Die Schnitzeljagd des Herzogs

Die Schnitzeljagd des Herzogs

Ort: StadtElenvina

Zeit: Hesinde 1041 BF

Autoren: RekkiThorkarson und Jürgen

Die Schnitzeljagd des Herzogs
Mit stolzem Blick sah Dwarosch von Kartentisch auf und blickte dem Herzog offen ins Gesicht. Der Oberst hatte Hagrobald soeben alle notwendigen Markierungsarten der Kartenlegende erläutert, so dass das Oberhaupt der Familie vom Großen Fluss die neue, militärische Karte des Isenhag mit ihren speziellen Angaben zu interpretieren vermochte. Mit beiden Händen auf der Kante des Tisches abgestützt und in seine prunkvolle Toschkril- Kettenrüstung gekleidet wartete der Zwerg leicht angespannt auf eine Regung des Herzogs. Dieser jedoch starrte gebannt auf den Kartentisch und schien zu versuchen die Flut an Informationen im Kopf zu verarbeiten. Es war nicht einfach die Karte im Ganzen zu erfassen und zu verstehen. Eine besondere Herausforderung an den Betrachter waren die Vielzahl an Höhenlinien, sowie die schematisch, dreidimensional dargestellten, unterirdischen Tunnel und Hallen der Zwerge, welche sich durch die gesamte Karte zogen, jedoch nur die Randbereiche von Isnatosch und Xorlosch beinhalteten. Die eigentlichen Bergkönigreiche existierten nicht in der Darstelluung. Dies war eine Bedingung der Herren unter den Bergen vom Eisenwald und den Ingrakuppen gewesen.
Als Hagrobald schließlich, noch in Gedanken verloren nickte, ohne jedoch abzusehen, nutzte Dwarosch, um weitere Worte an seinen Herzog zu richten. Die Gelegenheit schien ihm günstig. "Wenn ihr mit dem Ergebnis zufrieden seid eure Hoheit, so benötige ich nur eure Zustimmung und ich werde meine Bemühungen auf die anderen Grafschaften ausweiten, wobei ich mich zunächst um die schwer zugänglichen Bergregion des Vorderkosch und Kosch bemühen würde. Mit dem Baron von Hlûtharswacht habe ich bereits gesprochen. Jost Verian und ich lerneten uns vor Mendena kennen und ich besuchte ihn auf dem Heimweg aus dem Kosch. Der Mogmarog von Dumron Okosch hat mir bei meinem letzten Besuch in Koschim ebenfalls bereits zugestimmt, dass ich mit von ihm zu benennenden Führern die notwendigen Tunnel erkunden und kartografieren darf. Dies gilt auch für den Bergvogt von Stagniazim. Seine Enklave gehört zum Umron Okosch, liegt wie euch sicher bekannt ist auf unserer Seite, unter der dem Gebiet der Baronie Firnholz.”
Hagrobgald blickte auf, einen abschiednehmenden Blick auf die Karte geheftet. "Macht das, Herr Oberst. Gute Sache! Dabei fällt mir ein, dass da im Hesindetempel noch irgendwo ein Kartograph sitzen müsste - geht' doch bei Hochwürden Theodon vorbei und bittet den, euch diesen auszuleihen und nehmt ihn mit. Ein bißchen Feldarbeit schadet den Sesselpupsern ganz und gar nicht. Überaus zufrieden mit seinem Einfall grinste der Herzog breit, strich sich über's Kinn und beugte sich erneut über die Karten. "Eine richtig gute Sache. Was bedeutet das Zeichen hier?" Er wies auf einen kryptischen Eintrag in der Bollharschener Gegend, die für ihre vielen Erzgruben berüchtigt war. "Ein Schacht?"
“Mehr als nur ein Schacht eure Hoheit”, entgegnete der Oberst. “Dies ist der Eingang zur Bergwacht Dagozim. Er stellt einen Einstieg zu dem weitreichenden Netz an Tunneln meines Volkes dar. Die Rune kennzeichnet aber auch gleichzeitig die Route zur ersten, großen Weggabelung unter Tage.” Dwaroschs dicker Zeigefinder fuhr einer dicken, schraffierten Linie entlang bis zu einem Punkt, wo er mehrfach auf die Karte Tippte. “Von dort an sind andere Rogolan, in älteren Systemen auch Angram- Runen zu finden. Unsere Führer wissen damit den Weg durch die Dunkelheit unter dem Berg zu finden.”
“Ach ja, wo wir gerade dabei sind.” Dwarosch sah noch einmal auf. “Da wäre noch eine Sache eure Hoheit. Ich würde gern mit ‘Ingerimms Hammer’ Manöver mit Truppenverbänden anderer Reichsprovinzen durchführen. Mein erster Gedanke war in diesem Falle ebenfalls der Kosch. Ich würde mit eurer Erlaubnis mit dem Wehrmeister unserer Nachbarn sprechen, um zu sehen wie seine Hochgeboren darüber denkt. Habt ihr diesbezüglich Einwände? Der Marschall lässt mir freie Hand diesbezüglich und meinte ich solle euch fragen.”
"Der Wehrvogt entscheidet das nicht, Oberst." Er seufzte aus tiefem Herzen. "War das jetzt also ein offizieller Antrag samt Bitte um Zusammenarbeit?" Ein erneuter Seufzer, den der beistehende Leibdiener inzwischen zu interpretieren gewohnt war. Er reichte seinem Herzog stillschweigend einen Humpen Bier, den dieser in einem gewaltigen Zug zur Hälfte leerte. "Dann werde ich mal meinen neuen Nachbarn testen, was er denn so im Felde kann, und die Frage an ihn schicken lassen. Ich lasse den Marschall und Euch dann benachrichtigen." So wirklich glücklich über die Notwendigkeit ausufernder Verhandlungen wirkte Seine Hoheit nicht.
Dwarosch war sich dieser Tatsache bewusst gewesen. Er hatte hingegen den anderen Weg präferiert, nämlich das der Wehrmeister mit dem Fürsten, seinem Lehnsherren spricht, wenn er sich von dem Zweck eines Manövers überzeugen lies. Aber der Oberst hatte nichts dagegen sich Überzeugungsarbeit abnehmen zu lassen.
“Gut, ich würde dann den Vogt des Hochkönigs auf Hammerschlag aufsuchen, wenn ich positive Rückmeldung aus eurer Kanzlei habe. Es böte sich an eine solche Reise mit anderen Verpflichtungen zu verbinden. Lûr und Ârxozim sind regelmäßige Ziele meiner Reisen im Kosch. Thorben Raul Baduar von Hammerschlag soll ein versierter Mann sein. Ich bin ihn in Mendena nur flüchtig begegnet. Kennt ihr ihn?”
"Den Hammerschlager? Ein fähiger Mann, und trinkfest. Ich bin ihm schon das eine oder andere Mal begegnet. Nun denn - auf in den Kampf. Oder in Eurem Fall, ins Manöver, sobald unser Nachbar zugestimmt hat. Ich sorge dafür, dass alle notwendigen Stellen informiert werden."


Nach der höchst erfreulichen Unterredung mit dem Herzog trat Dwarosch den Weg zum Elenviner Hesindetempel an. Das Wetter war an jenem Herbsttag sonnig, aber mitnichten warm, was dem Oberst, welcher schwer an seiner Prunkrüstung zu tragen hatte, durchaus entgegenkam. Der Zwerg marschierte gelassen, flankiert von zwei seiner Soldaten die breiten, gepflasterten Straßen entlang und rauchte gemütlich seine Pfeife, bevor er in den erstaunlich weitläufigen, wenn auch bei genauem Hinsehen nicht ganz so akkurat wie zu erwarten gewesen wäre gepflegten Elenviner Stadtpark gelangte, in welchem der Tempel der Schlange gelegen war, gar nicht weit entfernt von der Magierakademie der Stadt, kaum mehr als den sprichwörtlichen Steinwurf. Vor dem Sakralbau der Wissenden Göttin hielt der Zwerg schließlich an und legte den Kopf in den Nacken, um das Bauwerk aufmerksam zu mustern. Groß war das Gebäude nicht, doch im verspielten Rohalschen Stil aus weißem Marmor errichtet, mit hexagonalem Grundriss und gekrönt von einer Kuppel aus wahrhaftigem Glas. Diese unterteilte sich in sechs Dreiecke und zeigte in bunten Farben eine sich ringelnde Schlange, welche die ganze Kuppel umspannte und sich selbst in den Schwanz biss, eine überaus kunstvolle Arbeit, wie der Oberst anerkennend feststellte, zumal nicht nur die Schlange selbst abgebildet war. Auf den sechs Flächen fanden sich diverse weitere Gegenstände wie Lupen, Seziermesser, Trichter, Kolben und Pflanzenpressen, zudem hatte jede Fläche eine andere Grundfarbe, von Orange über Rot, Blau und Gelb hin zu Violett und schließlich Grün. Dwarosch musste zugeben, dass er in seinem bisherigen Leben nicht oft in einem Tempel Hesindes gewesen war. Er zuckte mit den Schultern. ‘Mal sehen was dieser Sesselpupser zu sagen hat.’
Er wies seine beiden Männer mit knappen Worten an, draußen auf ihn zu warten, und schritt die breiten Stufen, sechs an der Zahl, zum Eingang des Tempels hinauf, um einzutreten.
