Der enttäuschte Held - Kapitel 1

Alte Freunde

15. Travia 1043 BF, Gut Schweinsfold, am frühen Abend

Warm legte sich das Praiosmal über das Schweinsfolder Land, während sich viele Gäste einfanden, um in ihrer Capitale Herzogenfurt die Hochzeit der Baronin zu feiern. Zwei dieser Gäste jedoch machten sich an diesem Tag auf, einen alten Freund zu besuchen. Die Ritter Leomar von Ulenau und Baldos von Paggenfeld kannten sich schon aus ihrer Jugend und pflegten eine lange Freundschaft. Hoch zu Pferd folgten sie den ausgetretenen Wegen und bewunderten das Stammland ihres Freundes Junker Reo von Herzogenfurt-Schweinsfold. Dieser war der Vater der Braut, doch weigerte er sich ihr seinen Segen zu geben und an der Hochzeit teilzunehmen. Zu tief saß die Enttäuschung darüber, dass seine eigene Mutter, die verstorbene Baronin von Schweinsfold, seine Tochter anstatt ihn als Nachfolger bestimmt hatte.
Einer der alte Pfade führte direkt ins Herz der Baronie Schweinsfold, dem Gut und Dorf Schweinsfold, und war geprägt von langgestreckten Weiden, vielen Höfen und vor allem Schweine-, Schafs- und Rinderzüchtern. Und so war das Bild von Schwein und Rind bald ein gewohnter Anblick und die Luft war mit ihrem würzigen Geruch geschwängert. Fast ein jeder aus der Gegend kannte die Geschichte dieses Ortes; man erzählte sich, dass das Dorf viel älter sei als die Stadt Herzogenfurt und dass hier einst die ‘Mutter aller Säue’ gelebt haben sollte. Noch immer war das Herz des Landes von der Schweinezucht geprägt und es gab noch immer reichlich Rotten von Wildschweinen, die im nahegelegenen Foldenforst lebten. Der Foldenforst war einer der wenigen größeren Wälder in der Baronie, der nun, am fortgeschrittenen Tage, in Sichtweite rückte.
Das Dorf Schweinsfold, das sich kaum von einem einfachen Dorf von Schweinebauern unterschied, war kein besonderer Anblick. Keine Herberge oder Taverne hatte der Ort zu eigen, wobei sich die Bauern gelegentlich beim alten Schulzen Bachenvater zu einem Umtrunk einfanden. Trotz der vielen Höfe und des nahe gelegenen Waldesrandes wirkte der Ort ´staubig´ und der strenge Geruch vom Schwein war allgegenwärtig. Die einzige Attraktion, die Schweinsfold aufweisen konnte, war eine grob geschlagene Statue eines Ritters, der einem Drachen das Schwert in die Brust schlug. Diese stand am Beginn eines steinigen Pfades, der zu dem Gut des Junkers, dem Stammsitz derer ´von Schweinsfold´, führte. Beide Männer wußten, dass es sich bei der Statue um den Junker selbst handelte, der wohl in jungen Jahren gegen den Drachen, dem Lindwurm Chaidarion, im Almadanischen ausgezogen war. Lange hielten sie sich nicht auf und schlugen den Weg zum Stammsitz ein. Nach einer kurzen Weile, über einer Anhöhe zwischen Hügeln gelegen, sahen sie die alte und kleine Burg der Schweinsfolder. Ein Turm mit Wehrmauern dominierte das Anwesen, der Stein war moosbewachsen und dunkel angelaufen. Der Palas mit den Stallungen war von außen nicht zu sehen, doch schmiegten die sich im Schatten des Turmes an. Ein großer Pferch mit grunzenden Schweinen begrüßte die Ritter, bevor sie das schwere und hölzerne Tor erreichten. Eine Glocke kündigte ihre Ankunft von innen an.

