Und die Pforten öffnen sich

Kapitel 4-3: Und die Pforten öffnen sich

Mit einem freundlichen “Rondra zum Gruß!” verkündete Rondradin, in Begleitung seiner Schwester, ihre Ankunft.

Beim Tor in den Park angekommen erblickte der junge Bannstrahler eine kleinere Traube Gäste, die auf den Einlass warteten. Kurz rümpfte Linnart ob der Tatsache, dass sie hier warten mussten wie bestellt, aber nicht abgeholt, seine Nase, doch wollte er sich seine nun gute Laune durch so eine Kleinigkeit nicht wieder trüben lassen. Sein Gastgeschenk, in Form zweier Weinfässer, hatte er schon vor einem guten Stundenglas vorausgeschickt und nur kurz dachte der Ritter daran ob sein Knecht die ihm aufgetragene Aufgabe inzwischen ausgeführt hatte. Es war schwer zuverlässiges Personal zu finden, doch galt dieser Bursche als vertrauenswürdig. “Praios zum Gruße …”, grüßte er die bereits versammelte Gästeschar mit fester Stimme. Sein schweifender Blick blieb dabei auf einem großgewachsenen Mann im Ornat der Rondrakirche hängen und verweilte dann einige Momente auf der Frau diesem gegenüber. “Euer Gnaden … hohe Dame ...”, begrüßte er die beiden knapp.

Die beiden Angesprochen musterten nun ihrerseits das Paar ihnen gegenüber. Wo Rondradins Blick allenfalls flüchtig Linnart und einen Augenblick länger Rahjalind streifte, betrachtete Andesine den Bannstrahler eingehender. Die Familienähnlichkeit zwischen Andesine und Rondradin war klar ersichtlich, angefangen bei bei den schwarzen Haaren und den blauen Augen. Aber da war noch was anderes, beide hatten etwas das andere anzog. Der Mann ergriff das Wort. “Rondra zum Gruße, hoher Herr, hohe Dame.” Er deutete auf seine Schwester. “Dies ist meine Schwester Andesine von Wasserthal und ich bin Rondradin Wasir al’Kam’wahti von Wasserthal zu Wolfstrutz. Mit wem haben wir das Vergnügen?”

Linnart nickte den beiden während der Vorstellung durch den Geweihten noch einmal freundlich zu. “Ich darf Euch meine bezaubernde Schwester Rahjalind vom Traurigen Stein vorstellen”, als der Ältere des Geschwisterpaares übernahm der Ritter die Vorstellung, “Sie dient der Herrin Rahja als Schülerin der Leidenschaft im noch sehr jungen Rebentempel zu Linnartstein.” Die junge Frau im doch recht freizügig geschnittenen, roten Kleid strahlte den beiden Wasserthalern entgegen und neigte grüßend ihr Haupt. “Mein Name ist Linnart vom Traurigen Stein und ich diene dem Herrn Praios als Ritter im Orden vom Bannstrahl.” So sehr sich die Gebote der Rahja und des Praios auch unterscheiden mochten, so groß der Unterschied zwischen der Willkür der Leidenschaft auf der einen und Gesetz und Ordnung auf der anderen Seite auch sein mochte, zwischen die beiden jungen Linnartsteiner passte kein Blatt Büttenpapier. Linnart liebte seine kleine Schwester und er würde es nie zulassen, dass ihr Unrecht geschah. “Es ist uns beiden eine Freude Euch kennen zu lernen”, der junge Bannstrahler wies in einer knappen Handbewegung erst auf seine Schwester, dann auf sich selbst. “Werdet Ihr beiden diese Veranstaltung als Werber beehren?” Wiewohl seine Frage beiden galt, lagen seine eisblauen Augen dabei lediglich auf Andesine.

“Es ist mir eine Freude euch kennenzulernen.” Ergriff nun Andesine das Wort und knickste. Dabei ließ sie Linnart nicht aus den Augen. Ihr blaues Kleid verdeckte mehr Haut als es zeigte, allerdings betonte es auch die schlanke Taille und das wohlproportionierte Dekolleté der großgewachsenen Frau. “Da mein lieber Bruder seit kurzem verlobt ist, trete nur ich als Werber auf.” Auch Rondradin hatte Linnart nochmals zugenickt, aber seiner Schwester das Gespräch mit dem Bannstrahler überlassen. Mit deutlichem Interesse sah diese das Geschwisterpaar an. “Wie steht es mit euch?” Rondradin hatte indes die Zeit genutzt und Rahjalinds Hand ergriffen um ihr einen Handkuss darauf zu hauchen. “Dann darf ich Euch also bald mit Schwester Rahjalind ansprechen?” fragte er, auf ihr Noviziat in der Rahjakirche bezug nehmend. Keinem der kleinen Runde entging der leise Seufzer Rahjalinds, als Andesine die Verlobung ihres Bruders zur Sprache brachte. Linnart konnte sich denken, dass der Rondrianer optisch ihr Typ war und musste deshalb kurz schmunzeln, schenkte seine Aufmerksamkeit jedoch sogleich wieder der Wasserthaler Ritterin. “Ich bin mir sicher Ihr werdet Euch der vielen Angebote gar nicht erwehren können”, setzte der Bannstrahler dann charmant lächelnd hinzu. “Ich hoffe Ihr verzeiht mir meine direkte Frage, hohe Dame, aber seid Ihr aus Familienräson hier, oder weil Ihr Euch selbst einen Traviabund wünscht?” Andesine errötete leicht ob des Kompliments, entschied sich aber, vorerst nicht darauf einzugehen. “Da gibt es nichts zu verzeihen, mein hoher Herr.” erwiderte Andesine lächelnd. “Beides trifft zu. Meine Familie drängt natürlich darauf, gerade weil mein jüngerer Bruder schon eine Verlobung eingegangen ist, aber auch ich spiele mit dem Gedanken eine Familie zu gründen, wenn ich den Richtigen finde.” Sie ließ die Worte einen Moment im Raum stehen, bevor sie unschuldig lächelnd weitersprach. “Wie steht es um Euch? Ist dies hier nur eine leidige Pflicht oder habt Ihr Interesse daran eine Braut zu finden?”

Es dauerte ein-zwei Herzschläge bis Linnart zu einer Antwort anhob; “Ich werde ehrlich zu Euch sein …”, begann er dann, verlor dabei sein charmantes Lächeln jedoch nicht, “... ich musste fast schon dazu gezwungen werden hierher zu kommen. Es war nicht meine Idee, aber inzwischen bin ich froh hier zu sein.” Kurz ging der Blick des jungen Ritters hinüber zu seiner Schwester. Eigentlich war sie der Grund dafür warum er dann doch seinen Weg nach Herzogenfurt antrat. “Was mich genau hier erwartet und ob ich meine Braut finde, überlasse ich der Herrin Rahja. Man sollte niemals nie sagen.” Das Lächeln des Linnartsteiners wurde breiter. “Wie sollte denn der von Euch angesprochene ´Richtige sein?”, setzte er dann interessiert hinzu.

Andesine konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken. “Meine erste Reaktion auf die Ankündigung der Brautschau war der Euren recht ähnlich, das kann ich Euch versichern. Aber dann habe ich darüber nachgedacht, dass ich bei einer solch großen Zahl Junggesellen vielleicht auch jemanden finden kann, der zu mir passt. Und ich glaube Rahja könnte heute durchaus mit mir sein.” Sie schenkte ihm ein herzliches Lächeln. “Was der Richtige alles mitbringen muss, werde ich Euch hier noch nicht verraten. Vielleicht später.” Ein Augenzwinkern. “Eines will ich Euch aber doch verraten. Ehrlichkeit bemesse ich einen hohen Stellenwert bei, Titel, Rang und Namen hingegen weitaus weniger.”

Linnart legte interessiert seinen Kopf schief. Die letzten Worte der groß gewachsenen Ritterin waren in Nordmärker Adelskreisen definitiv eine Besonderheit, was Andesine in seinen Augen noch interessanter machte. Dennoch würde sich ihm die Frage stellen, ob sich die Ritterin überhaupt mit dem verrufenen Lebensstil seines Hauses arrangieren könnte. Seine Mutter Adda würde es bestimmt versuchen und seine Frau, wer auch immer es schließlich sein mochte, in eben diese Lebensweise einzuführen. Seine Zukünftige musste dazu in der Lage sein einen großen Haushalt führen, sollte im Handel mit Wein versiert sein, oder wenigstens motiviert sein dies zu lernen, und eine vorzügliche Gastgeberin mimen können. Im Gegenzug würde auf seine Frau ein monetär sorgenfreies Leben warten. Sie würde teure und repräsentative Kleider tragen und große Feste ausrichten. Und dennoch würde es bestimmt nicht jeder der anwesenden Damen leicht von der Hand gehen.. “Ich habe einen Schwur auf die Gebote Praios´ abgelegt und mich seinem Orden vom Bannstrahl auf heilige 12 Jahre verpflichtet, meine Dame …”, der junge Bannstrahler zwinkerte ihr aus strahlenden Augen zu, “... mein Gegenüber kann demnach stets auf die Ehrlichkeit meiner Worte vertrauen und was alles andere angeht …”, Linnarts Blick fiel für einen Moment auf die sich in Bewegung setzenden Gäste - allem Anschein nach wurden ihnen nun der Einlass auf die Festwiese gewährt, “... hoffe ich doch, dass ich heute noch die Gelegenheit bekomme diese von Euch zu erfahren.” Federleicht wog die Berührung als ihre Hand sich auf seine Wange legte. “Das liegt ganz bei Euch, Linnart vom Traurigen Stein, Ritter des Ordens vom Banstrahl Praios’.” Ein aufmunterndes Lächeln umspielte ihre Lippen. Ihr Blick glitt zum Tor. “Oh, wir dürfen augenscheinlich eintreten.” Der Bannstrahler ließ seine Augenbrauen nach oben wandern. Die eisblauen Augen glänzten. Dann nahm der junge Mann Andesines Hand, die sanft auf seiner Wange ruhte, in die seine und küsste ihre Handfläche, während er seinen Blick nicht von ihrem Antlitz löste. Einen Herzschlag später ließ er von ihr ab und bot der Ritterin seinen Arm dar. “Gewährt Ihr mir die Freude Euch zu Eurem Platz zu geleiten?” Die Ritterin schloss die Hand, welche er geküsst hatte, so als ob sie den Kuss festhalten wollte und legte sie auf ihr Herz. Dabei nahmen ihre Wangen eine rötliche Färbung an. In ihren Augen konnte er Freude und ehrliches Interesse lesen. Ihr Lächeln nahm noch zu, als sie seinen angebotenen Arm annahm. “Nichts wäre mir lieber.”

Währenddessen genoss die junge Novizin die Berührung Rondradins. “Bald … ja …”, sie kicherte mädchenhaft, “... wohl nur noch ein-zwei Götterläufe, dann ist es soweit.” “Das ist die anstrengendste aber auch schönste Zeit des Noviziats. Jedenfalls war es das bei mir. Genießt es!” Erst jetzt gab seine warme, schwielige Hand die ihre wieder frei. Rahjalind warf mit einer einfachen Kopfbewegung ihre Haarpracht zurück. “Es war Mutters Idee, dass Linnart und ich hier her kommen …”, plapperte sie dann los, “... wir sind beide im Dienst einer Kirche und da ist es nicht so einfach eine Familie zu gründen.” Spielerisch begann sie ihr Haar auf ihren Zeigefinger zu zwirbeln, während sie ihr Gegenüber neugierig musterte. “Ihr wisst bestimmt wovon ich spreche. Die Familie kann und wird wohl nie an erster Stelle stehen, dennoch bin mir sicher, dass Ihr Euch dahingehend mit Eurer Verlobten arrangiert habt.” Rondradin erwiderte Rahjalinds Blick. “Oh ja, ich weiss nur zu gut wovon Ihr sprecht. Gerade wenn man im Auftrag seiner Kirche viel Zeit auf Reisen verbringt. Ja, man sieht allerhand fremde Orte, lernt interessante Leute kennen und erlebt vielleicht auch das ein oder andere Abenteuer, aber es bleibt keine Zeit um eine Familie zu gründen.” Unbewusst fuhr sein Finger die kleine Narbe unter seinem linken Auge nach. Hatte er ihr gerade zugeblinzelt? “Mit meiner Verlobten habe ich noch kein Arrangement ob meiner familiären Verpflichtungen treffen können, allerdings hat mir ihre Mutter schon genau erklärt, was man von mir erwartet. Es wird eine Herausforderung werden.” Er lachte. Dann sah er neugierig Rahjalind an. “Würde sich ein Traviabund mit Euren Aufgaben im Tempel überhaupt vereinen lassen?”

Rahjalind lachte glockenhell auf. “Das wäre eine Frage, die Ihr am besten den anwesenden Männern stellen solltet. Welcher Mann könnte mit einer Dienerin der Rahja als Eheweib umgehen …”, die großen grünen Augen der Novizin nahmen einen seltsam herausfordernden Glanz an, “... wäre bestimmt interessant zu erheben, meint Ihr nicht? Aber ich kann Euch beruhigen. Es gibt so viele anderen Möglichkeiten der Herrin zu dienen als bloß die Beine zu öffnen …”, sie ließ die auf ihren Zeigefinger aufgezwirbelten Haare hinunter gleiten, leckte sich neckend über die Lippen und winkte dann lächelnd ab, “... wer weiß was der Tag hier heute noch bringen mag. Dass ich einen Bräutigam finde, halte ich jedoch für unwahrscheinlich.” Nein, aber sie würde zusehen, dass ihr Bruder jemanden findet. “Wo wir gerade dabei sind … Eure Verlobte, wie ist sie so?”

“Leider kann ich Euch nicht allzu viel über sie berichten. Ihr Vater erlaubt uns kein Treffen vor der Hochzeit. Aber ich bin ihr schon begegnet, das ist einen guten Götterlauf her, als sie noch Knappin war. Sie ist schön, klug und in sich gekehrt.” Rondradin zuckte die Schultern, leider wusste er nicht mehr über Ravena zu erzählen. “Aber zurück zu Euch. Es bedarf sicherlich einen Mann mit aufgeschlossenen Geist, wenn er eine glückliche Ehe mit einer Dienerin der Lieblichen anstrebt. Vielleicht findet Ihr hier einen solchen, an Bewerbern wird es Euch sicherlich nicht mangeln.” Sein Blick glitt bewundernd an ihr hinauf. “Und mitnichten wollte ich eure Aufgaben als Dienerin Rahjas derart beschränken, wie ihr es mir in den Mund gelegt habt.” Erklärte er lächelnd. “Allein der Aspekt der leidenschaftlichen Verschmelzung bietet so viele Facetten, die über das bloße öffnen liebreizender Schenkel hinausgeht. Tatsächlich empfinde ich gerade euer Streben nach Harmonie und die damit verbundene Fürsorge des Seelenheils der Gläubigen als eine sehr wichtige Aufgabe, welche die Rahja-Kirche erfüllt.” Der Geweihte hatte den Blick Rahjalinds gesucht und seine blauen Augen strahlten.

Die Novizin lächelte herzlich. “Eure Verlobte ist wohl ein guter Fang …”, bemerkte sie, “... doch warum gesteht man Euch kein Treffen zu? Welcher Mehrwert für Euer beider Zusammenleben soll denn daraus entstehen?” Rahjalind wusste natürlich, dass dies bei arrangierten Ehen alles andere als selten war. Wahrscheinlich fürchteten die Eltern des Brautpaares, dass es sich das Paar vor der Hochzeit doch noch anders überlegt und sich gegen die Familienräson stellt. “Wisst Ihr, in meiner Familie ist uns solcherlei Zwang fremd. Wir sind stolz auf unsere Freiheit und leben nach den Geboten der Herrin Rahja …”, sie warf einen lächelnden Seitenblick auf ihren Bruder, “... nun ja, zumindest die meisten von uns.” Kurz kicherte sie bei dem Gedanken, dass ihr Bruder doch so ganz anders war als der Rest ihrer Sippe. “Es liegt in unserem Blut. Die Herrin hat unsere Weinberge reich gesegnet und sich einem meiner Ahnen offenbart.” Nun schien auch Rahjalind den Aufbruch der Wartenden zu bemerken. “Ich wollte Euch im Übrigen nichts Böses unterstellen. Ich mag es einfach mein Gegenüber ab und zu in Verlegenheit zu bringen …”, säuselte sie ihm dann zu und küsste seine Wange, “... aber Ihr habt Euch gut geschlagen.” Der Geweihte verbeugte sich galant und hauchte einen weiteren Kuss auf ihren Handrücken. “Es war mir ein Vergnügen. Wir sollten das bei Gelegenheit wiederholen.” Ein breites Lächeln stand auf seinem Gesicht. “Wie ich sehe werden wir nun eingelassen. Darf ich Euch zu eurem Platz führen?” fragte er und bot ihr seinen Arm. “Leider kann ich Euch keine Antwort darauf geben, weshalb ihr Vater uns ein Treffen verbietet, aber der Baron von Rabenstein war schon immer etwas eigen, auch wenn ich ihn sehr schätze.” “Sehr gerne …”, sprach sie Rahjalind erfreut und hängte sich bei ihm ein, “... wiewohl ich denke, dass wir nicht denselben Weg haben.” Sie grinste vielsagend über die Tatsache, dass sie nun nach Stand eingepfercht wurden und kurz musste sie dabei an den Schweinehirten Edil aus dem Dorf denken, wenn er mit einem Stock bewaffnet seine Tiere in die angedachten Gatter trieb. Die Novizin hatte den jungen, ungeschickten Mann gerne dabei beobachtet und irgendwie war es schade, dass er sich noch nicht bei ihr im Tempel blicken hat lassen. Nein, vielmehr schien es als habe er Angst vor ihr und der Hochgeweihten. “Ein kleiner Umweg, den ich gerne in Kauf nehme.” erwiderte Rondradin lächelnd. Die Linnartsteinerin wandte sich Rondradin zu. “Der Baron von Rabenstein …”, sann sie den letzten Worten des Geweihten nach, “... ich habe von ihm gehört ...” Kurz rang Rahjalind innerlich mit sich selbst, gab dann jedoch ihrer Neugier nach. “... darf ich Euch fragen wieso Ihr die Tochter des Barons heiratet wenn Euch nicht einmal ein Treffen gewährt wird?” Sie kaute an ihrer Unterlippe. “Ich meine, ist es ein Arrangement oder Wunsch Eurer Familie, dem Ihr entsprechen müsst, oder sehnt Ihr Euch selbst nach einer … guten … Partie?”

Rondradin versteifte sich unwillkürlich für einen Herzschlag. “Rahjalind, darf ich Euch so nennen? Hättet Ihr mich vor ein oder zwei Götterläufen gefragt, dann hätte ich Euch wohl antworten müssen, dass ich nach einer guten Partie Ausschau halten würde. Tatsächlich schoss mir damals der Gedanke durch den Kopf, als ich das eine Mal auf Ravena traf. Aber in der Zwischenzeit geschahen Ereignisse, die mich heute anders denken lassen.” Der Geweihte musterte Rahjalind, bevor er weitersprach. “Bitte verzeiht mir, wenn ich Euch die genauen Umstände wie es zu dieser Verlobung kam vorenthalte. Eines Tages werde ich Euch davon erzählen, wenn etwas Zeit vergangen ist und ich Euch besser kenne.” Er sah etwas bedrückt aus, schüttelte aber dann vehement den Kopf. “Soviel sei aber gesagt, es wurde ein Arrangement getroffen und ich gab dem Baron mein Wort es auch zu halten.” Rondradin richtete sich wieder auf und versuchte ein Lächeln. “Aber lasst uns den heutigen Tag genießen.” Rahjalind presste ihre Lippen zusammen um einen ganzen Schwall aufkommender Fragen zu unterdrücken. Allem Anschein nach verbarg sich eine für den Rondrianer höchst unangenehme Sache hinter seiner Verlobung. So gingen die beiden Gottesdiener einige Schritt lang schweigend in Richtung des Sonnenschutzes. "Ihr habt recht, Rondradin ...", kam es, nachdem die Novizin den inneren Kampf gegen ihre Neugier gewonnen hatte, "... genießen wir den Tag. Das Mahl des Herrn Praios strahlt, die schönen Lilien blühen und überall finden sich adrett gekleidete junge Männer und Frauen ... es ist ein Tag im Sinne der schönen Göttin. Ich bin mir sicher, dass die Herrin wohlwollend lächelnd auf uns hinab blickt." Als Rahjalind und Rondradin die Tafel der Landlosen fast erreicht hatten, setzte sie noch einmal flüsternd nach. "Seid Ihr dann hier um Eure Schwester zu unterstützen? Mir scheint sie verträgt sich ganz gut mit meinem Bruder."

Auf Rahjalinds Worte hin musterte er das vor ihnen laufende Paar. Sie hatte recht, seine Schwester schien, ihrem beschwingten Gang nach, gut gelaunt und die Art wie sie sich immer wieder - rein zufällig natürlich - an den Ritter lehnte unterstrich diesen Eindruck noch. Außerdem würde sie nicht am Arm von Linnart gehen, wenn sie ihn nicht leiden würde. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. “Das glaube ich auch. Es scheint so, als bräuchte meine Schwester die Unterstützung ihres kleinen Bruders gar nicht.” Rondradin erlaubte sich ein Schmunzeln. “Aber mich führen auch andere Pflichten hierher. Zum einen war ich Teil des Geleitschutzes für den elenviner Zweig des Hauses Altenberg, zum anderen habe ich später noch ein Treffen mit der Junkerin von Henjasburg.”

Rahjalind bedachte den Geweihten mit einem Seitenblick. Das Grinsen auf ihren Lippen konnte er in diesem Moment nicht sehen. "Ihr versteht es meine Neugier zu wecken, Rondradin." Sie hielten vor dem Sonnenschutz an. Inzwischen hatte sich eine ansehnliche Zahl Gäste versammelt. "Ihr werft mir immer den einen oder anderen Knochen hin und ich muss dann alle meine Selbstbeherrschung aufbringen um nicht nachzufragen." Die Novizin wandte sich dem Rondrianer zu und lächelte frech. Was er wohl mit der Junkerin zu besprechen hatte? Es musste wichtig sein. Schade, dass es sie nichts anging. "Ich nehme an Ihr geht jetzt Eurer Wege zu den ... gesellschaftlich höher gestellten Gästen ...", dieser praiotische Ordnungszwang ließ sie die Augen rollen und innerlich den Kopf schütteln. Währenddessen näherte die Linnartsteinerin sich Rondradin an und strich ihm sanft über seine Oberarme. "Auch wenn Eure Schwester keine Hilfe benötigen sollte ...", Rahjalind wandte sich noch einmal zu ihrem Bruder um, der gerade dabei war Andesine galant dabei helfen ihren Platz einzunehmen, wobei auch der junge Bannstrahler nicht mit subtilem Körperkontakt geizte, "... vielleicht schaut Ihr dennoch noch einmal hier bei uns vorbei." Dann kam es wieder - ein Lächeln, so rein und strahlend, dass es das ewige Eis schmelzen lassen konnte und ehe sich der Wasserthaler versah war die Rahjiani so nah an ihn herangetreten, dass ihre Lippen nur wenige Finger von den seinen entfernt waren. Kurz konnte er ihre Zungenspitze auf seinen Lippen fühlen - neckend - dann folgte ein kurzer, beinahe flüchtiger Kuss. "Ich würde mich freuen", noch bevor Rondradin reagieren konnte löste sich Rahjalind von ihm, schenkte ihm ein kurzes Winken und ließ ihn dann am Eingang zurück. Verdutzt starrte Rondradin Rahjalind hinterher. Dann machte seine überraschte Miene einem breiten Grinsen Platz. Er nickte Linnart und Andesine zum - vorläufigen - Abschied zu und machte sich auf zum Pavillon der Niederadligen.

Angeregt schwatzend kamen die beiden Damen an der Pforte der Festwiese an. Wer ihnen zuhörte gewann schnell den Eindruck sie würden sich über allerlei Klatsch und Tratsch unterhalten. Wer jedoch dem Gespräch länger folgte und betroffen oder der Thematik kundig war, musste feststellen dass diese jungen Frauen mit Nichten Gerüchte austauschten, sondern handfeste Tatsachen. Seit seiner Entstehung war es die ehrenvolle Pflicht des Hauses Ahnwacht die Stammbäume der nordmärkischen Geschlechter zu pflegen, folglich war es nicht verwunderlich das seine Angehörigen zu den Ersten gehörten die von Hochzeiten, Geburten und Sterbefällen erfuhren.

Pünktlich, da der Tag und die rechte Stunde gekommen war, trat Thankred zum Eingang des Parks. Der Junker trug zu diesem Anlass ein helles Rüschenhemd und einen edlen, schwarzen Gehrock, welchen er sich auf der Anreise aus dem Isenhag extra hatte anfertigen lassen. Ihm missfiel der Gedanke, dass er dafür so viel Silber hatte bezahlen müssen, doch er hatte ja schlecht in den alten Sachen seines Vaters kommen können. Auch wenn Thankred ganz und gar nichts von Mode verstand, war ihm klar, dass das keinen guten Eindruck gemacht hätte. Die anderen Gäste musterte er nur beiläufig und gesellte sich stumm und etwas abseits zu ihnen.

Auch zwei gut, wenn auch nicht prunkvoll gekleidete weitere Gäste gesellten sich zu der Traube der Wartenden. Corwyn von Dürenwald trug ein grünes Hemd mit gelben Einsätzen in den Armen und den Saumrändern zu einer schwarzen Hose in halbhohen edlen Stiefeln. Auf dem Kopf saß ein Hut, den eine Fasanenfeder zierte. Seinen dunkelgrünen Rock mit dem Darrenforster Wappen in schwarz, grün und gelb hielt er in der Hand. Lininaj strich sich fast bewundernd über ihr schlichtes, dunkelgrünes Oberkleid über einem feinen hellen Unterkleid. Aus ihrem Beutel an der Seite schaute eine Flötenkopf heraus. Es war eindeutig dass sie Kleider nicht gewohnt war und der weiten Stoff um die Beine ihr fremd schien. Immer wieder rieb sie aufgeregt den einen Fuß an den Stoff am anderen Bein. “Schau doch wenn wir drinnen sind wer alles noch da ist. Ich glaube ich habe noch ähnlich junges Volk gesehen wie dich. Aber jetzt steh still. Was sollen denn die edlen Herren und Damen von dir denken wenn du dich benimmst wie ein Floh,” versuchte der schlanke Ritter sein Schülerin zu beruhigen.”


Basilissa und Lares erschienen knapp vor dem Einlass vor der Pforte, dennoch pünktlich - damit war der junge Ritter zufrieden. Zeit zu verschwenden war verwerflich. Während seine Pagin ersichtlich nicht genug davon bekam, mit großen Augen staunend die wartenden Gäste zu betrachten, wurde Lares zunehmend flau im Magen. Er war falsch hier. Ganz eindeutig. Es versammelten sich wirklich respektable, schöne, einflussreiche und insbesondere reiche Menschen hier. Mit all dem konnte er nicht aufwarten. Gut - das Edlengut seiner Familie warf in Anbetracht der geschickten Vermarktung der Rosenprodukte einiges ab, doch mit einem Baronslehen konnte das nicht mithalten. Und er selbst war zwar klug, aber das zählte bei dem heutigen “Wettbewerb” nicht viel. Dementsprechend unzufrieden war der junge Ritter mit der Situation. Er sah sich um, schien jedoch Augenkontakt zu vermeiden und spielte scheinbar gelangweilt, jedoch vielmehr nervös, mit einem Stein vor seiner Stiefelspitze. Dabei dachte er sich: “So kommt man nicht mit einer guten Partie ins Gespräch” und fluchte innerlich über sich selbst.

Basilissa hatte indess ihre Schwester und ihren Vater entdeckt, die in ein Gespräch vertieft zu sein schienen. Sie bemühte sich, auf sich aufmerksam zu machen, fing sich aber nur ein rügendes Kopfschütteln ihres Vaters und ein Grinsen Luzias ein. Ein wenig schmollend wandte sie sich ihrem Schwertvater zu. “So viele Menschen.” flüsterte sie ihm laut zu. “Habt ihr die vielen schönen Frauen gesehen? Glaubt ihr, eine davon könnte euch als Gemahlin gefallen? Soll ich euch vielleicht beim Suchen helfen?” Eine kurze Pause, in der es verdächtig still schien, entstand, bis das blonde Mädchen fortfuhr: “Auf was muss ich denn achten?” Die Frage traf Lares unvorbereitet, der sich selbst fragte, wie zu allen Niederhöllen er das anstellen sollte. “Ähm, ja, ähm, sicher”, stotterte der Mersinger kurz. Verflucht, Frauen brachten ihn einfach völlig aus der Fassung. “Naja. Also das Äußere ist schon wichtig - da hast du aber sicher ein gutes Auge”, flüsterte er. “Aber darüber hinaus sind einige andere Fragen sehr sehr wichtig: Zum einen ist eine kluge Frau auch eine gute Hüterin von Haus und Hof. Ich will nicht, dass meine Aufgabe sein muss, alle Entscheidungen, die meine zukünftige Gemahlin trifft, auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Sie soll ihrer Aufgabe gerecht werden können.” Er kam ins Dozieren. “Genauso wichtig ist aber, dass sie ihren Platz kennt. Wie Herrin TRAvia gebietet, soll sie mir gleichberechtigt zur Seite und nicht auf ihren eigenen Vorteil bedacht sein. Und schließlich: Sollte es mir gelingen, eine Dame von höherem Stand, beispielsweise eine Baroness, zu erobern, so würde ich meiner Familie Ehre machen. Doch Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Götterfurcht sind mir bedeutend wichtiger”, sagte er und schallt sich zugleich einen eitlen Narren. Sein Oheim würde sicher sagen: Das Wohl der Familie geht vor allem - und das kann man nicht besser mehren, als durch eine Heirat in eine reiche und mächtige Familie. Alles für den Erhalt des Hauses Mersingen. “Hmm.” Nachdenklich sah die Kleine Lares an. “Also soll sie hübsch sein. Klug. Und gottesfürchtig. Das sind ja gleich drei Sachen auf einmal.” Sie griff sich an das kleine Kinderkinn: “Das ist schwierig oder?” Sie schwieg und dachte darüber nach, wie man herausfinden könnte, wie gottesfürchtig jemand war. “Soll der Hauptgott eurer Zukünftigen auch PRaios sein?” fragte sie noch neugierig nach: “Oder ist euch jeder der Zwölfe recht?”

Lares dachte einen Moment nach. “Solange es sie nicht nach phexischer Verschlagenheit gedürstet, bin ich diesbezüglich nicht wählerisch”, meinte er dann spielerisch. “Du hast selbstverständlich Recht, wenn du sagst, dass so vieles auf einmal nur schwer bei einem Menschen zu finden ist. Und noch schwieriger ist es, herauszufinden, ob ein Mensch seine Gottesfurcht oder seine Schläue nur vorspiegelt. Unsere Aufgabe wird heute sein, so gut wie möglich die Werberinnen zu durchschauen und zu sehen, welche es Ernst meint. Und selbst müssen wir aufrecht sein.” Lares sah sich um. Die meisten Gäste hatten sich bereits auf den Weg in die zwischenzeitlich geöffneten Gartenanlagen gemacht. “Also dann: Rein ins Getümmel?”

Rajodan von Keyserring hatte seiner Jüngsten gerade mit gerunzelter Stirn zu verstehen gegeben sich um andere Dinge zu kümmern als um ihn. Dass dieser kleine Teufelsbraten hier war, musste nicht unbedingt gut für seine Agenda sein. Das Mädchen war so überaktiv wie ein Rudel junger Hunde. Womöglich war die Ausbildung zum Ritter doch nicht das schlechteste, um sie ruhiger zu machen. Ausgeglichener. Womöglich hätte er es dann dereinst leichter, sie unter die Haube zu bringen. Nur ob der Mersinger der richtige war für die harte Hand, die Lissa brauchte, da war er sich nicht ganz sicher. Grüßend nickte er dem jungen Ritter zu, der den Gruß knapp erwiderte, wonach er sich umwandte und wieder auf sein eigentliches Problem konzentrierte- Luzia. Seine Töchter waren für seine Begriffe allesamt viel zu eigensinnig. Das hatten sie sich bei seiner Ältesten abgeschaut. Wenn er nun Luzia anblickte, erkannte er Prianna in ihrem trotzigen Blick. Und wie stets, wenn er diesen Blick auffing, war er sich nicht sicher , ob die Entscheidung bei der Kindererziehung auf die Peitsche zu verzichten, die beste gewesen war. Doch die Gefahr sie nachhaltig zu schädigen, war ihm zu groß gewesen: “Wir haben uns verstanden?” Leise sprach er zu seiner Tochter, die er dabei streng anblickte, die ihn ihrerseits säuerlich ansah: “Ja, Vater.” “Und, schau gefälligst nicht so, als wärest du auf dem Weg zu deiner eigenen Hichrichtung.” “JA, VATER.” sagte Luzia patzig. Sie hatte keine Lust hier zu sein. Herausgeputzt wie ein Pfau. Unter lauter anderen Pfauen. Und diese Altenberger. Allesamt Stubenhocker. Innerlich mochte sie schreien. “Ja, ich werde nett und folgsam aussehen, damit die Männer mich in Betracht ziehen.” Sie legte ein so offensichtlich falsches Lächeln auf, das ihr Ansinnen - oder Nichtansinnen- überdeutlich wurde, ihr Vater aber nichts mehr sagen konnte. Immerhin fügte sie sich. Rajodan zog die Stirn in Kraus und dachte zürnend daran, wie leicht sein Leben verlaufen wäre, wenn die Götter ihn nicht mit fünf Töchtern gestraft hätten.

Das Tor weit offen

Pünktlich auf das Wassermaß öffnete die junge, niedliche Frau mit den blonden Zöpfen das Haupttor zum Park. Flora, die Tochter des Gartenhüters, begrüßte die wartende Gruppe mit freundlichen Worten und bat alle einem etwa 12-jährigen blonden Jungen zu folgen. Alfritz, ihr Neffe, führte die Gäste über den knirschenden, hellen Kiesweg direkt zur Festwiese, während Flora auf weitere Gäste am Tor wartete, um ihnen den Weg zu weisen.

Die Wiese war in voller Aufruhe. Überall liefen Bedienstete zwischen den Aufbauten, um die letzten Vorbereitungen abzuschließen. Die Barden und Bänkelsänger stimmten ihre Instrumente oder übten das ein oder andere Lied ein. Der Geruch von Gebratenem, das Klirren von Tellern und Poltern von Töpfen verrieten, das im orangen Küchenzelt mit Hochdruck gearbeitet wurde.

