Der enttäuschte Held - Kapitel 3

Einen Plan zu schmieden

Kapitel 3 der Briefspielgeschichte "Der enttäuschte Held"

15. Travia 1043 BF, Gut Schweinsfold, Abend

Die beiden Kinder erreichten den Speisesaal und Sonnhild setzte nun ein gespieltes Lächeln auf. Mit scheinbar gut gelaunter Stimme trat sie an den Tisch heran, während der Page neben ihr wirkte als herrsche sieben Tage Efferdwetter.
“Hier ist die Karte, die ihr gefordert habt, Euer Wohlgeboren.” Mit einem leichten Knicks und gesenktem Haupt reichte Sonnhild ihrem Schwertvater die Karte. “Darf ich Euch noch Wein nachschenken?”

Stolz und mit recht glasigen Augen strahlte Reo in die Runde. “Vorbildliche Knappin und Page. Ein wahres Geschenk Rondras, findet ihr nicht? Ja, so schenk uns ein, Sonnhild!”

"So ist es!" pflichtete Leomar, seinen Kelch hebend, bei. "Tüchtig, tapfer und treu, dem Schwertvater stets zu Hand und Seite und Rondra zu Ehr, so gedeiht die Zukunft des Reichs und seiner Ritterschaft!"

Mit sichtbarer Vorfreude breitete Reo die Karten auf dem Tisch aus. “Seht, das sind die Landschaften Schweinsfolds. Es gibt nur noch eine Familie, die Saupfad, die die geheimen Pfade zur Schmiede des Ingra kennt. Diese wurden von meinen Vorfahren bestimmt und besagen, dass die Götter, wie auch das Land, die Ringe des Baronspaares segnen. Nun, ich glaube, ich habe die Wege entschlüsselt.” Nun strich er mit seinem Finger über die Karte und hielt auf einem dunklen Fleck an. “Hier ist ein kleines Moor. Hier ist der beste Ort, die Ringhüter zur Herausgabe zu fordern.”

"Jedenfalls werden wir sie dort gut stellen können." pflichtete Leomar bei. "Entscheidend wird aber sein, dass wir die Örtlichkeit, vor allem die Wegsamkeiten, gut kennen müssen, besser als die Ringhüter. Dann haben wir selbst in Unterzahl alle Trümpfe in der Hand. Hast Du noch genauere Karten?... Nicht schlecht für unser Unterfangen wäre, wenn Rondra und Efferd es gut mit uns meinten und uns morgen herbstliches Wetter angedeihen ließen." dachte Leomar laut weiter nach.

Für einen Moment schloss Baldos gequält die Augen. ‘Ich glaube’, ‘müsste’ oder ‘sollte’ waren Worte, die bei der Planung eines Unternehmens nicht vorkommen sollten. Und es sah Reo auch gar nicht ähnlich, so schlampig zu arbeiten. Er musste also unter enormen Druck stehen und deswegen leichtsinnige Risiken einzugehen. Dennoch, Baldos hatte Reo seine Hilfe zugesagt und der Paggenfelder würde sein Wort nicht brechen. “Besser wäre ein Ortskundiger, einer dieser Saupfads vielleicht.”

Reo klatschte in die Hände. ”Eine gute Idee, Baldos. Ich werde noch heute Nacht einen meiner Knechte schicken, um einen der Saupfads zu holen. Wenn der Held ruft, folgt das Volk!” Sichtlich überzeugt nahm er seine beiden Freunde an die Schulter. “Dieser Blautann könnte mir auch nützlich sein. Er könnte mir meine Raulgunde und Arika in die Hadinger Schmiede bringen lassen. Immerhin will er meine Tochter und so kann er schon jetzt seine Treue beweisen. Was meint ihr?"

Kaum merklich zuckte Travinian auf diese Frage hin zusammen. Würden die beiden sich für diesen Streit einspannen lassen? Andererseits, wenn Wallfried und Arika auch bei dieser Schmiede sein würden, könnten sie bestimmt helfen, dass sich alle wieder vertragen. Ja, das wäre bestimmt hilfreich. Kurz grinste der junge Page, dann schweifte sein Blick über die anderen Anwesenden.

