Auf Dem Ruecken Der Ingrakuppen

Auf dem Rücken der Ingrakuppen

Der Oberst in Oberrodasch

Autoren: RekkiThorkarson und TanFlam

Anfang Ingerimm 1040 B.F.

Dwaroschs Herz hämmerte vor Anstrengung, das Blut raste durch seine Adern, seine Beine, vor allem die massiven Waden brannten, waren angeschwollen durch die verrichtete Arbeit und doch, er wollte in diesem Moment nichts Anderes tun und vor allem nirgend wo anders sein. Mit dem Rücken zu den höchsten Gipfeln der Ingrakuppen stand der Sohn des Dwalin auf einem schmalen Gebirgspfad und sah hinunter ins Hochtal des Isenhag. Er berauschte sich an dem Panorama, welches eingefasst von den begrenzenden Gebirgszügen alles bot, was sich ein Angroschim wünschen konnte. Da waren die vielen Schattierungen des allgegenwärtigen Grüns der tiefen, urtümlichen Wälder, diverse Grautöne der Bergmassive, das rote Schimmern des erzhaltigen Eisenwaldes, das glänzende, Praios‘ Antlitz reflektierende Weiß der ewigen Gletscher, und ja, von hier oben vermochte Dwarosch sogar ein blaues Schimmern in der tiefen Schlucht zu erkennen, welche sich durch den Isenhag zog und Ingrakuppen vom Eisenwald trennte, den Großen Fluss. Oh, wie liebte er diesen Anblick. Dies war all das, was Dwarosch mit dem Begriff Heimat verband und so wie Albrax, ihr aller Hochkönig, die Wacht über den Kosch etabliert hatte, um die vermeintlich arglosen Hügelzwerge zu schützen, so hatte sich der Sohn des Dwalin in den Kopf gesetzt, alles ihm Mögliche zu tun, den Isenhag vor Ungemach zu bewahren. Denn genau dies war die ursprüngliche Heimat seines Volkes. Die Ingrakuppen beherbergten die geschichtlich gesehen zweite Stadt der Angroschim, die älteste, existierende Stadt des gesamten Kontinents, das mystische Xorlosch, Zentrum des Angrosch-Kultes. Gegenüber im Eisenwald jedoch waren die Stammväter aller Zwerge vom ewigen Schmied aus Feuer und Erz erschaffen worden. Von dort aus waren sie einst ausgezogen, um sich in der Fremde neue Reiche zu gründen: in die Ingrakuppen, in den Amboss, den Kosch, in den Finsterkamm, in die heutigen Beilunker Berge, die Sicheln, den Phecanowald und ja, auch in die Blutzinnen im Orkland. Und auch wenn Reiche wie Umrazim und Lorgolosch untergegangen waren, so gab es in der nahen Vergangenheit auch nennenswerte Neugründungen, allen voran Angralosch im Raschtulswall.
Dwarosch liebte es in den Bergen zu wandern, das hatte er immer getan. Doch die letzten Götternamen hatte er es ganz besonders zu schätzen gelernt, denn hier oben schienen ihn die blutunterlaufenen Augen des Mantikors nicht zu erblicken, hier roch er seinen fauligen Atem nicht. Auf den Bergen fühlte er sich frei. Er nahm seine Feldflasche vom Gürtel und trank einen tiefen Zug des klaren Wassers, welches sie weiter unten von einem kalten Gebirgsbach aufgefrischt hatten, und blickte kurz hinter sich. Etwas abseits des Weges auf einer saftigen Alm saßen seine Soldaten. Es war eine kleine, ausgesuchte Schar seiner Gebirgsjäger. Unter ihnen war aber auch wie stets in jüngster Zeit
sein Adjutant Boringarth. Sie waren allesamt nur leicht gerüstet und bis auf die Armbrüste nur mit einfachen Äxten bewaffnet. Dwarosch selbst trug einen ärmellosen Wappenrock und eine kurze Lederhose, dazu hohe, geschnürte Stiefel, alles ein Zugeständnis an das Gelände und die warme Witterung des Frühsommers, welcher nach einem eisigen Ausnahme-Winter eher und wärmer über das Land kommen wollte. Der richtige Sommer würde heiß werden,
versprach dies.
