Der enttäuschte Held - Kapitel 3

Einen Plan zu schmieden

Kapitel 3 der Briefspielgeschichte "Der enttäuschte Held"

15. Travia 1043 BF, Gut Schweinsfold, Abend

Die beiden Kinder erreichten den Speisesaal und Sonnhild setzte nun ein gespieltes Lächeln auf. Mit scheinbar gut gelaunter Stimme trat sie an den Tisch heran, während der Page neben ihr wirkte als herrsche sieben Tage Efferdwetter.
“Hier ist die Karte, die ihr gefordert habt, Euer Wohlgeboren.” Mit einem leichten Knicks und gesenktem Haupt reichte Sonnhild ihrem Schwertvater die Karte. “Darf ich Euch noch Wein nachschenken?”

Stolz und mit recht glasigen Augen strahlte Reo in die Runde. “Vorbildliche Knappin und Page. Ein wahres Geschenk Rondras, findet ihr nicht? Ja, so schenk uns ein, Sonnhild!”

"So ist es!" pflichtete Leomar, seinen Kelch hebend, bei. "Tüchtig, tapfer und treu, dem Schwertvater stets zu Hand und Seite und Rondra zu Ehr, so gedeiht die Zukunft des Reichs und seiner Ritterschaft!"

Mit sichtbarer Vorfreude breitete Reo die Karten auf dem Tisch aus. “Seht, das sind die Landschaften Schweinsfolds. Es gibt nur noch eine Familie, die Saupfad, die die geheimen Pfade zur Schmiede des Ingra kennt. Diese wurden von meinen Vorfahren bestimmt und besagen, dass die Götter, wie auch das Land, die Ringe des Baronspaares segnen. Nun, ich glaube, ich habe die Wege entschlüsselt.” Nun strich er mit seinem Finger über die Karte und hielt auf einem dunklen Fleck an. “Hier ist ein kleines Moor. Hier ist der beste Ort, die Ringhüter zur Herausgabe zu fordern.”

"Jedenfalls werden wir sie dort gut stellen können." pflichtete Leomar bei. "Entscheidend wird aber sein, dass wir die Örtlichkeit, vor allem die Wegsamkeiten, gut kennen müssen, besser als die Ringhüter. Dann haben wir selbst in Unterzahl alle Trümpfe in der Hand. Hast Du noch genauere Karten?... Nicht schlecht für unser Unterfangen wäre, wenn Rondra und Efferd es gut mit uns meinten und uns morgen herbstliches Wetter angedeihen ließen." dachte Leomar laut weiter nach.

Für einen Moment schloss Baldos gequält die Augen. ‘Ich glaube’, ‘müsste’ oder ‘sollte’ waren Worte, die bei der Planung eines Unternehmens nicht vorkommen sollten. Und es sah Reo auch gar nicht ähnlich, so schlampig zu arbeiten. Er musste also unter enormen Druck stehen und deswegen leichtsinnige Risiken einzugehen. Dennoch, Baldos hatte Reo seine Hilfe zugesagt und der Paggenfelder würde sein Wort nicht brechen. “Besser wäre ein Ortskundiger, einer dieser Saupfads vielleicht.”

Reo klatschte in die Hände. ”Eine gute Idee, Baldos. Ich werde noch heute Nacht einen meiner Knechte schicken, um einen der Saupfads zu holen. Wenn der Held ruft, folgt das Volk!” Sichtlich überzeugt nahm er seine beiden Freunde an die Schulter. “Dieser Blautann könnte mir auch nützlich sein. Er könnte mir meine Raulgunde und Arika in die Hadinger Schmiede bringen lassen. Immerhin will er meine Tochter und so kann er schon jetzt seine Treue beweisen. Was meint ihr?"

Kaum merklich zuckte Travinian auf diese Frage hin zusammen. Würden die beiden sich für diesen Streit einspannen lassen? Andererseits, wenn Wallfried und Arika auch bei dieser Schmiede sein würden, könnten sie bestimmt helfen, dass sich alle wieder vertragen. Ja, das wäre bestimmt hilfreich. Kurz grinste der junge Page, dann schweifte sein Blick über die anderen Anwesenden.