Die beiden schmalen Torflügel des Tempels, welche aus dunklem Holz gefertigt waren und ein Labyrinth in sich verschlungener Schlangenleiber trugen, aus denen hier und da ein Kopf mit rubin-oder smaragdfarbenen Augen jeden Besucher kalt und leidenschaftslos zu mustern schien, standen weit offen, dahinter führte ein kurzer Gang zu einem schweren grünen Vorhang mit einer davorstehenden güldenen Opferschale. Erst, als der Zwerg den Vorhang fast erreicht hatte, fiel ihm auf, dass dieser nicht allein einfach grün war, sondern Fäden in verschiedenen Schattierungen dieser Farbe in einer Weise miteinander vernäht worden waren, dass man den Eindruck hatte, zwei schattenhaft erkennbare Augen würden jeder Bewegung des Besuchers folgen, insbesondere, wenn ein schwacher Lufthauch den Vorhang leicht bewegte. Nach kurzem Zögern teilte Dwarosch den Stoff und verharrte nach einem Schritt in den Hauptraum des Tempels. In dessen Zentrum erhob sich eine etwa vier Schritt hohe Statue der Allweisen als barbusige Frau, welche dem Besucher eine großen Schlange mit beiden Händen präsentierte. Geschlagen war die Figur wohl aus demselben weißen, fast durchsichtig anmutendem Gestein wie die Wände des Tempels, so dass die Sonne, deren Licht durch die farbigen Scheiben der Kuppel auf sie fiel, diese in den prächtigsten Farben leuchtend erstrahlen ließ. Ein Schauer der Ehrfurcht erfasste den Zwerg, ganz gleich, was dieser in seinem Leben schon erlebt haben mochte, ein Effekt, welcher vermutlich durchaus beabsichtigt war – von den Erbauern des Tempels oder gar der Göttin selbst, wer vermochte das schon zu sagen?
Es dauerte einen Moment, bis der Oberst des jungen Novizen gewahr wurde, welcher ihn nun offenbar schon zum zweiten Mal ansprach, um ihn nach seinem Begehr zu fragen. Die braunen, nicht sehr langen Haare des jungen Mannes standen wie Stroh nach allen Seiten ab, seine blassblauen Augen musterten den Zwerg ein wenig verwirrt, aber durchaus neugierig, wie diesem schien. Dwarosch riss sich von der Betrachtung des Tempelinneren los, welches auf ihn einen ziemlich unordentlichen Eindruck machte, stapelten sich doch etliche Bücher und Schriftrollen in verschiedenen Nischen und auf kleinen Steintischen sowie in einer Reihe an den Wänden verteilter Bücherregale, dazwischen standen Kisten und Truhen ganz verschiedener Art, welche weitere Schätze bergen mochten.
„Angrosch und Hesinde zum Gruße,“ gab der Zwerg zur Antwort. „Mein Name ist Dwarosch Sohn des Dwalin, Oberst des Herzöglich-Eisenwalder Garderegiments. Herzog Hagrobald legte mir nahe, hier vorzusprechen. Es geht um ein wichtiges Anliegen bezüglich einiger Kartographierungsarbeiten hier im Herzogtum und darüber hinaus, welches ich gerne seiner Hochwürden Thedon näher erläutern möchte.“ Die befehlsgewohnte Stimme des Oberst ließ keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Bedeutung seines Auftrags. „Könnte Hochwürden ein wenig seiner Zeit für mich erübrigen?“
Der Junge blinzelte überrascht, straffte sich aber sogleich und beschied dem Zwergen mit gesetzten Worten „Ich werde nachfragen. Solange überlasse ich Euch Hesindes Obhut.“ Damit eilte er davon. Der Blick des Zwergen folgte ihm, bis seine hagere Gestalt hinter einem der Regale verschwand, um dann die überall ausgebreiteten Schätze des Tempels näher in Augenschein zu nehmen. Bald fiel ihm eine fein ziselierte Grubenlampe auf, welche hinter einem riesigen Folianten („Am Ende der Zeit bleibt ein Garten – vom Leben und Wirken des Preidian von Harkenstich. Mit 127 getreulichen Illustrationen seltener Pflanzen und Tiere“) halb verborgen in einem schmalen Regal auf dem Boden stand. Bei näherer Betrachtung erkannte er unzweifelhaft Xorloscher Handwerkskunst, doch dem Stil nach sicher einige Jahrhunderte alt. Er beugte sich herunter und wollte gerade die in das Metall getriebenen Figuren einer ausführlicheren Untersuchung unterziehen, als der Novize sich neben ihm räusperte. Der Jungspund hatte offenbar das Talent, sich nahezu lautlos zu bewegen, oder kam ihm das nur so vor?
„Seine Hochwürden ist bereit, Euch zu empfangen. Wenn Ihr mir folgen wollt.“ Eine Minute später sah sich der Oberst einem älteren, freundlich wirkenden Mann gegenüber, etwas beleibt, mit einigem Grau in seinen rotbraunen Haaren, soweit diese unter der grünen Kopfbedeckung des Geweihten hervorlugten, und völlig glattrasiert. Der Schlangenhalsreif aus Bronze und Silber, dessen Metalle sich selbst wie Schlangen umeinander wanden, wies ihn als Tempelvorsteher aus. Elador Thedon empfing seinen Besuch in einem recht kleinen Raum, doch auch dieser war voller Bücherregale, so dass neben dem wuchtigen Tisch, hinter dem der Geweihte saß, und den zwei eher schmalen Sesseln, welche wohl den Besuchern als Sitzgelegenheiten dienten, aber sich nicht ausreichten, um einem voll gerüsteten Angroschim Platz zu bieten, nicht viel Raum verblieb. Ein hohes, schmales Fenster in der Rückwand der Stube tauchte diese in bunte Lichter, ganz wie im Altarraum, denn auch dieses Fenster war aus vielfarbigem Glas gefertigt.
Der Hochgeweihte erhob sich von seinem Platz, als der Novize sich verbeugend den Zwergen hereinführte, und neigte huldvoll den Kopf . „Seid gegrüßt, Dwarosch Sohn des Dwalin,“ hub er mit einer leisen, samtigen Stimme zu sprechen an. „Angroschim sind hier im Tempel ein wahrlich seltener Anblick, insofern bin ich durchaus erfreut, einen solchen in Hesindes Namen begrüßen zu dürfen.“ Er breitete die Hände aus, mit der einen gab er dem Novizen einen Wink, woraufhin dieser sich mit einer erneuten Verbeugung zurückzog und die schwere, reich verzierte Eichentür des Raumes hinter sich schloss, die andere machte eine einladende Bewegung zu den beiden Sesseln hin, doch auf halbem Wege ließ der Geweihte sie mit einem entschuldigenden Lächeln fallen. „Weswegen ich auch nicht auf derlei Besuch eingerichtet bin, das bitte ich Euch nachzusehen.“ Dwarosch hatte schon genug mit Menschen, insbesondere auch solchen mit Einfluss, zu tun gehabt, um zu bemerken, dass die freundlichen Worte des Geweihten diesen nicht davon abhielten, ihn einer genauen Musterung zu unterziehen, mit fast leuchtend blauen Augen, welche das Lächeln des Mannes nicht erreichte. „Nun, Ihr seid in wichtigem Auftrag hier und es hat etwas mit Kartographie zu tun, wie mir der gute Wenzeslaus berichtete?“
Der Oberst, welcher die respektvolle Geste des Geweihten erwidert und ebenfalls seinen Kopf zur Begrüßung geneigt hatte, lächelte und es war dem Diener Hesindes, als amüsiere sich der Zwerg ein wenig über sich selbst.
“Hochwürden, es ist mir eine Freude euch kennenzulernen, gerade weil ich nicht damit gerechnet hatte mich heute in eurem Gotteshaus wiederzufinden. Der Herzog selbst brachte mich auf eure… nun ja, ich will es Fährte nennen.” Das Lächeln des Angroschim wurde breiter, ließ aber gleichzeitig jedes Anzeichen von Arglist oder Tücke vermissen. Der Oberst scherzte offensichtlich. “Dies sind die angenehmen Seiten meiner Berufung. Ihr müsst wissen, dass ich mich in den vergangenen Götternamen mit einer Vielzahl von…”, Dwarosch stockte kurz und suchte nach einem wenig missverständlichen Wort, welches aber gleichzeitig entsprechend frei interpretiert werden konnte- er zwinkerte schelmisch, als er fündig geworden war. “Bemerkenswert, ja das trifft es ziemlich genau”, ein Nicken unterstrich die Wahl, mit der er offensichtlich zufrieden war. “Ich habe mich also mit allerlei bemerkenswerten Persönlichkeiten des isenhager Adels auseinandersetzen dürfen, was mir, wie ihr euch sicher lebhaft vorstellen könnt Mal mehr, Mal minder viel Freude beschert hat.” Der Oberst lachte mit einem markant- tiefen, wohlklingenden Bass.
Elador Thedon hatte während der Ausführungen des Zwergen seinen Kopf leicht schief gelegt und behielt sein freundliches Lächeln geduldig bei - aber auch den forschenden Ausdruck seiner Augen. Als der Oberst innehielt, warf der Hochgeweihte ein: "Dann seid Ihr ja schon weit herumgekommen in der Menschenwelt, wie mir scheint. Gerne würde ich von Euch auch Geschichten aus der Zwergenwelt hören, denn wie gesagt, Angroschim sind hier eher selten zu Besuch. Aber das muss wohl warten, wenn ein Anliegen des Herzogs Euch herführt, dann muss das wohl sehr wichtig sein." Abwartend sah der Geweihte, der sich mittlerweile (unter kaum merklichem Ächzen) wieder gesetzt hatte, den Zwergen an, fast schien es diesem, als folgten seine Augen den Reflexen, welche das bunte Licht auf seine Prunkrüstung zauberte.
