Eine Harte Schule Ausritt

Kapitel 1: Ausritt

Linnartsteiner Lande, Ende Travia 1043 BF:

Rahjalind und Doratrava waren den ganzen Tag mit ihren Pferden unterwegs gewesen. Die Linnartsteinerin hatte ihrer Freundin versprochen, ihr die Schönheit ihrer Heimat näher zu bringen und sie sollte nicht zu viel versprochen haben; gemeinsam ritten sie vom Landgut Linnartstein gen Firun in die wunderschönen, vom orangefarbenen Blattwerk der schier unzähligen Weinstöcke gezeichneten Weinberge im Herzen der Baronie Kyndoch. Hier, wo man außer den Arbeitern in den Weinbergen und den Bannstrahlern vom Kloster St. Aldec kaum Menschen antraf, genossen die beiden Frauen die Schönheit der Natur. Spielerisch bezeichnete die Novizin ihren Ausflug als ´Suche nach der Weinbeergeiß´ - ob Rahjalind jedoch wirklich daran glaubte, dieses mythische Wesen hier anzutreffen, konnte die Gauklerin jedoch nicht sagen.

Das Mittagsmahl nahmen sie im Dörfchen Schönfelde ein, einer kleinen Siedlung firunwärts der Weinberge, die eigentlich nicht viel mehr war wie die Ansammlung einer Hand voll Gutshöfe rund um die Schenke Storchengold. In eben jener von viel fahrendem Volk aufgesuchten Bleibe aßen sie Speisen aus jenen Feldfrüchten, die auf dem fruchtbaren Boden so wohl gediehen. Rahjalind erklärte, dass wenige Schritt nördlich des Dorfes die Lande Kronaus und Ostendorfs lagen. Eine sehr dicht besiedelte und fruchtbare Gegend am Fluss Rodasch. Ganz anders sollte es dort sein – Menschen wohin das Auge sah und nicht viel von der Ruhe und Abgeschiedenheit der Weinberge Linnartsteins.

Nach dem Mittagsmahl ritten die beiden Freundinnen wieder gen Praios. Das Kloster St. Aldec inmitten der Weinberge ließen sie auf Wunsch Doratravas aus, doch zu ihrer Verwunderung kehrten sie nicht zum Gut zurück, sondern ritten weiter ins Dorf Linnartstein. Die Gauklerin kannte dieses bereits von ihrer Anreise, doch hatte sie sich nicht wirklich darin aufgehalten.

Öfter am Tag meinte Rahjalind ihr gegenüber jedoch, dass sie sich das Beste bis zum Ende aufheben wollte. Was genau das bedeuten sollte, konnte sich Doratrava jedoch gegenwärtig nicht ausmalen. Im lieblichen Dorf angekommen führte sie der Weg hin zum Dorfplatz in die dortige Gaststätte ´Zur springenden Geiß´, wo sie ihr Abendmahl einnehmen wollten und, so dachte die Gauklerin, wohl auch die Nacht verbringen würden, war es für einen Ritt zurück zum Gut Linnartstein doch schon zu dunkel.

Wenig später saßen die beiden jungen Freundinnen vor einer schön angerichteten Platte voll mit Würsten, Käse, Brot und Weintrauben. Rahjalind aß davon und warf ihrer Freundin dabei stets lächelnde, vielsagende Blicke zu.

Doratrava hatte den schönen Tag und die Begleitung und Führung ihrer Freundin sehr genossen; ja, manchmal hatte sie sich auch zum Genießen gezwungen, denn ihre Auseinandersetzung um die Bedeutung der Liebe lag nicht lange zurück, so dass die Erinnerung daran manchmal unvermittelt und ungebeten ihr Haupt erhob, um einen kleinen Stich durch das Herz der Gauklerin zu jagen. Immer dann hatte Doratrava sich gewaltsam zusammengerissen und die Erinnerung wieder eingeschlossen … nein, nicht in eine dunkle Kammer in den tiefsten Tiefen ihres Geistes, sondern eher in ein komfortables, lichtdurchflutetes Gemach, welches sich von einem herrschaftlichen Gästezimmer lediglich durch die von außen verschlossene Tür unterschied. Denn die Gauklerin wollte die Erinnerung nicht verdrängen, sondern sie als lehrreiche Erfahrung bewahren, welche ihr vielleicht in einer ähnlichen Situation in Zukunft rechtzeitig Mahnung und …. Ansporn zugleich sein konnte. Für was auch immer.

Mit Fortschreiten des Tages hatte die Erinnerung es zunehmend schwer gehabt, aus ihrem goldenen Käfig zu entfliehen, so dass die Stiche seltener geworden und Doratravas leicht bittere Freude an dem Ausflug echtem Genuss gewichen war. Rahjalinds perlendes Lachen, das Spiel ihrer Haare im Wind, die blitzenden Augen, ihre anmutigen Bewegungen – die Gauklerin musste sich keine Mühe geben, sich in diesem Anblick zu verlieren. Das schöne Wetter und die malerische Landschaft taten zusammen mit der körperlichen Bewegung das Ihrige dazu, für eine fast schon unwirklich wohlige Stimmung zu sorgen, welche Sorgen und Nöte unendlich fern erscheinen ließ. So könnte es doch immer sein …

Doch langsam setzte sich Doratravas natürliche Neugier durch. Rahjalinds Andeutungen in den letzten Stunden hatten eine Weile gebraucht, um durch den Mantel aus behaglicher Zufriedenheit zu dringen, in den die Gauklerin sich gehüllt hatte, aber jetzt beim Abendessen waren die bedeutungsschwangeren Blicke nicht mehr zu übersehen.

