Und die Pforten öffnen sich

Kapitel 4-3: Und die Pforten öffnen sich

Mit einem freundlichen “Rondra zum Gruß!” verkündete Rondradin, in Begleitung seiner Schwester, ihre Ankunft.

Beim Tor in den Park angekommen erblickte der junge Bannstrahler eine kleinere Traube Gäste, die auf den Einlass warteten. Kurz rümpfte Linnart ob der Tatsache, dass sie hier warten mussten wie bestellt, aber nicht abgeholt, seine Nase, doch wollte er sich seine nun gute Laune durch so eine Kleinigkeit nicht wieder trüben lassen. Sein Gastgeschenk, in Form zweier Weinfässer, hatte er schon vor einem guten Stundenglas vorausgeschickt und nur kurz dachte der Ritter daran ob sein Knecht die ihm aufgetragene Aufgabe inzwischen ausgeführt hatte. Es war schwer zuverlässiges Personal zu finden, doch galt dieser Bursche als vertrauenswürdig. “Praios zum Gruße …”, grüßte er die bereits versammelte Gästeschar mit fester Stimme. Sein schweifender Blick blieb dabei auf einem großgewachsenen Mann im Ornat der Rondrakirche hängen und verweilte dann einige Momente auf der Frau diesem gegenüber. “Euer Gnaden … hohe Dame ...”, begrüßte er die beiden knapp.

Die beiden Angesprochen musterten nun ihrerseits das Paar ihnen gegenüber. Wo Rondradins Blick allenfalls flüchtig Linnart und einen Augenblick länger Rahjalind streifte, betrachtete Andesine den Bannstrahler eingehender. Die Familienähnlichkeit zwischen Andesine und Rondradin war klar ersichtlich, angefangen bei bei den schwarzen Haaren und den blauen Augen. Aber da war noch was anderes, beide hatten etwas das andere anzog. Der Mann ergriff das Wort. “Rondra zum Gruße, hoher Herr, hohe Dame.” Er deutete auf seine Schwester. “Dies ist meine Schwester Andesine von Wasserthal und ich bin Rondradin Wasir al’Kam’wahti von Wasserthal zu Wolfstrutz. Mit wem haben wir das Vergnügen?”

Linnart nickte den beiden während der Vorstellung durch den Geweihten noch einmal freundlich zu. “Ich darf Euch meine bezaubernde Schwester Rahjalind vom Traurigen Stein vorstellen”, als der Ältere des Geschwisterpaares übernahm der Ritter die Vorstellung, “Sie dient der Herrin Rahja als Schülerin der Leidenschaft im noch sehr jungen Rebentempel zu Linnartstein.” Die junge Frau im doch recht freizügig geschnittenen, roten Kleid strahlte den beiden Wasserthalern entgegen und neigte grüßend ihr Haupt. “Mein Name ist Linnart vom Traurigen Stein und ich diene dem Herrn Praios als Ritter im Orden vom Bannstrahl.” So sehr sich die Gebote der Rahja und des Praios auch unterscheiden mochten, so groß der Unterschied zwischen der Willkür der Leidenschaft auf der einen und Gesetz und Ordnung auf der anderen Seite auch sein mochte, zwischen die beiden jungen Linnartsteiner passte kein Blatt Büttenpapier. Linnart liebte seine kleine Schwester und er würde es nie zulassen, dass ihr Unrecht geschah. “Es ist uns beiden eine Freude Euch kennen zu lernen”, der junge Bannstrahler wies in einer knappen Handbewegung erst auf seine Schwester, dann auf sich selbst. “Werdet Ihr beiden diese Veranstaltung als Werber beehren?” Wiewohl seine Frage beiden galt, lagen seine eisblauen Augen dabei lediglich auf Andesine.

“Es ist mir eine Freude euch kennenzulernen.” Ergriff nun Andesine das Wort und knickste. Dabei ließ sie Linnart nicht aus den Augen. Ihr blaues Kleid verdeckte mehr Haut als es zeigte, allerdings betonte es auch die schlanke Taille und das wohlproportionierte Dekolleté der großgewachsenen Frau. “Da mein lieber Bruder seit kurzem verlobt ist, trete nur ich als Werber auf.” Auch Rondradin hatte Linnart nochmals zugenickt, aber seiner Schwester das Gespräch mit dem Bannstrahler überlassen. Mit deutlichem Interesse sah diese das Geschwisterpaar an. “Wie steht es mit euch?” Rondradin hatte indes die Zeit genutzt und Rahjalinds Hand ergriffen um ihr einen Handkuss darauf zu hauchen. “Dann darf ich Euch also bald mit Schwester Rahjalind ansprechen?” fragte er, auf ihr Noviziat in der Rahjakirche bezug nehmend. Keinem der kleinen Runde entging der leise Seufzer Rahjalinds, als Andesine die Verlobung ihres Bruders zur Sprache brachte. Linnart konnte sich denken, dass der Rondrianer optisch ihr Typ war und musste deshalb kurz schmunzeln, schenkte seine Aufmerksamkeit jedoch sogleich wieder der Wasserthaler Ritterin. “Ich bin mir sicher Ihr werdet Euch der vielen Angebote gar nicht erwehren können”, setzte der Bannstrahler dann charmant lächelnd hinzu. “Ich hoffe Ihr verzeiht mir meine direkte Frage, hohe Dame, aber seid Ihr aus Familienräson hier, oder weil Ihr Euch selbst einen Traviabund wünscht?” Andesine errötete leicht ob des Kompliments, entschied sich aber, vorerst nicht darauf einzugehen. “Da gibt es nichts zu verzeihen, mein hoher Herr.” erwiderte Andesine lächelnd. “Beides trifft zu. Meine Familie drängt natürlich darauf, gerade weil mein jüngerer Bruder schon eine Verlobung eingegangen ist, aber auch ich spiele mit dem Gedanken eine Familie zu gründen, wenn ich den Richtigen finde.” Sie ließ die Worte einen Moment im Raum stehen, bevor sie unschuldig lächelnd weitersprach. “Wie steht es um Euch? Ist dies hier nur eine leidige Pflicht oder habt Ihr Interesse daran eine Braut zu finden?”

Es dauerte ein-zwei Herzschläge bis Linnart zu einer Antwort anhob; “Ich werde ehrlich zu Euch sein …”, begann er dann, verlor dabei sein charmantes Lächeln jedoch nicht, “... ich musste fast schon dazu gezwungen werden hierher zu kommen. Es war nicht meine Idee, aber inzwischen bin ich froh hier zu sein.” Kurz ging der Blick des jungen Ritters hinüber zu seiner Schwester. Eigentlich war sie der Grund dafür warum er dann doch seinen Weg nach Herzogenfurt antrat. “Was mich genau hier erwartet und ob ich meine Braut finde, überlasse ich der Herrin Rahja. Man sollte niemals nie sagen.” Das Lächeln des Linnartsteiners wurde breiter. “Wie sollte denn der von Euch angesprochene ´Richtige sein?”, setzte er dann interessiert hinzu.

