Terra Porcum

Kapitel 2: Terra Porcum

Terra Porcum

Kaum war die Vordertür der Behausung der Gärtner geöffnet, kam Cupida kaum aus dem Staunen heraus. War sie es gewohnt, das verschlafene und recht kleine Herzogenfurt zu sehen, war sie überwältigt von den vielen Häusern und Menschen, die ihren Anblick begrüßten. Anstatt eines kleinen Platzes mit vielen Bäumen und einzelnen Fachwerkhäuschen, offenbarten sich hier drei gepflasterte Straßen, die gesäumt von Häuserreihen waren. Die Häuser hatten einen ungewohnten Baustil. Die meisten lagen dicht an dicht beieinander, hatten einen steinernes Fundament und ein Fachwerkaufbau. Die Giebelseite war zur Straße gerichtet und wirkte schmal in der Breite und erstreckte sich sehr lang nach hinten. Die Menschen auf den Straßen trugen Tuniken über ihren Beinkleidern und Männer wie Frauen trugen ihr Haar lang. In der Ferne sah sie den ‘Keilerrücken’, den Burgberg von Herzogenfurt. Doch die stolze Burg der Baronin war nicht zu sehen. Stattdessen schien es, dass diese gerade erst im Aufbau war. Ungefähr in der Richtung des Marktplatzes konnte sie die Dächer von mehreren, großen Gebäuden ausmachen. Die junge Frau kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wie anders es hier war … es war, wie eine andere Welt. Vielleicht war es das ja? Cupida rieb sich die Nasenwurzel. War sie in einer jener Welten, von denen sie sich so gerne Märchen erzählen ließ? Oder war es am Ende wirklich bloß ein Traum. Wieder zwickte sich die Gärtnerin in den Handrücken, doch auch jetzt wachte sie nicht auf und lag in ihrem Bettchen, sondern sie fühlte Schmerz. Realen Schmerz. Cupida schlenderte durch die Stadt, hin zum Marktplatz, der sich immerhin noch dort befand, wo er in ihrer Welt auch war.

Cor Urbis - das Herz der Stadt

Der Marktplatz, das Zentrum dieser Stadt war belebt - viel belebter als Cupida ihn je gesehen hatte. Und er war größer angelegt und mit dunklen, quadratischen Platten ausgelegt. Der Brunnen in der Mitte war genau dort, wie sie sich daran erinnern konnte. Doch war er prunkvoller, aber immer noch ein beliebter Treffpunkt der Bürger, um frisches Wasser zu schöpfen. Doch das war es auch schon. Keines der umliegenden Gebäude war ihr vertraut. Die Gärtnerin atmete tief durch und versuchte sich zu orientieren. Mehrere Bauten wirkten auf sie riesig und waren aus hellem und dunklem Gestein gefertigt und besaßen stolze Säulen und verzierte Kapitellen. Cupida drehte sich in die Richtung des Parks und fing von dort an, zu vergleichen, welches Gebäude in ‘ihrer’ Welt stand. Dort, wo eigentlich das Gerichts- und Bürgerhaus stand, war ein wuchtiger Bau, der wie ein Tempel wirkte. Eine große, breite Treppe führte ins Innere, das Dach war spitz angelegt und eine Statue einer Frau zierte die vordere Wand dieses Hauses.
In eine Tunika gehüllt hatte sie die Arme geöffnet und hielt in der einen Hand einen Strauch voller Ähren und in der anderen Hand saß eine Kröte. Zu ihren Füßen saßen ein Kind und eine Katze. Dort wo die Herberge ‘Zum Herzog’ stehen sollte, stand ein Gebäude, das wesentlich kleiner und flacher war. Ein Mosaik zeigte badende Leute und deutete darauf hin, dass es genau die Tätigkeiten waren, die im Inneren stattfanden. Sie schaute weiter und stellte fest, dass der nächste Bau doch etwas Vertrautes hatte. Hier stand in Herzogenfurt der Traviatempel und auch dieser Bau war diesem nicht unähnlich. Etwas größer und … protziger. Die Symbole an den Kapitellen waren eindeutig Gänse vor einem Herdfeuer. Dann folgten eher einfache Häuser, wahrscheinlich Tavernen oder Händlerkontoren. An der Stelle, wo die Ruine des Praiostempels stehen sollte, war wohl das merkwürdigste aller Gebäude. Es war breit angelegt und bestand aus lehm-braunen Wänden und unzähligen Türmchen, die kegelartig und spitz in den Himmel ragten. Es wirkte unsymmetrisch, was in der so geordneten Umgebung wie ein Fremdkörper wirkte.
Nur ein kleiner Durchgang schien in diesen abweisenden Bau zu führen. Kein Schild oder eine Verzierung deutete darauf hin, was es für eine Funktion hatte. Dann fiel ihr auf, dass es überhaupt keine Fenster besaß. Etwas länger starrte sie in diese Richtung, als ihr nun einige Leute auffielen. Ein Mann mit einem langen und gepflegten Bart, gehüllt in einer purpurfarbenen Robe, Goldschmuck an Finger und Ohren und einer kegelartigen Kappe auf dem Kopf lächelte sie an. Dieser stand vor dem seltsamen Bau. Eine Frau, mit voller Haarpracht, die mühsam von einem Band zusammengehalten wurde, schaute streng über den Platz. Sie stand auf den Stufen des ersten Tempels und fast schien es Cupida, dass diese ihr zunickte. Das Schnattern von einer Schar von Gänsen ließ die Gärtnerin umblicken. Ein Mann, in der gewohnten Kleidung eines Traviageweihten, fütterte diese. Und winkte ihr zu. Dann fiel ihr die Straße auf, die wohl zur Brücke, zur Folde, führen würde.

