Dunkle Nacht


Ort: Grafschaft Isenhag, Baronie Eisenstein, Im Rahjatempel

Zeit: Ende PRA 1046 B.F.

Inhalt: Der Anconiter Gudekar von Weissenquell hat sich in die Obhut des Rahjatempels zu Eisenstein unter Leitung von Rahjan Bader begeben.

Eine Briefspielepisode von AnFe.

Dunkle Nacht

Es war Nacht im Eisensteiner Rahjatempel. Eine jener langen, schier nicht enden wollenden Nächte, die der Anconiter allein in seiner Kammer verbrachte. Seit fast einem Mond war er nun schon in der Obhut des Gastgebers der Leidenschaft, Rahjan Bader. Es war eine Zeit der Ruhe und der Besinnung für den Albenhuser Heilmagier. Eigentlich wollte Gudekar von Weissenquell nur die Namenlosentage in Begleitung des Hochgeweihten verbringen, um nach den aufwühlenden Ereignissen unter der Eilenwïd zu verarbeiten und die Vorwürfe des Verrats und der Paktiererei, die nach dem Ritual laut geworden waren, verklingen zu lassen, und zu Beginn des neuen Jahres nach Traurigenstein weiterreisen, um dort seine Geliebte, die Ritterin Meta Croy zu treffen. Doch bald merkte, wie sehr sie Ruhe und Abgeschiedenheit seiner geschundenen Seele gut tat, wie sehr er die Gespräche und Dispute mit dem Geweihten, den er inzwischen einen Freund nennen wollte, genoss. Selbst Hedian hatte sich nur noch selten zu Wort gemeldet.

Seine Hochwürden Rahjan hatte dem Anconiter Hilfe versprochen und ihn eingeladen, hier zu verweilen, bis seine Seele wieder rein war. Rahjan hatte den Eindruck, dass bei Gudekar etwas im Argen lag. Er hatte das Gefühl, dass Gudekar bei ihren gemeinsamen Gesprächen ihm immer dann auswich, wenn travianische Werte und Gebote zur Sprache kamen, und es Gudekar fast schon schlecht wurde, wenn er darüber reden musste. Oft gingen sie gemeinsam durch den Tempel und den Rosengarten spazieren. Dieser war in zwölf Teile unterteilt, für jede der zwölf Gottheiten einen. Immer wenn sie den Teil, der Travia gewidmet war, durchschritten, oder sich dem Traviaschrein im Speisesaal näherten, reagierte Gudekar auffällig und es schien ihm unangenehm zu sein, travianischen Boden zu betreten. Es schien ihm keine Schmerzen zu bereiten, aber das Unwohlsein war dennoch auffällig. Das wiederum passte zu den Berichten von Gudekarss Weggefährten, dass er sich auf ihren gemeinsamen Reisen eigenartig verhielt, wenn sie gemeinsam traviagesegnete Brot geteilt hatten. Gudekar schien dabei fast übel zu werden und er sagte, dass Brot würde fad schmecken, fast, als sei es mit Steinmehl gebacken anstatt mit Getreide. Immer wieder testete Rahjan Bader, der sehr sensibel für solches Verhalten war und eine gute Menschenkenntnis hatte, diese Reaktionen bei seinem Schützling aus.

Auf Dauer fiel es Rahjan auf, dass Gudekar vermied, seine Mahlzeiten im Speisesaal mit dem Traviaschrein einzunehmen. Stattdessen aß er entweder in seiner eigenen Kammer oder im der Göttin Peraine geweihten Kräutergarten, wenn das Wetter dies zuließ. Dort hielt sich der Anconiter sowieso besonders häufig auf. Er hegte die Pflanzen mit tiefster Hingabe. Wenn er das Gefühl hatte, unbeobachtet zu sein, wanderte jedoch das eine oder andere Blatt von Pflanzen wie zum Beispiel Gulmond oder Ilmenblatt in seiner Tasche – oder direkt in seinem Mund.