Andesine konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken. “Meine erste Reaktion auf die Ankündigung der Brautschau war der Euren recht ähnlich, das kann ich Euch versichern. Aber dann habe ich darüber nachgedacht, dass ich bei einer solch großen Zahl Junggesellen vielleicht auch jemanden finden kann, der zu mir passt. Und ich glaube Rahja könnte heute durchaus mit mir sein.” Sie schenkte ihm ein herzliches Lächeln. “Was der Richtige alles mitbringen muss, werde ich Euch hier noch nicht verraten. Vielleicht später.” Ein Augenzwinkern. “Eines will ich Euch aber doch verraten. Ehrlichkeit bemesse ich einen hohen Stellenwert bei, Titel, Rang und Namen hingegen weitaus weniger.”

Linnart legte interessiert seinen Kopf schief. Die letzten Worte der groß gewachsenen Ritterin waren in Nordmärker Adelskreisen definitiv eine Besonderheit, was Andesine in seinen Augen noch interessanter machte. Dennoch würde sich ihm die Frage stellen, ob sich die Ritterin überhaupt mit dem verrufenen Lebensstil seines Hauses arrangieren könnte. Seine Mutter Adda würde es bestimmt versuchen und seine Frau, wer auch immer es schließlich sein mochte, in eben diese Lebensweise einzuführen. Seine Zukünftige musste dazu in der Lage sein einen großen Haushalt führen, sollte im Handel mit Wein versiert sein, oder wenigstens motiviert sein dies zu lernen, und eine vorzügliche Gastgeberin mimen können. Im Gegenzug würde auf seine Frau ein monetär sorgenfreies Leben warten. Sie würde teure und repräsentative Kleider tragen und große Feste ausrichten. Und dennoch würde es bestimmt nicht jeder der anwesenden Damen leicht von der Hand gehen.. “Ich habe einen Schwur auf die Gebote Praios´ abgelegt und mich seinem Orden vom Bannstrahl auf heilige 12 Jahre verpflichtet, meine Dame …”, der junge Bannstrahler zwinkerte ihr aus strahlenden Augen zu, “... mein Gegenüber kann demnach stets auf die Ehrlichkeit meiner Worte vertrauen und was alles andere angeht …”, Linnarts Blick fiel für einen Moment auf die sich in Bewegung setzenden Gäste - allem Anschein nach wurden ihnen nun der Einlass auf die Festwiese gewährt, “... hoffe ich doch, dass ich heute noch die Gelegenheit bekomme diese von Euch zu erfahren.” Federleicht wog die Berührung als ihre Hand sich auf seine Wange legte. “Das liegt ganz bei Euch, Linnart vom Traurigen Stein, Ritter des Ordens vom Banstrahl Praios’.” Ein aufmunterndes Lächeln umspielte ihre Lippen. Ihr Blick glitt zum Tor. “Oh, wir dürfen augenscheinlich eintreten.” Der Bannstrahler ließ seine Augenbrauen nach oben wandern. Die eisblauen Augen glänzten. Dann nahm der junge Mann Andesines Hand, die sanft auf seiner Wange ruhte, in die seine und küsste ihre Handfläche, während er seinen Blick nicht von ihrem Antlitz löste. Einen Herzschlag später ließ er von ihr ab und bot der Ritterin seinen Arm dar. “Gewährt Ihr mir die Freude Euch zu Eurem Platz zu geleiten?” Die Ritterin schloss die Hand, welche er geküsst hatte, so als ob sie den Kuss festhalten wollte und legte sie auf ihr Herz. Dabei nahmen ihre Wangen eine rötliche Färbung an. In ihren Augen konnte er Freude und ehrliches Interesse lesen. Ihr Lächeln nahm noch zu, als sie seinen angebotenen Arm annahm. “Nichts wäre mir lieber.”

Währenddessen genoss die junge Novizin die Berührung Rondradins. “Bald … ja …”, sie kicherte mädchenhaft, “... wohl nur noch ein-zwei Götterläufe, dann ist es soweit.” “Das ist die anstrengendste aber auch schönste Zeit des Noviziats. Jedenfalls war es das bei mir. Genießt es!” Erst jetzt gab seine warme, schwielige Hand die ihre wieder frei. Rahjalind warf mit einer einfachen Kopfbewegung ihre Haarpracht zurück. “Es war Mutters Idee, dass Linnart und ich hier her kommen …”, plapperte sie dann los, “... wir sind beide im Dienst einer Kirche und da ist es nicht so einfach eine Familie zu gründen.” Spielerisch begann sie ihr Haar auf ihren Zeigefinger zu zwirbeln, während sie ihr Gegenüber neugierig musterte. “Ihr wisst bestimmt wovon ich spreche. Die Familie kann und wird wohl nie an erster Stelle stehen, dennoch bin mir sicher, dass Ihr Euch dahingehend mit Eurer Verlobten arrangiert habt.” Rondradin erwiderte Rahjalinds Blick. “Oh ja, ich weiss nur zu gut wovon Ihr sprecht. Gerade wenn man im Auftrag seiner Kirche viel Zeit auf Reisen verbringt. Ja, man sieht allerhand fremde Orte, lernt interessante Leute kennen und erlebt vielleicht auch das ein oder andere Abenteuer, aber es bleibt keine Zeit um eine Familie zu gründen.” Unbewusst fuhr sein Finger die kleine Narbe unter seinem linken Auge nach. Hatte er ihr gerade zugeblinzelt? “Mit meiner Verlobten habe ich noch kein Arrangement ob meiner familiären Verpflichtungen treffen können, allerdings hat mir ihre Mutter schon genau erklärt, was man von mir erwartet. Es wird eine Herausforderung werden.” Er lachte. Dann sah er neugierig Rahjalind an. “Würde sich ein Traviabund mit Euren Aufgaben im Tempel überhaupt vereinen lassen?”

Rahjalind lachte glockenhell auf. “Das wäre eine Frage, die Ihr am besten den anwesenden Männern stellen solltet. Welcher Mann könnte mit einer Dienerin der Rahja als Eheweib umgehen …”, die großen grünen Augen der Novizin nahmen einen seltsam herausfordernden Glanz an, “... wäre bestimmt interessant zu erheben, meint Ihr nicht? Aber ich kann Euch beruhigen. Es gibt so viele anderen Möglichkeiten der Herrin zu dienen als bloß die Beine zu öffnen …”, sie ließ die auf ihren Zeigefinger aufgezwirbelten Haare hinunter gleiten, leckte sich neckend über die Lippen und winkte dann lächelnd ab, “... wer weiß was der Tag hier heute noch bringen mag. Dass ich einen Bräutigam finde, halte ich jedoch für unwahrscheinlich.” Nein, aber sie würde zusehen, dass ihr Bruder jemanden findet. “Wo wir gerade dabei sind … Eure Verlobte, wie ist sie so?”

