Die Tannenfelserin

Kapitel 2-4: Die Tannenfelserin

Autoren: Ambelmund

1042 B.F., Herzogtum Nordmarken ---

Haar und Obergewänder waren noch feucht vom feinen Nieselregen, der in den letzten, kühlen Tagen nahezu ununterbrochen auf Burg Fadersberg niederging und vom Eintreffen des Herbsts kündete. Celissa von Tannenfels kam gerade vom Kampfplatz unterhalb der Burg, wo sie mit der Baronin einige Übungskämpfe ausgetragen hatte. Diese Stunden waren regelmäßig die besten des Tages. Diejenigen, in denen die beiden Frauen unter sich waren und sie, obgleich schwer schnaufend von den anstrengenden Schlag- und Paradefolgen (anderes als Wunnemine stand sie nicht mehr ganz in der Blüte ihrer Jahre), offen mit Wunnemine sprechen konnte.
Celissa hatte heute aber wieder das leidige Thema angeschnitten. Als Hofrätin und enge Vertraute der Baronin war das ihre Pflicht. Dreißig Sommer zählte Wunnemine bereits, und war noch immer ohne Gemahl und Nachwuchs. Am Ende würde ihr noch ein Lipsteyn folgen... wie jedes mal ging das rondrianisch geführte Gespräch dann in eine schnelle Folge härter vorgetragener Schläge seitens Wunnemines über, derer sie dich erwehren musste. Man merkte immer noch deutlich die Handschrift ihres Vaters als der erste Schwertlehrer ihrer heutigen Lehensherrin, musste sie immer wieder, an besseren Tagen schmunzelnd, feststellen.
Gerade hatte sie sich umgezogen, als es klopfte und Ringard eintrat. Celissas gute Laune trübte sich ein. Sie war Ringard zwar nicht böse, eher betrübt über deren Werden: Zuerst war sie ja glücklich gewesen, ihre jüngste leibliche Tochter am Hof der Baronin untergebracht zu haben. Um damit dort ein weiteres Ohr zu haben. Und irgendwann eine weitere Stimme für das Haus Tannenfels und das Wohl der Baronie - gerade dann, wenn sie selbst nicht bei Hofe weilte. Aber Ringard war gänzlich ungeeignet hierfür. Ja, sie war fleißig, in der Haushalts- und Gesindeführung befähigt und ferner im Stoffhandwerk bewandert, bisweilen etwas schwatzhaft, und nicht unbegabt, ihren Willen mit subtilen Mitteln durchzusetzen. Ringard war aber einfach in jeder Hinsicht zu jung, zu wenig rondrianisch gesonnen (für eine von Tannenfels sowieso), viel zu häuslich (noch häuslicher als die vor der Traviaweihe stehende Libgard, die sich wenigstens in den Wäldern zurechtzufinden wusste) und daher auch nicht an der Jagd interessiert: kurzum, sie fand so gar keinen Zugang zur kämpferischen Baronin, und würde dies wahrscheinlich auch nie. Sie schlug so gänzlich aus der Art der anderen von Tannenfels, und daran änderte sich auch, entgegen der Hoffnung Celissas, nichts durch ihre überschaubaren, aber halt absehbar nicht wachsenden Aufgaben am Hofe. Es wurde höchste Zeit, in der eigentlich im Hinblick auf die für Wunnemine erwünschten Sache mit gutem Vorbild voranzugehen und damit zu beginnen, wenigstens ihren eigenen Nachwuchs unter die Haube zu bringen.
"Du hast nach mir geschickt, Mutter?"
Celissa blickte noch kurz nachdenklich ins trübe Draußen, dann drehte sie sich langsam zu Ringard um. "Ja, mein Kind. Es wird Zeit, dass wir uns nach einem Gemahl für Dich umsehen."
"Wirklich, Mutter? Meinst Du das ernst?" entgegnete diese in einer zunächst indifferenten Mischung aus erschreckter Überraschung und sogleich einsetzender aufgeregter Neugier. Mehr der Form halber warf sie hinterher: "Ich meine, wären nicht erst einmal Rondrard und Nivard an der Reihe?"
Auch wenn ihr diese nicht zustand, lag Ringard mit ihrer letzten Frage gar nicht ganz falsch. Aber für Rondrard hatte die Edle von Tannenfeld zunächst andere Pläne. Ihr Erbe sollte erst einmal Licht ins Dunkel der leidigen Hechard-Sache bringen und das Ansehen der Familie wieder gänzlich reinwaschen. Dann war er hoffentlich auch bereit, Träger des Familiengeheimnisses zu werden und sich auf seine wahren Aufgaben vorzubereiten. Für den Traviabund war danach Zeit. Und Nivard war gerade bei Elenvina untergekommen, hatte ein Auskommen als Krieger und gereichte der Familie, nach dem, was man hörte, zur Ehre. Über Libgards Traviabund hatte die Kirche der Treusorgenden noch mitzureden. Ringards Vermählung anzugehen lag dagegen auf der Hand. So konnte dieses Missverständnis hier bei Hofe beendet werden. Und vielleicht noch wertvolle Bande zu einem anderen edlen Haus im Herzogtum geknüpft werden.
"Keine Widerrede!" fuhr sie ihre Tochter vielleicht etwas zu scharf an. Gut hörbar waren die Widerworte ohnehin nur halbherzig. "Vor ein paar Tagen war doch diese vom Lilienhain da. Du erinnerst Dich sicher an sie und ihren Vortrag. Ich habe beschlossen, dass wir da hinreisen. Zu dieser Brautschau der Altenbergs. Ein angesehenes und einflussreiches Haus, wie Du weißt! Und selbst wenn es keiner der von Altenbergs wird, so laufen doch hinreichend viele andere Edle dort auf, da werden wir wohl einen passenden Gemahl für Dich finden..." (und sondieren, ob sich noch mehr ergibt).
Celissa seufzte, als Ringard den Raum wieder verlassen hatte. Sie hatte deren am Ende durchaus vorfreudige Anspannung wahrgenommen. Selbst hatte sie dagegen eigentlich gar keine Lust. Aber es gab nun mal Pflichten, denen sich das Oberhaupt eines Edlengeschlechts nicht entziehen konnte. Also auf zum Marktplatz der jungen Edelleute... sie holte Pergament und eine Feder hervor…

-- Main.DanSch - 17 Dec 2019