"Der Gedanke ist gut. So siehst Du gleich, ob er taugt!" pflichtete Leomar Reo ein weiteres Mal bei. "Wobei ich ein besseres Gefühl bei der Sache hätte, wenn er beim eigentlichen Einfordern der Ringe, in diesem Moor da, nicht dabei wäre. Nur zur Sicherheit, um etwaige Missverständnisse zu vermeiden..." Immerhin kannte selbst Reo seinen Schwiegersohn in spe kaum. "Lässt es sich einrichten, dass er mit Raulgunde und Arika einen anderen Weg zur Schmiede des Ingra nimmt als die Ringhüter? Oder führt nur dieser eine dorthin?"

“Oh nein, Leomar. Es gibt ja den direkten Weg, die Ingra-Schmiede ist an sich kein geheimer Ort. Nur die Ringhüter müssen einen anderen Weg nehmen. Der Blautann soll natürlich den direkten Weg nehmen.” Reos Blick streifte flüchtig seine Knappin.

Sonnhild nickte Reo zustimmend zu. “Der schmale Pfad zur Schmiede geht direkt vom Gutshof Hadingen aus. Die Schmiede ist zu Fuß in nur wenigen Minuten zu erreichen”, antwortete sie in dem Bemühen, dienstbeflissen und eifrig zu wirken.

“Herr …”, fiepste Travinian daraufhin ungefragt in die Richtung seines Schwertvaters gewandt, “... bitte verzeiht meine Frage, aber sollen Sonnhild und ich die Frau Raugund herbeiholen, damit Ihr mit ihr darüber sprechen könnt? Vielleicht kann sie sich ja morgen mit Sonnenaufgang gleich auf den Weg machen.” Dem Jüngling fiel es schwer, seine Aufregung zu verhehlen. Mit Raugund wollten sie sowieso sprechen - so mussten sie nicht warten.

Kurz ruhte der glasige Blick des Junkers auf Travinian. Prosarisch ballte er die Faust. ”Junge, ein guter Einfall. Ich sehe, auch in dir steckt die Seele eines Helden. Zusammen,” er machte eine ausholende Geste mit seiner Hand, die alle Anwesenden inbegriff, “werden wir heute Nacht Historie schreiben. Das Volk wird von unseren mutigen Herzen sprechen. Hole diese Knechtin. Und ...und du wirst noch heute Nacht die Kunde zum Ritter Wallfried bringen. Ja, Travinian, du sollst die Stimme deines Schwertvaters sein! Nur los ihr zwei, geht, das Abenteuer kann beginnen!”

"Eine große Verantwortung, mein Junge." gemahnte Leomar Travinian und maß ihn mit prüfendem Blick von oben nach unten. "Nicht jeden Pagen würde man des Nachts mit so einer wichtigen Nachricht entsenden." Seine Worte galten nicht nur dem Knaben, sondern auch Reo. "Du darfst stolz sein, Dir bereits in so jungen Jahren ein solch großes Vertrauen Deines Schwertvaters verdient zu haben." gab der Ulenauer dem achtjährigen als weiteren Ansporn auf den Weg.

Travinian sah hilfesuchend zwischen den Anwesenden hin und her. Er solle die Nachricht überbringen? Er hatte doch noch nicht einmal verstanden um was es genau ging. Nur, dass es Streit gab und sein Schwertvater einen Plan auszuführen gedachte. Würde Sonnhild auch mitkommen? Der Baronet hoffte es. "I...ich?", fragte Travinian zögerlich. "In der Nacht? Und alleine?"