“Jaja, in der Tat.” Der Oberst nickte bestätigend auf die Worte des Tempelvorstehers hin. “Wo fange ich an?” Der Zwerg wirkte kurz als sammle er seine Gedanken. Es dauerte etwas bis sein amüsierter Gesichtsausdruck wich und er nun mehr ernst zu einer Erklärung ansetzte. “In den vergangenen Götternamen waren Kartografen und Landvermesser auf meine Initiative hin damit beschäftigt eine neue Karte des Isenhag zu erstellen. Das Ergebnis habe ich seiner Hoheit vorhin präsentiert. Er schien zufrieden”, fügte der Oberst nicht ohne Stolz an. “Nun ja, jedenfalls als ich den Herzog fragte, ob ich meine Bestrebungen nun auch auf die anderen Grafschaften des Herzogtums ausweiten könne bekräftigte er mich darin weiterzumachen und wies mich an euch aufzusuchen.” Dwarosch räusperte sich. “Seine Hoheit meinte ihr hättet jemanden hier bei euch im Tempel der sich mit Kartografie genauestens auskennt.” Der Blick des Zwergen wurde entschuldigend. “Denjenigen solle ich mir als Verstärkung für mitnehmen.”
Nach kurzem Zögern stahl sich ein nachdenkliches Schmunzeln auf die Züge des Hochgeweihten. "Hm ... da kann seine Hoheit eigentlich nur den Herrn Wargenbast meinen. Erstaunlich, erstaunlich, der gute Mann ist tatsächlich ein Karthograph mit ausgezeichneten Fähigkeiten und besitzt ein kleines Haus hier in der Stadt, doch ist er berufsbedingt fast nie da." Thedon hielt kurz inne, wieder schienen seine Augen irgendwelchen Lichtspiegelungen zu folgen, bevor sie zu denen des Oberst zurückkehrten. "Wenn er in der Stadt weilt, führt sein Weg ihn regelmäßig hier in den Tempel, die Verehrung der Allweisen Göttin Hesinde ist ihm ein hohes Anliegen. Auch hat er schon den einen oder anderen Auftrag im Dienste der Kirche zur vollsten Zufriedenheit erfüllt, insofern kann ich jedem seine Dienste nur wärmstens anempfehlen. Doch," hier nahm die Miene des Geweihten einen bedauernden Ausdruck an, "fürchte ich, dass der Herr Wargenbast im Moment nicht in der Stadt weilt. Er war vor, hm, ja, sechs Tage waren es wohl, das letzte Mal hier und berichtete mir von einer bevorstehenden Reise nach Albenhus. Es ging darum, für ein Handelshaus Möglichkeiten zu erkunden, abseits der bekannten Wege über den Amboss nach Almada zu kommen. Hm. Da der gute Mann seitdem nicht mehr hier war, nehme ich an, dass er Elenvina bereits verlassen hat." Wieder hielt der Geweihte inne und musterte den Zwegen etwas geistesabwesend. "Erstaunlich ist, um darauf zurückzukommen, dass der Herzog den Herrn Wargenbast offensichtlich zu kennen scheint, zudem, dass er Euch dann zu mir und nicht direkt zu dessen Adresse schickt. Oder hat er Euch noch die eine oder andere weiterführende Information zukommen lassen, welche diesen Sachverhalt erhellen könnte?"
Der Oberst schien aufgrund der Worte den Geweihten nicht sonderlich enttäuscht, sondern nahm das gesagte recht regungslos und mit einem leichten Schulterzucken hin. “Wenn ich mich recht entsinne sagte seine Hoheit lediglich, dass es hier einen Kartografen gäbe und dass ich ihn für mein Unterfangen einspannen solle, mehr nicht.” Die genaue Wortwahl, die Dwarosch sehr wohl noch Erinnerung hatte, tat hie nichts zur Sache. Erstens wollte er niemanden verbal an den Karren pissen, wie die Menschen so schön sagten und zweitens zitierte man einen Herzog nicht, das war anmaßend und konnte im ungünstigstem Fall sicher auch unschöne Folgen haben. Anstatt dessen versuchte es der Oberst anders. „Könnt ihr mir sagen wo der Herr Wargenbast wohnt? Ich werde nach dem Abendessen ohnehin einen kleinen Spaziergang tätigen, da kann ich gleich einmal nachsehen, ob jemand daheim ist. Oder habt ihr sonst noch einen Einfall, jemand anderen den man nach seinem Verbleib fragen könnte, eine Frau, weitere Angehörige in der Stadt?“
"Aber ja, natürlich". Hochwürden ließ zunächst offen, welche Frage er damit beantwortete, aber fuhr sogleich fort: "Der Herr Wargenbast wohnt in der Ulmengasse 6, gar nicht so weit weg von hier. Ihr müsst den Tempelgarten nach Norden verlassen, dann die zweite Straße rechts nehmen, dann gleich links abbiegen, schon seid Ihr in der Ulmengasse." Der Hochgeweihte lächelte verbindlich. "Solltet Ihr den Herrn dort nicht antreffen, so will ich gerne behilflich sein, einen anderen Kartographen für Eure Mission ausfindig zu machen. Wenn Ihr das gewonnene Wissen mit der Kirche der Allweisen teilt, was sicher sowieso Eure Absicht war, so sollte es kein Problem darstellen, einen Akoluthen oder gar Geweihten mit entsprechenden Fähigkeiten in Eure Dienste zu übergeben. Nur dauern kann es natürlich ein wenig, es müssen schließlich Boten ausgesandt und wieder empfangen werden."
„Eure Hochwürden.“ Der Zwerg erhob sich und reichte dem Hesindegeweihten die Hand zum Abschied. „Ich werde sehen, ob ich Herrn Wargenbast antreffe und euch dann gegebenenfalls einen Boten schicken. Noch einmal vielen Dank für eure Zeit. Hesindes Segen mit euch.“


Nachdem der Oberst in der Nachtklause, einem robusten Gasthaus, welche am Hafen gelegen stand, deftig- reichhaltige Hausmannskost gegessen und vier Humpen guten Bieres getrunken hatte, schlenderte er durch die Straßen der Herzogenstadt, bis er die Ulmengasse erreicht hatte. Dort angekommen fand er schnell jenes Haus mit der Nummer sechs, nachdem er Ausschau gehalten hatte. Es war Tsastunde, als Dwarosch durch das gusseiserne Tor in den nur wenige Schritt breiten Streifen ungepflegten Vorgarten trat, um zur Haustür zu gehen. Das schmale, dafür drei Stockwerke umfassende Haus zwängte sich etwas bemüht in die Lücke zwischen seinen Nachbarn. DIe Gebäude links und rechts hatten zwar keine Vorgärten, machten aber einen deutlich wuchtigeren Eindruck, wenn man ihrer äußeren Erscheinung nach ihren Zweck nicht genau ansehen konnte. Doch wie das Haus des Kartographen waren es wohl Wohnhäuser, wenn dort möglicherweise auch jeweils mehrere Familien residierten.
