Tiergefährten - Kapitel 3

In einem unbekanntem Land (war eine Biene sehr bekannt)

Kapitel 3 der Briefspielgeschichte Tiergefährten

Kurz verlor der alte Corax das Bewußtsein, doch es dauerte nicht lange bis er wieder die Augen öffnete. Lange war es her, dass er die Welt der Lilienkönigin betrat, doch vergessen hatte er sie nicht. Die Zeit lief hier anders und an diesem Ort spürte der alte Rabe es ganz besonders. Mal lief sie schneller, mal langsamer und ab und an war der Zeitenfluß derselbe wie in seiner Welt. Ihm war klar, auch wenn er dem Menschlein folgte, dass es trotzdem zu spät sein konnte … und es war auch so. Das Menschenweib mit dem Kind war nirgends zu sehen, geschweige denn einer der Dryaden. Und erst jetzt fiel es ihm auf. Wie immer, wenn er die Welt betrat, verwandelte sich seine Gestalt in die eines Menschen. Eine Besonderheit dieses seltsamen Ortes. Für einen Moment war er alleine, doch das änderte sich schnell, denn weitere Gestalten kamen durch das Tor am See.

Alle, die dem Ruf des Kolkraben gefolgt waren, verschwanden im Nebel, der zu einem Sog wurde, von dem es kein Zurückkommen gab. Die Welt drehte sich kurz, der Körper zwickte und zwackte, bis es für einen Augenblick dunkel wurde. Flatternd öffneten sie die Augen.
Der Nebel lichtete sich und ein jedem war klar, dass sie sich an einem anderen Ort befanden. Auf den ersten Blick wirkte er vertraut, dennoch war die Landschaft anders. Es gab die 3 Weiden, den See und die hügeligen Lilienfelder. Nichts deutete auf die Zivilisation der Menschen hin. Keine Kieswege, keine Pavilions oder gar die Parkmauer. Nichts deutete auf eine Stadt hin. Überall waren Lilien zu erkennen, doch diese hier gab es in allen Farben des Regenbogens. Der Himmel war blau, doch zogen sich ab und zu rosafarbene Wölkchen hindurch. Von dem Praiosmal war weit und breit nichts zu sehen, und doch war es taghell und es gab Schatten wie zur Mittagszeit.

Zwei Männer in sonderbarer Gestalt schienen darauf zu warten, dass alle wieder bei vollen Sinnen waren. Der eine hatte die menschliche Gestalt eines schlanken Jünglings mit rabenschwarzem Haar, aus dem kleine Federn hervor lugten, bleicher Haut und tiefschwarzen Augen. Sein Gesicht wirkte hart und raubvogelartig. Er war nackt, wobei größere, dunkle Federn seinen Schambereich verdeckten. Schwungfedern sprossen ihm vom Nacken, über die Schultern zu den Oberarmen bis zu den Handrücken.

Der andere neben ihm war unglaublich alt. Seine Haut war bleich und voller Falten. Auch er war nackt, die Scham bedeckt von schneeweißen Federn. Es schien, als würde er auf dem Haupt eine Rabenkappe tragen, welche sein Gesicht einrahmte. Selbiges war glattrasiert, bis auf ein paar Daunen, welche wie Bartstoppeln hier und da aus der Haut hervortraten. Auch am restlichen Körper gab es diese Daunen, gesammelt auf der Brust und in einem schmalen Streifen hinab zur Scham führend. Dann noch vereinzelt an Armen und Beinen. Zusätzlich hatte er auf dem Rücken ein paar großer weißer Schwingen, so, dass man ihn für einen Alveraniar halten könnte. Auf seiner Nase tauchten goldumrandete Augengläser auf, durch die er mit seinen roten Augen schaute. Schwerfällig, und in gebückter Haltung, ging er zu einer der weißen Lilien, berührte sie und sprach mit ihr in einer uralten Sprache. Daraufhin wuchs sie in die Höhe, bis sie ihm zur Schulter reichte, wurde hart und stieg aus dem Boden. Er stütze sich auf sie beim Laufen und beim Stehen. Dann wandte er sich Mafaldo zu.

Der Jüngere machte ein Schritt vor. “Willkommen in Duthaich Nam Muc. Danke, dass ihr meinem Ruf gefolgt seid!”