"Der Gedanke ist gut. So siehst Du gleich, ob er taugt!" pflichtete Leomar Reo ein weiteres Mal bei. "Wobei ich ein besseres Gefühl bei der Sache hätte, wenn er beim eigentlichen Einfordern der Ringe, in diesem Moor da, nicht dabei wäre. Nur zur Sicherheit, um etwaige Missverständnisse zu vermeiden..." Immerhin kannte selbst Reo seinen Schwiegersohn in spe kaum. "Lässt es sich einrichten, dass er mit Raulgunde und Arika einen anderen Weg zur Schmiede des Ingra nimmt als die Ringhüter? Oder führt nur dieser eine dorthin?"

“Oh nein, Leomar. Es gibt ja den direkten Weg, die Ingra-Schmiede ist an sich kein geheimer Ort. Nur die Ringhüter müssen einen anderen Weg nehmen. Der Blautann soll natürlich den direkten Weg nehmen.” Reos Blick streifte flüchtig seine Knappin.

Sonnhild nickte Reo zustimmend zu. “Der schmale Pfad zur Schmiede geht direkt vom Gutshof Hadingen aus. Die Schmiede ist zu Fuß in nur wenigen Minuten zu erreichen”, antwortete sie in dem Bemühen, dienstbeflissen und eifrig zu wirken.

“Herr …”, fiepste Travinian daraufhin ungefragt in die Richtung seines Schwertvaters gewandt, “... bitte verzeiht meine Frage, aber sollen Sonnhild und ich die Frau Raugund herbeiholen, damit Ihr mit ihr darüber sprechen könnt? Vielleicht kann sie sich ja morgen mit Sonnenaufgang gleich auf den Weg machen.” Dem Jüngling fiel es schwer, seine Aufregung zu verhehlen. Mit Raugund wollten sie sowieso sprechen - so mussten sie nicht warten.

Kurz ruhte der glasige Blick des Junkers auf Travinian. Prosarisch ballte er die Faust. ”Junge, ein guter Einfall. Ich sehe, auch in dir steckt die Seele eines Helden. Zusammen,” er machte eine ausholende Geste mit seiner Hand, die alle Anwesenden inbegriff, “werden wir heute Nacht Historie schreiben. Das Volk wird von unseren mutigen Herzen sprechen. Hole diese Knechtin. Und ...und du wirst noch heute Nacht die Kunde zum Ritter Wallfried bringen. Ja, Travinian, du sollst die Stimme deines Schwertvaters sein! Nur los ihr zwei, geht, das Abenteuer kann beginnen!”

"Eine große Verantwortung, mein Junge." gemahnte Leomar Travinian und maß ihn mit prüfendem Blick von oben nach unten. "Nicht jeden Pagen würde man des Nachts mit so einer wichtigen Nachricht entsenden." Seine Worte galten nicht nur dem Knaben, sondern auch Reo. "Du darfst stolz sein, Dir bereits in so jungen Jahren ein solch großes Vertrauen Deines Schwertvaters verdient zu haben." gab der Ulenauer dem achtjährigen als weiteren Ansporn auf den Weg.

Travinian sah hilfesuchend zwischen den Anwesenden hin und her. Er solle die Nachricht überbringen? Er hatte doch noch nicht einmal verstanden um was es genau ging. Nur, dass es Streit gab und sein Schwertvater einen Plan auszuführen gedachte. Würde Sonnhild auch mitkommen? Der Baronet hoffte es. "I...ich?", fragte Travinian zögerlich. "In der Nacht? Und alleine?"

