und dem Eisenwald, den Gebirgzzügen entlang des Großen Flusses. Nie hat es Zwist gegeben zwischen uns und dem Herrn des Flusses oder seinen Geschöpfen. Und wie wir erst kürzlich mit der Wiedereröffnung eines alten Heiligtums des Flussvaters in Sturzenstein bewiesen haben, liegt uns viel an diesem, friedvollen Miteinander. Bitte sagt uns was euch erzürnt hat und gebt uns die Gelegenheit zu versuchen unseren Beitrag zu leisten, auf das dieser Groll abebben kann.”

Lange blickte der Alte zum Zwerg, bevor er auch in Borax Richtung kurz sein Haupt neigte: „Wie eure Alte Königin der Lande richtig sagte, bin ich der Fürst der Muscheln, Heerführer des Vaters des Flusses und Herrscher dieser Lande unter den Wassern. Dieser junge Fisch, der kaum schwimmen kann, hat nichts als Flausen im Kopf.“

„DAS IST NICHT WAHR! Nur weil Du keinen Spaß verstehst und nie was anderes ausprobieren willst, heißt das doch nicht, dass ich alles falsch mache. Die waren so lustig, die Eidechsenfreunde, und so schön bunt, dass hättest du einfach sehen sollen. Die waren wie Schwärme in die Königsstadt gereist und haben alle zum Lachen gebracht. Aber Lachen und Fröhlichsein, das, das ist ja etwas, WAS DU NICHT KANNST!“ Giftete die Nixe.

„SCHWEEEEIG!“ brüllte das alte Wesen. „Dein Maul soll verschlossen bleiben, denn es kommt nur Unsinn heraus!“

Grimberta schüttelte den Kopf und gab einen äußerst missbilligenden Laut von sich. „Tsajünger. Puh, ja, das waren viele. Zu viele für nicht nur meinen Geschmack. Und wehe als mein Sohn einen von denen etwas ruppiger anpacken ließ. Ein Aufschrei, als ob Alverans Mauern einstürzen würden. Herr der Muscheln, ich verstehe Euren Groll, gegen Tsaflausen ist kaum ein Kraut gewachsen, ich empfehle die harte Hand.“

„Alte Königin, ich bin froh, dass Du es auch so siehst. Und dieser respektlose und neumodische Aal“, er zeigte mit anklagendem Zeigefinger auf die Jüngere „hat gesehen, wie die Eidechsenmenschen Sachen versteckt haben und dass die Suche danach wohl Freude bringen soll. Also hat sie mich bestohlen!“

Auch wenn ihm sein Verstand sagte, dass die wiedergefundene Friedfertigkeit zwischen Grimberta und dem Herrn der Muscheln nur zu ihrer aller Vorteil gereichen konnte, gefiel Nivard die Richtung, in die sich das Gespräch zuletzt entwickelte, nicht. Insbesondere die Einigkeit der beiden „Alten“ darin, den jugendlichen Übermut der Nixe hart zu bestrafen, lies ihn alarmiert aufhorchen – und sich zugleich über sich selbst wundern: Noch vor wenigen Augenblicken hätte er beiden völlig recht gegeben – seinem Herrn ein mächtiges Artefakt nur zum Spiel oder auch aus anderen Beweggründen) zu entwenden und zu verstecken, verdiente selbstverständlich, hart geahndet zu werden. Auch war ihm als Krieger kaum eine Gottheit in ihrem Wesen fremder als Tsa mit ihren „Flausen“. Doch gegen jede Vernunft drängte etwas in ihm, Partei für die „Kaulquappe“ zu ergreifen… Waren die Flausen etwa ansteckend? Oder war er einem Zauber der Nixe erlegen und seines Verstandes verlüstig?) Oder zumindest eine für alle friedliche Lösung des Problems zu finden. Nivards Blick suchte noch einmal den der jungen Holden der Fluten, dann trat er kurzentschlossen vor: „Eure Hoheit“ sprach er zu Grimberta gewandt, bevor er sich dem Fürst der Muscheln zudrehte „hoher Herr der Muscheln, verzeiht bitte, dass ich mein Wort erhebe, doch darf ich einen Vorschlag zur Lösung der misslichen Lage unterbreiten, in der wir uns alle – und ich meine wir alle – befinden? Vielleicht mag Euch eine harte, strafende Hand gegenüber Eurer Nichte angemessen erscheinen und dies im Grundsatz auch sein, doch macht diese den Verlust Eures Dreizacks noch nicht ungeschehen. Denn Eure Nichte scheint, wenn ich sie richtig einschätze, selbst dann nicht gewillt, das Versteck preiszugeben…“ Er holte kurz Luft und blickte dabei zur Nixe. Dann fuhr er wieder zu Grimberta und dem Muschelfürsten gewandt fort: „Worüber Ihr Erhabenen sicher steht, mag für uns Jugendliche dabei deutete er auf die anderen jungen Adligen an Deck) noch angehen: Lasst uns an Eurer statt auf das Spiel Eurer Nichte eingehen und das verlustige Artefakt für Euch suchen und finden.“ Nivard machte sich bereits auf ein fürchterliches Donnerwetter gefasst, zuerst hier, und viel später, falls sie hier wieder herauskamen, auch auf Gut Tannenfels… aber das war ihm gerade vollkommen gleichgültig.

Elvan nickte innerlich. Noch immer die Rüge der Herzogenmutter verarbeitend, lauschte er aufmerksam der Worte der Sprechenden. Er stand noch immer in der Nähe des Kriegers von Tannenfels. „Mit Verlaub, Eure Hoheit, ich stimme Nivard von Tannenfels bei! Der Dreizack bleibt verborgen, so oder so. Und ich sehe es auch als eine Möglichkeit Euch zu beweisen, das wir, die Jugendlichen, die Zukunft der Nordmarken sind, fähige Frauen und Männer auf die Ihr zählen könnt. Und gleichzeitig können wir auch dem Fürsten der Muscheln zeigen, das wir keine nutzlosen Menschen in seinem Garten sind.“ Während er sprach schaute er mit festem Blick Grimberta an, wandte sich dann in Richtung dem Muschelfürst, um dann flüchtig bei der Nixe zu enden. Noch immer klopfte das Herz in seiner Brust stark vor Aufregung. Mit einem tiefen Atemzug versuchte Elvan sich zu beruhigen und wartet ab, was als nächstes passiert.

Dorcas konnte die ganzen Reaktionen nicht gedanklich fassen, aber merkte die Unruhe in Elvan. "Alles in Ordnung Elvan?" flüsterte er.

Der Schreiberling drehte sich ein wenig zu dem großen Knappen, der jetzt neben ihm stand. Als er seine Frage vernahm schaute er ihn an mit fragendem Blick aus seinen blauen Augen. „Ob alles in Ordnung ist fragst du? Hast du nicht mitbekommen, dass wir im Reich des Muschelfürsten sind, und dass er uns alle ertränken möchte? Vielleicht hast du ja einen Vorschlag wie wir hier wieder heil raus kommen?“, flüsterte er etwas entrüstet Dorcas entgegen.