Jeder Ankommende wurde von Rahjagoras vom Lilienhain, dem Gartenhüter, und Maura von Altenberg, eine Doktora und Mutter dreier Heiratskandidaten, begrüßt. Rahjagoras, der in seinen Sechzigern war, hatte eine breite Brust mit kräftigen Armen und großen Händen. Sein weißes Haar trug er im Wehrheimer Bürstenhaarschnitt und hatte sein Kinn glatt geschabt. Die feinen Linien auf Stirn, um den Augen, der Nase und Mund ließen ihn im Zusammenspiel mit seinen wachen, grünen Augen jünger erscheinen. Das er Zeit seines Lebens mehr draußen als drinnen verbrachte hatte, war deutlich an seiner sonnengebräunten Haut zu erkennen. Gekleidet war der Gärtner mit einer ärmelfreien, weinroten Tunika, die mit Ornamenten aus Lilien und Rosen geziert war. Die Frau neben ihm war jünger, aber hatte die 40 Sommer weit überschritten. Ihr blondes Haar war kunstvoll hochgesteckt und ihr Gesicht war dezent geschminkt. Sie trug ein grünes Kleid aus Seide, dessen Hüfte leicht betont waren. In aufrechter Haltung und einem Lächeln auf den Lippen wurde jeder nach seinem Namen und Titel befragt und höflich auf seinen Platz verwiesen. Die Hochadligen, die Vögte dieser, Hochgeweihte und Würdenträger in den linken Pavillion. Die Junker, Edlen und Ritter in den rechten Pavillion. Alle anderen, wie Erben der Junker und Edlen, Landlose Ritter, die Erblose und Gäste geradezu unter den Sonnenschutz.

Den Gästen erwartete in jeden Pavillon und dem Sonnenschutz eine lange Tafel mit Stühlen. Auf den Tischen verteilt standen Kelche und Krüge mit einer Köstlichkeit : Schweinsfolder Rahjablut - ein für diese Baronie typischer Beerenschnaps!

Vom Zeltplatz innerhalb des Parks aus hatten sie gesehen, wie das Haupttor geöffnet wurde und nun auch die anderen Gäste in den Park strömten. Celissa nickte ihren Kindern zu: Es war Zeit, sich zur Festwiese zu begeben. Die Edle von Tannenfels spürte deutlich die Anspannung vor allem bei Nivard, den es nun eiligen Schrittes zur Stätte der Brautschau zog und der sich zunächst nur mit Mühe zügeln konnte, nicht vor ihnen her zu eilen. Schließlich passte er sich doch ihrem Schritt an. “Ich muss Dir unbedingt meinen Freund Elvan vorstellen, Elvan von Altenberg. Er zählt auch zu den hier Beworbenen.” wandte sich Nivard an Ringard. “Ich habe ihn vergangenen Sommer auf der Concabella kennen gelernt. Er ist Schreiber und Schriftkünstler im herzöglichen Dienst, in Elenvina. Ich glaube nicht, dass Du es mit irgendeinem Mann auf dieser Brautschau besser treffen könntest als mit ihm.” ‘Herzöglicher Dienst. Elenvina. Und waren Schreiber und Künstler nicht häufig feinsinnige Menschen?’ Ringard begann sofort, sich diesen Elvan in Gedanken auszumalen. Ihre Neugier war geweckt. “Ja, mach das doch bitte. Ich bin sehr gespannt. Hast Du ihn hier schon irgendwo gesehen...?” “Kinder, ich bin mir nicht sicher, aber ich meine, das könnte die junge Baronin sein, die hier steht.” unterbrach Celissa flüsternd das Gespräch. “Ja, das ist sie wirklich.” Zumindest, wenn der Büttel recht hatte, mit dem sie gestern sprach, als die Frau, auf die sie nun zuhielten, sie zu Ross passierte. “Bleibt dicht hinter mir!”

Selinde von Schweinsfold stand mit ihrer Zofe auf der Festwiese und besah sich mit Wohlwollen die vielen Gäste, welche die Altenberger in ihre Baronie geladen hatten. Allzuviele kannte sie nur dem Namen nach. Sie spürte, wie ihre Katze schnurrend um ihre Beine strich, und lächelte, als eine Person zu ihr trat.

“Gestatten, Euer Hochgeboren, darf ich Euch meine Aufwartung machen?” entbot eine hagere Frau, die bei genauerer Betrachtung jünger wirkte, als es ihr weißes Haar im ersten Anblick erwarten ließ, ihren Gruß, während sie die Baronin aus tiefgrauen Augen anblickte. Zu einer wildledernen, braunen Hose trug jene ein weißes Leinenhemd, darüber einen grünen Wappenrock mit einem goldenen Hirschhaupt und einen dünnen, von einer Fibel gehaltenen Mantel aus einem gleich gefärbten Stoff, unter dem Griff und Knauf eines Schwerts hervor ragten. “Sehr erfreut.” Selinde grub in ihrem Kopf, ging die Gästeliste durch, und entschloss sich dann für den direkten Angriff. “Und mit wem habe ich die Ehre? Ihr seid eine Tannenfels?” Setzte sie eher fragend und mit einem Blick auf das Wappen hinterher. “Die Freude ist ganz unsererseits, Euer Hochgeboren. In der Tat, Ihr habt Recht - und erweist Euch als ganz hervorragende Kennerin der Nordmärker Heraldik! Bitte verzeiht dennoch, dass ich meine Begleiter und mich nicht direkt vorgestellt habe. Mein Name ist Celissa von Tannenfels, Edle aus der Baronie Ambelmund, und ich freue mich, Euch…” Celissa winkte ihre Kinder noch näher, “mit meinem Sohn Nivard, der vor einem Götterlauf seine Ausbildung in der Kriegskunst an der Akademie in Elenvina abgeschlossen hat, und meiner Tochter Ringard bekannt zu machen.” Nivard beeilte sich, sich mit einem “Sehr erfreut, Euer Hochgeboren” auf den Lippen zu verneigen, während Ringard ganz still knickste. Beide gaben sich zunächst beobachtend und überließen die Gesprächsführung ihrer Mutter. Diese hoffte, dass sich die beiden Jüngeren gut präsentierten, auch wenn sie natürlich keine ernsthafte Hoffnung hegen durfte, ihren Nachwuchs in ein Baronshaus, noch dazu außerhalb von Nordgratenfels unterbringen zu können. Obgleich die Baronin vom Alter her gut zu Nivard passen würde… und ledig war. Aber nein, man sollte immer wissen, wo man steht… aber Hoffen war dennoch nicht verboten. Wenigstens ein bisschen... “Ich muss gestehen, bislang nur wenige Mal durch Schweinsfold gekommen zu sein, doch noch nie habe ich dabei den Stadtpark gesehen oder betreten. Er ist wahrhaft von außergewöhnlicher Schönheit, noch dazu jetzt, da die Lilien in Blüte stehen.” zollte Celissa dem Lehen und damit dessen Herrin Respekt. “Alleine deshalb hat sich die Teilnahme an der Brautschau bereits gelohnt!” “Beehrt ihr das Ereignis nur zu dessen Eröffnung, oder habt Ihr gar genügend Zeit, ihm zu aller Freude ganz beizuwohnen.” schwenkte sie im Thema, neugierig, ob sich die Baronin vielleicht sogar tatsächlich mit dem Gedanken der Bräutigamssuche trug.

“Ich danke Euch für Eure Worte.” Selinde lächelte Celissa offen entgegen und musterte neugierig deren beide Kinder. “Ich freue mich über viele Gäste - viel zu lange lag Schweinsfold abseits aller Betriebsamkeit. Um so erfreuter bin ich, euch und eure Kinder hier begrüßen zu dürfen. Ich hoffe, ihr werdet für sie finden, was ihr hier sucht.” Ein wenig länger als notwendig blieben ihre Augen auf dem Jungen hängen, ein Krieger offenbar, und von einem durchaus angenehmen Äußeren. Ihre hellblauen Augen blitzten, als sie ihm kurz zuzwinkerte, und mit einer unbewussten Geste schob sie ihr nur durch eine dünne Haarflechte gebändigtes rotblondes Haar über die Schultern. “Ich werde mich hier sicher noch eine ganze Weile aufhalten, Euer Wohlgeboren. Das Edlengut Tannenfels kenne ich nur dem Namen - und dem Wappen - nach. Mögt ihr mir etwas über Euer Land und Eure Familie erzählen?” forschte sie neugierig nach. Ein zuerst vorsichtiges, dann aber zutrauliches Lächeln huschte umrahmt von errötenden Wangen über Nivards Gesicht, als die junge Baronin ihm zuzwinkerte, und er wagte sogar, dies zu erwidern. “Habt Dank für Eure Gastfreundschaft und Eure guten Wünsche für meine Kinder! Ich bin guter Dinge, dass sie hier nicht alleine die Schönheit dieses Ortes im Herzen mit nach Hause tragen werden!” fuhr derweil Celissa im Gespräch fort, auch wenn sie selbst nicht restlos überzeugt von ihrer eigenen Zuversicht war. “Gerne erzähle ich Euch vom Land in meiner Obhut und meiner Familie: Tannenfels findet Ihr im bewaldeten Osten der Baronie Ambelmund, nahe der Grenzen zu Schnakensee und Vairningen, im Tal des rauschenden Glasbachs. Umgeben ist es von dichten Tannenwäldern, die den uns Schutzbefohlenen ein Auskommen als Holzfäller, Waldhirten und Jäger bescheren, und uns das Holz und die Holzkohle schenken, mit denen wir aus Ingerimms Gaben ein gutes Glas herstellen. Zumindest in Nordgratenfels hat es einen guten Ruf, wie uns nicht zuletzt die Kiepenkerle berichten, die es in die umliegenden Orte und Gegenden schaffen. Und das nicht nur, wenn es den Tannspitz enthält, unseren nach altem Rezept hergestellten Tannenschnaps… Nivard, Du musst Ihrer Hochgeboren nachher unbedingt ein Fläschchen vorbeibringen, ich habe davon in unserem Zelt!” bedeutete sie ihrem Sohn, um sogleich fortzufahren: Allerdings leben wir nicht alleine in diesen Wäldern - neben uns und Firuns Geschöpfen kann man dort auch noch recht vielen Goblins begegnen. Zumeist lässt es sich friedlich mit diesen auskommen, und sie respektieren die Grenzen, die wir ihnen schon seit langem, seit den Tagen unseres Stammvaters Mikvard aufgezeigt haben. Nur dann und wann müssen wir einige Halbstarke in ihre Schranken weisen. Und in und unmittelbar nach einem harten Winter wie dem letzten muss man auf sein Vieh gut Acht haben, sonst kann es sein, dass es von hungrigen Rotpelzen gemopst wird.” Die Edle verschwieg zunächst, dass die Goblins im Gegensatz hierzu auch schon Hilfe und Rettung in Not gewesen waren, nicht zuletzt einige Male, als ihre jüngste Tochter Silfrun in den Wälder verschwunden war - Adlige auf den zivilisierteren Gegenden der Nordmarken reagierten zuweilen befremdet ob derartiger Beziehungen zu den Rotpelzen. “Es mag eine raue Gegend sein, in der man sich immer wieder vor Rondra und Firun beweisen muss, um sein Leben und das der seinen zu führen und zu wahren. Und als Gemeinschaft treu zusammenhalten. Sie hat uns alle, meine Söhne und Töchter und natürlich auch mich zu dem gemacht, was wir sind, und wir werden diese immer in unserem Herzen tragen.” Nivard nickte innerlich zu den Worten seiner Mutter, fühlte er doch wie sie, was seine Heimat anging. Ringard dagegen mochte zwar alle Beschreibungen bestätigen, doch würde sie jeden Ort in ihrem Herzen nur allzu offen willkommen heißen, der ihr ein annehmlicheres Zuhause sein würde als Tannenfels… “Seht, welch großer Vogel, er hält direkt auf Euch zu, Hochgeboren!” fiel Nivard seiner Mutter ins Wort, von seinen Instinkten als Geleitschützer gelenkt.

Mit kräftigen Flügelschlägen hielt Malvado auf den Festplatz zu. Sein pechschwarzes Gefieder glänzte im Schein der Mittagssonne und seine spiegelnden, dunklen Augen suchten nach einer bestimmten Person. Als er sie in der Masse entdeckte, glitt er in die Traube von Menschen ab und hielt auf sie zu. Der Kolkrabe der plötzlich auf Kopfhöhe der Festgäste flog, ließ den einen oder die andere Edle erschrocken aufstöhnen und ausweichen, doch er hielt weiter auf sie zu. Ringard duckte sich erschrocken, als sie den Raben auf ihre Gruppe zukommen sah, während Celissa sich angesichts der Warnung ihres Sohnes nach jenem umsah. Nivard spannte derweil seine Muskeln, bereit, den Vogel abzuwehren und rettend einzugreifen, falls es brenzlig werden würde. Haarscharf flog er an ihren Kopf vorbei, doch niemand sah wie er sie mit einer seiner Krallen an der Schulter berührte. Beide waren zufrieden und verstanden. Die Seelenverwandten waren bereit. Mit kräftigen Schlägen nahm der Rabe wieder die Höhe auf, umkreiste die Festwiese und ließ sich dann auf einen nahegelegenen Baum nieder. “Ist alles in Ordnung, Euer Hochgeboren?” erkundigte sich Nivard besorgt, während er die Flugbahn des Raben weiter verfolgte. “Merkwürdiges Verhalten…” “Was wollte der nur? Richtig unheimlich…!” gruselte sich Ringard derweil. Nur Celissa schwieg und beobachtete die Baronin. Diese wirkte gar nicht erschrocken... .

Versonnen blickte Selinde dem Raben nach, ehe sie mit den Schultern zuckte und sich wieder ihrem Gespräch mit der Vögtin zuwandte. Die Vögtin von Schweinsfold ließ sich von dem Raben nicht beirren und setzte ihren zielgesetzten Gang fort. Die Enddreißigerin war wie immer komplett in Schwarz gekleidet. Dunkle, wildlederne Halbstiefel, enge Hosen, ein schwarzes, seidenes Junkerwams und um den Hals trug sie eine silberne Amtskette. Selbst in dieser sommerlichen Zeit war ihre Haut vornehm blass, ihre blauen Augen verbargen sich unter Schlupflidern und im Zusammenspiel mit ihrer leicht gebogenen Nase hatte sie etwas Raubvogelartiges. Der blonde Kurzhaarschnitt und die mürrischen Züge um den Mund ließ sie auf den Betrachter hart und unzufrieden wirken. Junkerin Alrike von Henjasburg, Tochter der verstorbenen Baronin von Schweinsfold, war hier, um der neue Baronin, ihrer Nichte, bei diesem Fest zur Seite zu stehen. Seit Jahrzehnten hatte die Baronie keine große Zusammenkunft des Adels mehr gesehen. Das war ein kleiner Anfang. Eine Prüfung. Es war an der Zeit zu sehen wie sich die junge Frau auf der Bühne der Politik machte. Alrike blieb kurz stehen und ging dann weiter zur Baronin die sich gerade in einem Gespräch befand. Sie stellte sich in den Blickwinkel von Selinde und räusperte. “Euer Hochgeboren.”, sagte sie mit bestimmter aber beruhigender Stimme. Die Baronin von Schweinsfold, die sich bis gerade eben in einem angeregten Gespräch mit Celissa von Tannenfels befunden hatte, wandte sich um und musterte ihre Vögtin mit hochgezogenen Brauen. “Entschuldigt ihr mich für einen Augenblick, Wohlgeboren von Tannenfels?” fragte sie neugierig.

Die Vögtin kam der Baronin näher und ließ die Edle abseits schreiten. “Wie ich sehe, seit ihr im vollsten Gange die höfische Konversation zu pflegen. Ich wollte euch daran erinnern, dass wichtige Leute im Pavillon auf uns warten. Einige Barone des Herzogtums sollten euch kennenlernen, Baronin.” Normalerweise pflegten die beiden Frauen einen vertrauten Umgangston untereinander, doch heute, unter all den Adligen, galt es die Form zu wahren. “Ich folge euch, sobald ihr soweit seid.” Alrike deutete ein Kopfnicken an und warf der Edlen einen kalten Blick zu. Celissa verstand. Sie erwiderte mit einem kurzen Blitzen den Blick der Vögtin, um sich sogleich nochmals der weit aufgeschlossener und nahbarer erscheinenden Baronin zuzuwenden: “Habt Dank für die Zeit und das Gehör, dass Ihr uns schenktet, Euer Hochgeboren. Vielleicht findet sich später eine passendere Gelegenheit, unser Gespräch fortzusetzen - wir würden uns darob sehr geehrt fühlen. Und wir werden Euch auf jeden Fall eine Kostprobe unseres Gutes vorbeibringen.” “Ich freue mich sehr - seid bedankt! Sie lächelte Celissa an. “Wir müssen das Gespräch unbedingt wiederholen. Bis dahin wünsche ich euch noch viel Kurzweil - und gutes Gelingen für Eure Pläne!” “Möge der Götter Gunst auf allen ruhen, die hier ihr Glück suchen.” entgegnete Celissa, nochmals gewogen nickend ihren Dank bekundend, und auch Ringard tat es ihr gleich. Nivard, der die Baronin, noch immer irritiert ob des merkwürdigen Rabenanflugs, verstohlen musterte, zögerte kurz, dankte Selinde dann jedoch auch leise, ehe er seiner Mutter folgte. “Was meint Ihr, was das zu bedeuten hatte?” fragte er die beiden Begleiterinnen, doch wunk seine Mutter ab, näherten sie sich bereits einer Gruppe weiterer Gäste.

“Doratrava, so schön dich zu sehen. Darf ich dir den Hüter dieses wunderschönen Garten vorstellen? Rahjagoras vom Lilienhain.” Die Doctora Maura strich der ankommenden Gauklerin auf die Schulter und zog dann den älteren Mann neben ihr etwas näher. Der Gärtner und Akoluth der Rahja musterte das junge Mädchen und lächelte sie dann an. “Rahja zum Gruße, schöne Doratrava!” “Maura! Die Freude ist ganz meinerseits!” Doratrava lächelte ehrlich erfreut und ein wenig verlegen, da sie sich noch immer nicht daran gewöhnt hatte, fast wie jemand behandelt zu werden, der “dazu gehörte”, was auch immer das genau bedeutete. Vor dem Gärtner machte sie einen ordentlichen Knicks und antwortete auch ihm ob des Kompliments mit leicht rosa angelaufenen Wangen “Rahja zum Gruße!” Das lebhafte Treiben im Park betrachtend wurde die Gauklerin nun aber doch wieder ein wenig unsicher. “Ähm … muss ich etwas beachten?” fragte sie deshalb sicherheitshalber die beiden. Rahjagoras wandte sich gleich dem nächsten ankommenden Gast zu, während die Altenbergerin die Gauklerin ein wenig zur Seite nahm. “Sei du selbst. So wie in Nilsitz. Deine Auftritte waren fantastisch. Du bist ja auch unser Gast, also misch dich unter die Leute. Nordrun wird dir Bescheid geben, wenn du deine Gauklereien zur Schau geben kannst. Es wird einige Pausen geben, wo der Adel mit deinen Künsten berauscht werden können. Es sind ja auch noch Musikanten und Bänkelsänger da. Und”, sie pausierte kurz, ”ein gewagtes, aber sehr schönes Kleid trägst du heut. Und nun geh und habe Spass!” Die Doctora klopfte Doratrava auf die Schulter und ließ sie weiter ziehen. Doratrava wurde schon wieder verlegen und leicht rosa ob des Kompliments und des Lobs der Doctora. Sie wusste nicht, was sie weiter sagen sollte, also winkte sie nur etwas zaghaft zum Abschied und überließ die beiden den nächsten Gästen, während sie die Festwiese betrat und die Atmosphäre auf sich wirken ließ. Nicht lange, und die heitere Stimmung, unterstrichen durch das herrliche Wetter, hatten sie in den Bann geschlagen und sie lenkte ihre Schritte Richtung Sonnensegel.

Gäste im Pavillon des Hochadels (linkerhand)

Rajodan von Keyserring, gekleidet in feinste Tuche in den Farben seines Hauses, trug wie stets den Reichtum seiner Baronie zur Schau. Er betrat den Pavillon und sah sich um. Alles war adrett zurecht gemacht und wartete auf die Gäste des Hochadels. Er winkte einem der Bediensteten und liess sich etwas Wein servieren. Diesen Zirkus ertrug er sonst nicht. Ansualda sollte hier sein, nicht er. Er hatte eine Baronie zu führen und seinen Erben zu besuchen, den seine Zweitälteste ihm vor wenigen Tagen erst geschenkt hatte. Aber Ansualda zog es seit Jahren vor sich im Selbstmitleid zu suhlen. Wie eine Zuchtsau, deren Lebensziel verwirkt war. Einen Sohn. EINEN. Mehr hatte er nicht gewollt. Nun hatte er fünf Töchter und dazu eine Frau, die sich nicht um sie kümmerte. Angewidert dachte er an seine Angetraute. Erst kürzlich hatte irgendein Verwandter aus ihrer Sippschaft ihn gebeten, seine Gattin doch auf kleinen Kuraufenthalt in ihre alte Heimat zu schicken. Womöglich würde er ihr das gestatten, nachdem die Hochzeit seiner Ältesten stattgefunden hatte. Er beobachtete wie sich die trägen Massen der plappernden Adeligen durch den Garten bewegten. Es war ein netter Garten. Freilich nicht so imposant wie sein eigener, aber für das Hinterland in Gratenfels war es annehmbar. Seine Tochter stand ebenfalls in teure Gewänder gehüllt neben ihm. Ihr Haar war so schwarz wie das seine, wenngleich es dicht und lang ihren Rücken herunterglitt, während das seine langsam weniger wurde. Doch anders als seine fast schwarzen Augen, waren die ihren so blau wie der Himmel und ihr Blick -wenn auch offensichtlich genervt- strahlte weniger Verachtung und Arroganz aus als der seine. Doch jedem, der sie ansah, war klar, dass es Vater und Tochter waren, die dort schweigend im Pavillon Platz nahmen.

Thalissa war spät dran. Die Tore zum Stadtpark waren schon geöffnet, als die Baronin von Rickenhausen in Begleitung ihrer Zofe und ihres Leibwächters den Ort des Geschehens erreichte, doch hatte sie sich kurzfristig entschlossen, heute eine hochgesteckte Frisur zu tragen und damit Melisande ein wenig in Hektik versetzt. Nun ja, auf ein viertel Stundenglas hin oder her kam es ja auch nicht an, zumal sie nur als Besucherin hier war. Sie hatte Tar'anam freigestellt, ob er sie heute begleiten wollte, ging sie doch nicht von einer körperlichen Gefahr aus, welche sie bei der Brautschau befallen könnte. Doch ihr Leibwächter hatte mit einem kurzen Verweis auf die Hlûtharswachter Hochzeit auf seine bewaffnete Anwesenheit bestanden, zumal die Baronin selbst keine Waffen tragen würde, da sich Rapier und Linkhand nicht gut mit einem ausladenden Ballkleid vertrugen. Vielleicht würde Tar'anam eine Frau gut tun, sinnierte Thalissa. Zwar schätzte sie seine Loyalität und sein Pflichtbewusstsein, aber er war auch schon immer unnahbar und steif gewesen, was den Umgang mit ihm zuweilen schwierig machte. Aber er war immerhin Edler und fügte sich somit gut in den Reigen der zur Schau gestellten und Werber ein; nur sein Alter mochte da ein Problem darstellen, denn zwar erfreute er sich bester Gesundheit und schien noch immer vor Kraft zu strotzen, aber ganz leugnen konnte er seine um die 65 auf Deren verbrachte Götterläufe nicht. Nun, Rahja war unberechenbar, man würde sehen.

Die Baronin schritt durch das Tor und ließ sich den Weg zum Pavillon des Hochadels weisen, Melisande und Tar'anam folgten ihr in kurzem Abstand. Die Zofe trug ein schlichtes, ärmelloses, aber dennoch hochgeschlossenes grünes Kleid, das ihre dunkle Haut und ihre nicht minder dunklen Augen gut zur Geltung brachte, während der alte Krieger ganz praktisch eines schwarze Lederhose und schwarze Stiefel trug, dazu ein weißes, leicht gerüschtes Hemd, welches an den Ärmeln und der Brust mit ein paar goldenen Fäden durchwirkt war, sein einziges Zugeständnis an die Art der Veranstaltung. Weißes Haar und weißer Bart waren ordentlich auf einen Zehntelfinger gestutzt. Über den Rücken trug Tar'anam wie immer sein Tuzakmesser, die Augen im zerfurchten, wettergegerbten Gesicht huschten aufmerksam umher.

Thalissa hingegen sah keinen Grund, sich nicht von ihrer besten Seite zu präsentieren, auch wenn sie nicht als Werberin angereist war. So trug sie ein bodenlanges, schulterfreies Kleid in Blautönen passend zu ihren Augen, welche von oben nach unten schräg verlaufend dunkler wurden, wobei der untere Teil des Stoffes zusätzlich mit winzigen Edelsteinsplittern besetzt war, so dass der Betrachter beim richtigen Lichteinfall an einen tiefdunkelblauen Sternenhimmel gemahnt wurde. Von unterhalb der rechten Schulter bis unterhalb der linken Hüfte verlief ein fingerbreiter silberner Streifen, welcher die untere Nachthälfte des Kleides von der oberen, in lichtblauen Tönen gehaltenen Taghälfte trennte. Von diesem ausgehend schlangen sich in verschiedenen Höhen dünne Silberketten um die Hüfte. Die Arme waren unbedeckt, im Ausschnitt saß eine mit weißen Steinen besetzte SIlberbrosche, von der aus zwei doppelt fingerbreite Träger über die Schultern nach hinten führten. Die langen, blonden Haare der Baronin waren heute von Melisande zu einem kunstvollen Gebilde aufgesteckt worden, welches aus vielen, geschwungen parallel nach hinten verlaufenden einzelnen Strähnen bestand, die sich regelmäßig überkreuzten. Ein paar einzelne Strähnen waren vorne absichtlich nicht in diesem Muster gefangen worden und erweckten den Anschein verwegener Unordnung.

Wie leider nicht anders zu erwarten war der Pavillon schon gut besetzt, so dass nur noch wenige Plätze frei waren. So kam es, dass Thalissa und ihre Begleitung bald vor Rajodan von Keyserring standen, obwohl dessen Mine keine heitere und ungezwungene Unterhaltung versprach. Sie kannte den Baron und auch seine Tochter Luzia vom Sehen von der Hochzeit in Hlûtharswacht, und ein kleiner Stich durchfuhr sie bei der Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse dort. Doch sie ließ sich nichts anmerken, sondern neigte leicht den Kopf und knickste standesgemäß. "Euer Hochgeboren von Keyserring, darf ich Euch den Edlen von Hottenbusch, Tar'anam sin Corsacca, sowie meine Zofe Signora Melisande della Yaborim vorstellen? Ihr erlaubt?" Sie deutete auf die freien Plätze ihm gegenüber und sah den Baron höflichkeitshalber abwartend an.

Der Angesprochene nickte, erhob sich und zog den Stuhl für die Baronin zurück. Ein charmantes Lächeln umspielte seine Lippen. “Aber gerne. Ich freue mich stets über so entzückende Gesprächspartner. Darf ich euch meinerseits meine Tochter vorstellen. Luzia.” Das Mädchen erhob sich elegant und beugte leicht das Haupt: “Euer Hochgeboren. Es ist mir ein Vergnügen.” Etwas weniger elegant liess sie sich auf den Stuhl plumpsen. Ihrem Vater war es stets wichtig, dass die Leute wussten, das er die Regeln kannte, sie aber nicht befolgen wollte. Sollte er doch mal sehen, wie dämlich das war. Sie erntete einen strengen Blick. “Seid ihr etwa auch auf der Suche, meine Liebe?” wandte er sich sogleich wieder der Baronin zu, das ignorante Verhalten seiner Tochter ignorierend.

Thalissa nickte Luzia grüßend zu, zog aber ganz kurz die Augenbrauen zusammen, als die junge Frau sich so offensiv unelegant wieder setzte. Sie ließ sich aber weiter - fast; mal sehen, ob das Kind die kleine Spitze bemerkte - nichts anmerken und antwortete mit einem höflichen Lächeln “Die Freude ist ganz meinerseits, Luzia.” Dann nahm sie den dargebotenen Platz ein und wandte sie sich wieder dem Baron zu, während Melisande und Tar’anam hinter ihr Aufstellung nahmen. Erstere, weil es ihre Pflicht war, letzterer, weil er es so wollte, zumindest im Moment. Und es sich mit einem Tuzakmesser auf dem Rücken recht unbequem auf einem Stuhl war.

“Ich suche Konversation”, antwortete die Baronin Rajodan nun. “Ich bin zu Besuch hier, Immerhin ist Schweinsfold ein direkter Nachbar von Rickenhausen, da gebietet es schon die Höflichkeit, seine Aufwartung zu machen, zumal ich die neue Baronin noch nicht kenne. Ich gedenke, dies bei dieser Gelegenheit zu ändern. Auch wenn ich selbst keine Ambitionen hege.” Thalissa machte eine sparsam ausholende Geste in Richtung des Altenberger Pavillons. Abgesehen von ihrer aktuellen Abneigung, sich unter die Haube zu begeben, hatte sie auch keinerlei Ambitionen, unter Stand zu heiraten, was sie aber nicht aussprach. “Und Ihr? Sucht Ihr einen Bräutigam für Eure Tochter?” stellte Thalissa die Gegenfrage, während ihr Blick Luzia streifte, die einen widerspenstigen Zug um den Mund zur Schau stellte. “Es wird sicherlich einige traurig stimmen, dass ihr nicht ebenfalls auf der Suche seid, Hochgeboren.” Rajodan lächelte sie charmant an. “Und ja, ich selbst bin auf der Suche nach einem Ehegatten für meine Tochter. Sie ist bereits 15, da wird es Zeit. Bis die Wahl auf jemanden fällt, … dann die Verlobungszeit und schon sind ihre besten Jahre dahin. Einem Mädchen tut es nicht schlecht, eine gewisse Zeit ihrer Jugend bereits mit ihrem Gatten zu verbringen. Das gemeinsame Wachsen stärkt die Bande einer Ehe, meint ihr nicht auch?”

Oder sorgt dafür, dass sie sich die Augen auskratzen, dachte Thalissa bei sich, wobei ungebetene Bilder ihrer eigenen Jugend für einen kurzen Moment in ihrem Geist aufflackerten, welche nicht unerheblich zu ihrem eigenen Unwillen zu heiraten beitrugen. Laut antwortete sie, eher unverbindlich: “Da mögt Ihr recht haben, Hochgeboren. Habt Ihr Euch denn schon informiert? EIn Auge auf jemanden geworfen?” Zwar war das Gesprächsthema nicht ganz nach ihrem Geschmack, doch irgendwo musste man ja anfangen. Immerhin zeigte sich Rajodan, über den sie schon das eine oder andere Gerücht gehört hatte, von seiner charmanten Seite. Nun Gerüchte waren das eine, der persönliche Eindruck das andere. Ihr Blick fiel erneut auf Luzia. Ihr Zukünftiger muss sich wohl tatsächlich vorsehen, dass diese Wildkatze ihm nicht die Augen auskratzt, kam sie nicht umhin, bei sich zu denken, wobei sie ein seltsames, unerwartetes Gefühl der Befriedigung durchströmte.

“Ich bin noch nicht lange genug hier um mir einen Eindruck gemacht zu haben. Und mir ist niemanden der ledigen Herren hier bekannt. Daher- nein.” er lächelte sie weiter charmant an und war froh eine Gesprächspartnerin zu haben, an deren Anblick er sich erfreuen konnte. Hübsche, junge, blonde Damen waren seine präferierten Gesprächspartner. Leider war die Baronin weder niederadlig noch arm, was er zumindest aus ihrer Gefolgschaft schloss. Fast ein wenig schade, eine neue Geliebte wäre gerade nicht das schlechteste. Er beugte sich etwas vertraulicher als geboten zu ihr herüber: “Sagt mir, was hält euch ab, euch in Travias Arme zu begeben?” Ganz kurz drohte Thalissas Miene zu entgleisen, als der Baron sie so direkt auf genau das Thema ansprach, über das sie am allerwenigsten sprechen wollte. Waren ihr die Gedanken dazu zu offensichtlich ins Gesicht geschrieben gestanden? Dann musste sie dringend an sich arbeiten. Leicht befremdet registrierte sie zudem die plötzliche Vertraulichkeit Rajodans, wusste aber dessen unerwartet charmante Umgangsformen durchaus zu schätzen. "Vielleicht habe ich den Richtigen noch nicht gefunden?" versuchte sie sich aus der Affäre zu ziehen. "Wobei 'richtig' natürlich mehrere Ausprägungen haben kann. Richtig in Rahjas Sinne? In Travias? In Praios'? Aber Ihr werdet sicher verstehen, wenn eine Frau ihre kleinen Geheimnisse behält." Die rechte Hand der Baronin zuckte kurz, als sie unwillkürlich eine Geste mit einem nicht vorhandenen Fächer machen wollte. Natürlich beherrschte sie die Fächersprache, doch hier in den Nordmarken war das ein überwiegend verschwendetes Talent, weshalb sie auch jetzt keinen Fächer bei sich hatte. Leider. Mit einem leicht selbstironischen Lächeln ging sie darüber hinweg und studierte die Miene ihres Gegenübers. “Oh, wenn ihr den Richtigen noch nicht gefunden habt, mag das für den Falschen durchaus etwas Positives sein.” Er lächelte sie belustigt an: “wobei der Falsche in Travias Sinne durchaus der Rechte ist, wenn man Rahjas Ansichten zugrunde läge. Und selbstverständlich gebe ich euch recht. Die kleinen Geheimnisse stehen jeder Frau wohl zu Gesicht. Der Richtige wird das akzeptieren. Aber ob sich der Falsche damit zufrieden gibt, dessen bin ich mir nicht gänzlich sicher.”

