Zwei ulkige Nordmärker

Auf die kurze Distanz oder Nachbarschaftsplausch in der Fremde

Es war ein herrlicher Tag, an dem nun das erste der drei auszutragenden Pferderennen stattfinden sollte und auch wenn der Urenkel des Rogmarog von Isnatosch kein sonderlich großes Interesse an diesem über die Region bekannten Ereignis hatte, so wollte er es sich dennoch nicht entgehen lassen. Wer wusste es schon, ob er nicht doch gefallen daran finden würde. Und so hatte sich der gräfliche Vogt von Nilsitz ein schattiges Plätzchen unter ein paar Obstbäumen gesucht, die unweit des Ziels standen. Dort hatten sich bereits viele Schaulustige eingefunden. Borax aber mochte kein Gedränge und hatte sich daher entschieden dem Spektakel aus einiger Distanz beizuwohnen. Immerhin, von seinem Platz aus konnte er jenen Ort, von dem aus gestartet wurde erkennen, er lag nur eine Meile entfernt, auf der anderen Seite der großen Wiese, die für das Rennen auserkoren worden war.

Genüsslich an seiner Pfeife ziehend, saß Borindarax im kurzen Gras an einem der Bäume gelehnt, als ein Schatten über ihn fiel. Sein Nachbar, der Rabensteiner Baron, thronte auf seinem pechschwarzen Elenviner und beugte sich im Sattel vor, hob eine Augenbraue, als er des Zwergen ansichtig wurde, nahm die Zügel in eine Hand und sprang aus dem Sattel.

Das gewaltige Vierbein senkte den Kopf und prustete dem Vogt ins Gesicht, offensichtlich auf der Suche nach irgendetwas.

“Ah, der werte Herr Nachbar. Es freut mich euch zu sehen Hochgeboren”, freute sich der Zwerg. Gleichzeitig aber beäugte er das Pferd des Rabensteiners mit wachsender Irritation.

“Würdet ihr mich aufklären, wonach es eurem Reittier gelüstet? Ich hoffe inständig, es will mir nicht mein Pfeifenkraut wegfressen. Das würde ich ihm übel nehmen.”

“Nur, wenn sie es bekommt.” Der Baron nahm die Zügel des Pferdes kürzer und führte das Tier einige Schritt von seinem Nachbarn weg. “Vermutlich hatte sie es auf Euren Bart abgesehen.” fügte er mit unbewegter Miene hinzu, als er die Zügel des Tieres um einen Ast schlang.

“Eine Dame also”, kommentierte der Zwerg mehr oder minder begeistert. “Meinen Bart hätte sie nur anrühren dürfen, wenn sie sich vorher angemessen vorgestellt hätte.” Borindarax schmunzelte.

Rijsha spielte derweil mit den Ohren und schnaubte unzufrieden, was sich änderte, als ihr Besitzer ihr das Gebiss aus dem Maul nahm und einen Futtersack umhängte.

Der einäugige, ganz in schwarz gewandete Adlige holte einen Weinschlauch und zwei Kelche aus der Satteltasche des Tieres und ließ sich neben dem Vogt im Gras nieder - etwas ungelenk, als seine Knie protestierten. Er löste seinen Waffengurt und platzierte ihn in bequemer Griffweite neben sich, ehe er sich und seinem Nachbarn eingoss - ein dunkler, roter Wein war es, dieses Mal aus den Hängen des Raschtulswalles.

“Auf Euer Wohl!” Reichte er einen davon an den Vogt weiter.

“Sehr zuvorkommend”, bedankte sich der Nachbar des Rabensteiners artig. “Hochgeboren, bei eurer stets so ernsten Miene kann man sich nur schwer vorstellen, dass ihr doch gesellig sein könnt. Umso mehr erfreue ich mich, dass ihr gerade meine Gesellschaft sucht.” Spitzbübisch grinste der Zwerg und nippte an dem Rotwein.

“Erzählt ihr mir etwas über diesen sicher sehr erlesenen Tropfen. Und ach ja, vergessen wir das Rennen nicht. Habt ihr ein Eisen im Feuer, nehmt ihr auch in einem der Wettbewerbe teil?”

Der Borongeweihte bedachte den Jüngeren mit einem kühlen Blick. Er trank ebenfalls einen Schluck, strich sich über den Kragen seiner Robe aus feinstem Loden, der makellos und ohne ein Stäubchen lag, wie er dies zu tun hatte, und streckte ein Bein aus.

“Bei der Fuchsjagd.” bestätigte er knapp die Vermutung des Angroscho und betrachtete die Startlinie, an der bereits die ersten nervösen Rösser und Reiter Aufstellung nahmen.

“Kennt ihr einen der Starter?”