Der Oberst nahm ein gebogenes Horn in die Hand, welches während des Aufstieges an seinem Rucksack befestigt gewesen war, holte tief Luft und blies kräftig hinein. Ein tiefer, vibrierender Ton erklang, trug in die Ferne und wurde von den umliegenden Bergflanken widerhallend zurückgeworfen. Nun würden die Bewohner von Oberrodasch wissen, dass Besuch kommen würde. Man überraschte keine Gebirgsbewohner, das war unhöflich. Bis zur Hohen Halle der Vögtin war es sicherlich noch eine gute Stunde bergauf, aber das war ein Bruchteil der Strecke, welche sie in den letzten Tagen von Senalosch aus zurückgelegt hatten. So dann trieb Dwarosch seinen Mannen aufmunternd an, den Rest des Weges anzutreten. ---


Utsinde sah von ihrer Gartenarbeit auf, als das Horn erklang. Sie wischte sich den Schweiß mit dem Handrücken von der Stirn und hielt sich die Hand über die Augen, um ins Tal blicken zu können. Gülden füllte PRAios‘ Antlitz die Berge. Ihre Berge. Und unten im Tal meinte sie kleine Punkte auszumachen. Ihr Zugeständnis an die Sonnenstrahlen war ein breiter tiefsitzender Strohhut, den sie zurück in den Nacken schob, um besser sehen zu können. Dann wandte sie sich an ihren jungen Gefährten: „Das war ein zwergisches Rufhorn. Hetzenberglein, wir bekommen Besuch. Sag deinen Eltern und deinem Großvater Bescheid, wir empfangen sie unten im Dorf.“
Der schwarzhaarige Knabe, welcher der Vögtin beim Jäten der frisch bestellten Gemüsebeete zur Hand ging, nickte erregt, legte die kleine Handharke auf die Gartenmauer aus Bruchsteinen und hüpfte den Weg hinab zum Gutshof.
Utsinde putzte sich die Hände an ihrer Schürze ab und trat ins Haus, um sich umzuziehen. Zuvor warf sie noch einen Blick in die Sommerscheune. Unter dem nach vorn und hinten offenen Unterstand drang unentwegt das Schaben eines Hobels. „Muragosch! Mach Schluss, wir gehen runter und schauen, was unsere Freunde herführt.“ ---


Als der kleine Trupp Angroschim Oberrodasch erreichte, wurden die Zwerge um ihren Oberst beinahe wie Helden empfangen. Gäste hier oben waren selten, eine nur allzu rasch erschöpfliche Abwechslung und daher jedes Mal ein Ereignis, das die gesamte Bevölkerung zusammentrieb. Die Bewohner des Almdorfes legten ihre Arbeit für so einen Anlass erlaubterweise und gerne für einige Zeit nieder und schwenkten nun statt Holzäxten und Sensen Hüte und Tücher, ein paar Kinder überreichten den ankommenden Gästen Blumensträuße und Strohkränze. Auch Erfrischungen wurden gereicht, so dass der Empfang mehr war als das warme Wort des Willkommens aus dem Munde der Vögtin. Die Adeligen dieser Höhen hatten sich ebenfalls gesammelt eingefunden: der alte Faldor von Hetzenberg, Hausritter der Vogtei und so etwas wie der zweite Herr des Dorfes, stand neben seiner Gebieterin, der Vögtin Utsinde von Plötzbogen, herausgeputzt in seinem Oberrodascher Wappenrock mit den polierten Schulterplatten. Das Statussymbol seines Standes, sein altes Familienschwert, gegürtet, den grauen Bart gewachst und frisiert. Nur die buschigen grauen Augenbrauen standen trotzig nach allen Seiten ab. Neben ihm sein Ältester mit Namen Ronan, ein Ritter in den frühen 40ern. Oberrodaschs zweiter Ritter und jener, der die Lanze Utsindes in den Feldzug geführt hatte. Dieser trug ebenfalls Wappenrock und eine feierliche Schulterplatte. Vor der Gemahlin Ronans stehend freute sich der kleine schwarzhaarige Junge auf die Gruppe Angroschim und als die Vögtin die Gäste begrüßt hatte, war es an dem Burschen, das Tablett mit dem Willkommensgruß bestehend aus Käse und Schnaps herumzureichen.