Gut, so einfach schien Thalissa diesem ungeliebten Gesprächsstoff nicht entkommen zu können. Allerdings war sie durchaus überrascht, wie geistreich Rajodan parlieren konnte. Man sollte eben niemals jemanden unterschätzen; gerade sie sollte das eigentlich am besten wissen. "Seht Ihr, da habt Ihr die Essenz meiner Aussage mit einem trefflichen Beispiel unterlegt", ging die Baronin auf die Worte ihres Gesprächspartners ein. "Aber um in diesem Bild zu bleiben: damit der Falsche mich um meine Geheimnisse bringen kann, müsste er ja zunächst mein Vertrauen gewinnen, mithin sich gut genug als der Richtige tarnen, was nicht ganz einfach sein dürfte, ohne meine Geheimnisse zu kennen, womit sich die Katze in den Schwanz beißt." Thalissa hob lächelnd ihren Becher an die Lippen und nippte an dem Brannt, was gewisse Erinnerungen an eine Schnapsverkostung bei der Nilsitzer Jagd vor ein paar Wochen aufkommen ließ. Zwar milderte die fruchtige Note des Gebrannten seine Schärfe, aber ein guter Wein wäre ihr lieber. Immerhin hatte sie aus den Erfahrungen der Jagd gelernt, sollte sich dieser Umstand nicht von selbst bessern. Thalissas Blick fiel einmal mehr auf Luzia, die schweigend vor sich hin starrte. Was das junge Mädchen wohl von der Unterhaltung hielt?

Luzia hatte dem Gespräch der beiden Alten nur bedingt zugehört. Die Annäherungsversuche ihres Vaters an Frauen - meist junge Frauen- kannte sie zur Genüge. Wenn er zu allen garstig war- zu ihnen nicht. Das Mädchen selbst würde sich auch gerne unterhalten- aber nicht über diese Plenkelthemen. Über diese aufgesetzten Themen. Es war aber nicht mal irgendjemand hier, mit dem sie sich unterhalten könnte. Sehnsüchtig blickte sie in Richtung des anderen Pavillons, in dem sich jüngere Menschen interessiert unterhielten. Sie hob die Hand zum Gruße als sie ihre Schwester erblickte, die ihr aufgeregt zurück winkte, aber aufhörte, als sie merkte wie unschicklich das war. Luzia musste grinsen. Lissa war die großartigste, kleinste Schwester, die man haben konnte. Auch wenn sie manchmal - meistens- unfassbar anstrengend war. Ob ihr Schwertvater sich schon klar gemacht hatte, was es bedeutete das kleine Energiebündel ständig bei sich haben zu müssen. “Zu schade, dass ihr eure Geheimnisse nicht mit dem falschen teilen wollt. Manchmal sind die Falschen dafür besser als die Richtigen.” er seufzte gespielt: “Wirklich zu schade.” “Solange der Falsche keine Absichten hegt, welche ich nur beim Richtigen gutheißen würde, so mögt Ihr recht haben”, antwortete Thalissa mit einem feinen Lächeln. “Aber das würde ich Euch natürlich nicht unterstellen. Im übrigen - Ihr seid doch sicher glücklich verheiratet, und das schon länger, wie Eure reizende Begleitung jedem Betrachter eindrücklich vor Augen führt?” Sie folgte Luzias Blick, als diese die Hand hob, und entdeckte das heftig wedelnde kleine Mädchen in einem ziemlich schief sitzenden Kleid und musste sich ein Grinsen verbeißen. Sicherheitshalber nahm sie den Becher und nippte nochmals am Beerenschnaps, um ihre Lippen kurzzeitig zu verbergen.

“Ich bin verheiratet, das ist richtig.” sagte er kurz und nahm seinen Becher. “Eine Ehe gesegnet mit fünf lebenden Kindern. Töchter. Alle fünf.” Er klang nicht unbedingt zufrieden mit dem Geschlecht seiner Kinder. “Zwei von ihnen sind hier. Die Zweitälteste ist seit letztem Jahr verheiratet, die Älteste wird im nächsten Jahr heiraten. Die anderen drei sind noch nicht versprochen. Und ich hoffe das hier zu ändern.” Die Baronin war ein schwieriger Fall, eine dieser zugeknöpften Adeligen: “Ihr wartet also auf den Richtigen? Habt ihr euch da eine zeitliche Grenze gesetzt? Es soll schon Frauen eures Standes gegeben haben, denen solche romantischen Anwandlungen nicht gut bekommen sind. Oder zumindestens ihren dynastischen Reihen. Immerhin ist eure fruchtbare Zeit- anders als die eines Mannes- begrenzt.” Nun stahl sich ein perfider Glanz in seine dunklen Augen und sein Lächeln verriet eine Spur der Arroganz, die man ihm nachsagte.

Aha, aus der Antwort und der zugehörigen Miene des Barons schloss Thalissa, dass es mit dem Hausfrieden nicht allzu gut bestellt zu sein schien. So langsam fürchtete sie, dass die inquisitorischen Anwandlungen Rajondans nicht ausschließlich seiner Neugier geschuldet waren, zumal er sich nicht von dieser Gesprächslinie abbringen ließ. “Habe ich gesagt, ich würde warten?” konterte die Baronin. “Und meine fruchtbare Zeit müsst Ihr schon mir überlassen, da balancieren wir schon wieder haarscharf an der Grenze zu den Geheimnissen einer Frau - oder vielleicht auch jenseits davon. Was mich zu der Frage bringt: welche Themen interessieren Euch denn jenseits der Geheimnisse von Frauen, abgesehen von der Suche nach einem Gemahl für Eure Tochter?” Ein erneuter Versuch, den Keyserringer von seiner Stoßrichtung abzubringen.

“Jenseits von den Geheimnisse einer Frau? Die Jagd, meine Liebe. Die Jagd.” Seine Augen glänzten dabei sarkastisch: “Heiratspolitik bringe ich im übrigen kein gesteigertes Interesse entgegen. Sie ist ein notwendiges Übel.” Luzia, die mit einem Ohr hingehört hatte, nickte zustimmend. “Die Jagd ist auch meine große Leidenschaft. Vater hat mich von klein an oft mitgenommen, wenn er jagen war. Draußen zu sein. Das Pferd unter sich zu spüren.” Man hörte dem Mädchen an, wie sehr sie diesen Aspekt schätzte. Und das plötzliche Strahlen, das von ihr ausging, machte sie um einiges attraktiver als sie es zuvor gewesen war. Ihr Vater warf ihr einen ermahnenden Blick zu, was Luzia erneut zu einer eher sauertöpfigen Miene ermutigte: “Und ich habe ebenfalls kein übersteigertes Interesse an Heiratspolitik.” sagte sie nur trotzig und zog einen Mundwinkel nach oben, nahm ihr Glas, trank einen Schluck, ehe sie sich erneut gelangweilt zurücklehnte und sich bemühte den Tag über sich ergehen zu lassen.

Knarrend erklomm das ältere Pärchen, ein Mann und eine Frau, die hölzernen Stufen des Pavillons. Der Mann war in seinen Siebzigern und ein wenig untersetzt, trug sein voll ergrautes Haar zu einem Almadanerzopf, während sein akkurat gestutzter Vollbart sein freundliches Gesicht umrahmte. Seine orange-braune Robe zeichnete ihn als Geweihter der Travia aus und die meisten Leute kannten ihn. Seiner Hochwürden Winrich Herdfried von Altenberg-Sturmfels war über die Mauern Elenvinas in den Nordmarken bekannt und dass nicht nur wegen dem Stand seiner Würde. Der Tempelvater ist ein sehr begabter Koch, der die Suppenküche des Tempels nicht nur zu einer Anlaufstelle für Bedürftige gemacht hat. Er stützte die Frau neben sich, die ebenfalls die Robe einer Traviageweihten trug. Die rüstige Greisin lief etwas gebeugt und trug ihr langes, lockiges schlohweiße Haar zusammengebunden. Ihre recht faltige Haut war leicht gebräunt und ihre braun-grünen Augen zeugten von einem wachen Verstand. An ihrer Robe zierte eine goldene Gänsefibel und in der Rechten stützte sie sich auf einen kunstvoll geschnitzten Gehstock, dessen Griff ein silberner Gänsekopf zierte. Elva von Altenberg, die Matriarchin des Hauses Altenberg, riss sich von ihren Sohn los. “Das reicht jetzt Winrich, ab hier schaff ich das auch alleine!” Mit einem resignierten Blick ließ er sie gehen und hob beschwichtigend die Hände. “Wie du meinst, Mutter. Ich gehe dann jetzt die Familie holen.” Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ den Pavillon. Die Alte lief langsam zu einen der freien Stühle und setzte sich hin. Ihr scharfer Blick glitt über die Gäste und blieb bei einen der Krüge hängen. “Travia zum Gruße. Wäre jemand so freundlich und würde mir einen Kelch mit dem Beerenschnaps füllen?” stellte sie die Frage in die Runde.

Thalissa wollte schon Melisande einen Wink geben, doch da sah sie aus den Augenwinkel, dass sich Luzia anschickte zu erheben, also ließ sie es sein und beobachtete interessiert. Luzia erhob sich. Nicht so sehr weil sie der Alten helfen wollte, vielmehr weil sie wusste, dass es ihren Vater ärgern würde. Für solche Tätigkeiten waren Dienstboten und Mägde da. Die Teilung der Tätigkeiten nach der praiosgefälligen Ordnung war ihm sehr wichtig. Ihm und vermutlich all den praiosgläubigen Jünglingen, wie sie vermutete. Sie füllte den Kelch mit dem Krug und reichte ihn an die alte Geweihte. “Travia möge es munden lassen, Euer Ehrwürden.” Sie beugte leicht das Haupt und wand sich ihrem Platz zu, wobei sie ihren Vater unschuldig anlächelte.

“Habt Dank gutes Kind. Hilfsbereitschaft ist eine Tugend und Geschenk der gütigen Mutter Travia.” Elva nahm einen tiefen Schluck und lächelte selig. Dann drehte sie sich Luzia und ihren Vater zu. “Wie ist dein Name, Kindchen? Und ihr”, sie sprach nun Rajodan an,” nehme ich an, seid der Herr Vater? Eine wohlerzogene Tochter habt ihr!”

“Mein Name ist Luzia von Keyserring, euer Ehrwürden.” antwortete sie folgsam, schwieg dann aber, als die Geweihte ihren Vater ansprach. “Das ist korrekt, Ehrwürden.” Rajodan sprach äußerst ungern mit Geweihten. Sie dominierten ihn auf einer Ebene, der er nichts entgegensetzen konnte. “Meine Tochter soll recht bald heiraten, wenn es nach mir geht. Wir sind hier, um uns ein wenig .. umzusehen. Wenngleich sie nur meine Drittgeborene ist, hoffe ich doch auf einen Ehegatten, der meinen Ansprüchen einigermaßen gerecht wird.” gab er der Geweihten zur Antwort.

Die Alte nickte bedächtig. “Die Götter schauen heute auf uns herab. Da kann es gut sein, einen guten Schwiegersohn und Ehegatten zu finden. Seiner Hochwürden Winrich von Sturmfels-Altenberg und seiner Ehrwürden Ademar von Leihenhof werden den Suchenden bei einer Wahl helfen”, sie stockte kurz,” Und seiner Gnaden Rahjel von Albenhus natürlich. Und bei Fragen zu einer guten Ehe, kannst du mich gerne jederzeit fragen.” Sie tätschelte Luzias Hand, stand kurz auf und goß sich selbst noch einmal nach. Oja. Ganz bestimmt würde sie eine alte Geweihte fragen, wer ein passender Mann wäre. Sie würde nur ihre Stubenhocker-Enkel oder Urenkel oder Ururgroßneffen anpreisen. Luzia sah sich im Pavillon um. Gab es hier nur Frauen, alte Geweihte und Kuppler? Das bedeutete Langeweile, andererseits gäbe es auch keinen Kandidaten, den ihr Vater so präferierte, dass er den Druck auf sie erhöhte. “Und ihr, Hochgeboren. Mögt ihr sie auch, die Jagd?” fragte Rahjodan Thalissa währenddessen, an ihr Gespräch anknüpfend.

'Wenn Luzia nicht missmutig vor sich hin starrt, ist sie tatsächlich hübsch', schoss es Thalissa durch den Kopf. 'Aber so wie jetzt wird sie wohl kaum einen Verehrer finden - was vermutlich genau ihre Absicht ist. Nun ja, nicht mein Problem.' Laut antwortete sie: "Die Jagd ist für mich ein gesellschaftliches Ereignis, dem ich durchaus gerne fröne, aber nicht um der Tätigkeit als solcher willen. Wenn sich auch manchmal erstaunliches Jagdwild präsentiert." Sie unterdrückte ein Schaudern, als sie an die Jagd im Ratsforst vor etwa zwei Götterläufen dachte, bei der sie mit mehr Glück als Verstand einen Vampir mit ihrer Balestrina erlegt hatte. Auch die Jagd auf Menschen, welche sie in gewisser Weise schon betrieben hatte, erwähnte sie nicht, doch war dies auch keine Leidenschaft gewesen, sondern ihre notwendige Pflicht. "Wenn es mich auf den Pferderücken zieht, dann bevorzuge ich weite Ausritte in freiem Gelände, wo man keine Angst haben muss, von einem Ast vom Pferd geschlagen zu werden." Sie lächelte bei dem Gedanken, und ihr Lächeln vertiefte sich als endlich auch Wein aufgetragen wurde. Sie gab Melisande einen Wink, ihr sogleich einen Kelch zu füllen. Die Altenbergs verstanden hoffentlich mehr vom Wein als die Nilsitzer Zwerge.

“Seht ihr, mir hingegen geht es in erster Linie um das Jagdwild.” sagte Rajodan betont leise. “Aber gegen einen strammen Ritt habe ich auch nichts einzuwenden. Rahja zum Gefallen.” schmunzelte er. Seine Tochter aber strahlte Thalissa an: “Ich liebe auch das Reiten. Am liebsten reite ich stundenlang in unseren Wäldern herum oder ins Gebirge hinauf. Am schönsten ist es im anbrechenden Winter, wenn die Berge bereits weiße Kuppen haben und die Luft kühl und klar wird. Kennt ihr das? Dieses Gefühl, dass sich dann eure Brust so mit Luft füllt als wollte sie platzen und sie euch ebenso erfrischt wie ein Bad im Sommer.” Wo die Leidenschaften des Mädchens lagen, war jedenfalls offensichtlich- jedenfalls nicht beim Heiraten.

Erneut bestätigte sich Thalissas Eindruck bezüglich der Schönheit von Rajodans Tochter. Aus dem schmollenden Kind wurde eine leidenschaftliche, strahlende junge Frau, wenn man sie nur recht zu packen wusste. Sie hoffte für Luzia und ihren Zukünftigen, dass ihm das gelang. “Nun, dann haben wir wenigstens eine Sache gemeinsam”, erwiderte die Baronin zunächst auf die Bemerkung des Eisensteiners. “Auch wenn ich beim Reiten nicht vornehmlich an Rahja denke, dem offensichtlichen Bezug zum Trotz.” Dann wandte sie sich Luzia zu. “Aus Euren Worten entnehme ich, dass Ihr eine exzellente Reiterin sein müsst. Ich kann zwar in gewisser Weise nachvollziehen, was Ihr meint, doch nicht auf dieselbe Art. Ich habe vor meiner Berufung zur Baronin von Rickenhausen weitgehend in Vinsalt gelebt und bin nicht viel aufs Land hinausgekommen - gelegentlich zu meinem Leidwesen, wie ich zugebe - und konnte meine Fähigkeiten in der Reitkunst daher nur unzureichend üben. Deshalb bevorzuge ich, wie ich schon sagte, freies Gelände.” Thalissa zog kurz die Brauen zusammen, als ihr ein Einfall kam, wie sie Rajodan möglicherweise von weiteren Anspielungen auf die Heitere Göttin abhalten konnte. “Doch da Ihr wilde Ritte durch Wald und Gebirge so zu lieben scheint, solltet Ihr das vielleicht bei der Auswahl Eures zukünftigen Gemahls berücksichtigen. Zudem solltet Ihr eine aktive Rolle bei dessen Auswahl übernehmen, sonst müsst Ihr am Ende nehmen, was übrig bleibt - und es wäre doch sicher schade, wenn die feurige Rose zu einem unscheinbaren Mauerblümchen verkommt, weil man sie an den falschen Ort verpflanzt.” Thalissas tiefblaue Augen blitzten angeregt, doch bevor ihre Gesprächspartner reagieren konnten, wurden sie unvermittelt unterbrochen.

Nach einer Weile gesellten sich auch die junge Baronin von Schweinsfold, Selinde II von Schweinsfold, mit ihrer Vögtin, Junkerin Alrike von Henjasburg, an die Tafel des Hochadels. Während Selinde sich neben die alten Traviageweihten setzte, suchte sich ihre Schoßkatze Asiriel einen Weg unterhalb der langen Tafel. Der Kater, der der Katzenart Nuala angehörte, hatte ein halblanges, lockiges Fell mit einer weiß-grau-schwarz gestreiften Maserung mit große, breite Pinselohren und einem imposanten, buschigen Schwanz. Geschickt und von Neugier getrieben lief er er die Beine der Gäste ab, bis er bei einem Paar inne hielt. Mit lautem Schnurren blickte er mit seinen goldgelben Augen hinauf, während er sich am Bein des Baron von Eisenstein rieb.

Mit einem gezielten, äußerst gewandten Griff hatte der Baron die Katze gegriffen und unter dem Tisch hervorgezogen. Mauzend versuchte sie sich aus seinem festen, unnachgiebigen Griff zu winden. Doch ihr Fauchen nutzte nichts. Er hielt sie mit gestrecktem Arm von sich weg und sah sich nach dem Besitzer um. “Wie passend, wir unterhielten uns auch gerade über Tiere.” sagte er kalt zu der Katze in seiner Hand. “Mögt ihr Katzen ebenso wie Pferde?” fragte er in Thalissas Richtung. Thalissa setzte zu einer Antwort an, doch jemand kam ihr zuvor. Jäh wurde die Konversation von der Baronin von Rickenhausen und dem Baron von Eisenstein unterbrochen, als plötzlich die gänzlich in schwarz gekleidete Vögtin Alrike hinter ihnen stand. “Verzeiht euer Hochgeboren.”, sagte sie ernst und hob den Kater hoch. “Junkerin Alrike von Henjasburg zu Herzogenfurt, Vögtin von Schweinsfold. Wir hatten noch nicht das Vergnügen.” Die Vögtin versuchte ein Lächeln, während der Kater beide mit seinen goldgelben Augen anblitzte.

Überrascht über die Ansprache von hinten wandte Thalissa sich um und musterte erst die Vögtin, dann den Kater. Dann lächelte sie einladend und wies mit der Hand neben sich. “Seid gegrüßt, Wohlgeboren. Ich bin Thalissa di Triavus von Rickenhausen, wie Ihr sicher wisst.” Und falls sie es nicht wusste, wusste sie es jetzt. Dem Baron von Eisenstein und seiner Tochter überließ sie es, sich gegebenenfalls selbst vorzustellen. “Schönes Tier. So setzt Euch doch.” Die Baronin winkte ihrer Zofe. “Melisande, sei so lieb und hole der Vögtin einen Stuhl.” Melisande knickste und requirierte einen freien Stuhl von anderer Stelle der Tafel, den sie Alrike von Henjasburg passend bereitstellte.

Selinde von Schweinsfold, die gerade die Besucher im Pavillon neugierig gemustert hatte (bis auf ein kleines Kräuseln der Nase bei ein, zwei Personen hatte sie sich auch sorgsam zurückgehalten, die Personen auf den ersten Blick zu beurteilen - eine Sache, mit der sie üblicherweise rasch und entschieden bei der Hand war) trat neben ihre Vögtin. Sie strich über den Rücken ihres Katers und lächelte die Baronin von Rickenhausen und Alrike an. “Seid gegrüßt. Ihr habt sicher nichts dagegen, wenn ich mich zu euch geselle, nicht wahr?” Ein forschender Blick traf ihre Amtskollegin, ein kurzes Lächeln huschte über ihre Züge, und ihre Augen wanderten zu dem Baron von Eisenstein weiter, während sich ihre Nase angesichts des grobschlächtigen alten Kerls kräuselte. “Darf ich mich vorstellen - Selinde von Schweinsfold. Und mit wem habe ich die Ehre?” Ein kurzes Schmunzeln huschte über das sonst so ernste Gesicht der Vögtin. Natürlich ließ sie der Baronin den Vortritt und wartete ab, bis die sich auf den daher gebrachten Stuhl hinsetzte. Den Kater ließ sie auf den Schoß Selindes und gab der Zofe mit einem kalten Blick zu verstehen einen weiteren Stuhl heranzutragen.

Melisande zögerte kurz, ein Schatten lief über ihre bisher freundlich-unverbindliche Miene, doch verschwand er gleich wieder. Doch Thalissa signalisierte ihr, dem Wunsch der Vögtin Folge zu leisten, also tat sie wie geheißen. Aus dem Blick Selindes schloss Thalissa, dass die Schweinsfolderin wusste, wer sie war, doch die Höflichkeit gebot es, sich ebenfalls vorzustellen, da sie sich noch nie persönlich getroffen hatten. “Thalissa di Triavus, Baronin von Rickenhausen. Ich bin erfreut, Euch kennenzulernen, Hochgeboren.” Grüßend neigte sie den Kopf in genau abgemessenem Winkel. “Rajodan von Eisenstein, Baron von Eisenstein. In der Grafschaft Isenhag.” stellte er sich vor: “Dies dort.” und er deutete auf Luzia, die die Neuankömmlinge neugierig musterte: “ist meine Tochter, Luzia. Der Grund für meine Teilnahme an dieser Festlichkeit. - und was führt euch hierher, auch nur Zaungäste?”

“Mitnichten. Die Neugier auf ein rauschendes Fest, Hochgeboren.” Mit einem klaren Lächeln und kalten Augen betrachtete Selinde den Eisensteiner Baron und ihre Hände gruben sich in das Nackenfell ihres Katers, was diesem ein gewaltiges Gähnen mit gebleckten Fangzähnen entlockte. “Konntet Ihr bereits ein passendes Gespons für Eure Tochter finden?” fragte sie dennoch höflich. “Und wie sieht es bei euch aus, Hochgeboren von Rickenhausen? Seid Ihr ebenfalls auf der Suche nach einem Gemahl?” wollte die Baronin von Schweinsfold wissen.

Innerlich verdrehte Thalissa die Augen. Kaum hatte sie den Eisensteiner von diesem Thema abgebracht, kam die Nächste damit. Aber gut, was hatte sie erwartet auf einer Brautschau? Die Baronin behielt ihr freundlichen Lächeln bei, als sie antwortete. "Vornehmlich bin ich hier, um Euch als Nachbarin einmal meine Aufwartung zu machen. Dabei bot sich die Brautschau als willkommener Anlass. Allerdings denke ich nicht, dass ich hier selbst ... 'fündig' werde. Wenn Ihr wisst, was ich meine." Ob sie es tatsächlich wusste? Zumindest sollte man es annehmen. Wieder zuckte Thalissas Hand in lange verinnerlichter Selbstständigkeit, doch wieder war kein Fächer da. Leicht verärgert beschloss sie, bei der nächsten gesellschaftlichen Gelegenheit nicht mehr auf dieses im Lieblichen Feld unabdingbare Utensil zu verzichten, auch wenn hier in den Nordmarken damit meist Perlen vor die Säue geworfen wurden. “Nun wie ihr seht. Und er deutete ins Rund. Gibt es hier an diesem Ort wohl weder Anwärter geschweige denn Menschen des passenden Geschlechts. ” Er zuckte mit den Schultern. Es war ihm nicht so sehr darum gegangen hier einen Gemahl zu finden. Sicher das wäre schön gewesen. Aber er wollte mit seinen Töchtern im Gespräch sein, wenn es um potentielle Heiratkandidaten ging. Und seine Tochter an den Gedanken gewöhnen zu heiraten. Denn das würde sie tun. Einen Mann würde sie nehmen müssen und das innerhalb der nächsten Jahre.

“Vielleicht hätten die Altenberger eine etwas informellere Sitzordnung wählen sollen”, warf Thalissa ein. “Dann hätten alle anwesenden jungen Leute jetzt schon ungezwungen ins Gespräch kommen können.” Rajodan zog die Augenbraue hoch: “So. Meint ihr? Ich habe eigentlich nicht vor meine Töchter an dahergelaufene landlose Edle zu vergeben. Ich bin ganz froh, wenn ich ein Auge darauf haben kann, das ganze etwas mehr zu kontrollieren.” Thalissa lächelte nur still über ihren Weinkelch hinweg, dann blickte sie Selinde dezent auffordernd an, wobei ihre Augen auch Luzia kurz streiften.

Das Mädchen kannte die Auffassung ihres Vaters zur genüge. Er würde sie nicht an irgendwen verheiraten. Entweder jemanden in herausragender Position oder mit hervorstechendem Namen, wie ihre älteste Schwester, oder jemanden mit Land, möglichst viel und ertragreich, wie ihre zweitälteste Schwester. DAS waren die Kandidaten für Rajodan. Und Luzias Hoffnung. Das ihr Vater umsonst suchen würde. Sie war die Drittgeborene. Ohne Lehen. Ohne Bedeutung. Resigniert starrte sie daher vor sich. “Dahergelaufene Edle werden hier kaum Zutritt finden, Herr von Eisenstein.” Selinde lächelte zuckersüß. “Oder befürchtet ihr das hier wirklich, Euer Hochgeboren?” Ihr Lächeln gewann noch mehr und zeigte perlenweiße Zähne, als ihre Kater, aufmerksam geworden, die Ohren spitzte und sich aufsetzte.

Unwillkürlich hob Thalissa eine Augenbraue bei der Wortwahl der Schweinsfolderin. Doch sie schwieg und war gespannt auf die Antwort Rajodans. “Selbst wenn sie hergeritten sind… Meine Tochter ist immerhin nicht die Tochter irgendeines landlosen Edlen. Auch wenn sie nur die Drittgeborene ist. Unter gewissen Umständen, muss man sicher seine Anforderungen heruntersetzen. Aber noch ist es nicht soweit. Sie ist jung und ausreichend hübsch, um bei einem Besseren den Wunsch hervorzurufen, sie zu ehelichen. Und ich werde sehr genau darauf achten, wem ich gestatte sie zur Frau nehmen zu dürfen” Selbstzufrieden lehnte er sich in seinem Stuhl zurück. “Ich wünsche Ihr viel Glück bei der Suche nach einem guten Gemahl.” Die Finger der Baronin zausten die Ohren ihres Katers und kurz flackerten ihre Augen im gleichen Grün wie die der Katze. “Und Euch viel Erfolg beim Versuch, dies zu lenken.” Sie schmunzelte in Richtung des Eisensteiners und wandte sich lächelnd Thalissa zu. “Was meint Ihr, werte Dame von Rickenhausen? Wird die junge Dame ihr Glück finden?”

“Wenn sie Gelegenheit zum Suchen bekommt und diese erkennt …”, antwortete Thalissa kryptisch mit einem feinen Lächeln. “Aber warum fragt Ihr mich das? Ich kenne die junge Dame ja gar nicht, so kann ich ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten im Suchen und Finden überhaupt nicht einschätzen.” Ihr Blick streifte Rajodan, ihre Hand führte den Weinkelch zu ihren Lippen. “Man weiss es immer erst später, wie erfolgreich jemand damit ist.” sagte der Baron nur lächelnd. ”Also warten wir es ab.” Selinde erwiderte das kryptische Lächeln Thalissas und zwinkerte ihr zu. “Aber ich bestehe darauf, dass ich euch am Ende des Tages zu einem guten Glas einladen darf, auf dass wir die Ereignisse gebührend erörtern.” Sie lachte. “Ich freue mich schon.”

“Diese Einladung nehme ich gerne an”, erwiderte Thalissa, diesmal mit einem offenen Lächeln, und hob bestätigend ihren Weinkelch. Die Art der Schweinsfolderin erschien ihr etwas befremdlich, aber sie wollte nicht unnötig in Vorurteilen schwelgen. Schließlich war sie nicht zuletzt genau deswegen hier: um ihre nachbarliche Standesgenossin besser kennenzulernen.

Als Fedora eintraf, bemerkte sie wie Knappen und Pagen unter einem Sonnenschutz Plätze hatten, an denen sich bereits einige andere Junge Gäste eingefunden hatten. Liobha und Aureus waren in guter Gesellschaft und so begab sie sich selbst zuallererst zu den Gastgebern, um Ihre Gastgeschenke, besten Firnholzer Honig und Met zu überreichen und sich für die Einladung zu bedanken. Als sie an den Tisch unter dem Pavillon trat, bedauerte sie, dass sie Roklan und ihren Sohn Adamar noch nirgends gesehen hatte. Vermutlich würden sie sich verspäten. Sie begrüßte die anderen Gäste die bereits anwesend waren: “Verzeihung, ich möchte Ihre Gespräche nicht stören. Ich will mich kurz vorstellen: Fedora Madalin vom Firnholz. Die Zwölfe und Rahja mit Euch.” Sie nahm an der Tafel Platz und ließ sich eine leichte Weißweinschorle von den bereitstehenden Bediensteten bringen. “Rajodan von Keyserring.” brummte er Eisensteiner. “Das dort ist meine Tochter Luzia. Ihr seid auch hier, um euch auf dem Heiratsmarkt umzusehen.” Nicht das Rajodan etwas gegen die Anwesenheit von Frauen hatte. Oh nein. Nicht im Geringsten. Aber wenn soviel Weibsvolk auf einem Haufen zusammen kam, würde es über kurz oder lang um Themen gehen, die nicht in seinem Interessenskreis lagen.

“Oh, ihr missversteht, ich schaue ebenso wie ihr eigentlich eher im Interesse meines Sohnes, meiner Kinder und vermutlich über kurz oder lang auch für meinen Knappen und meine Pagin nach geeigneten Heiratskandidaten, ich halte es noch wie ich es auch von meinen Eltern nicht anders kannte, die meine Ehe ebenfalls besiegelt hatten, ohne dass ich ein Wörtchen mitzureden hatte. Aber dies scheint ja heutzutage wohl schon ganz anders zu sein. Ich dachte nur eben, dass eine Brautschau eine gute Gelegenheit wäre, jemandem von entsprechendem Stand zu finden, immerhin wäre es mir wichtig, wenn mein Sohn einmal standesgemäß heiratet, wenn ihr versteht…” “Für euren Knappen und eure Pagin? Sollten das nicht die Eltern dieser Kinder tun? Sind eure eigenen Kinder denn heute hier zugegen?”

"In der Tat sollten die Eltern eine solche Wahl vornehmen, dennoch bin ich den beiden verpflichtet, da sie sich gegenwärtig in meiner Obhut befinden und hier im Garten und zu diesem Fest anwesend sind. Sollte es also dazu kommen, dass die beiden anderen zugetan sind, werde ich es den Eltern berichten. Sie müssen dann freilich entscheiden. Was meinen Sohn betrifft, hatte ich gehofft er würde im Gefolge Roklan von Leihenhofs sein, da er sich bei ihm in Knappschaft befindet. Meine Tochter absolviert ihre Knappenzeit bei Hartuwal Cassius von und zu Hornisberg, Ritter in Diensten Ivetta von Leihenhofs. Ich fürchte, sie wird nicht zugegen sein." antwortete Fedora freundlich. Rajodan zog eine Braue hoch. Und sah sich einmal kurz in Richtung des anderen Pavillons um. Ob der Mersinger auch solche Gedanken hegte? Er hatte weder vor seinen Tochter noch ihren Schwertvater eine solche Entscheidung treffen zu lassen. Er würde wohl später einmal hinüber gehen und dem jungen Mann einen Besuch abstatten. “Eine sehr liberale Einstellung habt ihr da meine Liebe.” Und so wie er es sagte, klang es in keiner Weise wie ein Kompliment.

“Oh, ihr missversteht. Ganz selbstverständlich ist es Aufgabe der Eltern einen Heiratskandidaten zu finden, aber die beiden sind als Mündel in meine Obhut gegeben, und daher habe ich auch darauf zu achten mit wem sie Kontakt pflegen. Und ganz abgesehen davon, können gute Kontakte bei manchen Unternehmungen nicht schaden. Auch das Flanieren auf politischem und gesellschaftlichem Parkett gehört zur Ausbildung, dies erlernt man nicht in der Schreibstube oder auf dem Pferderücken, nicht wahr? Und auch, was die Kontakte zum anderen Geschlecht angeht, so ist es nicht immer nur dem einen zu Nutzen, auf was es Eurer Meinung nach hinausläuft, so hat Rahja gewisslich ja noch 11 andere Geschwister! Aber ihr entschuldigt mich bitte, ich werde kurz den Geweihten des PRAIOS aufsuchen.” Das Wort hatte sie vielleicht über die Maßen betont, aber das schadete nichts. Ohne eine weitere Antwort dieses Herrn abzuwarten, verließ sie den Pavillon, sollte der Kerl doch denken was er wollte. Er war ihr schon unhöflich begegnet, als sie sich vorgestellt hatte, brummig und einer Konversation nicht eben angetan, und was sie sagte, verdrehte er in seiner Ansicht. Nein, sie musste jetzt erst mal den Geweihten aufsuchen.

Gäste im Pavillon der Niederadligen (rechterhand)

Der Trollpforzer sah dem regen Treiben auf der Festwiese indes vom etwas Abseits mit widerwilliger, ja verdrießlicher Miene und vor der Brust verschränkten Armen zu. Man konnte dem Hünen förmlich ansehen, dass das ganze bevorstehende Spektakel im bereits jetzt zuwider war, noch bevor es wirklich begonnen hatte. Folgerichtig war Thankred dann auch einer der letzten, der zum rechten Pavillon, dem der Niederadlingen schritt. Dort angekommen aber griff er sich als erster einen der Kelche Rahjablut und stürzte dessen Inhalt ohne mit der Wimper zu zucken hinunter, so dass man hätte mutmaßen können der Trollpforzer müsse sich etwas Mut antrinken. “Ihr seid wahrlich kein Kostverächter, werter Herr!” sagte der Rahjageweihte lachend. Rahjel von Altenberg saß am anderen Ende der Tafel und es schien, dass der Junker ihn nicht bemerkt hatte. Er griff nach einem Kelch und prostete den Trollpforzer zu. “Auf die Liebliche, auf die Liebe!” und nahm einen tiefen Schluck. “Rahjel von Albenhus, Lehrer der Leidenschaft hier.” Thankred drehte sich leicht überrascht zu dem Geweihten, lachte amüsiert über dessen Äußerung und schüttelte den Kopf. “Nein, das bin ich wohl wahrlich nicht euer Gnaden, das habt ihr recht erkannt.” Der Trollpforzer nickte dem Geweihten zu und erhob den nächstbesten, gefüllten Becher. “Junker Thankred Hartowulf von Trollpforz”, stellte auch er sich vor. “Auf die Liebe und das Feuer der Leidenschaft.” Rahjel lachte. “Der Holden sei dank! Ich hatte schon die Befürchtung, dass niemand hier den Ruf des Herzen folgen würde. Herr Junker, ihr habt meinen Tag gerettet!” Weiter lächend drehter er sich zu seiner Tischnachbarin die Edle von Tannenfels zu. “Auf die Liebe und ein schönes Fest!”

