Weltuntergang - doch noch nicht jetzt

Weltuntergang? Doch noch nicht jetzt

(aus: Die Geschichte der Kinder Mirils und Der gefallene Stern)

Prolog
Jeder hat seine Geschichte. Und jede Geschichte hat ihre Helden. Doch in dieser Welt scheint es mir so, als hättet ihr „Menschen“ – wie ihr euch selbst nennt – vergessen, was es heißt, ein Held zu sein. Ihr drückt euch vor der Verantwortung, euer Leben in die eigenen Hände zu nehmen und somit selbst die Helden eurer Geschichte zu werden.

Das Thing der „freien“ Trolle

Ende des Vierten Zeitalters, Beginn des Karmarkorthäons

Vorweg: In der Gegenwart mögen Trolle oft tumb und rau wirken. Doch im Vierten Zeitalter waren sie die führende Hochkultur. In der folgenden Erzählung treffen wir auf die Elite dieser Zeit. Der Leser mag gewiss davon ausgehen dürfen, dass hier niemand ungebildet oder dumm ist...

„Schön, dass Du nun auch angekommen bist, Straumpff.“, begrüßte Kronold den Neuankömmling und fügte in Gedanken hinzu: Endlich. Es wurde auch Zeit. „Warum bist du nicht über die Trollpfade gereist?“ „Viel zu gefährlich in diesen Zeiten!“, erwiderte Straumpff laut gestikulierend. „Und mit dem Schiff über den Ozean vom Güldenland hierher ist ungefährlicher? Es wimmelt doch überall von Drachen.“ „Pah! Drachen!“, wies ihn Straumpff schroff und hochmütig zurück. „Die zerquetsche ich mit bloßen Händen!“ Damit spielte er darauf an, dass er bei einer seiner Meeresreisen eine riesige Seeschlange mit seinen Händen erwürgt hatte.

Sie gingen in die große Halle. Eine riesige Arena einem Amphitheater gleich. Die Ränge erhoben sich rundum weit nach oben, wahrscheinlich hatten hier tausende Trolle Platz. Über der Arene wölbte sich eine gigantische Kuppel, die man nur mit scharfen Blick als eine solcher erkennen konnte, die meisten sahen dort einfach den Nachthimmel. Die Halle war das Zentrum der Trollfestung Graulgatschthor in den Trollzacken, wie man heute das Gebirge nennt. In den untersten Rängen standen ringsum den runden Platz im Zentrum zehn riesige Throne. Auf acht davon saßen bereits Trolle und warteten. Auf den Thronen saßen die Stammesfürsten der zehn Trollstämme. Der blinde Amaurotz gehörte zum Stamm Tragatsch – die Blindgeborenen, die das Dunkel sehen. Vom Stamm Tralleropp kam Lauterbacke. Sein Stamm wurden die Traumspötter, die das Versprechen gaben, genannt. Von den Dornenwebern, die das Zwielicht kennen, dem Stamm Tonkerampf kam Kreischverschlosch, Sohn des Klettverschlosch. Den Stamm Malmartatsch – den Wuttänzern, die den Felsen spalten – kam niemand geringeres als Ilkhold, den die Menschen viele Jahrtausende in der Zukunft Zottelhaar nennen werden. Auf seinen Knien lag das mystische Schwert Gnor´a´khir, welches der Zyklopenkönig Gil´Pathar geschmiedet worden war. Die einzige Trollfrau in der Runde war Greaterthunbercke. Sie vertrat die Schwesternschaft der Tamperampf – den Tränensammlern, die die Sterne hören. Horsch, Sohn des Haudiopf, war vom Stamm der Taschkopp dabei – den Schattenflüsterern, die den Mondfelsen lauschen.

Von allen mit Argwohn beäugt und gemieden saß Rizziratz auf einem Thron für den Stamm der Traugatompf – den Blutsängern, die die Wege siegeln. Der Stammesfürst der Traugatompf war über und über mit Narben übersät, ihm fehlten mehrere Finger an seinen Händen, ein Fuß war abgehackt und ein Ohr abgeschnitten. All das hatte er in den in seinem Stamm üblichen grausamen Ritualen geopfert.