Sonnhild sah, wie verunsichert Travinian war und ohne zu zögern versuchte sie ihm beizustehen. “Herr”, begann sie “...möchte Euer Wohlgeboren noch zunächst mit der Dame Raugund sprechen oder sollen die beiden direkt aufbrechen? Soll ich in der Zwischenzeit schon einmal die Pferde zur Abreise vorbereiten? Dann hättet Ihr auch Zeit, das Schreiben zu verfassen, welches der junge Herr von Gugelforst in Eurem Namen überreichen darf? Schließlich geht es um eine wirklich wichtige Angelegenheit.”
Sie wollte einen kurzen Moment auf eine Antwort warten, doch wo sie gerade das Wort erhoben hatte, nahm sie ihren Mut zusammen und sprach noch schnell weiter: “Soweit ich weiß, wird meine Schwester unter den Ringhütern sein. Ihr könnt Euch gewiss sein, dass das Volk von Hadingen hinter Euch steht, doch sicherlich nur dann, wenn Ihr im rondrianischen Sinne die Ringe erwerbt. Drohungen, ein Hinterhalt oder gar ein Blutbad würden Euch nicht die Liebe des Volkes bringen.” Schüchtern senkte sie den Blick, da sie nicht wusste, ob sie mit dem Gesagten zu weit gegangen war.

Nun schaute Reo ein wenig verdutzt, lachte dann aber kurz. “Natürlich nicht allein, wo denkst du hin, Travinian. Zusammen mit der Raugunde natürlich.” Doch dann wurde er ernst. “Sonnhild. Nun enttäusche deinen Schwertvater nicht. Ich bin ein Held und Rondra ist stets mit mir. Hier wird nichts mit Waffengewalt geschehen. Niemandem wird auch nur ein Haar gekrümmt. Du müßtest mich eigentlich besser kennen. Und wenn es so stimmt wie du sagst, dann wird es deine Schwester sein, die mir die Ringe gibt, denn ein Hadinger erkennt eine wahre Gesinnung, nicht wahr?” Ohne eine Antwort abzuwarten, sprach er weiter. “Holt mir die Raugunde und macht die Pferde zur Abreise bereit.”
‘Hoffentlich behielt Reo Recht!’ bat Leomar innerlich. Doch so töricht war die Frage der Knappin keineswegs. Weniger die morgen drohenden Konflikte als vielmehr Reos Antwort bereitete ihm Sorgen. Was würde geschehen, wenn die Sache nicht so glatt lief, wie sein Freund es sich noch ausmalte? Wenn sie auf Widerstände stoßen würden? Wenn das vielleicht merkwürdige Volk, das die Ringe hüten und begleiten sollte, irgendwelche Dummheiten beging? Auf Rondra vertrauen und das Beste erhoffen war das eine, naiv sein aber das andere. Rondragefällig handeln hieß nicht zwingend, dass niemandem ein Leid geschah. Ganz im Gegenteil, sie alle, Reo, Baldos und er selbst hatten schon ganz andere Situationen erleben müssen. Würde Reo auch morgen bereit sein, zu tun, was getan werden musste, wenn es hart auf hart käme? Oder würde er diese Chance bei Gegenwind einfach verwehen lassen? So kannte er seinen Freund eigentlich nicht. Jedenfalls würde er das nicht zulassen. Es ging um so viel - da durfte man sich im Zweifel für nichts zu schade sein. “Morgen wird in jedem Fall ein Tag zu Rondras Ehren werden!” murmelte er mehr, als dass er laut aussprach.

Travinian wirkte immer noch unsicher. Er war bereits etwas müde und langsam sickerte es in seine naiven Kindergedanken, dass er wohl die ganz Nacht auf dem Pferd würde sitzen müssen. Welche Nachricht er zu überbringen hatte, wusste der Baronet immer noch nicht. Vielleicht würde sein Schwertvater ja noch mit Raugund reden. "Ähm … ja, Euer Wohlgeboren. Ich … ich werde Raugund holen." Sie würde wohl in der Küche essen, nahm der Gugelforster an.