Nivard war überrascht und erleichtert, dass sein verwegener Vorstoß nicht gänzlich ohne Anklang verhallte und wenigstens einen klaren Unterstützer unter den Jungadligen fand. Der Schreiber Elvan schien Mumm zu besitzen! Unauffällig nickte Nivard diesem zu, dabei huschte ein kurzes Lächeln über sein Antlitz.

Es dauert eine kleine Ewigkeit, bis Amiel aus seiner Starre erwachte. Wenn diese Wesen sie hätten töten wollen, hätten sie dies jetzt längst getan. Mit diesem Gedanken wanderte sein Blick zwischen der Herzogenmutter und dem Herrn der Muscheln hin und her. ‚Ohne die Hilfe dieses Wesens kommen wir hier vermutlich nicht wieder raus, wir sollten so viel wie möglich über diesen Ort und seine Geschichte herausfinden‘ dachte Amiel, als er an die Reling trat und den Herrn der Muscheln direkt ansprach: „Elvan hat Recht! Wir könnten euch von großem Nutzen sein, sofern ihr uns gestattet von Bord zu gehen“ sprach Amiel mit leicht zittriger Stimme. Er drehte sich zu den anderen Gästen Grimbertas und öffnete die Arme: „Wäre es nicht eine Freude, diesen wahrhaft schönen Garten betreten zu dürfen?“ Sein Blick huschte eine Antwort erwartend von Angesicht zu Angesicht, wobei er auffällig oft blinzelte und sich zu einem müden Lächeln zwang.

Ungläubig folgte Borindarax dem Zwiegespräch seiner Mitstreiter und den mystischen Geschöpfen des Großen Flusses. Die damit einhergehende Erkenntnis weckte unweigerlich seine Neugierde und verdrängte die bis dato dominierende Angst. Ein direkter, wahrscheinlich uralter Gefolgsmann des Flussvaters- welch eine Ehre ihnen zuteil wurde. Er hatte so viele Fragen zur Geschichte seiner Heimat, die er dem Herrn der Muscheln gern gestellt hätte. Welch riesigen, unermesslichen Wissensschatz musste diese Kreatur in seinen Erinnerungen hüten. Und doch war da noch etwas anderes, dass den Angroscho beschäftigte. Die Erwähnung der Kirche der Tsa und deren Machenschaften weckte Groll im Vogt von Nilsitz, war er doch anwesend gewesen, als ein verbitterter Geweihter der ewig Wandelbaren einen Mordanschlag auf den Baron von Eisenstein verübt hatte- welch eine lästerliche Tat in anbetracht seiner Weihe, ganz gleich wie übel das Leben ihm mitgespielt hatte. Borax konnte den Wunsch nach einer harten Strafe daher nur zu gut verstehen. Es aber offen auszusprechen hielt er zu diesem Zeitpunkt jedoch für falsch.

Ellian stand bei der Gruppe an Leuten und versuchte den Gesprächen zu folgen. Langsam konnte er sich einen Reim darauf machen, was hier wohl passiert ist, dennoch überforderte ihn die Situation noch immer etwas. ‚Ein Feenwesen, das den Dreizack von seinem Onkel gestohlen und versteckt hat – wegen Tsaanhängern die in der Hauptstadt waren? Was hat das ganze mit ihnen zu tun? Also entweder ist das Leben außerhalb der Grafenland Albenhus wesentlich abenteuerlicher oder der Rest der Truppe kann viel besser mit ungewöhnlichen Situationen wie diesem hier umgehen!‘ Gespannt horchte Ellian weiter zu, vielleicht konnte er ja noch mehr lernen, von einem Fürsten der Muscheln hatte der Knappe bis zu diesem Moment noch nie was gehört.

Der junge Zwerg hatte sich nach den Worten des Alten Heermeisters entspannt, und konnte nun anfangen sich umzusehen. Nun das Wasser war ungewöhnlich ruhig, trotz des nahen und dröhnenden Wasserfalls. Ob es sich hier anders anfühlt? Als er die kräuselnde Oberfläche länger betrachtete da kamen die Bilder des Chaos wieder in seinen Kopf… wo war sein Bruder, was war passiert… woher kam all dieses Wasser auf einmal, und dieses Gefühl sich zu bewegen. Er hatte schon andere Zwerge beobachtet… irgendwie hatte sein Volk nicht das richtige Gefühl wie man schwimmt, aber warum er? Auf einmal war er wieder in dieser gigantischen Höhle, und die Gedanken: ‚Was war passiert, hab ich was verpasst?‘ holten den Kleinen wieder zurück. Da nahm er sich - ohne weitere Gedanken wo seine Worte ihn hintragen könnten – den Mut und sprach den Alten Herren an: „Ehrenwerter Fürst der Muscheln, ich empfinde es auch verwunderlich wie man Dinge jemandem entwenden kann, und dies dann mit den Gedanken begründen will, das man dieser Person Spaß vermitteln will. Da mag wohl jemand schwerlich sich in pflichtbewusste Gedanken einfinden können. Und hier mag ich wohl es auch sehen was eine sinnvolle Bestrafung für solch einen Geist zu sein. Es müsste eine Strafe sein, die eben jenes mangelnde Einfühlungsvermögen fordert. Sie müsste erfahren und lernen das es Grenzen gibt, und das man mit Spaß nicht alles erklären kann. Aber auch das Lernen zu verstehen wie man einem pflichtbewussten Gemüt eine Freude zu vermitteln mag. Und dann den Aspekt von Spaß und dessen positiver Ausprägung in andere Gedankengänge zu finden. Es mag wohl nicht die einfachste der Prüfungen sein, und auch weitaus schwerer umzusetzen als man zuerst denken mag. Aber was wäre die Alternative, wie will man jemanden der bunte Farben mag, nahebringen das weniger Farben auch eine Abwechslung im Leben verursachen würde. Ein solcher Geist ist meist so sehr in seiner Welt gefangen, dass er nur sieht, dass andere sich ändern sollen, als an sich selbst die gleiche Logik anzubringen.“ Lagorasch wartete einige Augenblicke um dann weiterzusprechen: „Wie findet Ihr diese Idee?“

Der Herr der Muscheln blickte den Zwerg lange an. Überlegte. Öffnete den Mund, wie um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber wieder. „Du, du, Zwerg. Kleines Wesen, überlege Dir eine passende Strafe und benenne sie mir. Vielleicht gefällt mir ja, was du vorschlägst. Wenn nicht, nun, dann wirst Du sie heiraten und ihr im Lauf deines langen Zwergenlebens beibringen, wie Spaß und Pflichtbewusstsein miteinander einhergehen.“ Kurz ließ et seine Worte schwingen.