“Leider kann ich Euch nicht allzu viel über sie berichten. Ihr Vater erlaubt uns kein Treffen vor der Hochzeit. Aber ich bin ihr schon begegnet, das ist einen guten Götterlauf her, als sie noch Knappin war. Sie ist schön, klug und in sich gekehrt.” Rondradin zuckte die Schultern, leider wusste er nicht mehr über Ravena zu erzählen. “Aber zurück zu Euch. Es bedarf sicherlich einen Mann mit aufgeschlossenen Geist, wenn er eine glückliche Ehe mit einer Dienerin der Lieblichen anstrebt. Vielleicht findet Ihr hier einen solchen, an Bewerbern wird es Euch sicherlich nicht mangeln.” Sein Blick glitt bewundernd an ihr hinauf. “Und mitnichten wollte ich eure Aufgaben als Dienerin Rahjas derart beschränken, wie ihr es mir in den Mund gelegt habt.” Erklärte er lächelnd. “Allein der Aspekt der leidenschaftlichen Verschmelzung bietet so viele Facetten, die über das bloße öffnen liebreizender Schenkel hinausgeht. Tatsächlich empfinde ich gerade euer Streben nach Harmonie und die damit verbundene Fürsorge des Seelenheils der Gläubigen als eine sehr wichtige Aufgabe, welche die Rahja-Kirche erfüllt.” Der Geweihte hatte den Blick Rahjalinds gesucht und seine blauen Augen strahlten.

Die Novizin lächelte herzlich. “Eure Verlobte ist wohl ein guter Fang …”, bemerkte sie, “... doch warum gesteht man Euch kein Treffen zu? Welcher Mehrwert für Euer beider Zusammenleben soll denn daraus entstehen?” Rahjalind wusste natürlich, dass dies bei arrangierten Ehen alles andere als selten war. Wahrscheinlich fürchteten die Eltern des Brautpaares, dass es sich das Paar vor der Hochzeit doch noch anders überlegt und sich gegen die Familienräson stellt. “Wisst Ihr, in meiner Familie ist uns solcherlei Zwang fremd. Wir sind stolz auf unsere Freiheit und leben nach den Geboten der Herrin Rahja …”, sie warf einen lächelnden Seitenblick auf ihren Bruder, “... nun ja, zumindest die meisten von uns.” Kurz kicherte sie bei dem Gedanken, dass ihr Bruder doch so ganz anders war als der Rest ihrer Sippe. “Es liegt in unserem Blut. Die Herrin hat unsere Weinberge reich gesegnet und sich einem meiner Ahnen offenbart.” Nun schien auch Rahjalind den Aufbruch der Wartenden zu bemerken. “Ich wollte Euch im Übrigen nichts Böses unterstellen. Ich mag es einfach mein Gegenüber ab und zu in Verlegenheit zu bringen …”, säuselte sie ihm dann zu und küsste seine Wange, “... aber Ihr habt Euch gut geschlagen.” Der Geweihte verbeugte sich galant und hauchte einen weiteren Kuss auf ihren Handrücken. “Es war mir ein Vergnügen. Wir sollten das bei Gelegenheit wiederholen.” Ein breites Lächeln stand auf seinem Gesicht. “Wie ich sehe werden wir nun eingelassen. Darf ich Euch zu eurem Platz führen?” fragte er und bot ihr seinen Arm. “Leider kann ich Euch keine Antwort darauf geben, weshalb ihr Vater uns ein Treffen verbietet, aber der Baron von Rabenstein war schon immer etwas eigen, auch wenn ich ihn sehr schätze.” “Sehr gerne …”, sprach sie Rahjalind erfreut und hängte sich bei ihm ein, “... wiewohl ich denke, dass wir nicht denselben Weg haben.” Sie grinste vielsagend über die Tatsache, dass sie nun nach Stand eingepfercht wurden und kurz musste sie dabei an den Schweinehirten Edil aus dem Dorf denken, wenn er mit einem Stock bewaffnet seine Tiere in die angedachten Gatter trieb. Die Novizin hatte den jungen, ungeschickten Mann gerne dabei beobachtet und irgendwie war es schade, dass er sich noch nicht bei ihr im Tempel blicken hat lassen. Nein, vielmehr schien es als habe er Angst vor ihr und der Hochgeweihten. “Ein kleiner Umweg, den ich gerne in Kauf nehme.” erwiderte Rondradin lächelnd. Die Linnartsteinerin wandte sich Rondradin zu. “Der Baron von Rabenstein …”, sann sie den letzten Worten des Geweihten nach, “... ich habe von ihm gehört ...” Kurz rang Rahjalind innerlich mit sich selbst, gab dann jedoch ihrer Neugier nach. “... darf ich Euch fragen wieso Ihr die Tochter des Barons heiratet wenn Euch nicht einmal ein Treffen gewährt wird?” Sie kaute an ihrer Unterlippe. “Ich meine, ist es ein Arrangement oder Wunsch Eurer Familie, dem Ihr entsprechen müsst, oder sehnt Ihr Euch selbst nach einer … guten … Partie?”

Rondradin versteifte sich unwillkürlich für einen Herzschlag. “Rahjalind, darf ich Euch so nennen? Hättet Ihr mich vor ein oder zwei Götterläufen gefragt, dann hätte ich Euch wohl antworten müssen, dass ich nach einer guten Partie Ausschau halten würde. Tatsächlich schoss mir damals der Gedanke durch den Kopf, als ich das eine Mal auf Ravena traf. Aber in der Zwischenzeit geschahen Ereignisse, die mich heute anders denken lassen.” Der Geweihte musterte Rahjalind, bevor er weitersprach. “Bitte verzeiht mir, wenn ich Euch die genauen Umstände wie es zu dieser Verlobung kam vorenthalte. Eines Tages werde ich Euch davon erzählen, wenn etwas Zeit vergangen ist und ich Euch besser kenne.” Er sah etwas bedrückt aus, schüttelte aber dann vehement den Kopf. “Soviel sei aber gesagt, es wurde ein Arrangement getroffen und ich gab dem Baron mein Wort es auch zu halten.” Rondradin richtete sich wieder auf und versuchte ein Lächeln. “Aber lasst uns den heutigen Tag genießen.” Rahjalind presste ihre Lippen zusammen um einen ganzen Schwall aufkommender Fragen zu unterdrücken. Allem Anschein nach verbarg sich eine für den Rondrianer höchst unangenehme Sache hinter seiner Verlobung. So gingen die beiden Gottesdiener einige Schritt lang schweigend in Richtung des Sonnenschutzes. "Ihr habt recht, Rondradin ...", kam es, nachdem die Novizin den inneren Kampf gegen ihre Neugier gewonnen hatte, "... genießen wir den Tag. Das Mahl des Herrn Praios strahlt, die schönen Lilien blühen und überall finden sich adrett gekleidete junge Männer und Frauen ... es ist ein Tag im Sinne der schönen Göttin. Ich bin mir sicher, dass die Herrin wohlwollend lächelnd auf uns hinab blickt." Als Rahjalind und Rondradin die Tafel der Landlosen fast erreicht hatten, setzte sie noch einmal flüsternd nach. "Seid Ihr dann hier um Eure Schwester zu unterstützen? Mir scheint sie verträgt sich ganz gut mit meinem Bruder."