Sonnhild hoffte, dass Reo mit seiner Behauptung, alles würde friedlich ablaufen, recht behielt. Jedoch konnte sie sich kaum ausmalen, dass die Ringhüter ihm einfach die Ringe übergeben würden. Wenn, dann nur widerwillig, auch wenn Sonnhild tatsächlich der Überzeugung war, dass das Volk sich einen fähigen Herrscher wie Reo wünschte, anstatt einer jungen Dame, die nie auf ihre Aufgaben vorbereitet worden war. Gerade in diesen unsicheren Zeiten, in denen das Land geschwächt war.
Die Knappin nickte und ergänzte die Antwort Travinians: “Und ich werde die Pferde für die Abreise vorbereiten.” Gemeinsam verließen sie den Raum. ‘Verflucht’, dachte sie. ‘Wie informiere ich denn jetzt Imelda? Travinian wird todmüde sein, wenn er in Herzogenfurt ankommt und sicherlich nicht mehr schaffen, meine Schwester zu warnen.” Sie überlegte, ob sie nachher noch einmal versuchen sollte, unter vier Augen mit Raugund zu sprechen. Doch die Chancen, dass diese eine Warnung überbringen würde, waren vermutlich ebenso gering.
“Ich kann nicht glauben, dass er dich mit Raugund mitten in der Nacht losreiten lässt”, fluchte sie mehr zu sich selbst als zu dem Pagen, als sich vor der Küche die Wege der beiden erst einmal trennen mussten. Sie drehte sich zu ihm und nahm seine Hände. “Immerhin bist du in Begleitung einer fähigen Schildmaid; sie wird sicher gut auf dich aufpassen”, versuchte sie ihm und auch sich selbst Mut zuzusprechen. “Ich kann gleich noch mal versuchen, den Herrn Reo zu überzeugen, dass ich euch beide begleite, aber ich fürchte, er will mich morgen früh an seiner Seite sehen…”, ergänzte sie mit sorgenvoller Miene.

Travinian seufzte leicht auf. "Ich kann dem Herrn Wallfried sagen, dass er mit deiner Schwester reden soll … so wie wir es ausgemacht haben …", der Page wirkte etwas zerknirscht, aber ein bisschen aufregend war die Situation ja schon, "... und Arika und er werden bestimmt nicht zulassen, dass gestritten wird."
Sonnhild nickte Travinian zustimmend zu, auch wenn der Plan sie nicht wirklich überzeugte. Wenn Wallfried Reos Gunst suchte, um Arika heiraten zu können, dann würde er vermutlich dessen Plan bedingungslos unterstützen, überlegte sie. Zumindest hatte sie ihre Zweifel, ob sie auf den ihr unbekannten Ritter setzen sollte.
Nachdenklich ging sie zu den Stallungen und begann für Raugund und den Pagen die Pferde zur Abreise vorzubereiten. ‘Was sollen wir nur tun?’ ging es ihr wie in einer Endlosschleife immer wieder durch den Kopf. Konnte sie Raugund einweihen? Nein, es war zu gewagt, da Raugund ja nun in Reos Auftrag unterwegs war. Als sie das Ross des Pagen fast fertig hatte, kam ihr eine Idee. Sie ließ das Pferd so wie es gerade stand und rannte aus den Stallungen. Eilig stieß sie das Tor des Palasgebäudes auf, spurtete auf die Treppe zu und nahm wie gewohnt zwei Stufen auf einmal. Sie konnte die Strecke im Blindflug bewältigen und rannte im Endspurt auf die Schreibstube des Junkers zu. Nach einem kurzen Klopfen, welches keine Zeit für eine Antwort zuließ, öffnete sie die Tür, betrat das Schreibzimmer und schloss die Tür leise hinter sich. Sie eilte zum Pult, nahm aus der obersten Schublade zwei Seiten Pergament und versuchte so schnell wie möglich, aber doch leserlich zu schreiben, ohne die Tinte über dem Schreibpult zu verteilen. Nervös blies sie sich das Haar aus den Augen.