Das Tor hatte ein deutliches Knarzen von sich gegeben, als Dwarosch es öffnete, und auch der fünf Schritt tiefe Vorgarten sah nicht so aus, als wäre der Hausbesitzer sonderlich in Gartenarbeit bewandert. Diverse Blätter in verschiedenen Stadien des Verfalls lagen überall verstreut, was den drei trotz der schattigen Lage wild wuchernden Büschen rechts und links des schmalen Weges geschuldet war, dessen Trittsteine halb von Gras überwachsen waren. Auch das Gebäude selbst machte eher den EIndruck, als sei hier nur das Notwendigste getan worden, um dem Nagen von Satinavs Zähnen etwas entgegenzusetzen. Die abblätternde Farbe der Tür und der geschlossenen Fensterläden sprach hier Bände, man konnte nicht einmal mehr genau erkennen, welchen Ton der Anstrich ursprünglich einmal gehabt hatte, irgendetwas mit Grün war es wohl gewesen. Der Zwerg ließ sich davon nicht abschrecken und betätigte beherzt den Türklopfer, um dann zu warten. Doch im Haus rührte sich nichts. Zumindest nicht nach der ersten Minute. Dwarosch klopfte ein zweites Mal, diesmal noch etwas fester und damit lauter. Da ertönte eine Stimme in seinem Rücken, was ihn überrascht herumfahren ließ. Dort stand eine alte, nicht sehr große, leicht gebeugte Frau in einfacher Bürgerskleidung, die eine Hand auf einen Stock gestützt, die andere an eine Strebe des niedrigen, rostigen Metallzauns gelegt, und sah den Zwerg mit neugierig funkelnden Augen an. "Praios zu Gruße," rief sie ihm viel zu laut und mit einem schrillen Unterton zu. "Zwergischer Besuch für den Herrn Wargenbast, jaja, soso, hmhm, das gibt es aber nicht so oft, gell? Aber guter Mann - Ihr seid doch ein Mann? Weil doch die Zwergenfrauen auch Bärte haben, hat mir meine Großtante schon erzählt, als ich noch klein war, und die sollte es doch schließlich wissen, oder nicht? - der Herr Wargenbast ist heute morgen mit seinem Diener und ein paar Koffern und KIsten in eine Kutsche zum Hafen gestiegen, in aller Praiosfrühe, so dass ich wachgeworden bin und alles gehört habe, jaja, gell, ich höre noch sehr gut in meinem Alter, nicht so wie die Lismalte von nebenan, die muss man immer so anschreien, dass sie einen überhaupt versteht, aber Ihr hört doch sicher gut, gell?. 'Zum Hafen, aber schnell!' hat der Herr Wargenbast gerufen, dann haben sie alles in die Kutsche geladen, das war vielleicht ein Gestöhne und Geschnaufe, sag ich Euch, was muss der alles mitgenommen haben, man könnte ja fast meinen, er zieht aus, der gute Herr Wargenbast, dabei ist er doch eh selten hier und meistens nur für ein paar Wochen. Und dann kommt er fast nie aus seinem Haus, muss immer irgend etwas arbeiten, schreiben oder zeichnen, und hat nie Zeit, seinen wohlmeinenden Nachbarn etwas von seinen bestimmt aufregenden Reisen zu erzählen. Wenn da nicht sein Diener wäre, der gute Answin, den sieht man ja manchmal auf der Straße, wenn er Besorgungen macht, und der erzählt auch manchmal etwas, aber nie viel, denn er hat ja auch immer zu tun und muss dies und das erledigen, aber manchmal, ja, da lässt er sich doch auf ein paar Worte ein, da erfährt man dann ein paar Dinge. Wart Ihr schon mal in, äh, Kuntschom, oder wie das heißt?" Die Frau, deren Gesicht mittlerweile rot angelaufen war, holte tief Luft und schien nach Dwaroschs schneller Einschätzung nicht gewillt, länger als ein Augenzwinkern auf eine Antwort warten zu wollen, ehe sie ihren Erguss fortsetzte.
Der Zwerg, welcher zu Beginn des Redeschwalls des alten Mütterchens noch milde gelächelte hatte, erhob zum Ende hin beschwichtigend, ja fast Schutz suchend die Hände. Doch auch das half nichts, was seine Miene leicht säuerlich werden ließ.
“Haltet ein”, intervenierte er daher, als sich die Gelegenheit bot. “Ja, ich kenne Kunchom, recht gut sogar. Wisst ihr ob er dorthin wollte oder wie das Schiff heißt mit dem er reist?” Versuchte der Oberst den Inhalt der Unterhaltung auf für ihn nützliche Inhalte zu lenken. Dwarosch war nicht gewillt auf die körperlichen Eigenschaften von weiblichen Vertretern seiner Rasse einzugehen und so überhing er diese Bemerkung schlicht und einfach.
"Da muss es ja wild ...", setzte die alte Nachbarin an, bevor ihr offenbar bewusst wurde, dass ihr "Gesprächspartner" nun selbst eine Äußerung zum Besten gegeben hatte. Sie klappte den Mund zu und sah den Zwerg leicht verwirrt an, doch schon begannen ihre Augen wieder zu leuchten und ihr Mund verzog sich zu einem begeisterten Lächeln. "Aber nein, nach Kuntschom wollte der Herr Wargenbast nicht, wo denkt Ihr hin. Wollt Ihr nicht auf einen Tee zu mir kommen, damit Ihr mir von Kuntschom erzählen könnt? Ich werde da ja wohl kaum je hinkommen, Praios behüte, aber Geschichten höre ich gerne, je weiter weg sie spielen, desto mehr, gell, ja, ähm ..." Hier merkte das Mütterchen wohl, dass die sich immer weiter zusammenziehenden Brauen des Zwerges etwas zu bedeuten hatten, welches nichts mit friedlichem Vertändeln der Zeit beim Teetrinken zu tun hatte. Sie schluckte kurz, räusperte sich, dann fuhr sie mit leicht gesenkter, etwas verschwörerisch klingender Stimme fort, wobei sie sich weiter über den Zaun lehnte: "Also, Herr Zwerg," hier runzelte sie nochmals überlegend die Stirn, entschied sich aber gegen einen weiteren Exkurs, "der Answin hat gestern schon die Kutsche bestellt, und wie es der Zufall will, habe ich das mitangehört, er war ja auch nicht leise dabei, und geheim war das ja auch sicher nicht, und überhaupt ... ja, also nein, das Schiff weiß ich nicht, aber zum Flussvater-Kai wollte sein Herr gebracht werden, das ist ganz im Firun des Hafens, da ist eine kleine Insel im Fluss, die sollen Gefolgsleute des Flussvaters manchmal besuchen, vor allem nachts, wenn das Madamal hell am Himmel steht, deshalb der Name, falls Ihr das noch nicht wisst ... ja, ja, schon gut, Ihr müsst nicht gleich so bös gucken, ich will Euch doch nur helfen, und Ihr seid doch nicht von hier, oder, da muss ich Euch doch das ein oder andere erklären, sonst wisst ihr doch hinterher gar nichts, das wäre ja schade, gell, ja, also, und nach Kyndoch soll es gehen, und von dort nach Honingen, das dann aber zu Land, mit der Kutsche, da führt ja kein Fluss hin, aber das wisst Ihr sicher, oder vielleicht auch nicht als Zwerg? Ja ja, also, aber eins wisst Ihr sicher nicht: der Herr Wargenbast hat sein Schiff verpasst, hihi. Die Kutsche war zu schwer beladen, hab' ich dem Answin doch gleich gesagt, aber auf mich hört ja keiner, gell, dabei ... egal, also ich komme doch gerade vom Markt, vom Einkaufen, man muss ja was essen, gell, und da habe ich einen Tumult gehört, und, Ihr glaubt es kaum, das war wegen der Kutsche, die vom Herr Wargenbast, der ist die Achse gebrochen, gleich beim Praiostempel, als hätt' der was dagegen gehabt, dass man eine einzelnes Gefährt mit so schweren Kisten belädt, die armen Pferde, sag ich da nur, kein Wunder, kleine Sünden straft der Herr Praios sofort, das hat meine Großtante Malbeckia immer gesagt, wenn sie bei uns zu Besuch war und wir wieder was angestellt hatten ... nun schaut doch nicht schon wieder so!"
Der Oberst blähte die Backen auf und schien das heillose Durcheinander der vielen Worte und die darin verborgenen Informationen erst einmal verarbeiten, vielleicht sogar vorher noch sortieren zu müssen. “Moment. Gute Frau, wollt ihr mir sagen, dass er sein Schiff verpasst hat und nun doch nicht hier zuhause ist- also möglicherweise auf dem Landweg unterwegs ist, oder ein anderes Schiff genommen hat?” Dwarosch hatte keine Ahnung was sie ihm genau hatte sagen wollen.
“Nun ja, vielleicht kann man mir ja am Kai etwas über seinen Verbleib sagen. Da wird er dann ja wohl ziemlich verdattert gestanden haben. Möglicherweise lohnt es sich aber auch beim Hafenmeister nachzufragen.” Die Alte sagte ausnahmsweise ein paar Sekunden lang nichts, sondern starrte den Zwerg nur an, wobei dieser sich nicht ganz klar war, was wohl nun hinter ihrer gefurchten Stirn vorging. Dann öffnete sie aber wieder beruhigenderweise ihren mit noch recht vielen Zähnen versehenen Mund, um für ihre Verhältnisse recht langsam und deutlich, aber nicht weniger wortreich fortzufahren: "Guter ... Mann, also Herr Zwerg, also wenn die Kutsche des Herrn Wargenbast die Achse gebrochen hat, sonst aber nichts passiert ist, Praios behüte, was es wohl nicht ist, denn sonst hätte ich das bestimmt gleich gehört, so was spricht sich doch gleich rum, gell, Elenvina ist ja doch noch ein Dorf, fast so wie früher, als ich jung war, hihi, also, aber Dorf hin oder her, eine Kutsche groß genug für das viele Gepäck des gelehrten Herrn und noch ihn selbst und noch den Answin, ja, die steht nicht an jeder Ecke und wartet bloß auf Kundschaft, nein, die sind immer gut beschäftigt, außer vielleicht am Praiostag, wo alle Leute ihre Verrichtungen ein wenig ruhiger angehen lassen, wie es sich gehört. Natürlich weiß ich es nicht genau, oder vielmehr noch nicht, aber der Herr Wargenbast hat sicher ein Weilchen gebraucht, um meinen Ersatz zu finden und dann noch alles umzuladen und dann noch vollends zum Hafen zu fahren. Also wenn Ihr mich fragt, und das tut ihr ja gerade, gell, das sehe ich Euch gleich an, dann sitzt der Herr Wargenbast jetzt in irgend einer Taverne am Hafen und hat den Answin losgeschickt, ihm ein anderes Schiff zu suchen, denn die Schiffe, das muss ich Euch erklären als Zwerg, das könnt ihr ja nicht wissen, im Berg gibt es ja keine Schiffe, hihi, gell, also die haben einen Fahrplan, wenn sie nicht gleich von reichen Leuten komplett gemietet worden sind, aber der Herr Wargenbast ist zwar bestimmt nicht arm, aber auch nicht so reich, seht nur, wie sein Haus hier aussieht, also wie auch immer, er hat bestimmt nur eine Passage und kein ganzes Schiff gebucht, also ist das jetzt sicher schon weg, wegen dem Fahrplan, das versteht Ihr doch? Also den muss man einhalten, das ist Praios' Gebot, damit alles seine Ordnung hat! Wenn Ihr Euch beeilt, findet Ihr den Herrn sicher noch an Land, wenn Ihr Euch nicht beeilt, vermutlich auch, hihi." Jetzt verstummte das Mütterchen tatsächlich ganz von selbst und sah Dwarosch erwartungsvoll an.
