Tatort

Tatort

Dhana und Borax waren Lupius von Schellenberg hinaus auf den Flur gefolgt. Durch Schießscharten drang in schrägen Streifen Tageslicht in den Turm, als sie die Treppe in die oberen Stockwerke betraten. Diese führte durch ein innenliegendes Treppenhaus nach oben und nach unten und konnte auf jeder Ebene mit Falltüren gesichert werden. Da die einzelnen Türen auf den Stockwerken geschlossen waren, konnten die beiden nur schwer erahnen, was sich wo befand. Oben angelangt, schritt Lupius auf die Kammer des Obersts zu, öffnete die mit einem schweren Schloss versehene Türe und stieß sie auf. Dann trat er einen Schritt zur Seite und winkte die Dame und den Zwerg mit dem Arm hinein. Und schon fanden sich die beiden Ermittler in einer Kammer wieder, die wohl knapp ein Viertel der Turmfläche ausmachen musste. Sie wies- nur an der der Türe gegenüberliegenden Wand- zwei, mit schweren Holzläden verschließbare Fenster auf. Beide waren geöffnet, so dass Licht und frische Luft in die spartanisch eingerichtete Kammer dringen konnten. Es gab ein Bett an der linken Wand, direkt neben der Türe eine Truhe und einen Stuhl, daneben einen Rüstungsständer, über dem ein Kettenhemd hing. Zwischen den Fenstern stand ein Schreibtisch mit einem weiteren Stuhl und ein kleines Regal mit einigen Büchern. An der rechten Wand stand ein weiterer Tisch, auf dem sich eine Holzplatte mit Brot und Käse befand, davor ebenfalls ein Stuhl. Als einziges Schmuckmerkmal hing über dem Bett eine gerahmte Urkunde älteren Datums, welche Burghard von Zweibruckenburg für die erfolgreich absolvierte Ausbildung an der Kaiserlich Wehrheimer Akademie für Strategie und Taktik auszeichnete. Besagter Oberst lag direkt darunter in seinem Bett. Blass im Gesicht. Bewegungslos. Tot. Eine Decke hatte man über seinen Körper gelegt, die nur den Kopf frei ließ. Zu seinen Lebzeiten hatte er seine dunkelblonden Haare, in denen sich die ersten grauen Strähnen und schütteren Stellen zeigten, in einem klassischen Wehrheimer Bürstenkopfschnitt geschnitten. Ein Vollbart überzog seine blassen Wangen.

Auf dem Weg sammelte sich Borax, es gab etwas Wichtiges zu tun und er brauchte seinen Verstand, klar und ungetrübt. Er schob die dunklen Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf seine Aufgabe. Unterwegs schaute er sich die Türen und Fenster an, die sie passierten und machte sich ein grobes Bild des Gebäudes und von dem Weg, den der Attentäter hatte gehen können. Als Borax an Herrn von Schellenberg vorbei in das Zimmer des gemordeten Obersts trat, sah er den Waibel an. „Ich müsste mir auch die zu diesem Flurstück führenden Türe und Fenster ansehen. Am besten wird sein, ich baue die Mechaniken aus, um sie mir unter einer Linse anzusehen. Selbstverständlich werden wir sie wieder einbauen. Ich hoffe ihr seid damit einverstanden? Ich möchte nur möglichst gründlich sein und nichts übersehen.” (Borax)

In der Stube blieb Borax wie vom Schmiedehammer getroffen stehen und starrte zu dem Bett, auf dem der Tote unter einer Decke lag. Er schüttelte den Kopf, atmete schwer aus, ungläubig dass dies wirklich alles geschah. Nach nur einem kurzen Moment begann er für beide Anwesenden klar hörbar in seiner Muttersprache zu sprechen. Natürlich erschloss sich ihnen nicht der Wortlaut dessen, was er sagte. Was aber deutlich wurde war, dass es ein Gebet seien musste. Als er geendet hatte nahm er seine Tasche ab, wendete sich dem Fenster zu und kramte nach dem richtigen Werkzeug. (Borax)