“Celissa von Tannenfels, ich bin die Edle des gleichnamigen Gutes in der Baronie Ambelmund.” stellte auch Celissa sich vor, bevor sie den Trinkspruch erwiderte. “Auf die Liebe und ein schönes Fest!” ‘Wenn es doch nur alleine darum ging. Mochten die jungen Gäste wie ihre Kinder und die der Rahja zugeneigten in ihrer Naivität nur daran glauben. Gerne würde sie selbst noch daran glauben… dürfen. Als Oberhaupt eines Edlenhauses war ihr dies aber längst nicht mehr vergönnt, musste sie einen kühlen Verstand walten lassen.’ Verhalten lächelnd setzte sie den Becher an und nahm einen vorsichtigen Schluck. Das Getränk war ebenso köstlich wie gefährlich. Sie musste heute einen klaren Kopf behalten. Ein gewisses Maß an Anspannung konnte sie daher nicht gänzlich verhehlen, das auch Rahjel gut wahrnehmen konnte.

Der Trollpforzer reckte ebenfalls kurz seinen Becher in Richtung der Tannenfelserin, nachdem diese gesprochen hatte, wandte sich dann aber sogleich wieder an den Geweihten der Lieblichen. “Seit gewiss eure Gnaden, mir geht es hier nicht um Politik, schon gar nicht darum irgendeine Dame von Stand zu heiraten, nur um meine Blutlinie zu wahren. Mein Haus besteht nur aus wenigen Mitgliedern und das seit ewigen Zeiten. Ich selbst bin ein Bastard und wurde erst spät anerkannt, so dass ich Oberhaupt des Hauses Trollpforz wurde. Die Frau um die ich werben werden hat schlicht und ergreifend mein Begehren entfacht. Das heißt im Umkehrschluss, sie oder keine.” Nun war die Neugier des Geweihten geweckt.” Sagt, kennt ihr die Bräute der Altenberger Familie oder ist die Herzensdame unter den anderen Gästen?” fragte er den Junker, während er aufstand und der Edlen nocheinmal nach schenkte. “Ich kenne nur die eine, wobei ‘kennen’ nicht der richtige Ausdruck ist”, entgegnete Thankred.. “Ich erblickte Sabea von Altenberg bei einem Besuch in Elenvina und schon war's um mich geschehen. Ich glaube nicht, dass sie mich an jenem Tag bemerkt hat, als sie mir nahe der Reichskanzlei über den Weg lief. Ich jedoch war wie vom Donner gerührt, in jenem Moment aber nicht imstande die Initiative zu ergreifen. Jedoch erkundigte ich mich nach ihr, brachte ihren Namen in Erfahrung und als dann der Aufruf zur Brautschau mein Ohr erreichte, wusste ich, dass ich mein Glück versuchen müsse.”

Celissa dankte derweil dem Geweihten der schönen Göttin und nahm, aus Höflichkeit, einen weiteren kurzen Schluck, um das Gefäß dann vor sich abzustellen. “Sagt, habt Ihr die Dame, die Euch hierher lockte, bereits ausmachen können? Sind die Kandidatinnen und Kandidaten bereits unter uns?” Die letzte Frage war mehr an Rahjel als an Thankred gerichtet. Diesem Umstand geschuldet schüttelte der Junker nur leicht den Kopf und sah dann interessiert zum Geweihten, um dessen Antwort abzuwarten. ´Sabea? Wer hätte das gedacht, dass sich jemand für diesen Klotz von Frau interessieren würde.´ Überrascht über die Aussage des Junkers, mußte er noch einmal Lachen. Seine entfernte Verwandte war nicht für ihren Liebreiz, ihre Feinfühligkeit und ihrer Tugenden bekannt. Aber umso mehr freute es ihn, das anscheinend die Holde selbst, den Richtigen für sie gefunden hatte. “Sabea von Altenberg, die Thor … die Heldin von Elenvina. Eine vorzügliche Wahl, Thankred! Wenn ihr weiter so leidenschaftlich um sie werbt, bin ich mir sicher das auch sie euer Herz erhören wird!” Ermutigend strich er dem Junker über die Schulter. Dann drehte er sich der Edlen zu. “Die Familie Altenberg ist noch nicht da, aber sie werden gleich kommen. Zur Praiosstunde wird seiner Hochwürden Winrich von Altenberg-Sturmfels alle herzlichst willkommen heißen. Was mich gleich daran erinnert, das ich rüber zum Altenberger Pavillon muß. Wenn also die hohen Herrschaften mich entschuldigen würden.” Rahjel drehte sich aber noch einmal um, bevor er den Pavillon verließ. “Und nicht vergessen. Die Holde ist heute mit jedem von uns. Also feiert, öffnet eure Herzen. Niemand muss heute alleine sein.” Zufrieden ging er.

Der Trollpforzer stürzte den Inhalt des zweiten Bechers hinunter und stellte ihn geräuschvoll auf dem Tisch ab, nur um sich sogleich einen Dritten zu nehmen und dem enteilenden Geweihten hinterherzuprosten. “Euer Wort in eurer Göttin Ohr.” Celissa grinste still in sich hinein. Wie recht der Junker von Trollpforz mit seinen letzten Worten hatte. Vielleicht musste heute niemand allein sein. Aber ging es hier wirklich darum, wer heute mit wem auch immer zusammen war? Rahja heute alleine im Mittelpunkt - welch Illusion! Rahja mochte bestenfalls ihren Teil dazu beitragen, dass Phexens im Hintergrund stattfindendes Werk in Bahnen gelenkt würde, die am Ende, auch nach vielen Jahren noch, Travias Segen einer sich entwickelnden echten Liebe über die heute hier Verbundenen ermöglichen würde. Am Ende würden aber dynastische, wirtschaftliche und politische Erwägungen entscheiden, wer hier sein Glück fand. Und wer nicht. Auch wenn es für ihre Kinder gar nicht so schlecht wäre, wenn Rahja ein Wörtchen mitzureden hätte. Wenn… Während sie sinnierte, sah sie einen jungen Mann in das Pavillon kommen, der sich suchend umschaute...

Unschlüssig wo er sich hinsetzen sollte, war Rondradin an die Tafel herangetreten. Seine Schwester würde unter dem Sonnenschutz Platz nehmen, neben den anderen Teilnehmern, denen kein Lehen zu eigen war. Eine ältere Frau in den inzwischen wohlbekannten Farben Tannenfels’ fiel ihm ins Auge und kurzentschlossen ging er auf sie zu. “Rondra zum Gruße, Wohlgeboren. Ist der Platz neben Euch noch frei?” “Rondra zum Gruße!” erwiderte Celissa den Gruß des stattlichen jungen Mannes, offensichtlich eines Dieners der Rondra. “...Euer Gnaden.” Ein wenig verwundert war sie schon, dass dieser sie direkt als Edle erkannte und ansprach, so weit reichte der Ruf ihres Hauses nicht, wie sie sich realistischerweise bewusst war. “Nehmt gerne Platz. Sagt, sind wir uns bereits begegnet?” fragte sie direkt, auch wenn sie sich sicher war, dass dem nicht der Fall war.

Die andere Person, die sich innerhalb des Pavillons befand, eine wahrer Hüne, hielt sich dezent zurück, nickte dem Rondrianer nur respektsbekundend zu und deutete auf einen freien Platz. “Wenn ich mich vorstellen darf, ich bin Rondradin Wasir al’Kam’wahti von Wasserthal zu Wolfstrutz und ein Bekannter Eures Sohnes Nivard.” Dieser hatte auf ihrer Reise hierher erwähnt, dass auch seine Mutter und seine Schwester zur Brautschau anreisen würden. ‘Aha, daher kannte der Geweihte ihr Haus.’ vermerkte Celissa im Stillen, einerseits durchaus erfreut, dass ihr Sohn sich und seine Familie im Süden des Herzogtums und in offenkundig guten Kreisen einen Namen machte, andererseits bedauernd, dass Nivard sich nicht eher bei ihr eingefunden und mehr über sich und die anderen Teilnehmer der Brautschau, die ihm bereits bekannt waren, berichtet hatte. “Sehr erfreut! Kennt Ihr Nivard aus Elenvina?” Gespannt auf die Antwort taxierte sie den jungen Diener der Leuin. Dass er in diesem Pavillon weilte, deutete darauf, dass er nicht nur ein einfacher Geweihter war. Führte ihn ebenfalls die Suche nach einer Braut hierher? Schade, dass Ringard jetzt nicht hier war… Rondradin indes hatte an der Tafel Platz genommen. “Nivard und ich haben uns bei der Jagd in Nilsitz im letzten Mond kennengelernt. Zuletzt waren wir beide Teil des Geleitschutzes für den elenviner Zweig der Familie Altenberg. Allerdings gehöre ich nicht den Plötzbogenern an, wie Ihr Euch sicherlich schon gedacht habt, sondern wurde von der Familie direkt beauftragt.” Rondradin nahm sich den von ihm stehenden Kelch und nippte daran. ‘Schnaps!’ Schnell stellte er den Kelch wieder auf den Tisch und schob ihn von sich. Heute bedurfte er eines klaren Kopfes. “Wäre ich nicht inzwischen verlobt, würden wir uns heute als Kontrahenten gegenüberstehen.”

Celissa hob ihre Augenbrauen. Das Gespräch wurde ganz ohne Umschweife interessant. “Wie meint Ihr das? Wärt Ihr grundsätzlich Kontrahent meines Sohnes auf dieser Brautschau, oder in Bezug auf eine ganz bestimmte Dame... die ganz bestimmte Dame?” Was war auf dieser Jagd vorgefallen - denn offensichtlich kannten sich Nivard, der Herr von Wasserthal und diese Gelda von diesem Ereignis her? Sie musste sich unbedingt diese junge Frau anschauen, falls es die war, auf die es auch der junge Geweihte abgesehen hatte. “Zu welcher zukünftigen Gemahlin darf ich Euch denn beglückwünschen?” "Meine Verlobte ist Ravena von Rabenstein, die älteste Tochter des Barons von Rabenstein." Seltsamerweise wirkte der junge Geweihte nicht überglücklich, stattdessen klang so etwas wie Bedauern in seiner Stimme mit, auch wenn er es zu verbergen suchte. Wenn damals ein paar Dinge anders gelaufen wären, so wäre er jetzt nicht verlobt, sondern würde einer möglichen Zukunft mit Gelda entgegensehen. Rondradin sah zu der Edlen auf und zwang sich zu einem Lächeln. “Um eure andere Frage zu beantworten, wir hätten um dieselbe Dame konkurriert. Sagt, was Euch Nivard über sie erzählt?”

Celissa beschloss, die Offenheit Rondradins, die ihr gefiel, direkt zu erwidern. Doch zunächst zollte sie seiner Verlobung Respekt, in einem leisen und sanften, keinesfalls überschwänglichen Ton: “Ich beglückwünsche Euch - Ihr werdet in ein weithin bekanntes und angesehenes Haus einheiraten!“ Die Edle sah den Geweihten einen Moment an. Sie spürte, dass dessen Gemütslage keinesfalls zu diesem vermeintlichen Glück passte. “Ihr müsst ein glücklicher Mann sein - seid Ihr doch, nicht wahr? Und ihr müsstet einer der wenigen hier sein, die dieses Fest entspannt genießen können. Ich wünschte,” ging sie dann auf Rondradins letzte Frage ein, “Nivard und ich hätten uns nicht erst heute morgen und nur kurz wiedergesehen, denn nur allzugern hätte ich mehr über jene Dame erfahren, die sein Herz in Nilsitz ganz offensichtlich dermaßen berührte, dass er wild entschlossen ist, mit ihr und nur mit ihr diese Brautschau verlassen zu wollen. Ich hätte ehrlich gesagt nicht erwartet, dass sich seine Einstellung zum Stand der Ehe so rasch so stark geändert haben würde, nun, da ich ihn hier habe. Diese Gelda muss eine besondere Frau sein. Wollt Ihr mir vielleicht von ihr erzählen?”

“Das ist sie.” bestätigte Rondradin. “Natürlich könnte ich versuchen sie Euch zu beschreiben, aber egal welche Worte ich wählen würde, sie würden Gelda von Altenberg einfach nicht gerecht werden. Sie ist die Art Frau, die man nur mit sehr viel Glück einmal im Leben trifft.” Der Geweihte hatte den Blick von der Edlen ab und seinen Händen zugewandt, welche mit dem Becher auf dem Tisch spielten. Leise, mehr zu sich selbst, fügte er hinzu. “Leider habe ich das zu spät erkannt.” Mit einem erzwungenen Lächeln sah er wieder zu Celissa hinüber. “Wenn Ihr wohlgesetzte Beschreibungen von Gelda möchtet, solltet Ihr Nivard fragen. Er ist der Poet von uns beiden, wie er in den letzten Tagen immer wieder bewiesen hat.” Nun musste er ehrlich lächeln, als er an die vielen Ständchen Nivards zurückdachte, welche dieser während der Reise Gelda vorgetragen hatte. “Hat er das von Euch?”

Mit einem ebenfalls wehmütigen Lächeln lauschte Celissa den schwärmerischen Worten Rondradins. Wie sehr beneidete sie manchmal die Jungen für die Kraft ihrer tiefen und aufrichtigen Gefühle. Und wie sehr wünschte sie diesen zuweilen, dass diese nicht allzu rasch durch das Leben desillusioniert würden… aber es ging eben nicht immer um Wünsche… genau genommen sogar recht selten… “Grämt Euch nicht zu sehr - wenn Ihr Euch darauf einlasst, vermag Travia in Euch eine Liebe zu Eurer zukünftigen Gemahlin zu wecken und zu erhalten, die Rahjas rasch verklingenden Rausch bei weitem überdauert und Euch Wärme und Heimat zu schenken vermag.” Als Rondradin auf Nivards Poesie zu sprechen kam, merkte sie überrascht und neugierig auf. Sie hatte zwar schon vor Jahren mitbekommen, dass ihr Sohn eine entsprechende Ader hatte, aber nicht damit gerechnet, dass er dieser inzwischen offen nachging. Wenn das auch der Einfluss dieser Gelda war? Sie brannte immer mehr darauf, diese kennenzulernen. Und deren Eltern. “Von mir? Wohl eher nicht, fürchte ich. Eher sein Wille, sich zu beweisen, den Herausforderungen eines zuweilen auch widrigen Lebens zu stellen, und dabei nicht zu weichen, wie Rondra es uns gebietet. Aber eine Schmiedin wohlklingender Verse darf ich mich nicht nennen. Auch wenn ich solche wie wohl jede Frau gerne vernehme… Jedenfalls habt ihr meine Neugier geweckt - welcher Art waren jene Gedichte oder Lieder, die ihr von meinem Sohn vernommen habt?”

“Wahrscheinlich habt Ihr recht, die Wunde ist halt noch frisch.” kommentierte Rondradin die tröstenden Worte der Edlen .In der Tat “blutete” sie immer wieder aufs Neue, sobald er an Gelda dachte. Dankbar drückte er die Hand der Edlen leicht und senkte kurz den Kopf. “Habt Dank für Eure Worte. Ich weiß es zu schätzen.” Der Geweihte zog seine Hand wieder zurück. Eine kurze Pause entstand, bevor Rondradin den Gesprächsfaden wieder aufnahm. “Wo waren wir gerade noch? Ach ja, Ihr wolltet wissen welches Thema Nivards Verse hatten.” Wieder verfiel er in Schweigen als er sich die gehörten Lieder und Gedichte in Erinnerung rief. “Nivard wählte allerlei verschiedene Themen, aber vor allem die Natur und die Liebe waren seine bevorzugten Themen. Es waren schöne, tugendhafte Verse, welche auch dem Minnespiel eines weidener Ritter gut zu Gesicht gestanden hätten.” Er lachte. “Aber nun habe ich doch eine Frage an Euch. Wo genau in Ambelmund befindet sich denn Gut Tannenfels? Leider bin ich mit der Gegend nicht so gut vertraut. Firunwärts komme ich meist nicht über Hjalderfurt in Bösalbentrutz hinaus.”

Celissa vernahm immer noch mit stillem Erstaunen, durchaus aber auch mit Stolz erfüllt und nicht nur ein wenig Erleichterung, dass ihr Sohn sich der Minne betätigte, und das auf eine Weise, die der Herrin Travia, den guten Sitten und damit auch dem Ruf Ihres Hauses, der für sie das höchste Vermögen war, nicht spottete. Ihre Regungen waren für Rondradin allenfalls im leisen Zucken ihrer Mundwinkel und im leichten Glänzen Ihrer Augen zu erahnen. Ohne ihn zu unterbrechen, lauschte sie dem Bericht des Geweihten bis zum Ende, war dann aber auch froh, dass dieser selbst zu einem unverfänglichen Thema wechselte. “Ich bin ehrlich gesagt bereits überrascht, dass Ihr überhaupt schon bis Hjalderfurt gekommen seid und Bösalbentrutz kennt. Vielleicht wisst Ihr, dass die Wälder im Osten Bösalbentrutz’ und die nahen Girswälder beide ihre Fortsetzung im heutigen Ambelmunder Tann finden. Unmittelbar an Tommelsbeuge grenzt das Gut Schwarztann an, dass den Süden des Tanns umfasst, und nördlich davon findet Ihr Tannenfels, nahe der Grenzen zu Schnakensee und Vairningen. Die Gegend bei uns ist immer noch recht felsig, von Sandsteinfelsen und Quarzitrücken durchzogen und dichten Tannenwälder bewachsen. Weswegen es von Bösalbentrutz wohl auch gar nicht so einfach sein dürfte, zu uns zu gelangen. Der einzige Weg - oder eher der einzige breitere und halbwegs sichere Pfad - durch unser Gut führt von Ambelmund her kommend nach Schwarztann und Vairningen. Wo dieser den Glasbach quert, liegt das Herz meines Guts, das Dorf Tannenfels und unser Wehrturm. Die wenigen anderen Pfade sind beschwerlicher, und Ihr müsst mit Goblins rechnen. Ich hoffe, Ihr habt nun eine gewisse Vorstellung bekommen. Jetzt müsst Ihr mir aber eine neugierige Gegenfrage gestatten - was führt Euch regelmäßig nach Bösalbentrutz? Sind es kirchliche Angelegenheiten oder familiäre Banden? Ihr entstammt doch südlicheren Gegenden unseres Herzogtums, wenn ich nicht ganz falsch liege?”

“ihr irrt Euch nicht, meine Familie ist in Meilingen ansässig.” bestätigte Rondradin die Annahme Celissas. “Ihr kennt doch gewiss das Trutzfest Ende Efferd, welches in Hjalderfurt gefeiert wird. Dabei erneuert der Edle von Bösalbentrutz zusammen mit der örtlichen Efferd-Geweihten einen Bannfluch für die Feen des Farindelwalds. Die Tommel stellt dabei das Bollwerk dar, welches die Feen nicht überqueren können. So der örtliche Glaube. Leider verstarb Garobald von Fischwachttal ohne einen erwachsenen Erben zu hinterlassen, welcher diese Aufgabe übernehmen konnte. Seine Tochter, Roana von Fischwachttal, ist gerade im Pagenalter und kann, obwohl sie nominell die Edle von Bösalbentrutz ist, diese Aufgabe nicht wahrnehmen. Ich war damals in der Gegend und so wurde mir diese Aufgabe angetragen, zumindest solange, bis die junge Dame alt genug ist.” Rondradin rief sich die Bilder seines letzten Besuchs in Hjalderfurt ins Gedächtnis und lächelte breit. “Wenn Ihr Knoblauch und gute Liköre mögt, dann solltet Ihr beim nächsten Trutzfest vorbeikommen. Es gibt ein Gasthaus mit ausreichend Platz und die Liköre werden aus den einheimischen Himbeeren und Kirschen gewonnen.”

“Vom Trutzfest habe ich in der Tat schon gehört, ihm aber noch niemals beigewohnt. Gute Liköre könnten aber ein ebenso guter Grund sein, diese Scharte auszuwetzen.” Celissa erwiderte Rondradins Lächeln. “Doch sagt: Was hat es mit dem Knoblauch auf sich? Wird auch Peraines Segen für den Bannfluch benötigt? Und welche Aufgabe habt Ihr genau bei dessen Erneuerung?” Nach einer kurzen Pause fragte sie weiter: “Hält der Bann alleine die Feen in Albernia, oder wirkt er auch gegen das Dunkel aus den hiesigen Wäldern?” Vergnügt schüttelte Rondradin den Kopf. “Die Herrin Peraine wird beim Trutzfest nicht angerufen. Nach dem örtlichen Aberglauben können Feen den Geruch des Knoblauchs nicht ertragen. Ob es stimmt, wer mag das so genau sagen. Jedenfalls kennt die Bevölkerung so manches schmackhaftes Gericht, welches die Knolle als Zutat nennt. Da wäre zum Beispiel die mit Knoblauch, Zwiebeln und Butter gefüllte und mit Speckmantel gebratene Forelle zu nennen, ein Gedicht.” Ein leises Grummeln, welches seinen Ausgang im Bauch des Geweihten genommen hatte, ertönte. Schuldbewusst sah Rondradin Celissa an. “Ich bitte um Entschuldigung, das Gerede über das Essen …” Er räusperte sich. “Meine Aufgabe bei dem Fest ist es den rituellen Bund zu erneuern indem ich die überlieferten Eide ablege und wenn nötig auch zur Stelle zu sein, wenn diese Eide eingefordert werden sollten. Der Bann selbst wirkt nur gegen Feenwesen aus dem Albernischen. Was für ein Dunkel meint Ihr?” Erinnerungen an ein verlassenes Dorf und der Zweikampf im Vollmond mit dem Baronet kamen ungefragt und nur mit Mühe konnte Rondradin sie verdrängen. “Gibt es Probleme in der Gegend?”

Unwillkürlich musste Celissa grinsen, als sich Rondradins Bauch zu Wort meldete, kehrte aber auf dessen Räuspern umgehend zu ihrem ernsten Gespräch zurück. “Ihr habt eine verantwortungsvolle Aufgabe in Hjalderfurt, und wahrscheinlich wird dies nicht Eure einzige sein. Es ist gut und wichtig, wenigstens die albernischen Feen aus unseren Wäldern zu halten. In diesen herrscht, wie Ihr vielleicht auch erahnt, ein äußerst fragiles Gleichgewicht der Mächte, von denen wir Menschen nur eine darstellen. Noch dazu eine recht junge. Dies und vieles andere musste unser Geschlecht in den Jahrhunderten seiner Wacht am Tann lernen, zuweilen auf harte Weise. Manch vermeintlicher Feind entpuppte sich am Ende als notwendiger Verbündeter gegen altes, noch größeres Übel, das sich tief im Schatten der Wälder verborgen hält... und wartet.” Auf jene die sich zu weit in jene wagen. Die aufwühlen, was besser unangetastet bleibt. Wie Hechard… Sie sprach die letzten Gedanken lieber nicht aus. “Der Stammvater unseres Geschlechts, mein Ahn Mikvard, kam dereinst in den Tann, um diesen von den Rotpelzen zu befreien und ganz der menschlichen Nutzung und Besiedlung zugänglich zu machen. Aber er musste bald erkennen, dass diese ihre Rolle zu spielen haben in jenem Gleichgewicht, und am Ende, allem Ärger, den sie zuweilen bescheren, sogar einen wichtigen Teil des schützenden Bands darstellen, das uns erst ein Leben in weitgehendem Frieden in dieser Gegend ermöglicht. Auch wenn man dieses Band gelegentlich zurechtstutzen muss…” Sie überlegte, ob sie noch mehr preisgeben sollte, entschied sich aber dagegen. “Zu dunkle Gedanken für einen so schönen Tag. Wir sollten diesen nicht mit diesen beschweren, nicht wahr?” Ein letzter forschender Blick, dann nickte Rondradin. “Ihr habt recht, genießen wir den heutigen Tag. Wenn Ihr das Thema morgen nochmals zur Sprache bringen wollt, findet Ihr in mir einen guten Zuhörer.” Dann entspannte der Geweihte und suchte ein anderes Gesprächsthema. “Was denkt Ihr, werden sich heute viele Paare finden?” “Ich glaube, ja.” Celissa setzte darauf. Würden sich nur wenige finden, durfte sie, so ehrlich war sie sich selbst gegenüber, angesichts der anderen Werber, kaum darauf hoffen, mit neuen familiären Banden nach Ambelmund zurückzukehren. “Mit Rahjas Segen.” Sie schnaufte vernehmbar aus und nahm einen Schluck, um dann leise hinzuzufügen: “Und was Rahja nicht fügt, wird hier und da sicher Phex richten, wie ich die Sache sehe.” “Wie meint Ihr das, ‘Phex wird es richten’?” Interessiert hob Rondradin die Augenbraue. “Ich bin zuversichtlich, dass die Herrin Rahja dieses Fest segnen wird und auch die Herrin Travia wohlwollend auf uns herab sieht.” "Machen wir uns doch nichts vor - Rahja wird vielleicht die Herzen mancher jungen Damen oder Herren hier berühren," bei diesen nüchternen Worten stieg das Bild ihres Sohnes vor Celissas innerem Auge empor, "doch am Ende wird in weit mehr der Fälle die Familienraison obsiegen, und vor Travia vereint, was Praios vielleicht an der einen oder anderen Stelle im dynastischen Sinne gefällt, aber noch öfter aus Überlegungen geboren ist, die Phex als Gott der Kaufleute alle Ehre machen." Ihr Blick machte Rondradin klar, dass sie damit nicht unbedingt glücklich war. Es aber als Gang der Dinge akzeptierte. Zu akzeptieren gelernt hatte. Unfähig die Worte Celissas widerlegen zu können, schwieg Rondradin.

Nachdem die meisten Gäste an der Tafel der Niederadligen Platz genommen hatten, traten auch Lares von Mersingen und seine junge Pagin an den Tisch. Am Ende der Tafel waren noch Plätze frei, die die beiden ansteuerten. Der Mersinger ließ seiner jungen Pagin den Vortritt, fürchtete er doch, dass wenn sie isoliert am Ende der Bank würde sitzen müssen, in kürzester Zeit gelangweilt sein würde - und wenn er sie dann aus dem Blick verlor, würde sie ihren Vater und ihn wohl erzürnen. So war es besser, dass er sie direkt vor sich ständig im Auge hatte. Nachdem sie aufgerutscht war und sich schon hinsetzen wollte, blickte er sie mit strengen Augen an, die rechte Augenbraue mahnend erhoben. Basilissa sah ihn irritiert an. Wollte er sich erst vorstellen? Wollte er, dass sie ihn vorstellte? Sie wusste nicht recht, was er von ihr erwartete. Und was sie tun sollte. Also verharrte sie und blickte ihn erwartungsvoll an. Lares wartete einen Moment, dann reckte er die Hand nach vorne. “Das ist:”, souflierte er. ‘Oh je, da muss man noch üben’, dachte er. Basilissa räusperte sich und sagte dann etwas leiser als man es von dem vorlauten Mädchen erwartet hätte: “Äh, Lares von Mersingen, mein Schwertvater. Wir würden uns..ähm...hierher setzen?” verschüchtert sah sie zu dem Mersinger hinüber, immer noch unsicher, was genau von ihr erwartet wurde.

Dann stellte der junge Ritter auch seine Pagin vor. “Und das hier ist Basilissa von Keyserring. Sie dient mir als Pagin und hat heute die Ehre, an diesem schönen und hoffentlich traviagefälligen Fest teilhaben zu dürfen. Die Herrschaften: Auf das Wohle aller und besonders der Gastgeber! Und mögen die drei Schwestern uns heute wohl gewogen sein”, prostete er den Versammelten zu, doch nippte er nur an dem wohlschmeckenden Schnaps.

“Zum Wohle”, erwiderte der Junker und erhob erneut seinen Becher. Das konnte wahrlich heiter werden dachte er bei sich und schickte sich an, sich seinerseits vorzustellen. Dabei aufzustehen hielt der Trollpforzer für albernes Getue, also ließ er es gleich bleiben. “Junker Thankred von Trollpforz”, sprach er in Richtung des Ritters und bedachte dessen Pagin mit einem längeren, undeutbaren Blick. Basilissa von Keyserring würde sicher auch das Interesse einiger Anwesenden auf sich ziehen, immerhin war sie die Tochter des wohlhabenden Eisensteiner Barons. “Darf ich fragen welcher Linie der Mersinger ihr entstammt”, fragte der Trollpforzer dann nach einer kleinen Pause, in der einen Schluck aus seinem Becher genommen hatte? “Älteres Haus”, sagte Lares knapp und musterte seinerseits den Ritter. Der düstere Mann wirkte, als ob er hier fehl am Platze sei. Das hatte er - jedenfalls gefühlt - mit dem Mersinger gemein. “Trollpforz sagt Ihr? Von diesen Ländereien habe ich noch nichts gehört. Wo liegt euer Lehen?” Das Gespräch über Land und Leute war unverfänglich genug, um den jungen Ritter von dem eigentlichen Zweck der Anwesenheit abzulenken. Das kam ihm gerade Recht, auch wenn er mit Irritation bemerkte, dass Thankred seiner Pagin einen derart langen Blick zuwarf. Es musste doch klar sein, dass ein so junges Mädchen nicht zur Wahl steht!

Basilissa von Keyserring war der merkwürdige Blick kaum aufgefallen. Ihre tiefdunklen Augen, die einen ungewöhnlichen Kontrast mit ihren hellblonden Haaren ergaben, fuhren über die Gruppe Menschen hinweg. Gab es denn keine anderen Kinder in ihrem Alter. Diese langweiligen Erwachsenen unterhielten sich wohl nur übers Heiraten- als gäbe es nicht wichtigeres als das. Das Blicke sie musterten, fand sie kaum verwunderlich- war sie doch nichts anderes gewohnt. Ihr Schwertvater hatte ihr aufgetragen sich zu benehmen. Und das wollte sie tun. Also hielt sie still und beobachtete. Nur ab und an tippte sie mit ihrem Fuß auf den Boden, um ihren Körper in Bewegung zu halten. "Ha", lachte der Junker kurz auf. "Etwas anderes hätte mich auch verwundert. Trollpforz liegt in der Vogtei Nilsitz, auf dem Hochplateau des Isenhag nahe der Opferschlucht, weit ab der Aufmerksamkeit der meisten Adelshäuser. Ein Umstand der mich nicht sonderlich betrübt, wie ihr vielleicht verstehen werdet. Einzig von Burg Trollpforz und seinem Praiosschrein könntet ihr gehört haben. Dorthin pilgern viele Gläubige, vor allem nachdem das Ewige Licht aus dem Tempel der Sonne verschwunden war. Der Altar auf Trollpforz ist vom Heiligen Quanion selbst eingerichtet worden." Thankred nahm einen weiteren Schluck aus seinem Becher. “Oh”, entfuhr es dem strenggläubigen Ritter. Die nächste Wallfahrt war also bereits gebucht. "Darf ich mir die Frage gestatten, ob ihr aus freien Stücken an der Brautschau teilnehmt, oder ob man euch ‘aufgetragen hat’ hier zu sein?”

Lares wurde ob der Frage kurz schweigsam. Er blickte zu seiner Pagin, die wie befürchtet von der Veranstaltung ersichtlich gelangweilt war und auf die er regelmäßig ein Auge würde werfen müssen. Dann wandte er sich wieder Thankred zu. “Ehrlich gesprochen: Zuerst war ich von dieser Idee nicht so angetan. Der Allwasservogt hat mich gerade erst aus seinen Diensten entlassen, nachdem mich seine Hoheit der Herzog selbst zum Ritter schlug. Meine Bande zum Herzogenhaus stehen fest und ich will seiner Hoheit noch lange mit Schwert und Feder dienen. Da befürchtete ich, dass ich eine zusätzliche Verantwortung für eine Familie nicht würde tragen können.” Lares zuckte mit den Schultern. “Doch je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr kam ich zu dem Entschluss, dass aller Dienst an den Nordmarken gerade dazu dient, die Familien dieses Landes zu schützen. Und man wird kaum besser wissen, wofür man sich einsetzt, wenn man selbst eine solche hat, nicht?” "Wohl gesprochen", entgegnete der Junker bedächtig nickend. "Darf ich aus euren Worten schließen, dass eure Loyalität in erster Linie unserem Herzog gilt, denn dem Markgrafen der Rabenmark?"

“Ich weiß nicht, wie es um Euch steht, aber für mich gilt: Meine Treue gilt zuerst unserem Herzog, dann meiner Familie”, wobei er mit einem Seitenblick auf Basilissa anfügte, “zu der ich auch all diejenigen zähle, die mir anvertraut sind, und dann kommt lange nichts.” Der Blick des Mersingers wurde plötzlich scharf und durchdringend. Er taxierte sein Gegenüber, aber auch diejenigen um sich, die der Unterredung lauschten. Wenn dem jungen Ritter eines bedeutsam war, dann Treue und Loyalität. Vielleicht ließen sich so wenigstens im Ausschlussverfahren einige Kandidatinnen ausscheiden? Den Ernst in der Miene des Mersingers vollkommen ignorierend, erwiderte der Junker die Antwort des Ritters mit Anerkennung. “Lobenswert. Ihr gefallt mir.” Erneut hob der Trollpforzer seinen Becher, diesmal um Lares zuzuprosten. “Auf unseren Herzog und unsere Heimat. Möge sie auch in Zukunft ein Hort der Stabilität sein, für alle die darin Leben, aber auch für das gesamte Reich.”

“Hört, hört!”, mischte sich ein Mann im besten Alter ein, der während der letzten Worte mit einem gut 10 Jahre jüngeren Mann hinzugetreten war. Beide waren gutaussehend, doch der Ältere hatte sehr kurzes, schwarzes Haar, einen gepflegten Drei-Tage-Bart und blaue Augen, während der jüngere gute 5 Finger größer war, blondes Haar und grüne Augen aufwies. Zudem war er glatt rasiert. “Darf ich euch den Junker Aureus Praioslaus von Altenwein, Ritter und Mitglied des Orgilsbundes vorstellen?”, fragte er mit ernster Miene und wies auf den in rot und gold gewandeten jüngeren Mann, “Meine Wenigkeit trägt den Namen Vitold von Baldurstolz. Ich bin Edler zu Hinterwald und Ritter seiner Hochgeboren Rahjodan von Keyserring auf Eisenstein. Sind hier noch zwei Plätze frei?” Der junge Mann schien seinen Titel noch nicht lange zu tragen, denn es wirkte, als ob ihm diese Vorstellung unangenehm wäre und wer genau hinsah konnte bei dem Baldurstolz ein leichtes Zucken der Mundwinkel bemerken. Bei der Erwähnung 'zu Hinterwald' konnte der Junker seine Belustigung nur mittels vorgespielten Husten kaschieren. Verschluckt hatte er sich aber tatsächlich in jenem Moment. Ein tatsächliches Auflachen wäre unweigerlich als Spott aufgefasst worden und wer war er bei seinem eigenen Namen auf die Idee zu kommen andere aufgrund ihres Namens zu verspotten? "Jeder, der an diesem Tage mit trinken möchte, sei willkommen mir Gesellschaft zu leisten", sprach Thankred anstelle dessen und schenkte den beiden ein ehrliches Lächeln. "Junker Thankred von"- er grinste breit und betonte das "Trollpforz", damit es auch ja richtig verstanden wurde.