***

Es dauerte nicht lange, da erschien Reos Page mit der Edelmagd im Schlepptau im Rittersaal. Raugund von Dürrntann war immer noch adjustiest, wiewohl ein kleiner Fleck Bratensaft an ihrer Wange davon kündete, dass sie wohl gerade eben dabei gewesen war ihr Abendmahl einzunehmen.
"Ihr wünscht, Euer Wohlgeboren?", fragte sie neugierig, obwohl Travinian sie bereits mit Worten zugebrabbelt hatte, die für die Frau jedoch nicht wirklich Sinn ergaben.

Reo stellte seinen Kelch ab. “Werte Raugund, ihr seid auserkoren worden, eine äußerst wichtige Nachricht zu eurem Herrn zu bringen. Ihr würdet uns wie auch eurem Herren einen wichtigen Dienst erweisen. So brecht noch heute Nacht auf und nehmt meinen Pagen, seine Wohlgeboren Travinian von Gugelforst mit. Er wird meine Stimme sein. Doch geht sicher, diese Nachricht auch nur dem Ritter Wallfried von Blautann persönlich zu überbringen.”

Raugunds Blick ging zwischen Reo und Travinian hin und her. Sie runzelte ihre Stirn. “Ähm ja, wie Ihr wünscht … und äh die Nachricht? Euer Page soll sie übergeben? Mündlich? Oder einen Brief?” Die Edelmagd war nicht die hellste Kerze am Kandelaber, konnte nicht rechnen und auch nicht lesen, aber sie hatte Menschenkenntnis und konnte dem jungen Baronet die Unsicherheit an seinem Antlitz ablesen.

Der Junker griff nach einem gesiegelten Brief und reichte ihn der Knechtin. “Ein Brief.” Unmerklich schüttelte er den Kopf.

"Gut, dann holen wir unsere Pferde und machen uns auf den Weg", die Weidenerin nickte dem Junker zu und sah dann fordernd zu Travinian. Der Junge sah immer noch nicht sonderlich glücklich aus, aber er wollte niemandem eine Schande machen. Weder seinem Schwertvater, noch seiner Familie. Nachdem Raugund sich knapp verabschiedet hatte und auf ihrer Hacke kehrt machte, folgte ihr der Baronet nach draußen.

***

Sonnhild schloss hinter sich die Tür der Schreibstube und rannte zur Treppe, als sie von unten aus der Vorhalle Schritte und Stimmen hörte. Die beiden Pergamente hatte sie zusammenfaltet und unter ihrer Tunika versteckt. Sie linste durch das Geländer hindurch die Treppe hinunter, konnte nichts erkennen, doch zumindest die Stimmen von Travinian und Raugund heraushören. Obwohl auch ihr Schwertvater und die Gäste Travinian zu den Stallungen begleiteten und verabschiedeten? Wie sollte sie erklären, warum sie nicht bei den Pferden war? Sie wartete kurz und als sich die Außentür des Palas schloss, rannte sie die Treppen hinunter, sprang die letzten vier Stufen auf einmal hinab und schlich sich hastig in die Küche, wo sie die Köchin erblickte. “Hallo Witta”, trat sie unschuldig näher und hoffte, dass ihr das schwere Atmen nicht anzumerken war. “Noch wach?”, versuchte sie eine normale Konversation zu führen und ließ ihren Blick über das pure Chaos von Essensresten, dreckigen Töpfen und Pfannen und eine völlig erschöpfte Witta schweifen, die in der Spülschüssel herumhantierte. “Ich soll für Travinian was zum Essen einpacken. Er wird diese Nacht für den Herren unterwegs sein und braucht eine Stärkung bis morgen früh.” Harmlos lächelnd fuhr sie fort: “Lass’ dich nicht unterbrechen, ich mache das schon selbst.”
In Windeseile nahm sich Sonnhild ein paar Scheiben Brot, packte grob abgeschnittene Scheiben von Hartwurst und Käse dazwischen und wickelte alles in Wachspapier ein. Schon im Gehen schob sie die Briefe dazwischen und band eine Schnur um das Paket. “Gute Nacht, Witta!” Sie rannte zu den Stallungen, wischte sich vor dem Eintreten den Schweiß aus der Stirn, atmete noch einmal langsam durch und betrat den Stall.