Dieser schloss für einen Moment die Augen, um einmal hörbar die Luft auszustoßen. Dann jedoch begann der Oberst amüsiert zu lächeln. Er hatte alles Wichtige erfahren, dass wie war zweitrangig, auch wenn er das Gefühl hatte aus den Ohren zu qualmen.
„Danke gute Frau. Ich werde mir euren Rat zu Herzen nehmen und mich am Hafen umsehen. Es bleibt keine Zeit zu verlieren.“ Er musste ganz schnell weg. Flucht war hier die einzig gangbare Taktik. „Die Zwölfe mit euch.“ Der Zwerg nickte der Alten noch einmal freundlich zu und hob sogar die Hand zum Gruß, als er das Grundstück des Herrn Wargenbast verließ, um auf die Straße einzubiegen. Dennoch hatte die Alte den Eindruck der Zwerg würde einen Gewaltmarsch einlegen wollen. Diese Geduldsprobe würde Dwarosch so schnell nicht vergessen, dass stand ohne Zweifel fest. Ein Umstand, der ihn unweigerlich über sich selbst schmunzeln ließ.
Der Oberst wählte den direkten Weg zum Hafen und verlangsamte seine Schritte erst, als er bereits die Masten einiger an den Kais vertäuter Schiffe gegen den immer dunkler werdenden Himmel erkannte. Er steuerte die Hafenmeisterei an, zu der er sich bei Passanten durchgefragt hatte und klopfte feste gegen die massive, verschlossene Tür, hatte indes aber wenig Hoffnung, dass man ihm um diese Uhrzeit noch öffnen würde. Während er wartete, sah er sich nach Wachen oder Seesoldaten um, bei denen er sich erkundigen konnte. In diesem Teil Elenvinas kannte Dwarosch eigentlich nur die Kneipen.
Wie erwartet rührte sich niemand in dem dunkel dastehenden, turmartigen Gebäude. Drei Stockwerke hoch erhob es sich über die Hafenanlagen, so dass man von ganz oben bei Tag und gutem Wetter sicher einen hervorragenden Blick über den Fluss und die umliegenden Lande hatte. Doch die Läden waren verschlossen, kein Lichtschimmer drang nach draußen. Dwarosch sah sich um. Vom Fluss stieg leichter Nebel auf und legte sich wie eine sanfte Decke Schicht um Schicht über die Kais. Noch war es nicht ganz dunkel, zudem zog ein aufflammendes Licht, wenn auch nicht sehr stark, den Blick des Zwergen auf sich: in vielleicht 30 Schritt Entfernung hatte gerade eine nur als dunkler Schatten zu erkennende Gestalt mit einem langen, an der Spitze brennenden Stab eine der wenigen Laternen im Hafengebiet entzündet. Außerdem klangen laute, ausgelassene Stimmen von der Straße, welche von der Stadt zum Hafen führte, durch die Nacht. Offenbar ein paar Matrosen auf Landgang, welche die Stadt besichtigt hatten oder den Efferdtempel oder beides, und nun auf der Suche nach weiterer Zerstreuung die Kneipen längs der Kaianlagen ansteuerte. Auf der anderen Seite, bei den Lagerhäusern, wurden eben Fackeln entzündet. Dort war man dem Anschein nach mit dem Beladen eines Schiffes noch nicht fertig geworden und musste nun künstliches LIcht zu Hilfe nehmen, um die Arbeit zu vollenden. Unter all dem vernahm Dwarosch das Plätschern der Wellen, welche der Fluss an das Kai trieb, kein Geräusch, welches einem Zwergen sonderlich angenehme Gefühle bereitete, so erfahren er auch sein mochte. War da nicht eben ein seltsames Gurgeln zu hören gewesen, und auch noch fast direkt unter seinen Füßen?
Der Oberst grunzte über die von ihm nicht zu unterdrückenden gefühle. Sie waren angeboren, gehört zu jedem Angroschim wie der robuste Körperbau und die lange Lebensspanne, er half nichts sich dagegen wehren zu wollen, man konnte lediglich einen Weg finden damit umzugehen. Ihr Schöpfer hatte sie nicht dafür geschaffen sich in der Nähe von Wasser und schon gar nicht im Wasser wohl zu fühlen, auch wenn Dwarosch in seinem langen Leben den ein oder anderen direkten Kontakt mit dem nassen Element gehabt hatte, zumeist nicht ganz freiwillig. Er setzte sich wieder in Bewegung, das half zumindest ein wenig. Dwarosch wollte sehen, wohin das Schiff fahren würde, welches um die Zeit noch beladen wurde. Vielleicht, so seine Vermutung in diesem Moment, würde es bald auslaufen. Warum auch sonst, sollte man jetzt noch daran arbeiten.
Das Schiff war eine Flussgaleere, deren Namen "Holde Maid" mit großen, ehemals goldenen, aber nun schon etwas verblichenen und teils abgeblätterten Lettern quer über das Heckkastell gemalt war. EIn einzelner Mast erhob sich in der Mitte des vielleicht 20 Schritt langen Kahns, deutlich konnte man knapp über der Wasserlinie eine Reihe von im Moment geschlossenen Luken für die Ruder erkennen. Das Segel am Mast war gerefft und zusammengebunden, einige Leinen hingen herab auf das Deck. Über das Heck hinaus stand eine hölzerne Stange heraus, von der eine albernische Fahne schlaff nach unten hing. Als der Oberst näher kam und sich die Männer beschaute, welche die Lasten auf ihren Schultern über einen schmalen, schwankenden Steg hinauf auf das Deck brachten, fiel ihm ein Mann in einer Uniform eines Seemannes auf, welcher oben stand und scheinbar alles im Auge behielt, überwachte. “Heda, Efferd zum Gruße”, rief Dwarosch ihm zu. “Sagt, wohin fährt dieses Schiff?”
Überrascht drehte der Mann sich zu dem Zwergen um und mustere ihn - zwangsläufig - von oben herab. EIn zotteliger schwarzer Vollbart zierte sein wettergegerbtes Gesicht, seine Uniformjacke, welche er über einem einfachen Leinenhemd samt schmuddeliger Hose trug, hatte auch schon bessere Zeiten gesehen. Wenn Dwarosch nicht alles täuschte, war das auch die Jacke eines horasichen Seeoffiziers und keinesfalls eine auf dem Großen Fluss übliche Tracht für einen dort tätigen Kapitän oder Maat. Seine Füße steckten in speckigen Stulpenstiefeln unbestimmter grauer Farbe, an seinem Gürtel hin eine breite Scheide, aus der der recht aufwendig gestaltete Griffkorb eines Säbels ragte. Unter dem schwarzen Dreispitz, der seinen Kopf zierte, lugte ein rotes Stirntuch hervor, welches über dem rechten Ohr verknotet war. "Hrmm, Efferd zum Gruße," entgegnete der Mann mit vom vielen Schreien schon recht rauher Stimme, um gleich darauf einen der Arbeiter anzufahren: "Heda, nicht schlappmachen, immer weiter, wenn ihr nicht um Mitternacht immer noch Kisten schleppen wollt!" Er drehte sich wieder zu dem Oberst um, legte die Rechte auf den Griffkorb der Waffe und hakte die Linke mit dem Daumen in seinen Gürtel und musterte ihn nochmals genauer von oben bis unten. "Nach Havena fahren wir, mit dem ersten Licht des kommenden Tages. Warum wollt Ihr das wissen und wer seid Ihr überhaupt?" Beim Sprechen offenbarte der Mund des Mannes schwärzliche, aber recht vollständige Zähne, von denen einer weiter hinten im Licht einer Fackel golden aufblitzte.
“Ich bin der Oberst der Eisenwalder”, erklärte sich Dwarosch knapp, aber im energischen Ton. “Ich suche ein Schiff, das einen von hier stammenden Kartographen nach Kyndoch bringen soll. Ich hoffe das es noch nicht ausgelaufen ist. Der Mann heißt Wargenbast. Es ist wichtig, dass ich mit ihm spreche. Ich habe direkte Anweisungen des Herzogs für ihn. Könnt ihr mir diesbezüglich weiterhelfen? Das Schiff fährt diese Route vielleicht öfter, möglicherweise regelmäßig. Sagt euch das etwas?”