Der Zwerg schüttelte den Kopf. “Ich glaube nicht. Bisher hatte ich lediglich das Vergnügen mit Dom Algerio und in unserem Gespräch ging es, nun ja, eher um das Geschäft, denn um Pferde und die Wettkämpfe. Wie steht es mit euch?”

“Einige. Die Zuchtmeisterin. Und ein paar der anderen.” Was wohl keine große Überraschung war, bedachte man, dass der Rabensteiner seine eigene Elenvinerzucht besaß und sich - mehr oder minder - mit den anderen Züchtern austauschte.

“Erzählt mir von Dom Algerio. Was begehrt er?”

Dass der Zwerg, wenn es um Handel ging, einen gar nicht so schlechten Riecher hatte, hatte dieser bereits auf der Jagd bewiesen. Es hätte den Rabensteiner sehr verwundert, würde der Vogt diese Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen, ungenutzt verstreichen lassen.

“Waren aus Isnatosch, die er als Luxusgüter an reiche und vor allem gelangweilte Adlige bis hin ins Herz des Reiches und das des Horas weiterverkaufen kann.” Borindarax zog an seiner Pfeife und lächelte versonnen. “Mit einigem Gewinn versteht sich. Der Dom ist ein ambitionierter Mann, redegewandt, geschäftstüchtig und ein guter Gastgeber.

Ach ja”, fügte der Angroscho nach einem weiteren, tiefen Zug an, “wir würden gegeben den Fall, dass das Geschäft zustande kommt, auch den direkten Weg nach Almada wählen wollen für die Waren und nicht den über die Via Ferra. Wir transportieren ja kein schweres Erz.” Der Vogt ließ unausgesprochen, dass dies hieß, dass der Weg zwangsläufig quer durch Rabenstein gehen musste. Dem Baron war zumindest nicht bekannt, dass es eine direkte Tunnelverbindung zwischen Nilsitz und Almada, unter den Eisenbergen hindurch gab.

Der alte Baron nickte überlegend. Zoll, verhieß dies, Transport- und Rodgebühr und Geleitschutz bis zur Baroniegrenze. Ein einträgliches Geschäft für sehr überschaubaren Aufwand.

Er betrachtete den schweren, dunkelroten Wein in seinem Kelch und schnupperte daran, ohne einen Schluck zu nehmen. Die Rückreise würde der Wein nicht verkraften, schon der Transport in den Süden hatte dem guten Tropfen zugesetzt.

Er musterte die Aufstellung an der Startlinie, die äußerst unterschiedlichen Rösser, die viel von diesem Rennen schon vorab berichteten - die Mischlinge und Warunker besaßen keine nennenswerte Möglichkeit, sich gegen einen Elenviner oder eines der anderen Vollblüter durchzusetzen, wenn deren Reitern keine gravierenden Fehler unterliefen.

“Habt ihr gewettet?” hakte er die Handelsüberlegungen als beschlossen ab.

“Angrosch bewahre”, lachte Borindarax auf und schüttelte dabei energisch das Haupt.

“Da hätte ich mein Silber ja gleich verschenken können. Ich hab ungefähr soviel Ahnung von Pferdezucht und der Schnelligkeit bestimmter Rassen, wie ein Schwarzpelz von horasischer Etikette.”

Auch der Vogt wandte seinen Blick nun zu dem Ort, von dem aus gestartet werden würde. “Wie steht es mit euch? Habt ihr gewettet und wenn ja, auf wen?”

Der Rabensteiner schüttelte den Kopf. “Ich spiele nicht.” Nicht mit Wetten.

Der Zwerg nickte stumm zur Antwort. Wie hätte er auch nur annehmen können, dass der Diener des Totengottes sich mit etwas so profanem wie Wetten beschäftigte?

Plötzlich sah Borindarax auf. Der Start des Rennens war erfolgt. Ein anschwellendes Donnern rollte über die Wiese, das Hufschlagen der Pferde.

Bereits kurz nach dem Antritt, setzte sich eine junge Frau an die Spitze. Sie flog nur so über das Feld, welches die Rennstrecke darstellte. Gleich drei Männer, junge Adlige, so vermutete der Vogt versuchten den Anschluss zu halten - vergeblich wie es schien.

“Ist das nicht die herzogliche Zuchtmeisterin?”, fragte Borindarax überrascht an den Rabensteiner gewandt.

“Hm.” Bestätigte der, während er mit einiger Faszination betrachtete, wie sich am Start ein das Vollblut der Zuchtmeisterin mit einem Goldfelser - auch eine gute Wahl - einem Warunker und einem Trallopper drängte, ehe sich das Rennpferd klar absetzte. Wer um der Götter willen kam auf die Idee, einen Trallopper Riesen auf eine Rennbahn zu schicken? Die wuchtigen Streitrösser waren vieles - aber ganz sicher keine Renner.