Sonnhild sah, wie verunsichert Travinian war und ohne zu zögern versuchte sie ihm beizustehen. “Herr”, begann sie “...möchte Euer Wohlgeboren noch zunächst mit der Dame Raugund sprechen oder sollen die beiden direkt aufbrechen? Soll ich in der Zwischenzeit schon einmal die Pferde zur Abreise vorbereiten? Dann hättet Ihr auch Zeit, das Schreiben zu verfassen, welches der junge Herr von Gugelforst in Eurem Namen überreichen darf? Schließlich geht es um eine wirklich wichtige Angelegenheit.”
Sie wollte einen kurzen Moment auf eine Antwort warten, doch wo sie gerade das Wort erhoben hatte, nahm sie ihren Mut zusammen und sprach noch schnell weiter: “Soweit ich weiß, wird meine Schwester unter den Ringhütern sein. Ihr könnt Euch gewiss sein, dass das Volk von Hadingen hinter Euch steht, doch sicherlich nur dann, wenn Ihr im rondrianischen Sinne die Ringe erwerbt. Drohungen, ein Hinterhalt oder gar ein Blutbad würden Euch nicht die Liebe des Volkes bringen.” Schüchtern senkte sie den Blick, da sie nicht wusste, ob sie mit dem Gesagten zu weit gegangen war.

Nun schaute Reo ein wenig verdutzt, lachte dann aber kurz. “Natürlich nicht allein, wo denkst du hin, Travinian. Zusammen mit der Raugunde natürlich.” Doch dann wurde er ernst. “Sonnhild. Nun enttäusche deinen Schwertvater nicht. Ich bin ein Held und Rondra ist stets mit mir. Hier wird nichts mit Waffengewalt geschehen. Niemandem wird auch nur ein Haar gekrümmt. Du müßtest mich eigentlich besser kennen. Und wenn es so stimmt wie du sagst, dann wird es deine Schwester sein, die mir die Ringe gibt, denn ein Hadinger erkennt eine wahre Gesinnung, nicht wahr?” Ohne eine Antwort abzuwarten, sprach er weiter. “Holt mir die Raugunde und macht die Pferde zur Abreise bereit.”
‘Hoffentlich behielt Reo Recht!’ bat Leomar innerlich. Doch so töricht war die Frage der Knappin keineswegs. Weniger die morgen drohenden Konflikte als vielmehr Reos Antwort bereitete ihm Sorgen. Was würde geschehen, wenn die Sache nicht so glatt lief, wie sein Freund es sich noch ausmalte? Wenn sie auf Widerstände stoßen würden? Wenn das vielleicht merkwürdige Volk, das die Ringe hüten und begleiten sollte, irgendwelche Dummheiten beging? Auf Rondra vertrauen und das Beste erhoffen war das eine, naiv sein aber das andere. Rondragefällig handeln hieß nicht zwingend, dass niemandem ein Leid geschah. Ganz im Gegenteil, sie alle, Reo, Baldos und er selbst hatten schon ganz andere Situationen erleben müssen. Würde Reo auch morgen bereit sein, zu tun, was getan werden musste, wenn es hart auf hart käme? Oder würde er diese Chance bei Gegenwind einfach verwehen lassen? So kannte er seinen Freund eigentlich nicht. Jedenfalls würde er das nicht zulassen. Es ging um so viel - da durfte man sich im Zweifel für nichts zu schade sein. “Morgen wird in jedem Fall ein Tag zu Rondras Ehren werden!” murmelte er mehr, als dass er laut aussprach.

Travinian wirkte immer noch unsicher. Er war bereits etwas müde und langsam sickerte es in seine naiven Kindergedanken, dass er wohl die ganz Nacht auf dem Pferd würde sitzen müssen. Welche Nachricht er zu überbringen hatte, wusste der Baronet immer noch nicht. Vielleicht würde sein Schwertvater ja noch mit Raugund reden. "Ähm … ja, Euer Wohlgeboren. Ich … ich werde Raugund holen." Sie würde wohl in der Küche essen, nahm der Gugelforster an.