"Hrm", war die Reaktion des Flussfahrers auf Dwaroschs Auskunft. "Hrrr, warum sagt Ihr das nicht gleich?" Mit einem schleimigen Räuspern beförderte der Mann irgend etwas Unappetitliches aus seinem Rachen in seinen Mund und spuckte es neben dem Steg geräuschvoll ins Wasser. "Ja, der war da vor einer Stunde, das heißt, so ein langer Kerl in komischer Tracht war da, und hat im Namen seines Herrn Wargenbast eine Passage nach Kyndoch bestellt - und auch gleich bezahlt, hrr, da könnt' ja sonst jeder kommen." Ein keuchender Husten unterbrach die Rede des Schiffsoffiziers, der sich selbst mit der Faust heftig auf die Brust schlug, was zu helfen schien, denn dann konnte er weiter ausführen: "Hchh, aber der feine Herr will nicht an Bord schlafen, sondern im Morgengrauen an Bord gehen. Ja dann hoffen wir mal, dass er nicht zu spät kommt, was?" Er lachte auf, was sich kaum anders anhörte als der Husten gerade eben. "Und bevor Ihr fragt: nein, keine Ahnung, wo die feinen Herrschaften statt dessen die Nacht verbringen." Ansatzlos drehte sich der Mann zur Seite und blaffte drei Matrosen an, die sich gerade ihrer Last entledigt hatten und wieder über den Steg zurück an Land eilten. "Hab' ich nicht gesagt, ihr sollt euch beeilen, ihr Landschnecken? Wenn ich dem Käpt'n nicht vor Mitternacht Vollzug melde, streicht er euch das Feuer, ihr Schwachköpfe. Dann gibt's nur Dünnbier, ist das klar? Und einen Tritt in den Arsch von mir noch dazu, weil ich dann auch kein Feuer kriege, IST DAS KLAR?"
„Bei Anrgoschs Barte. Endlich etwas Konkretess“, raunte Dwarosch mehr zu sich selbst, während sich seine Miene aufhellte und er sich darauf wieder in Bewegung setzte. „Habt Dank für die Auskunft“, rief er dem Matrosen noch zu, als er sich bereits einige Schritte entfernt hatte und registrierte, dass der Seemann mit dem Donnerwetter für die Lastenträger fertig war.
Der Oberst entfernte sich wieder von den Kais und steuerte dann schnurstracks das nächstgelegenste Gasthaus an. In Kneipen, die es unten am Hafen ja zu Hauf gab, konnte man schließlich nicht nächtigen, zumindest nicht angemessen. Herr Wargenbast würde sicher eine ordentliche, standesgemäße Unterkunft beziehen wollen und kein stinkendes Ungeziefernest, wie es die Matrosen auf Landgang taten. Nach Dwaroschs Plan würde er seinen Spaziergang noch etwas weiter ausdehnen und der Situation geschuldet mit einem kleineren Geschmackstest der lokalen Biere verbinden, bis er fündig werden würde.
Das erste Haus, welches Dwarosch anlief, weil es das erste war, das er nach dem Verlassen des Hafens mit seinen schmierigen Kaschemmen sah, war das ‚Sternenpalais' schräg gegenüber des Museums für Binnenschifffahrt. Das hohe, aber sehr schmale Gebäude zwängte sich zwischen seine Nachbarn in der Häuserfront und war keineswegs neu, aber offenbar neu renoviert und zudem auf der ganzen Vorderseite mit einem für menschliche Verhältnisse durchaus kunstvoll zu nennenden Sternenhimmel bemalt, der gerade jetzt, nach Einbruch der Dunkelheit, durch geschickt platzierte Lampen an der Fassade gut zur Geltung kam. Dwarosch ließ den Anblick kurz auf sich wirken, doch dann steuerte er zielstrebig die im Vergleich zur Fassade eher schlichte Tür des Etablissements an, über welcher kein Schild hing, sondern der Name der Herberge in einem Halbbogen geschrieben stand, denn die Zeit drängte. Innen musste er durch eine zweite Tür gehen, so dass im Winter die Kälte und im Sommer die Wärme recht effektiv draußen gehalten wurde, dann stand er vor einer zwar kleinen, aber sehr kunstvoll gearbeiteten Theke aus dunklem, geöltem Holz, hinter der eine junge Frau in einer sternenbestickten Robe, welche wie die Parodie einer Magierrobe wirkte, residierte und ihn gleich freundlich willkommen hieß und nach seinem Begehr fragte.
Bevor er antwortete, fiel sein Blick an ihr vorbei auf eine Konstruktion, welche tatsächlich ein Aufzug zu sein schien, nur war die Kabine nur etwa einen Schritt hoch. Daneben wand sich der Beginn einer sehr schmalen Treppe, welche mit einem dunkelblauen Teppich belegt war, steil nach oben. Da das Gebäude insgesamt so schmal war, blieb offenbar kaum Platz für die Treppe, denn sonst wären wohl die Räume selbst zu klein geworden. Andererseits war es kaum möglich, irgendwelche größeren Gepäckstücke dort hochzubringen, und so hatte irgendjemand wohl die (für einen Menschen) geniale Idee und auch das handwerkliche Geschick gehabt, einen Gepäckaufzug in die rechteckige Säule zu zwängen, um die sich die Treppe wand.
Innerlich riss Dwarosch sich zusammen, er hatte eine Aufgabe, die nichts mit Architektur zu tun hatte. "Seid gegrüßt, Oberst Dwarosch mein Name, sagt, ist heute ein Herr Wargenbast Gast in Eurem Hause?" Seine Stimme klang unwillkürlich bereits etwas ungeduldig, denn er hatte langsam genug davon, die ganze Stadt abzulaufen. Die langhaarige, blonde Frau, welche ein Menschen sicherlich als ‚attraktiv‘ beschrieben hätte, runzelte die Stirn, ob aufgrund seiner Frage oder seines etwas ruppigen Tons oder einfach aufgrund seines grimmigen Aussehens, vermochte der Zwerg nicht zu sagen. "Nein," antwortete sie nach kurzem Zögern, "einen Gast mit diesem Namen haben wir zurzeit nicht ..." Sie ließ die Worte ausklingen, als wollte sie noch etwas hinzufügen, doch überlegte es sich offenbar anders.
Die Augenbrauen des Zwergen zogen sich unwillkürlich leicht zusammen. Er spürte, dass da noch etwas war, etwas ungesagtes. Dwarosch seufzte und kramte einen blitzenden Silbertaler aus seiner Geldkatze hervor. Demonstrativ legte er sie auf den Tresen vor sich und versuchte eine teilnahmslose Miene zur Schau zu stellen. Die Spitze seines rechten Zeigefingers blieb auf der Münze ruhen. „Ich hätte gern ein Bier, ein helles, wenn ihr habt. Und eine Erklärung. Was meint ihr mit ‚zurzeit‘? Gute Frau ich will dem Herrn Wargenbast nicht als Leder, ich suche ihn im Auftrag des Herzogs, weil ich Arbeit für ihn habe.“
"Ach so ist das," erwiderte die Frau, ganz offenbar erleichtert und umso freundlicher lächelnd. "Ja, wie ich schon sagte, einen Gast dieses Namens haben wir nicht, aber vor nicht allzu langer Zeit war ein älterer Herr mit einem Burschen hier, der sich mit diesem Namen vorstellte und nach einem Zimmer für die Nacht verlangte. Wir sind heute aber leider - oder Phex sei Dank, alles eine Frage der Sichtweise natürlich - ausgebucht, was Einzel- und Doppelzimmer angeht, und ein Feldbett in der Dachkammer wollte der Herr nicht, so zog er - durchaus etwas mürrisch, will ich meinen - wieder ab." Sie hielt inne und blinzelte den Zwergen verschwörerisch an. "Aber ich habe ihn beim Hinausgehen noch etwas murmeln hören, das klang wie 'dann gehe ich halt nach Hause'. Ist das nicht merkwürdig? Warum wollte er dann ein Zimmer, wenn er in Elenvina wohnt? Ob das was mit dem Burschen ... ach, nicht so wichtig. Gepäck hatten die beiden übrigens keines. Konnte ich Euch und dem Herzog damit weiterhelfen?" Erwartungsvoll sah sie den Oberst an.
„Das konntet ihr, meinen Dank“, entgegnete der Zwerg knapp, doch entgegen der Worte kündete seine Stimme von Groll. Irgendetwas an dem Gesagtem schien ihm nicht zu gefallen. Dennoch nahm er die Hand von dem Silber damit es den Besitzer wechseln konnte.
Draußen vor der Tür tat der Zwerg einige tiefe Atemzüge. Die Qualität des Bieres, welches er kurz zuvor in einem Rutsch hinuntergespült hatte war nur ein schwacher Trost für die Informationen der Bedienung. Jetzt würde er wieder zum Haus des Kartographen laufen müssen. Die ganze Sache entwickelte sich zu einem ausgedehnten Marsch. Zumindest war der Sonnenaufgang noch weit genug entfernt, dass er den Herrn Wargenbast noch dort antreffen und ihn nicht verpassen würde, weil dieser bereits wieder zum Hafen aufgebrochen war. Missmutig stapfte der Oberst los.