Er betrachtete sich die Reiter genauer und schüttelte irritiert den Kopf. Ein bunter Strauß an Eitelkeiten. Ein paar gute Tiere und Reiter. Und einige, die so ihre liebe Müh mit dem Feld hatten und hier entschieden fehl am Platze waren.

Der Rabensteiner trank nachdenklich einen Schluck Wein und genoss still die Ansicht der Anstrengungen der anderen unten auf dem Feld.

“Ich habe ja keine Ahnung von Pferderennen, aber für mich macht es den Eindruck, als würde sie das Rennen klar dominieren”, kommentierte der Vogt gutgelaunt. “Kennt ihr sie persönlich?”

Derweil Borindarax jene Frage an den Rabensteiner wandte, donnerten das inzwischen langgezogene Feld der Reiter an den Adligen vorbei, dem Ziel entgegen, so dass beide Männer den Kopf wandten, um zu sehen, ob der Vorsprung der Nordmärkerin ausreichen würde.

Der Rabensteiner nickte. “Sie ist eine gute Reiterin und versteht etwas von Pferden.” spendete er ein seltenes Lob.

Er betrachtete, wie sich die Kaltblüter und die unglückliche Ponymischung gegen die Warmblüter abmühten, die ihrerseits den Vollblütern wenig entgegenzusetzen hatten.

Verema hatte im Sprint rasch die Spitzenposition eingenommen und verteidigte diese zunehmend unaufhaltsam. Wenig verwunderlich, wurden doch die meisten Elenviner als Rennpferde ausgebildet.

Kurz war die Strecke insgesamt, so dass nach kaum einem Viertel Kelch Wein das Getümmel auch schon wieder zu Ende war. Die Zuchtmeisterin hatte sich mit einem entschiedenen Start-Ziel-Sieg durchgesetzt - eine Sache, die beim Sprint möglich war, aber sich beim Langstreckenrennen am nächsten Tag ganz sicher anders gestalten würde.

“Was sucht ihr hier in Selkethal, Herr Nachbar?” setzte der Baron scheinbar vollkommen zusammenhanglos hinzu.

“Ich suche nicht - ich habe unlängst gefunden”, kommentierte Borindarax breit grinsend. “Ohne den ... ‘Hinweis’ der Gräfin hätte ich die Reise nicht auf mich genommen, doch inzwischen bin ich der Überzeugung, dass sie sich gelohnt hat und auszahlen wird, wenn ich die notwendige Geduld aufbringe.”

Die Reiter stiegen unter dem Jubel der Zuschauer um den Zielbereich von ihren Pferden. Borindarax wandte sich ab und dem Rabensteiner zu.

“Und ihr … sucht ihr nur nach Zerstreuung, oder habt ihr eine andere Motivation hier zu sein?”

“Ich bin interessiert an den Pferden, die Almada zur Zeit hervorbringt.”

Der alte Baron betrachtete einen Lidschlag lang den Inhalt seines Weinbechers, ehe er diesen entschieden umkippte und in das Gras neben sich leerte.

Er wandte den Blick seines fast schwarzen Auges wieder seinem Nachbarn zu. “Es ist erstaunlich, was auf der Strecke antritt.”

Der Boroni wischte sich seinen Handschuh, der einen Weinspritzer abbekommen hatte, an dem Gras neben sich sauber.

“Ich schulde euch einen anständigen Wein. Eure Erwartungen bezogen sich auf das Handelsabkommen?”

Der Vogt nickte erneut. “In der tat. Die überaus reizende Tochter der Bulgi brachte mich auf diese... ‘Fährte’. Warum sie es tat weiß ich noch nicht, aber ich habe den Verdacht, dass sie eine gegenseitige Verflechtungen beider Seiten der Eisenberge für sinnvoll erachtet. Ich nehme an aus politischen Interessen. Gemeinsame, wirtschaftliche Interessen erhöhen die Toleranz was andere Fragen betrifft. Ischnatosch und Waldwacht… nun ja, man könnte sagen es knirscht derzeit etwas.”

Borindarax nahm einen Schluck des Weins und sah dann seinerseits in den Becher, ohne jedoch Erkenntnis zu finden. “Was habt ihr gegen diesen auszusetzen? Nicht das ich davon eine Ahnung hätte… eine der vielen Dinge, von denen ich nichts verstehe, aber er ist immerhin süßer als das, was in den Elenviner Gasthäusern als ‘nordmärkische Rebe’ angepriesen wird.”

Der Zwerg lachte. “Der saure Wein bekommt meinem Magen wahrlich nicht.”

“In den Gasthäusern dürft ihr auch keinen Elenviner bestellen - fragt nach den einzelnen Winzern und deren Lagen, dann könnt ihr, wenn ihr wisst, was ihr sucht, auch in Elenvina einen grundsoliden Wein bekommen - und mehr als das.”