Bäh, was war denn da passiert, als Onyx dem Menschling gefolgt war? Träge schloss er die Augen und glubschte dann kurz an sich herunter, bevor er die Umgebung betrachtete. Onyx stand auf zwei Beinen und war in menschliche Gestalt gewechselt. Nun ja, kein hübscher Mensch, aber keine Kröte mehr. Er war kein großer aber dafür umso massiger Mann. Ja, wahrscheinlich ein Mann. Das konnte man nicht genau erkennen, da sein gewaltiger, von pickeligen Warzen bedeckter Wanst das Gemächt verdeckte. Ob er bekleidet war, blieb ihm ebenfalls unergründlich. Es mochte sein, dass sich zwischen den Pobacken etwas befand, eher aber nicht. Wie eine Schwangere stellte er sich breitbeinig hin, um es bequem zu haben. Auffällig waren seine spärlich behaarte, fliehende Stirn, der große Mund und die tränig, trägen Augen. Starr stand er da und blinzelte scheinbar überfordert.

'Oh je, bitte nicht schon wieder', Aslan atmete tief durch und und blickte an sich herab. Er hasste diese Gestalt, wiewohl er sie langsam aber sicher gewohnt war. Alina mochte ihn so … als Zweibeiner und ohne Fell. Den Kater schauderte es. In seiner menschlichen Gestalt war der Wildkater ein großer und schlanker Mann mit athletischer Statur, dichtem braunen Haar und grünen Katzenaugen. Ansonsten war er nackt, fühlte aber keinerlei Scham.

Auch Rotlöckchen war diese Gestalt gewohnt gewesen, ließ seine Verwandlung stoisch über sich ergehen und sah sich reserviert unter den anderen um. Der Spinnerich war in seiner menschlichen Gestalt ein blasser junger Mann mit bartlosem Antlitz, wallender roter Lockenmähne und tiefschwarzen Augen. Seine breiten Schultern und die Schulterblätter waren von einer Chitin-artigen Schicht überzogen, sonst war sein Körper frei von Kleidung.

Caligo schüttelte sich. Er hatte schon von dem Tor gehört, war aber noch nicht selbst hindurch geflogen. Er war nun ein junger, kräftiger Mann mit breiten Schultern und athletischem Körperbau. Unterhalb der Knie hatte er schwarze Vogelbeine, seine Haut war von zyklopäischer Bräune, was man nur am Gesicht sah, denn der Rest des Körpers war von schwarzem Flaum bedeckt. Die Hakennase war ebenfalls schwarz, die Augen braun. Um den Kopf hatte er große Federn, die in bestimmten Licht grün-metallisch schimmerten. Die Federn bedeckten auch seine muskulösen Schultern und reichten vom Nacken, über die Arme bis zu den Handgelenken, so dass es so wirkte, als wären seine Arme auch seine Flügel.

Als Tharga zu sich kam, staunte sie nicht schlecht über die Verwandlung, die mit ihrem Körper stattgefunden hatte. Mit den Händen, einem neuen, seltsam vertrauten und doch unvertrauten Werkzeug, betastete sie staunend zuerst die Arme und Beine, Oberkörper, schließlich auch Kopf und Körperrückseite, die sie ja nicht sehen konnte.
Die Hündin war noch nicht ausgewachsen, also erschien sie auch in Menschengestalt als halbwüchsiges Mädchen, weniger ein Kind, schon mehr eine Frau. Allerdings war sie für ihr Alter recht groß, mit langen und muskulösen Gliedern, wie eine Botenläuferin. Ihre Haut in einem dunkelbraunen Ton erstaunte Tharga am Meisten. So weich, so glatt! Wo war ihr Fell? Plötzlich fühlte sie eine gewisse Befangenheit durch ihre Nacktheit, eine Schutzlosigkeit vor der Welt. Instinktiv war sie versucht, mit ihren Händen ihre Blöße zu bedecken, bis sie die Sinnlosigkeit in ihrem Unterfangen erkannte.
Stattdessen erweckte nun die glatte Oberfläche des Teichs ihre Aufmerksamkeit. Sie sah, wie sich die Wolken des Himmels in dem Wasser spiegelten. Neugierig näherte sie sich, nach den ersten Schritten so sicher, als wäre sie ihr ganzes Leben auf zwei Beinen gelaufen. Sie kniete am Ufer nieder und beugte sich über das Wasser. Da sah sie sich: ein schlankes, junges Gesicht, ebenfalls dunkelbraun. Sie hatte ja doch ein bisschen Fell!, stellte sie fest, als sie über das kurze, dichte schwarze Haar strich, das die Oberseite des Schädels, die Schläfen und den Hinterkopf bedeckte. Sie lächelte, wobei die regelmäßigen, kleinen weiße Zähne in ihrem Mund sichtbar wurden, die Eckzähne waren ein kleines bisschen länger als bei den Menschlein.
Unbefangen kniete sie nun am Ufer, stützte sich mit einer Hand ab und führte die Finger der anderen bis ganz nahe an die Wasseroberfläche, um die Kuppen dann vorsichtig in das Wasser eintauchen zu lassen. Es entfuhr ihr ein glucksendes Auflachen, als sie die Wasserspannung auf der Haut fühlte. Sie schreckte zurück von ihrem selbst verursachten Geräusch, dem ersten, das ihrer Kehle entsprungen war. Irritiert blickte sie sich um, als wollte sie sich versichern, dass tatsächlich sie die Urheberin des Lachens war. Da wurde sie der anderen Personen gewahr, die nahebei standen. Waren diese schon die ganze Zeit hier gestanden? Staunend zogen ihre feinen Augenbrauen nach oben.