Auf Rahjalinds Worte hin musterte er das vor ihnen laufende Paar. Sie hatte recht, seine Schwester schien, ihrem beschwingten Gang nach, gut gelaunt und die Art wie sie sich immer wieder - rein zufällig natürlich - an den Ritter lehnte unterstrich diesen Eindruck noch. Außerdem würde sie nicht am Arm von Linnart gehen, wenn sie ihn nicht leiden würde. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. “Das glaube ich auch. Es scheint so, als bräuchte meine Schwester die Unterstützung ihres kleinen Bruders gar nicht.” Rondradin erlaubte sich ein Schmunzeln. “Aber mich führen auch andere Pflichten hierher. Zum einen war ich Teil des Geleitschutzes für den elenviner Zweig des Hauses Altenberg, zum anderen habe ich später noch ein Treffen mit der Junkerin von Henjasburg.”

Rahjalind bedachte den Geweihten mit einem Seitenblick. Das Grinsen auf ihren Lippen konnte er in diesem Moment nicht sehen. "Ihr versteht es meine Neugier zu wecken, Rondradin." Sie hielten vor dem Sonnenschutz an. Inzwischen hatte sich eine ansehnliche Zahl Gäste versammelt. "Ihr werft mir immer den einen oder anderen Knochen hin und ich muss dann alle meine Selbstbeherrschung aufbringen um nicht nachzufragen." Die Novizin wandte sich dem Rondrianer zu und lächelte frech. Was er wohl mit der Junkerin zu besprechen hatte? Es musste wichtig sein. Schade, dass es sie nichts anging. "Ich nehme an Ihr geht jetzt Eurer Wege zu den ... gesellschaftlich höher gestellten Gästen ...", dieser praiotische Ordnungszwang ließ sie die Augen rollen und innerlich den Kopf schütteln. Währenddessen näherte die Linnartsteinerin sich Rondradin an und strich ihm sanft über seine Oberarme. "Auch wenn Eure Schwester keine Hilfe benötigen sollte ...", Rahjalind wandte sich noch einmal zu ihrem Bruder um, der gerade dabei war Andesine galant dabei helfen ihren Platz einzunehmen, wobei auch der junge Bannstrahler nicht mit subtilem Körperkontakt geizte, "... vielleicht schaut Ihr dennoch noch einmal hier bei uns vorbei." Dann kam es wieder - ein Lächeln, so rein und strahlend, dass es das ewige Eis schmelzen lassen konnte und ehe sich der Wasserthaler versah war die Rahjiani so nah an ihn herangetreten, dass ihre Lippen nur wenige Finger von den seinen entfernt waren. Kurz konnte er ihre Zungenspitze auf seinen Lippen fühlen - neckend - dann folgte ein kurzer, beinahe flüchtiger Kuss. "Ich würde mich freuen", noch bevor Rondradin reagieren konnte löste sich Rahjalind von ihm, schenkte ihm ein kurzes Winken und ließ ihn dann am Eingang zurück. Verdutzt starrte Rondradin Rahjalind hinterher. Dann machte seine überraschte Miene einem breiten Grinsen Platz. Er nickte Linnart und Andesine zum - vorläufigen - Abschied zu und machte sich auf zum Pavillon der Niederadligen.

Angeregt schwatzend kamen die beiden Damen an der Pforte der Festwiese an. Wer ihnen zuhörte gewann schnell den Eindruck sie würden sich über allerlei Klatsch und Tratsch unterhalten. Wer jedoch dem Gespräch länger folgte und betroffen oder der Thematik kundig war, musste feststellen dass diese jungen Frauen mit Nichten Gerüchte austauschten, sondern handfeste Tatsachen. Seit seiner Entstehung war es die ehrenvolle Pflicht des Hauses Ahnwacht die Stammbäume der nordmärkischen Geschlechter zu pflegen, folglich war es nicht verwunderlich das seine Angehörigen zu den Ersten gehörten die von Hochzeiten, Geburten und Sterbefällen erfuhren.

Pünktlich, da der Tag und die rechte Stunde gekommen war, trat Thankred zum Eingang des Parks. Der Junker trug zu diesem Anlass ein helles Rüschenhemd und einen edlen, schwarzen Gehrock, welchen er sich auf der Anreise aus dem Isenhag extra hatte anfertigen lassen. Ihm missfiel der Gedanke, dass er dafür so viel Silber hatte bezahlen müssen, doch er hatte ja schlecht in den alten Sachen seines Vaters kommen können. Auch wenn Thankred ganz und gar nichts von Mode verstand, war ihm klar, dass das keinen guten Eindruck gemacht hätte. Die anderen Gäste musterte er nur beiläufig und gesellte sich stumm und etwas abseits zu ihnen.

Auch zwei gut, wenn auch nicht prunkvoll gekleidete weitere Gäste gesellten sich zu der Traube der Wartenden. Corwyn von Dürenwald trug ein grünes Hemd mit gelben Einsätzen in den Armen und den Saumrändern zu einer schwarzen Hose in halbhohen edlen Stiefeln. Auf dem Kopf saß ein Hut, den eine Fasanenfeder zierte. Seinen dunkelgrünen Rock mit dem Darrenforster Wappen in schwarz, grün und gelb hielt er in der Hand. Lininaj strich sich fast bewundernd über ihr schlichtes, dunkelgrünes Oberkleid über einem feinen hellen Unterkleid. Aus ihrem Beutel an der Seite schaute eine Flötenkopf heraus. Es war eindeutig dass sie Kleider nicht gewohnt war und der weiten Stoff um die Beine ihr fremd schien. Immer wieder rieb sie aufgeregt den einen Fuß an den Stoff am anderen Bein. “Schau doch wenn wir drinnen sind wer alles noch da ist. Ich glaube ich habe noch ähnlich junges Volk gesehen wie dich. Aber jetzt steh still. Was sollen denn die edlen Herren und Damen von dir denken wenn du dich benimmst wie ein Floh,” versuchte der schlanke Ritter sein Schülerin zu beruhigen.”


Basilissa und Lares erschienen knapp vor dem Einlass vor der Pforte, dennoch pünktlich - damit war der junge Ritter zufrieden. Zeit zu verschwenden war verwerflich. Während seine Pagin ersichtlich nicht genug davon bekam, mit großen Augen staunend die wartenden Gäste zu betrachten, wurde Lares zunehmend flau im Magen. Er war falsch hier. Ganz eindeutig. Es versammelten sich wirklich respektable, schöne, einflussreiche und insbesondere reiche Menschen hier. Mit all dem konnte er nicht aufwarten. Gut - das Edlengut seiner Familie warf in Anbetracht der geschickten Vermarktung der Rosenprodukte einiges ab, doch mit einem Baronslehen konnte das nicht mithalten. Und er selbst war zwar klug, aber das zählte bei dem heutigen “Wettbewerb” nicht viel. Dementsprechend unzufrieden war der junge Ritter mit der Situation. Er sah sich um, schien jedoch Augenkontakt zu vermeiden und spielte scheinbar gelangweilt, jedoch vielmehr nervös, mit einem Stein vor seiner Stiefelspitze. Dabei dachte er sich: “So kommt man nicht mit einer guten Partie ins Gespräch” und fluchte innerlich über sich selbst.