Sodann lud die Vögtin in den Wehrhof ihres Vasallen ein, damit man Neuigkeiten austauschen konnte. Dieser unterschied sich von den kleinen, eher gedrungen wirkenden Wohnhäusern insofern, als dass er allein schon eine dicke Mauer besaß, die einen kleinen Hof umschloss und an die sich im Innern die Ställe, ein Häuschen mit Donnerbalken und ein Schuppen schmiegte. Durch ein breites Tor aus dicken Stämmen betrat man den kleinen Hof. Das dreistöckige Wohn- und Residenzgebäude der Rittersfamilie von Hetzenberg war ein rechteckiger Bau mit einem gemauerten Untergeschoss, dessen drei Seiten die hintere Mauer bildeten. Es gab Fenster, auch zum hinteren Teil der Mauern hinaus, aber die waren nur Scharten, die sich nach innen verjüngten. Die restlichen Fenster in den oberen Stockwerken waren klein und mit dicken Läden versehen. Bei warmen Temperaturen standen diese offen. Der Zugang zu den Wohnräumen lag im ersten Stock und war nur über eine hölzerne Stiege erreichbar, die man in Notzeiten auch ganz einfach von oben her abschlagen konnte, wenn es galt, den Zugang ins Innere des Gebäudes zu verrammeln. Der erste Stock bestand aus einem massiven Fachwerk, welches nur an der dem Hof zugewandten Seite für ein paar Schritt von einer durchweg hölzernen Bohlenwand durchbrochen war, in die eine Fensterfront aus bunten dickwandigen, runden Glasscheiben eingesetzt worden waren, die die Wärme der dahinterliegenden Stube zurückhalten, aber doch einen herrschaftlichen hellen Raum für Gerichtsbarkeit und Wohnen bieten sollte. Eine enge kantige Treppe führte in der Gebäudemitte nach unten in das gemauerte Erdgeschoss und auch nach oben, zu den restlichen Wohnräumen. Das Dach war holzgedeckt und stellenweise moosbewachsen, der Winkel des Dachfirsts so, dass üppige Schneemassen nach allen Seiten gut abrutschen konnten, aber immer noch genügen Schnee auf den Schindeln verblieb, um von außen zu isolieren. Die bunte Fensterfront in der Stube konnte im Winter zusätzlich durch einen hochschiebbaren Laden verdichtet werden, so dass der Raum, in der auch ein breiter Kamin stand, wohlig warm blieb. Wenn auch dunkel, denn die Holzvertäfelung war alt und dunkelbraun, die Decke vom Feuerrauch rußgeschwärzt. Hier schien sich aber das Leben abzuspielen, denn es stand nicht nur ein schmaler Webrahmen und eine lange Speisetafel, sondern auch ein Schreibtisch mit Waagschale darauf. Die Wände zierten Felle und eine
hölzerne Ahnentafel, nebst dem Wappen der Vogtei und einer Laute, die in einer Ecke aufgehängt war. Über dem Esstisch mochte ein herabhängendes Wagenrad mit einer Unzahl an Kerzenstumpen bei Bedarf den Raum erhellen.

Die Vögtin nahm Platz in einem herrschaftlichen, mit Fellen gepolsterten Stuhl am Ende der Tafel in der Stube. Sonst saß wahrscheinlich immer der Hausherr darin. Er nahm stattdessen neben ihr auf der langen Bankreihe Platz, denn Stühle besaß die Tafel nicht. Bier und Schnaps ward schnell aufgetischt. Utsinde war gespannt zu erfahren, was den Oberst und seine Mannen hier hertrieb.
