Travin und Erdrun

Junkergut Bussardstein, Baronie Witzichenberg

Efferd 1045 BF - Travia 1046 BF

Dramatis Personae:
Travin von Siebenstein, Erbe des Junkerguts Bussardstein
Erdrun Eisenblatt, Meisterin der barönlichen Fischteiche
Melinde Eberwulf von Tannwirk, Baronin zu Witzichenberg
Jergan von Siebenstein, Großvater Travins
Belina von Siebenstein, Junkerin zu Bussardstein, Mutter Travins

Travin von Siebenstein ging über die Felder gen Kreuzweiher, auf der Suche nach dem jungen Falken, den er gerade ausbildete und der ausgebüchst war. Zuletzt hatte Travin ihn Richtung des Perainetempels fliegen sehen. Allerdings befürchtete er, dass der Vogel in das nahegelegene Wäldchen geflogen war, und dort würde es schwierig werden, ihn zu finden. Travin seufzte, eigentlich sollte er jetzt mit seiner Mutter, Belina von Siebenstein, Junkerin von Bussardstein, Angelegenheiten des Gutes besprechen, dessen Erbe er war. Es gefiel ihm aber besser, sich um seine Vögel zu kümmern. Bussardstein beherbergte die Hauptfalknerei der Barone zu Witzichenberg und diese leitete er.

Der Tag war schon fortgeschritten und die Praiosscheibe stand bereits tief am Horizont. In zwei Stunden würde es dunkel sein. Die Felder waren bereits abgeerntet, Travin schritt über Stoppelfelder und dachte daran, wie gut die Ernte dieses Jahr ausgefallen war. Tatsächlich hatte ihn seine Mutter auch dieses Mal bei der Ernte wieder mitarbeiten lassen, damit er Ahnung von der Landwirtschaft bekäme. Auch seine Schwester Lara hatte für einige Tage zur Ernte anrücken und helfen müssen.

Travin blickte sich suchend nach dem Falken um, jedoch war von dem Tier weder etwas zu sehen noch zu hören. In einiger Entfernung nahm er zwei Frauen wahr, die ihre Pferde an den Zügeln führten und in ihr Gespräch vertieft waren. Travin kniff die Augen zusammen, er zählte inzwischen fast 45 Götterläufe, und seine Augen sahen nicht mehr so scharf wie in seiner Jugend. Er erkannte die Baronin und ihren Fuchs, aber die andere Frau kannte er nicht. Er schlug die Richtung ein, um der Baronin die Referenz zu erweisen. Inzwischen hatten ihn die beiden Frauen ebenfalls bemerkt und wandten sich ihm zu. Travin näherte sich ihnen schließlich soweit, dass er erkennen konnte, dass sie an den frisch ausgehobenen Gruben standen, wo die geplanten Fischteiche entstehen würden. Die unbekannte Frau mochte etwa 25 Götterläufe zählen. Sie war nicht ganz 170 cm (Halbfinger?) groß und relativ schlank. Ihre langen braunen Haare waren zu einem praktischen Zopf geflochten. Der Blick ihrer grünen Augen traf Travin direkt ins Herz und er konnte sich später nicht mehr daran erinnern, wie und ob überhaupt er die Damen begrüßt hatte.

Melinde Eberwulf von Tannwirk, Baronin zu Witzichenberg, und Herrin der künftigen Fischteiche, konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken, als der Leiter ihrer Falknerei vor ihnen stand und den Mund nicht aufbekam. Er starrte ihre Begleiterin an und bekam kein Wort heraus. Mit seinen speckigen Lederhosen, den ausgetretenen Stiefeln, seiner abgetragenen Jacke und dem stieren Blick hätte man ihn für den Dorfdeppen halten können.

