Eine Harte Schule Geschenk

Kapitel 41: Geschenk

Wenig später saßen Jariel und Doratrava auf ihren Pferden und traten gemeinsam den kurzen Weg hinunter ins Dorf an. Wie es schien, war der junge Ritter an ihrer Seite ein schweigsamer Geselle, richtete er doch den ganzen Weg über kein einziges Mal das Wort an seine Begleitung. Erst als die beiden vor dem Tempel hielten sollte sich das ändern. „Ich warte hier. Mach es kurz …“, meinte er knapp und in beiläufigem Ton, während er mit dem Kopf auf die Pforte des Tempels deutete.

Doratrava hatte erst ein wenig gebraucht, um die Fassung wiederzugewinnen, und dann war auch schon das Dorf vor ihnen aufgetaucht, so dass auch sie noch keine weiteren Worte an den Ritter gerichtet hatte. Jetzt blickte sie ihn aber an mit ihren blassgrünen Augen und erklärte: „Ja, schon gut. Habt Ihr es so eilig? Ich muss erst sehen, ob ich Alegretta jetzt finden kann.“ Dann ließ sie sich elegant vom Pferd rutschen, allerdings hatte sie wieder das Problem mit dem Kleid. Während des Rittes hatte sie sich hinter dem Ritter gehalten, da es keinen Grund gab, diesem unziemliche Einblicke zu gewähren. Nun rückte sie das Kleid wieder zurecht, ohne Jariel einen weiteren Blick zu gönnen, und dann betrat sie den Tempel.

Nun, ganz so schnell würde es nicht gehen. Doratrava musste sich ja wieder entkleiden und waschen, dann eines der Tempelgewänder anziehen, bevor sie weiter ins Innere konnte. Das Bündel, zu dem sie ihr neues Kleid zusammengelegt hatte, und die Stiefel nahm sie aber gleich mit. Dann sah sie sich nach Alegretta oder Gelda oder dem Novizen um – oder Linnart.

Nach einigen Momenten des Suchens fand sie dann schließlich die alte Gelda, die gerade dabei war den Tempelraum zu fegen. „Oh junge Dame …“, meinte sie, als sie der Gauklerin ansichtig wurde, „… Ihr seid schon wieder zurück?“

„Hallo Gelda“, Doratrava winkte ihr zu. „Ja, ich habe ja nur meine Sachen vom Gut geholt und möchte mich jetzt von Alegretta verabschieden. Ist sie denn mittlerweile wieder aufgetaucht?“ fragte die Gauklerin flapsig. Sie versuchte sich mit übertriebener Heiterkeit von den äußeren Eindrücken abzuschirmen. Alles hier erinnerte sie an Rahjalind, fast war es ihr, als könne sie die geliebte Novizin aus den Augenwinkeln durch eine Tür treten oder auf einer Bank sitzen sehen, bis sich das Trugbild auflöste, wenn sie den Kopf drehte..

„Oh äh ja …“, die ältere Frau lächelte etwas schüchtern, „… ich werde sie holen. Wartet hier doch bitte.“ Mit diesen Worten verschwand sie auf der Treppe hoch zu den Gemächern.

Es verging fast ein viertel Stundenglas. Dann kam Gelda mit gesenktem Kopf und Alegretta wieder. Letztere war nur in einen fast durchscheinenden, weißen Morgenmantel gehüllt. Es war deutlich zu sehen, dass sie darunter nichts trug. Besonders an verschwitzten Partien ihres Körpers lag das Tuch wie eine zweite Haut auf. Die vormals geordneten Haare waren wirr zerrauft und an ihrem Hals und Dekolleté begann die Haut sich zu röten, als hätte Alegretta sich gekratzt. Trotzdem ging von der Geweihten eine gewaltig erotische Ausstrahlung aus. Zuvor hatte der Duft nach Flieder dezent dominiert, nun roch sie nach Schweiß, Mann und körperlicher Liebe, was hier in Rahjas Haus das Wesen der Göttin perfekt ergänzte. Allerdings war Alegretta nicht bester Laune. "Was ist, Doratrava? Gelda hat sich um deine Sachen gekümmert und ich habe gerade zu tun." Ich bin noch nicht fertig. Dieser Satz hing unausgesprochen in der Luft.