Basilissa hatte indess ihre Schwester und ihren Vater entdeckt, die in ein Gespräch vertieft zu sein schienen. Sie bemühte sich, auf sich aufmerksam zu machen, fing sich aber nur ein rügendes Kopfschütteln ihres Vaters und ein Grinsen Luzias ein. Ein wenig schmollend wandte sie sich ihrem Schwertvater zu. “So viele Menschen.” flüsterte sie ihm laut zu. “Habt ihr die vielen schönen Frauen gesehen? Glaubt ihr, eine davon könnte euch als Gemahlin gefallen? Soll ich euch vielleicht beim Suchen helfen?” Eine kurze Pause, in der es verdächtig still schien, entstand, bis das blonde Mädchen fortfuhr: “Auf was muss ich denn achten?” Die Frage traf Lares unvorbereitet, der sich selbst fragte, wie zu allen Niederhöllen er das anstellen sollte. “Ähm, ja, ähm, sicher”, stotterte der Mersinger kurz. Verflucht, Frauen brachten ihn einfach völlig aus der Fassung. “Naja. Also das Äußere ist schon wichtig - da hast du aber sicher ein gutes Auge”, flüsterte er. “Aber darüber hinaus sind einige andere Fragen sehr sehr wichtig: Zum einen ist eine kluge Frau auch eine gute Hüterin von Haus und Hof. Ich will nicht, dass meine Aufgabe sein muss, alle Entscheidungen, die meine zukünftige Gemahlin trifft, auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Sie soll ihrer Aufgabe gerecht werden können.” Er kam ins Dozieren. “Genauso wichtig ist aber, dass sie ihren Platz kennt. Wie Herrin TRAvia gebietet, soll sie mir gleichberechtigt zur Seite und nicht auf ihren eigenen Vorteil bedacht sein. Und schließlich: Sollte es mir gelingen, eine Dame von höherem Stand, beispielsweise eine Baroness, zu erobern, so würde ich meiner Familie Ehre machen. Doch Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Götterfurcht sind mir bedeutend wichtiger”, sagte er und schallt sich zugleich einen eitlen Narren. Sein Oheim würde sicher sagen: Das Wohl der Familie geht vor allem - und das kann man nicht besser mehren, als durch eine Heirat in eine reiche und mächtige Familie. Alles für den Erhalt des Hauses Mersingen. “Hmm.” Nachdenklich sah die Kleine Lares an. “Also soll sie hübsch sein. Klug. Und gottesfürchtig. Das sind ja gleich drei Sachen auf einmal.” Sie griff sich an das kleine Kinderkinn: “Das ist schwierig oder?” Sie schwieg und dachte darüber nach, wie man herausfinden könnte, wie gottesfürchtig jemand war. “Soll der Hauptgott eurer Zukünftigen auch PRaios sein?” fragte sie noch neugierig nach: “Oder ist euch jeder der Zwölfe recht?”

Lares dachte einen Moment nach. “Solange es sie nicht nach phexischer Verschlagenheit gedürstet, bin ich diesbezüglich nicht wählerisch”, meinte er dann spielerisch. “Du hast selbstverständlich Recht, wenn du sagst, dass so vieles auf einmal nur schwer bei einem Menschen zu finden ist. Und noch schwieriger ist es, herauszufinden, ob ein Mensch seine Gottesfurcht oder seine Schläue nur vorspiegelt. Unsere Aufgabe wird heute sein, so gut wie möglich die Werberinnen zu durchschauen und zu sehen, welche es Ernst meint. Und selbst müssen wir aufrecht sein.” Lares sah sich um. Die meisten Gäste hatten sich bereits auf den Weg in die zwischenzeitlich geöffneten Gartenanlagen gemacht. “Also dann: Rein ins Getümmel?”

Rajodan von Keyserring hatte seiner Jüngsten gerade mit gerunzelter Stirn zu verstehen gegeben sich um andere Dinge zu kümmern als um ihn. Dass dieser kleine Teufelsbraten hier war, musste nicht unbedingt gut für seine Agenda sein. Das Mädchen war so überaktiv wie ein Rudel junger Hunde. Womöglich war die Ausbildung zum Ritter doch nicht das schlechteste, um sie ruhiger zu machen. Ausgeglichener. Womöglich hätte er es dann dereinst leichter, sie unter die Haube zu bringen. Nur ob der Mersinger der richtige war für die harte Hand, die Lissa brauchte, da war er sich nicht ganz sicher. Grüßend nickte er dem jungen Ritter zu, der den Gruß knapp erwiderte, wonach er sich umwandte und wieder auf sein eigentliches Problem konzentrierte- Luzia. Seine Töchter waren für seine Begriffe allesamt viel zu eigensinnig. Das hatten sie sich bei seiner Ältesten abgeschaut. Wenn er nun Luzia anblickte, erkannte er Prianna in ihrem trotzigen Blick. Und wie stets, wenn er diesen Blick auffing, war er sich nicht sicher , ob die Entscheidung bei der Kindererziehung auf die Peitsche zu verzichten, die beste gewesen war. Doch die Gefahr sie nachhaltig zu schädigen, war ihm zu groß gewesen: “Wir haben uns verstanden?” Leise sprach er zu seiner Tochter, die er dabei streng anblickte, die ihn ihrerseits säuerlich ansah: “Ja, Vater.” “Und, schau gefälligst nicht so, als wärest du auf dem Weg zu deiner eigenen Hichrichtung.” “JA, VATER.” sagte Luzia patzig. Sie hatte keine Lust hier zu sein. Herausgeputzt wie ein Pfau. Unter lauter anderen Pfauen. Und diese Altenberger. Allesamt Stubenhocker. Innerlich mochte sie schreien. “Ja, ich werde nett und folgsam aussehen, damit die Männer mich in Betracht ziehen.” Sie legte ein so offensichtlich falsches Lächeln auf, das ihr Ansinnen - oder Nichtansinnen- überdeutlich wurde, ihr Vater aber nichts mehr sagen konnte. Immerhin fügte sie sich. Rajodan zog die Stirn in Kraus und dachte zürnend daran, wie leicht sein Leben verlaufen wäre, wenn die Götter ihn nicht mit fünf Töchtern gestraft hätten.

Das Tor weit offen

Pünktlich auf das Wassermaß öffnete die junge, niedliche Frau mit den blonden Zöpfen das Haupttor zum Park. Flora, die Tochter des Gartenhüters, begrüßte die wartende Gruppe mit freundlichen Worten und bat alle einem etwa 12-jährigen blonden Jungen zu folgen. Alfritz, ihr Neffe, führte die Gäste über den knirschenden, hellen Kiesweg direkt zur Festwiese, während Flora auf weitere Gäste am Tor wartete, um ihnen den Weg zu weisen.