„Frau Eisenblatt, darf ich Euch Herrn von Siebenstein, Erbe des Junkerguts Bussardstein und Leiter meiner dortigen Falknerei, vorstellen?“ Sie lächelte ihren Falkner an: „Travin, das ist Frau Erdrun Eisenblatt, die den Aufbau und die Leitung meiner Fischzucht übernommen hat“. Travin erwachte aus seiner Erstarrung. Er verbeugte sich vor den Damen und sagte etwas, das „Es ist mir eine Ehre“ heißen sollte, aber bei Melinde und Erdrun als „Wfrgst“ ankam. Irritiert blickte Erdrun auf ihre Dienstherrin. „Travin, befindet Ihr Euch wohl?“ Er zwang sich, den Blick von den grünen Augen abzuwenden und so langsam fühlte er sich wieder in der Lage, sich adäquat zu artikulieren. „Ja, danke, Euer Hochgeboren! Frau Eisenblatt, es ist mir ein Vergnügen, Euch kennen zu lernen!“ Er verbeugte sich und Erdrun knickste anmutig vor ihm. „Das Vergnügen ist ganz meinerseits!“, ein leichtes Zucken um ihre Mundwinkel fiel nur Melinde auf. „Frau Eisenblatt ist die Tochter Seiner Wohlgeboren Leuthwin Eisenblatt, Edler zu Hohwiesen, in der Baronie Orgils Heim.“ „Oh!“, war Travins einzige Erwiderung. „Seid Ihr unterwegs zum Perainetempel? Ich hoffe, niemand auf Bussardstein ist erkrankt?“, erkundigte sich Melinde. „Nein, nein, seid unbesorgt, Euer Hochgeboren! Doch leider muss ich Euch mitteilen, dass Kasimir ausgebüchst ist und ich suche ihn.“ „Ich bin sicher, dass er sich wieder einfinden wird. Wenn Ihr uns jetzt bitte entschuldigen würdet, man erwartet uns zum Abendessen auf der Burg.“ Travin verbeugte sich kurz vor Melinde, die sich in den Sattel schwang und trat dann zu Erdrun, um ihr in den Sattel zu helfen, was diese sich gern gefallen ließ. Die beiden Frauen ritten davon und Travin blickte ihnen versonnen nach.

Er war nicht mehr jung, würde bald seinen 45. Tsatag begehen. Er war bisher nicht vermählt, war auch noch nie ernsthaft verliebt gewesen. Sicher, die ein oder andere Schwärmerei hatte es mal gegeben, aber auch nicht mehr. Seine Mutter lag ihm ständig in den Ohren, er solle sich eine Gemahlin nehmen, denn das Junkergut brauche auch nach ihm einen Erben, doch Travin war schüchtern und introvertiert. Am wohlsten fühlte er sich in der freien Natur und bei seinen Vögeln. Das Falknerhandwerk hatte er von seinem Großvater Jergan erlernt, dem er so ähnlich war. Und jetzt ging er bloß über ein Stoppelfeld und ganz unvermutet hatte Rahja zugeschlagen. Diese grünen Augen - und es war um ihn geschehen…

Mit einem Seufzer trat er den Rückweg nach Bussardstein an. Den Falken würde er heute nicht finden. Am nächsten Tag verrichtete Travin seine Aufgaben wie ein Schlafwandler. Den Fragen seiner Familie, was mit ihm los sei, wich er aus und entschuldigte sich nach den Mahlzeiten rasch mit der Begründung, er müsse den Falken suchen.