“Die Hohen Herrschaften”, nickte Lares und deutete auf die noch freien Plätze. Allerdings würden sie langsam zusammenrutschen müssen, wenn es noch enger würde. Vielleicht wäre das dann auch ein geschickter Vorwand, um sich zu erheben? Obwohl dies eine Veranstaltung war, die zum Kennenlernen dienen sollte, hatten sich bisher kaum Frauen an den hiesigen Tisch verirrt. Irgendwas war da fundamental falsch gelaufen. Lares stellte sich knapp vor und verwies dann auf seine Pagin: “Wenn Ihr, von Baldurstolz, dem Herrn Baron von Keyserring dient, so werde ich die junge Dame nicht vorstellen müssen”, meinte er förmlich. “Doch wie kommt es, dass wir uns im Angesicht dessen noch nicht begegnet sind?” “Euer Wohlgeboren.”, er nickte dem Mädchen neben Lares zu. “Nun, dass wir uns noch nicht begegnet sind, könnte daran liegen, dass ich mich nach der Belehnung erstmal um mein Gut gekümmert habe und daher seltener am Hofe war. Und nach dem Rabenmarkfeldzug hatte ich eine Familienangelegenheit zu regeln. Wofür mir seine Hochgeboren gnädigerweise etwas Zeit einräumte. Auch nach dieser Festlichkeit werde ich mich nicht direkt auf den Rückweg begeben, denn mein Onkel wohnt nicht weit von hier in Altenwein. Leider ist er schwer krank und es wird wahrscheinlich mein letzter Besuch sein.” Der strenge und dienstbeflissene Ritter zeigte bei diesen Worten tatsächlich ernstgemeinte Trauer in seinem Gesicht, bevor er sich wieder fing und sich an Basilissa wandte: ”Und Ihr, wie geht es Euch? Freut Ihr Euch Euren Vater und Eure Schwester wieder zu sehen?”

Das Mädchen nickte mit etwas rotem Kopf, reckte aber das Kind in einem Anflug von Stolz nach vorne: “Ja, ich freue mich.” Kurz zögernd fuhr sie fort: “Aber… so sehr vermisse ich sie nicht.” Was nicht ganz der Wahrheit entsprach - wie ihr Schwertvater wusste. Doch das Kind mühte sich seit es bei dem Mersinger war, ihr Heimweh zu verbergen. Basilissa fuhr fort, an den Trollpforzer gewandt: “Luzia von Keyserring ist meine Schwester. Sie sitzt dort drüben, damit deutete sie in Richtung des anderen Pavillons, unter dem ihre Familie Platz genommen hatte.” Sie sagte es laut genug, damit es die Umsitzenden hören konnten. “Vater sucht für sie nach einem Verlobten.” Das Mädchen am anderen Tisch war etwa 15 Jahre alt, hatte langes, glänzendes, tief-dunkles Haar und als scharfen Kontrast dazu helle, blaue Augen. Was der Tisch nicht verhüllte, war eine anmutige, schlanke Gestalt ausreichend mit weiblichen Reizen ausgestattet. “So?”, Aureus reckte den Kopf und versuchte Luzia ausfindig zu machen. Amüsiert schlug ihm der Baldurstolzer auf die Schulter:”Lass es lieber, die ist nichts für Dich. Das würde ihr Vater nicht wollen. Oder irre ich mich?”, fragte er Basilissa.

Ihr Vater war nicht der Einzige, der das besser nicht wollen sollte, dachte der Mersinger bei sich. Dieser Aureus schien keine tugendhaften Absichten zu verfolgen. Die jüngste der Keyserrings runzelte leicht die Stirn: “Ähm, Vater wird sicher … eine vernünftige Wahl treffen. Sie ist ja nur die Drittgeborene. Sie wird also keinen Titel erben. Das...ähm…” Sie schaute hilfesuchend zu Lares. Sie wollte nicht, dass diese Runde dachte, Luzia sei ein nicht erreichbares Ziel. Da fiel ihr etwas ein und sie strahlte über beide Ohren: “Ausserdem hat Prianna gesagt, wir dürften mitbestimmen, wenn wir ehelichen werden.” Eigentlich hatte die älteste der Schwestern gesagt, sie hätten alle ein Vetorecht. Aber da Basilissa nicht genau wusste, was ein Vetorecht war, hatte sie sich auf diese Interpretation verständigt. Mit sich selbst. Sie grinste über das Gesichtchen, das bereits ähnliche Züge wie die ihrer Schwester erkennen ließen. Auch sie würde dereinst sicherlich eine entzückende Braut abgeben. `Wenn Basilissa die Wahrheit sprach… - Da ergeben sich ja ganz neue Möglichkeiten` Im Hirn des Baldurstolzers begannen sich gerade die Gedanken zu überschlagen. `Vielleicht gibt es ja doch noch einen Ausweg.` Seine Laune verbesserte sich augenblicklich. Der Trollpforzer hingegen blickte nur beiläufig einmal in besagte Richtung, wo die andere Eisensteinerin sitzen sollte, wirklich interessieren schien ihn die vermeintlich heiratswillige Baronstochter jedoch nicht, dennoch hörter er aufmerksam zu, was am Tisch gesprochen wurde.

Lares rechte Augenbraue schoss in die Höhe ob des lüsternen Blicks des komischen Ritters im Dienste der Familie Keyserring und erst Recht der seltsamen Einlassung seiner Pagin. “Wie meinst du das: Mitbestimmen? Was hat dir deine Schwester Prianna da erzählt?” Meinte der Vogel wirklich, er würde nach nur wenigen Monaten Dienst die Tochter seines Lehensherrn abbekommen? Der musste nicht mehr ganz bei Sinnen sein. “Ähm…” die Kleine sah zu Lares hinauf: “Sie hat gesagt, wenn Vater uns einen Mann sucht, hätten wir ein…. Weetorecht. Das bedeutet doch, dass wir mitbestimmen dürfen?” “Veto ist Bosparano und bedeutet so viel wie: ich verbiete”, sagte der Junker von Altenwein. “Ich denke Euer Vater wird sich Eure Meinung anhören, aber ob er sich daran hält oder sich darüber hinwegsetzt, kann ich nicht sagen, dazu kenne ich ihn zu wenig. Wie alt ist Luzia überhaupt? Sie sieht noch sehr jung aus, vielleicht zu jung.” Aureus war sich nicht sicher. Sie mochte bestimmt eine gute Partie sein, aber eigentlich wollte er lieber eine gleichaltrige Frau kennenlernen.

“Sie ist schon 15. Und Vater sagt...ähm… es sei gut für die Entwickelung, wenn ….. Ein Mädchen nicht so alt ist, wenn sie heiratet. Meine Schwester Odelia hat ihren Mann mit 17 kennengelernt. Und dann ist haben sie sich verlobt und dann nach einem Jahr geheiratet. Jetzt hat sie ihr erstes Baby bekommen und ist schon fast 20. Weil….sowas alles doch schon soooo lange dauert.” erklärte die Kleine freimütig. Na das war eine wohlfeile Erklärung, um die lästigen Kostgängerinnen frühzeitig aus dem Haus zu bekommen, dachte sich der Mersinger. Aber er würde sich tunlichst hüten, die Autorität des Barons seinen Kindern gegenüber zu untergraben. “Wichtig ist, egal wie alt, dass die Heirat mit Glück gesegnet ist. Wenn man Zeit hat, sich aneinander zu gewöhnen, dann ist das wahrscheinlicher”, deklamierte Lares feierlich. “Ich bin mir sicher, dass deine Schwester einen guten Mann finden wird, mit dem sowohl dein Vater als auch sie selbst einverstanden ist.” “Ja. Das wir sie sicher.” Und ihre Augen blitzten auf als sie danach grinste.

Der erfahrene Ritter Runegard hatte es sich vorbehalten und sich aus den Unterredungen rausgehalten. Stattdessen hatte er die Szenerie beobachtet und sich ein Bild gemacht. Tatsächlich befand er es für durchaus interessant welche Gespräche geführt wurden und vor allem welche Einblicke diese gewährten.

Gäste unter dem Sonnenschutz (Mittig)

Direkt vor dem Sonnenschutz stand die bunt gekleidete Bardin Nordrun und half den Gästen ihren richtigen Pavillon zu finden. Die alternde Schönheit war in samtenen und äußerst farbenfrohen Wams, Hose und Hut gekleidet und trug ihr kastanienrotes Haar offen. ´Was für ein durcheinander. Ob das nur gut geht.´ Sie bemühte sich um ein Lächeln. ´Was hatte sich die Familie nur dabei gedacht. Eine Brautschau? Ein verrückter Einfall.´ “Verzeiht junger Herr, das ist der Pavillon für die hohe Herrschaft … aber ihr könnt hier gerne Platz nehmen.” Der pikierte Blick des jungen Edlen sprach Bände. ´Nur nicht aus der Ruhe bringen lassen´. “ Ja, euer Wohlgeboren, ihr seit auf den richtigen Weg. Genau, der Pavillon mit den 2 Stufen.” Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und wandte sich den nächsten Gast zu. “Kommt ruhig zu mir, ich glaube ihr seid hier richtig …” sprach sie den nächsten Gast an.

Voll Neugierde und Vorfreude nahmen die beiden Basen aus dem Haus Ahnwacht die Szenerie in sich auf. Irgendwie war es aufregend und so schnatterten Aurelia und Lechdane fröhlich vor sich hin, während sie sich dem Pavillon näherten. Bereits unter dem Pavillon hatte sich der in Elenvina ausgebildete Krieger Arsan Thomundson eingefunden. Direkt neben ihm saß der kaum 20 Götterläufe zählende Angrond von Fuchsberg, eigentlich war dieser noch Knappe, jedoch hatte seine Mutter darauf bestanden dass er an dieser Brautschau teilnehmen sollte. So war es ungewohnt für ihn nicht seinem Schwertvater aufzuwarten, sondern stattdessen dem Landsmann aus Vairningen zu begleiten.

“Schaut mal Meister Corwyn. Hier ist nicht so viel los wie an den anderen Zelten.” Lininaj versuchte ruhig zu gehen, schaffte es aber nicht jeden ihrer Hüpfer zu unterdrücken. Das Mädchen sah sich immer und immer wieder um, konnte aber keine Kinder erkennen, die in ihrem Alter waren. Überall nur ältere Mädchen und bereits erwachsenen Menschen, die mehr oder weniger versuchten, sich von ihrer besten Seite zu zeigen, wie sie vermutete. Corwyn lächelte leicht in sich hinein und schien sich von seiner Schülerin über den Platz leiten zu lassen. Am Sonnenschutz hielt er an und pfiff leise. Lininaj drehte sich zu ihm um. “Komm junger Floh, ich glaube hier unter den Sonnenschutz bleiben wir erst mal und schauen uns an wen wir sehen und das in Ruhe.” Mit einer Hand auf ihrer Schulter des Mädchens führte er das Kind im Schatten und nickte der Bardin Nordrun zu. “Rahja zum Gruße. Soll ich meine Schülerin um eine Becher Wasser schicken? Ihr scheint dazu gerade keine Zeit zu haben, und könntet einen gebrauchen.”. “Oh ..ja, sehr aufmerksam, Ritter von Dürenwald. Aber um ehrlich zu sein, könnte ich einen Wein gebrauchen!” Die Bardin lachte mit einer dunklen Stimme. Sie klopfte ihm auf die Schulter. ”Aber macht euch keine Sorgen um mich, ich werde noch zum trinken kommen. Und ihr könnt ja schon mal Ausschau halten, ob nicht eine Braut für euch herumläuft.” Nordrun zwinkerte ihm verschwörerisch zu. “Einen Wein? Wenn ihr meint den jetzt schon zu benötigen, dann werden wir auch einen solchen euch kredenzen,” erwiderte er mit einer galanten Verbeugung der Bardin. “Lininaj?” “Bin schon weg Meister.” rief das Mädchen über die Schulter bereits schon Richtung Küchenzelt unterwegs. Dann blieb es plötzlich stehen und drehte es sich nochmals um. “Dunkel oder hell? Welchen wünscht ihr denn?” “Rot wirds tun.” rief sie dem Mädchen hinterher. Corwyn lachte leise. “Ich bin nicht auf der Suche nach einer Braut, was nicht bedeutet dass meine Schwester es nicht gerne hätte wenn ich mich binden würde,” und mit einem ebenfalls verschwörerischen Zwinkern zu Nordrun “Seit ihr denn noch frei schöne Dame?” Nordrun lachte auf. “Habt dank für eure netten Worte, euer Wohlgeboren. Mein Ehemann hat euch schon begrüßt. Er ist der Gartenmeister hier, Rahjagoras vom Lilienhain.” Dann legte sie Nachdenklich den Kopf zur Seite. “Verzeiht meine Unwissenheit. Ihr seid der Herr von Dürenwald? Dann habt ihr ein Platz im Pavillon der Niederadligen.” Sie deutet auf den rechtsseitigen Pavillon. “Ihr könnt aber natürlich auch hier unter dem Sonnenschutz platz nehmen, wenn ihr möchtet.”

“Herr von Dürenwald? Das wäre ich gerne. Noch ist das aber mein Vater Rupertus, PERaine habe ihn seelig. Um nach ihm Herr des kleinen Weilers zu werden müsste ich meine älteren Geschwister erst zu Boron schicken. Das habe ich jedoch nicht vor.” Der Ritter lachte herzlich der rothaarigen Gauklerin zu. “Ich bin das, was man eine schlechte Partie nennt. Landlos, ohne Reichtümer und als im garethschen geschlagener Ritter das war sich jede Dame in den Nordmarken wünschen dürfte.” Mit in die Hüften gestützten Händen vollführte er eine Drehung um sich selbst und posierte hernach theatralisch selbstbewusst vor der älteren Frau. “Aber ich habe mich, meinen Kopf, meine Stimme und meine Laute. Wäre ich nicht doch etwas für euch?” Dann fiel jedes theatralische Gehabe von ihm ab und zuckte schelmisch lächelnd mit den Schultern. “Ich bin mir sicher, ihr habt mit eurem Gatten eine gute Partie gemacht und er mit euch. Einer hübschen Frau darf man jedoch immer schöne Worte schenken. Gebunden oder nicht. Ich hoffe er wird mich deshalb nicht fordern. Ich vertraue dass ihr bei Ihm ein gutes Wort für mich einlegen würdet, wenn er dies doch in Erwägung ziehen sollte.” “Mein Mann wäre enttäuscht, wenn ihr mir keine schönen Worte schenken würdet. Er ist Akoluth der Rahja und wir fördern Barden und Bänkelsänger. Ihr seid herzlich willkommen unsere Gäste hier mit eurer Kunst zu begeistern und die Liebe in den Herzen zu schüren.” Kurz wurde sie von der jungen Schülerin unterbrochen, die ihr den Kelch mit Rotwein reicht. “Habt dank!” Nordrun nahm einen tiefen Schluck. “Ihr müsst mich leider entschuldigen, andere Gäste brauchen meine Hilfe zur Sitzplatzfindung.” Sie zwinkerte beiden zu und wandte sich dem nächsten Gast zu.

Die beiden Vettern, Ritter Dorcas von Paggenfeld und der Ingerimmgeweihte Belfionn vom Schlund, suchten sich ihren Platz unter dem Sonnenschutz und betrachteten das Spektakel. Die beiden großen Männer scherzten jetzt schon lauthals mit einander und hielten die Mägde auf trab, den die kleinen Krüge mit dem Schnaps schienen nicht viel herzugeben. Während Belfionn immer wieder zum Küchenzelt rüber schielte, schaute Dorcas nervös in die Menge der eintreffenden Gäste. Doch dann sah er ein bekanntes Gesicht. Sogleich sprang er auf und lief ihm mit großen Schritten entgegen. “Nivard, was für eine Freude!” Mit weit geöffneten Armen hielt er auf den kleineren Krieger zu. “Dorcas!” Nivard beschleunigte ebenfalls seine Schritte und fiel Dorcas freudig in die geöffneten Arme. Gegen den nicht nur langen, sondern auch muskulösen Hünen aus Paggenfeld wirkte der hagere Tannenfelser, obgleich ein wohl geübter Krieger, wie ein kleiner Hänfling. “Wie schön, Dich hier zu treffen! Wie ist es Dir seit letztem Sommer ergangen? Bist Du hier auch auf der Suche nach einer Gemahlin? - Oh, bitte verzeih, wie unhöflich von mir, darf ich Dir meine Schwester Ringard vorstellen? Ringard, das ist der Hohe Herr Dorcas von Paggenfeld. Wir haben im vergangenen Rondra so einiges zusammen erlebt, nicht wahr, Dorcas?” Mit einem Aufschlag ihre gräulich blauen Augen reichte Ringard dem stattlichen Ritter ihre - obgleich bereits häusliche Arbeiten gewohnt - noch zarte rechte Hand entgegen. Ihre ausgesprochene schlanke Statur und ihre trotz aller Mädchenhaftigkeit recht ähnlichen Züge verrieten sie deutlich als die Schwester des neben ihr stehenden Nivard. “Sehr erfreut, hoher Herr. Jetzt habt ihr mich neugierig gemacht - ihr beide müsst mir unbedingt von Euren gemeinsamen Abenteuern berichten!”

Trotz der großen Hände nahm er sanft Ringard Hand und hauchte einen Kuss darauf. “Wie ich sehe, hat die liebreizende Rahja euch all das gegeben, was sie bei euren Bruder vergessen hatte.” Mit einem charmanten Lächeln begegnete er ihr und zwinkerte Nivard zu. “Hat der Schuft euch nichts erzählt? Von all den Bädern in Schwefelquellen und Liebesabenteuer?” Er lachte laut und legte dem Krieger einen Arm um die Schulter. “Nun, ich bin jetzt Hausritter der Baronin von Schweinsfold. Und da es jetzt die Brautschau gibt, dachte ich mir mal zu schauen, was Rahja so zu bieten hat.” Dann grinste er. “Wenn Elvan sich aber vorstellt, dass ich in seine Sippe einheirate, dann hat er sich geschnitten. Ich will eine Rose als Frau und keine Nelke!” Wieder lachte der Ritter. “Wollt ihr beide zu uns gesellen? Mein Vetter Belfionn ist auch hier.”

Ringard fühlte sich sehr geschmeichelt und schenkte Dorcas ihr liebreizendstes Lächeln. “Von Bädern in Schwefelquellen und Liebesabenteuern hat Nivard mir in der Tat noch gar nichts erzählt - ich hätte niemals geahnt, welch aufregendes Leben er abseits von Nordgratenfels und offensichtlich auch abseits des Kriegerhandwerks führt. Ich bin sehr gespannt, aus Eurem Munde von Euren Erlebnissen und die Wahrheit über meinen Bruder zu erfahren!” Gerne hatte sie gehört, dass der junge Ritter sich im Gegensatz zu Nivard noch nicht auf eine der Altenberger Kandidatinnen festgelegt hatte. Auch der junge Krieger hatte es mit großem innerem Wohlwollen vernommen, dass Dorcas offensichtlich die schönste Rose im Garten der Altenberger übersehen hatte und er daher wohl nicht gegen diesen konkurrieren musste. Außerdem freute er sich für diesen: “Mein Glückwunsch zu Deiner neuen Position - Hausritter der Baronin, das kann sich mehr als sehen lassen. Wie gefällt Dir bislang der Dienst für Deine neue Herrin? Gerne setzen wir uns zu Euch, nicht wahr Ringard? Wer ist denn genau Dein Vetter?”

Dorcas wies mit der rechten Hand auf den Schattenplatz und lächelte dabei. “ Der Dienst bei der Baronin ist sehr verantwortungsvoll und nimmt viel Zeit in Anspruch, aber das gefällt mir. Wie ist es Euch ergangen nach unseren Abenteuer?” Der große Recke blickte unter dem Sonnenschutz und sah, das sich Belfionn erhoben hatte und im Gespräch mit einer schönen Frau war. “ Wir sollten auf jeden Fall unser Wiedersehen im Namen Rahjas begiessen mit einen schönen Wein. Hey, Du! Hübsche Magd! Könntest du uns ein Krug Wein und zwei Becher unter dem Sonnenschutz bringen? Mein Dank sei Dir gewiss!” Das haben zwei Mägde mitbekommen und rannten in das Küchenzelt. Kurze Zeit später standen zwei Mägde mit zwei Krügen Wein und vier Becher an Dorcas und Belfionns Platz. “ Bei Rahja, das nenne ich mal sehr flott. Aber ich danke euch beiden von ganzem Herzen. Lasst alles hier stehen, wer weiß, wer sich noch zu uns gesellt.” Dorcas küsste den beiden Mägden aus Dank die Handoberfläche und lächelte sie an. Er drehte sich zu seinen Gästen:” Bitte setzt euch.” Dorcas füllte die Becher mit Wein und gab die Becher seinen Gästen. “ Auf Rahja!” Er trank in einen Zug den Becher aus.

Nivard zögerte kurz, ehe er Mut fasste und ein “...auf Rahja!” erwiderte. Noch immer war er sich alles andere als sicher, ob genau diese Göttin es gut mit ihm meinte. Andererseits, wozu war er hier, wenn er nicht dennoch darauf hoffte. Ansonsten wäre alles vergebens. Dann wiederholte er etwas fester: “Auf Rahja - möge sie uns und unseren Herzen gewogen sein.” “Auf Rahja!” stimmte auch Ringard ein. Dann begann Nivard zu erzählen: “Nun, ich habe inzwischen bei den Plötzbognern angefangen, und bin auf meinen Geleitschutzmissionen schon ganz schön im Raulschen Reich herumgekommen - meine erste Reise tat ich im Übrigen als Bedeckung für Rajalind von Zweibruckenburg - Du erinnerst Dich sicher an sie.” Dabei zuckte ein Lächeln über sein Gesicht. “Ich danke aber dem launenhaften Herrn Efferd auch immer wieder gerne für die sichere Rückkehr nach Elenvina!” Nivard war sich sicher, dass Dorcas verstand, was er meinte. Was - oder besser wer - ihn zu einem Tempelgänger des Gottes der Fluten machte. Und über wen zu sprechen ihnen beiden untersagt war. “Zuletzt war ich auf Einladung Borindarax’ auf der Einweihung der Jagdhütte in Nilsitz - Elvan hat Dir sicher schon berichtet. Dort habe ich jene eine Rose erblickt, die ich heute gerne in meinem Garten sähe.” “Und die ich überhaupt gerne einmal sehen würde!” fiel Ringard ein. “Kennt Ihr diese Gelda? Sie ist mit Nivard zusammen Jagdkönigin von Nilsitz geworden, müsst Ihr wissen!”

“Meine Lieben, ich weiß dass das Wirken von Rahja mit einen etwas im Inneren macht. Aber das muss man zulassen. Nivard, Rahjas Geschicke führten Dich hierher und Du musst jetzt diese Kraft in Dir nutzen und deiner Auserwählte von deiner Liebe zu ihr wissen lassen.” Dorcas drehte sich zu Ringard ”Du wirst sie schon sehen.” Dorcas zwinkert Ringard zu ”Das hier ist eine Brautschau. Wie man sie überall macht um die Ledigen in einer Familie unter die Haube zu bekommen, aber ich spüre Rahjas Macht hier sehr stark und sogar mein Vetter Belfionn, ein Ingerimmgeweihter, spürt ihr Wirken an diesen Ort, denn er unterhält sich auch sehr innig mit einer hübschen Dame. Und Du Ringard, wirst hier bestimmt auch etwas finden.” Dorcas hebt sein Humpen:” Auf Rahja!”

“Du hast wohl Recht, Dorcas. Auf Rahja!” stieß Nivard ein weiteres Mal auf die liebliche Göttin an. Ob er diese selbst in seinem Herzen spürte, oder eher deren im Weine steckende Macht in seinem Kopfe - was machte dies schon für einen Unterschied. Wenn es doch nur seinen Mut bestärkte und ihm die Zuversicht schenkte, heute zu tun, wonach sein Herz ihn drängte! Auch wenn die große Zahl der Anwesenden dieses Unterfangen sicher nicht leichter machte. “Möge sie der Liebe in unseren Herzen Erfüllung schenken. Und auf Rondra, auf dass sie uns darin bestärke, genau dafür zu kämpfen!” Ringard sah ihren Bruder aufmerkend an. Den musste es ganz schön erwischt haben, wie er so daherredete. Und der schmucke Ritter in ihrer Gesellschaft gefiel ihr durchaus. Nicht nur durch seine Größe vermittelte er ihr ein Gefühl von Stärke, die mit einer Leichtigkeit einherging, die sie beispielsweise von Nivard gar nicht kannte. “Auf Rahja!” prostete sie dem Ritter erneut lächelnd zu. “Ich teile Deine Zuversicht, Dorcas. Der Tag lässt sich ausnehmend vielversprechend an. Rahjas Segen scheint in der Tat auf diesem zu liegen.” Sie sah kurz in die Richtung, in der sich Dorcas’ Vetter befinden sollte, wandte sich dann aber wieder ihrem Gesprächpartner zu. “Jetzt bin ich aber immer noch sehr auf euer beider gemeinsamer Schwefelbäder und Liebesabenteuer gespannt - bitte spannt mich nicht mehr länger auf die Folter!”

“Wir waren in Gratenfels und haben nach einem Schmuckstück für eine Braut in den Schwefelbädern gesucht. Und als dein Bruder die Besitzerin des Schmuckstück sah, war es um ihn geschehen. Er sang der Holden ein Liebeslied nach dem anderen!”, log er und lachte. “Nivard!” entfuhr es Ringard erstaunt. “Was höre ich da von Dir!” Diesem hatte sich angesichts Dorcas’ frecher Mär ein Schluck Wein in der falschen Kehle verirrt, der gerade in einem lauten Husten seinen Weg nach draußen suchte. Zwischen seinen Hustenschüben war ein ächzendes “Glaub ihm kein Wort!” zu vernehmen, gefolgt von einem keuchenden “Es war ganz anders…” Wenn Dorcas doch nur von seinen neuesten Erlebnissen im Auftrage Grimbertas wüsste… und dieser verdammte Schluck endlich aus seiner Luftröhre wäre... “Nivard, alles in Ordnung?” mischte sich etwas Sorge in Ringards heitere Erstaunung. Lachend klopfte der Ritter Nivard auf dem Rücken. “Vielleicht war es nicht ganz so. Aber so möchte ich es in Erinnerung behalten.” Unter dem Klopfen Dorcas' löste sich der fehlgeleitete Schluck aus Nivards Kehle. "Danke. Der war hartnäckig..." Langsam fand der junge Krieger seine gute Laune wieder. "Du sagst es, ganz so war es nicht. Und wir hatten ein Fläschchen Tannspitz dabei - der und die Schwefeldämpfe sorgen bei jedem für seine ganz eigenen Erinnerungen! Aber das weiß mein Schwesterchen genauso gut, nicht wahr Ringard?" Diese schüttelte belustigt ihr Haupt. "Soso, irgendwann finde ich noch heraus, was ihr beide so einmütig verschweigt, das sage ich Euch!"

Verwirrt nähere sich Sina dem Haufen. Hier war sie wohl richtig, als jüngere Schwester einer Junkerin. Sie ließ sich registrieren und ging dann etwas abseits, um die Masse um sich zu beäugen. Sie gab sich Mühe, so hatte es ihre Schwester ihr eingebläut, keine Vorurteile zu haben. Nicht einfach. Befionn schaute eine Weile in Richtung des Küchenzeltes, als er bemerkte das sein Vetter aufgestanden war, um Leute zu begrüßen. ´Och, so viele Leute … Adlige.´ Der Geweihte des Feuergottes verdrehte die Augen. Ja, er war in den Nordmarken geboren. Und ja, seine Mutter war eine Niederadlige. Doch die meiste Zeit seines Lebens verbrachte er im Tempel am Schlund. Die Welt hier war ihm fremd. Doch nach den Ereignissen in Perricum, er war Zeuge der kurzzeitigen Besetzung des frevlerischen Haffax, zog es ihn zurück in die Heimat seiner Familie. Die Einladung zu einem Fest kam ihm gelegen und er mochte seinen Vetter Dorcas. Aber war er bereit eine Braut zu suchen? Er war sich nicht sicher. Plötzlich riß das Erscheinen einer interessanten Frau in einem schwarzen Kleid seine Aufmerksamkeit. Der große Mann mit den breiten Schultern erhob sich. Belfionn trug das schwarze Haar zu einem langen Zopf geflochten und trug über seinem linken Auge eine schwarze, lederne Augenklappe. Ein Bartschatten betonten seine markanten Gesichtszüge. Er trug ein rotbraunes, enges Leinenhemd, darüber eine Schmiedeschürze, die um der Hüfte von einem schwarzen und breiten Ledergürtel mit einer bronzenen Gürtelschließe zusammengehalten wurde. Seitlich an einem Haken hing eine Laterne und an der anderen Seite ein Halfter mit einem Schmiedehammer. Die kräftigen Oberarme waren frei und offenbarten verschlungene Brandmale. Mit tiefer Stimme sprach er sie an. “Den Göttern zum Gruße, edle Dame. Ich bin Belfionn vom Schlund. Kann es sein, dass ihr einen guten Platz sucht? Neben mir ist noch einer frei, er liegt auch gut im Schatten.” Mit einer einladenden Handgeste wies er auf die Bank unter dem Sonnenschutz.

Unwillkürlich wich Sina erst einen Schritt zurück, dann lächelte sie freundlich. „Rahja zum Grüße, Belfionn.“ So gewann man Zeit. Sie war sich noch nicht sicher, wie sie den Kerl einschätzen sollte. Augenklappe: verdächtig. Schmiedeschürze und starke Arme: mitreisender Schmied und/oder Geweihter. Beides bessere Zeichen. Initiative und gepflegte Wortwahl… „Aber gerne doch, Sina Artigas ist mein Name,den Rest erfahrt ihr an eurem guten, schattigen Platz.“ Sie bot dem Mann ihren Arm, schielte noch einmal kurz zu ihm und ließ sich dann brav führen. ´Vielleicht hatte Dorcas recht und die Liebliche ist heute sehr präsent.´ Der Geweihte des Feuergottes führte die edle Dame zu dem Tisch und wartete bis sie sich setzte. Dann goß er beiden von dem Beerenschnaps ein. “Woher stammt ihr, kommt ihr auch aus dem Gratenfelsischen?” Sina roch an dem Schnaps, ihre Mundwinkel zuckten kurz und skeptisch runzelte sie die Stirn. "Auf einen schönen Tag." Sie prostete Belfionn zu und nippte etwas an dem Gesöff. "Gratenfels ? Sehe ich so aus, mein Herr ?" Natürlich nicht, dachte sie und biss sich leicht auf ihre Unterlippe. "Ratet nochmal. Und ich behaupte, dass Ihr der Schmied eines... Sagen wir mal, unsicheren, etwas weichlichen jungen Ritters seid, dessen Familie meint, er solle endlich eine Frau finden." Sina verschränkte ihre Arme und lächelte herausfordernd. Fast hätte Belfionn sich verschluckt. “Ein Schmied für einen Ritter? Ich diene nur einem und das ist der feurige Herr Ingerimm. Ich bin ein Geselle des Ingerimm. Mein Heimattempel ist direkt am Schlund. Ich bin gerade auf reisen, um meine Familie auf Gut Paggenfeld zu besuchen.” Er nahm nochmals einen Schluck vom Schnaps und musterte Sina noch einmal. “Ich begleite nur meinen Vetter Dorcas, der ist auf Brautsuche. Nun, wenn ihr nicht aus dem Gratenfelsichen stammt, dann wohl ausserhalb der Nordmarken, wo einem der Herr Ingerimm nichts sagt. Und ihr seit eine Zofe einer Adligen?” Belfionn grinste.

"Ah, also ein Geweihter und sein Vetter Dorcas. Welcher der Herren ist es denn ?" Sina sah sich etwas um. "Der kleine Giftzwerg da hinten oder gar sein Streitpartner, der etwas steife Herr, der die Frau geküsst hat ? Oder... der Ritter gleich hier, der seinen Mund nicht von den Mägden lassen konnte ?" Sie sahm den Schnaps und trank ihn in einem Zug, worauf sie erfolglos einen kleinen Hustenanfall zu unterdrücken versuchte und recht rötliche Backen bekam. "Ähm... Mehr habe ich noch nicht beobachtet. Und ja, ihr habt es bemerkt, dass ich erst seit ein paar Monden in den Nordmarken verweile. Das habe ich meiner Schwester zu verdanken." Ob sie dies positiv oder negativ bemerkte konnte man aus ihrem Gesicht nicht ablesen. "So, Euer Gnaden, nicht wahr ? Zofe ? Vielleicht, aber adelige Zofe, wenn man es so nennen will und ich bin alleine hier.Hübsche Laterne übrigens. Sowas sieht und erwartet man hier nicht unbedingt" Sina spielte mit einer Strähne ihres langen Haares und sah Belfionn in sein verbliebenes Auge. "Digame. De donde vengo?" Belfionn hätte sich beinahe verschluckt. Führt die Schwester Rahja die Geschicke dieser jungen, sehr hübschen Dame? Obwohl Belfionn nur Dorcas begleitet, bekam er jetzt eine Ahnung von einer Brautschau. Er dachte:´ Bei Ingerimm! Sie gefällt mir.´ “ Dorcas?” Er schaut sich um und erblickt den blonden Hünen und zeigt mit seiner stark vernarbten rechten Hand in die Richtung. “Dort ist er! Der große Blonde, der so laut lacht.” Belfionn widmet sich dann sofort wieder der schönen Sina: “Digame. De donde vengo? Es hört sich sehr schön an wie Ihr es sagt. So zart. Was hat das für eine Bedeutung?” Er nahm seine Laterne vom Gürtel und stellt sie auf dem Tisch.” Ingerimms ewige Flamme ist dort drin verwahrt.”, sagt er mit einem leicht schüchternen Lächeln und wartet noch auf die Antwort von Sina.