Fast niemand war zu dieser Stunde noch unterwegs in der Stadt. Schließlich gab es nicht allzu viele zwölfgöttergefällige Tätigkeiten, die man mitten in der Nacht tun konnte. Schlafen zum Beispiel. Mit solcherart Gedanken beschäftigt erreichte der Zwerg die im Dunkeln kaum wiederzuerkennende Straße, in der das Haus des Kartographen lag. Doch da Angrosch seine Kinder mit Augen gesegnet hatte, welche sich bei wenig Licht deutlich besser zurechtfanden als es menschliche vermocht hätten, erkannte Dwarosch das Haus trotzdem sofort wieder, obwohl auch dort nirgends Licht durch die verschlossenen Läden schimmerte. Diesmal musste er wenigstens nicht befürchten, der aufdringlichen Nachbarin in die Hände zu fallen - hoffte er zumindest. Immerhin führte diese Überlegung dazu, dass er seinen Unmut zügelte und für seine Verhältnisse recht dezent an die Tür klopfte. Zunächst tat sich nichts, doch als er gerade die Faust hob, um dann doch ein wenig nachdrücklicher zu werden, erklangen schwache Geräusche hinter der Tür, welche gleich darauf einen kleinen Spalte breit geöffnet wurde, nachdem ein Schlüssel im Schloss gedreht worden war. Mehr als den schwachen Umriss einer menschlichen Gestalt konnte selbst der Oberst durch den Spalt nicht erkennen, doch es war eindeutig nicht der Kartograph selbst, was sich gleich darauf bestätigte, als eine recht junge klingende männliche Stimme, der man durchaus eine gewisse Angespanntheit, aber auch Müdigkeit anhören konnte, fragte: "In Hesindes und Borons Namen, was ist denn los, jetzt mitten in der Nacht?"
Es kostete den Oberst einiges an Mühe seine Stimme nicht unfreundlich, übellaunig, müde, gereizt und obendrein noch genervt klingen zu lassen, doch irgendwie schaffte er es fast zu seiner eigenen Verwunderung. „Die Zwölfe zum Gruße. Entschuldigt die nächtliche Störung. Ich komme im Namen des Herzogs. Dwarosch, Sohn des Dwalin, und Oberst des Eisenwalder Garederegimentes wünscht den Herrn Wargenbast zu sprechen.“
"O...Oberst? Jetzt? Aber warum ..." Der junge Mann war sichtlich - oder eher hörbar - verwirrt, was sicher auch der späten Stunde geschuldet war. Dwarosch hörte dann aber, wie er sich ohne weitere Nachfragen an der Tür zu schaffen machte, welche sich schließlich mit Ächzen und Quietschen widerwillig seinen Wünschen beugte und aufschwang. Im spärlichen Licht konnte Dwarosch nun tatsächlich einen menschlichen Jüngling, sicher nicht einmal 20 Götterläufe alt, mit einem dunklen, schütteren Schnurrbart und ebenso dunklen, verwuschelten Haaren erkennen, der in einem Nachtgewand vor ihm stand, einen Schlüsselbund in der rechten Hand und einen Knüppel in der linken, den er nun zur Seite auf eine kleine Kommonde legte, verlegen, wie dem Zwergen schien, auch wenn es selbst für seine Augen zu dunkel war, um den Gesichtsausdruck seines Gegenübers erkennen zu können. "Nun ... Ihr seht nicht aus wie ein Räuber und nicht wie ein Hochstapler," hub der junge Mann mit gedämpfter, ein wenig schüchtern klingender Stimme an, "so kommt doch erst einmal herein. Der Herr Wargenbast schläft, er hatte einen anstrengenden, wenig erquicklichen Tag. Aber ... ich gehe ihn wecken, ich nehme nicht an, Ihr wollt bis morgen - oder heute? - früh warten, wenn Ihr zu dieser Zeit vorbeikommt. Das muss ja wahrlich wichtig sein ..." Mit verklingender Stimme wandte der junge Mann sich ab, gar nicht abwartend, ob Dwarosch sein Angebot annahm, und verschwand mit recht leisen Schritten eine Treppe hinauf.
Der Zwerg hob eine Augenbraue ob der frechen Rede des Knaben. Verkniff sich jedoch seinen Tadel und unterdrücke sogar das drohende Knurren, was sonst so charakteristisch für ihn war. Der Junge konnte ja wirklich nichts für seinen nervenden Irrweg und im Grunde hatte er ihn ja richtig gelesen und tat, was er wollte. Man musste die Sache also nicht verkomplizieren. Jedes Wort oder Geste hätten das Gespräch mit dem Herrn des Jungen nur unnötig herauszögert.
Dwarosch trat also ein, zog die Tür hinter sich zu - die Nachbarin, man konnte ja nie wissen - und wartete. Der Korridor war fast zu schmal für seine breiten Schultern, zumal die kleine Kommode auch noch Platz wegnahm. Ansonsten konnte man nicht viel erkennen in der Dunkelheit, den Umriss einer Tür in drei Schritt Entfernung, den Treppenaufgang zur Rechten, aber es roch recht muffig. Stimmen erklangen von irgendwo oben, die eine die des Jünglings, die andere älter und sehr unwirsch, Worte waren aber keine zu erkennen. Dann polterte etwas, und dann erklangen Schritte, diesmal nicht sehr leise, welche die Treppe herunterkamen. In diesem Moment flammte auch ein Licht auf, welches zunächst den Schatten eines Mannes auf die Wand gegenüber der Treppe warf und gleich darauf diesen selbst erkennen ließ: in einem abgewetzten Morgenmantel stand ein älterer Mann vor Dwarosch, sicher schon über 60 Götterläufe, mit langen, ungebändigten grauen Haaren, einem zerzausten, ebenso grauem Bart und einem Gesicht so zerfurcht wie die Lande, welche der Kartograph, denn um wen sonst sollte es sich handeln, in seinem für einen Menschen schon recht langem Leben bereits bereist hatte. Seine Miene war recht unfreundlich, auch ihm sah man eine gewisse Müdigkeit und Erschöpfung an. Kritisch musterte er den Oberst. "Wargenbast mein Name," erklang nun seine tiefe, kratzige Stimme. "Was will der Herzog so Wichtiges mitten in der Nacht von mir?" Keinesfalls unterwürfig klang die Stimme, obwohl der Mann von seinem - Diener? - ganz offenbar von Dwaroschs Begehr in Kenntnis gesetzt worden war. Dieser erschien nun auch auf der Treppe, eine Laterne in der Hand, und linste neugierig um die Ecke. Der Oberst musste sich korrigieren. Der Jüngling war höchstens 16 Götterläufe alt, machte aber einen recht aufgeweckten Eindruck, im wahrsten Sinne des Wortes, schien er doch die nächtliche Störung weit besser wegzustecken als sein Herr.
Der Oberst räusperte sich und versuchte sich an einem versöhnlichen Tonfall. „Hesinde zum Gruße werter Herr. Ich bin Dwarosch, Sohn des Dwalin und Oberst des Eisenwalder Garderegimentes“, erklärte er sich knapp und förmlich.
„Zunächst einmal muss ich mich für die späte… oder besser frühe Stunde entschuldigen in der ich euch behellige, aber ich befürchtete euch nicht mehr in Elenvina anzutreffen, wenn ich bis zum Morgen gewartet hätte. Ich war vom gestrigen späten Nachmittag bis soeben auf der Suche nach euch und glaubt mir, ich habe einige sehr skurrile Gespräche geführt, um euch zu finden. Dabei war das mit eurer Nachbarin fast das angenehmste“, übertrieb der Oberst zumindest etwas. „Bei meiner letzten Station kam mir dann zu Ohren, dass ihr wieder nach Hause seid, wo ich doch bereits einmal hier gewesen bin, als es noch hell war. Wir müssen uns also zwangsläufig draußen in der Stadt verpasst haben.“ Dwarosch drehte die offenen Handflächen nach oben, zuckte mit den massigen Schultern und machte eine zerknirschte Miene. „Ein Umstand den ich äußerst ärgerlich finde, der sich aber leider nicht mehr ändern lässt. Ich hätte meine Zeit auch anders sinnvoller verbringen können.“ Er seufzte. „Der Herzog wies mich an euch an meinem Projekt zu beteiligen. Wir, das heißt meine Soldaten, einige Landvermesser und Kartographen erstellen derzeit eine neue Karte des Herzogtums.“
Der Kartograph rieb sich mit einer Hand die Augen. "Ja, ja, Hesinde zum Gruße, Herr Oberst." Er musste sich räuspern, seine Stimme war offensichtlich noch nicht ganz wach und klang noch immer recht unleidlich. "Ich denke, ich sollte mich geehrt fühlen, und wenn ich ausgeschlafen bin, tue ich das sicher auch." Dwarosch hörte ihm an, dass er sich ebenfalls um einen versöhnlichen Tonfall bemühte, ihm das aber nicht ganz gelingen wollte. Bei der Erwähnung der Nachbarin hatte der Mann unwillig den Kopf geschüttelt, war aber nicht weiter darauf eingegangen, ebenso nicht auf die weiteren Ausführungen des Zwerges. "Wenn Ihr mich so dringend sucht, muss es wohl nicht nur wichtig, sondern auch eilig sein. Aber es ist nur einem ärgerlichen Missgeschick zu verdanken, dass Ihr mich überhaupt noch antrefft. Normalerweise wäre ich schon auf dem Weg nach Kyndoch, denn ich habe schon einen unterschriebenen Vertrag und die dazugehörige Anzahlung in der Tasche, bei meiner Ehre kann ich auch dem Herzog zuliebe meinen Auftraggeber nicht einfach im Stich lassen." Das Gesicht des Mannes nahm einen noch missmutigeren Ausdruck an, offenbar war er mit der Situation ganz und gar nicht zufrieden.
Da ertönte plötzlich die Stimme des Jünglings aus dem Hintergrund: "Aber wenn der Herzog gut zahlt und unserem bisherigen Auftraggeber den Vorschuss erstattet und ein Schreiben ausstellt, das die Situation erklärt, könnte Eure Ehre sicher gerettet werden, mein Herr, und der Herzog könnte Eure wertvollen Dienste in Anspruch nehmen." Herr Wargenbast fuhr herum, der Jüngling zuckte zurück, sein Gesicht drückte unvermittelt Angst und Unsicherheit ob seiner voreiligen Rede aus.