Der letzte der acht auf ihrem Thron sitzenden war Homerold, Sohn des Gilgamotz. Er war vom Stamm der Tauthorkatsch – den Ahnenrufern, die das Vermächtnis hüten. Straumpff und Kronold nahmen auf den beiden freien Thronen Platz. Straumpff war der Stammesfürst der Tarpatsch – den Taumelschreitern, die dem Ruf folgen. Kronold, Sohn des Kairold, war der Gastgeber. Der Stamm der Tolpatatsch – den Vatertreuen, deren Hände sehend sind – war hier in den Trollzacken heimisch.

Einzelne grüßten Straumpff, andere unterhielten sich unbeeindruckt weiter, Rizziratz schwieg. Doch dann wurden mit einem Male alle Stammesfürsten still. Ein Wesen betrat das Rund. Es war nicht kleiner als die Trolle, sondern vielleicht sogar ein wenig größer. In Felle gekleidet hatte es den Kopf einer Bache. Es trat in die Mitte und schaute sich um, musterte jeden der anwesenden Trollfürsten einen Moment lang einzeln. Dann griff es sich an den Kopf und hob ihn an. Wie einen Helm hob es den Wildschweinkopf von den Schultern und setzte ihn zu seinen Füßen auf den Boden. Von der schweinischen Bedeckung befreit konnte man nun sein wahres Antlitz schauen.

„Was ist das für eine Schranz?“, schrie Homerold entsetzt auf, „...welch ein Mummenschanz?! Sie verbirgt ihr Antlitz. Das ist nicht ehrlich. Man kann ihr nicht trauen. Was will sie hier? Hinfort! Sie hat hier nichts zu suchen!“ Rizziratz grunzte. „Lass sie uns anhören.“, schritt Greaterthunbercke beruhigend ein. „Wegen ihr – beziehungsweise wegen dem, was sie uns zu sagen hat – sind wir hier. Ich habe das Thing zusammengerufen, weil sie etwas beobachtet hat, was für uns von zentraler Bedeutung sein könnte.“ „Pah!“, rief Kreischverschlosch, „...wegen ihr sind wir im Krieg mit den Drachen. Sie hat uns verraten.“ Rizziratz grummelte unwillig. „Vielmehr hat sie jene unter uns verraten, die dem Goldenen folgen...“, gab Amaurotz leise von der Seite hinein.

„Kann ich euch trauen?“, fragte das Wesen in ihrer Mitte. „Wer gibt mir die Garantie, dass ihr nicht mit dem Goldenen paktiert? Oder wenigstens doch einzelne von Euch?“ Das Wesen schaute skeptisch und zweifelnd in die Runde.

„Mailam.“ Lauterbacke sprach bedächtig mit ruhigem Ton. „So nennen dich doch die Rotpelzigen Wimmler, nicht wahr?“ „Mailam Rekdai.“, antwortete die Fremde in ihrer Mitte. „Warum glaubst du, wir würden uns hier versammeln und dir zuhören, wenn wir Verbündete des Goldenen wären?“ Lauterbacke hielt inne. Dann fuhr er fort: „Wir sind allesamt frei. Wir sind freie Trolle. Wir haben nichts mit den Machenschaften Kerbholds gemein.“ Stolz klang aus Lauterbackes Stimme. Der blinde Amaurotz ergänzte: „Darum sind wir um die halbe Welt gereist, weit weg vom Goldenen Wald und seinem Tempel. Hier hat Kerbhold keine Macht. Den Göttern gegenüber sind wir zurückhaltend. Dem Goldenen auch. So auch dir – das darfst du wissen... Aber du bist ja auch gar keine Göttin, Mailam.“ Die Tragatsch beobachteten die Götter genau und hatten das größte Wissen über den Goldenen gesammelt.

„Das spielt hier auch keine Rolle.“ Die Goblingötze stemmte demonstrativ die Fäuste in ihre Seite. „Ich war es, die beobachtet hat, wie Kerbhold mit meinen versklavten Schützlingen den Tempel für den Goldenen baute.“

„Ja, das wissen wir.“, erwiderte Homerold. „Und dann hast du die Götter aufgewiegelt Krieg gegen die Trolle zu führen. Sie haben die Drachen gegen uns geschickt. ... Wegen dir wird unser Volk ausgelöscht... Wir wollen mit dir nichts zu schaffen haben!“ Zustimmend schnaubte Rizziratz verächtlich. „Darum bin ich hier.“, erklärte Mailam Rekdai. „Das möchte ich verhindern, dass ihr gänzlich ausgelöscht werdet. Wenigstens die Aufrechten unter Euch mögen überleben.“

„Warum sollen wir dir glauben?“, fragte Horsch.