Der jungen Frau fiel es sehr schwer ihren Blick von den ganzen Eindrücken zu lösen. Die Wirkung dieses Ortes auf Cupida lag irgendwo zwischen Furcht und Faszination. Sie winkte dem Traviageweihten zurück. Sollte sie es bei ihm versuchen? Was sagte die Frau vorhin? … Die junge Frau runzelte ihre Stirn. ´Der Weg zum Tor und diesem Gesandten … diesem Tannenfels … lag beim Trabinatempel.´ Nun brauchte es nicht allzu viel Fantasie um von Trabina auf Travia zu schließen, also war es vielleicht sogar keine allzu schlechte Idee den Mann darauf anzusprechen. Mit flinkem Schritt bewegte sich Cupida zum orange-berobten Mann und seinen Gänsen: “Trav … äh die gütige Mutter zum Gruße, Euer Gnaden”, grüßte sie ihn. “Ich bin auf der Suche nach Tannenfels, dem Gesandten des Albenkönigs. Könnt Ihr mir da helfen?” Das freundliche Lächeln des Mannes wich einem überraschten Blick. Er war etwa in seinen 40 Götterläufen, trug das dunkelblonde Haar lang und nur ein oranges Haarband hielt es aus seinem Gesicht. “Trabina grüßt dich … du willst zum Alben?” In einer gewohnten Geste der Begrüßung berührte er sie fürsorglich an der Schulter. “Du bist doch vom Lilienhain. Geht es um deine Verwandte? Ich habe gesehen wie sie von den Legionären des Praefectus abgeholt worden ist.” Nun hatte er seine Stimme ein wenig gesenkt. “Einer der Aureusrexaner war mit ihnen.” Dann straffte er sich und fasste sich verlegen an den Mund. “Ach, verzeih. Ich bin zu neugierig. Nun, der Albe lebt am Ulmenwald auf der anderen Seite des Flusses, über die Brücke nach Gratia Lapis. Du musst nur dieser Straße folgen.”