„Und du, Mensch, deinen Vorschlag nehme ich an“ sprach er an Nivard gewandt weiter. „Ihr bringt mir meine gestohlenen Gegenstände wieder und ich lasse euch dafür wieder in euer Reich zurückkehren. Denn wisst ihr, Alte Königin der Lande über den Wassern, nicht nur meinen Dreizack hat sie entwendet. Nein, sogar drei Sachen mehr, die mir sehr sehr wichtig sind, fehlen.“

Er wurde schwermütig und zornig zugleich und bedachte die Jüngere mit abwertendem Blick, als er begann, aufzuzählen:

„Da wäre ein Liebestrank. Ich ließ ihn brauen, um meine Herrin der Muscheln zu erobern. Zum Glück brauchte ich ihn dann doch nicht“ ein schelmisches Lächeln stahl sich nun ins Gesicht des Alten und brach die zornesverhärtete Mimik für einen Moment auf „ich schaffte es, sie mit meinem Charme und Stärke von mir einzunehmen. Den Trank jedoch habe ich als Erinnerung behalten…“ Ein kurzer Schwelg in Erinnerung. Sogleich zogen sich die Augenbrauen des Wassermannes wieder zusammen. „Dann hat sie ein Geschenk des Flussvaters an mich entwendet. Es ist ein Rubin, so groß wie die Faust eines eurer kleinen Nachkommen, und so rein wie das Herz, das in deren Brust kurz nach dem Schlupf noch schlägt. Ich erhielt ihn, als ich Heerführer der Lande unter den Wassern wurde und Lata zu Hilfe eilte. Und zu guter Letzt, ein silberner, gravierter Teller. Den hat einer eurer Könige über den Wassern von eurer großen Burg aus als Opfergabe in den Fluss geworfen. Das ist schon viele eurer Generationen her und er hat mir einfach nur gut gefallen.“

Aufbrausend wie eine Springflut wandte er sich seiner Nichte zu. „DU, SAG SOFORT, WO DIE DINGE SIND, DIE DU GESTOHLEN HAST!“

Eingeschüchtert sprang die Nixe wieder ins Wasser zurück und schwamm rückwärts weg von der Concabella. Dabei huschte ihr Blick zwischen Lagorasch und dem Herrn der Muscheln hin und her, eher mit Abscheu denn Begeisterung, was den Zwerg anging.

„Weit weg sind sie, in den großen Städten der Menschen, die zum König über den Wassern gehören. Dort sitzt immer einer der vier kleinen Könige des Barschkönigs, und es gibt so viele Menschen, die alle mehr Spaß verstehen als DU! – Und den da!“ sie zeigte auf Lagorasch „heirate ich NIEMALS. Der ist hässlich!“ Sie verschränkte die Arme von den blanken Brüsten und presste die Lippen aufeinander. „Und jetzt schaut, wie ihr da hinkommt. Helfen tu ich euch nicht!“

Grimberta schaltete sich nun in die Diskussion ein. „Gut, dann werden meine jungen Begleiter Dir helfen, Herr der Muscheln. Doch wie sollen sie in die Grafenstädte gelangen, von hier aus?“

„Sie wird die Tore zwischen den Welten öffnen, ganz einfach“ antwortete der Heerführer.

„Nein, das werde ich nicht!“ gab die Nixe schnippisch zurück.

„DOCH, DAS WIRST DU!! ANSONSTEN BEFEHLE ICH DIE HEIRAT, UND ZWAR GENAU JETZT!“

Dies erschreckte die Nixe so sehr, dass sie kurz unterging, wild mit der Flosse paddelte und schmollend wieder zum Vorschein kam. „Na gut.“ Sie klatschte in die Hände, und aus dem unterirdischen See erhoben sich Wellen. Höher und höher stieg das Wasser empor, bis es 5 Bögen bildete. Hinter jedem Bogen waren Häuser und eine Landschaft zu erahnen, wie die Aussicht an einem Regentag.

„Da, da könnt ihr durch. Und da, wo ihr rauskommt, könnt ihr auch wieder rein. Aber ich sage euch, wenn auch nur einer unter euch mich versteht und kein Spielverderber sein will, dann geht er durch das Tor in der Mitte. Das führt euch in eure Heimat und ihr müsst nicht mit auf die Suche.“ Anschließend verschränkte die Nixe erneut trotzig die Arme vor der Brust.

Grimberta sah imponiert auf die Wasserbögen, bevor sie sich erneut an den Heerführer wandte: „Sagt, müssen meine jungen Begleiter zu den Portalen schwimmen oder wie kommen sie dahin?“

Dieser lachte laut und dröhnend auf und hielt sich dabei den Bauch. „Na, so wie ihr es sonst immer tut“ keuchte er amüsiert, und schlug anschließend mit den flachen Händen auf die Wasseroberfläche.

„Dann geht, und sorgt dafür, dass wir hier rauskommen, meine Freunde“ verabschiedete sich Grimberta von den Helden.

Die zwischenzeitig drohende Ad-hoc-Verheiratung der zauberhaften Wasserschönheit mit dem gesprächigen Zwerg jagte Nivard einen weiteren kurzen Schrecken ein, von dem er sich aber rasch wieder erholte er hoffte, dabei nicht zu offensichtlich sein Gesicht verzogen zu haben), zumal dieser Schreck in das überraschende Hochgefühl umschlug, dass der Heermeister des Flussvaters tatsächlich auf seinen aberwitzigen Vorschlag einging. Ergriffen und gebannt lauschte er dem weiteren oGespräch und wurde staunend der Wundertaten ihrer „Gastgeber“ gewahr. Erst nach Grimbertas Abschiedsworten wagte er sich, noch einmal das Wort an die Hohen und Mächte, die über sie befanden, zu richten: „Hoher Herr der Muscheln, habt Dank, dass Ihr diese Aufgabe und damit unser aller Schicksal in unsere Hände legt!“ Sich Grimberta mit einer leichten Verbeugung zuwendend fuhr er nach einer kurzen Pause fort: „Wir werden Euch nicht enttäuschen, das gelobe ich Euch!“

Der Alte hob daraufhin skeptisch das Kinn. „Viele und schwere Worte, kleines Menschlein.“ Dann nickte er, offensichtlich ein klein wenig beeindruckt von so viel Anstand.

Anschließend blickte Nivard in die Runde der Jungadligen: „Ich erbiete mich, durch das Portal in die Stadt des Grafen, dem mein Geschlecht untersteht, Gratenfels, zu schreiten!“ Nivard war zwar nur wenige Male und dann auch nur kurz in Gratenfels gewesen, so dass er sich inzwischen in Elenvina besser auskannte als dort, doch gab es unter den Mitreisenden so viele, die in der Stadt des Herzogs wirklich und damit mehr als er zu Hause waren… Nivard glaubte daher, der Gruppe mehr zu nützen, wenn er in die trutzig-bewehrte Stadt der Türme und Mauern ginge. Außerdem lockte ihn die Aussicht, nach langer Zeit wieder die Luft des rauen Nordens der Nordmarken zu atmen… Nivard hielt kurz inne, überlegte, ob er fragen sollte, wer mitkäme, beließ es dann aber bei einem auffordernden Blick und schritt lieber noch einmal in Richtung Reling. Er würde schon sehen, wer ihn begleiten würde, spätestens, nachdem er seine Ausrüstung von unten geholt hätte und dem Portal entgegen ging. Wichtiger war ihm zunächst, noch einmal mit der Nixe zu sprechen, obgleich ihn dies mehr Mut kostete als seine Worte zuvor: „Wir Menschen…“ druckste er zunächst herum „verstehen vielleicht wirklich mehr… Spaß als Dein Onkel.“ Er wagte nicht, ihr direkt ins Antlitz zu blicken, obwohl er sich gerade nichts mehr wünschte. „Daher werden wir uns daran freuen, Deine Verstecke an seiner Statt ausfindig zu machen.“ presste er schnell hinterher. Nun wagte er es doch, ihr in die Augen zu sehen. „Und, das gelobe ich wenigstens für meinen Teil, ich werde meinen Fund mit einem Lied auf den Lippen – zu Deinem Wohlgefallen – zurückbringen!“ Seine Wangen hatten sich tiefrot gefärbt. „Doch – so gewähre mir die Bitte – kannst Du uns einen Hinweis geben, nach welchem der Dinge wir in welcher der Städte zu suchen haben? Und wo wir dort mit der Suche beginnen könnten?“