„Kennt ihr den Grund, warum Kerbhold den Tempel baut?“, erwiderte die Goblingötze mit einer Gegenfrage.

„Du wirst ihn uns sicher jetzt nennen wollen.“, warf Kreischverschlosch ungeduldig ein.

„Der Goldene möchte die Kraft der Trolle nutzen, um eine Barriere zwischen Eurer Sphäre und Alveran zu errichten. So etwas wie den Sternenwall, der uns von den Dämonen abschirmt.“, erklärte Mailam.

„Das klingt schlüssig.“, bestätigte der blinde Amaurotz. Die Tragatsch kannten den Aufbau der Sphären sehr genau. „Jetzt macht alles Sinn. Alles was wir Tragatsch die vergangenen Jahrhunderte beobachtet haben. Still und heimlich hat der Goldene sich unser Vertrauen erschlichen und die Labilen unter uns auf seine Seite gezogen. Wir können dem Goldenen das verleihen, was ihm zu einer solchen Tat fehlt. Unsere fundamentalen und umfangreichen Kenntnisse von der Mondmacht könnten ihm zum Erfolg verhelfen...“

„Und er wird erfolgreich sein, wenn er nicht aufgehalten wird.“ Mailam Rekdai schaute erneut von Trollfürst zu Trollfürst. Ihrer Stimme war anzumerken, dass sie es zutiefst ernst meinte. „Wenn der Plan des Goldenen aufgeht, wird er über die Welt herrschen. Niemand wird sich ihm noch entgegenstellen können.“

„Ihr wisst, dass wir das verhindern müssen.“, attestierte Greaterthunbercke. Die Tamperampf kannten die größten Weissagungen. Die Schwesternschaft wusste, was es bedeuten würde, wenn die Welt nun in die Hände des Goldenen fallen würde.

„Was schlagt ihr vor?“, mischte Ilkhold sich ein. Er war es gewohnt mit verschiedenen Göttern zusammen zu wirken, besonders mit Rondra, Phex und Hesinde. Daher war er auch gewillt, dem Goldenen seinen Plan zu durchkreuzen. Er sollte nicht das Monopol erhalten.

„Was können wir tun, um ihn aufzuhalten? Was können wir tun, damit die Verbindung zwischen unserer Sphäre und der der Götter aufrecht erhalten bleibt? Was können wir tun, um unser Volk vor dem Untergang zu retten?“, erwiderte Greaterthunbercke mit drei Gegenfragen.

„Nun“, begann Kreischverschlosch nachdenklich. Offensichtlich schwang seine Stimmung von der Ablehnung der Goblingötze nun zu einem konstruktiven Mitdenken und dem Mitarbeiten an einer Lösung für die gravierenden und fundamentalen Fragen, die Greaterthunbercke aufgeworfen hatte. Sie hatte vollkommen recht. Wenn die Trolle jetzt nicht handeln, würden sie alles aus der Hand geben. Die Katastrophe wäre nicht mehr aufzuhalten. Viel zu lange hatten sie Kerbhold gewähren lassen. „Auf deine zweite und dritte Frage hätte ich eine Idee anzubieten...“

„Und die wäre?“ Jetzt schien Straumpff ungeduldig zu werden. Er war ja eher ein Troll der Tat und nicht des langen Nachsinnens.

„Trollpfade.“, fuhr Kreischverschlosch fort. Die Tonkerompf hatten das älteste Wissen über die Trollpfade und hatten alle Orte und Globule bereist, die man über diese Wege erreichen konnte.

„Ganz einfach. Wir bringen unser Volk in Sicherheit. Zumindest all die Aufrechten, die freien Trolle. Mein Stamm, die Tonkerompf, haben seit Jahrtausenden enge Kontakte zu den Reichen der Feen. Wir kennen auch den Weg nach Tharun. Dort können wir hin. Die würden uns aufnehmen.“

„Die Götter bieten Euch Asyl. Sie haben für alle aufrechten Wesen dieser Welt einen Zufluchtsort geschaffen: Thalami Sora.“ Mailam Rekdai schien hier offensichtlich als Emissärin der Götter zu sprechen. „Eure Rettung müsst ihr euch aber verdienen. Die ersten beiden Fragen müsst ihr lösen: Wie kann man den Goldenen aufhalten? Wie kann die Verbindung zwischen hier und Alveran bestehen bleiben?“

„Was für eine Frechheit!“ Homerold bekam einen Tobsuchtsanfall. „Du willst uns sagen, was wir zu tun haben?“, schrie er laut erzürnt. „Wir können uns selbst retten! Wir brauchen kein Salami Thora...“ Rizziratz rülpste bestätigend. Nur langsam beruhigte sich der Fürst der Tauthorkatsch. Die anderen warteten bis er wieder auf seinem Thron saß.