Sehr verwirrt öffnete Maya ihre großen schwarzen Augen. Die Welt sah für sie völlig anders, fremdartig aus, für einen Moment sogar beängstigend. Es war fast so, als würde sie die Umgebung mit ihren neuen Augen wie in Zeitlupe wahrnehmen. Die Bewegung des hohen Grases im Wind war träge, die Farben und Geräusche um sie herum wirkten neuartig und bizarr. Sie streckte ihre Fühler aus, vernahm einen leichten Geruch der Umgebung, doch war ihr Sinn viel schwächer als sonst. Maya richtete sich auf und schaute von weit oben auf die Welt herab… Ihre Flügel vibrierten, doch sie bewegte sich gar nicht von der Stelle… So sehr sie auch ihre Flügel antrieb, konnte sie doch nicht an Höhe gewinnen. Als sie an sich hinunter schaute, wurde ihr bewusst, dass sie noch immer auf dem Boden stand. ‘Groß, ich bin ja so groß!’ ging es Maya durch den Kopf.
Und nun begriff sie, dass sich ihr ganzer Körper verändert hatte. Sie war keine Biene mehr, sondern eine von diesen Glatthäuten, denen sie in ihrem Park normalerweise keine große Beachtung schenkte. Verwirrt und zögerlich probierte sie aus, mit nur zwei Beinen ein paar Schritte zu gehen. Es funktionierte. Etwas entspannter schloss sie ihre glasklaren Flügel hinter ihrem Rücken und betrachtete sich. Ihr neuer, mit glatter, honigfarbener Haut überzogener Körper war tatsächlich der einer dieser großen Zweibeiner, auch wenn sie noch ihre Flügel und Fühler hatte; letztere entsprangen ihrer Stirn neben einem spitz zulaufenden Haaransatz und sondierten neugierig die Umgebung. Ihr dichtes, buschiges, rostrotes Haar fiel zwischen den Antennen hindurch, über ihre Schultern, den Rücken und Oberkörper an ihren weiblichen Rundungen hinab, so dass das wallende Haar sie bis zur Hüfte fast einhüllte. Sie entdeckte ihre Hände, betrachtete die Finger und probierte damit nachdenklich verschiedene Bewegungen aus.
Nach einer Weile fiel ihr Blick auf ein junges Menschenmädchen, das sich am Teich im Wasserspiegel betrachtete. Die langen Glieder und das kurze schwarze Fell auf dem Kopf kamen ihr seltsam vertraut vor. Als das Mädchen sie anschaute, erkannte sie den Blick des vierbeiniges Geschöpfes von der Blumenwiese. Instinktiv ging Maya ein paar Schritte in die Richtung, zögerte dann aber, als sie sich daran erinnerte, wie das Wesen eben vor ihr zurück gezuckt war. Sie versuchte, freundlich und ungefährlich zu wirken und spürte, wie sich die Muskeln in ihrem Gesicht wie von selbst zu einem Lächeln anspannten.