Baldos von Paggenfeld, der hochgewachsene und langsam in die Jahr gekommene Ritter saß auf seinem elenviner Falben Thurwin und ließ seinen Blick über die Landschaft gleiten. Wie lange war es her, dass er hier gewesen war? Nachdenklich zwirbelte er seinen prächtigen Kaiser-Alrik-Bart, den er aufwendig hegte und pflegte. Baldos hatte für den Ritt wert auf bequeme Kleidung gelegt. Ein bauschiges Hemd mit geschnürter Brust, ähnlich dem welches er gestern Abend getragen hatte, dazu weiche lederne Beinkleider und Reitstiefel. Auf einen Wappenrock hatte er verzichtet, doch prangte sein Wappen an einem kleinen Wimpel am Gürtel. Der blonde Ritter deutete auf die Wehranlage. “Wie habe ich das alte Gemäuer vermisst. Den Geruch allerdings nicht.” Baldos lachte herzhaft. Bis gerade eben hatte er seinen guten Freund und Reisegefährten mit Geschichten über die kleine Norbarden-Dirne von letzter Nacht unterhalten. Doch jetzt, da sie auf das Tor zu hielten seufzte er. “Verdammt, ich war schon zu lange nicht mehr hier.”>br>

"Das kannst Du laut sagen. Geht mir auch so." Langsam ließ Leomar von Ulenau sein Ross, einen Elenviner Rappen, auf das hölzerne Tor zutrotten. Es war ein angenehmer Ritt gewesen, und die Geschichten, die Baldos erzählt hatte, taten ihr Übriges zu seiner guten Laune. Ach könnten doch nur alle Norbarden-Weiber Rahjas Handwerk nachgehen... oder wenigstens die, die er zu seinem Missvergnügen näher kannte… anstatt ihre Griffel nach diesen Landen auszustrecken...
Privatim unterwegs hatte der Ritter auf den Wappenrock der Boronwalder Landwehr verzichtet, der er als Hauptmann vorstand, doch verrieten sein Schwert und der edel gefertigte dunkelgrüne, nahezu schwarze Gambeson, den er zu vollschwarzen, nur etwas staubig gewordenen Hosen und Stiefeln trug und auf den er auch auf einem solchen Ausritt nicht verzichten wollte, dem Kundigen seinen Stand.
In seinen Satteltaschen klirrte es in diesem Moment leise aber dennoch verräterisch. Leomars Gesichtszüge und mit diesen sein einst schwarzer, doch ums Kinn herum ebenso wie auf seinem ganzen kurz geschorenen Haupt zunehmend weißmelierter Vollbart verzogen sich zu einem breiten Grinsen. "Staubige Kehlen wollen gut gespült sein, vor allem, wenn sie ein paar alte Geschichten zum Besten geben sollen." hob Leomar kurz die Deckelklappe und offenbarte die Hälse der mitgebrachten Flaschen an Kirschwein. "Mit so einer Dirne wie gestern dürfen wir heute ja leider nicht rechnen. Dafür vielleicht mit Schwein am Spieß, was ja auch nicht zu verachten und mit einem guten Tropfen noch besser ist. Außerdem ist heute ein besonders guter Tag, um hier zu sein. Genau hier und nirgendwo anders!"´

“Da hast du vollkommen recht, Leomar!” Baldos lachte vergnügt auf. “Sag mal, ist das Kirschwein?” Neugierig beugte sich der Ritter über die Satteltasche seines Freundes. Dann griff er nach seiner eigenen Satteltasche und offenbarte eine Holzschachtel. “Und als Ergänzung zu deinem Wein gibt es noch ein wenig gutes Rauchwerk aus dem Horasreich. In Weinbrand getauchte Zigarillos aus der Coverna.” Sie waren nun in Rufweite des Tores und Baldos erhob fröhlich seine Stimme. “Reo, mach schon das Tor auf! Wir bringen Wein und Rauchwerk mit!” Ein lautes, dröhnendes Lachen folgte seinen Worten.

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