Dort machten sich die Weidener gerade zum Aufbruch bereit. Travinian machte kein wirklich glückliches Gesicht und auch der Waffenknecht Derling schien alles andere als erbaut darüber zu sein hier mitten in der Nacht aufbrechen zu müssen. Aber das war nun einmal das Los eines Waffenknechtes - wenn die Herrschaft befahl, musste man aufbrechen. Lediglich Raugund schien die Sache stoisch aufzunehmen und half dem Baronet gerade damit den Sattel auf dessen Reittier festzuzurren als Sonnhild hinein kam.
“Ah die junge Dame”, meinte die Dürrntannerin und lächelte der Hadingerin freundlich zu. “Wir warten nur noch auf unsere Verpflegung, dann brechen wir auf.” Ihr Antlitz wurde etwas misstrauischer. “Ihr seht abgekämpft aus …”, bemerkte sie.

Die Tatsache, dass sie weder das Pferd für den Waffenknecht Derling, noch Proviant für die beiden Weidener Gäste vorbereitet hatte, brachte die junge Knappin in eine ihr unangenehme Situation, aus der sie spontan entfloh: Mit einem kurzem „Ähhh…“ drehte sie sich wortlos um und rannte ohne ein Wort der Erklärung zurück zur Küche. Wieder dort angekommen erblickte sie Witta, die noch immer griesgrämig die Pfannen spülte und sie stirnrunzelnd musterte. „Die Weidener Herrschaften wünschen ebenfalls Verpflegung!“ rief sie der Köchin gestresst zu. „Keine Sorge, ich mache das schon!“ Eilig und lieblos schnürte sie Brot mit Wurst und Käse zu zwei weiteren Paketen zusammen und spurtete nun noch schneller zurück zu den Stallungen. Diesmal völlig außer Atem und mit verschwitzter Stirn pustete sie sich die Haare aus dem Gesicht. „Hier, ein bisschen Proviant. Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Ich hoffe, die Herrschaften haben eine gute Reise.“ Sie verteilte die geschnürten Pakete an die beiden Weidener, um dann Travinian zum Schluss das Paket mit den beiden Briefen zu übergeben. Sie schickte sich an, ihn in eine Abschiedsumarmung zu drücken.

Der Waffenknecht Derling zog ob des seltsamen Gebaren der Knappin irritiert seine Augenbrauen hoch. Am Herzogenhof würde man sowas nicht dulden. Raugund hingegen schien dem ganzen keine Bedeutung beizumessen - sie war fokussiert auf ihren Auftrag und die bevorstehende, anstrengende Nacht. “Gut dann können wir ja los …”, beschied sie als Ranghöchste und ließ sich eine große Fackel reichen. Auch wenn die Nacht sternenklar war, würden sie Lichtquellen benötigen, vor allem weil niemand der Anwesenden wirklich ortskundig war. “Aufsitzen, junger Herr”, forderte sie dann auch den Baronet auf in die Hufe zu kommen.
“Ähm … ja … Moment …”, Travinian schien das Angebot Sonnhilds anzunehmen und ließ sich auf die Umarmung ein.

Sonnhild drückte Travinian an sich und flüsterte ihm dabei schnell und leise ins Ohr: "Da sind zwei Briefe in deinem Proviant. Bitte gib beide heimlich Arika. Sie wird wissen, was zu tun ist." Als sich die Knappin von Travinian löste, schenkte sie ihm ein aufmunterndes Lächeln, verneigte sich höflich und sagte an alle drei Reisenden gerichtet: "Mögen die Götter Euren Weg beschützen!" Sie zögerte kurz, zog Travinian noch einmal an sich, drückte ihm einen schwesterlichen Kuss auf die Stirn und wuschelte ihm durchs Haar, obwohl sie annahm, dass Jungs in seinem Alter sowas eigentlich nicht mochten. Aber wer wusste schon was morgen geschehen würde…