Nachdem Dwarosch etwas von dem Dargebotenen gekostet und auch seinen Durst gestillt hatte stand er auf und wandte sich an die Vögtin. „Eure Hochgeboren, zunächst möchte ich euch Grüße überbringen von Borindarax, dem Sohn des Barbaxosch, Vogt von Nilsitz aus der Stadt Senalosch.“
Ein Lächeln zeigte sich im Gesicht der Vögtin. „Hab dank, Oberst, und tragt unserem lieben Feund doch bitte dieselben zurück. – Aber ich nehme an, ihr seid nicht nur der Grüße wegen hier?“
"Das werde ich! - In der Tat ist der Anlass meines Besuches ist ein anderer: Das Eisenwalder Garderegiment bildet unter meiner Führung ein Banner Gebirgsjäger aus, welche als schnelle Eingreiftruppe alle Wege unter und auch über den Berg nehmen muss, um das angestrebte Ziel in möglichst kurzer Zeit zu erreichen. Derzeit finden Marschübungen in der Vogtei Nilsitz und der Baronie Rabenstein statt, um die besten und gangbarsten Routen über den
Eisenwald auszumachen und entsprechend zu kartographieren. Dies soll auch auf den Ingrakuppen geschehen. Graf Ghambir vom Isenhag ist selbstverständlich involviert und hat dem Unterfangen zugestimmt. Doch ist dies mitnichten ein reiner Höflichkeitsbesuch. Ihr verwaltet dieses Land und selbst meine Brüder und Schwestern akzeptieren euch als eine der ihren. Ich möchte euer persönliches Einverständnis für dieses Unterfangen. Außerdem ist es mir ein Anliegen, alle offenen Fragen im Vorfeld zu klären, um Missverständnisse zu vermeiden. Offen gesagt war mir die Reise aber auch eine große Freude, bin ich doch viel zu lange nicht mehr hier oben gewesen.”
„Ihr Eisenwalder verirrt euch selten hierher, das stimmt,“ erwiderte Utsinde mit einem Schmunzeln. „Was aber keinesfalls ein Vorwurf sein soll, mein Lieber. Doch bitte, so setzt euch doch wieder und dann sprechen wir über euer Anliegen. Über beide. Das eine, wie auch das andere.“ Spielte sie auf die Worte des Angroschos an und bevor sie sich an den jüngeren der beiden Ritter wandte. „Ronan, bitte holt doch schon mal die Karten, seid so nett.“
Der Angesprochene nickte und verschwand aus der Stube, in der die Stimmung merklich gelöster wurde, da nun klar war, um was es hier bei diesem Aufmarsch ging. Die Vögtin selbst trank einen Schluck aus ihrem Pokal und besah sich dann die Besucher. "Marschübungen. So so. Durchs Land des alten Rabenstein. Hat der denn etwa seinen Weg nach Punin gesucht, der alte Schweigsame?“ Sie wollte nicht Einauge sagen. „Nein, ich verstehe schon, um was es geht. Und natürlich dürft ihr euch all unserer…“ sie deutete nicht nur auf sich, sondern auch zu ihren treuen Vasallen, welche daraufhin zustimmend nickten. "…Unterstützung gewiss sein, Oberst Dwarosch. Ich plädiere schon lange dafür, das bestehende Kartenwerk aufzuarbeiten und zu einem detaillierten Gesamtarchiv zusammen zu sammeln, um zukünftigen Generationen - Menschen wie Angroschim - diese schönen Berge als weniger unüberwindbar darzustellen. Wir hier mögen die unseren Wege kennen, ihr drüben die euren, aber auf dem Gebiet des jeweils anderen scheinen wir ohne ortskundigen Führer aufgeschmissen. Euer Anliegen stößt also auf mein Wohlwollen. Ah, die
Karten!“