Das junge Mädchen hob den Kopf und blickte in Mayas Richtung. In ihren Augen spiegelte sich kein Erkennen wider - kein Wunder, war die Biene kaum in der Frau wiederzuerkennen. Und doch glaubte Tharga zu verstehen, dass die Frau - dass alle, die hier waren - in gewisser Weise so waren wie sie. Auf ihre Weise anders, aber auf eine andere Weise gleich. In einem Versuch, ihr Gegenüber zu wittern, atmete sie mehrfach prüfend durch die Nase ein.
Vorsichtig, um die andere nicht zu verscheuchen, erhob sie sich und näherte sich der Frau. Da ihre Nase ihr nicht das lieferte, was sie ihr sonst von ihrem Gegenüber verriet, streckte sie prüfend die Hand nach der anderen aus.

Als das Mädchen sich ihr interessiert näherte, wunderte sich Maya kurz über die schnüffelnde Atmung, scherte sich jedoch nicht weiter darum, da die Situation für sie beide gleichermaßen außergewöhnlich und seltsam war. Maya streckte neugierig ihre Fühler aus, konnte jedoch nur bedingt einen besonderen Duft wahrnehmen. Flüchtig fragte sie sich, ob ihr Gegenüber den süßen Duft von Blütenstaub und Nektar an ihr erschnuppern konnte. Sie neigte leicht den Kopf und versuchte instinktiv, Tharga mit den Fühlern abzutasten, als diese sie auch berührte. Sie strich ganz sachte mit dem Fühlerende über die Schläfen der anderen, die jedoch keine Fühler hatte, spürte die Aufregung des Mädchens, das offensichtlich noch sehr jung war.
“Du bist die Kreatur von der Blumenwiese…” dachte Maya und bemerkte, wie in ihrem Hals etwas vibrierte. In diesem Moment war ihr noch nicht bewusst, dass sie gerade ihre ersten Worte sprach. Aufgeregt zitterten ihre Flügel. “Kannst du mich etwa verstehen? Ich bin eine Wildbiene.” Sie wollte die junge Frau auf gar keinen Fall erschrecken. “Aber keine Angst, ich steche nicht.”

Als ihr Gegenüber nicht vor ihrer Hand zurückwich und keinerlei bedrohliche Bewegung machte, strich ihr Tharga erforschend über Schläfe, Wange, verweilte an der Schulter und fuhr dann mit den Fingerkuppen den Arm herab. Der Blick folgte nicht der Hand, zeitweise schlossen sich Thargas Augen gar. “Ich höre Dich.”, bestätigte sie. Als Maya ihr versicherte, sie steche nicht, kam Tharga nicht umhin einen Seitenschritt zu machen und sich herabzubeugen, um das Vorhandensein eines Stachels am Hinterteil der… - Biene? Frau? - zu überzeugen.

Maya konnte es kaum fassen, dass sie sich mit anderen Wesen tatsächlich so einfach verständigen konnte. ‘Ein Wunder’, dachte sie und sprach dies nun laut aus: “Ist das nicht ein wahres Wunder?” Bisher war sie nicht sonderlich an anderen Lebewesen interessiert gewesen, mehr auf sich selbst bezogen und von der schönen Natur begeistert. Nun bemerkte Maya, wie das Mädchen sie näher untersuchte und war verwirrt. ‘Was sucht sie denn da? Versucht sie etwas zu erschnüffeln?’ Sie konnte sich erinnern, ein ähnliches Verhalten bei Vierbeinern beobachtet zu haben. ‘Oder schaut sie nach dem Stachel? Habe ich denn einen?’ Maya versuchte an sich herabzuschauen, konnte jedoch ihren Kopf nicht soweit verdrehen. Sie tastete mit ihrer Hand dahin, wo sie ihren Stachel vermuten würde, konnte unter dem glatten, durchsichtigen Flügelpaar jedoch nur einen menschlichen Hintern fühlen. Dieser war etwas kräftiger und gerundet. Maya überlegte, ob es angebracht war, den Schwänzeltanz vorzuführen. Unter Bienen kam das ganz gut an, aber andere Wesen verstanden diese Art der Kommunikation vermutlich nicht. Sie wandte sich an Tharga: “Soweit ich das merke, habe ich in dieser Gestalt keinen Stachel... Ich bin Maya. Es freut mich sehr, dich kennenzulernen.” Sie lächelte die junge Frau aufmunternd an. “Wollen wir zu den anderen gehen?”

Bestätigend ergriff das Mädchen Mayas Hand, da sich das gerade stimmig anfühlte, und ging mit ihr in Richtung der anderen Tiergefährten. Angetrieben von zielgerichteter Neugier, ging sie alsbald schneller als Maya, was dazu führte, dass sie die menschgewordene Biene geradezu hinter sich her zog.