Wenig erstaunlich hatte die Zuchtmeisterin gewonnen. Aber warum sie sich selbst in den Sattel setzte und nicht einen ihrer Bereiter vorschickte, verwunderte den alten Baron nun doch. Andererseits war die Dame sprunghaft, was viel erklärte.

“Mögt ihr das Knirschen näher erläutern?”

Mit einer direkt an der Grenze gelegenen Baronie lohnte es sich durchaus, nach Ächzen im Gebälk an selbiger zu lauschen.

"Das tue ich gern", willigte der Vogt ein, knüpfte dies aber sogleich an eine Bedingung. "Das heisst, wenn ihr euer Wissen über Weine an einem Abend mit mir teilt. Eine Gelegenheit, da wir zwei zur gleichen Zeit in Elenvina weilen, wird sich sicher finden. Oder aber wir nutzen unseren Aufenthalt hier. Das heißt, wenn ihr meint, dass wir passable Weine finden werden.

Etwas mehr über Weine zu wissen könnte sich in Almada von Vorteil erweisen. Wer weiß, vielleicht finden sich weitere Geschäftspartner. Mit entsprechender Kultiviertheit zu glänzen, würde mir gefallen, zumal man es sicher nicht erwarten würde."

Amüsiert spitze Borindarax die Lippen. "Was meint ihr?"

“Dann tun wir das.” stimmte der Rabensteiner zu. Es würde interessant werden, zu beobachten, ob sich der an Bier und Brannt gewohnte Zwerg bei Wein ebenso gut schlüge.

“So ihr mögt, könnt ihr mich auf dem Rückweg über Rabenstein begleiten - der Weinkeller auf meiner Burg sollte unsere Wünsche erfüllen.

“Abgemacht”, stimmte der Vogt zu und kratzte sich dann kurz am Bart, um kurz darüber nachzusinnen, wie er dem Baron die politische Lage der Bergkönigreiche möglichst einfach darlegen sollte.

"Also”, setzte Borindarax von Nilsitz nur wenig später an. “Die Bewohner des Amboß, unsere Brüder und Schwester aus Tosch-Mur, sehen mit Ablehnung, wie mein Großvater die Vision unseres Hochkönigs auslegt. Sie halten sich für das kriegerischte Volk Angroschs, womit sie vermutlich sogar recht haben. Demzufolge stehen sie Senalosch auch mit Skepsis gegenüber, ebenso wie Xorlosch. Aber es gibt kein auserwähltes Volk. Uns als Rasse ist das Heldenzeitalter prophezeit, dass ich meine Überzeugung.

Ebenfalls bin ich davon überzeugt, dass der Eisenwald das erste Siedlungsgebiet der Angroschim war, dass Angrosch unsere acht Stammväter unter diesen Bergen schuf und dass dorthin auch alle seine Kinder zurückkehren werden vor der letzten Schlacht.” Borax seufzte und blickte versonnen zum Horizont, wo sich rötlich in der Sonne schimmernd der Eisenwald zeigte.

"Was immer das auch heißen mag. Mögen diese Tage fern sein."

“Wie äußert sich das Missfallen der Tosch-Murer?” interessierte sich der alte Baron.

“Gibt es Handelsblockaden - oder erwartet ihr einen Angriff?”

Die Augen des Vogts weiteten sich. “Nein”, sagte er entschieden und schüttelte dabei obendrein noch energisch den Kopf. “Niemand wird es zu einem Bruderkrieg kommen lassen. “Nein, die Verstimmungen sind eher diplomatischer Natur. Man spricht seltener miteinander und ja, die Steuern sind beidseitig erhöht worden.” Borax zuckte mit den Schultern. “Keine Seite würde den Grund hierfür offen benennen, eben dass es an diesen Streitigkeiten liegt, aber so ist die Welt nun einmal. Auch unter uns Angroschim gibt es solche … Spitzfindigkeiten. Zwischen den Provinzen des Raulschen Reiches hat es ja in der jüngeren Geschichte auch so manche Differenz gegeben. Hoffen wir, dass diese Tage Vergangenheit sind.”

“Macht ist immer eine starke Triebfeder.” sinnierte der Rabensteiner und betrachtete den Siegestrubel auf dem Feld, das jäh aufgebrandete hin und her um die siegreichen Rösser, die trockengeführt und abgerieben wurden - zumindest die glücklicheren, deren Reiter sich um Solcherlei scherten - und die Glückwünsche für die Reiter, die mit so einigen Bechern mehr oder minder trinkbarem Wein untermalt wurden. “Kämpfe wird es immer geben.”

Direkt vor seinem Burgtor mussten sich diese indes nicht zwangsweise abspielen. Allerdings würde er das Seine dazu tun, diese umgehend, endgültig und zu seinen Bedingungen zu beenden.