Sina war zunächst ablehnend und eher grantiger Stimmung gewesen. Als Belfionn die Lampe auf den Tisch stellte und er ihr deren Bewandtnis erklärte, musste sie lächeln. Sie fand es nett. So wich sie von ihrem üblichen Verhalten ab. Sie berührte die Lampe vorsichtig. “Es ist also ein Heiligtum, welches ihr immer bei euch habt, das ist ...schön.” Sie schlug die Augen auf und es funkelte in ihnen, amüsiert, spielerisch. “Nunca has oido la lengua de Almada. Que pena. Wie schade. Ich komme aus Almada. Viele sprechen dort noch so. Aber egal. Was bringt Euch dazu, Euren Verwandten auf eine Brautschau zu begleiten ?” “Ich war in der Gegend. Und mein Vetter Dorcas ist oft ungestüm. Nicht das er mit der Küchenmagd verlobt wäre hiernach. Mein Oheim wäre darüber nicht sehr glücklich.”, sagte er lächelnd, doch der Blick verriet ihr, das der Geweihte von einer eigenen Erfahrung sprach. “Dann sind wir also beide noch nicht lange in den Nordmarken. Ich versuche mich hier wieder Heimisch zu fühlen, ich war viele Jahre weg. Meine Familie, deren von Paggenfeld, führen ein eigenes Gestüt Pferde. Die beste Zucht im Gratenfelser Becken. Was sucht ihr in einem möglichen Ehepartner, liebste Sina?” “Aha, Ihr sollt dafür sorgen, dass er keine Dummheiten macht und sich wirklich mit einer standesgemäßen Frau beschäftigt.” Sina beobachtete diesen Dorcas kurz und spielte mit einer ihrer langen Haarsträhne. “Hm.. das mit den Pferden wäre etwas für meine Schwester, sie ist Zuchtmeisterin. Ihr zieht Elenviner , oder ?” Belfionn spürte erstmals, dass die hübsche Frau nicht nur kurzweilig spielte, sondern echtes Interesse zeigte. “Für Euch ist das auch ein quasi fremdes Land ? Erzählt mir davon. Seid Ihr im Namen Eures Gottes unterwegs gewesen?”

“Ja, das Gestüt züchtet diese Rasse. Das würde ich jetzt nicht sagen, dass das Land fremd für mich ist. Ich wuchs hier auf, bis ich an den Schlund kam und meine Ausbildung und Weihe bekam. Und ja”,er zeigt auf die Laterne,” das ist eine heilige Flamme des Herrn Ingerimm. “Wenn ich unterwegs bin, dann bin ich immer im Namen meines Gottes unterwegs.” Belfionn musste anfangen zu lachen. “Ich glaube, das habt ihr nicht gemeint mit ´fremdes Land´´, oder?” ´ Mein Gott bin ich ein armer Tropf! Ja das ist Neuland für mich.´ Belfionn wurde rot vor Scham. “ Ich kam als Begleitung und ´Amme´ für meinen Vetter, aber ich glaube das könnte was anderes werden.” Er versucht ganz sachte und schüchtern mit seinen Fingern ihre Hand zu berühren. Sina lächelte amüsiert. „Wie niedlich, Belfionn...aber der Spaß hat doch gerade erst begonnen.“ Sie nahm seine Hand in die ihre und betrachtete die Schwielen und kräftigen Muskeln des Unterarms, die von harter Arbeit zeugten. „Wir müssen uns beide noch etwas umsehen, aber Ihr habt meine Aufmerksamkeit.“ Sina fischte geschmeidig etwas aus ihrem Täschchen. „Hier, ein kleiner Amethyst, als Zeichen, dass wir uns später auf der Brautschau Wiedersehen. Wir sind es den Gastgebern ja schuldig, uns alle Werber und Werberinnen anzuschauen.“

“ Bei den Göttern, bei Rahja!” dachte sich Belfionn, der sein Herz bis zum Hals spürte. Mit leichten Zittern schloss er seine Hand und spürt darin ihr kleines Steinchen. “ Das ist von ihr!” dachte er sich und öffnete seine Faust wieder, um ihn nochmal zu betrachten. Danach steckte er ihn ein und blickte ihr erwartungsvolll hinterher. Belfionn leerte seinen Becher mit einem Zug und suchte seinen Vetter Dorcas um von Sina zu erzählen. Er musste nicht lange suchen, denn Dorcas stand mit zwei Personen und erzählte laut und mit großen Gesten. Belfionn ging zu ihnen. “Ingerimm zum Gruße!”

“Ingerimm zum Gruße, Euer Gnaden” erwiderte Ringard noch vor ihrem Bruder den Gruß des Geweihten. Nivard nickte diesem derweil zu, fiel seiner Schwester jedoch nicht ins Wort. “Euer Vetter war bereits so freundlich, Euch uns vorzustellen! Wenn Ihr gestattet, Ringard von Tannenfels aus der Baronie Ambelmund. Und das ist mein Bruder Nivard.” Vom Wein und dem lockeren Gespräch keck geworden, fuhr sie fort: “Dorcas deutete mir bereits von seinen und meines Bruders abenteuerlichen Erlebnissen. Stürzt ihr Euch ebenso gerne wie diese beiden in Schwefelbäder und amouröse Abenteuer?” Verwundert kniff Belfionn die Augen zusammen. “Bei Ingerimm, in solch einer stinke Grube würde ich nie baden wollen. Ich würde euch das auch nicht empfehlen, junge Dame.” Fragend schaute er kurz seinen Vetter an, ließ die Geschichte aber gehen. “Ihr zwei seid also hier, jemanden zum heiraten zu finden? Schon einen Edelmann im Auge?”fragte er Ringard direkt. “Bislang schaue ich mich um und freue mich an der sehr unterhaltsamen Gesellschaft” erwiderte Ringard, wobei sie Dorcas lächelnd anblinzelte. “Anders als manch anderer,” ihr Seitenblick streifte Nivard “bin ich ohne Festlegung für einen bestimmten Edelmann hierhergekommen. Ist Euer Herz denn schon für eine der Damen hier eingenommen?” fragte sie neugierig zurück. “Zu meiner Überraschung hat sich etwas überraschendes aufgetan.” Sein Blick schweifte von Ringard ab, während er mit einen Amethysten zwischen den Finger spielte. “Eine almadanische Schönheit …”murmelte er vor sich hin. "Von soweit her kommen die Werber zu dieser Brautschau?" Ringard war sich nicht ganz sicher, ob dies mehr Konkurrenz bedeutete. Oder die Chance auf eine noch mondänere neue Heimat. Jedenfalls war sie neugierig auf die 'überraschende Überraschung'. "Mögt ihr von Eurer almadanischen Schönheit berichten?" Er schüttelte den Kopf und verneinte damit. Wie es schien, war Belfionn mit seinen Gedanken ganz wo anders. “Ich hole mir ein Bier.” Sagte er zu dem jungen Mädchen und ließ sie stehen.

Zwei großgewachsene, gutaussehende Gestalten näherten sich dem Sonnensegel. Geführt von Linnart vom Traurigen Stein suchte Andesine von Wasserthal einen freien Stuhl. Die großgewachsene, schlanke Frau in dem figurbetonendem Kleid und den langen schwarzen Haaren musterte ihre Umgebung aus blauen Augen, die von einem inneren Feuer beleuchtet schienen. Ihr herzliches Lächeln unterstrich ihre Schönheit noch zusätzlich. “Rahja zum Gruße.” begrüßte sie die Anwesenden. Angetan von der galanten Art Linnarts ließ sich die Ritterin nur zu gerne an der Tafel nieder. Sie sah zu ihm auf und suchte seinen Blick. “Habt Dank, mein Hoher Herr.” Mit den Fingerspitzen tippte sie zweimal kaum merklich auf den Platz neben sich. Ein fragender Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Würde er sich zu ihr setzen oder einen anderen Platz - in der Nähe seiner Schwester vielleicht - suchen?

Linnarts aufmerksamer Blick bemerkte die Geste der Ritterin und er entgegnete ihr ein knappes Nicken. "Ich hole uns etwas zu trinken." Der junge Ritter lächelte. Ihm war bewusst, dass dies eigentlich die Aufgabe des Personals war. Ebenso war ihm jedoch bewusst, dass gutes Personal schwer zu finden war und er bezweifelte, dass es hier einen Sommelier gab. Es würde ihn beschämen wenn sich Andesine in seiner Gesellschaft mit dem zufrieden geben musste, das ein Bediensteter, der wohl nicht dazu befähigt war es zu beurteilen, für angemessen empfand. Als Linnartsteiner hatte er einen besonderen Zugang zu Alkoholika. Vor allem der Wein war der Mittelpunkt ihres Lebens und die Erzeugnisse seiner Familie bekannt und begehrt. Nach kurze Suche entfleuchte der Kehle des Bannstrahlers ein Seufzer. ´Schnaps´, er schüttelte den Kopf. Schnaps war etwas für Bauern und Zwerge, aber nichts für eine Dame und seiner Meinung auch nichts für solch einen Anlass. Sein suchender Blick ging über die versammelten Menschen. Konnte man hier tatsächlich keinen Wein bekommen? Was war mit den Fässern geschehen, die er als Geschenk hatte überbringen lassen? Wehmütig dachte er an den vorzüglichen süßen Weißen, den er gebracht hatte und den er in dieser Situation liebend gerne kredenzt hätte.

Im nächsten Moment huschte eine Maid vorbei, doch trug auch sie bloß die kleinen Stumpen voll mit Beerenschnaps. In einem Akt der Resignation und weil er Andesine nicht mehr länger warten lassen wollte nahm er zwei der kleinen Gefäße und wandte sich zur Tafel um. "Na Bruder, wie gefällt es dir hier?" Rahjalind stellte sich ihm lächelnd in den Weg und kurz schien es als wolle der Ritter einfach einen Bogen um seine Schwester machen. "Oder sollte ich dich fragen ... wie gefällt sie dir?" Frech knuffte sie seinen kräftigen Arm, dann wandte sich die Novizin zur Tafel um wo Andesine sie interessiert beobachtete. "Mein großer Bruder wird allem Anschein nach erwachsen", setzte sie spitz hinzu. Als Antwort folgte ein Augenrollen. "Erwachsen?" "Sie ist hübsch ...", flüsterte sie ihm zu, "... und so ganz anders als die Püppchen, mit denen du sonst so Umgang pflegst." "Püppchen?" Antwortete Linnart amüsiert, zog gespielt abschätzig eine Augenbraue hoch und musterte seine Schwester theatralisch. "Das sagst gerade du?" Abermals knuffte die Novizin ihren Bruder. "Du hast meine Frage nicht beantwortet ...", bemerkte sie dann lächelnd, "... gefällt sie dir?" Linnart blickte für einige Herzschläge an seiner nervigen Schwester vorbei hin zum Tisch. Als sein Blick den Andesines traf lächelte er. "Optisch ja und alles andere wird sich zeigen. Wir haben ja erst ein paar Sätze miteinander gesprochen. Und nun entschuldige mich bitte." Der Ritter löste sich von seiner Schwester und näherte sich mit elegant federndem Schritt seiner Tischdame. "Es gibt zur Zeit anscheinend nur Beerenschnaps ...", beinahe verlegen lächelte er sie an, "... ich hoffe er wird Euch gerecht. Wiewohl ich es bezweifle." Er reichte der Ritterin einen der Stumpen und setzte sich dann neben sie. "Zum Wohle!"

Ihre Wangen gewannen bei diesen Worten an Röte, Ihre Fingerspitzen berührten sich als Andesine den Becher entgegen nahm. “Ich danke Euch. Zum Wohl!” erwiderte sie Linnarts Trinkspruch und stieß mit ihm an. Vorsichtig nippte sie an dem Becher. Überrascht hoben sich ihre Augenbrauen, denn der Schnaps war wirklich gut. Der intensive Geschmack nach Beeren flutete ihre Sinne und ließ die Schärfe in den Hintergrund treten, während sich langsam eine wohlige Wärme im Magen ausbreitete. “Dieser Schnaps ist sehr gut. Wahrscheinlich soll er den Anwesenden dabei helfen ein wenig ungezwungener zu werden.” Nicht dass sie oder die Linnartsteiner das brauchen würden. Linnart schien, seinen ursprünglichen Worten zum Trotz, recht aufgeschlossen zu sein und seine Schwester, ...nun ja, Andesine hatte gesehen wie die Novizin Rondradin zum Abschied geküsst hatte. Aber das restliche Publikum schien ihr recht zurückhaltend zu sein. Sie beschloss ihre Aufmerksamkeit vollends demjenigen zu schenken der sie auch verdiente. Andesine suchte den Augenkontakt mit Linnart. “Ich würde gerne mehr über Euch erfahren, mein Hoher Herr.”

Linnart stellte den geleerten Stumpen auf den Tisch. "Liebend gerne, meine Dame. Ihr dürft mich fragen was Ihr wollt ...", antwortete er charmant, "... aber Ihr müsst mir versprechen es mir dann gleich zu tun." Er lächelte breit, wartete jedoch keine Antwort der Ritterin ab. "Geboren wurde vor 22 Sommern auf unserem familiären Gut im Herzen der Baronie Kyndoch. Mein Vater Thymon ist der Edle von Linnartstein, meine Mutter Adda entstammt der langjährigen, inzwischen jedoch in Ungnade gefallenen Kyndocher Baronsfamilie", der Bannstrahler machte eine bedeutungsschwangere Pause. Er war auch was unangenehmen Fakten, die seine Abstammung betrafen sehr offen; "Meine Familie beruft sich auf Sankt Linnart höchstselbst, meinen Namenspatron ...", er lächelte vielsagend, "... und wurde von Kaiserin Cella von Gareth höchstselbst in den Adelsstand erhoben. Ich habe zwei jüngere Schwestern. Rahjalind kennt Ihr bereits, sie dient als Zweitgeborene im Noviziat unserer Hausgöttin Rahja, wie es in unserer Familie seit jeher üblich ist. Cella, die Jüngste, leistet gerade ihre Knappschaft bei der Edlen von Rodenbrück ab. Sie ist ein regelrechter Wildfang und hält die Edle und ihren Sohn sehr auf Trab, wie man so hört." Linnart lächelte beim Gedanken an seine jüngste Schwester. Sie war eine regelrechte Plage und ihre enorme Energie schaffte es auch die ruhigsten Orte von einen auf den anderen Herzschlag in ein Tollhaus zu verwandeln. "Auf Initiative meiner Mutter hin leistete ich meine Knappschaft im Bannstrahlerkloster St. Aldec ab. Die Anlage des Ordens ist in Sichtweite zur Villa meiner Familie, inmitten unserer Weinberge und Mutter wollte durch mich die Bande zwischen meiner Familie und den Bannstrahlern stärken. Nach meinem Ritterschlag habe ich mich dem Orden auf heilige 12 Götterläufe verpflichtet und diene nun auf St. Aldec im Rang eines Lichtverehrers und Ritters unter meinem Großonkel, der dem Kloster als Abt vorsteht." Der Ordensritter hielt kurz inne, wusste er doch nicht ob die Ritterin sich mehr Informationen als seine kurze Lebensgeschichte erwartete, doch vertraute er darauf, dass sie bestimmt ergänzend nachfragen würde. "Und jetzt platze ich förmlich vor Neugier was es über Euch alles zu wissen gibt."

Die Ritterin lächelte ihn spitzbübisch an. “Da habt Ihr nun gesprochen ohne abzuwarten ob ich Euren Bedingungen überhaupt zustimme.” Ihre Finger spielten mit dem kleinen Becher, in dem sich noch immer ein Rest Schnaps befand. “Ich hätte da noch ein paar Fragen, allerdings werde ich sie erst später stellen. Zuerst will ich Eure Neugier befriedigen. Vor 25 Sommern wurde ich als erstes Kind des Frowin von Wasserthal und Jolenta von Wirselbach geboren. Sie waren einfache dienende Ritter in den Diensten des Barons von Tommelsbeuge. Dieser behielt meinen Vater auch nach seiner im Kampf erlittenen Erblindung in seinen Diensten - als Lehrmeister. Meinen jüngeren Bruder, Rondradin, habt Ihr bereits kennengelernt. Er verlebte sein Noviziat in Tobrien, genauer auf dem Kleinwartstein und Perainefurten. Erst vor 4 Jahren kehrte er in die Nordmarken zurück. Mutter starb in seiner Abwesenheit als ich 12 Götterläufe alt und Pagin am meilinger Baronshof war. Später wurde mir die große Ehre zuteil an der herzoglichen Knappenschule angenommen zu werden und dort meine Knappenzeit zu verbringen, bevor ich von Herzog Hartuwal den Ritterschlag erhielt. Zusammen mit einem guten Freund zog ich als fahrende Ritterin durchs Land.” Sie stockte kurz und ein Schatten schien ihr Anlitz für einen Herzschlag zu verdunkeln. “Dann kam der Aufruf zum Feldzug gegen Mendena. Um meinen Vater zu ehren trat ich in die Dienste des Barons von Tommelsbeuge. Leider währte dieser Dienst nicht lange. Er fand zusammen mit einem Gro seiner Truppen den Tod in der Tesralschlaufe im Kampf gegen von Magie beseelter Konstrukte.” Ihre Stimme brach beinahe an dieser Stelle und eine einzelne Träne rann ihre Wange hinab. Sie sog scharf die Luft ein und wischte sich eilig die Träne weg. “Bitte verzeiht, die Geschehnisse damals verfolgen mich bisweilen noch immer. Auch wenn es durch die Hilfe meines Bruders schon um Einiges besser geworden ist..Nach dem Sieg in Mendena kümmerte ich mich darum die sterblichen Überreste des tommelsbeuger Kontingents zurück in die Nordmarken zu schaffen, was durch die Hilfe einiger guter Leute auch gelang. Danach legte ich mein Schwert beiseite und kümmerte mich stattdessen um meinen Vater, der inzwischen aus den Diensten des neuen Barons von Tommelsbeuge entlassen wurde. Mein Onkel, der Edle von Gut Pappeln, dem Stammsitz der Familie Wasserthal hat mich als Vögtin des Guts bestellt. Leider ist es uns nicht möglich Wein zu keltern, dafür gibt es Weizen und Hopfen im Überfluss und so betreibt unsere Familie eine gutgehende Brauerei. Die Familie Wasserthal wurde während der kaiserlosen Zeit in den Adelsstand erhoben, nur war es bei uns der damalige Baron von Meilingen und keine Kaiserin, wie im Falle Eures Hauses. Unsere Familie ist seitdem den Herrschern von Meilingen eng verbunden und kümmert sich um deren Belange.” Nun nahm sie doch noch einen Schluck aus dem Becher und stellte ihn leer wieder zurück. “Meine Geschichte bietet leider nicht viele interessante Stellen, wofür ich mich entschuldige.” meinte sie entschuldigend lächelnd.

Auch Linnart lächelte ihr zu und schüttelte dabei den Kopf. "Es gibt nichts wofür Ihr Euch entschuldigen müsst ... wenn, dann sollte ich mich bei Euch entschuldigen." Der Ritter konnte das Wellental der Gefühle förmlich spüren, durch welches sein Gegenüber während ihrer Geschichte schritt. Er griff sanft nach ihrer Hand, hielt diese für ein paar Herzschläge, dann schlang er seine Finger zwischen die ihren. "Ich wollte Euch nicht betrüben, hohe Dame, nicht an diesem wunderbaren Tag. Gerade auch weil es Euer Lächeln versteht mir das Herz zu wärmen." Er versuchte ihr Gespräch von der erdrückenden Vergangenheit weg zu lenken. "Hinter unserem Familiennamen steckt im Übrigen eine erzählenswerte Geschichte ...", ja, das war sie in der Tat. Entweder Andesine würde darüber lächeln, oder es würde sie verschrecken, "... mein Urgroßvater Vito war der Sohn wohlhabender, aber gemeiner Weinbauern. Er war weithin bekannt für seinen schönen Wuchs und sein verwegenes Antlitz. Bei einem Bankett des Herzogs Hartuwal Gorwins des Ersten, bei dem auch Kaiserin Cella von Gareth anwesend war, wurde ihm die Ehre zuteil für die hohe Gesellschaft aufzutragen. Als die Kaiserin meinem Ahnen ansichtig wurde fand sie sofort Gefallen an ihm und entschloss sich dazu ihn mit sich nach Gareth zu nehmen. Sie verlieh ihm einen wertlosen Titel als ´Reichsminister für Weingenuss und der Kaiserin Lust´ und hielt ihn als persönlichen Sommelier und Gespielen." Linnart stoppte kurz und versuchte im Antlitz seines Gegenübers zu lesen.

Diese hatte sich gefangen und in ihren Augen konnte er Zuneigung lesen. Gleichzeitig spürte er wie sie seine Hand drückte. "Aber so schnell Vito ihre Gunst erworben hatte, so schnell war er sie auch wieder los. Einen guten Götterlauf später ließ die Kaiserin ihn wieder vom Hof jagen. Sie soll so außer sich gewesen sein, dass sie im Zorn meinte ihn wieder auf jenen traurigen Stein zu schicken, den er seinen Weinberg nennt." Der Bannstrahler musste schmunzeln. "Höchstwahrscheinlich hatte ihre kaiserliche Majestät den Namen ´Linnartstein´ vergessen, oder sie hatte ihn gar nie gewusst. Nun, der anwesende Schreiber hatte eben jenen zornigen Ausspruch der Kaiserin zu Protokoll genommen und da sie Vito zum Dank für seine Dienste auch in den Adelsstand erhoben hatte, wurde eben jene Niederschrift dem Herold vorgelegt, der unsere damals neu geschaffene Familie als derer vom Traurigen Stein in die Reichswappenrolle eingetragen hatte." Anfangs ärgerte sich Linnart über eben jene Entstehungsgeschichte seines Hauses, inzwischen nahm er es aber mit Humor. "Kein Ruhmesblatt für meine Haus, aber wichtig ist nicht was war, sondern was wir aus unseren Möglichkeiten und der Verantwortung als Adelige machen. Verantwortung gegenüber den Göttern, unseren Lehnsherren und unseren Schutzbefohlenen. Praios hat es gefügt und uns über die gemeinen Menschen erhoben, was wir daraus machen ist jedoch unsere Verantwortung. Genauso wie mein Ahne schnell wieder die Gunst der Kaiserin verloren hatte, kann es ohne weiteres auch uns passieren, dass auch wir Praios Gunst wieder verlieren." Immer noch hielt er Andesines Hand in der seinen seinen und es schien nicht so als würde er Anstalten machen sie in naher Zukunft wieder los zu lassen.

Als Linnart geendet hatte, beugte sich Andesine vor und küsste ihn auf die Wange. “Ich danke Euch, Linnart. Für Eure Worte, Eure Nachsicht, diese Geschichte und für… .” Sie sprach nicht weiter, sondern bedachte ihn einfach mit einem langen, liebevollen Blick. “Die Erlebnisse in Tobrien waren eine schlimme Erfahrung für mich, aber dank meines Bruders beherrschen sie mich nicht mehr und ich kann darüber reden.” Abermals drückte sie seine Hand. Sie genoss den Körperkontakt mit dem jungen Bannstrahler, der eine lang verstummte Saite in ihr anklingen ließ. “Euer Ahn war also Winzer, bevor er in den Adelsstand erhoben wurde. Das ist ein ehrbarer Beruf, wessen man sich nicht schämen muss. Ob er nun der Geliebte einer Kaiserin war, spielt da doch keine Rolle. Eher spricht es für sein Aussehen und seinem wohlgesetzten Umgang mit Worten, welche in Eurer Familie wohl an Euch weitergegeben wurden. Die Begründer meiner Familie waren damals Söldner als sie den damaligen Baron von Meilingen aus einem Hinterhalt retteten, der ihm ansonsten das Leben gekostet hätte. Zum Dank erhob er sie in den Adelsstand und zu seinen persönlichen Leibwächtern. Heute gehört die Familie Wasserthal zu den wichtigsten Familien in Meilingen. Gerade im Umfeld der Baronin werdet ihr einige meiner Verwandten antreffen. Gemeinhin gilt uns Rondra als Schutzgöttin der Familie und sowohl mein Bruder als auch meine Tante dienen ihr als Geweihte.” Kurz sann sie über die letzten Worte Linnarts nach. “Ich mag Euer Verständnis der Aufgaben, welche wir als Adlige zu erfüllen haben. Wobei mir in der Vergangenheit vor allem die Sicherheit meiner Schutzbefohlenen ein besonderes Bedürfnis war.” meinte sie ehrlich. Andesine musterte ihr Gegenüber ausgiebig und war augenscheinlich zufrieden mit dem was sie sah. “Mein voller Name ist Andesine Morena von Wasserthal. Ihr dürft mich gerne mit meinem Vornamen anreden, wenn Ihr dies wollt.”

"Sehr gerne, Andesine ...", er lächelte ihr dankbar zu, "... Ihr dürft mich gerne auch Linnart nennen." Kurz schien es als würde der junge Ritter einem ganz bestimmten Gedanken nachhängen. "Es ist wohl Eure Nähe zur Herrin Rondra, die dem Schutz Eurer Schutzbefohlenen die höchste Priorität zumisst." Linnart wog seinen Kopf. "Autorität ernten jene, die Schutz zu bieten wissen, lehrt uns die Kirche der Löwinnengleichen ... ein sehr ehrenvoller Grundsatz wie ich meine." Der Linnartsteiner blickte an sich herab. Sein Blick fiel auf das Sonnenamulett auf seiner Brust. "Es ist kein Geheimnis, dass das Verhältnis zwischen dem Orden vom Bannstrahl als der ehemalige Haustruppe der Priesterkaiser und der Kirche der Rondra vorbelastet ist, doch hoffe ich, dass dies alles hinter uns liegt. Die Krisen der letzten Götterläufe haben gezeigt, dass wir Seite an Seite für dieselbe Sache einstehen, auch wenn unsere Herangehensweisen sich vielleicht unterschieden haben." Sein Blick ging wieder hoch und lag dann interessiert auf dem Antlitz der Ritterin. "Und was die schweren Zeiten in Eurer Vergangenheit angeht - mein Großonkel sagt immer, dass jene, die fallen und sich selbst wieder aufrichten, so viel stärker seien, als jene, die nie gefallen sind." Kurz zuckte Linnarts Mundwinkel und seine Augen glänzten. "Wie stellt Ihr Euch denn Eure Zukunft vor? Ihr habt erzählt, dass Ihr als Gutsvögtin dient ... könntet Ihr Euch vorstellen Tommelsbeuge zu verlassen?"

Andesine stockte bei dieser Frage der Atem. Sie musterte Linnarts Gesicht und fragte sich was er mit dieser Frage bezweckte. Was sollte sie antworten? ‘Denk nach Andesine!’ Schließlich ließ sie den angehaltenen Atem langsam entweichen, als sich entschieden hatte offen und ehrlich zu antworten. “Ich habe noch keine konkreten Pläne für die Zukunft. Darüber wollte ich erst entscheiden, wenn ich weiß was die Brautschau für mich parat hält. Schließlich weiß ich nicht, wohin es mich eventuell verschlagen wird. Sollte ich einen Gemahl in Elenvina finden, so wäre eine Anstellung bei der Flussgarde denkbar. Oder ich bleibe doch weiter die Vögtin von Gut Pappeln, wobei ich hier ein Missverständnis aufklären muss. Das Edlengut liegt in Meilingen, nicht in Tommelsbeuge. Es tut mir leid, dass meine Ausführungen dahingehend für Verwirrung gesorgt haben.” Die Vögtin nahm sich vor, Linnart auf jeden Fall nach Pappeln einzuladen, egal ob sich zwischen ihnen etwas ergab oder nicht. “Ich kann mir auch gut vorstellen meine Stellung als Vögtin aufzugeben um mich um andere Dinge zu kümmern, meine zukünftigen Kinder zum Beispiel.” Aufmerksam beobachtete sie die Reaktion des Linnartsteiners.

Linnart hörte der Ritterin interessiert zu. Seinen aufmerksamen, eisblauen Augen entging ihre Unsicherheit nicht, die er mit seiner Frage allem Anschein nach ausgelöst hatte. Der Bannstrahler nickte ihr knapp zu und lächelte milde. "Das wäre dann das zweite Mal, dass ich Euch mit einer Frage in eine unangenehme Situation gebracht habe. Ich hoffe Ihr verzeiht mir meine oft etwas direkten Fragen. Es ist wohl meiner Profession geschuldet und ich bin ein sehr neugieriger Mensch, vor allem wenn mich mein Gegenüber derart in seinen Bann zu ziehen vermag. Ich danke Euch für Eure ehrliche Antwort, Andesine." Der Ritter ließ ihre Worte noch einmal in Gedanken Revue passieren. Sie waren beide zu einem ganz bestimmten Zweck hier und Linnart wollte gewisse Dinge, die er als wichtig empfand, abgeklärt wissen. Sollte er hier eine Ehefrau finden, würde er nicht wollen, dass sie das halbe Herzogtum trennte. Er war ein leidenschaftlicher Mann, der eine starke, liebevolle Bindung zu seiner Gemahlin haben wollte. Egal ob eine Nieder- oder eine Hochadelige. Egal ob Ritterin, oder Kammerzofe, an seiner Seite würde sie sich wie eine Königin fühlen. Sein Dienst auf St. Aldec ließ dabei leider keinen Ortswechsel zu und irgendwann würde auch seinem Vater als Edler nachfolgen. Das Gute daran wäre jedoch, dass das Gut seiner Familie nahe am Kloster lag. Dort würde ihm und seiner Frau ein ganzer Flügel des Anwesens gehören. Geld spielte bei seiner Sippe, Rahja und Phex sei Dank, keine wirkliche Rolle, weshalb sie ein sorgenfreies Leben würde genießen können, doch wollte er seine Frau nicht in Langeweile und Unglück stürzen. Andesine interessierte ihn. Er konnte in ihrer Gegenwart fühlen wie sich sein Herzschlag beschleunigte und er genoss ihre Berührung. Wie zwei verliebte Kinder hielten sie immer noch Händchen und er empfand es insgeheim als schade, dass er sie nicht zu einem Spaziergang durch den Park entführen konnte um etwas mit der Ritterin alleine zu sein. Sie waren Gäste und es wäre wohl unhöflich gewesen, wenn sie die Feier schon so früh, wenn auch nur temporär, verlassen würden. "Denkt Ihr nicht, dass es Euch fehlen würde mit der Waffe in der Hand zu leben und den Stahl einer Rüstung zu fühlen ..?", abermals eine sehr direkte Frage, aber der junge Bannstrahler konnte nicht aus seiner Haut hinaus.

Andesine beugte sich vor um dem jungen Ritter tief in die Augen schauen zu können."Linnart, da gibt es nichts zu entschuldigen, ich schätze Eure direkte Art. Auch wenn Eure Fragen bisweilen gar nicht so leicht zu beantworten sind.” Sie lachte leise. “Mein Leben als Ritterin hatte sowohl schöne als auch schreckliche Momente. Für den Richtigen würde ich dieses Leben gerne aufgeben und mit ihm ziehen um etwas Neues beginnen. Ich kann aber nicht ausschließen, dass ich ab und an mit Sehnsucht an mein altes Leben zurückdenke. Allerdings vertraue ich darauf, dass mein Gemahl meine Sehnsucht alsdann in andere Richtungen lenkt, oder mir die Gelegenheit gibt, mit ihm die Klingen in einem privaten Übungskampf zu kreuzen. Seit meiner Rückkehr aus Mendena habe ich meine Rüstung nicht mehr getragen und mein Schwert höchstens als Zier.” Je länger dieses Gespräch dauerte, desto verbundener fühlte sie sich Linnart und nach dem was sie bisher von ihm gesehen und gehört hatte, kam er ihrer Vorstellung des Richtigen bereits sehr nah. Sehnsüchtig blickte sie hinüber zum Park, der zu einem langen Spaziergang einlud. Aber das würde warten müssen. “Wenn Ihr erlaubt, würde ich Euch nun gerne eine Frage stellen. Wie steht Ihr zu Kindern?”

Linnart sann einige Momente über die Frage der Ritterin nach, dann überkam ihn jedoch ein ganz anderer Impuls. Ausnutzend, dass Andesine sich so nah zu ihm hinüber gelehnt hat, gab er seinem inneren Drang nach und küsste sie. Kurz und weit weniger heftig als er das wollte, aber dennoch voller Leidenschaft und Neugier. Er konnte noch den Beerenschnaps auf ihren leicht geöffneten Lippen nachschmecken, dann löste er sich wieder von seinem Gegenüber. Seine Hand gab währenddessen die ihre frei und streichelte dann sanft über ihre Wange - ganz so, als würde er in diesem Moment die Züge eines vollendeten Kunstwerks ertasten wollen. Der Bannstrahler zeigte in diesem Moment, dass auch praiosfromme Menschen zu Räubern mutieren konnten. Ja, er hatte sich diesen Kuss wahrlich geraubt und manch Adelsdame hätte ihm dafür mit Sicherheit eine schallende Ohrfeige verpasst, dennoch ging er das Wagnis in diesem Fall mutig und voller Zuversicht ein. Linnart war kein Dämlack und was Frauen und ihre Körpersprache anging trotz seines jungen Alters erfahren. Er wusste, dass die Wasserthalerin ihn schon nicht von sich stoßen würde, auch wenn er sie mit seinem Gebaren auf jeden Fall überraschte.

"Ihr dürft mich fragen was immer Ihr wollt, Andesine. Egal wie unangebracht Euch diese Frage auch erscheinen mag." Er lächelte ihr ehrlich zu und nahm dann seine Hand von ihrer Wange. "Kinder sind mir auf jeden Fall sehr wichtig und gehören zum Leben dazu. Mir ist bewusst, dass ich höchstwahrscheinlich einmal Kinder haben werde, alleine aus dynastischen Gründen sind wir Adelige ja im Grunde genommen dazu gezwungen ...", der junge Ritter schüttelte immer noch lächelnd den Kopf, "... doch wäre mir das zu wenig. Ich wünsche mir eine enge, liebevolle Bindung zu meiner Frau und meinen Kindern. Sie sollen nicht nur Mittel zum Zweck sein." Linnart griff abermals nach Andesines Hand und hielt sie dann in der seinen. "Ihr habt wieder vom Richtigen gesprochen. Vielleicht wollt Ihr mir ja die erste Eigenschaft, oder den ersten Charakterzug nennen, der den Richtigen definieren würde."