Maya ließ sich bereitwillig mitziehen. Egal wie aufregend und seltsam diese Welt auch sein mochte, sie war froh jemanden wie Tharga getroffen zu haben. Vergnügt und glücklich über die nette Begegnung lief sie den anderen entgegen und summte dabei fröhlich die Melodie eines Liedes, welches ihr irgendwie gerade durch den Kopf ging...

Fast hätten die beiden Rabenmänner gedacht, das sie nun vollzählig waren, als zwei letztere Menschen aus dem Tor schritten, das sich dann auch hinter ihnen schloss. Die erste davon taumelte mehr und zappelte wild, als dass sie gehend aus dem See anlandete, während die andere ganz benommen wirkte.

Um sich schlagend kam Akka wieder zu Bewusstsein. Noch einmal wollte sie sich flügelschwingend aus den Fluten erheben, als ihr gewahr wurde, dass sie nicht mehr am Versinken war, und die Bilder ihrer Augen ihr schließlich offenbarten, dass sie auf einer Wiese zu liegen gekommen war.. Rasch wollte sie ihren Hals in die Höhe recken, sich umzusehen, doch bekam sie ihn kaum nach oben. Und warum konnte sie auf einmal nicht mehr hinter sich sehen? Mühsam richtete sie ihr Gesicht nach hinten, doch bekam sie ihren Kopf kaum gedreht. Was machte denn die Zweibeinerhand direkt neben ihren Augen? Und wo waren ihr Schnabel, wo ihre Flügel? Wieder versuchte sie, mit diesen zu schlagen, doch das einzige, was sich bewegte, war diese Hand. Konnte es etwa sein...?
Die junge Gans brauchte ein Weilchen, bis sie ihre Körperteile soweit wieder gefunden und sich grob orientiert hatte, was aus diesen geworden war - von Begreifen konnte noch keine Rede sein.
In einer Mischung aus Verwunderung und Schaudern blickte sie an sich herab, sah die schlanken und doch kräftigen Arme, die doch eben noch Flügel gewesen waren, und die schmalen Brüste (unter denen sie sich noch weniger vorstellen konnte als zu alldem anderen, das aus ihrem gewohnten Gänsekörper geworden war), die knapp über ihren von Kälte steifen Knospen unter aufgeplusterten und noch ganz nassen grauen Deck- und Daunenfedern verschwanden. Das vertraute Federkleid bedeckte ihren noch jugendlichen Frauenkörper bis kurz über die Knie, wo sie aber nicht mehr grau waren, sondern eine weiße Farbe angenommen hatten. Darunter trat wieder die menschliche Haut zu Tage, und hätten sich zwischen den ungewöhnlich langen Zehen nicht Schwimmhäute gespannt, hätte man ihrem Unterbein nichts gänsisches mehr angemerkt.
Der Blick in ihr eigenes Gesicht blieb Akka dagegen verwehrt. Hätte sie einen Spiegel vor sich gehabt, hätte sie ihre durchaus hübsch zu nennenden, noch jugendlich weichen menschlichen Züge wahrgenommen, von denen sich nur die ganz und gar schwarzen Augenbälle und deren orangene Lider abhoben, sowie die bräunlich grauen Federn, die sich hier zwischen dem auf ihre Schultern herabfließenden dunkelblonden Haar versteckten und da aus diesem heraus standen..
Noch mehr als ihre ungewohnte Gestalt aber besorgte sie, wo Bakka geblieben war. Ihre Augen schnellten herum, und fast wäre sie dabei wieder zu Boden gegangen, als ihr Blick den Körper mit herumriss. War eine der Gestalten da vielleicht ihre Gelegeschwester?
Die einzige, die ihr unmittelbar vertraut vorkam, war die Menschenfrau, die in diesem Augenblick ganz unvermittelt hinter ihr aufgetaucht war. Ihr orangefarbenes Federkleid und auch sie selbst sahen noch genauso aus wie vor den unheimlichen Geschehnissen, abgesehen von dem Wasser, das ihrem Körper unterhalb ihrer Hüften anhaftete und noch ihre Beine und Füße hinab zu Boden tropfte.