Der Ritter war zurück und übergab eine lange dicke Rolle aus mehreren Lagen Leder und Pergamenten an seine Herrin, die ihn anwies, das ganze Bündel gleich an den Oberst zu überreichen. „Wie ihr sehen werdet, Dwarosch, zeichnet man hier in Oberrodasch schon lange die Wege auf. Ich selbst habe vor etlichen Jahren – ach, da hat mein Mann noch gelebt - eine Aktualisierung vornehmen lassen. Es gibt heutzutage jedoch nicht mehr so viele, die
gangbar wären, denn jeder Besuch Firuns verändert die Landschaft. Wir bemühen uns, den Weg nach Meilingen und die Passage nach Rodaschquell und Wolfsstein frei und gangbar zu halten, an anderen Stellen mag uns das nicht gelingen. Es besteht auch nicht immer Notwendigkeit dazu, das versteht ihr sicher. … Wege unter dem Gestein hindurch sind vom Griff der Grimmigen sicherlich weniger betroffen, aber der Fels lebt, wie wir wissen, und so mag es doch auch alte Stollen aus der Vergangenheit geben, die heute leider verschüttet sind. Eine der Karten weist die Einstiege auf. Aber fragt mich bitte nicht, welche noch intakt und welche bereits blind sind… Dies zu erkunden dürfte eine Herausforderung werden.“ Sie schmunzelte erneut, aber seufzend. „Wenn ihr wünscht, stelle ich euch 2, 3 Mann zur Seite, doch mehr kann ich nicht aufbieten, müssen wir uns doch dieser Zeit um die Schäden kümmern, welche diese unbarmherzigen Wintermonde im Dorf angerichtet haben. Im PERaine hatten wir hier oben nämlich noch Schnee, müsst ihr wissen.“ Utsinde seufzte, weil sie ihr Winterquartier, welches sie sich traditionell jedes Jahr im
Stadthaus der ihrer Familie in Elenvina einrichtete, in diesem Jahr aufgrund des bitteren Winters früher verlassen hatte, um alsbald wie möglich in Oberrodasch sein zu können. Und dass sie deshalb verpasst hatte, wie nur kurz nach ihrer Abreise dort ihr geliebtes Patenkind Mutter eines kleinen Sohnes geworden war. Nun ja, irgendwann, so war sie sich sicher, würde sie das neugeborene Familienmitglied schon zu Gesicht bekommen. Und wenn sie dem Brief ihres Bruders, des frischgebackenen Ur-Großvaters, trauen durften, würde dies schon früher sein, als erwartet.
Der Oberst zeigte ein strahlendes Lächeln auf die wohlwollenden Worte der Vögtin hin und setzte sich wieder an den Tisch. Nachdem er einen kräftigen Schluck Bier getrunken hatte ging er auf die Eröffnung der alten Ritterin ein.
„Die Karten werden uns einiges erleichtern, meinen Dank dafür Hochgeboren. Dennoch wäre es in der Tat sinnvoll einen Ortskundigen dabei zu haben. Ich denke, ein Mann, der sich hier oben auskennt wird reichen euer Hochgeboren. Er sollte aber auch abseits der normalen Wege fähig sein uns zu führen. Meine Männer sind allesamt gebirgskundig und tragen entsprechende Ausrüstung für Kletterpartien und Seilschaften mit sich. Wir scheuen keine schwierigen Passagen. Zeit ist im Einsatzfall ein sehr kostbares Gut. … Was die Tunnel im Massiv der Ingrakuppen angeht, so werden wir von euch aus direkt nach Xorlosch weiterreisen. Der Rogmarog hat unserem Anliegen schon zugestimmt, besteht aber verständlicherweise darauf, dass alle Routen die inneren Verteidigungsringe des Berges nicht verletzen dürfen. Uns werden Prospektoren und Schachtfeger an die Seite gestellt werden, welche in den Außenbezirken des Reiches kundig sind. Ich konnte darüber hinaus mit Xadresch, dem Sohn des Xolltresch einen Kenner der Verteidigungsanlagen der Stadt für diese Aufgabe gewinnen. Er hat über Jahrzehnte die Fallen in den Tunneln gebaut und
gewartet. Diese Berge sind seine Heimat.”