Sonnhild hoffte, dass Reo mit seiner Behauptung, alles würde friedlich ablaufen, recht behielt. Jedoch konnte sie sich kaum ausmalen, dass die Ringhüter ihm einfach die Ringe übergeben würden. Wenn, dann nur widerwillig, auch wenn Sonnhild tatsächlich der Überzeugung war, dass das Volk sich einen fähigen Herrscher wie Reo wünschte, anstatt einer jungen Dame, die nie auf ihre Aufgaben vorbereitet worden war. Gerade in diesen unsicheren Zeiten, in denen das Land geschwächt war.
Die Knappin nickte und ergänzte die Antwort Travinians: “Und ich werde die Pferde für die Abreise vorbereiten.” Gemeinsam verließen sie den Raum. ‘Verflucht’, dachte sie. ‘Wie informiere ich denn jetzt Imelda? Travinian wird todmüde sein, wenn er in Herzogenfurt ankommt und sicherlich nicht mehr schaffen, meine Schwester zu warnen.” Sie überlegte, ob sie nachher noch einmal versuchen sollte, unter vier Augen mit Raugund zu sprechen. Doch die Chancen, dass diese eine Warnung überbringen würde, waren vermutlich ebenso gering.
“Ich kann nicht glauben, dass er dich mit Raugund mitten in der Nacht losreiten lässt”, fluchte sie mehr zu sich selbst als zu dem Pagen, als sich vor der Küche die Wege der beiden erst einmal trennen mussten. Sie drehte sich zu ihm und nahm seine Hände. “Immerhin bist du in Begleitung einer fähigen Schildmaid; sie wird sicher gut auf dich aufpassen”, versuchte sie ihm und auch sich selbst Mut zuzusprechen. “Ich kann gleich noch mal versuchen, den Herrn Reo zu überzeugen, dass ich euch beide begleite, aber ich fürchte, er will mich morgen früh an seiner Seite sehen…”, ergänzte sie mit sorgenvoller Miene.

Travinian seufzte leicht auf. "Ich kann dem Herrn Wallfried sagen, dass er mit deiner Schwester reden soll … so wie wir es ausgemacht haben …", der Page wirkte etwas zerknirscht, aber ein bisschen aufregend war die Situation ja schon, "... und Arika und er werden bestimmt nicht zulassen, dass gestritten wird."
Sonnhild nickte Travinian zustimmend zu, auch wenn der Plan sie nicht wirklich überzeugte. Wenn Wallfried Reos Gunst suchte, um Arika heiraten zu können, dann würde er vermutlich dessen Plan bedingungslos unterstützen, überlegte sie. Zumindest hatte sie ihre Zweifel, ob sie auf den ihr unbekannten Ritter setzen sollte.
Nachdenklich ging sie zu den Stallungen und begann für Raugund und den Pagen die Pferde zur Abreise vorzubereiten. ‘Was sollen wir nur tun?’ ging es ihr wie in einer Endlosschleife immer wieder durch den Kopf. Konnte sie Raugund einweihen? Nein, es war zu gewagt, da Raugund ja nun in Reos Auftrag unterwegs war. Als sie das Ross des Pagen fast fertig hatte, kam ihr eine Idee. Sie ließ das Pferd so wie es gerade stand und rannte aus den Stallungen. Eilig stieß sie das Tor des Palasgebäudes auf, spurtete auf die Treppe zu und nahm wie gewohnt zwei Stufen auf einmal. Sie konnte die Strecke im Blindflug bewältigen und rannte im Endspurt auf die Schreibstube des Junkers zu. Nach einem kurzen Klopfen, welches keine Zeit für eine Antwort zuließ, öffnete sie die Tür, betrat das Schreibzimmer und schloss die Tür leise hinter sich. Sie eilte zum Pult, nahm aus der obersten Schublade zwei Seiten Pergament und versuchte so schnell wie möglich, aber doch leserlich zu schreiben, ohne die Tinte über dem Schreibpult zu verteilen. Nervös blies sie sich das Haar aus den Augen.

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