Auch Relindis, obgleich körperlich unverändert, musste sich nach dem schwindelerregenden Übergang erst finden. Sie fühlte sich ganz und gar benommen und bewegte sich mehr schlafwandelnd denn gezielt in die Welt jenseits des Nebels hinein. Was hatte all das zu bedeuten? Wohin hatte es sie verschlagen? Und was war das für eine merkwürdige Frau direkt vor ihr?
Langsam ging sie auf diese zu. Sie schien etwas jünger als sie selbst zu sein, war am Leibe teilweise grau befiedert und rappelte sich gerade recht hektisch umblickend auf. Hatte das Wesen etwa Angst? Der Eindruck brachte Relindis’ hilfsbereite Saite zum Schwingen.
Die Geweihte war beinahe heran, da kreuzten sich ihre Blicke, und als sie in die Augen der Frau sah, wurde ihr auch ohne Worte gewahr, wenn sie in dieser vor sich hatte. Sofort fasste sie Zuversicht - wo auch immer sie war, sei es in einem merkwürdigen Traum oder in einer anderen Welt - ihre Göttin war bei ihr!
Behutsam ging Relindis Hand zu der der Gänsefrau und berührte diese sanft.
“Du bist die, die mich hierher geführt hat, nicht wahr?” fragte sie mit leiser Stimme und einem Lächeln auf den Lippen. “Ich bin Relindis. Und wie ist Dein Name?”

“Akka.” kam es der verwandelten Gans aus dem Munde, noch mehr schnatternd als sprechend klingend. Der Mund anstelle des fehlenden Schnabels und die Stimmbänder waren noch allzu ungewohnt. Noch immer ging ihr Kopf hin und her, doch wurden ihre Bewegungen langsamer und sie begann sich nach und nach zu beruhigen.

“Du suchst Deine Freundin, Akka, oder? So wie ich die meine?” fragte Relindis weiter.

Akka nickte nur.

In diesem Moment hörten beide die Stimme, die sie in Duthaich Nam Muc willkommen hieß, und auch Relindis nahm auf einmal die anderen wahr. Sie griff Akkas Hand fester und blickte hinüber.

Der dunkle Rabenmann gab allen Ankömmlingen einige Momente Zeit, um sich in der Umgebung und in ihren neuen Körpern zurecht zu finden. Doch dann erhob er seine Stimme. “Habt keine Angst. Dies ist das Land der Dryaden, das Reich der Lilienkönigin. Die wundersame Kraft dieses Ortes zwingt uns in die Gestalt unsere Seelengefährten. Ich bin Mafaldo und meine Vertraute ist die Tsatuaratochter Alrike. Es liegt an uns, die Menschenfrau mit dem Kind wieder zurück in unsere Welt zu bringen. Es steht zu befürchten, dass es sonst Ärger für unsere Gefährten bringen wird und ich bin mir sicher, dass keiner von euch das möchte. Doch bevor wir aufbrechen, möchte ich gerne wissen, wer ihr seid.” Jeder der Anwesenden verstand, was der Rabenmann sagte. Sein unergründlicher Blick wanderte durch die Gruppe, blieb dann aber bei der Traviageweihten hängen. “Du solltest nicht hier sein”, sagte er trocken.

Der Alte, der sich dank des Lilienstabes einigermaßen aufrecht halten konnte, legte eine Hand auf den Arm des Rabenmannes: “Gräme Dich nicht, Mafaldo. Das Tor ist geschlossen und wir können es nicht mehr ändern”, sagte er mit brüchiger Stimme. Dann wandte er sich direkt an Relindis: “Höre, Kindchen. Hier gelten andere Regeln und Gesetze. Die Macht, Deine Gefährtin, die Dir sonst zur Seite steht ist hier fern. Vielleicht hört sie Dich nicht, also gib Acht.” Einige Augenblicke mümmelte er und schien in weite Ferne zu blicken. Dann fixierte er die kleine Gesellschaft wieder und sprach: “Kraa, wo sind nur meine Manieren. Ich bin Corax, Diener des Schicksals und Gefährte von Madalberta. Und dieser Rotzlöffel dort”, er deutete auf den dritten Rabenmann mit den grünlich schillernden Federn, “ist Caligo.” Der Angesprochene drehte aus Gewohnheit den Kopf zur Seite, um besser sehen zu können, was natürlich nicht der Fall war, also drehte er den Kopf wieder nach vorne. “Danke, Corax. Kraaaa. Ja, ich bin Caligo und meine Gefährtin würde nicht wollen, dass ich ihren Namen preisgebe. Namen bedeuten Macht, nicht wahr?” Eindringlich sah er die beiden anderen Rabenmänner an, schwieg aber.