Am übernächsten Tag erschien Erdrun auf Gut Bussardstein. Ein Knecht hatte ihr Pferd in den Stall gebracht und wies ihr den Weg zur Falknerei, wo Jergan und Travin die Futterlisten durchgingen. Um die beiden Männer, die in ihre Arbeit vertieft waren, nicht zu erschrecken, hüstelte sie aus einiger Entfernung behutsam. Man wurde auf sie aufmerksam. Travin eilte zu ihr. „Frau Eisenblatt! Welch‘ unerwartetes Vergnügen! Was führt Euch zu uns? Darf ich Euch meinen Großvater vorstellen?“ Der alte Mann erhob sich mit etwas Mühe und verbeugte sich vor der jungen Frau, die die Verbeugung mit einem Knicks erwiderte. „Jergan von Siebenstein“ „Erdrun Eisenblatt. Es ist mir eine Ehre, Euer Wohlgeboren!“ Jergan winkte ab. „Meine Tochter trägt diesen Titel, nicht ich. Seid Ihr die junge Dame, die die Fischzucht der Baronin führen wird?“ „So ist es!“ Sie wandte sich Travin zu: „Ich habe etwas für Euch“, und reichte ihm einen Korb. Travin schaute verwundert darauf. „Ihr müsst ihn vorsichtig öffnen!“. Ein heißeres Kreischen aus dem Korb zauberte ein Lächeln auf Travins Gesicht. „Ihr habt Kasimir gefunden?!“ „Ja, ich fand ihn vorhin bei den Fischteichen - also bei den künftigen Fischteichen. Ich glaube, er ist verletzt.“ Vorsichtig nahm Travin den Vogel aus dem Korb und gemeinsam untersuchten Großvater und Enkel das Tier. „Ja, der Flügel hängt herab. Bitte nehmt doch Platz, das wird jetzt einen Moment dauern.“ Erdrun setzte sich und schaute sich um, während Kasimir verarztet wurde.

Nach abgeschlossener Behandlung wurde Kasimir in eine kleine Voliere gesteckt, wo er sich auskurieren sollte. Jergan nickte dem Gast zu und ging Richtung Haus. Travin bot Erdrun an, ihr die Falknerei zu zeigen, was diese gern annahm. „Hier verbringe ich die meiste Zeit des Tages. Das Wohl meiner Zöglinge liegt mir sehr am Herzen.“ „Es sind ausnehmend schöne Tiere,“ lobte Erdrun die Vögel. „Mögt Ihr Falken?“ „Ich habe Tiere im Allgemeinen sehr gern. Ich bin auf einem Hof aufgewachsen und natürlich hatten wir dort auch Vieh. Mich um Tiere zu kümmern, bereitet mir große Freude“. „Wo kommt Ihr her?“ „Ich stamme aus dem Windhag, aus Widdernhall genauer gesagt.“ „Was hat Euch in die Nordmarken verschlagen?“ „Mein Vater ist auch Edler zu Hohwiesen in Orgils Heim. Nachdem mein Vater den Hof in Widdernhall führt, vertritt mein Bruder Ludger ihn in Hohwiesen. Einmal im Jahr reist mein Vater nach Hohwiesen, seit einigen Götterläufen begleite ich ihn. So sehe ich mal was anderes als immer nur den heimischen Hof. Bitte versteht mich nicht falsch, ich bin gerne Daheim, aber es ist doch schön, mal zu reisen.“ Sie lächelte Travin an und in ihre grünen Augen zogen ihn wieder in ihren Bann. Mangels Worten nickte er nur. „Auf der Reise besuchen wir eine Bekannte Papas, die uns Nachtquartier anbietet. Es ist Eure Nachbarin, die Junkerin von Gut Drachenstieg.“ „Ah! Nyah! Ja, wir kennen uns gut.“ „Bei unserem letzten Besuch war auch Ihre Hochgeboren anwesend und als wir zu Abend speisten, berichtete sie uns von ihren Plänen, eine Fischzucht anzulegen. Da ich ein wenig davon verstehe, habe ich ihr meine Hilfe angeboten. Wir sind in Kontakt geblieben und sie hat mich in ihren Dienst genommen.“ „Was für ein Phex“, murmelte Travin leise. Erdrun ließ sich nicht anmerken, ob sie ihn gehört hatte. „Wo wohnt ihr?“ „Ich habe meine Räumlichkeiten auf Gut Kreuzweiher, so bin ich in der Nähe der Teiche.“ „Gefällt es Euch dort?“ Erdrun lachte: „Ich bin keinen Komfort gewohnt, und die Zimmer sind ganz hervorragend.“ „Dann sind wir jetzt auch Nachbarn!“, entfuhr es Travin. „Ja, so ist es.“ Um Erdruns Mundwinkel zuckte ein Lächeln. „Es ist schon spät. Möchtet Ihr mit uns zu Abend speisen?“ „Danke, sehr gerne, wenn es keine Umstände macht!“ „Nein, überhaupt nicht!“ Travin reichte ihr seinen Arm und führt sie zum Haus, wo man schon dabei war, die Tafel aufzutragen. Jergan hatte einen Gast zum Abendessen angekündigt und Travins Mutter kam, um die junge Frau zu begrüßen. Obwohl die Junkerin eher zurückhaltend, um nicht zu sagen steif, war, unterhielten sich alle anderen fröhlich und unbefangen. Nach dem Mahl geleiteten Belina und Travin Erdrun zur Türe. Jergan hatte sich bereits im Saal verabschiedet. Ein Knecht führte zwei Pferde vor. Fragend blickte Erdrun Travin an. „Es ist bereits dunkel, ich geleite Euch nach Kreuzweiher zurück“, antwortete er. Galant half er ihr in den Sattel und schwang sich dann auf sein eigenes Pferd. Belina verabschiedete sich und winkte grüßend, dann ging sie wieder ins Haus, während Erdrun und Travin davonritten.