Die Wiese war in voller Aufruhe. Überall liefen Bedienstete zwischen den Aufbauten, um die letzten Vorbereitungen abzuschließen. Die Barden und Bänkelsänger stimmten ihre Instrumente oder übten das ein oder andere Lied ein. Der Geruch von Gebratenem, das Klirren von Tellern und Poltern von Töpfen verrieten, das im orangen Küchenzelt mit Hochdruck gearbeitet wurde.

Jeder Ankommende wurde von Rahjagoras vom Lilienhain, dem Gartenhüter, und Maura von Altenberg, eine Doktora und Mutter dreier Heiratskandidaten, begrüßt. Rahjagoras, der in seinen Sechzigern war, hatte eine breite Brust mit kräftigen Armen und großen Händen. Sein weißes Haar trug er im Wehrheimer Bürstenhaarschnitt und hatte sein Kinn glatt geschabt. Die feinen Linien auf Stirn, um den Augen, der Nase und Mund ließen ihn im Zusammenspiel mit seinen wachen, grünen Augen jünger erscheinen. Das er Zeit seines Lebens mehr draußen als drinnen verbrachte hatte, war deutlich an seiner sonnengebräunten Haut zu erkennen. Gekleidet war der Gärtner mit einer ärmelfreien, weinroten Tunika, die mit Ornamenten aus Lilien und Rosen geziert war. Die Frau neben ihm war jünger, aber hatte die 40 Sommer weit überschritten. Ihr blondes Haar war kunstvoll hochgesteckt und ihr Gesicht war dezent geschminkt. Sie trug ein grünes Kleid aus Seide, dessen Hüfte leicht betont waren. In aufrechter Haltung und einem Lächeln auf den Lippen wurde jeder nach seinem Namen und Titel befragt und höflich auf seinen Platz verwiesen. Die Hochadligen, die Vögte dieser, Hochgeweihte und Würdenträger in den linken Pavillion. Die Junker, Edlen und Ritter in den rechten Pavillion. Alle anderen, wie Erben der Junker und Edlen, Landlose Ritter, die Erblose und Gäste geradezu unter den Sonnenschutz.

Den Gästen erwartete in jeden Pavillon und dem Sonnenschutz eine lange Tafel mit Stühlen. Auf den Tischen verteilt standen Kelche und Krüge mit einer Köstlichkeit : Schweinsfolder Rahjablut - ein für diese Baronie typischer Beerenschnaps!

Vom Zeltplatz innerhalb des Parks aus hatten sie gesehen, wie das Haupttor geöffnet wurde und nun auch die anderen Gäste in den Park strömten. Celissa nickte ihren Kindern zu: Es war Zeit, sich zur Festwiese zu begeben. Die Edle von Tannenfels spürte deutlich die Anspannung vor allem bei Nivard, den es nun eiligen Schrittes zur Stätte der Brautschau zog und der sich zunächst nur mit Mühe zügeln konnte, nicht vor ihnen her zu eilen. Schließlich passte er sich doch ihrem Schritt an. “Ich muss Dir unbedingt meinen Freund Elvan vorstellen, Elvan von Altenberg. Er zählt auch zu den hier Beworbenen.” wandte sich Nivard an Ringard. “Ich habe ihn vergangenen Sommer auf der Concabella kennen gelernt. Er ist Schreiber und Schriftkünstler im herzöglichen Dienst, in Elenvina. Ich glaube nicht, dass Du es mit irgendeinem Mann auf dieser Brautschau besser treffen könntest als mit ihm.” ‘Herzöglicher Dienst. Elenvina. Und waren Schreiber und Künstler nicht häufig feinsinnige Menschen?’ Ringard begann sofort, sich diesen Elvan in Gedanken auszumalen. Ihre Neugier war geweckt. “Ja, mach das doch bitte. Ich bin sehr gespannt. Hast Du ihn hier schon irgendwo gesehen...?” “Kinder, ich bin mir nicht sicher, aber ich meine, das könnte die junge Baronin sein, die hier steht.” unterbrach Celissa flüsternd das Gespräch. “Ja, das ist sie wirklich.” Zumindest, wenn der Büttel recht hatte, mit dem sie gestern sprach, als die Frau, auf die sie nun zuhielten, sie zu Ross passierte. “Bleibt dicht hinter mir!”

Selinde von Schweinsfold stand mit ihrer Zofe auf der Festwiese und besah sich mit Wohlwollen die vielen Gäste, welche die Altenberger in ihre Baronie geladen hatten. Allzuviele kannte sie nur dem Namen nach. Sie spürte, wie ihre Katze schnurrend um ihre Beine strich, und lächelte, als eine Person zu ihr trat.

“Gestatten, Euer Hochgeboren, darf ich Euch meine Aufwartung machen?” entbot eine hagere Frau, die bei genauerer Betrachtung jünger wirkte, als es ihr weißes Haar im ersten Anblick erwarten ließ, ihren Gruß, während sie die Baronin aus tiefgrauen Augen anblickte. Zu einer wildledernen, braunen Hose trug jene ein weißes Leinenhemd, darüber einen grünen Wappenrock mit einem goldenen Hirschhaupt und einen dünnen, von einer Fibel gehaltenen Mantel aus einem gleich gefärbten Stoff, unter dem Griff und Knauf eines Schwerts hervor ragten. “Sehr erfreut.” Selinde grub in ihrem Kopf, ging die Gästeliste durch, und entschloss sich dann für den direkten Angriff. “Und mit wem habe ich die Ehre? Ihr seid eine Tannenfels?” Setzte sie eher fragend und mit einem Blick auf das Wappen hinterher. “Die Freude ist ganz unsererseits, Euer Hochgeboren. In der Tat, Ihr habt Recht - und erweist Euch als ganz hervorragende Kennerin der Nordmärker Heraldik! Bitte verzeiht dennoch, dass ich meine Begleiter und mich nicht direkt vorgestellt habe. Mein Name ist Celissa von Tannenfels, Edle aus der Baronie Ambelmund, und ich freue mich, Euch…” Celissa winkte ihre Kinder noch näher, “mit meinem Sohn Nivard, der vor einem Götterlauf seine Ausbildung in der Kriegskunst an der Akademie in Elenvina abgeschlossen hat, und meiner Tochter Ringard bekannt zu machen.” Nivard beeilte sich, sich mit einem “Sehr erfreut, Euer Hochgeboren” auf den Lippen zu verneigen, während Ringard ganz still knickste. Beide gaben sich zunächst beobachtend und überließen die Gesprächsführung ihrer Mutter. Diese hoffte, dass sich die beiden Jüngeren gut präsentierten, auch wenn sie natürlich keine ernsthafte Hoffnung hegen durfte, ihren Nachwuchs in ein Baronshaus, noch dazu außerhalb von Nordgratenfels unterbringen zu können. Obgleich die Baronin vom Alter her gut zu Nivard passen würde… und ledig war. Aber nein, man sollte immer wissen, wo man steht… aber Hoffen war dennoch nicht verboten. Wenigstens ein bisschen... “Ich muss gestehen, bislang nur wenige Mal durch Schweinsfold gekommen zu sein, doch noch nie habe ich dabei den Stadtpark gesehen oder betreten. Er ist wahrhaft von außergewöhnlicher Schönheit, noch dazu jetzt, da die Lilien in Blüte stehen.” zollte Celissa dem Lehen und damit dessen Herrin Respekt. “Alleine deshalb hat sich die Teilnahme an der Brautschau bereits gelohnt!” “Beehrt ihr das Ereignis nur zu dessen Eröffnung, oder habt Ihr gar genügend Zeit, ihm zu aller Freude ganz beizuwohnen.” schwenkte sie im Thema, neugierig, ob sich die Baronin vielleicht sogar tatsächlich mit dem Gedanken der Bräutigamssuche trug.