Tharga verstand, dass sich hier gerade ein Rudel zu formen begann. Sie trat einen Schritt nach vorne: “Ich bin Tharga, eine treue Kämpferin und eine schnelle Jägerin. Und eine schlaue Entdeckerin. Ich folge meiner Herrin, Grauauge. Ich schlafe in einem schönen, großen Korb mit einer weichen Decke, und ich wache über meine Herrin und sie wacht über mich.” Das Mädchen überlegte, ob es noch Wesentliches hinzuzufügen gab, entschloss, dass dem nicht so war. Sichtlich zufrieden mit ihrem Auftritt machte sie wieder einen Schritt zurück und musterte neugierig die anderen.

Der nächste in der Reihe wäre Rotlöckchen gewesen, doch machte der blasse, rothaarige Jüngling keinerlei Anstalten sich den anderen vorzustellen. Stattdessen musterte er seine neu gewonnenen - oder ihm aufgezwungenen - Gefährten reserviert und eher misstrauisch.

“Ah, der Spinne hats die Sprache verschlagen”, ganz anders hielt es Aslan, der Wildkater in Menschengestalt. “Ist wohl noch grün hinter den Ohren …”, er musterte Rotlöckchen lauernd, “... haben Spinnen denn überhaupt Ohren?”

Als Antwort folgte lediglich ein starrer Blick.

“Hm … wohl nicht”, Aslan zuckte mit seinen Schultern und unterdrückte mühsam seinen Impuls sich selbst über den Handrücken zu lecken. “Mein Name ist Aslan ...”, fuhr er dann stolz fort, “... und ich komme aus einem Land weit fern von hier … bei uns ist sowas …”, er wies um sie herum, “... im Übrigen nichts Besonderes. Auch die Gänse können bleiben, meine ich ... “, Aslan musterte Relindis und Akka, “... wenn sie sich fürchten, gebe ich auf sie acht.” Er leckte sich über die Lippen und das Wasser lief ihm im Mund zusammen.

Onyx watschelte nun auch zur Gruppe und starrte die anderen Wesen unergründlich an. Aus der Nähe fiel auf, dass seine Haut wie von einem Schleimfilm überzogen war. Die Pickel stellten sich als warzige Hubbel heraus. Relindis wäre unter normalen Umstände von so einer Gestalt abgestoßen und angeekelt gewesen, aber Onyx roch verlockend und anregend. Als würde er einen Stoff produzieren, der ihn attraktiv machte. Endlich leckte er sich schmatzend mit der Zungenspitze über die Lippen. „Onyx heiße ich.“ Seine Augen glubschen und sein Blick blieb etwas länger auf Maya hängen. „Schöne Frau, auf dich würde ich gerne aufpassen, wenn der, der Aslan auch jemanden hat.“ Natürlich war der Krötenmann immer noch unzufrieden, aber es tat sich etwas.

Als Onyx sie ansprach, wandte Maya ihre Aufmerksamkeit zu dem Mann mit der schleimig-warzigen Haut. Unwillkürlich spürte sie einen Fluchtinstinkt, den sie in diesem Moment nicht richtig einordnen konnte. Vielleicht hatte es mit dem gierigen Blick seiner hervorstehenden Augen und dem Anblick seiner Zunge zu tun, die über seine Lippen fuhr. Sie entfernte sich ein Stück von ihm und beschloss, sich der Gruppe vorzustellen. Doch war das für sie eine ganz neue Situation... Nicht nur der Umstand, dass sie sich in einem ihr fremd vorkommenden Körper befand, war sie es auch nicht gewohnt, auf diese Weise mit anderen Lebewesen zu kommunizieren. Sie überlegte kurz, ob sie es doch lieber mit einem Tanz probieren sollte, entschied sich dann aber, sich mit diesem neuen Mittel der Stimme verständlich zu machen. Ihre Flügel zuckten und ihre Fühler wanderten nervös in alle Richtungen umher.
“Ich bin Maya, eine Biene. Ich bin gekommen, um zu helfen. Lasst Euch nicht von meinem jungen Körper täuschen, ich bin schon sehr alt und habe in meinem langen Leben viel Erfahrung gesammelt. Obwohl ich zugeben muss, dass ich mich mit diesen glatthäutigen Zweibeinern noch nie beschäftigt hatte. Ich weiß auch nicht, was diese Seelengefährten sind… Aber ich kann Blüten mit guten Pollen erschnuppern und mich schnell auf der Wiese orientieren”, erzählte die eher kleingewachsene, mollige Frau stolz und stützte kess ihre Hände auf der Hüfte auf.