“Wart ihr schon häufig in Almada?” erkundigte er sich mit einiger Neugier. Sein Nachbar war noch jung - in Zwergenmaßstäben und an Jahren.

Allerdings hatte der Rabensteiner keine Ahnung davon, womit sich ein jung erwachsener Zwerg üblicherweise die Zeit vertrieb.

Der Vogt schüttelte leicht den Kopf. “Nein. Allerdings begleitete ich in meiner Jugend einige Mal Delegationen aus Isnatosch an den Hof des Bergkönigs unter dem Amboß, nach Tosch-Mur oder genauer gesagt nach Murolosch. Doch hatte ich bisher keinerlei Gelegenheiten zu kulturellem Austausch mit Menschen aus Almada. Mein Wissen entsprang bis vor Kurzem rein dem geschriebenen Wort.

Ihr hingegen seid recht häufig hier oder? Ist es mehr als Punin, eure Kirche, das milde Klima, der gute Wein und schnelle Pferde, die euch immer wieder dazu bewegen euch hier aufzuhalten?”

“Die Verwandtschaft.” fast schmunzelte der alte Baron.

“Und Ihr, Hochgeboren? Plant ihr künftig häufiger, die Eisenberge gen Praios zu verlassen, oder reicht eine Studienreis aus?”

“Soweit es mein Amt und die Geschäfte es zulassen, würde ich gern sobald wie möglich wieder auf Reisen gehen”, beschied der Vogt fast sehnsüchtig. “Ferdok, Angbar, Zwerch- alles Städte außerhalb der Nordmarken, die mich faszinieren und die mir zudem wohl bekannt sind. Punin kenne ich hingegen gar nicht und ich denke, dies sollte ich ändern, wenn ich diesseits der Eisenberge erfolgreich Handel betreiben will.”

Eine kurze Pause entstand. Borindarax blick schweifte wieder ab, hin zu dem Trubel.

Fast beiläufig fügte er dann noch ein einzelnes Wort als Frage an den Rabensteiner an, wie als wollte er lediglich das Gespräch am Laufen halten. Dieser jedoch erkannte die Neugierde des Zwergen. “Verwandtschaft?”

“Der Baron von Phexhilf ist mein Vetter.” Gab der Isenhager mit einer Spur Amüsement zur Antwort. Es waren nicht nur die Zwerge, die Politik über Verwandtschaftsbeziehungen betrieben.

“Phexhilf, diese Ländereien liegen nahe der Pforte zwischen dem Eisenwald und dem Phecanowald”, stellte der Vogt fest. “Wie ist die politische Lage dort derzeit? Die Grenzmark ist ja immer wieder … Zankapfel gewesen. So nennt ihr sowas doch oder?”

“Etwas unruhig ist es immer,” stimmte der Rabensteiner zu. “Mein Vetter ist der Komtur der Leibgarde des Raben und darum meist in Punin.”

Borindarax schmunzelte unweigerlich bei dieser Eröffnung, "ein von Rabenstein beschützt den Raben- wie überaus passend. Das 'zu Phexhilf', also mit Hilfe des Listenreichen, macht das Wortspiel hingegen fast ein wenig amüsant."

Der Vogt räusperte sich. Er war sich nur zu bewusst, dass Lucrann von Rabenstein niemand war, der über diese Art Humor verfügte. Eine andere, bedeutend ernstere Sache jedoch weckte Boraxs Neugierde. "Wie weit in die Geschichte eurer Familie, reichen die Verflechtung mit der Kirche des Boron zurück? Da es nicht nur ihr seid, der im Dienste des Puniner Ritus steht, könnte man annehmen, dass dies so etwas wie eine Tradition ist."

“Schon eine Weile, Herr Nachbar. Neunzehn Generationen.” Der Rabensteiner lehnte sich entspannt an den Baum hinter ihm und betrachtete den Jüngeren. “Traditionen müssen gepflegt werden.”

Die Augen des Vogt indes weiteten sich überrascht.

“Neunzehn?”, stieß Borax ungläubig hervor. “Wann war das… ich meine, das muss ja um die... fünf Jahrhunderte zurückliegen?” Der Zwerg schüttelte immer noch ungläubig den Kopf. Seine Neugierde war von neuem angefacht.

“Existiert eine detaillierte Familienchronik, dass ihr das so genau sagen könnt? Und was war das Ereignis, worin liegt der Ursprung der Verbindung zum Unergründlichen?”

“Selbstverständlich verfügt meine Familie über einen detaillierten Stammbaum und eine Chronik.” Wie jedes Adelsfamilie.

Der Geweihte musterte seinen Gesprächspartner mit einem undeutbaren Blick. “Unser durchgehender Stammbaum beginnt zur Priesterkaiserzeit. Es verwundert euch?”

"Zugegeben", gestand der Vogt ehrlich. "Eine derart weit zurückreichende Chronik erachte ich zumindest für außergewöhnlich.