„Ihr habt euch viel vorgenommen – Allerdings scheint ihr auch sehr gut vorbereitet. Drum habe ich für den Erfolg eurer Unternehmung nicht den leisesten Zweifel.“ Ein anerkennendes Schmunzeln der Vögtin, bevor sie noch hinzufügte: „Ich werde euch Frunhard, einen unserer Jäger mitschicken. Denn zielführende Dinge unterstützen wir in Oberrodasch immer gerne.“ Sie ließ diese Aussage so stehen. Ein Lächeln begleitete sie. Allein der ältere Ritter an ihrer Seite, der alte Hetzenberg, wusste, dass seine Herrin nicht immer so heiter war, dass ‚zielführend‘ in Utsindes Augen eigentlich ‚sinnvoll‘ bedeutete und dass selbige dieses Credo erst entwickelt hatte, nachdem der wenig zielführende Krieg mit den abtrünnigen Nachbarn Albernia Oberrodasch etliche gute Hände und Utsinde selbst Mann und Sohn gekostet hatte.
Dwarosch griff nach einem würzig riechenden Stück Käse und biss herzhaft hinein. Es schmeckte kräftig, herb und salzig, so wie es die Angroschim liebten. "Ich sollte öfters hierher kommen. Nur wenige Menschen verstehen es den Geschmack meines Volkes so zu treffen.”
„Nun… Nur wenige Menschen verstehen es, Steinsalz mit Xorlosch zu handeln.“ Entgegnete die alte Ritterin mit einem Schmunzeln und sah in die Runde, ihre Vasallenfamilie eingeschlossen. "So greift doch alle ordentlich zu! Nur keine falsche Bescheidenheit! Wenn wir hier oben etwas haben, dann sind es Steine – und Käse!“
Der kleine schwarzhaarige Junge, der bislang dem Gespräch am Tisch mit großes Aufmerksamkeit gelauscht und die anwesenden Angroscho nebenbei bewundernd angestarrt hatte, ließ sich das nicht zweimal sagen und langte mit seiner verhältnismäßig kleinen Hand einen großen Happen. Offenbar ein Liebhaber der salzig-würzigen Spezialität. Seine Mutter schlug zwar entsetzt die Hände über den Kopf, die Vögtin hingegen lachte, als er es den zwergischen Gästen gleichtat und versuchte, sich das Käsestück ganz in den Mund zu schieben. Was aber daran scheiterte, dass es zu groß oder der Mund des Buben einfach zu klein war.
Der Oberst indes nickte dem Jungen zunächst anerkennend und feixend zugleich zu, um dann herzhaft zu lachen. "Das Geheimnis besteht allerdings nicht nur aus unserem Salz, sondern aus den würzigen Kräutern, die hier wachsen.“ Erklärte die Vögtin nicht ohne Stolz in der Stimme und ließ sich ebenfalls einen Käsehappen schmecken. „Nun, wenn euch unser Käse schmeckt: Der hier dürfte 4 oder 5 Jahre alter Geselle sein. Wir haben die jungen Leibe von letzten Jahr erst kürzlich umgelagert. Wollt ihr davon kosten? Ich muss euch nur vorwarnen…“ In einem Anflug neckischer Freude, die man von der gestrengen Herrin nicht erwartet hätte, beugte Utsinde sich zu Dwarosch vor. Die Stimme senkte sie nur wenig, denn offenbar sollte der Angesprochene es hören „…Faldor gibt diesen Käse ungern her, den isst er nämlich gern selbst.“ Schelmisch blickte sie anschließend zu dem graubärtigen Rittersmann, der natürlich
sofort einen dieser Käseleibe holen ließ. Das Schöne war, dass der Mann dabei genauso heiter zu Werke ging, wie seine Lehnsherrin. Ganz offensichtlich pflegte man hier in Oberrodasch einen lockeren Umgang – bei dem die
Hierarchien zwar nicht gänzlich aufbrachen, aber in vielen Momenten angenehm nebensächlich schienen.