„Das wäre eine mögliche Lösung“, sprang der Oberst dem Jungen zackig verbal zur Seite. „Euer kleiner ‚Kämmerer hier‘“, der Zwerg nickte in Richtung des Gehilfen des Kartographen und zwinkerte ihm verschwörerisch zu, „hat die Lage zu dieser frühen Stunde vielleicht am schnellsten erfasst. Aber ob der Herzog mit diesen Konditionen einverstanden ist, müsst ihr leider selbst herausfinden. Ich bin Soldat und gehöre nicht zum Hof seiner Hoheit“, räumte Dwarosch ein.
Noch bevor er etwas zu seinem Gehilfen sagen konnte, veranlasste die Einlassung des Zwergen ihn dazu, schon wieder zu diesem herumzufahren. Der ältere Herr war sichtlich überfordert, sein Gesicht nahm in kurzer Zeit unterschiedliche Ausdrücke an, wurde rot, blass, dann wieder rot. Schließlich stammelte der Karthograph: "A..aber wir können doch nicht jetzt mit dem Herzog verhandeln! In wenigen Stunden geht mein Schiff, und ich werde erwartet. Mein Ruf! Ich kann doch nicht einfach meinen Auftrag links liegen lassen! Wie stellt Ihr Euch das vor?" Der Jüngling war nun ausnahmsweise auch still, sogar er sah etwas ratlos drein. Doch dieser Zustand hielt nicht lange an. Bevor das Schweigen unangenehm wurde, erhellte sich sein Gesicht. "Herr, wir haben doch einen weiten Weg vor uns, und da kann sich immer mal eine Verzögerung ergeben. Falls wir uns nicht mit dem Herzog einigen und heute Nachmittag oder spätestens morgen früh ein anderes Schiff finden, haben wir doch kaum Zeit verloren. Aber das Gepäck muss wieder von der Holden Maid herunter. Ich ziehe mich nur schnell an, dann sorge ich dafür!" Und schwups, verschwand er durch eine Tür im Hintergrund.
"Ja nun," begann Herr Wargenbast zögerlich, "natürlich wäre es eine Ehre, einen Dienst für den Herzog höchstselbst zu erledigen. Sprechen kann ich ja mal mit ihm ... wenn er mich empfängt?" Deutliche Zweifel waren aus der Stimme des Mannes herauszuhören, der sich langsam wieder in den Griff bekam.
„Wenn es nicht der Herzog selbst ist, so wird man euch sicher in der Kanzlei anhören und über den Fall befinden“, warf der Oberst ein. „Der Umstand, dass die Anweisung von seiner Hoheit selbst stammt, dürften die Beamten doch zumindest von der Wichtigkeit dieses zu klärenden Sachverhalts überzeugen. Meint ihr nicht?“ Der Zwerg lächelte dünn, bei den vom ihm vorgebrachten Frage. Entweder er war von der Zurechnungsfähigkeit der Beamten nicht überzeugt, oder er wurde der Sache langsam aber sicher überdrüssig.
Der alte Mann sah den Zwerg unsicher und noch immer etwas verschlafen an. Offenbar war er sich nicht ganz sicher, wie er dessen Äußerungen und Mienenspiel einzuordnen hatte. Nach kurzem Zögern rang er sich zu einer Antwort durch: "Sicher, sicher, doch ... wenn ich bei der Kanzlei vorspreche ohne etwas Schriftliches, Gesiegeltes in der Hand, wird sich das doch sicher hinziehen, kann ich mir vorstellen. Und überhaupt, welche Kanzlei meint Ihr eigentlich, die Reichskanzlei? Aber nein, sicher nicht, die ist doch gar nicht für Angelegenheiten des Herzogs zuständig, oder jetzt doch? So genau kenne ich mich mit Verwaltung nicht aus. Vielleicht solltet ihr mich geleiten, dann geht das sicher am schnellsten ... ?"
Innerlich warf der Oberst die Hände in die Luft. Womit bei Angroschs Barte hatte er das nur verdient, all das um genau zu sein? Endete diese Farce denn niemals? Was hatte ihm der Herzog da nur eingebrockt? Den fast unüberwindlich starken Drang ignorierend seinen Kopf vor lauter Frust gegen die Wand hämmern zu wollen seufzte der Oberst herzzerreißend lang und tief. Er resignierte. Es half nichts, der Wille des Herzogs war nun einmal zu befolgen und wenn das hieß sich mit engstirnigen Beamten auseinandersetzen zu müssen, dann musste er wohl auch dies noch ertragen, wohl oder übel. Seine Abneigung gegenüber Beamten war nur fast ähnlich ausgeprägt wie die gegenüber Hofschranzen und er hoffte inbrünstig, dass sie ihn nicht wie üblich bis zur Weißglut reizen mit ihren Paragraphen und was wussten die Niederhöllen noch. Allzu trocken war Dwarosch Stimme, um sein Missfallen zu überhören, als er seine Meinung kundtat. “Ich denke wir gehen zum Sekretär der Landhauptfrau und fragen ihn, wer in unserem Falle zuständig ist. Wissen tue ich dies nämlich auch nicht. Als Soldat bin ich in der glücklichen Lage mich für gewöhnlich nicht mit solcherlei Dingen beschäftigen oder gar auseinandersetzen zu müssen.”
Da Beamte nach allgemeiner Auffassung nicht zu den Frühaufstehern gehörten, hatten der Oberst und der Kartograph ausreichend Zeit, so dass letzterer sich in einen respektablen Zustand versetzen und sogar noch eine Kleinigkeit zu sich nehmen konnte. Dann begaben sie sich gemeinsam durch die morgendlichen, noch wenig belebten Straßen Elenvinas zur Eilenwïd, wo die Wartezeit dank des Rangs und Auftretens des Zwergen glücklicherweise nicht allzu lang ausfiel. Bereits nach etwas über einer Stunde wurden sie zum Sekretarius der Landhauptfrau vorgelassen und in der Zwischenzeit sogar mit Getränken ihrer Wahl versorgt. Zwar linderte das die Nervosität des Herrn Wargenbast nur geringfügig, aber es hätte alles schlimmer sein können.
Mit näselnder, wenig interessierter Stimme fragte der Beamte nach ihrem Begehr. Der Kartograph setzte umständlich zu einer Erklärung an, verhaspelte sich aber mehrmals und übergab dann das Wort an den Zwergen, der dem Sekretarius genau ansah, dass dessen Geduld arg strapaziert wurde - was durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte. Also bediente Dwarosch sich militärischer Präzision. Das half immer; oder zumindest meistens.
"Um es kurz zu machen: Ich brauche in herzöglichem Auftrag einen Kartographen, dieser Mann hier ist der einzige, der gerade verfügbar ist, und er braucht ein Schreiben, welches ihn ehrenvoll aus seinem aktuellen Vertrag entlässt, um praiosgefällig ordnungsgemäß in die Dienste des Herzogs treten zu können. Sonst noch Fragen? Nein? Dann los, setzt das Schreiben auf oder lasst es machen. Wir warten draußen. Eine Stunde sollte genügen." Mit diesen Worten stand der Zwerg auf, zog Herrn Wargenbast, der ein hochrotes Gesicht bekommen hatte, mit sich und ignorierte den völlig verdatterten Gesichtsausdruck des Sekretärs, dem vor Schreck der Zwickel von der Nase gefallen war. Zum Glück hing der an einer dünnen goldenen Kette an seinem Kragen, wer weiß, was der teuren Sehhilfe sonst zugestoßen wäre. Forsch und nicht eben leise schloss Dwarosch die Tür zur Amtsstube, setzte sich wieder auf einen der unbequemen Stühle mit der steilen, hohen Lehne, welche für Zwerge völlig ungeeignet war und welche wohl wartenden Bittstellern unmissverständlich klar machen sollten, dass sie sich das nächste Gesuch gefälligst sehr genau überlegen sollten, und bestellte bei dem anwesenden livrierten Diener ein gutes Zwergenbier und einen Schnaps für den alten Mann. Der sah so aus, als hätte er den nun nötig.
Tatsächlich dauerte es nur mehr kaum länger als eine halbe Stunde, bis die beiden ein von der Landhauptfrau gesiegeltes Schreiben in der Hand hielten, welches dem Herrn Wargenbast bescheinigte, nun im Dienste von Herzog Hagrobald zu stehen, was jegliche vorherige Verpflichtung automatisch aufhob, aber geschädigte Parteien dazu berechtigte, bei gerechtfertigten und nachgewiesenen Schäden oder Nachteilen, welche ihnen daraus erwachsen wären, diese auf dem üblichen Dienstweg einzureichen, um eine angemessen großzügige Kompensation des Herzogenhauses zu erhalten. Weder der Zwerg noch der Kartograph verstanden auch nur die Hälfte der Sätze des Dokuments, doch Dwarosch war froh, der Bürokratie wieder entronnen zu sein, und Herr Wargenbast fügte sich in sein Schicksal, in der Hoffnung, seinen bisherigen Auftraggeber durch Zusendung einer Abschrift dieses Dokuments nicht zu sehr zu verärgern. Aber wer konnte sich schon einem Auftrag des Herzogs verweigern?