Die Ritterin entzog ihre Hand Linnarts Griff und stand langsam auf. Bedächtig glättete sie ihr Kleid bevor sie eiligen Schrittes das Sonnensegel rahjawärts hinter sich ließ und das Küchenzelt passierte um dann aus dem Sichtfeld der Anwesenden zu verschwinden. Erst an dem kleinen Pavillon gegenüber des Brunnens machte sie halt und lehnte sich gegen eine Steinsäule. Linnarts Kuss hatte sie vollkommen überrascht, damit hatte sie nicht gerechnet. Selbst jetzt konnte sie noch seine Lippen schmecken, die dem Kuss innewohnende Leidenschaft spüren. Sie war drauf und dran gewesen dieser Leidenschaft nachzugeben, doch dann hatte er sich einfach zurückgezogen. Und plötzlich war ihr bewusst geworden, dass sie nicht allein waren, sondern sich inmitten einer Gruppe anderer Adliger befanden, die sie zweifellos bei ihrer Turtelei beobachtet und belauscht hatten.

Linnart blickte der Ritterin nach und äußerlich ließ er in diesem Moment keinen Schluss auf seine Gefühlslage zu. Seine, in diesem Moment noch geröteten Wangen waren keinesfalls ein Zeichen von Scham, sondern seinem noch wallenden Blut geschuldet. Es war kein Gehemnis, dass das Blut der Angehörigen seiner Familie leicht zu kochen begann und sie des Öfteren Probleme mit ihrer Impulsivität und ihrem lockeren Umgang mit Rahjas Gaben hatten. Wer konnte es den Linnartsteinern verdenken, meinten sie doch von einem Mann abzustammen, dem sich gar Rahja selbst offenbart haben soll. Daran änderte sich auch nichts wenn sie das Weiß der Bannstrahler anlegen und ihre Gebete zuvorderst an den Gleißenden richteten.

Der Mersinger, der sich gerade noch angeregt unterhalten hatte, schreckte auf, als er Andesine wie ein davonstebendes Huhn weglaufen sah. Die Dame wirkte, als ob ihr ein Wüstling zu nahe getreten war. Hatte sie sich zuvor nicht mit dem großgewachsenen Bannstrahler unterhalten? Der konnte wohl kaum der ‘Übeltäter’ sein. Sowas machte ein aufrechter Diener des Herrn der Wahrheit doch nicht. Oder doch? In jedermann konnte ein Verräter lauert, das wusste Lares zu genau. Er blickte sich um und musste feststellen, dass der Platz Linnart gegenüber verwaist war. Er reckte seinen Hals, um zu sehen, was vor sich ging. Wenn sich dieser Wüstling erheben würde, dann…

Nach ein paar Momenten des Wartens wollte sich der Ritter aufrichten und Andesine folgen. Er schuldete ihr wohl eine Entschuldigung, denn auch wenn er sich und den Ort, an dem sie sich befanden, vergaß, die Wasserthalerin schien es peinlich berührt zu haben. Doch sollte er nicht dazu kommen sich zu erheben. Eine schlanke Hand hielt ihn an seiner Schulter nieder. Hinter ihm hatte sich seine Schwester Rahjalind angenähert. "Bruder, Bruder .... tststs ...", die helle Stimme konnte einen spöttischen Unterton nicht verhehlen, "... der Sinn und Zweck einer Brautschau ist es nicht die Frauen zu vertreiben. Was machst du denn für Sachen? Hast du sie beleidigt? Oder verhört als wäre sie ein gemeines Hexenweib?" "Ich ... äh ...", stammelte er und erst jetzt konnte man dem abgebrühten Ordensritter anmerken, dass das eben erlebte nicht spurlos an ihm vorüber gegangen ist. "Ach lass mal ... ich rede mit ihr." So schnell sie gekommen war, so schnell schritt die junge Novizin wieder von dannen.

Derweil stand der dunkelhaarige junge Mann von seinem bisherigen Platz auf. Knapp bedeutete er Thankred und den anderen, dass er kurz eine Angelegenheit zu regeln hätte. Lissa starrte mit aufgerissenen Augen ihrem Schwertvater hinterher, wie er forschen Schrittes auf den Sonnenschutz zuschritt. Rahjalind und der Mersinger verpassten sich knapp - die wunderschöne Novizin der schönen Göttin strich an dem drahtigen Ritter vorbei wie ein Windhauch im Frühling und doch merkte er nichts davon. Lares setzte sich dem Bannstrahler gegenüber und starrte ihm direkt in die Augen. “Was sollte das? Habt Ihr Eure Manieren vergessen?”, blaffte er.

‘Seltsam’, dachte Rondradin bei sich, als er den Mersinger den Pavillon verlassen sah. Interessiert verfolgte er, wohin der Junker seine Schritte lenkte und stellte verblüfft fest, dass er auf die Stelle zuhielt, wo er seine Schwester vermutete. Als er dann auch noch die laute, anklagende Stimme des Mersingers vernahm, hatte er mit einem mal das dringende Bedürfnis nach dem Rechten zu sehen. So verabschiedete er sich kurzerhand und ging zügigen Schrittes in Richtung des Sonnensegels. Tatsächlich, der Mersinger stritt mit dem Bannstrahler, mit welchem sich seine Schwester vorhin so blendend verstanden hatte. Aber von ihr fehlte jede Spur. Er blieb in Hörweite stehen und sah sich um, in dem Versuch seine Schwester zu entdecken.

Linnart kannte den Burschen nicht, der sich ungefragt zu ihm gesetzt hatte. War es einer der Knappen, die hier auftragen? "Manieren ...", sann er den Worten seines Gegenübers nach, "... genau das wollte ich Euch auch gerade fragen", erwiderte der Ritter dann kühl und deutete mit einem Kopfnicken auf den Stuhl, der nun vom Mersinger besetzt wurde. "Dicht gefolgt von der Frage was genau was werden sollte?"

Der Mersinger lehnte sich in seinem Stuhl zurück und senkte den Kopf, ohne den Blick abzuwenden. Seine vorspringenden Augenbrauen warfen tiefe Schatten in sein Gesicht. Dadurch wurde es schwer, seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Langsam und mit einer irritierenden Grabesruhe setzte er zu sprechen an. “Die Dame dort”, er nickte nur kurz mit seinem Kopf in die Richtung, in die Andesine fortgelaufen war, “ist ersichtlich aufgebracht. Sie saß Euch gegenüber, nicht wahr? Dies hier, Herr Ritter, ist eine freudvolle, würdevolle Veranstaltung. Hier wird der Anstand gewahrt. Und die Ehre einer jeden Dame. Ich würde vorschlagen, Ihr geht in Euch und denkt darüber nach, wie Ihr Euren Fehltritt der hohen Dame gegenüber wiedergutmacht.”

"Ah ...", entfleuchte es ihm. Daher lief der Hase also. "Dann nehme ich an, Ihr habt mit And ... der Dame schon darüber gesprochen? Oder bildet Ihr Euer Urteil lediglich auf dem was Ihr aus der Ferne beobachtet habt?" Der Ritter winkte ab. Er konnte sich nicht erinnern das Gesicht seines Gegenübers hier unter dem Sonnenschutz gesehen zu haben und er empfand es als äußerst dreist, dass der Mann sich anmaßte so mit ihm zu sprechen. Dennoch bewahrte der Bannstrahler Ruhe, es lag ihm fern eine weitere Eskalation heraufzubeschwören. "Ihr könnt jedoch beruhigt sein. Sollte ich der Dame zu nahe getreten sein, werde ich die volle Verantwortung dafür übernehmen - vor ihr und vor den Gastgebern, aber nicht vor Euch."

Lares erhob sich, ohne den Augenkontakt zu unterbrechen. “Vor mir habt Ihr Euch nicht zu rechtfertigen. Nur vor TRAvia, RAHja und unserem Herrn PRAios. Wenn Ihr die Wahrheit sprecht, so habt Ihr nichts zu befürchten. Aber das muss ich einem Ritter vom Bannstrahl nicht erklären.” Der Mersinger verharrte so noch einen Moment in Schweigen, dann wandte er sich ab und trabte gemächlich zurück zu seiner verdutzten Pagin, als ob nichts gewesen wäre. Der Bannstrahler blickte dem jungen Mann noch für einige Momente nach, dann schüttelte er den Kopf.


Als sich Rahjalind sich der groß gewachsenen Ritterin nähern wollte, fuhr ihr ein junges Mädchen mit blonden Haaren in die Parade. Kurz seufzte sie, dann beschränkte sich die Novizin vorerst darauf zu beobachten.

Schritte ließen die Ritterin aufhorchen, doch als sie sich um blickte war es nicht der zu erwartende Bannstrahler. Es war Flora, die Tochter des Gartenhüters. Die Zwanzigjährige trug ihr weizenblondes Haar in zwei ordentlich geflochtenen Zöpfen, die ihr fast bis zur Hüfte reichte. Sie trug ein schulterfreies, rotes Kleid auf dem Stickereien von Rosen angebracht waren. “Verzeiht, hohe Dame. Ist euch nicht gut? Ich habe euch davon eilen sehen …”, fragte sie die junge Gärtnerin mit heller Stimme. Ein Teil der Anspannung fiel von Andesine ab. “Nein, nein, mir geht es gut, ich brauche nur ein wenig Ruhe.” Sie lächelte Flora freundlich an. “Habt Dank für Eure Fürsorge.” Andesine lehnte nun mit dem Rücken an der Steinsäule und genoss die davon ausgehende Kälte. Flora biss sich auf die Unterlippe und ließ sich nocht nicht abweisen. “Ich verstehe… Der Schnaps in der Mittagssonne steigt einem schnell in den Kopf … aber seiner Gnaden Rahjel fand es eine gute Idee.” Sie kam noch eine Schritt näher. “Ich meinte aber damit nicht euch. Der hohe Herr vom Traurigen Stein schien … sehr forsch. Wenn ihr möchtet, kann ich euch einen Platz im Pavillon der Niederadligen anbieten. Ich bin leider angehalten die Gäste zur Festwiese zu führen … die Altenberger werden in Kürze eintreffen.” Besorgte schaute sie Andesine an. Andesine löste sich von der Säule und machte ihrerseits einen Schritt auf die kleinere Frau zu. “Ich danke Euch für Euer Angebot, aber ich werde wieder zu meinem alten Platz zurückkehren.” Sie wollte nicht für noch mehr Gerede sorgen als eh schon im Umlauf war. Außerdem wollte sie noch ein Wörtchen mit Linnart wechseln. Warum war er ihr nicht gefolgt? Das bittere Gefühl der Enttäuschung breitete sich in ihrem Magen aus. Hatte er doch nur mit ihr gespielt? Sie machte sich daran wieder zurück zum Sonnensegel zu gehen, als sie eine bekannte Gestalt in einem gewagt geschnittenen Kleid sah. Ihre Augen wurden schmal. “Hat Euch Euer Bruder geschickt?”

Flora sah ebenfalls die Novizin blieb kurz stehen. “Rahja zum Gruße.” Sie wechselte den Blick zwischen den beiden Frauen. “Ich nehme an ihr werdet wieder alleine zurückfinden.” Sie deutete eine höfliche Verbeugung an. Mit schnellen Schritt kehrte sie zur Festwiese zurück. `Tante Maura wird das bestimmt interessieren. Den Traurigen Stein sollten wir im Auge behalten.´ Entschlossen fand sie ihre Tante. Die Novizin nickte erst Flora grüßend zu, dann schüttelte sie an Andesine gewandt ihren Kopf. "Nein hat er nicht. Er wollte Euch folgen, ich habe ihn davon abgehalten ...", ihr Blick ging zwischen den beiden Frauen hin und her, "... ich wollte mit Euch sprechen. Mein Bruder hat nämlich das Talent ein vorhandenes Problem noch schlimmer zu machen." Sie rollte mit ihren Augen und machte eine abwinkende Handbewegung. Rahjalind war doch etwas besorgt gewesen. Was hatte er bloß angestellt? "Möchtet Ihr darüber reden was passiert ist?" Andesines Miene hellte sich auf, als Rahjalind erzählte weshalb Linnart nicht hier war. Es war also nicht seine Entscheidung gewesen. Gleichzeitig war sie aber zornig auf ihn, weil er sich nicht durchgesetzt hatte. Sie war verwirrt. Vielleicht auch deshalb weil die Ritterin nicht wusste, was passiert wäre, wenn sie nicht den Rest ihrer Selbstbeherrschung zusammengenommen und gegangen wäre. Hätte sie ihm eine Ohrfeige verpasst oder hätte sie einen intensiveren Kuss von ihm eingefordert? Warum hatte der Idiot das in aller Öffentlichkeit gemacht? Sie seufzte leise. Bevor sie Rahjalind antwortete, vergewisserte sie sich, dass Flora außer Hörweite war. "Wir haben uns unterhalten, da hat Euer Bruder mich ohne jede Vorwarnung vor aller Augen geküsst! Vor aller Augen!" eröffnete sie Rahjalind aufgebracht, um dann deutlich leiser hinzuzufügen. “Dieser Idiot.”

Rahjalind ließ es sich in diesem Moment nicht anmerken, aber ihr fiel ein Stein vom Herzen. Es war also bloß ein Kuss und keine Pöbelei oder beleidigendes Verhalten. Dass viele Menschen im Herzogtum ein Problem mit dem öffentlichen zur schau stellen von Zuneigung hatten war ihr bekannt und bewusst. Das hier war Herzogenfurt und nicht die Bellissima. Immerhin könnte sein impulsives Verhalten dazu führen, dass ihr Bruder, in seiner Unbedarftheit, die junge Ritterin in den Augen der anderen Werber beschädigt hatte. Sie seufzte, war sich jedoch sicher, dass dies nicht seine Intention war. "Ich verstehe ...", nickte sie Andesine dann zu, "... und Ihr habt ihn von Euch gestoßen und seid gegangen?" Es würde nicht leicht werden, das wieder gerade zu biegen. "Was habt Ihr in diesem Moment denn gefühlt?", fragte sie kryptisch und am eigentlichen Problem vorbei.

“Hat er das behauptet? Ich habe ihn nicht gestoßen!” begehrte Andesine auf. Nein, sie hatte ihn nicht fort gestoßen, stattdessen hätte sie ihn beinahe näher zu sich herangezogen und… Die Wasserthalerin errötete und presste die Lippen aufeinander. “Wir sollten zurückgehen, denkt Ihr nicht?” versuchte sie das Thema zu wechseln. "Nein, nein ...", abermals schüttelte Rahjalind ihren Kopf, "... er hat gar nichts behauptet. Dazu war er wohl nicht in der Lage. Auch wenn er es sich äußerlich nicht hat anmerken lassen, war er dennoch geknickt. Ich kenne ihn, mein Bruder ist normal nie um eine schnippische Bemerkung verlegen." Sie wies mit ihrer Hand auf den Sonnenschutz. "Gerne können wir zurück, wenn Ihr dazu bereit seid." Bereits nach einer Handvoll Schritten hin zu den anderen feiernden Adeligen, brach die Novizin das noch junge Schweigen. "Ihr habt mit Eurem Abgang ziemlich viel Aufmerksamkeit erregt." Rahjalind konnte erkennen, dass ein unbekannter Mann auf ihren Bruder einredete und auch Rondradin hatte sich zu ihm aufgemacht. "Seid ihm bitte nicht böse. Er wollte Euch nicht verletzen. Ich habe gesehen wie er Euch ansieht und mein Bruder ist für gewöhnlich niemand, der leicht tiefe Gefühle für jemanden entwickelt." Die junge Linnartsteinerin dämpfte ihre Stimme. Sie sorgte sich, dass Linnart die Reaktion Andesines als Zurückweisung empfand und er sich nun vor ihr verschloss. "Es ist eine Sache sich dem Moment, oder einer rahjagefälligen Laune hinzugeben, aber es ist etwas gänzlich anderes ehrliche, tiefe Zuneigung zu entwickeln. Ich denke er war auf dem Weg dazu Euch in sein Herz zu schließen."

Ihre Worte hallten durch Andesines Kopf. Es dauerte ein wenig, doch dann begriff sie was Rahjalind gerade gesagt hatte. Natürlich, es war so offensichtlich gewesen, aber Komplimente hatte sie früher schon bekommen und dann hatten die Männer immer nur das Eine gewollt ...und nicht bekommen. Noch einmal dachte sie über das nach, was ihr vorhin durch den Kopf gegangen war, was sie zum weglaufen gebracht hatte. Die Wasserthalerin griff nach dem Arm der Novizin und blieb dann stehen. “Bittet wartet. Ich… Meint Ihr das ernst? Ihr glaubt, er war dabei sich zu verlieben? In mich?” Sie sah hinüber zu Linnart, der noch immer mit einen Disput mit dem anderen Mann hatte. Rondradin hatte derweil die beiden Frauen entdeckt und kam nun gemessenen Schrittes auf sie zu.

Rahjalind wog ihren Kopf. Sie wollte Andesine in diesem Moment auch nicht zuviel versprechen. "Ich weiß auf jeden Fall, dass er etwas in Euch sieht, das über das Herbeisehnen einer gemeinsamen Liebesnacht hinausgeht. Als er Euch vorhin etwas zu trinken geholt hat, habe ich gesehen wie er Euch ansieht und jetzt, als Ihr ihn alleine am Tisch zurückgelassen habt, war er still und in Gedanken wie sonst nie." Die Novizin schüttelte kurz den Kopf. "Ich kenne meinen Bruder. Er ist normal nicht so. Ihr habt ihn bestimmt berührt, das kann ich Euch versichern..." Sie stoppte als Rondradin in die Hörweite der beiden jungen Damen gelangte. "Rondradin, was für ein unerwartetes Vergnügen.” Rahjalind setzte ihr strahlendstes Lächeln auf. “Ich hatte ja gehofft, dass Ihr uns bald wieder besucht, doch befürchte ich, dass Euch nicht die Sehnsucht nach mir oder Eurer Schwester hierher führt."

“Da habt Ihr wohl recht, Rahjalind. Ich hatte gehofft, wir würden uns unter anderen Umständen wiedersehen.” Rondradin erwiderte Rahjalinds Lächeln, aber es war klar, dass sein Hauptaugenmerk auf Andesine lag. “Es ist die Sorge um meine Schwester, die mich herführt. Aber wie ich sehe, ist sie in guten Händen.” Der Geweihte strahlte eine Aura der Ruhe und Geborgenheit aus, wie man sie bei einem Rondrageweihten nicht unbedingt erwartete. Nun stand er direkt neben Rahjalind und legte Andesine die Hand auf die Schulter. “Was war denn los?” Stockend berichtete sie was geschehen war, laut genug, dass auch Rahjalind es hören konnte. Es war die gleiche Geschichte, wie sie die Novizin zuvor schon gehört hatte, nur wurde die Stimme Andesines zuletzt ein wenig undeutlich, da Rondradin sie in den Arm genommen hatte. Schließlich murmelte sie noch ein paar leise Sätze in Rondradins Ohr. “Wirklich?” erkundigte der sich leicht ungläubig. Die kleinere Frau nickte, woraufhin Rondradin zu grinsen begann. Andesine löste sich von ihm wandte sich Rahjalind zu. “Habt vielen Dank.” Damit ging sie direkt auf Linnart zu und setzte sich auf ihren alten Platz. Scheu sah sie zu dem Bannstrahler hinüber, unsicher wie sie ihn nun ansprechen sollte. “Linnart, ich… “ sie schluckte. “ ...es tut mir leid.”

Linnart blickte Andesine etwas unsicher entgegen. Als sie sich ihrem Stuhl genähert hatte, erhob er sich und nahm dann nach ihr wieder Platz. Innerlich rang der Ritter nach den richtigen Worten. "Ihr müsst Euch für nichts entschuldigen. Ich ... äh ...", begann er wenig eloquent, "... ich wollte Euch nicht in Verlegenheit bringen und hätte mich besser beherrschen sollen. Als Knappe hätte ich mir mit diesem unbeherrschten Verhalten Prügel eingehandelt." Der Bannstrahler lächelte gequält und deutete dann auf den Pavillon der Niederadeligen. "Ein junger Mann kam bereits heran und verteidigte Eure Ehre. Ich übernehme die Verantwortung für mein Handeln, auch wenn ich es nicht bereue." Sie lächelte ihn aufmunternd an. “Und dafür werdet Ihr mir später auch noch Rechenschaft ablegen.” verkündete sie ihm. Mit einem male wirkte sie wieder etwas schüchtern, als sie seinen Blick suchte. Zaghaft griff sie nach der Hand des Ritters. “Aber bis dahin würde ich gerne unser Gespräch fortsetzen. Natürlich nur, wenn Ihr noch wollt.” Der junge Ritter wirkte erleichtert. Er atmete tief durch und nahm die Hand Andesines in die Seine. "Sehr gerne würde ich unser Gespräch fortsetzen. Es würde mich sehr interessieren was denn der von Euch angesprochene ´Richtige´ für Eigenschaften besitzen soll." Beinahe verlegen lächelte Linnart ihr zu, voller Dankbarkeit, dass sie ihm nun nicht die kalte Schulter zeigte und sie, trotz seines Fehltrittes, dort anknüpfen konnten wo sie zuvor so jäh unterbrochen wurden. Amüsiert hob Andesine ihre Augenbrauen. “Ihr raubt einen Kuss von meinen Lippen und wollt von mir ein streng gehütetes Geheimnis erfahren?” Natürlich hätte sie es ihm jetzt verraten können, zumal sie sich zu dem Bannstrahler hingezogen fühlte, aber Strafe musste sein. “Nein, dieses Recht müsst Ihr Euch erst wieder verdienen.” Wie zum Trost strich sie mit ihrer freien Hand über seine Wange. “Eigentlich wollte ich nochmal auf die Kinder zurückkommen und ...Euer Angebot mir jede Frage zu beantworten.”

Linnart antwortete ihr mit einem breiten Lächeln. "Da habt Ihr wohl recht, wiewohl ...", er stoppte, führte die gehaltene Hand Andesines zu seiner Brust und legte sie flach darauf. Sie konnte seinen kräftigen Herzschlag durch das dünne Hemd fühlen, "... Ihr mir damit fast das Herz zu brechen vermögt." Die kurze Phase, in welcher der Ritter, für seine Verhältnisse, scheue Vorsicht hatte walten lassen, war allem Anschein nach wieder vorbei. Er wurde sich dessen jedoch selbst gewahr und bewegte nach einigen Momenten die Hände wieder sanft in ihre Ausgangsposition zurück. "Fragt mich was immer Ihr wollt und ich werde Euch eine ehrliche Antwort geben ... beim Götterfürsten." Wenn es nach Andesine gegangen wäre, hätte ihre Hand ruhig länger auf seiner Brust liegen können. Ihre Wangen waren gerötet, ein hungriger Zug hat sich in ihr Anlitz geschlichen und ihr Blick schien zu fragen, warum er ihre Hand da weggenommen hatte. Dann war der Moment vorbei, als sie ihre Beherrschung wiederfand.. “Wo Ihr schon den Herrn Praios ansprecht. Warum habt Ihr Euch ihm verschrieben? Doch sicher nicht nur, weil Eure Mutter es so gewünscht hat.”

Der Angesprochene schüttelte sein Haupt. "Nein, wiewohl es natürlich meine Mutter war, die mich in die richtige Richtung gestoßen hat." Dies war eigentlich eine besondere Geschichte gewesen. Denn obwohl seine Mutter Adda einer Praiosfrommen Familie entstammte, brachte sie selbst dem Götterfürsten nicht die höchste Verehrung bei. Wie auch sein Vater hielt es seine Mutter eher mit der lieblichen Rahja. Dennoch bestand sie darauf, dass er seine Ausbildung in der Obhut der Gemeinschaft des Lichts genoss. "Ich habe mich dem Gleißenden verschrieben, weil ich für mich gefühlt habe, dass es die richtige Entscheidung war. Ich habe gewissermaßen seinen Ruf vernommen und die Gemeinschaft des Lichts wurde mir eine Familie ...", er lächelte vielsagend, "... aus dem Glauben an den Götterfürsten schöpfe ich Kraft und es fiel mir nicht schwer seine Lehren als Lebenssinn anzunehmen." Linnarts Blick lag für einige Momente auf seinem Amulett und suchte dann wieder die schönen blauen Augen Andesines. "Mir ist bewusst, dass meine Brüder und Schwestern vom Orden des Bannstrahls nicht allerorts geliebt werden. Während uns viele Menschen als das sehen was wir sind und zwar die Verteidiger der Praiosgefälligen Ordnung, weichen andere furchtsam zurück wenn sie unsere weißen Wappenröcke erspähen. Doch muss sich kein braver rechtgläubiger Mensch vor uns fürchten." Der junge Ritter selbst wurde ordensintern des Öfteren für seine übertriebene Nachsicht kritisiert und war im Volk als der ´samtene Bannstrahler´ bekannt, doch war dies nun nicht wichtig. "Es ist eine Aufgabe, die mich glücklich macht."

Andesine hatte interessiert an den Lippen des Linnartsteiners gehangen. Ein verträumtes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie sich die Konturen seines Gesichts einprägte, während sie gleichzeitig seinen Worten lauschte. Als Linnart geendet hatte, schlang sie die Finger ihrer Hand zwischen die seinen, wie er es zuvor schon getan hatte. “So, nun dürft Ihr mir wieder eine Frage stellen.” "Nichts lieber als das", Linnart lächelte und hielt ihre Hand fest. Nicht so fest, dass es weh tat oder unangenehm gewesen wäre, aber dennoch war es ein ganz deutliches Indiz dafür, welches Maß an Zuneigung und Leidenschaft gegenwärtig in ihm tobte. Das warf natürlich die eine oder andere Frage auf. Der Kuss hatte sie verschreckt - das war offensichtlich. Doch wie stand sie generell zu Dingen wie Leidenschaft und Liebe? Reichte es ihr wenn man zu Zwecken der Zeugung von Stammhaltern beisammen lag? Oder war es ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens? Wie ging sie generell mit Nähe um? Sie suchte immer wieder Körperkontakt, was dahingehend ein gutes Zeichen war. Es waren Fragen, die er unmöglich so artikulieren konnte ohne ihr zu nahe zu treten, das wusste er. Und deshalb würde es wohl erst die Zeit zeigen, so Rahja wollte und sie überhaupt auf irgendeine Art und Weise zusammen fanden. "Ihr habt mich ja ... ähm ... vor unserem kleinen Zwischenfall gefragt wie ich zu Kindern stehe und gemeint Ihr würdet Euer Leben bereitwillig für Eure Kinder und den ´Richtigen´ ändern." Er musste ob seiner kommenden Worte etwas schmunzeln. "Gesetz dem Fall Ihr trefft den ´Richtigen´, welchen Stellenwert würdet Ihr Eurem Gatten, also Eurer Familie zumessen? Wie wichtig wäre die örtliche Nähe zu Eurem Mann?" Kurz schien es als würde er es bei den gestellten Fragen belassen wollen, als ihm noch ein Gedanke einschoss - eine Frage, die ihm vielleicht einen dezenten Hinweis darauf geben könnte wie es um die in ihr wohnende Leidenschaft bestellt war. "Und welches Verhältnis habt Ihr zur Kunst? Tanzt Ihr gerne?"

Überrascht ob dieser Flut an Fragen und deren Inhalt blinzelte Andesine und schwieg für mehrere Herzschläge. Dann hob sie mit gespielten Tadel den Finger und schwenkte ihn vor Linnarts Gesicht hin und her. “Also Ihr seid mir einer. Da erlaubt man Euch eine Frage und Ihr stellt derer gleich vier.” Sie lächelte spitzbübisch. Ihre Augen funkelnden als sie den Blick des Bannstrahlers suchte. “Aber ich will mal nicht so sein. Wenn es tatsächlich der Richtige ist und ich ihn liebe, was sollte da einen höheren Stellenwert haben, als unsere Familie? Natürlich wäre es auch schön, wenn er stets an meiner Seite sein könnte. Aber sollte mein Gemahl des Öfteren auf Reisen sein - im Auftrag seiner Kirche beispielsweise - so könnte ich es eine zeitlang aushalten, aber nicht für immer. Ich möchte mehr von ihm als ihn nur einmal im Götterlauf zu sehen. Er soll seine… unsere Kinder aufwachsen sehen und Teil ihres Lebens sein, auch wenn ihn seine Pflichten dazu zwingen uns ab und an allein zu lassen.” Ihr Blick hatte etwas eindringliches, diese Sache war ihr ernst. “Kommen wir zu Euren letzten beiden Fragen. Nun, ich höre gerne Musik und ich liebe es zu tanzen. Bedauerlicherweise gibt es auf dem Land nur wenig Gelegenheit dafür.” Während die Ritterin gesprochen hatte, war sie ihrem Gegenüber immer näher gekommen. Nur noch ein guter Finger trennte ihre Nasenspitzen voneinander. Plötzlich tippte Andesine mit ihrem Finger auf die Nasenspitze Linnarts und mit einem “Jetzt darf ich wieder, oder?” lehnte sie sich wieder zurück.

Es fiel Linnart schwer, aber er unterdrückte jenen Impuls, dem er zuvor noch nachgegeben hatte. Ginge es nach ihm hätte er die Ritterin zu sich gezogen, sie geküsst und sanft in ihre sinnliche Unterlippe gebissen. Er lächelte ihr für einige Momente entgegen und sann darüber nach, ob ihr Verhalten eben ein Test gewesen war. Der Bannstrahler mochte zwar ein impulsiver Mensch sein, doch machte er den selben Fehler nur selten zweimal. So schwer es in diesem Moment auch sein mochte. "Na dann hoffe ich, dass wir heute noch Gelegenheit dazu bekommen zu tanzen", Linnart war ein ausgezeichneter Tänzer. Es war eines der Vorteile, die man genoss wenn man in einer Familie aufwächst, die Rahja in höchsten Ehren hält. "Linnartstein würde Euch gefallen. Im Garten des kürzlich gebauten, kleinen Rahjatempels, in dem auch meine Schwester dient, spielen öfters Musiker auf und das Göttinnenhaus lädt zum Tanz. Rahjalind gibt den Menschen sogar Unterricht." Kurz löste der junge Mann seinen Blick von Andesine und versuchte seine kleine Schwester auszumachen. Wo sie sich wohl herum trieb? "Ja, Ihr seid dran.", setzte er dann schmunzelnd dazu, doch noch bevor die Wasserthalerin das Wort erheben konnte, spielte plötzlich Musik auf und lenkte die Aufmerksamkeit der Gäste auf das Geschehen auf der Festwiese.

“Seht doch, eine Tänzerin!” Vergnügt stand Andesine auf. “Ah, und da kommt auch die Familie Altenberg.” Fragend hielt sie Linnart ihre Hand hin. “Wollen wir uns unsere Gastgeber einmal ansehen?” Der Angesprochene ließ sich seine Enttäuschung über den Umstand, dass ihr Gespräch auf diese Art ein Ende fand nicht anmerken. "Sehr gerne", bestätigte Linnart stattdessen lächelnd, erhob sich von seinem Stuhl, bot Andesine seinen Arm dar und führte sie dann ein paar Schritt weg von der Tafel, von wo sie einen besseren Blick auf das Geschehen hatten.

Rondradin indes war noch ein Stück näher zu Rahjalind aufgerückt und beobachtete nun das erneute Aufeinandertreffen von Linnart und Andesine. “Unter Umständen werden wir uns in Zukunft öfters sehen.” meinte er leise. "Mein Bruder ...", Rahjalind rollte gespielt mit ihren Augen, "... auch wenn er den Ornat der Bannstrahler tragen mag und die Gebote des Herrn Praios in höchsten Ehren hält ... er ist und bleibt dennoch der Sohn meiner Eltern." Die Novizin kicherte und nahm ihre Augen nicht von der sich ihnen bietenden Szenerie. "So sehr er sich auch bemüht, aber unsere Familie und das wofür sie verschrien ist kann er nicht abstreiten." Sie wandte sich dann gänzlich dem Rondrageweihten zu. "Was hat Euch Eure Schwester denn leicht erzählt, dass Ihr annehmt wir würden uns öfters sehen?" Auch Rondradin schmunzelte jetzt. “Nun, ich muss Euch sagen, um die Freiheit Eures Bruders ist es schlecht bestellt, denn Andesine meinte zu mir, dass er der Richtige sei.” Dann legte er den Kopf schief und sah Rahjalind eindringlich an. “Was meintet ihr damit, dass Eure Familie verschrien ist?” Rahjalind lächelte erfreut. "Das hat sie Euch gesagt ...", fragte sie noch einmal nach, ließ jedoch keine Antwort zu, "... das ist wundervoll. Ich hoffe nur, dass es mein Bruder nicht auf die eine oder andere Art kaputt macht." Die Novizin wünschte sich für ihren Bruder eine gute Frau. Sie würde so gerne Tante werden und wusste, dass sich auch Linnart danach sehnte - auch wenn er es nie zugeben würden. Sie mussten ihn ja sogar dazu zwingen, dass er überhaupt hierher mitkam. Darüber hinaus hatte Rahjalind keine Lust mehr auf diese Dumpfbacken, mit denen sich ihr Bruder sonst so abgab. "Was meine Familie angeht ...", sie tippte sich auf ihr Kinn, "... nur die üblichen Vorurteile, die man einem jungen Adelshaus entgegenbringt, das dadurch entstanden war, dass eine Kaiserin ihren Lustknaben adelte. Das sein Gold mit Wein verdient, in einem Schlösschen inmitten von Weinbergen lebt und Rahja als Hausgöttin verehrt. Sie nennen uns neureich, laster- und lotterhaft. Unsere Feste und Bälle bezeichnen sie als Orgien - ja sogar im Greifenspiegel wurde das letztens thematisiert ...", die junge Frau rollte mit ihren Augen. Ja, es stimmte schon, dass eben jene Festivitäten anders und weniger ... gesittet ... abliefen als die Brautschau hier. Es war eben ganz im Sinne der Herrin Rahja. "Ihr braucht Euch jedoch nicht um Eure Schwester sorgen. Linnart ist ein toller Mann, der sich von den angesprochenen Anlässen stets fern hält. Er wird Eurer Schwester bestimmt nicht weh tun ..." Eine Stimme aus ihrem Rücken sollte den Redeschwall der jungen Linnartsteinerin beenden.

“Rondra zum Gruße, werter Rondradin!” eine vertraute Stimme unterbrach das Gespräch der beiden. Maura von Altenberg strahlte den Rondrageweihten an. “Verzeiht das ich störe. Ich konnte euch ja nur kurz begrüßen, aber wollte noch einmal die Gelegenheit ergreifen, bevor die Brautschau beginnt.” Dann musterte sie kurz die Novizin und schenkte ihr ebenfalls ein Lächeln. “Rahja zum Gruße, edle Dame vom Traurigen Stein. Ich hoffe ihr werdet die Freude eurer Herrin auf unseren Fest verteilen. Ich denke seiner Gnaden Rahjel ist für jede Unterstützung dankbar.” Auch wenn sie die Worte ernst meinte, bereute sie sie fast wieder. Es hatte viel Überzeugungskraft gekostet, das Familienoberhaupt und Diener der Travia, davon zu überzeugen, Rahjel von Albenhus an dem Fest zu beteiligen. “Ich wollte mich auch kurz überzeugen, ob auch alles in Ordnung ist.” Der Blick ging flüchtig zu Andesine und Linnart.