Cupida lächelte dem Götterdiener dankbar zu, doch wollte sie nicht zuviel von ihrer Intention preisgeben. Sie wusste schließlich nicht, wer hier alles zuhörte. "Habt Dank, Euer Gnaden. Travia vergelt’s Euch." Mit diesen Worten entfernte sie sich flinken Schrittes von dem freundlichen Mann und seinen Gänsen. 'Das Ulmenwäldchen', wiederholte sie in Gedanken. Das konnte ja nur dort sein, wo in ihrer Welt Ulmenau war und dieses kleine Schloss. Also nicht weit von hier. Die Gärtnerin vergewisserte sich immer wieder, dass ihr niemand folgte. Die Straße zum Stadttor war reichlich belebt mit Händlern, Reisenden und zahlreichen … Gardisten. Zumindest hielt Cupida die gerüsteten Männer und Frauen für diese, auch wenn ihre Erscheinungsbilder deutlich anders waren, als sie es von Gardisten gewohnt war. Sie musste an die verwitterten Reliefs im Amphitheater denken, auf denen solch ähnliche Darstellungen zu sehen waren. Sie erinnerte sich daran, dass jemand diese als Legionäre bezeichnet hatte. Kurz nachdem sie das Tor durchschritten hatte, sah sie die zwei Türme der Zollbrücke, in gewohnter Gestalt, doch wirkten sie weniger ‘alt’.
Doch rechterhand stand ein größeres Steingebäude, wo auffällig viele der ´Legionäre´ standen. Offensichtlich gab es hier leichte Unstimmigkeiten. Vier der Bewaffneten hatten sich vor zwei Anderen aufgebaut und bedachten diese mit abfälligen Blicken. Die anderen Legionäre hatten sich vor eine Nische gestellt, in der eine Statue stand. Soweit Cupida sehen konnte, handelte es sich um eine hornissenköpfige Gestalt, die ähnlich wie die Legionäre gekleidet war. “Wenn erstmal der Horas hier ist, dann ist es aus mit dieser Götzenanbetung!”, hörte die Gärtnerin einen der Vier sagen. Cupida wurde hellhörig. Götzenanbetung? Der Horas kommt? Sie kannte die Geschichten über Fran-Horas und Hela-Horas … und das waren nie gute Menschen gewesen. Neugierig wie die junge Frau war, blieb sie stehen und versuchte sich unter den anderen Schaulustigen möglichst unauffällig zu verstecken und beobachtete dabei weiter die Szenerie. Ob ihre angebliche … Schwester dasselbe Schicksal erfuhr?

“Shinxir war und ist schon immer unsere Gott! Und das wird auch ein Jel-Horas nicht ändern können”, verteidigte der Legionär, der ein Hornissen-Hautbild auf dem Unterarm trug, und zu den Zweien gehörte. Die Vier lachten. “Der GROSSE Jel-Horas wurde von Brajan selbst erleuchtet. Er wird kommen. Die Nachrichten aus Jelenvina sind eindeutig. Bis dahin solltet ihr euch besser bekennen!” Dann drehte der Wortführer sich um und Cupida erkannte nun die unschöne Narbe, die er über der linken Wange hatte. “Und ihr”, damit meinte er die umstehenden Leute, ”solltet auch im Klaren sein, welche der Götter die ‘Wahren’ sind. Terra Porcum wird in Flammen stehen, wenn ihr an den falschen Göttern festhaltet. Jel-Horas ist nicht zögerlich und der größte Horas, den das bosparanische Reich je gesehen hat! Heil dem Horas!” Die meisten Leute senkten den Blick oder gingen schnell weiter, dem Ruf des Legionärs antwortend. Mit lauter Stimme oder einem schnellen Flüstern.

Cupida verstand nicht viel, aber das war nicht das erste Mal in dieser Welt. Wer war dieser Minxir? Und Bojan? "Habt Ihr deshalb die Geweihte der Göttin geholt?", brach es aus Cupida in ihrer eher gefährlichen Impulsivität heraus. Der Legionär stutzte kurz, doch zog er seine Augenbrauen wütend zusammen. “Du gehst besser weiter, Mädchen. Oder wir bringen dich auch in die Garnison!” Drohend baute er sich auf. Eine sanfte Berührung an Cupidas Ellenbogen ließ sie zur Seite blicken. Eine ältere Frau schaute sie an. ”Lass uns weitergehen”, flüsterte diese ihr zu. Cupida schnaubte kurz, dann nickte sie der alten Frau zu und entfernte sich. “Wer seid Ihr?”, fragte sie, als die beiden außerhalb der Hörweite der anderen waren. “Nenn mich Ella, das tun alle”, sagte sie und trat dann durch das Tor hinaus auf die Brücke.