Meines Wissens nach lassen sich viele nordmärkische Stammbäume nicht derart weit zurückverfolgen, oder täusche ich mich da?”

“Die Bergs als die ältesten der Nordmärker Adelsgeschlechter können ihren Stammbaum bis in die Dunklen Zeiten belegen. Aus der Priesterkaiserzeit gibt es mehrere Geschlechter.”

“Mir war sogar irgendwie danach, dass einige bewusst vernichtet wurden, um sich nicht mit Raubrittern oder anderen dunklen Gestalten der Geschichte in Verbindung bringen zu lassen."

“Diese Gestalten würden einfach aus dem offiziellen Stammbaum getilgt und übersprungen - jünger macht sich dafür keine Familie. Und es ist keinesfalls trivial, den eigenen Stammbaum in der Heroldsliste und den Kirchenarchiven, die diese hüten, ändern zu lassen.”

Das der Rabensteiner die direkte Frage nach dem Ursprung der Verbindung zur Kirche des Raben unbeantwortet ließ enttäuschte Borax, indes kam ihm eine andere in den Sinn.

"Wurde eure Familie durch einen der Priesterkaiser in den Adelsstand erhoben?"

“Es gibt eine Urkunde aus dieser Zeit, die den Adelsstand bestätigt. Es gab vorher bereits einige Ritterinnen unseres Namens, doch über diese besitze ich lediglich Einzelbelege.”

Die gelassene Miene des Rabensteiners gab keine Auskunft darüber, was er über die jähe Frageflut seines Nachbarn dachte.

"Höchst interessant", begeisterte sich der Zwerg fast ein wenig euphorisch. "War es Rabenstein, mit dem eure Familie belehnt wurde und wenn dem so ist, gibt es in euren Chroniken Verflechtungen mit den Nachbarn, die über die unsäglichen Grenzstreitigkeiten hinausgehen? Wird Nilsitz erwähnt?

Leider sind die Chroniken in den Archiven der Vogtei in dieser Hinsicht lückenhaft und mein Volk hat nur wirtschaftliche Eckdaten festgehalten, die den Handel mit der Oberfläche angehen."

“Isenbrück, ein Gut in meinem Lehen.” kam die ruhige Antwort. “Es gibt einige Referenzen, doch diese sind in späteren Jahren und beziehen sich meist auf Kriegszeiten und Grenzstreitigkeiten.”

Der alte Baron warf einen Blick auf die Reiter, die nun, meist zu Fuß und ihre Rösser am Zügel, begannen, sich zu zerstreuen.

“Dies ist das erste Mal, dass mir ein Zwerg von lückenhaften Aufzeichnungen berichtet. Habt ihr bereits einmal am Grafenhof nach der Geschichte eures Gutes geforscht?”

Der Vogt seufzte und machte ein wenig glückliches Gesicht.

“Natürlich. Ghambir gab mir Zugriff auf das Archiv von Calbrozim, doch auch dort fand ich nur Fragmente, niemals durchgehende Informationsquellen. Es scheint, als hätten die Grafen des Isenhag nicht so genau hinsehen wollen, was oberhalb der Bergkönigreiche geschieht, denn es verhält sich ebenso mit anderen, gräflichen Vogteien. Die Auflistung der Steuern und Warenumschläge ist sehr detailiert, alles aber was die menschlichen Adelshäuser betrifft … mangelhaft.”

Borax zuckte mit den Schultern. “Es hat wohl niemanden interessiert. Ich hingegen würde gern wissen, was es geschichtlich mit den Trollpforzern und dem Haus Nilsitz auf sich hat. Grad ersteres Haus scheint interessant zu sein, wenn man bedenkt dass der Name einen Grund zu haben scheint.”

“Das ist schlecht. Der Graf sollte eine Übersicht über seine Untergebenen haben.” stimmte der Baron, der, wie alle seine Standeskollegen ein Nutznießer dieses Systems war, gelassen zu.

“Ihr solltet die örtlichen Tempelchroniken durchforschen.” wies er auf das offensichtliche an. “Ich kann meine Vögtin anweisen, in unserer Chronik die Verweise auf Nilsitz zu suchen.”

Langsam begann sich das Gewimmel aus Menschen und Rössern aufzulösen.

“Das Spektakel ist vorbei. Reiten wir zurück?”

Borindarax erhob sich. “Ich präferiere einen Spaziergang zurück. Mein Gesäß schmerzt noch immer, wenn ich an die Reise hierher denke.”

Gelassen verschränkte der Zwerg die Hände hinter dem Rücken.

“Die Tempelaufzeichnungen sind ein von mir bisher nicht genutzte Quelle, in der Tat. Dies werde ich nachholen. Was eure Chroniken betrifft …”

Der Vogt ließ den Satz zunächst unvollendet und begann spitzbübisch zu lächeln.