Doratrava starrte die Hochgeweihte an, während diese die Treppe herunterkam. Es dauerte ein wenig, bis der Kreuzer fiel: Alegretta in diesem Zustand, Linnarts Pferd noch da, Linnart nirgends zu sehen. Linnart, der Sargnagel ihres Glücks, vergnügte sich mit Alegretta, während ihr selbst nur unerfüllbare Träume und schmerzhafte Erinnerungen blieben. Doch sie kämpfte die aufsteigenden Tränen nieder. Sie musste sich daran gewöhnen. Das würde sie in nächster Zeit noch viel öfter machen müssen.

„Alegretta“, brachte die Gauklerin schließlich reserviert hervor. „Ich wollte nicht gehen, ohne mich noch einmal zu bedanken und mich richtig zu verabschieden. Aber scheinbar wäre dir das lieber gewesen.“ Der letzte Satz zwängte sich flugs durch ihre Lippen, bevor sie diese schließen konnte. Nun konnte sie ihn nicht mehr zurückholen, also warf sie kämpferisch die Haare zurück, als hätte sie diese Aussage mit voller Absicht getätigt. In ihren tiefgrünen Augen spiegelte sich eine Mischung aus Trotz, Herausforderung, Vorwurf, tief empfundenem Schmerz und Resignation, der ihre Haltung Lügen strafte. „Draußen steht ein ungeduldiger Ritter, der mich eilends zur Reichsstraße bringen will“, fügte Doratrava dann noch an, vielleicht als Entschuldigung dafür, dass sie nicht hatte warten können. Vielleicht auch nur als Beschreibung der Tatsache.

Alegretta lächelte etwas verwirrt, aber nicht unfreundlich. Anscheinend hatte sie nicht damit gerechnet und war zudem in Gedanken noch anderswo. "Das ist lieb, Doratrava, das hatte ich gar nicht erwartet. Wir haben deine Sachen hier." Sie hob die Augenbrauen und Gelda beeilte sich, ein dickes Bündel an Doratrava zu übergeben. "Wenn es dich erneut hierher verschlägt steht dir hier jederzeit die Tür offen. Nur keine Scheu." Sie grinste und biss sich auf die Unterlippe. "ich muss mich nun leider entschuldigen, das Anliegen ist kompliziert und bedarf weiterer Klärung. Rahja sei mit Dir." Sie wandte sich zum Gehen und ließ Gelda mit Doratrava zurück.

Erneut starrte Doratrava, diesmal der Hochgeweihten hinterher, als sie die Treppe wieder nach oben schwebte. Anliegen. Kompliziert. Weitere Klärung. Soso. Dieses Dorf … diese Leute … sie schüttelte den Kopf, wollte nicht näher darüber nachdenken. Sie klemmte sich das Bündel zu ihrer Kleidung unter den Arm, dann wandte sie sich nochmals Gelda zu. „Tja … ich gehe jetzt … ich weiß nicht, wann ich das nächste Mal hier sein werde. War nett, dich kennengelernt zu haben.“ Sie blickte zu Boden, dann kam ihr ein Gedanke und sie blickte wieder auf. „Gelda, kommst du kurz mit raus? Ich möchte Rahjalind ein Geschenk machen, nachdem ich sie nun nicht mehr vor ihrer Abreise gesehen habe. Aber das befindet sich in meinen Sachen draußen.“

Die ältere Frau hatte immer noch rote Bäckchen, fing sich jedoch schnell. Sie nickte. „Ja, ich komme gerne mit.“ Was es wohl für ein Geschenk war, das die Gauklerin für die junge Dame hatte? Gelda war etwas aufgeregt. Innen drin fühlte sie jedoch auch Mitleid für Doratrava, die wirkte wie ein geprügelter Hund. Ja, die Liebe … auch Dienerinnen der schönen Göttin waren nicht davor gefeit, sich in Liebesdingen unbeholfen zu verhalten. Die Gaben Rahjas waren eben launisch, es gab keine Halsgerichtsordnung wie in einem Inquisitionsprozess, an der man sich festhalten konnte. Liebe war chaotisch und dazu in der Lage, selbst den stärksten und gefestigtsten Geist aufzuwühlen. Gemeinsam schritten die beiden Frauen aus dem Portal des Tempels, nachdem Doratrava sich wieder umgezogen hatte.