Das Fräulein schmollte immer noch missmutig und hielt die Arme eisern vor dem Busen verschränkt, während die Spitze ihres langen Fischschwanzes unruhig hin und her zuckte und dabei leise über die Wasseroberfläche peitschte. Von Nivards sanften Worten angetan, sah sie jedoch auf und schwamm wieder zur Reling hin. „Du willst ein Lied für mich singen?“ Ihre unergründlichen Augen leuchteten. „Du hast so eine schöne Stimme…“ Kurz schien sie ihre eigenen Bedürfnisse gegeneinander abzuwägen. Sie warf dem Alten und ihrem drohenden Zwergen-Bräutigam einen prüfenden Blick zu und seufze dann geradezu theatralisch, ob der Schlechtigkeit und dem Zwang, dem sie sich hier beugen musste.

„Den Trank der Liebe habe ich an einem Ort versteckt, wo auch andere sind. Ihr werdet ihn schon gut suchen müssen, denn dort hat es sehr sehr viele Flaschen. Bunte, hübsche. In allen Formen und Farben.“ Dies schien ihr zu gefallen, denn Faszination und die Freude über ihre eigene schöne Idee, gerade jenen Ort als Versteck zu wählen, ließ ihr Schuppenkleid schillern. Wie schon bei ihrer Erzählung über die Tsajünger in der Herzogenstadt.

„Der blöde Teller ist da, wo es stinkt.“ Sagte sie hingegen angewidert, das Schillern verblasste. „Bei den stinkenden, widerlichen Wassertöpfen. Dieses alte hässliche Ding passt da gut hin. Ist mir ein Rätsel wie ihr Sterblichen da leben könnt bei diesem Gestank.“ Sie schüttelte sich mit verzogenem Gesicht.

„Auch der Stein ist wieder da, wo er einst war, bevor er gefunden wurde.“ Kurz streifte ihr verabscheuender Blick den Angroscho, dem sie eine Braut werden sollte, dann kehrte ihre Aufmerksamkeit wieder zu Nivard zurück, den sie weitaus freundlicher und durchaus interessiert ansah, während sie dabei verzückt lächelte.

Heiße und kalte Schauer durchfuhren Nivard zur gleichen Zeit, als er in die Augen der Nixe blickte, und in seinem Bauch tanzten die Schmetterlinge. Auf seinem Antlitz breitete sich ein warmes Lächeln aus, während die Welt um ihn herum in Vergessenheit geriet, er ganz und gar in der Schönheit des Moments versank. Nivard wagte es nicht, den kostbaren Augenblick durch Worte zu stören, wäre doch selbst der schönste Vers zu matt und profan angesichts des Glanzes, der in die tiefsten Winkel seines Herzens strahlte. Eine warme Woge des Glücks durchströmte ihn und schien den Schmerz des letzten Sommers hinweg zu spülen, die Wunden seiner Seele zu schließen. Ach könnte dieser Moment doch ewig währen… Michael, Nivard, 28.05.2019)

„Und mein DREIZACK? Sag, wo ist ER!?!“ durchschnitt die ungeduldige Stimme des Alten das romantische Schweigen der Jungen.

Die fuhr genervt herum. „An einem besonderen Ort der Verehrung auf den Wassern, da, wo zu Anbeginn die Fey gelebt haben, bis ihr Reich unterging. – So. Und mehr sag ich nicht!“ Keifte da die Nixe zurück, bevor sie einen Sprung in die Luft tat, einen Überschlag machte und in den dunklen Tiefen des Kavernengrunds verschwand. Es dauerte jedoch nicht lange, schon kuckte ihr Kopf bei den Toren wieder aus dem Wasser auf.

Welf war sprachlos – er hatte sein Bestes gegeben zu helfen und seine Gaben und seine Ruhe einzubringen. Hatte versucht mit Worten etwas zu erreichen. Aber all dies hier war so schwer fassbar… auch wenn es zunehmend weniger den Charakter eines Traumes trug… Als Nivard sich positionierte, ging auch ein Ruck durch Welf. Der Kriegerschüler trat ebenso hervor, verneigte sich etwas… zögernd und irritiert… vor den Traumwesen und dann standesgemäß vor der Herzogenmutter. „Ich will nach Elenvina ziehen, eure Mission zu erfüllen, Hoheit. Das Haus Schleiffenröchte für die herzöglichen Länder!“ Postulierte er, wie sein ganzes Leben eingebläut. Dabei sah er auf – durchaus auffordernd – zu seiner Verwandten. Eine Zauberin und ein Krieger – das wäre doch ein guter Grundstock… falls sie wirklich eine heilige Mission zur Rettung der gestohlenen Spielsachen eines Meermannes antreten würden, um die Herzogenmutter zu retten… Kurz schüttelte Welf wieder den Kopf. „Wer begleitet mich?“ Fragte er in die Runde.

Elvan beruhigte sich endlich. Nachdem alle gesprochen hatten, der Muschelfürst und die Herzogenmutter eine Entscheidung getroffen hatten, gab es eine Gewissheit für ihn. Es schien, das niemand ihn für seine Rede verurteilte. Eher fühlte er Zuspruch. ´Du besitzt ja doch Mut, Mutter hat immer daran geglaubt. Nun gibt es kein zurück mehr.´, dachte er bei sich. ´Welches Tor sollte ich nehmen? Gratenfels, Elenvina oder eines der anderen beiden Tore?´ Er schaute nachdenklich die Wellentore an. Die Silhouette von Elenvina und Gratenfels konnte er klar erkennen und kannte sie auch. Bei den anderen waren es für ihn unbekannte Orte. Elvan vernahm Nivards Entscheidung. Gratenfels. ´Nivard wäre bestimmt ein guter Gefährte, irgendwie mag ich ihn. Doch Gratenfels? Es ist schon solange her das ich einmal dort war.´dachte er. ´Elenvina ist meine Heimat, die Stadt kenne ich gut. Aber heist es nicht, das im Unbekannten, die Herausforderung steckt?´ Entschlossen ging er zur Reling. „Eure Hoheit, Ich schwöre bei den zwölf guten Göttern, das ich, Elvan von Altenberg, und meine neuen Freunde und Gefährten dafür sorgen werden, euch hier wieder lebend herauszuholen!“ Der Schreiberlehrling drehte sich zu Nivard um. „Hoher Herr von Tannenfels, ich werde Euch begleiten!“ Mit diesen Worten kletterte er von Bord und setzte vorsichtig seinen Fuß auf die Wasseroberfläche.