“Ich danke Euch für Eure Worte.” Selinde lächelte Celissa offen entgegen und musterte neugierig deren beide Kinder. “Ich freue mich über viele Gäste - viel zu lange lag Schweinsfold abseits aller Betriebsamkeit. Um so erfreuter bin ich, euch und eure Kinder hier begrüßen zu dürfen. Ich hoffe, ihr werdet für sie finden, was ihr hier sucht.” Ein wenig länger als notwendig blieben ihre Augen auf dem Jungen hängen, ein Krieger offenbar, und von einem durchaus angenehmen Äußeren. Ihre hellblauen Augen blitzten, als sie ihm kurz zuzwinkerte, und mit einer unbewussten Geste schob sie ihr nur durch eine dünne Haarflechte gebändigtes rotblondes Haar über die Schultern. “Ich werde mich hier sicher noch eine ganze Weile aufhalten, Euer Wohlgeboren. Das Edlengut Tannenfels kenne ich nur dem Namen - und dem Wappen - nach. Mögt ihr mir etwas über Euer Land und Eure Familie erzählen?” forschte sie neugierig nach. Ein zuerst vorsichtiges, dann aber zutrauliches Lächeln huschte umrahmt von errötenden Wangen über Nivards Gesicht, als die junge Baronin ihm zuzwinkerte, und er wagte sogar, dies zu erwidern. “Habt Dank für Eure Gastfreundschaft und Eure guten Wünsche für meine Kinder! Ich bin guter Dinge, dass sie hier nicht alleine die Schönheit dieses Ortes im Herzen mit nach Hause tragen werden!” fuhr derweil Celissa im Gespräch fort, auch wenn sie selbst nicht restlos überzeugt von ihrer eigenen Zuversicht war. “Gerne erzähle ich Euch vom Land in meiner Obhut und meiner Familie: Tannenfels findet Ihr im bewaldeten Osten der Baronie Ambelmund, nahe der Grenzen zu Schnakensee und Vairningen, im Tal des rauschenden Glasbachs. Umgeben ist es von dichten Tannenwäldern, die den uns Schutzbefohlenen ein Auskommen als Holzfäller, Waldhirten und Jäger bescheren, und uns das Holz und die Holzkohle schenken, mit denen wir aus Ingerimms Gaben ein gutes Glas herstellen. Zumindest in Nordgratenfels hat es einen guten Ruf, wie uns nicht zuletzt die Kiepenkerle berichten, die es in die umliegenden Orte und Gegenden schaffen. Und das nicht nur, wenn es den Tannspitz enthält, unseren nach altem Rezept hergestellten Tannenschnaps… Nivard, Du musst Ihrer Hochgeboren nachher unbedingt ein Fläschchen vorbeibringen, ich habe davon in unserem Zelt!” bedeutete sie ihrem Sohn, um sogleich fortzufahren: Allerdings leben wir nicht alleine in diesen Wäldern - neben uns und Firuns Geschöpfen kann man dort auch noch recht vielen Goblins begegnen. Zumeist lässt es sich friedlich mit diesen auskommen, und sie respektieren die Grenzen, die wir ihnen schon seit langem, seit den Tagen unseres Stammvaters Mikvard aufgezeigt haben. Nur dann und wann müssen wir einige Halbstarke in ihre Schranken weisen. Und in und unmittelbar nach einem harten Winter wie dem letzten muss man auf sein Vieh gut Acht haben, sonst kann es sein, dass es von hungrigen Rotpelzen gemopst wird.” Die Edle verschwieg zunächst, dass die Goblins im Gegensatz hierzu auch schon Hilfe und Rettung in Not gewesen waren, nicht zuletzt einige Male, als ihre jüngste Tochter Silfrun in den Wälder verschwunden war - Adlige auf den zivilisierteren Gegenden der Nordmarken reagierten zuweilen befremdet ob derartiger Beziehungen zu den Rotpelzen. “Es mag eine raue Gegend sein, in der man sich immer wieder vor Rondra und Firun beweisen muss, um sein Leben und das der seinen zu führen und zu wahren. Und als Gemeinschaft treu zusammenhalten. Sie hat uns alle, meine Söhne und Töchter und natürlich auch mich zu dem gemacht, was wir sind, und wir werden diese immer in unserem Herzen tragen.” Nivard nickte innerlich zu den Worten seiner Mutter, fühlte er doch wie sie, was seine Heimat anging. Ringard dagegen mochte zwar alle Beschreibungen bestätigen, doch würde sie jeden Ort in ihrem Herzen nur allzu offen willkommen heißen, der ihr ein annehmlicheres Zuhause sein würde als Tannenfels… “Seht, welch großer Vogel, er hält direkt auf Euch zu, Hochgeboren!” fiel Nivard seiner Mutter ins Wort, von seinen Instinkten als Geleitschützer gelenkt.

Mit kräftigen Flügelschlägen hielt Malvado auf den Festplatz zu. Sein pechschwarzes Gefieder glänzte im Schein der Mittagssonne und seine spiegelnden, dunklen Augen suchten nach einer bestimmten Person. Als er sie in der Masse entdeckte, glitt er in die Traube von Menschen ab und hielt auf sie zu. Der Kolkrabe der plötzlich auf Kopfhöhe der Festgäste flog, ließ den einen oder die andere Edle erschrocken aufstöhnen und ausweichen, doch er hielt weiter auf sie zu. Ringard duckte sich erschrocken, als sie den Raben auf ihre Gruppe zukommen sah, während Celissa sich angesichts der Warnung ihres Sohnes nach jenem umsah. Nivard spannte derweil seine Muskeln, bereit, den Vogel abzuwehren und rettend einzugreifen, falls es brenzlig werden würde. Haarscharf flog er an ihren Kopf vorbei, doch niemand sah wie er sie mit einer seiner Krallen an der Schulter berührte. Beide waren zufrieden und verstanden. Die Seelenverwandten waren bereit. Mit kräftigen Schlägen nahm der Rabe wieder die Höhe auf, umkreiste die Festwiese und ließ sich dann auf einen nahegelegenen Baum nieder. “Ist alles in Ordnung, Euer Hochgeboren?” erkundigte sich Nivard besorgt, während er die Flugbahn des Raben weiter verfolgte. “Merkwürdiges Verhalten…” “Was wollte der nur? Richtig unheimlich…!” gruselte sich Ringard derweil. Nur Celissa schwieg und beobachtete die Baronin. Diese wirkte gar nicht erschrocken... .