“Ihr könntet eure Vögtin bitten dies zu tun und ich wäre euch dankbar. Allerdings gäbe es auch die Möglichkeit, dass ihr mir persönlich einige Tage Einblicke in die Chroniken gewährt.” Borax lächelte spitzbübisch. “Wie es der Zufall will ist der Weg ja nicht sonderlich weit. Das heißt, wenn ihr meiner Gesellschaft noch nicht überdrüssig seid.”

Der alte Baron hob eine Augenbraue und blinzelte.

“Sagt mir, Hochgeboren - würdet Ihr mir Einblick in Eure Lehensberechnung und die Belange mit euren Nachbarn überlassen?”

Er griff nach den Zügel seines Pferdes und legte sie sich über den Arm.

Die Stute, aus ihrem gemächlichen Mahl gerissen, schnaubte unwillig und ließ die Ohren spielen, streckte dann aber erkundungsfreudig den Hals und prüfte, ob ihre Nase bis zum Bart des Zwergen reichte. Dieser machte einen hastigen Schritt auf Seite und hob drohend den Zeigefinger in Richtung des Pferdes. “Nanana, der Schmuck würde dir schwer im Magen liegen, das lass mal lieber sein.”

Ein Schnauben folgte, dann verschränkte der Vogt die Hände wieder in seinem Rücken und trat gemächlichen Schrittes den Rückweg an, wobei er höflichst darauf achtete, dass zunächst der Herrn Baron zu ihm aufschloß.

“Ihr habt natürlich Recht Hochgeboren”, kam er dann wieder auf das alte Thema zurück. “Wobei ich euch das Gekrakel des alten Kalman ruhig zeigen könnte. Da gibt es nichts zu verheimlichen. Er hat sowieso jeden Kreuzer an Einnahmen den Praioten in den Rachen geworfen und so alles heruntergewirtschaftet.”

Borindarax seufzte. “Die Kirche des Götterfürsten zürnt mir, denn von mir erhalten sie nicht mehr als den notwendigen Zehnt.”

Ein Seitenblick zum Rabensteiner später versuchte der junge Zwerg einen zweiten ‘Angriff’. “Hochgeboren, lasst mir wenigstens die Freude euch auf Burg Rabenstein besuchen zu dürfen, um mir die Niederschrift eurer Vögtin abzuholen. Ich würde eurer Frau Gemahlin gern ein Geschenk mitbringen. Dann braucht sich meinetwegen niemand unnötig Mühen machen.”

Der Baron war mit stoischer Miene, aber nicht glücklich über den Fußmarsch einige Schritte neben dem Zwergen einhergestapft.

“Ihr seid mir willkommen.” bestätigte er die Einladung, die Borix selbst ausgesprochten hatte.

Er stoppte seinen Eleviner und schwang sich mit einer geschmeidigen Bewegung in den Sattel.

“Überlegt, ob es klug ist, die Kirche des Praios zu verärgern. Sie stützen Eure Herrschaft im Reich der Menschen.”

Mit leichtem Schenkeldruck hieß er sein Pferd loszuschreiten, nicht schneller, als der Zwerg gemächlich wanderte. Die Stute, unglücklich darüber, am kurzen Zügel gehalten zu werden, prustete und linste mit einem aufmerksamen Blick zur Seite und nach unten, wo der Träger dieses seltsamen, doch gewiss leckeren Streus im Gesicht schritt.

Das Mienenspiel des Zwergen, der das Verhalten des Tieres zu ignorieren suchte, wandelte sich indes rasch von einem strahlenden Lächeln nach der bestätigten Einladung auf Burg Rabenstein, hin zu einem säuerlichen Ton, als der Baron ihm den benannten Rat erteilte. Seufzend und schulterzuckend ging er darauf ein.

“Es ist ja nicht so, dass ich es nicht auf diplomatische Weise versucht hätte Hochgeboren. Aber diese Pfaffen … oh verzeiht. Die Diener des Praios”, eilte sich Borindarax sich selbst zu verbessern. “Sie lassen nicht mit sich reden und zeigen sich vollkommen unzugänglich für meine Argumente.”

Wiederholt seufzte der Vogt. “Es sind ja nicht nur die Praioten, die Diener des Launenhaften sind mir auch nicht gerade wohlgesonnen. Sie wollen nicht verstehen, dass ich es mit gutem Grund ablehne das Heiligtum des Flussvaters Efferd weihen zu lassen. Andauernd erhalte ich … ungehaltene Korrespondenz diesbetreffend.”

Borindarax sah zu dem nur wenige Jahre älteren Baron auf. “Sagt mir, dass ihr im Laufe eurer Zeit als Baron zumindest die eine oder andere Meinungsverschiedenheit mit dem Klerus einer der Kirchen der Zwölfgötter hattet.”