Dwarosch trank einen großen Schluck aus seinem Humpen, bevor er antwortete. „Jetzt macht ihr mich aber sehr neugierig, Hochgeboren. Es wäre mir eine große Freude davon kosten zu dürfen!“
Alsbald lagen verschieden gereifte Käsestücke zur Verkostung der weitgereisten Gäste auf dem Tisch. Der erst kürzlich umgebettete war durch sein junges Alter noch milchweiß, nachgiebig und verströmte den intensiven Duft der Nadelhölzer, über denen man ihn erst vor wenigen Monden wohl geräuchert hatte. Ältere Käsesorten waren an ihrer Gelbfärbung erkennbar: umso goldgelber, umso würziger, herber und eben älter. Einige der Köstlichkeiten enthielten gehackte Kräuter – Süßklee, Nessel, Alveranswurz, Bibernelle, Eisenkraut – oder Nüsse und Sämereien wie die Früchte von Hasel, Buche oder Bergweizen. Als besondere Delikatesse pries der Hausherr allerdings den über 10-Jährigen, mit feinen Schinkenwürfeln durchsetzten rezenten Käse, dessen Schimmelkruste deutlich machte, dass er feucht lagerte. Aber nur dann entfalte diese Sorte ihren vollen Geschmack, so der alte Hetzenberg, dessen Passion das Schaffen neuer Sorten war. Den Schimmel könne man außerdem bedenkenlos mitessen.
Beim Fachsimpeln über das Handwerk der Käseherstellung zog sich die Vögtin zurück und überließ es ihrem Lehnsmann, den Oberrodascher Gaumenschmaus leidenschaftlich darzureichen. Da hatte ihr Freund dann doch mehr Ahnung als sie selbst. Und das fand ein jeder in Ordnung.
Der Sohn des Dwalin überzeugte als Kenner der unterschiedlichsten Käse-Sorten und fragt des Öfteren interessiert nach, auch in welche Städte der Grafschaft er geliefert wurde. Mehr noch jedoch sprach er dem Käse zu. Dwarosch schien wahrlich kein Kostverächter zu sein, auch wenn seine beeindruckend muskulöse Statur nur einen kleinen Bauchansatz zeigte.

Als der Oberst sich satt und zufrieden über den Bauch streichelte, bat Utsinde ihn noch einmal auf ein Wort. Während sich die Gefährten verköstigen ließen, nahm sie den graumelierten Angroschssohn mit auf einen kleinen Spaziergang durchs Dorf, vornehmlich, um sich die eigenen alten Knochen zu bewegen, denn es war ein sonniger Tag und die Luft angenehm erfüllt vom Duft dankbar erblühter Blumen und Blüten. Währenddessen fragte sie, wie es dem Nilsitzer Vogt ging, ob er sich nun schon eingelebt habe. Vor allem aber interessierte es sie, ob der Oberst bezüglich dessen Pläne zur Nilsitzer Jagdhütte etwas wusste.
Dwarosch konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als Utsinde auf seinen Verwandten und Freund Borax zu sprechen kam. „Er kämpft sich durch, jedenfalls behauptet er das. Ich verbringe viel Zeit auf Burg Nilsitz, um neuen Soldaten auszubilden, oder ich habe das Vergnügen solch schöne Ausflüge zu machen.“ Er breitete die dicken Arme aus und machte eine umgreifende Geste, als wolle er die Berge umarmen. „Borax wiederum kommt kaum aus seiner Arbeitsstube in Isarnon heraus. Er hat sich heimelig eingerichtet in der Verwaltung des alten Kalman und verbringt dort Nacht um Nacht vor den Büchern. Seine Versessenheit und Akribie die Vogtei wieder auf Vordermann zu bringen bewundere ich, indes möchte ich nicht an seiner Stelle sein. Mir wäre das viel zu viel…“, er zuckte mit den Schultern und suchte ein passendes Wort, „…verwaltungs…krams. Tagsüber ist er oft an den Öfen, schlafen tut er selten wie mir scheint, aber er ist nach seiner Aussage genau dort wo er sein will. Wie ihr meinen Worten entnehmen könnt, wir sehen uns nur selten dieser Tage.“