„Jetzt sag‘ schon“, brach es schließlich aus Doratrava heraus, als ein erneuter Blick voll schalkhaften Lächelns sie über die übervolle Platte, welche vermutlich auch vier Leute satt machen konnte, hinweg traf. „Was ist es denn, dass du mir noch zeigen möchtest? Spann‘ mich nicht länger auf die Folter!“ forderte die weißhaarige Gauklerin in spielerisch-anklagendem Ton und sah Rahjalind dabei mit kaum verhohlener Erwartung in die im Licht der Talglampen funkelnden Augen.

„Nicht etwas …“, das Lächeln der jungen Novizin wurde breiter, „… Jemanden.“ Kurz deutete Rahjalind mit einem einfachen Kopfnicken beim nahen Fenster hinaus. „Du hast mich doch vor Kurzem gefragt wie denn mein Leben als Dienerin der Rahja so abläuft. Vielleicht kannst du mich ja bald besser verstehen.“

Die junge Linnartsteinerin bemerkte sogleich den fragenden Gesichtsausdruck Doratravas und kam einer Frage der Gauklerin zuvor. „Ich habe dir ja gesagt, dass ich in keinem Tempel Dienst tue…“, sie biss sich kurz auf ihre edel geschwungene Lippe, „… nun das war zwar bis vor Kurzem so, hat sich aber vor ein paar Monden geändert. Es ist für mich immer noch sehr ungewohnt, deshalb habe ich auf deine Frage eine nicht mehr ganz aktuelle Antwort gegeben.“

Die Novizin lächelte etwas beschämt und griff dann nach dem Kelch Traubensaft, der vor ihr auf dem Tisch stand. „Die Person, die ich dir vorstellen will ist meine Lehrmeisterin Alegretta. Sie betreut den neuen kleinen Tempel hier im Dorf. Du wirst sie bestimmt mögen und vielleicht kann sie dir helfen … du weißt schon.“ Rahjalind nickte Doratrava aufmunternd zu. „Wegen dem heute Morgen.“

Die Erklärungen ihrer Freundin jagten den ein oder anderen Schauer den Rücken der Gauklerin hinunter. Den ganzen Tag schon hatte sie versucht, den Streit vom heutigen Morgen zu verarbeiten, und nun kam Rahjalind selbst darauf zurück. Wieder fuhr ein Stich durch Doratravas Herz, als sie die Worte ihrer Freundin vernahm. Doch Doratrava hatte den Tag genutzt, um sich gegen weitere emotionale Attacken zu stählen, war sie sich doch dessen bewusst, dass der Konflikt mit der Novizin nicht endgültig ausgestanden war. Deshalb war es ihr möglich, gute Miene zum ‚bösen‘ Spiel zu machen. „Ach ja?“ antwortete sie deshalb durchaus heiter. „Dann … ist sie hier in der Nähe?“ Doratravas Stimme klang ein wenig unsicher. Irgendwie drängte sich das Bild von Rahjania vor ihr inneres Auge, der irgendwie aufdringlichen Geweihten, welche sie bei der Jagd von Nilsitz kennengelernt hatte und welche die erste weibliche Rahjageweihte war, die sie überhaupt näher kennengelernt hatte. Diese war ihr durchaus seltsam vorgekommen, insofern war sie nicht sofort Feuer und Flamme für Rahjalinds Überraschung.

Aber gut, Geweihte waren auch nur Menschen, also wollte Doratrava der angekündigten Geweihten eine Chance geben. „Alegretta also“, antwortete die Gauklerin ihrer Freundin. „Da bin ich ja mal gespannt. Wann treffen wir sie denn?“

Rahjalind bemerkte die leichte Unsicherheit ihres Gegenübers und entgegnete diesem Eindruck mit einem aufmunternden Lächeln. Je länger das Gespräch heute morgen her war, desto mehr wurde die Novizin wieder jene junge Frau, die Doratrava kennenlernen durfte. Ihr saß nun wieder jene Ausgeburt an Unbeschwertheit und guter Laune gegenüber, die sie auch die letzten Tage über war – mit eben jener kurzen Unterbrechung beim Morgenmahl. Auch Dienerinnen der Liebesgöttin waren nicht davor gefeit sich vor emotionalen Ausbrüchen zu verschließen. Vor allem wenn diese jung waren wie Rahjalind.

„Wir werden sie treffen wenn wir mit dem Essen fertig sind.“, kam es dann und just wurden die beiden von einer Person unterbrochen, die Rahjalind allem Anschein nach kannte. Doratrava konnte deutlich erkennen, dass ihre Freundin hier ein viel- und gern gesehenes Gesicht war. „Wenn du bereit bist, können wir los. Der Tempel ist auf der anderen Seite des Dorfplatzes. Bloß einen Steinwurf von hier entfernt.“

Doratrava zog das Abendessen noch ein wenig in die Länge. Nicht, weil sie ausgesprochen hungrig war, zumal sie es nicht gewohnt war, solche Mengen an Essen, wie sie hier vor ihr standen, zu vertilgen, sondern weil sie dabei noch ein wenig ihren Gedanken nachhängen konnte. Und, was noch schöner war, sie konnte sich am Anblick ihrer Freundin, an ihrer Begeisterung, dem Blitzen ihrer Augen, dem süßen Lächeln auf ihren Zügen erfreuen, darin baden. Die Gauklerin blieb zwar weitgehend still, aber Rahjalind konnte ihr ansehen, dass sie den Abend genoss wie schon den ganzen Tag, dass sie wieder froh und glücklich war. Noch nicht ganz so wie am gestrigen Abend vielleicht, aber immerhin …

Doch schließlich bedeutete Doratrava ihrer Freundin, dass sie aufbrechen konnten. Neugierig war sie ja schon.



Kapitel 2: Tempel