Sein Fuß sank nicht ein. Das Wasser wurde unter Elvans Sohlen fest und gangbar.

‚Tatsächlich, der Muschelfürst hat Wort gehalten, das Wasser trägt mich!´ Erst mit vorsichtigen, dann mit festeren Schritten, lief er auf das Wassertor nach Gratenfels zu, drehte sich jedoch noch einmal um. Er suchte die Blicke von Dorcas, Jonata und Quintus. Er hoffte das seine Bekannten mit ihm kämen. Zu guter Letzt schaute er sich nach dem jungen Welf um. Mit leicht wehmütigen Blick formte er die Wort „Viel Glück“ auf seinen Lippen. Nun konzentrierte er sich auf das Tor, das vor ihm war. ´Gratenfels, wir kommen´ waren seine Gedanken.

Auch wenn viele dachten, das der große Knappe ein unsensibler Klotz wäre, so ist die Wahrheit doch eine andere. Wie so oft, ist Dorcas von starken Emotionen seines Umfeldes beeinflusst. Die Spannung die in der Luft lag, zerrte an ihm. Die Geschehnisse waren schnell und kein greifbarer Gegner war zu sehen. Das hätte für ihn alles leichter gemacht. Ein Gegner, ein Ziel. Aber das hier? Ein Spaß von Feenwesen, die nicht lustig, sondern lebensgefährlich waren? Er versuchte sich zu ordnen, eine klaren Kopf zu bekommen. ´Gegenstände finden, um unser Leben und das der Herzogenmutter zu retten. Kein Kampf, sondern Suche. Das ist was neues.´,dachte er bei sich. Er wurde von den Worten seines Freundes Elvan wieder zurück ins Geschehen gezogen.´Der geht ohne mich? Moment mal´, schoss es ihm durch den Kopf. „ Ich gehe auch nach Gratenfels!“, sagte er recht laut. Mit einem Satz sprang er von Bord. „Oh, ähm, euer Hoheit, ich komme wieder, wir werden Euch retten, Rahja ist mit uns!“, sagte er mit einer halben Verbeugung in die Richtung Grimbertas. Mit schnellen Schritt schloss er sich dem Pfad von Elvan und Nivard an.

Nivard kam gerade noch zu sich, nachdem die barschen Worte des Muschelfürsten den glücklichen Augenblick jäh beendet hatten. Noch etwas benommen nickte er Elvan langsam zu – er freute sich, den jungen Schreiber mit sich in Gratenfels zu wissen. Und die Begleitung durch Dorcas erschien ihm viel weniger unangenehm, als er es noch heute Morgen empfunden hätte. Zugleich war er viel weniger erleichtert, nicht erneut Welfs enge Gemeinschaft erleben zu müssen, als er es gestern Abend gewesen wäre… es war auf einmal… nicht mehr so wichtig… Nachdem er Elvan und Dorcas sich nass und schwach gerüstet, wie sie waren, über die Reling schwingen sah, wollte Nivard es ihnen bereits gleichtun. Im letzten Moment griffen aber die so oft an der Kriegerschule eingedrillten Reflexe, und er rief seinen beiden Mitstreitern zu: „Vergesst nicht Eure Ausrüstung! Wer weiß, wie lange die Suche dauern und vor welche Aufgaben sie uns stellen wird! Mit diesen Worten eilte er im Laufschritt los, in seine Kabine, wo er sein nach der Nachtruhe sorgsam gepacktes Bündel - obgleich von seiner Koje zu Boden gestürzt und leider leicht angefeuchtet) – sogleich fand und aufnahm. Sein Herz schlug nicht nur vor Anstrengung aufgeregt, als er, immer zwei oder drei Stufen auf einmal nehmend, zurück an Deck stürzte und über die Reling sprang… „Bei Rondra, die Fluten tragen mich tatsächlich“ – die Verwunderung über diesen Umstand und der Schreck über seine eigene mangelnde Vorsicht währten aber nur kurz, denn sogleich suchten seine Blicke nur nach ihr…

Die Worte des Herrn der Muscheln überraschte den angehenden Geoden zuerst, während er im inneren Monolog die Tore und Städte dahinter betrachtete, ‚Wieso war der Herr so kurz angebunden? Gerade als nächstes hätte man doch einfach logisch die Anforderungen an solch ein Vorgehen erörtern können und so ein gutes Konzept erarbeiten können… aber er bricht so barsch ab. Hm… Barsch… tja… sie sollte etwas ohne die Erdkraft aufbauen müssen, am besten mit Mathematik, Mechanik und der Hände Arbeit. Eventuell eine Alternative wo sie etwas beschützen muss. Ich muss die Ideen zuerst mit den Anderen besprechen. Aber wo will ich nun hin? Was ist welche Stadt?‘.

'Den Streit den du zwischen diesen Wesenheiten hervorrufen wolltest ist nicht ausgebrochen, aber es war doch ein meisterliches Stück wie der Herr der Muscheln diese, im wahrsten Sinne des Wortes, „Zorneswelle“ losgelassen hat. Damit bleibst du deinen Mitreisenden in Erinnerung.' Ein zufriedenes Lächeln lag auf Quintus Lippen als er zu den Zwergen schritt. „Ich nehme an unser bisheriger Weg wird hier unterbrochen, Eure Wahl wird wohl nicht Gratenfels sein? Gerne würde ich euch begleiten, doch bin ich der Meinung jede Gruppe braucht einen starken Kopf wie auch einen starken Arm, in der euren Gruppe ist dies schon der Fall in dieser nicht.“ er zeigte in Richtung Nivards. „Vogt Borax ich hoffe wir können die Arbeit an eurem Stammbaum bald unter... besseren Bedingungen fortsetzen. Ich brenne jetzt schon darauf unsere Erfahrungen von hinter den Portalen auszutauschen.“ er wandte sich an Lagorasch: „Oh bevor ich durch das Portal schreite habe ich noch eine Frage meine Gesundheit betreffend, ich habe keine Ahnung ob es mit den Erlebnissen der Herrschers der Muscheln zu tun hat. Seit ein paar Tagen fällt es mir schwer mich auf meine Dogmen, meine Ziele, ja im Allgemeinen, fällt es mir schwer mich zu konzentrieren und meine Gedanken schweifen ab und ich erwische mich beim Tagträumen. Habt ihr vielleicht ein Kraut gegen diesen Zustand bei euch?

Der Vogt nickte auf Quintus Worte hin nur leicht, konnte seinen Blick jedoch nicht von der Wasseroberfläche unterhalb der Reling abwenden. Allein der Gedanke über Wasser zu schreiten schien ihm mit einer tiefsitzenden Angst zu konfrontieren. ‚Angrosch hilf. Das Wasser muss hier sehr tief sein und das einzige was mich vor einem schrecklichen Tod bewahren kann ist die Magie, die mich über die Fluten tragen soll.‘

Die Worte von Quintus brachten den kleinen Zwerg aus seinen Gedanken, er schaute Quintus in die Augen und antwortete: „Konzentrationsschwierigkeiten?... hm... fühlt ihr eine innere Unruhe, nervöse Erschöpfung und Einschlafstörungen? Oder ist es eher Niedergeschlagenheit? Je nachdem ist das eine oder andere überhaupt von Wirkung.“ Die Möglichkeit über einfache Sachen der Natur nachzudenken beschwingten das Gemüt und die Gedanken Lagoraschs deutlich. ‚Lavendelblüten mögen bei Unruhe und Schlaf helfen, Hollbeerenblättertee auch was den Schlaf angeht, Glibornskraut bei negativen Gedanken.‘, summte der Kleine schon in Gedanken vor sich hin.