Den Waffenknecht Derling schien dieses Gebaren zu belustigen. Er stieß einen Pfiff zwischen seinen Zähnen hervor. “So jung und die Frauen fallen ihm um den Hals …”, merkte der Mann anerkennend an, “... ganz seine hochgeborene Frau Mutter, die verdreht auch allen den Ko … Ahhh...Hey!”
Raugund setzte dem dummen Gerede mit ihrer behandschuhten Hand ein jähes Ende. “Spar dir deine dummen Reden”, zischte sie, bevor sie sich Sonnhild zuwandte. “Habt dank junge Dame. Für die Verpflegung und die netten Worte.” Sie lächelte der Hadingerin zu und führte dann ihr Pferd - eine eher schmucklose graue Nordmähne - aus der Burg. Travinian und Derling, der sich immer noch den Kopf rieb, taten es ihr dann gleich. Dann waren die drei Weidener auch schon bald in der Dunkelheit der Nacht verschwunden.

Als der Waffenknecht Derling auf Travinians Mutter zu sprechen kam, warf Sonnhild ihm einen vernichtenden Blick zu. ‘Männer…’, dachte das Mädchen zornig. Doch bevor ihr aus Versehen etwas herausrutschte, was sie später bereuen würde, hatte sich zu ihrem Glück bereits Raugund zu Wort gemeldet. Sonnhild seufzte einmal tief, zwinkerte Travinian zuversichtlich zu, verbeugte sich noch einmal vor den ausreitenden hohen Herrschaften und sah diesen nachdenklich hinterher. Dann schloss sie das Burgtor und wollte zu ihrem Herrn zurückkehren. Plötzlich fühlte sie sich unsagbar müde und erschöpft. Als sie in der Tasche ihrer Tunika den Zigarillo entdeckte, den sie schon vorhin seinem Besitzer hatte zurückgeben wollen. Aus einer Laune heraus steckte sie diesen an einem der Fackelhalter an, lehnte sich an die Burgmauer und zog vorsichtig an dem Glimmstängel. So ganz konnte sie nicht die Faszination des Rauchens nachvollziehen, doch kam sie sich sehr lässig und erwachsen vor, als sie die Rauchwolken in die kühle Nachtluft blies.

***

Die Knappin hatte den Zigarillo ausgedrückt und stapfte zum Speisezimmer zurück. Auch die kurze Pause und die kühle Nachtluft hatten das nagende, ihr den Hals zuschnürende Gefühl, dass alles sehr böse für Reo und vermutlich auch für sie selbst enden würde, nicht lindern können. Schlecht gelaunt und erschöpft betrat sie den Saal. Wegen der Gäste versuchte sie sich ihren Gemütszustand nicht anmerken zu lassen und trat mit aufrechter Haltung an den Tisch. "Travinian ist mit den Weidener Gästen aufgebrochen. Kann ich noch etwas für Euch tun, Euer Wohlgeboren?"

"Gut so." brummte Leomar leise in seinen Bart. Gleichzeitig klopfte er Sonnhild aufmunternd von hinten an die Schultern, ehe er das Gespräch auf die Planungen zurück lenkte. "Nun, ein wenig mehr Wein könnte nicht schaden..." galt sein Blick Sonnhild, "denn wir haben noch einiges zu tun. Es wird wohl ein langer Abend und eine kurze Nacht werden, fürchte ich." Das Glitzern in Leomars Augen zeugte davon, dass ihn diese Aussicht nicht im geringten störte, sondern vielmehr anspornte. "Wir sollten früh am Ort des Zugriffs sein, damit wir uns diesen in Ruhe anschauen und vielleicht sogar präparieren können, oder? Außerdem denke ich, dass wir die Ringhüter und ihre Zeugen nicht einfach blind erwarten, sondern ihren Weg zu uns kundschaftlich überwachen sollten. Nur zur Sicherheit, dass sich die feine Gesellschaft nicht verläuft. Jedenfalls nicht an der falschen Stelle." lachte der Boronswalder jetzt.