Sie ritten gemächlich, hatten es nicht eilig, nach Kreuzweiher zu gelangen. Unterwegs erzählte Travin von sich: dass er auf Bussardstein geboren und aufgewachsen war und dass er das Falknerhandwerk von seinem Großvater erlernt hatte. Dass er mit Tieren lieber zusammen war, als mit Menschen und dass er steife Gesellschaften und Feste nicht schätzte, weil er sich dort deplatziert fühlte. Er erzählte von seinen Schwestern Gwynna, die Falknerin am Grafenhof in Gratenfels war, Yasmine, die in der Flussgarde diente, und Lara, die jüngste Schwester, eine ausgebildete Kartographin und Schriftgelehrte, die in der Nähe wohnte. Lara lebte, zum Leidwesen der Mutter, unverheiratet mit ihrem Frodebrand zusammen und gemeinsam gingen beide auf Reisen und erlebten Abenteuer.

Travin hatte das Gefühl, dass er noch nie in seinem Leben so viel geredet hatte und dass er noch nie jemandem soviel von sich anvertraut hatte. Bei Erdrun fiel es ihm gar nicht schwer. Sie verstand ihn und es langweilte sie nicht, wenn er so viel von den Vögeln sprach. Schließlich erreichten sie doch Kreuzweiher. Es war unvermeidlich gewesen und doch hatten sie gehofft, dass der Weg sich weiter hinziehen würde. Etwas schüchtern verabschiedeten sie sich voneinander und Travin ritt nach Hause. Die nächsten Tage begegneten sich die beiden nicht, Arbeit hielt sie davon ab. Jergan schmunzelte, wenn er sah, dass sein Enkel versonnen gen Kreuzweiher blickte, sagte aber nichts. Und auch Travin sagte nichts, obwohl sein Großvater ihm näher stand, als irgendjemand sonst.