Versonnen blickte Selinde dem Raben nach, ehe sie mit den Schultern zuckte und sich wieder ihrem Gespräch mit der Vögtin zuwandte. Die Vögtin von Schweinsfold ließ sich von dem Raben nicht beirren und setzte ihren zielgesetzten Gang fort. Die Enddreißigerin war wie immer komplett in Schwarz gekleidet. Dunkle, wildlederne Halbstiefel, enge Hosen, ein schwarzes, seidenes Junkerwams und um den Hals trug sie eine silberne Amtskette. Selbst in dieser sommerlichen Zeit war ihre Haut vornehm blass, ihre blauen Augen verbargen sich unter Schlupflidern und im Zusammenspiel mit ihrer leicht gebogenen Nase hatte sie etwas Raubvogelartiges. Der blonde Kurzhaarschnitt und die mürrischen Züge um den Mund ließ sie auf den Betrachter hart und unzufrieden wirken. Junkerin Alrike von Henjasburg, Tochter der verstorbenen Baronin von Schweinsfold, war hier, um der neue Baronin, ihrer Nichte, bei diesem Fest zur Seite zu stehen. Seit Jahrzehnten hatte die Baronie keine große Zusammenkunft des Adels mehr gesehen. Das war ein kleiner Anfang. Eine Prüfung. Es war an der Zeit zu sehen wie sich die junge Frau auf der Bühne der Politik machte. Alrike blieb kurz stehen und ging dann weiter zur Baronin die sich gerade in einem Gespräch befand. Sie stellte sich in den Blickwinkel von Selinde und räusperte. “Euer Hochgeboren.”, sagte sie mit bestimmter aber beruhigender Stimme. Die Baronin von Schweinsfold, die sich bis gerade eben in einem angeregten Gespräch mit Celissa von Tannenfels befunden hatte, wandte sich um und musterte ihre Vögtin mit hochgezogenen Brauen. “Entschuldigt ihr mich für einen Augenblick, Wohlgeboren von Tannenfels?” fragte sie neugierig.

Die Vögtin kam der Baronin näher und ließ die Edle abseits schreiten. “Wie ich sehe, seit ihr im vollsten Gange die höfische Konversation zu pflegen. Ich wollte euch daran erinnern, dass wichtige Leute im Pavillon auf uns warten. Einige Barone des Herzogtums sollten euch kennenlernen, Baronin.” Normalerweise pflegten die beiden Frauen einen vertrauten Umgangston untereinander, doch heute, unter all den Adligen, galt es die Form zu wahren. “Ich folge euch, sobald ihr soweit seid.” Alrike deutete ein Kopfnicken an und warf der Edlen einen kalten Blick zu. Celissa verstand. Sie erwiderte mit einem kurzen Blitzen den Blick der Vögtin, um sich sogleich nochmals der weit aufgeschlossener und nahbarer erscheinenden Baronin zuzuwenden: “Habt Dank für die Zeit und das Gehör, dass Ihr uns schenktet, Euer Hochgeboren. Vielleicht findet sich später eine passendere Gelegenheit, unser Gespräch fortzusetzen - wir würden uns darob sehr geehrt fühlen. Und wir werden Euch auf jeden Fall eine Kostprobe unseres Gutes vorbeibringen.” “Ich freue mich sehr - seid bedankt! Sie lächelte Celissa an. “Wir müssen das Gespräch unbedingt wiederholen. Bis dahin wünsche ich euch noch viel Kurzweil - und gutes Gelingen für Eure Pläne!” “Möge der Götter Gunst auf allen ruhen, die hier ihr Glück suchen.” entgegnete Celissa, nochmals gewogen nickend ihren Dank bekundend, und auch Ringard tat es ihr gleich. Nivard, der die Baronin, noch immer irritiert ob des merkwürdigen Rabenanflugs, verstohlen musterte, zögerte kurz, dankte Selinde dann jedoch auch leise, ehe er seiner Mutter folgte. “Was meint Ihr, was das zu bedeuten hatte?” fragte er die beiden Begleiterinnen, doch wunk seine Mutter ab, näherten sie sich bereits einer Gruppe weiterer Gäste.

“Doratrava, so schön dich zu sehen. Darf ich dir den Hüter dieses wunderschönen Garten vorstellen? Rahjagoras vom Lilienhain.” Die Doctora Maura strich der ankommenden Gauklerin auf die Schulter und zog dann den älteren Mann neben ihr etwas näher. Der Gärtner und Akoluth der Rahja musterte das junge Mädchen und lächelte sie dann an. “Rahja zum Gruße, schöne Doratrava!” “Maura! Die Freude ist ganz meinerseits!” Doratrava lächelte ehrlich erfreut und ein wenig verlegen, da sie sich noch immer nicht daran gewöhnt hatte, fast wie jemand behandelt zu werden, der “dazu gehörte”, was auch immer das genau bedeutete. Vor dem Gärtner machte sie einen ordentlichen Knicks und antwortete auch ihm ob des Kompliments mit leicht rosa angelaufenen Wangen “Rahja zum Gruße!” Das lebhafte Treiben im Park betrachtend wurde die Gauklerin nun aber doch wieder ein wenig unsicher. “Ähm … muss ich etwas beachten?” fragte sie deshalb sicherheitshalber die beiden. Rahjagoras wandte sich gleich dem nächsten ankommenden Gast zu, während die Altenbergerin die Gauklerin ein wenig zur Seite nahm. “Sei du selbst. So wie in Nilsitz. Deine Auftritte waren fantastisch. Du bist ja auch unser Gast, also misch dich unter die Leute. Nordrun wird dir Bescheid geben, wenn du deine Gauklereien zur Schau geben kannst. Es wird einige Pausen geben, wo der Adel mit deinen Künsten berauscht werden können. Es sind ja auch noch Musikanten und Bänkelsänger da. Und”, sie pausierte kurz, ”ein gewagtes, aber sehr schönes Kleid trägst du heut. Und nun geh und habe Spass!” Die Doctora klopfte Doratrava auf die Schulter und ließ sie weiter ziehen. Doratrava wurde schon wieder verlegen und leicht rosa ob des Kompliments und des Lobs der Doctora. Sie wusste nicht, was sie weiter sagen sollte, also winkte sie nur etwas zaghaft zum Abschied und überließ die beiden den nächsten Gästen, während sie die Festwiese betrat und die Atmosphäre auf sich wirken ließ. Nicht lange, und die heitere Stimmung, unterstrichen durch das herrliche Wetter, hatten sie in den Bann geschlagen und sie lenkte ihre Schritte Richtung Sonnensegel.