Utsinde lachte ebenfalls auf. „Ja, das klingt mir vertraut. Ich hatte schon bei unserem ersten Kennenlernen das Gefühl, dass er sich aus Arbeit geradezu ein Haus bauen will. Übereifer nennt man das, glaube ich. Er soll nur aufpassen, dass er sich nicht übernimmt. Das hat früher oder später bisher noch jedem geschadet. – sagt ihm das ruhig, wenn ihr zurück seid! Gerne auch verbunden mit Grüßen von mir.“
„Was die Pläne zur Jagdhütte betrifft, so scheinen sie tatsächlich langsam voran zu kommen. Es dringt an meine Ohren, dass häufig Gesandte aus Xorlosch und Calbrozim in Senalosch verweilen. Auch Vertreter unseres Rogmarog verlassen Rogmaratosch, um Borindarax zu treffen.“ Dwarosch zuckte mit den Schultern. „Aber mehr weiß ich euch davon auch schon nicht mehr zu berichten. Euer Baumeister jedoch, der Sohn des Murgasch wird bald Nachricht von Boraindarax bekommen. Mein Freund sagte mir im Vertrauen das er Muragosch die Bauaufsicht erteilen möchte, so euer Vasall gewillt ist an dem Bau mitzuwirken.“
„Oh, Muragosch ist mitnichten mein Vasall. Das würde er nicht gern hören, wenn ihr ihn so nennt.“ tadelte sie den Zwergen, aber alles andere als boshaft. „Er ist vielmehr ein langjähriger, sehr enger Freund meinerseits und gehört zu Oberrodasch wie die Steinadler zu den Ingragipfeln. Ja, und ich meine mich zu erinnern, dass er seine Mithilfe beim Bau der Hütte schon zugesagt hat,“ erklärte sie, ehe sie nachsinnend fortfuhr: „Wenn mich nicht alles täuscht, hat er sogar schon Skizzen für etwaige Verzierungen angefertigt. Er trägt sich also bereits mit festen Plänen, dieses Bauvorhaben zu unterstützen, wie ihr seht. Und damit hat er auch meine Unterstützung.“
Der bullige Angroschim nickte mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck. Ihm schien diese Wendung zuzusagen. „Ich selbst kenne ja bisher nur seine Kunstfertigkeit dem Holz lebensechte Figuren zu entlocken, doch Borax sagte mir die Hohe Halle von Oberrodasch ließe ihm nur diese eine Wahl.“
„Dieses Lob solltet ihr an den großen Meister selbst richten! Mit meinem Freund habt ihr drüben im Eisenwald jedoch einen mehr als fähigen Handwerker an eurer Seite. Ich kenne niemanden, der Holz so leidenschaftlich Leben einhaucht, wie der gute Muragosch!!“
Dwarosch blieb stehen und warf einen Blick nach oben, da wo in der Ferne die Residenz der Vögtin zu erkennen war. „Würdet ihr sie mir zeigen eure Hochgeboren, die Hohe Halle, deren Erbauer er war? Auch wenn ich oft hier oben in den Ingrakuppen gewesen bin, bisher konnte ich sie stets nur aus der Ferne bewundern. Gestattet meinen Männern und mir heute Nacht hier zu nächtigen.“
„Natürlich. Ihr sollt mir unter dem meinen Dache willkommen sein. Wenn ihr allerdings im Dorf nächtigen wollt, lässt sich auch das arrangieren… Vorher lasst uns sehen, ob der werte Baumeister nicht mit nach oben kommen möchte. Er vermag euch mehr über dieses ehrwürdige Haus erzählen, als ich es je könnte…“
Sichtlich erfreut über dieses Angebot lächelte Dwarosch. „Es wäre mir eine große Ehre unter eurem Dach unterzukommen, eure Hochgeboren.“ Er machte eine ergebene Geste, um der alten Vögtin den Weg zurück zum Haus ihres Vasallen zu weisen. „So lasst uns den Sohn des Murgasch suchen. Ich bin begierig darauf, mehr über die Geschichte der Hohen Halle zu erfahren und seine Entwürfe für das neue Bauwerk zu sehen.“