Auch Erdrun dachte häufig an Travin, versuchte aber ihn aus ihren Gedanken zu verbannen und sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Diese Position als Meisterin der barönlichen Fischteiche war für sie eine große Gelegenheit und sie wollte keine Fehler machen. Sie studierte die Schriften über Fischzucht, die sie sich besorgt hatte und überwachte das Anlegen und befüllen der Teiche. Wenn sie abends in ihrer Kammer in ihrem Bett lag, gelang es ihr jedoch nicht mehr, Travin aus ihren Gedanken zu verbannen. Sie schalt sich eine Närrin: „Er ist der Erbe eines Junkerguts, er kann kein aufrichtiges Interesse an Dir haben! Und wenn doch, dann würde seine Mutter niemals ihre Zustimmung geben. Ich bin nur ein einfaches Bauernmädchen aus dem Windhag. Er kann und wird eine bessere Partie machen, eine standesgemäße und was würde dann aus mir?“ In den nächsten Monden liefen sich Erdrun und Travin mehr oder weniger zufällig immer wieder über den Weg - meistens weniger zufällig. Wenn sie beieinander waren, fühlten sie einander nah und vertraut. Sie sprachen über alles, was ihnen durch den Kopf ging und wichtig war - oder sie schwiegen einträchtig. Inzwischen trafen sie sich regelmäßiger. Erdrun hatte bei den Fischteichen eine Bank aufstellen lassen, dort saßen sie beisammen, schauten auf die Teiche und genossen die Abendstimmung.

Das Jahr schritt voran, die Tage wurden kürzer und es wurde kälter. Nun kam Travin meist am späten Vormittag zu den Teichen und Erdrun berichtete von den Fortschritten der Fischzucht. Oft kam Travin auch nach Kreuzweiher zu besuch, Erdrun hingegen vermied es, allzu oft nach Bussardstein zu gehen, um Travins Mutter nicht gegen sich aufzubringen. Sie stand noch nicht lang in den Diensten der Baronin und fürchtete, die Stelle zu verlieren, wenn sich die Junkerin bei ihrer Dienstherrin über sie beschwerte. Auch Travin erzählte seiner Familie nicht, wohin er so häufig ritt. Belina, sehr mit der Leitung des Gutes beschäftigt, bekam davon nichts mit.

Am Abend der Erleuchtungsfestes, am 30. Hesinde, trafen sie sich an ihrer Bank an den Fischteichen. Erdrun hatte ein kleines Lagerfeuer entzündet. Die Bank hatte sie mit Schaffellen bedeckt und ein Weidenkorb stand bereit. Travin erschien zur verabredeten Stunde, eine Sturmlaterne in der einen Hand, in der anderen ein Korb. „Hesinde zum Gruße!“, begrüßte Erdrun ihn fröhlich. Etwas befangen erwiderte er ihren Gruß. Die Frau bemerkte seine Unsicherheit und bot ihm einen Becher Glühwein an, den sie in einem Topf im Feuer erwärmt hatte. „Danke Dir, Erdrun!“. Travin lächelte sie an. Sie stießen an und setzen sich auf „ihre“ Bank. „Was ist mit Dir?“, fragte sie ihn. Travin schwieg. Erdrun gab ihm Zeit und nippte an dem Glühwein. Bei sich dachte sie: „Jetzt sagt er es mir, dass er mich nicht mehr sehen möchte und dass seine Mutter eine Braut für ihn gefunden hat“, ein Stein schien in ihrer Brust zu sitzen. „Ich habe Dir etwas mitgebracht“, er zog einen kleinen Krug aus dem Korb. „Es ist Honig von unseren Bienen.“ „Danke, dass ist sehr aufmerksam von Dir! Möchtest Du etwas essen?“ Erleichtert nickte er. Erdrun holte Würstchen aus dem Korb, spießte sie auf und legte sie ans Feuer. Dazu reichte sie Brot. Travin holte Schinken und Käse aus seinem Korb und gemeinsam beteten sie zu der Allweisen und ließen sich im Anschluss ihr Mahl schmecken. Sorge und Befangenheit verschwanden und es dauerte nicht lange, bis sich die alte Vertrautheit wieder eingestellt hatte. Erdrun erzählte lachend eine Anekdote von ihrem heimatlichen Hofe, wo Hund und Katze einen Festtagsbraten ergattert hatten und die Familie ohne feiern musste. Travin fiel in ihr Gelächter ein.