Nun schaute Reo seine Knappin an. “ Du solltest zu Bett gehen, Sonnhild. Wir werden früh aufbrechen.” Dann drehte er sich zu seinen Freunden um. “Ich denke das sollten wir alle. Nehmt ruhig den Wein mit, wenn ihr mögt. Und du”, dabei schaute er einen seiner Knechte an,” weckt mich, sobald der Kundschafter da ist.” Dann machte er sich auf, die Runde aufzulösen.

Noch während Leomar sprach, füllte sie den hohen Herren den Wein großzügig nach. “Rondra zu Ehren…”, sagte sie dabei leise mit einem freundlichen Nicken, um das Gespräch der Erwachsenen nicht zu unterbrechen. Dass Reo davon sprach, dass alle zu Bett gehen sollten, überraschte die Knappin, da Leomar zuvor eine lange Nacht mit Planungen angedeutet hatte. Sonnhild fragte sich, wie detailliert Reo diese Sache wirklich geplant hatte. Immerhin schien er die Karten schon länger studiert zu haben. Andererseits war die nächtliche Mission für Travinian doch sehr spontan beschlossen worden. Sonnhild runzelte die Stirn. Brachte ein schlecht geplantes Unterfangen ihre Schwester Imelda weniger in Gefahr - oder eher noch mehr? Sie konnte dies nicht einschätzen, wusste aber, dass sie dringend etwas Schlaf brauchte, um morgen einigermaßen gewappnet zu sein und so versuchte Sonnhild die Gelegenheit zu ergreifen, sich verabschieden zu können. “Sehr wohl, Euer Wohlgeboren. Dann sehen wir uns zur frühen Morgenstunde.” Sie hatte sich in der Zwischenzeit zum Eingang des Raumes zurückgezogen und verbeugte sich tief gegenüber den Herrschaften. “Ich wünsche eine ruhige und erholsame Nacht. Möge Bishdariel segensreiche Träume bringen und die Götter mit uns sein.” Dann ging sie schleunigst in Richtung ihres Zimmers, bevor die Runde doch noch einen Wunsch ihr gegenüber äußern konnte.

"Wenn Du meinst..." brummelte Leomar, sichtlich enttäuscht, das Planen so früh schon zu vertagen. "Wahrscheinlich hast Du Recht." schickte er dann hinterher, ohne überzeugt zu klingen. "Lasst uns morgen mit frischem Geist an die Sache herangehen. Dürfte ich die Karten mit in mein Gemach nehmen, Reo? Sicher werde ich bereits zu nachtschwarzer Stunde wieder wach sein, und könnte so noch ein bisschen über jene brüten, wenigstens bis der frühe Hahn auch Euch Langschläfer weckt." Dass sie länger liegen konnten, war für den Ulenauer ausgeschlossen, eigentlich war ihm bereits das zu spät. Der frühe Vogel fängt die Beute…

Baldos tauschte einen überraschten Blick mit Leomar. Reo verhielt sich insgesamt sehr sonderbar. Sein Unbehagen wuchs mit jedem Augenblick mehr. Nun beendete ihr Freund den gerade begonnenen Abend, dabei hatten sie noch nicht mal in Ruhe zusammengesessen, den Wein und das Rauchwerk genossen. “Wie ihr meint. Dann wünsche ich eine gute Nacht.” Erwiderte Baldos sichtlich enttäuscht.
Anstatt auf sein Zimmer zu gehen, schlenderte der Ritter in den Hof und zündete sich einen Zigarillo an. Ihm ging zu viel im Kopf um, als das er schlafen könnte. Reo stellte sich das Unternehmen morgen so einfach vor. Aber was, wenn Hardomar oder Dorcas morgen die Gruppe begleiten? Sie würden nicht einfach so die Waffen strecken und er könnte niemals die Waffe gegen sie erheben. Und an diesen Botenritt des jungen Pagen… Gequält fuhr sich Baldos mit der Hand übers Gesicht.

Finis.