Der Ritter wirkte schon ziemlich ungeduldig, zumindest war das Doratravas Eindruck, aber damit musste er jetzt halt leben. „Moment“, bedeutete die Gauklerin Gelda, denn sie musste erst einmal das Bündel mit den Geschenken Alegrettas verstauen, um die Hände freizubekommen. Dann begann sie, in ihrem eigenen Gepäck zu wühlen, was auch noch ein Weilchen dauerte, hatte sie darin doch keine spezielle Ordnung, außerdem war der gesuchte Gegenstand sehr klein.

Aber endlich hatte Doratrava gefunden, was sie suchte. Sie überreichte der neugierig jeden ihrer Handgriffe beäugenden Tempeldienerin nun einen goldenen Ring mit einem in der Sonne in innerem roten Feuer leuchtenden Stein, die Oberfläche des Rings selbst fein ziseliert mit Blumenranken. Das Schmuckstück mochte ein wenig groß für einen schlanken Frauenfinger sein, aber ohne Frage handelte es sich um einen Gegenstand von hohem Wert, wie man ihn nicht im Besitz einer einfachen Gauklerin vermuten würde.

„Den Ring habe ich vor etwas über zwei Jahren vom Bey von Ukaban bekommen, das ist südlich von Punin. Für einen Tanz. Ich wollte ihn nicht tragen, da er viel zu auffällig ist, außerdem zu groß, und verkaufen wollte ich ihn auch nicht. So ein Geschenk verkauft man nicht einfach. Aber weiterverschenken … an einen geliebten Menschen … dagegen hätte der Bey doch sicher nichts.“ Nun kamen doch wieder die Tränen, sie konnte nichts dagegen tun. Die Trennung von dem Ring für Rahjalind spülte auch alle Gefühle der Trennung von Rahjalind selbst wieder an die Oberfläche ihres Bewusstseins. Mit erstickter Stimme sprach sie weiter: „Gelda, bewahr den Ring gut auf und gib ihn Rahjalind, wenn sie das nächste Mal herkommt. Sag ihr, es ist ein Geschenk von Herzen und soll sie an mich erinnern. Aber sag ihr auch, es soll sie zu nichts darüber hinaus verpflichten. Es ist ein Geschenk, keine Fessel.“ Weiter konnte Doratrava nicht sprechen, daher umarmte sie die Tempeldienerin nun impulsiv, stellvertretend für alle hier und vor allem für ihre geliebte Rahjalind. Die Tränen flossen frei und sie hielt Gelda eine ganze Weile mit genau der Kraft, die man einem zierlichen Wesen wie der Gauklerin auf den ersten Blick nicht zutrauen würde.

Auch die Mittfünfzigerin umarmte die Gauklerin fest. So Abschiede taten ihr immer weh, auch wenn es nicht direkt sie selbst betraf.

Dann, endlich, ließ Doratrava von der Tempeldienerin ab und wischte sich mit dem Arm über das Gesicht, um wenigstens wieder klar sehen zu können. „Rahja mit dir, Gelda, Rahja mit euch allen!“

„Was für ein wundervolles Geschenk …“, meinte Gelda dann anerkennend und wischte sich selbst auch eine Träne aus ihrem Gesicht, „… ich werde gut auf ihn Acht geben und ihn der jungen Dame … äh … Rahjalind überreichen, das verspreche ich dir.“ Noch nie hatte die Frau so etwas wertvolles in ihren Händen gehalten, dennoch stand es für sie außer Frage, dass sie ihr Wort halten würde. „Rahja mir dir, Doratrava. Komm bald wieder und pass auf dich auf. Wir werden dich vermissen.“

Nun wandte Doratrava sich Jariel zu. „Jetzt können wir“, sagte sie nur krächzend, doch sie schämte sich ihrer Tränen nicht. Dann schwang sie sich auf ihr Pferd.

Der nickte ihr knapp zu, verabschiedete sich von Gelda und setzte sein Pferd in Richtung Seeheim in Bewegung.

- Fin -

Kapitel 40: Abschied