Der alte Borongeweihte zuckte die Schultern.

“Ich habe mir keine Kirche - und keinen ansässigen Priester - zum Feind gemacht. Wenn ihr herrschen wollt, dann geht das nicht gegen den guten Willen der Kirchen. Insbesondere, da es nicht eure Götter sind - und ihr keiner von ihren Gläubigen.”

Das Gesicht Borindaraxs verzog sich, als hätte er gerade in eine saure Zitrone gebissen. Die Antwort des Rabensteiners war alles andere als aufbauend gewesen, dabei hatte Borax doch nur auf ein gewisses Maß an Verständnis gehofft.

“Um Alverans Willen, natürlich will ich mir niemanden zum Feind machen und ich versichere euch, dass ich auch keinen Anlass dazu gebe. Aber wenn ich auch stets diplomatisch und höflich bleibe, so fasse ich meine Entschlüsse doch selbst und überlasse dies keinem Außenstehenden.”

Der junge Zwerg schüttelte energisch den Kopf, so dass sein Bartschmuck klimperte. “Nein, da hätte unser Graf jemand anderen zu seinem Vogt machen müssen. Ich habe meine eigene Meinung!

Darüber hinaus scheinen diese Angelegenheiten für Ghambir nicht relevant zu sein. Er hat diese Themen bei einer Audienz in Calbrozim mit einer Handbewegung abgetan - nicht von Interesse.”

Der Rabensteiner zuckte die Schultern. Es war im Isenhag seit eh und je so gewesen, dass die Menschen ihre Angelegenheiten untereinander regelten, ohne Einmischung des Grafen. Solange dieser pünktlich seine Steuern erhielt, hielt er sich aus allem heraus und wurde im Gegenzug von seinen Adligen mit nichts behelligt. Dies ging so weit, dass er auch einen kleinen Grenzkrieg, solange dieser in ein, zwei Götterläufen erledigt war, tunlichst ignorierte.

Kurz zuckten die Mundwinkel des alten Barons, als er an eine Meinungsverschiedenheit mit seinem Bollharschener Nachbarn dachte. Dessen Lehen, bereits Elenvina zugehörig und darum unter der direkten Obhut des Herzogs, besaß deutlich weniger Freiraum. Da sich aber der emsige Vogt einmal einen Befehlsbrief über ein Halbbanner Flussgarde verschafft und diesen Jahren später, unabhängig vom eigentlichen Einsatzzweck, weiterverwendet hatte, war die Grenze für einige Zeit deutlich lebendiger geworden, als es so weitab im Eisenwald zu erwarten stand. Nach zwei zerschlissenen Weibeln (mochten sie in Frieden ruhen) und diversen Verlusten von Bütteln - und Gardisten - beider Seiten hatte der Herzog dann ein neues Banner entsandt und damit die Querelen effektiv beendet. Der Graf selbst hatte nicht reagiert - offensichtlich erleichtert darüber, dass sich die Menschenhändel nach drei Götterläufen wie üblich von selbst erledigt hatten.

“Ich sehe, ihr eifert Eurem Grafen nach.” bemerkte er schließlich und gab seinem höchst interessierten Ross etwas mehr Zügel. Der versammelte Schritt, den kurzen Beinen des Angroschos geschuldet, strengte das Tier auf Dauer an. Erleichtert streckte die Stute den Hals, schüttelte den Kopf und wanderte mit raumgreifenden Schritten voran, bis ihr Reiter sie wieder durchparierte und darauf wartete, dass sein Nachbar zu ihm aufschloss.

Als dieses geschehen war bestätigte Borindarax die Worte des Rabensteiners. "Wenn ihr damit meint, dass ich bestimmte Probleme aussitze, wenn ich keinerlei Bewegung in deren Beseitigung sehe, so geht ihr recht in der dieser Annahme."

Borax zuckte mit den Schultern. "Ich bin nur ein gräflicher Vogt, da kann man es mir ja nicht übel nehmen, wenn ich in seinem Sinne agierte oder?"

Ein freches Grinsen unterstrich, dass die Natur der Frage eine rethorische gewesen war.

"Außerdem", fügte der Zwerg an, "gehört dieses 'Vorgehen' ja quasi zum guten Ton im Isenhag."

“Vermutlich.” billigte der alte Boroni die Aussage mit einem knappen Nicken.

Er war dem Gedanken durchaus zugetan, den Status Quo beizubehalten - zumal ein in politischen Dingen unerfahrener Zwerg beim Versuch, in diesem Spiel mitzumischen, die bisherige, säuberlich austarierte Ordnung der Dinge nur auf anstrengende Weise durcheinandergewirbelt hätte.

Also ritten und schritten die beiden zurück, ins Zeltlager der Gäste, jeder in Gedanken mit seiner eigenen Agenda beschäftigt.