Akka begriff noch immer nicht, was mit ihr geschehen war, was die Worte des dunklen und des alten Rabenmannes zu bedeuten hatten. Ihr Blick und ihr ganzes Gesicht zuckten zuerst zwischen den beiden und Relindis, dann auch den anderen, die sich nach und nach vorstellten, hin und her - zu Anfang noch verwirrt, doch mit zusehends neugierigerem Ausdruck. Immer wieder durchfuhr sie dabei der unwillkürliche Impuls, die Arme leicht gewinkelt anzulegen, sich zu strecken und den Hals zu recken, um einen besseren Überblick zu erlangen.
"Ich bin Akka von Aggwanas Schar...," begann sie - schließlich selbst an der Reihe - langsam und vorsichtig, doch nahm ihre Vorstellung rasch schnatternde Fahrt auf, "... und bin nach diesem Sommer zum ersten Mal auf der Reise dorthin, wo das Licht heller und das Futter üppiger bleibt... wenn an den Seen, wo ich vor dem Sommer geschlüpft bin, das Wasser erstarrt und alles weiß wird. Meine Gelegeschwester Bakka konnte nicht mehr, deswegen sind wir in dem großen Ei gelandet, und dann ist sie wie die Menschenfrau und ihr Küken im Nebel verschwunden."
Wieder sah sie sich zuckend nach allen Richtungen um, ehe ihre Augen an Relindis haften blieben, deren nasses Gewand hüftabwärts am Leibe klebte. Akka konnte zunächst nur mühsam und vor allem ihres kurzen und erschreckend unbeweglichen Halses wegen dem Drang widerstehen, mit ihrem Mund eine Falte des orangenen Stoffes zu fassen und zurecht zu zuppeln. Schließlich tat sie es doch, immerhin aber nur mit den Fingerspitzen, während sie vor den anderen menschgewordenen Tieren gestand: "Ich habe diese Menschenfrau hierhergebracht. Sie ist vom selben Schwarm wie die andere Menschenfrau, die wir zurückbringen sollen, seht doch nur die Farbe des Gefieders, und sie sucht diese. Ich glaube, sie hat ein gutes Herz und wird uns helfen."
Was Akka aber nicht verstand, wie das mit den Seelengefährten gemeint war. Nachdenklich musterte sie weiter die junge Travia-Geweihte.

Zu Relindis Erschrecken, konnte sie, als sie auf Corax Worte hin in sich hinein hörte, geradezu spüren, dass der alte Rabe recht hatte - ihr sonst so starkes Band zur gütigen Mutter war nicht zu erfühlen.
Von der Lilienkönigin hatte sie gestern zum ersten Mal gehört. Hatte es sie tatsächlich in deren Reich, abseits ihrer eigenen Welt verschlagen?
War sie wirklich ganz alleine? Aber nein, da waren doch all die anderen, all die menschgewordenen Tiere, mehr (wie dieser seltsam-schleimige Onyx oder dieses männliche Wesen (war es wirklich eine Spinne?)) oder weniger fremdartig zwar, aber nicht minder Geschöpfe der großen Mutter, die Elvrun gemeinsam helfen wollten. Und wo fühlende Wesen zusammenstanden und einander helfen wollten, da war auch Travia unter ihnen, egal wie nah oder fern des Derenrunds sie weilten.
Und da war Akka, ob deren Einführung ihrer selbst sie sogar wieder lächeln musste. "Mein Name ist Relindis." ergriff sie schließlich selbst das Wort. "Ich bin tatsächlich auf der Suche nach meiner Schwester im Glauben, Elvrun, die bald auch meiner Familie angehören wird - heute wollte sie meinen Bruder heiraten, doch war sie am Morgen plötzlich verschwunden, so dass ich nach ihr ausgeschickt wurde. Die gütige Mutter und Akka waren es, die mir den Weg zu Euch gewiesen haben. Vielleicht hat es also doch seine Richtigkeit, dass ich hier, bei Euch bin. Jedenfalls will ich Euch helfen, Elvrun zu finden und zurück in unsere Welt zu bringen. Und Deine Schwester auch, Akka!"

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