„Niedergeschlagen? Nein, eigentlich ist es ein gutes Gefühl das ich dabei verspüre aber es stört mich. Ich will meine Ziele fokussiert verfolgen können und nicht an Rhaj...“ er verschluckte die Worte und korrigierte sich, „an einen Menschen denken.“

„hm…“, grübelte der kleine Zwerg vor sich hin. „Mir fällt nicht wirklich ein Kraut ein das hier direkt helfen könnte… hm… nun es gäbe die Möglichkeit Deine Erinnerung an sie zu nehmen, aber das wirkt bei starken Gefühlen nicht. Und sinnvoll ist das auch nicht. Für einen besseren Schlaf, hatte ein Druide mir gesagt, das Lavendel die Traumbilder die Ihr Menschen bekommt abschwächt. Vielleicht hilft das ein wenig, es führt zu ruhigeren Träumen oder wie ihr das nennt. Aber Lavendel hab ich grad nicht bei mir, tut mir leid.“

'Er stellt dir eine Aufgabe, er stellt dir schon wieder eine Aufgabe!' Leichte Wut kochte Quintus auf, denn er hatte ständig das Gefühl der kleine Zwerg würde ihm mit seinem reden und handeln Aufgaben stellen. Er nickte gezwungen ab „Nun denn, ich danke trotzdem für eure Mühe. Ich werde nun meinen Pflichten nachkommen. Hesinde mit euch liebe Freunde.“

Anschließend drehte sich Lagorasch, auf dessen Kopf es sich Serescha mittlerweile bequem gemacht hatte, zu dem Vogt um. Mit einer kurzen Bewegung zu den Brücken aus Wasser, sprach er den Zwerg an, „Emmeran hat mir erzählt das man solche Brücken auch aus Licht bauen kann. Die Erdkraft mag einem Erstaunliches und mehr ermöglichen… aber Du kannst mir sicherlich helfen… ich war noch nie an diesen Orten. Kannst Du mir etwas zu diesen Orten sagen?“, dabei zeigte er auf die vier Tore.

"Nun", atmete Borax tief durch und versuchte im Folgenden mit sicherer Stimme zu sprechen. Eine Absicht, die ihm nicht vollständig gelingen wollte. "Elenvina ist die Kapitale des Herzogtums Nordmarken, dem Landstrich, in dem der Isenhag und die Reiche von Xorlosch und Isnatosch liegen. Gratenfels und Albenhus sind Grafenstädte und als solche die Orte, die die Verwaltung der Grafschaften Gratenfels und Albenhus beherbergen. Diese sind wiederum ebenfalls Teile des Herzogtums Nordmarken. Die Feste Calbrozim, der Sitz von Graf Ghambis repräsentiert unsere Grafschaft - die Kernlande der Angroschim, den Isenhag. Dorthin werde ich gehen, da ich denke, dass dies am sinnvollsten ist." Der Vogt zuckte kurz mit den Schultern und kam dann auf die drei anderen Tore beziehungsweise die Städte zu sprechen, für die sie standen. "Die Städte der Menschen sind groß, laut und zum Teil schmutzig. Darüber hinaus sollte man Wissen in welchen Teilen dieser Städte man sich besser nicht begibt. Zwielichtiges Gesindel, die danach trachten einen auszurauben, gibt es dort ebenso wie götterfürchtige Bürger. Ich selbst kenne Gratenfels nur flüchtig, Albenhus schon besser und in Elenvina bin ich zuletzt nahezu jeden Götternamen gewesen. Von Senalosch aus ist sie die nächste der Grafenstädte, Calbrozim ausgenommen, die lediglich auf der anderen Seite des Wedengrabens liegt."

„Dann auf nach Calbrozim, ich muss noch kurz meine Bündel von unten holen“, mit diesen Worten machte sich Lagorasch nach unten auf. Einige Zeit später kam Lagorasch wieder zurück ans Deck und ging frohen Mutes auf die Brücke nach Calbrozim zu. „Nun denn, dann auf und los.“ Zuerst mit dem rechten Fuß, und dann mit dem linken erklomm er die Brücke aus Wasser. „So, wer kommt nun mit, lasst uns beweisen, dass wir Dinge, die verloren gegangen sind, wieder zu Tage fördern können. Und vielleicht hat ja jemand Recht, und wir finden wirklich etwas Spaß an der Sache.“ Mit einem Grinsen im Gesicht und frohen Mutes im Herzen blickte der kleine schwarzhaarige Zwerg in Richtung der Nixe. Ja, sie war ebenfalls in den Augen des Zwergen hässlich und nicht gerade eine Schönheit, aber ihre lose Zunge gefiel ihm, sie folgte dem Fluss ihrer Gefühle, sie ließ sich treiben und blieb sich selbst treu. Sie hatte in ihrer verspielten, stolzen und widerspenstigen Art fast schon etwas von einem Zwerg. Nach den Erwartungen der anderen Geoden sollte er ein einsames Leben wählen, auch wenn die Ehe unter den Zwergen schon eine besondere Ehre war, so war sie ihm vollkommen verwehrt. Er wäre gerne nicht alleine für den Rest seines Lebens.

Die Nixe schwamm indessen aufgeregt zwischen den fünf Toren hin und her. Einige der Besucher hatten sich schon aufgemacht und wateten über die wie von Zauberhand gehärtete Wasseroberfläche, die nur erstarrte, wenn ein Fuß sie berührte.

Es war leicht die Tore den Grafschaftsstädten zuzuordnen: Calbrozim, die Hauptstadt der zwergischen Lande namens Isenhag hob sich mit ihrem Festungscharakter und den über das Bildnis huschenden Angroschim von den Fachwerkbauten der anderen Tore ab. Auch jenes Tor, das ans Ufer des Großen Flusses zurückführen würde, war gut erkennbar. Elenvinas Stadtbild prägte die trutzige Herzogenburg Eilenwid-über-den-Wassern, die an einer Flussbiegung auf einem Felsen über Stadt und Fluss thronte. Die Häuserkulisse von Gratenfels lag unter dem gelben Nebel, der von den Schwefelquellen stammte und den immer wieder Winde über die Stadt verteilten. Die letzte Ansicht zeigte zweifellos die durch den Großen Fluss geteilte Stadt Albenhus mit ihrer Süd- und Nordstadt und der Insel im Zentrum, auf der sich der große Efferdtempel befand – eines der mächtigsten Häuser des Wasserherrn im Binnenland.