Kamen ihre Gespräche auf Gudekars Ehe und seine Beziehung zu der Ritterin Meta Croy zu sprechen, und versuchte Rahjan, Wege und Optionen aufzuzeigen, aus der Misere dieser Beziehungen zu gelangen, die keine der beiden Frauen verletzen würde, so änderte sich Gudekars Verhalten oftmals. Wie zum Schein ging er auf Vorschläge ein, nur um Rahjans Bemühungen im nächsten Augenblick wieder zu sabotieren. Gudekar wirkte auf Rahjan wie ein Süchtiger, der alles Mögliche versuchte, um die Sucht zu verbergen. Bei Gudekar schien es eine Sucht nach Unfrieden und Rastlosigkeit zu sein.

Allerdings, so machte es auf Rahjan den Eindruck, wurde Gudekar ruhiger, wenn immer allein dessen Liebe zu Meta zur Sprache kam. Immer wieder betonte er, wie sehr er die junge Frau liebte und wie sehr diese Liebe von Rahja gewollt war, ohne jedoch den wahren Grund zu nennen, warum er sich dessen so sicher war. Gudekar schien etwas über Meta zu wissen, das nicht preiszugeben bereit war. Und Rahjan fragte aus Respekt vor der Ritterin nicht weiter nach. Allerdings fragte der Gewihte seinen Schützling einmal, ob dieser irgend einen persönlichen Gegenstand von Meta als Geschenk bekommen hätte. Einen Ring, Amulett oder etwas dergleichen? Sogleich erzählte Gudekar von einer Haarlocke, die Meta sich am Abend nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht abgeschnitten hatte, und die Gudekar seitdem stets in einem Beutelchen bei sich trug. Und von einer getrockneten Rose, die sie ihm einst mit einem Brief geschickt hatte. Auch diese bewahrte er noch immer auf.

Die Nächte hier im Tempel waren für Gudekar das Schlimmste an seinem Aufenthalt, fand er doch keinen Schlaf. Anfangs teilte sich Gudekar eine Kammer mit einem weiteren Gast des Tempels, hatte doch Rahjan Bader gehofft, die Gesellschaft würde Gudekar guttun. Doch die endlosen Nächte, in den er still und regungslos in seinem Bett liegen musste, damit seine Schlaflosigkeit nicht auffiel, waren eine Qual für den Anconier. Nur ab und an fand er für vielleicht eine knappe Stunde Schlaf, doch meistens lag er die ganze Nacht wach und ging seinen Gedanken nach. Oftmals suchte Gudekar deshalb bis spät in die Nacht die Gesellschaft anderer Rahjanis zur Zerstreuung. Er genoss gemeinsame Spaziergänge unter dem Sternenhimmel in den lauen Sommernächten oder er suchte den Schrein der Göttin Tsa auf, um Neues auzuprobieren, sich gestaltend mit Malerei und Musik zu betätigen. Doch fehlte ihm die Geduld, seine Fertigkeiten darin zu verbessern und so wechselte er schnell zwischen den Aktivitäten. Er begründete dies damit, dass es Tsa eine Freude war, immer wieder viel Neues auszuprobieren, sobald das Vorherige bekannt war. Meistens jedoch setzte sich Gudekar zu anderen geselligen Runden, um den guten Wein, den die Keller des Tempels hergaben, zu genießen. Der Wein machte die langen Nächte erträglicher, doch zu oft durfte er auch nicht bis in die späte Nacht feiern, ohne dass seine Schlaflosigkeit auffiel, wenn er nach einer durchzechten Nacht am nächsten Morgen frisch und munter wirkte, als hätte er acht Stunden am Stück geschlafen.  

Deshalb bat Gudekar bald Rahjan Bader, ihm eine eigene Kammer zuzuweisen, der diesem Wunsch nachkam. Nun konnte Gudekar die schlaflosen Nächte nutzen, um in Büchern zu lesen und seine Studien zu vertiefen. Stets war der liebliche Wein des Tempels dabei sein treuer Begleiter. Wenn jemand an der Tür seiner Kammer vorbei lief oder vom Garten aus auf das Fenster seiner Kammer blickte, konnte er die ganze Nacht durch einen Schein des Kerzenlichts sehen.


Und so drang auch in dieser dunklen Nacht wieder ein Lichtschein aus Gudekars Kammer.