Es begann zu schneien. Zarte Flocken tanzten im Mondlicht und Travin nahm Erdruns Hand. Sie rückten näher zusammen. „Ist Dir kalt?“, fragte er. „Nein.“ Erdrun rückte noch etwas näher: „Sieh‘ mich an“, forderte sie ihn auf und als er ihr den Kopf zuwandte, küsste sie ihn. Travin legte seine Arme um sie und so blieben sie sehr lange, innig verbunden, aneinandergeschmiegt. Als das Feuer heruntergebrannt war, erhoben sie sich. Travin half Erdrun mit den Sachen und brachte sie nach Hause. Ein letzter Kuss an der Haustür, dann machte er sich auf den Rückweg nach Bussardstein. Ihm war, als schwebte er. Und besonders lang kam ihm der Weg auch nicht vor.

Firun hielt diesen Winter in seinem strengen Griff, viel Schnee fiel und Travin konnte Erdrun nicht so häufig sehen, wie er gerne gewollt hätte. Schließlich nahte der Phexmond, in dem Travins Tsatag lag und gefeiert werden sollte. Belina plante das Fest und überlegte, welche heiratsfähigen Damen von Stand sie einladen könnte, doch noch immer ließ das Wetter keine weiten Reisen zu, so dass nur die Familie DaRe von Tannwirk aus Gut Drachenstieg und Lara mit Frodebrand aus Witzichenberg dazu kam. Die Baronsfamilie hatte sich entschuldigt, denn Melinde war kürzlich mit einer weiteren Tochter niedergekommen. Und auf Travins Einladung erschienen aus Kreuzweiher der Vogt Gero Bartlenhaus mit seiner Frau und Erdrun Eisenblatt.

Die Unterhaltung bei Tisch verlief fröhlich und ungezwungen, nur Belina war, wie üblich, etwas steif. Nyah DaRe von Tannwirk, die Junkerin zu Bussardstein und Erdrun unterhielten sich angeregt, sie kannten sich ja schon länger. Travin und sein Großvater Jergan zogen Gero und seine Frau in ein Gespräch, während Lara versuchte, ihre Frau Mama etwas aufzuheitern. Frodebrand und Reto diskutierten angeregt über Retos Branntweine und die Lage auf der Reichsstraße, für deren Sicherheit beide verantwortlich waren, da Frodebrand als Interims-Kommandant die Motte Feldertrutz leitete und Reto den Bereich der Straße zu überwachen hatte, der an Gut Drachenstieg grenzte. Diejenigen unter dem Gesinde, die ein Instrument beherrschten, spielten nach dem Mahl zum Tanze auf. Der Tisch und die Stühle wurden an die Wand gerückt und alle tanzten. Obwohl Belina sorgfältig darauf achtete, ob Travin Erdrun besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden ließ, konnte sie nicht feststellen, dass er ihr mehr Beachtung schenkte, als den anderen Gästen, was sie beruhigte.

In wenigen Wochen stand ein gesellschaftliches Ereignis an, auf das sie ihre Hoffnungen setzte. Sie waren zur Hochzeit des Barons von Tommelsbeuge und seiner Braut, Tsaja Eberwulf von Tannwirk, geladen. Alles, was in Gratenfels Rang und Namen hatte, würde dort sein. „Wenn ich da keine Heiratskandidatin für Travin auftun kann, dann weiß ich es auch nicht!“, dachte sie verzweifelt. Neue Gewänder für den festlichen Anlass hatte sie beizeiten in Auftrag gegeben. Sie hoffte, dass gute Kleidung über das introvertierte, manchmal sogar ungeschickte Verhalten ihres Sohnes hinwegblicken lassen würde. Immerhin war er der Erbe eines prosperierenden Junkergutes und sie hoffte auf eine Schwiegertochter aus Gratenfelser Adel. Travin kannte die Pläne seiner Mutter und ihm graute vor der Feier.