Während der kleine Zwerg mutig auf jenes Tor, das nach Calbrozim führen würde, zustapfte, wandte er sich noch einmal an die Nixe: „Es würde mich freuen, wenn wir noch etwas Zeit fänden uns zu unterhalten, bevor ich den Vorschlag an den Herrn der Muscheln weitergebe. Ich glaube kaum, dass deine Gefühle, sobald wir zurückkommen, weniger aufgeregt sind als jetzt. So mag vorher oder nachher kaum von Belang sein. Und ich glaube, dass ein guter Vorschlag auch in Deinem Interesse ist. Wie siehst Du das? Und magst Du uns einen Namen nennen, mit dem wir Dich ansprechen können?“

Bevor die Angesprochene jedoch etwas antworten konnte, ergriff der Alte das Wort und blickte verachtungswürdig auf seine Anverwandte hernieder. „Diese Larve hat sich noch keinen Namen verdient. Sie ist von zu viel Unsinn durchdrungen.“

Wasser spritzte auf Lagorasch, als die Nixe wütend mit den Händen auf die Wasseroberfläche schlug und damit alle, die schon einen Fuß aufs Wasser gesetzt hatten, für einen Moment wanken ließ. „Du alter zahnloser Hecht. Nie, NIE, wirst du verstehen, was es heißt, Spaß zu haben. Du wirst schon sehen. Diese Menschen und Zwerge werde jede Menge Freude bei meiner Suche haben. Dann wirst du dich grämen, nicht selbst gegangen zu sein!“

Da lachte der Alte laut und es hallte von den Wänden wie Donnergrollen.

Die Nixe aber schwamm eilig zu Nivard und legte eine feuchte Hand auf dessen Schuh und raunte ihm zum Abschied zu. „Der hässlichen Zwerg. Mach, dass ich nicht die Seine werden muss! – Und nun habt ganz viel Spaß bei der Suche!“ Dabei lächelte sie den Krieger, aber auch nacheinander alle anderen hoffnungsfroh an und verfolgte, wie einer nach dem anderen aufs Wasser trat, um sich den Toren zu nähern.

Die Berührung und das Vertrauen der Nixe erschienen ihm wie das kostbarste Abschiedsgeschenk, das er sich denken konnte. Ein tiefes, ernstes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aufs. „Daran werde ich alles setzen, an beides. Das verspreche ich Dir!“ Er ließ noch einen kurzen Augenblick die Wärme, die ihn ob ihrer Nähe durchströmte, auf sich wirken, dann riss er sich innerlich los und machte sich schließlich endgültig auf gen Gratenfels.

Lange hatte er abgewartet um die Gruppenbildung und den richtigen Moment abzupassen, dann trat der Hesindenovize vor die Herzogenmutter verneigte sich und sprach: „Hoheit, seid unbesorgt! Ich werde diese Mannschaft in Gratenfels in Eintracht und mit Hilfe der allweisen Herrin Hesinde führen. Ihr könnt in unsere Fähigkeiten vertrauen und ich werde, mit Hilfe meiner Mannschaftskameraden, jedes Objekt in Eurem Namen zurückbringen.“ Er wartet bis Grimberta ihn entlassen hatte und stieg dann über die Reling und schritt fasziniert über die Wasserbrücke in Richtung Gratenfels. Fest hatte er das Ziel in Augen als sie ihm wieder wie ein Schlag in die Gedanken kam. 'Rhajalind, ob sie dir wohl folgen wird? Du wirst dich jetzt nicht umdrehen um dies zu prüfen!' Es waren wohl nur vier Sandkörner durch ein Stundenglas gefallen bevor er seinen Blick langsam nach hinten streifen ließ. Zorn ergriff ihn als er nicht Rajalind sondern die von Hartsteig erblickte die andeutete in Richtung Gratenfels zu schreiten. 'Das wirst du hinterhältige Schlange dich nicht wagen.' Erleichterung machte sich breit als sie dann provokant abdrehte. Doch wo war Rajalind? Würde sie sich für Gratenfels entscheiden, sich damit für ihn entscheiden? Würde sie in eine andere Stadt gehen? Wäre dies dann eine Entscheidung gegen Ihn? Mit wirren Gedanken stand er vor dem Portal streckte eine Hand hindurch und war von dem kühlen Gefühl erstaunt als er über sich selber spotten musste. 'Ziemlich töricht Wesen die so viele Kräfte in sich bündeln gegeneinander aufstacheln zu wollen' Mit einem Grinsen im Gesicht setzte er das erste Mal in seinem Leben seinen Weg durch ein Magischesportal fort.

In Gedanken versunken sah Amiel den anderen nach, wie sie die Portale betraten. ‘Ich sollte mich auf den Weg machen… nur wohin?‘ Er ging auf eines dieser wunderbaren Tore zu. ‚Faszinierend!‘ dachte der junge Geweihte und schob langsam einen Finger in die Wellen, welche ihn nach Albenhus tragen sollten. ‚Und wie komme ich je-….‘

Mit sichtbarem Wiederwillen ließ sich der Vogt von zwei Seeleuten über die Reling helfen und stieg dann, die Beine gegen die Bordwand gedrückt, langsam an einem Tampen herab. Das Geschick, welches er dabei an den Tag legte hätte man dem Zwergen kaum zugemutet. Doch unter Tage mussten wohl auch ab und an Höhenunterschiede auf derlei Art überwunden werden. Unten angekommen dauerte es eine Ewigkeit, bis sich Borax überwand und einen Fuß auf die Oberfläche des Wassers stellte. Mehrfach zuckte der schwere Stiefel zurück, bis er dem Wiederstand, den die Fluten boten Glauben schenken wollte. Langsam und mit ausgebreiteten Armen, als befürchtete er das Gleichgewicht zu verlieren, folgte er Lagorasch in Richtung des Tores nach Calbrozim.

Gerwulf hatte die Reise bisher ganz in der Tradition Firuns eher schweigend und nachdenklich verbracht. Er sah sich um und erkannte, dass bereits einige seiner Mitreisenden den Entschluss gefasst hatten, nach Elenvina zu gehen. Unter anderem sein Freund Welf. ´Nun denn´, dachte Gerwulf bei sich, ´vielleicht ist es an der Zeit, das Bekannte hinter mir zu lassen und Neues zu erforschen´. Gerwulf nickte seinem Freund zu und ergriff ihn am Unterarm: „Ich wünsche Dir und Deinen Getreuen Firuns Segen.“ Mit diesen Worten wandte er sich um und schritt zum Portal in Richtung Albenhus.

Rajalind hatte sich noch nicht abschließend entschieden, wohin ihr Weg führen sollte. Immer noch fasziniert, verzückt und ehrfürchtig-erstarrt von der herben Schönheit dieses Ortes und dessen ungewöhnlicher Bewohner hatte sie die Tragik des Zwists zwischen Alt und Jung zwar mit Bedauern hingenommen, weil er einen hässlichen Schatten auf dieses wunderschöne Mysterium warf, doch waren alle Bemühungen ihrer Reisegefährten ihrer Meinung nach besser gewesen, als das, was sie selbst hätte beitragen können. Zu einem heiteren Tanz fehlte es an Musikanten. Leinwand und Farbe waren wohl ebenfalls nicht an Bord. Schade… wie gerne hätte Rajalind all dies in Farbe gebannt…. Diese herrlichen Kontraste, der Wasservorhang, das Schuppenschillern, der unstete Wellengang, das beständige geradlinige Holz des Schiffes, die Menschen der Flussgarde in ihren akkuraten Rüstungen, das wilde ungebändigte Haar der Wasserwesen, die Alten, die Jungen, den Zorn, das Vertrauen, die Furcht, die Hoffnung…. Ach, was für ein ergreifendes Gemälde hätte dies werden können…

„Und Ihr, meine Liebe, wen von Unseren Gästen werdet Ihr begleiten?“ hörte die Zweibruckenburg neben sich die Stimme der Altherzogin.