„Na.“ Greaterthunbercke klang nachdenklich. „Wir werden die Globule nicht mehr erreichen, wenn der Goldene seine Barriere aufgerichtet hat. Wir brauchen etwas Wirksames.“

„Meines Wissens nach müsste es einen Trollpfad geben, der bis nach Alveran reicht.“, sann Kreischverschloss nach. „Diese Verbindung müssen wir aufrecht erhalten.“

„Stimmt.“, bestätigte Homerold, der wieder ruhig war. Die Tauthorkatsch kannten alle alten Mythen und Legenden. „Es gibt die Erzählung vom Roxx Eiron. In den Klong Bumm Baum Steinen...“ – den Ingrakuppen, wie sie in unserer Zeit genannt werden – „...da gibt es einen geheimnisvollen Zugang zu einem Trollpfad. Dort wo die sieben weißen Vögel bei Vollmond ihre Kreise ziehen, sagt die alte Legende, dort sei der Zugang zu diesem uralten Trollpfad.“

„Ich kenne diesen Trollpfad.“, bestätigte Ilkold. „Das sind die rostroten Berge. Von dort aus gelangt man nicht nur nach Alveran. Ich bin von dort einst aufgebrochen auf meinem Weg zu den Niederhöllen, um die Schönheit zu retten und Gnor´a´khir aus den Händen Tasfarels zu entreißen...“

„Das wäre die letzte Verbindung zwischen den Sphären.“ Auch der blinde Amaurotz klang nachdenklich. „Den Zugang zu diesem Trollpfad müssen wir unbedingt vor dem Goldenen verbergen!“

„Wir müssen einen mächtigen Verhelungszauber wirken, um diesen Ort verbergen.“, sagte Kronold. „Wie nennt ihr ihn? Roxx Eiron?“ Heute nennt man diesen Ausläufer der Ingrakuppen Eisenstein.

„Aber wir müssen Zeichen errichten, damit die Aufrechten den Zugang finden.“, sagte Straumpff. „Die freien Trolle müssen den Trollpfad finden können, um nach Thalami Sora zu gelangen. Ich werde das übernehmen und Steine aufstellen. In ihrer Mitte lasse ich eine Quelle entspringen, damit jeder Troll schmecken kann, dass er am richtigen Ort ist. Ich denke einer der Hügel dort ist der Blank Blunk Lappes.“ Das ist der Weißenstein. „Dort werde ich das Zeichen setzen.“ Die Tarpatsch haben eine besondere Affinität zum Wasser. Darum ist das Quellwasser am Weißenstein besonders erfüllt mit uraltem Trollischen Zauber. „Ich werde noch einen Heilungsspruch auf die Quelle legen.“, ergänzte Lauterbacke.

„Mein Stamm wird als erstes durch diesen Zugang gehen. Dann werden wir den Trollpfad von der anderen Seite aufhalten.“, bot Lauterbacke an.

„Gut. Das klingt wie eine sinnvolle Lösung. So machen wir es.“ Greaterthunbercke schien zufrieden zu sein. „Aber was machen wir mit dem Goldenen?“ „Kronold? Gibt es in der Nähe von Graulgatschthor nicht doch irgendwo den Rasch Brom Knatsch?“, sann Homerold laut nach.

„Doch, du hast recht.“, bestätigte Kronold. „Und jeder von uns zehn besitzt einen Graurm. Mit den Herzensplittern können wir ihn losketten...“

„Graufang?“ Horsch war zutiefst erschrocken.

„Wir werden ihn gegen den Goldenen aussenden. Er wird ihn jagen.“ Ilkhold war bereit, die letzten Reserven zu mobilisieren. Koste es, was es wolle.

„Das klingt wie ein Plan.“ Greaterthunbercke nickte. „So machen wir es.“ Rizziratz brummte zustimmend.


Autor: Innozenz m.c.