Rahjalind begrüßte Maura mit einem freundlichen Lächeln. "Rahja zum Gruße, was für ein wunderbares Fest. Ich hoffe, der Wein hat Euch erreicht?" Die Novizin war im gegenwärtigen Moment sichtlich etwas aufgekratzt, weshalb sie sogleich fortfuhr. "Ich werde mich sehr gerne mit seiner Gnaden zusammen sprechen." Was die Frage der Gastgeberin bezogen auf ihren Bruder anging, ließ sie Rondradin den Vortritt. Durch den Auftritt der Doctora aus seinen Gedanken zu der Familie Vom Traurigen Stein gerissen, wandte sich Rondradin breit lächelnd dem Neuankömmling zu. “Rondra zum Gruße, Maura!” Der Geweihte freute sich ehrlich über das Wiedersehen mit der Altenbergerin, auch wenn sie sich zuletzt erst vorgestern gesehen hatten. Er folgte ihrem Blick und nickte ihr zu. “Es ist alles in Ordnung.” Gerade strich Andesine mit ihrer Hand über die Wange ihres Gegenübers. “Wie Ihr sehen könnt.” schmunzelte ihr kleine Bruder. Sichtlich entspannt wollte er dann von Maura wissen: “Entspricht bisher alles Euren Erwartungen?”

Misstrauisch hob sie die Augenbraue. “Ich verstehe. Ja, soweit läuft alles wie erwartet. Meine Familie wird demnächst eintreffen. Ich hoffe das alle Herzen noch unentschieden sind , den dieser Tag wird noch einiges zu bieten haben. Nicht alle Kandidaten sind schon da.” Die letzten Worte sagte sie mit etwas Nachdruck und schaute in Richtung der Turteltauben. “ Werdet ihr wieder zu euren Platz zurückkehren, euer Gnaden?” Mauras Rüffel konnte Rondradin nur mit einem gequält wirkenden Lächeln erwidern. Er schloss die Augen. Was sollte er denn tun? Die beiden hatten sich offenbar gesucht und gefunden. Konnte er denn überhaupt etwas tun oder vielmehr, würde er es übers Herz bringen sie zu trennen? Als der Geweihte die Augen wieder öffnete, stand Maura immer noch vor ihm und sah in fragend an. “Natürlich, Doctora. Die reizende junge Dame hier und ich haben uns nur über unsere großen Geschwister ausgetauscht und ein Auge darauf gehabt, dass sie wieder vertragen.” Griff er die Formulierung Rahjalinds auf, welche diese früher verwendet hatte.

Rahjalinds Blick ging zwischen Rondradin und Maura hin und her. Da sie in diesem Gespräch bloß die Rolle des Beiwagens einnahm, beschränkte sie sich auf Rondradins Worte hinauf lediglich darauf bestätigend zu nicken. “Gut, gut. Nun, dann wünsche ich den Herrschaften noch weiterhin eine Gute Zeit.” Bevor Maura sich wieder aufmachte, trat der Geweihte an sie heran. “Habt nochmals Dank für die Salbe, die Ihr Palinor geschenkt habt.”

Nun mußte die Doctora kurz lachen. “Ich hoffe das der Schwerenöter das auch benutzt. Ich hoffe ihr habt auch noch genug in der Tasche. Für die Damen hätte ich da auch noch einen Tee. Der sollte aber bald getrunken werden.” Verschwöreisch zwinkerte sie ihm zu, ohne zu vergessen in die Richtung Rahjalinds zu schauen. Rahjalind verstand den Wink, doch wusste sie, auch aus … beruflichen … Gründen, wie man in dieser Hinsicht Vorsorge traf. Demnach beschränkte sie sich lediglich darauf der Doctora etwas gequält zuzulächeln. Irrte sie sich oder wirkte der Rondrianer für einen Augenblick verlegen als Maura in Rahjalinds Richtung blickte? Aber Rondradin überspielte diese kurze Episode. “Ich habe die Befürchtung, dass er die Salbe durchaus nutzt. Vor allem nachdem ich erfahren habe, dass ihm Hochwürden Rahjania am letzten Abend in Nilsitz eine Ausgabe des Rahjasutra geschenkt hat.” Auf dem Weg von Nilsitz nach Senalosch hatte es die ein oder andere Möglichkeit gegeben, in der Palinor und Boromada das Büchlein ‘studiert’ haben könnten. Aber wenn, dann hatten weder er noch ihr Schwertvater davon etwas mitbekommen. “Travia bewahre! Was ich alles so über den Baron von Rabenstein gehört habe, wäre das keine gute Idee. Und glaubt mir, Boromadas Mutter hat auch so ihre Reputation.” Ihr Blick wanderte zum Pavillon der Hochadligen. Die schwarz gewandete Person der Vögtin war auch von weitem gut zu erkennen.

Ein lautes Stöhnen entrang Rondradins Kehle. Warum gab er sich überhaupt Mühe die Sache nicht groß bekanntwerden zu lassen, wenn die Doctora es laut in die Welt hinausposaunte? Er bedachte Maura mit einem säuerlichen Blick. “Nun, da Ihr von der Doctora schon beinahe alles Wichtige gehört habt, kann ich Euch auch den Rest erzählen, werte Rahjalind.” “Nun, ich muss los. Wir sehen uns später!” Mit diesen Worten ging die Doctora von dannen. Der Geweihte schüttelte den Kopf. “Mein Vetter Palinor, welcher Knappe bei der Baroness von Meilingen ist, war mit mir zusammen bei der Jagd von Nilsitz. Das ist einen Mond her. Man hatte ihn meiner Obhut unterstellt. Nun, der Baron von Rabenstein war ebenfalls dort und mit ihm seine Knappin Boromada von Henjasburg, die ältestete Tochter und Erbin der Junkerin von Henjasburg. Während also der Baron und ich auf der Suche nach jagdbaren Wild waren, vergnügten sich Boromada und Palinor in seinem Zelt. Und meine Aufgabe heute ist es, Boromadas Mutter zu beichten, dass ihre Tochter keine Jungfrau mehr ist und das mein geliebter Vetter dafür verantwortlich ist.”

Rahjalind hörte dem Rondrianer aufmerksam zu, doch anstatt auf den hier allem Anschein nach stattgefundenen Vertrauensbruch einzugehen, stellte sie eine Frage, die etwas am Thema vorbei ging. "Ist dies der Grund warum Ihr hier seid? Um es der Mutter Boromadas beizubringen?" Sie wartete keine Antwort ab. "Ihr wisst, dass ich Eure Empörung über diese Sache nicht teilen kann. Was Boromada und Palinor teilen ist etwas schönes. Ich freue mich für die beiden." Just in diesem Moment huschte ein Lächeln über die Lippen der jungen Rahjadienerin. "Beide machen sie gerade eine auf- und erregende Zeit durch. Rahjas Ruf ist in diesem Alter besonders laut - das wisst Ihr genauso gut wie ich. Wenn ich Euch in dieser Sache irgendwie helfen kann, dann bin ich gerne für Euch da." Die Schultern des Geweihten sackten herab. “Dafür ist es zu spät. Wisst Ihr, ich gönne es den beiden ja. Aber was sie als Knappen tun, fällt auf ihre Schwerteltern zurück.” Ach verdammt, nun war es eh schon egal. “Schwört Ihr mir, dass dieses Gespräch und der Inhalt unter uns bleibt?”

Ernst nickte Rahjalind ihm zu. "Das schwöre ich und sollte Euch trotzdem zum Reden zumute sein, dann bin ich für Euch da." “Das habt ihr falsch verstanden. Ich wollte nur Eure Zusicherung, bevor ich anfange.” Er lächelte traurig. “Ihr wolltet doch wissen, wie es zu meiner Verlobung mit Ravena von Rabenstein, der Tochter des Barons von Rabenstein kam.” Den Kopf in den Nacken gelegt, den Himmel betrachtend, rief Rondradin sich die damaligen Ereignisse ins Gedächtnis. “Es war nach unserer Rückkehr von der Jagd. Die Kür des Jagdkönigs stand an, alle hatten sich versammelt. Palinor kam zu mir und beichtete mir die Geschehnisse vom Tag. Er hatte Angst davor, was der Baron ihm und seiner Geliebten antun könnte. Ihr habt die Doctora vernommen, man hört allerlei Gerüchte über den Baron und zu meinem Bedauern, weiß ich von welchen, die der Wahrheit entsprechen. Bei Rondra, so wütend wie in dem Moment habe ich ihn noch nicht erlebt. Ich hatte Sorge um die beiden Knappen und versuchte mit dem Baron zu reden, aber er wollte mir nicht zuhören. Einen flehenden Knappen an meiner Seite, eine totenbleiche Knappin die von ihrem Schwertvater in Richtung eines Zelts gezerrt wurde, tat ich das einzige was mir noch übrig blieb. Ich bat ihn als Schwiegersohn um sein Gehör und Gnade für die Knappen. Ihr müsst wissen, er hatte mir während der Jagd die Hand seiner Tochter offeriert, aber ich hatte um Bedenkzeit gebeten und nicht gleich zugesagt. Deshalb bin ich nun mit jemanden verlobt, den ich nur einmal sah.”

Die junge Novizin zeigte sie ehrlich betroffen. So oft ihre edel geschwungenen Lippen auch ein Lächeln trugen, gegenwärtig verstand sie es ernst zu sein. Ihre schlanke Hand strich über Rondradins Wange. "Ich verstehe ...", meinte sie knapp, "... Ihr habt Euch für die beiden gewissermaßen ´geopfert´." Ein fürchterliches Wort in diesem Zusammenhang, aber leider passend. "Was hätte der Baron den beiden jungen Menschen antun sollen ...", fragte Rahjalind etwas naiv, "... sie haben nichts unrechtes getan. Sie haben Rahjas Ruf vernommen und sich in die Arme der Göttin begeben. Nichts was der Rabensteiner Baron sicherlich nicht auch schon getan hatte." Die junge Frau hatte sichtlich Probleme damit dem Gedanken zu folgen, dass Eltern, egal ob die leiblichen oder die Schwerteltern, zu entscheiden hatten ob und wann ihre Zöglinge bei wem liegen dürfen. “Was er ihnen antun könnte? Abgesehen von Tod oder sie zu Krüppeln zu schlagen?” Rondradin sah seine Glaubensschwester ernst an. “Oh ja, diese Gerüchte gibt es. Ob sie stimmen vermag ich nicht zu sagen, auch heute nicht. Andere Gerüchte besagen, dass er Knappen auch schon über mehrere Jahre hinweg den Ritterschlag verweigert hat. Zumindest hier kann ich sagen, dass es stimmt. Die betroffene Knappin habe ich selbst kennengelernt.” Ein langsames Ausatmen später, wurde seine Miene wieder weicher. “Jedenfalls gönne und beneide ich meinen Vetter und seine Geliebte. Sie sind das erste Mal richtig verliebt und die erste Liebe ist etwas besonderes.”

Rahjalind hielt sich erschrocken ihre Hand vor den Mund. Hatte sie das eben richtig gehört? Nur langsam wandelte sich der Schreck in Unglauben und weiter in Zorn. Sie schob ihre Augenbrauen zusammen. "Er ... er würde seine Knappin töten oder zum Krüppel machen? Weil sie sich verliebt hat?" Je mehr sie darüber nachdachte, desto größer wurde der in ihr lodernde Zorn. Möge Rahja diesen Mann strafen, sollte dies der Wahrheit entsprechen. Möge die Herrin ihm seine Manneskraft nehmen und möge er nie mehr Freude empfinden. Die junge Dienerin der schönen Göttin versuchte nach außen hin dennoch ruhig und gleichmütig zu wirken. Ihre roten Wangen und die Zornesfalte auf ihrer Stirn machten dies jedoch unmöglich. Es mochten zwar nur Gerüchte sein, aber ein jedes Gerücht hat einen wahren Ursprung. "Und Ihr werdet dazu genötigt diesen Mann zu Eurem Schwiegervater zu machen ...", bemerkte Rahjalind mit betretener Stimme, "... das ist nicht gerecht. Überlegt Euch das noch einmal. Es muss einen Weg da raus geben."

Sanft legte sich Rondradins Hand auf Rahjalinds Schulter. “Ich gab Ihm mein Wort. Daran lässt sich jetzt nichts mehr ändern. Vielleicht hätte ich damals etwas anderes tun können, aber in der Situation fiel mir einfach nichts mehr ein. Und natürlich waren es nur Gerüchte, aber ich konnte das Risiko in diesem Moment einfach nicht eingehen., zumal ich ihn noch nie in solcher Laune erlebt habe.” Ein tiefer Seufzer entfuhr ihm. “Wisst Ihr, wahrscheinlich hätte er Boromada nur übers Knie gelegt und Palinor eine Maulschelle gegeben, aber damals … er hat mir Angst gemacht.” Er konnte den Baron nicht so ins schlechte Licht gerückt stehen lassen. “Lucrann von Rabenstein ist ein strenger Mann und gewiss auch etwas eigen, aber wir haben zusammen einige Gefahren durchgestanden und ich schulde ihm einiges. Alles was ich jetzt noch tun kann, ist Ravena ein guter Gemahl zu werden, denn sie vielleicht sogar lieben kann.” Die Novizin nickte ihm langsam zu. Sehr überzeugt vom Versuch Rondradins, den Rabensteiner in einem besseren Licht dastehen zu lassen, war sie dennoch nicht. Was blieb war, dass dieser Mann seine Knappin wegen ihrer Liebe zu einem jungen Mann bestrafen wollte, was einem Rondrageweihten soviel Angst gemacht hatte, dass dieser eine Frau zu heiraten bereit war, die er nur marginal kannte. Rahjalind schüttelte ihren Kopf, sagte zu diesem Thema jedoch nichts mehr. Stattdessen hängte sie sich bei Rondradins Arm ein. "Lasst uns wieder zurückgehen. Ich verspreche Euch, dass niemand von diesem Gespräch erfahren wird."

Am Abend des Vortags hatte sich leider keine Gelegenheit ergeben, nochmals mit Nordrun zu sprechen, immer war die Bardin schon weg gewesen, wenn Doratrava an den Ort ankam, den man ihr als letzten Aufenthaltsort der Frau genannt hatte. Irgendwann hatte sie aufgegeben und war zu der Herberge "Lilienhain" zurückgekehrt. Dort hatte sie immerhin Erfolg gehabt und konnte deshalb ihr Pferd im Stall lassen, gegen ein geringes Entgeld natürlich. Anschließend hatte sie sich in den Gastraum der Herberge gesetzt, wo auch ein paar der anderen Musiker und Gaukler zugegen waren, um sich mit jenen ein wenig bekannt zu machen und wenigstens ein paar allgemeine Informationen über den Ablauf der Brautschau in Erfahrung zu bringen. Nachdem sie zu später Stunde die Gäste noch mit einem kleinen Tanz, auch über Tische und Bänke, belustigt hatte, war sie schließlich zu ihrem Zelt gegangen, um zu schlafen. Eigentlich hatte sie sich noch ein paar Gedanken machen wollen, was sie genau vorführen sollte, aber die vielen Eindrücke des Tages und das ein oder andere Bier in der Herberge hatten ihr schnell die Augen zufallen lassen. Wie immer war sie am heutigen Morgen kaum von ihrem Lager hochgekommen, erst als die Geräusche, eher der Lärm auf der Wiese ein Ausmaß angenommen hatten, welche man nicht mehr ignorieren konnte, hatte sie sich stöhnend erhoben und sich zu einem der Brunnen geschleppt, um sich einer Grundreinigung zu unterziehen und wach zu werden. Als das leidlich geklappt hatte, waren ihr zwei Dinge eingefallen: sie wusste noch immer nicht genau, was von ihr erwartet wurde, aber sie beschloss, sich davon nicht ins Bockshorn jagen zu lassen; und Gelda hatte sie in den "Stand" eines Gastes erhoben. Was die Gauklerin einerseits erschreckte, ihr andererseits aber auch sehr schmeichelte. Ein warmes Gefühl durchströmte sie, als sie an ihre Freundin dachte. Nur - was sollte sie anziehen? Ihre Auswahl war beschränkt, und ein allzu freizügiges Tanz- oder Akrobatikkostüm wollte sie nicht tragen, wenn sie sich unmittelbar unter die anderen Gäste mischte, das traute sie sich nicht, da sie noch immer unsicher war, was diese ganzen seltsamen Regeln betraf, die das adlige Volk da untereinander pflegte. Redete sie sich ein. Egal …

Die vielen Leute im Park und in den Pavillons sahen eine junge Frau von bemerkenswertem Äußeren über das schon etwas niedergetretene Gras gehen. Sie mochte etwas über 170 Halbfinger messen und trug ein rotes, recht knappes und leichtes Kleid, welches von der linken Schulter zur Mitte des rechten Oberarmes lief und dabei ihre wenig ausgeprägten Brüste so gut zur Geltung brachte, wie dies möglich war. Über die rechte Schulter lief ein dünnes goldenes Stoffband, welches das Kleid an dieser Stelle am Herunterrutschen hinderte, Bänder derselben Farbe waren über Kreuz um die Ellenbogen gewickelt, um dort die halblangen Ärmel festzuhalten, welche ab der Mitte des Unterarms in einem halbrunden, gefältelten Schleier ausliefen, der bis zum Handgelenk reichte. An der rechten Seite reichte das Kleid bis zum Knie, um von dort aus schräg geschnitten zu einer Stelle eine Handbreit unter der Hüfte auf der linken Seite zu laufen. Eine schmale, kunstvoll geknotete Schärpe im selben glitzernden Goldton wie die Bänder an den Ellenbogen betonte die schmale Taille der Frau. An den Füßen trug sie flache goldene Sandalen. Nur ein sehr genauer Beobachter würde erkennen können, das diese vom Farbton her nicht ganz mit dem Kleid harmonierten. Am auffälligsten waren aber die schneeweißen, rückenlangen, offen getragenen Haare der Frau, deren Haut dieselbe Farbe aufwieß. Die leicht im schwachen Wind flatternden Haare entblößten zuweilen leicht angespitzte Ohren. Mit federnden Schritten näherte sich die junge Frau dem Bereich unter dem Sonnenschutz, wobei sie sich neugierig, aber auch ein wenig schüchtern umsah.

Nachdem Rahjalind ihren Bruder wieder entlassen hatte beschloss sie sich etwas unter den bereits anwesenden Gästen umzusehen. Gemächlich schlenderte sie zwischen den Feiernden hindurch, schenkte einem jeden der Anwesenden ein strahlendes Lächeln und nutzte die Gelegenheit um sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Vor allem ein weißblondes Mädchen stach ihr dabei sogleich ins Auge. Sie passte nicht hier her und genau das machte sie in einem ersten Impuls so interessant. Da war ja Nivard! Doratrava winkte sogleich, doch der junge Krieger war in ein Gespräch mit zwei anderen Männern vertieft und sah es wohl nicht, es sah ziemlich vertraut aus, wie diese miteinander umgingen. Freunde vielleicht? Nun ja, die Feier hatte gerade erst begonnen, sie würde schon noch Gelegenheit haben, mit Nivard zu sprechen. Außerdem sah die Gauklerin eine sehr groß gewachsene, kräftig wirkende Frau mit schwarzen Haaren, deren Züge verdächtig denen Rondradins glichen. Hatte der Geweihte auf der Reise hierher nicht seine Schwester erwähnt, die er hier treffen wollte? Das musste sie dann wohl sein, aber von Rondradin selbst war nichts zu sehen. Da fiel Doratrava eine auch recht groß gewachsene, sehr junge Frau mit langen, honigblonden Haaren in einem Kleid auf, welches fast den selben Farbton wie ihr eigenes aufwies und für die Verhältnisse der anderen anwesenden Damen auch recht offenherzig geschnitten war. Die Frau, fast noch ein Mädchen, lächelte strahlend und sah sie direkt an. Die Gauklerin fühlte sich sofort zu ihr hingezogen, was eigentlich nicht ihre Art war, aber sie beschloss, ihr übliches Misstrauen für heute beiseite zu lassen und lenkte ihre Schritte auf die Frau zu, um vor ihr einen kleinen Knicks zu machen. "Seid gegrüßt, meine Dame. Kennen wir uns?" ging Doratrava mit schelmischem Lächeln in die Offensive.

Für einige Momente wortlos, aber freundlich lächelnd musterte die Novizin die junge Frau, dann schüttelte sie leicht den Kopf. "Nein, tun wir nicht. Ich bin Rahjalind vom Traurigen Stein, du ...", sie machte eine kurze Pause um ihrem Gegenüber zu signalisieren, dass ein beiderseitiges "Du" in ihrem Sinne war, "... kannst mich aber Rahjalind nennen." Abermals ließ die Linnartsteinerin ihren Blick über ihr Gegenüber schweifen. "Schönes Kleid übrigens. Gehörst du zu den Gästen oder dem Personal?" Das mit dem “Du” war Doratrava gleich recht. Sie schmunzelte innerlich ein wenig, als sie daran dachte, dass sie noch vor zwei Jahren oder so jeden gedutzt hatte - einfach aus dem Grund, weil sie es nicht besser gewusst und sowieso nichts mit Adligen zu tun gehabt hatte. “Danke … Rahjalind. Ich heiße Doratrava und bin, nun, Gauklerin trifft es wahrscheinlich am besten. Schönes Kleid übrigens”, gab sie neckisch mit breitem Grinsen zurück. “Und - doch, tun wir … seit gerade!” Doratrava lachte fröhlich auf, um dann endlich die Frage zu beantworten: “Äh, vermutlich beides? Ich soll der Unterhaltung der Gäste dienen, aber Gelda von Altenberg hat mich ebenso als Gast eingeladen. Wie ich das unter einen Hut bringen soll, weiß ich noch nicht, aber das wird sich schon weisen. - Und du? Bist du Werberin oder Umworbene? Oder beides?” Erneut lächelte Doratrava recht frech. Irgendwie hatte sie bei dieser Frau, diesem Mädchen eher, das Gefühl, dass diese ihr daraus keinen Strick drehen würde.

Rahjalind lächelte vielsagend. "Ich bin eine Dienerin der schönen Göttin, Doratrava. Ihr gehört mein Leben und meine Liebe. Ich weiß nicht ob ich eine anständige Braut abgeben würde und ob sich überhaupt ein Mann fände, der mit meinem Leben als Dienerin der Schönen umgehen könnte, aber sag niemals nie." Sie zwinkerte ihr zu. "Aktiv um die Gunst eines der hier anwesenden, braven Männer werde ich nicht buhlen. Ob ich umworben werde ... nun ja, das überlasse ich meiner Herrin. Aber ich hoffe dennoch, dass ich mich hier amüsieren kann. Und du? Wirst du dich umwerben lassen?" Ein Adeliger würde das exotische, weißhaarige Mädchen wohl bloß als Zeitvertreib wählen, doch vielleicht fanden sich hier auch einfache Männer.

Eine Dienerin der Rahja? Doratrava zuckte innerlich zusammen, sie dachte schmerzlich an Jel … und an Lugan … und da sich damit ihre Erfahrungen in Liebesdingen erschöpften, verbannte sie diese Gedanken schnell wieder aus ihrem Kopf. “Ach, was sollen denn die ganzen Adligen mit einer einfachen Gauklerin anfangen?” erwiderte sie leichthin, wobei sie ein leichtes Schwanken nicht aus ihrer Stimme heraushalten konnte, denn sie wusste sehr wohl, was manche Adligen von ihr wollen könnten … und das war sie nicht bereit zu geben, das hatte in der Vergangenheit schon zu einigen unschönen Situationen geführt. Plötzlich fühlte sie sich nackt, nicht wegen des dünnen, knappen Kleides, das sie trug, sondern wegen der Abwesenheit ihrer Wurfdolche - auch wenn sie noch nie eine Waffe gegen einen sie bedrängenden Adligen erhoben hatte. Aber Doratrava verbot sich, jetzt weiter über solche Dinge nachzusinnen, dazu war der Tag zu schön und ihre Stimmung eigentlich zu gut. “Aber wenn es jemand versucht? Wer weiß …” setzte sie daher bewusst keck hinzu. “Aber … wenn du keine aktive Teilnehmerin an der Brautschau bist - warum bist du dann hier? Sollst du die Verbindungen, die sich hier ergeben, segnen oder so?” Nein, das konnte eigentlich nicht sein, Rahjalind sah noch sehr jung aus. Und wenn sie an den gestrengen Winrich dachte, der würde doch sicher keine Rahjageweihte hierher bestellen? Neugierig sah sie Rahjalind an.

Kurz stahl sich ein Lächeln auf die Züge der Novizin. "Ich denke nicht, dass es meinen Segen braucht. Ich bin noch nicht geweiht und ich konnte bereits einige Vertreter der Zwölfgötter ausmachen. Den hier hoffentlich zusammen findenden Paaren sollte es also möglich sein, ihre Verbindung segnen zu lassen." Rahjalind musterte Doratrava noch einmal von Kopf bis Fuß. Irgendetwas an ihr zog sie in ihren Bann. "Was aber nicht bedeutet, dass ich den hier Werbenden nicht helfend unter die Arme greifen würde. Viele wirken noch etwas in sich gekehrt und beinahe schüchtern." Sie blickte über die Versammelten. Es wirkte in der Tat noch etwas hölzern, ganz anders als sie es aus dem Tempel oder von den Festen ihrer Familie gewohnt war. "Um deine Frage zu beantworten; meine Mutter hatte gemeint es wäre eine gute Idee hierher zu kommen und Kontakte zu schließen. Vielleicht finde ich auch eine Frau für meinen großen Bruder ...", Rahjalind kicherte und hob kurz ihre Schultern, "... und was mich selbst angeht, ich würde mich schon als aktive Teilnehmerin bezeichnen. Wie bereits gesagt, lasse ich es auf mich zukommen. Wer weiß was meine Herrin für mich im Sinn hat. Ich bin schon sehr gespannt auf deine Darbietungen. Ich hätte dir dann vielleicht sogar ein Angebot zu machen." “Ich bin auch sehr gespannt auf meine Darbietungen”, antwortete Doratrava verschmitzt, nochmals darauf anspielend, dass sie selbst noch immer nicht genau wusste, wie das alles hier ablaufen würde, mal abgesehen von Maura von Altenbergs Rat vorhin, sie solle einfach sie selbst sein. “Am liebsten würde ich tanzen, aber ich weiß nicht, ob sich das mit Nordruns Plänen für mich deckt - Nordrun von Lilienhain, die Bardin, die für die Familie Altenberg die Feierlichkeiten koordiniert, ich weiß nicht, ob du ihr schon begegnet bist”, fügte die Gauklerin erklärend hinzu, bevor sie ihre Neugier nicht mehr zügeln konnte. “Ein Angebot? Was meinst du damit?” "Nun ja ...", begann die Novizin zögerlich, "... meine Familie veranstaltet ab und zu ... besondere Feiern und Bälle ...", sie lächelte verlegen, "... ich würde meine Mutter gerne mit einer neuen Künstlerin überraschen." In ihrem Rücken hörte Rahjalind eine ihr unbekannte Frau, die allem Anschein nach Doratrava herbeirief. Kurz zog die junge Adelige irritiert eine Augenbraue hoch, dann lächelte sie ihrem Gegenüber zu. "Ich denke du wirst gesucht ...", sie zwinkerte der Gauklerin zu, "... wir reden später noch." Leicht befremdet ob der vorsichtigen Wortwahl der Novizin hob Doratrava eine Augenbraue, doch bevor sie nachfragen konnte, hörte die Gauklerin jemanden ihren Namen rufen. Leicht bedauernd verabschiedete sie sich von ihrer neuen Bekanntschaft: “Hat mich gefreut - und ja, wir sollten später noch einmal reden. Auch darauf freue ich mich!” Sie zwinkerte Rahjalind zu, dann folgte sie dem Ruf.

Es geht los

Nachdem die meisten Gäste auf ihren angestammten Plätzen waren, schaute sich Nordrun nach der Gauklerin um. Nicht lange dauerte es und sie sah den weißhaarigen Schopf. Zielstrebig ging sie zu Doratrava. “Da bist du ja. Es geht bald los, ich würde dir gerne die Musikanten vorstellen. Kannst du mir bitte zum bunten Zelt folgen?” fragte sie eindringlich und mit einem nervösen Unterton. Etwas erstaunt über die Nervosität der bisher doch so souverän wirkenden Bardin folgte Doratrava dieser. “Ja, natürlich”, versicherte sie zusätzlich. “Was ist denn los? Du wirkst so … ich weiß nicht, angespannt?” “Angespannt, ha!” gab ihr die Bardin leicht ironisch zurück. Sie öffnete die Zeltplane und vier Leute begrüßten Doratrava. “Doratrava, darf ich dir vorstellen: die Gänsepfeiffer!” Die Vorstellung wurde mit Gelächter der Schauleute beantwortet. “Für den heutigen Tag habe ich eine Truppe zusammengestellt, um diese Brautschau zu begleiten. Und du gehörst jetzt dazu.” Nordrun wirkte jetzt wieder entspannter. “Das ist meine Flötnerin Gerta.” Sie deutete auf eine fast zahnlose Frau mit grauen dicken Zöpfen und bunter Gewandung. “Toras, der Trommler.” Ein junger Mann, im selben Alter der Gauklerin, erhob und verbeugte sich. Sein blondes, lange Haar war lose zu einem Pferdeschwanz gebunden und er trug eine einfache braune Hose und Leinenhemd. “Die Bänkelsänger Malfada und Woltan.” Zwei sich recht ähnlich sehende Sänger in grüner Leinengewandung lächelten ihr zu. Doratrava verbeugte sich ihrerseits. “Meinen Namen kennt ihr nun ja schon, eure kann ich mir vielleicht irgendwann auch merken”, begann sie scherzhaft und herzlich lächelnd. “Ich bin Tänzerin und Akrobatin, und was ist eine Tänzerin ohne Musik? Wir werden uns sicher gut verstehen”, fügte sie hinzu. Dass sie auch Messerwerferin war, erwähnte sie nicht, das kam auf solchen Adelsveranstaltungen eher nicht so gut an.

“Die letzten Tage waren so hektisch und ich konnte leider nicht alle so vorbereiten, wie ich das gerne gehabt hätte. Gelda erzählte mir, das du intuitiv deine Kunst anbietest. Genau diese Stärke brauchen wir jetzt. Als, zur Praiosstunde kommen die Altenbergs. Da werden wir ein fröhliches Lied spielen und da kannst du gerne dazu tanzen oder was dir sonst so einfällt.” Nordrun schaute sie jetzt ernst an. “Zur Boronsstunde bis zur Firunsstunde werden wir uns unter die Leute mischen und unsere Kunst frönen. Gleich im Anschluss bis zur Phexstunde, da wird das Bankett stattfinden, werde wir wieder als Gruppe agieren. Und zum Beginn des Fest, dass bis zur Rosenstunde geht, werde wir die Gäste begleiten. Hast du noch Fragen?” Nachdenklich ging Doratrava im Kopf die einzelnen Punkte durch. “Hm, ja. Was ist das für ein Lied, das zum Einzug der Altenbergs gespielt wird? Können wir das gleich einmal durchspielen, damit ich mir einen Tanz überlegen kann? Und wenn wir uns dann ab der Boronsstunde unter die Leute mischen, können wir da machen, was wir wollen? Und genauso während des Fest, was heißt ‘die Gäste begleiten’?” Alle Unsicherheit war von der Gauklerin abgefallen. Hier ging es um ihre Kunst, und natürlich auch um die der Musiker, da kannte sie sich aus, das war ihr Feld, wo ihr so schnell niemand etwas vormachte. “Genau, zur Boronsstunde macht jeder was er möchte. Es wird ein Lustwandeln der Gäste geben, dazu können sie den ganzen Park benutzen.” Nordrun griff ihre Knicklaute. “Mein Bruder, Hochwürden Winrich, hat sich den ´Walz der Gänse´ von Traviata Schnurrz gewünscht” Dann gab die Bardin ein Zeichen und die Musikanten fingen an das fröhliche Lied zu spielen und die Geschwister an zu singen. Doratrava verdrehte innerlich die Augen, nicht wegen der Melodie an sich, sondern wegen dem eindeutigen Travia-Bezug, der ihr schon wieder sauer aufstieß, aber das behielt sie lieber für sich. Zudem war die Melodie zwar eingängig, aber daher auch sehr einfach gestrickt, was ihr nicht allzu viele Möglichkeiten bot, ihre Kunst auszuspielen. Doch nach den ersten Takten fand die Gauklerin ihren Rhythmus und zauberte einige ausgefallene Figuren auf den nicht vorhandenen Tanzboden, was den Zuschauern schon einen kleinen Vorgeschmack auf ihr außergewöhnliches Talent erlaubte. Auf akrobatische Einlagen verzichtete sie allerdings, das gab das Lied nun wirklich nicht her. Hm, es sei denn, sie verzichtete auf den Tanz und ersetzte ihn vollständig durch Bodenakrobatik. Nun ja, sie hatte ja noch ein wenig Zeit zum Nachdenken. Nach dem Ende des Stücks verbeugte sie sich vor den Musikern und Sängern und auch vor Nordrun. “Habt Dank, das wird schon reichen, damit ich mir etwas ausdenken kann. - Wie war das nun während des Fests?” wandte Doratrava sich wieder an Nordrun, die ihre letzte Frage noch nicht beantwortet hatte. “Das Fest? Da kannst du dir gerne etwas große ausdenken. Ich könnte ein Seil spannen lassen zwischen den Pavillons, falls du sowas kannst. Wir werden den ganzen Abend Lieder musizieren. Hauptsächlich Liebeslieder. Falls du Jonglieren kannst, läßt sich da bestimmt was finden. So, ich muss wieder raus. Ihr könnt gerne noch ein wenig üben hier drin, ich gebe euch dann ein Zeichen, wenn die Altenberger eintreffen.” Sie schaute nochmals alle an, dann verließ die Bardin das Zelt. Doratrava sah der Bardin sinnend hinterher. Ein Seil … hm … sie hätte da eine Idee, aber das musste sie erst noch einmal genau durchdenken in einem ruhigen Moment. Jetzt aber galt es, sich auf den Einzug der Altenbergs vorzubereiten, hatte sie doch keineswegs vor, Maura und vor allem Gelda zu enttäuschen. Sie klatschte in die Hände, um die Aufmerksamkeit der Spielleute auf sich zu lenken, und bald darauf tanzte sie zum zweiten Mal zum “Walz der Gänse”.