Ihre Hoheit riss die junge Rahjani aus ihren Tagtraum, so dass diese kurz zusammenzuckte.

„Oh, Wir wollten Euch keineswegs erschrecken,“ Grimberta lächelte die Jüngere sanft an. „Wohin werdet Ihr gehen?“ wiederholte sie die Frage, denn die Rahjani hatte vielleicht die erste nicht mitbekommen. „Nach Albenhus, Calbrozim, Gratenfels oder gar zurück nach Elenvina?“

„Eure Hoheit, ich weiß nicht recht. Albenhus ist meine Heimatstadt. In Elenvina war ich, als ich die Familie meines Vaters kennenlernte, doch ist mir die Stadt trotzdem so fremd wie Gratenfels und Cal…Cal…“

„Calbrozim.“

„Die Stadt Seiner Hochgeboren Graf Ghambir, ja. Trotzdem weiß ich nicht, was der richtige Weg ist. Ich würde ja gerne hier bleiben, mit Euch, und diesen Ort noch etwas länger genießen. Er ist so wunderschön.“

„Nun. Ich fürchte, das geht nicht. Das sähe aus wie Bevorzugung, nicht wahr?“ Die Herzogenmutter lächelte noch immer, fast großmütterlich. „Nein, ich könnte mir vorstellen, dass Eure Gaben, die euch die Götter für euer Leben gegeben haben, in einer der Grafenstädte von Nutzen sind. Wir,“ damit meinte die alte Landesmutter sich selbst und deutete in die Reihen der Flussgardisten, die immer noch wachsam an Bord standen, um im Notfall ihr Leben zu geben. „fühlen uns gut beschirmt und unterhalten,“ Ein sinniges Schmunzeln, als ihre Augen den Blick des Heerführers trafen und dann streckte sie den Arm aus in Richtung der Tore. „So geht denn, meine Liebe, geht. – Und habt Spaß!“

Mit stoischer Ruhe hatte Welf die Anspannung über diese bizarre Situation verborgen, hatte er sein zunehmendes ‚Erwachen‘, eher ‚Akzeptieren‘ der Situation überspielt und… sich auch selbst erst möglich gemacht, anzuerkennen, was er hier sah. Natürlich wusste der junge Krieger von der Magie… auch wenn sie in Elenvina gerne über die impotenten Zauberer, die nicht zaubern durften und womöglich auch gar nicht konnten, gelacht hatten – es war nicht zu leugnen… aber das hier? Das hatte überhaupt nichts mit den Erzählungen seiner magiebegabten Verwandten zu tun, nichts mit Formeln und Ritualen und Regeln… das hier… hatte eher etwas mit den betrunkenen Märchenstunden seines alten Vaters zu tun. Die Diskussion der Herzogenmutter und der Rahjageweihten beobachtete er schweigend, innerlich enerviert, dieser kleine hübsche Bastard sprach mit der Herzogenmutter, als wären sie enge Freundinnen… als wären sie von vergleichbarem Stande. Die Rahjakirche hatte Welf nie viel gegeben, aber diese selbstherrliche Art der Schönen… der schönen Frauen… Innerlich verdrehte er die Augen. Dann war es für ihn Zeit die Wasser zu besteigen, in einem Akt der Höflichkeit bot er seiner Cousine und der nahe stehenden Rahjadienerin die Hand an – auch wenn er nicht hoffte, dass sie seinem Aufruf folgen würde. „Wenn ihr mögt.“ Sagte er schlicht nicht einmal gespielt höflich, der Respekt vor der Herzogenmutter und die Abstrusität der Situation hielt ihn hier zusammen und auf Kurs. Dann würde er sich aufmachen… aufmachen um aufzuwachen oder wahrlich durch ein magisches Weltenportal zu steigen, um – mit wem auch immer – gemeinsam eine Rätselreise zu tun!

„Oh, das ist aber nett,“ entgegnete Rajalind Welfs Geste und legte mit einem freudigen Lächeln ihre Hand in die des Kriegers.

Imma war immernoch schummrig. „Ich werde mich auch nach Albenhus begeben. Ich kenne mich dort nicht so gut aus wie in Elenvina, aber ich denke doch es ist besser, wenn wir unsere Kräfte einigermassen aufteilen.“ Sie suchte den Blick der Herzogenmutter und nickte ihr zu. Dann schritt die junge Frau langsam zu dem Portal, das nach Albenhus führen würde, zu.

Ellian hatte genug gehört und konnte nicht verstehen, warum sich die Herzogenmutter hier unterordnete. "Verzeiht Eure Hoheit, aber wie könnt Ihr nur so unterwürfig reagieren? Ihr wurdet von diesem... Wesen hier entführt. Ihr könnt Euch doch nicht so einfach bereit erklären Spielball dieses Muschelfürsten zu sein. Tut mir leid, ich werde mich hier nicht auf eine Suchaktion für jemanden begeben, der nur seine Nichte nicht unter Kontrolle hat. Ich reise nach Elenvina und werde die Flussgarde benachrichtigen." Ohne auch nur auf eine Antwort zu warten verbeugte sich der Knappe kurz, sprang über die Reling und lief zügig durch das entsprechenden Tor.

Aureus von Moosgrund war sich bis zu diesem Moment unschlüssig gewesen. Im Geiste war er die Möglichkeiten durchgegangen, hatte versucht, die Rätsel um Städte und Gegenstände zu lösen, und sich doch nicht für eines davon entscheiden können. Ellians Entscheidung, zurück zu gehen und Bericht über die Vorkommnisse zu geben, erschien ihm das einzig Sinnige. Dies hier war kein Scherz und die alte Dame, der sie Gäste waren, nicht irgendwer! Er konnte sie hier nicht beschützen, was Ritterpflicht gewesen wäre. Er wollte sich aber auch nicht für die Machenschaften magischer Wesen hergeben. Zurück nach Elenvina zu gehen und dort im Tempel des Herrn Praios um Beistand zu ersuchen, dies wollte er tun. „Euere Hoheit, Anbetracht der Tatsache, dass der Herre Praios über Recht und Ordnung verfügt, will ich ebenfalls zurück gehen, um in der Wehrhalle zu verkünden, was sich zugetragen hat. Auch muss Ihre Exzellenz, die Landhauptfrau, von eurem Schicksal erfahren. Ich sehe mich in der Pflicht, dies zu tun. Die Zwölfe mit Euch, Praios und Rondra voran!“ Kurz wartet der Firnholzer Knappe eine Regung der Altherzogin ab. Dann ging er Ellian nach.

—> weiter in Teil 2: Albenhus

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