Seine Liebe zu Erdrun wuchs mit jedem Tag und auch ihrer Gefühle war er sich sicher. Im Frühling wollte er sie um ihre Hand bitten, wenn er von der Hochzeit in Tommelsbeuge zurück wäre.

Einige Tage nach der Rückkehr aus Tommelsbeuge zitierte Belina ihren Sohn und Erben formell zu einem Gespräch. Travin schwante Übles. „Mutter, Ihr habt mich gerufen?“ „Ja, bitte schließe die Türe!“ Travin schloss die Tür und trat an den Schreibtisch, hinter dem seine Mutter saß. Sie bot ihm keinen Platz an, ließ ihn stehen, wie einen Schuljungen, der abgekanzelt werden sollte. Wut stieg in Travin auf, ein ungewohntes Gefühl für den sonst so ruhigen Mann.

„Ich habe Dich gerufen, weil ich mit Dir über die Zukunft des Gutes sprechen möchte. Du zählst nun 45 Götterläufe und bist bisher nicht den Traviabund eingegangen. Dein Verhalten auf der Hochzeit war blamabel und ich sehe nun keine Möglichkeit mehr, dass Du Dich mit einer standesgemäßen jungen Dame verbinden kannst. Bitte sage mir, wer nach Dir das Gut übernehmen soll! Dass Dir mehr an Deinen Vögeln liegt, als an der Gutsverwaltung, ist mir bekannt. Vielleicht sollte ich eine Deiner Schwestern als Erbin einsetzen? Gwynna denkt zwar auch nur an ihr Federvieh, aber sie hat einen patenten Gemahl, der die Gutsverwaltung übernehmen könnte. Und eines ihrer drei Kinder wäre bestimmt bereit, das Gut zu übernehmen. Ich möchte die Zukunft des Gutes in den Händen eines fähigen Siebensteins wissen, wenn ich dereinst meine Augen schließen werde.“ Travin holte tief Luft: „Ich bedauere es sehr, wenn ich eine Enttäuschung für Euch bin. Die Hochzeitsfeier in Tommelsbeuge war ein Desaster, da stimme ich Euch zu. Nur, wer ist dafür verantwortlich? Ihr wusstet ganz genau, dass ich mich in solch einem Milieu nicht wohl fühle und mich dort wie einen Gaul auf dem Markt zu präsentieren, war das allerletzte, was ich mir wünschte! Wie konntet Ihr glauben, dort eine passende Gemahlin für mich zu finden? Und wieso seid Ihr überhaupt der Meinung, dass Ihr das für mich tun müsstet? Ich habe Schwestern, die bereits Kinder haben. Sollte ich keine Nachkommen hinterlassen, wird sich ein Siebenstein finden, der das Gut weiterführt.“ Belina konnte nicht fassen, was gerade passierte. Noch nie hatte Travin so mit ihr gesprochen, und er war auch noch nicht fertig: „Wenn Ihr glaubt, dass ich als Erbe unwürdig bin, dann ersetzt mich durch eine meiner Schwestern.“ Travin holte tief Luft: „Im Übrigen habe ich mich gestern mit Frau Erdrun Eisenblatt verlobt. Ich habe mich ihr erklärt und sie hat meinen Antrag angenommen.“ Travin drehte sich um und verließ das Gemach.

Nachtrag: Belina enterbte Travin nicht und akzeptierte mit der Zeit ihre Schwiegertochter, an deren freundlichem, bescheidenem und fleißigem Naturell nichts auszusetzen war. Als sie sah, wie glücklich ihr Sohn in der Ehe mit Erdrun war, verzieh sie ihr sogar ihre einfache Herkunft.

Verfasserin: Windwanderer SGS

Irdisches: Wer wissen möchte, was Travin auf der Hochzeit in Tommelsbeuge widerfahren ist, lese gerne die Briefspielgeschichte: Tommelsbeuger Hochzeit Szene 4