Mit wachen Augen ging Dhana hinter dem Herrn von Schellenberg die schmale Treppe nach oben, versuchend sich alles genau einzuprägen. An der Türe angekommen war ihr noch nicht bewusst, was sie gleich erwarten würde, denn sie rechnete nicht damit, dass der Tote noch hier lag. So stand sie, da sie den Leichnam erblickte, wie vom Donner gerührt da und legte, wie um selbst nicht ins Schwanken zu geraten, eine Hand auf die Schulter des Zwerges. Borax Worte, wenn sie diese auch zum Teil verstand, drangen erst gar nicht zu ihr vor. Nach ein paar Augenblicken schlug sie still das Boronsrad und besann sich wieder ein wenig. Sie blickte zu dem Waibel: "Wann hat man denn bemerkt, dass der Oberst - Boron erbarme sich seiner Seele - nicht mehr am Leben ist? Und wer hat ihn gefunden? Wer hat ihn zuletzt gesehen?" sie sah sich im Zimmer um: "Hat man etwas bewegt seitdem? Waren die Fenster offen oder geschlossen? Welche Räume gibt es sonst noch hier im Geschoss? Fehlt etwas? Wer war hier seit gestern Abend?" Ihre Stimme zitterte anfangs ein wenig, sie fing sich allerdings schnell wieder und suchte immer einmal Blickkontakt zu beiden Männern, als wolle sie sich vergewissern, nicht alleine mit dem Toten zu sein. (Dhana)

Der Angesprochene war, mit einem betretenen und traurigen Gesicht, draußen im Flur stehen geblieben, wo er, ebenso wie Borax, ein kurzes Gebet sprach: „Gnädige Marbo, voll der Gnade, lass meine Gedanken zur Ruhe kommen. Nimm Furcht und Sorge und schenke mir Frieden.“ Als Dhana ihn mit Fragen bestürmte, konnte sie in seinen feuchten Augen große Trauer sehen, genauso wie das Ringen mit sich selbst um Fassung. „Wie? Ja, sein Adjutant hat ihn gefunden, als er heute früh zur 6 Stunde sein Frühstück brachte. Der Junge dachte, er hätte nur verschlafen und wollte ihn wecken. Da bemerkte er dessen Tod. Zuletzt lebend gesehen hat ihn, außer seinem Mörder, der Stutzinger heute Nacht. Er hat eine Hure, die der Oberst wohl bestellt hat, zu ihm geführt und danach noch einen Absacker mit ihm getrunken. Das war um die vierte Stunde. Heute Morgen habe ich dann die Fenster aufgemacht, um, naja, Gerüche rauszulassen. Auf diesem Stock sind noch die Zimmer von Lioba von Bilgraten zur Graufurt, unserer Hauptfrau der zweiten Lanze“ –bei der Nennung des Namens färbte eine sanfte Röte seine Wangen – „sowie vom Hauptmann der ersten Lanze, Anselm Ettenhartz, und vom Hauptmann Odumir von Schleiffenröchte, Hauptmann des zweiten Banners. Mehr gibt es hier in diesem Stockwerk nicht. Wir konnten auch nicht feststellen, dass etwas weggekommen ist.

Und ihr, Herr Angroscho, untersteht euch hier irgendwelche Schlösser auszubauen. Was glaubt ihr, wo ihr hier seid? In einer Bastelstube? Wir sind die FLUSSGARDE, verdammt nochmal!“

Borax hielt in der Bewegung inne, er kniete vor der Umhängetasche und hatte bereits Werkzeug in der Hand. Barsch warf er es wieder in das Behältnis zurück. Dieser Mann konnte ihn ganz offensichtlich nicht leiden, dabei hatte er ihm nichts getan und wollte nur das richtige tun, bei Angroschs Bart. Was konnte er dafür, dass seine Schwester auch in diese Sache involviert war? Nichts, zum Orken nochmal. Er zwang sich zu einem ruhigen Tonfall. „Nun gut, dann werde ich sehen müssen was mein Talent mir gestattet zu entdecken, immer vorausgesetzt es wurde eingebrochen und somit auch Spuren hinterlassen. Sagt, sind die Türen zu den Kammern hier des Nachts verschlossen und wie ist es mit den Türen und Fenstern auf den Fluren?” Ohne die Antwort des Waibels abzuwarten machte sich Borax an die Arbeit. Viel reden half hier eh nicht weiter, nicht bei diesem Mann, das hatte er jetzt begriffen. Also tat er das, weswegen er hierhergekommen war. Er musste nur noch wissen, wo es sich lohnte zu suchen, das musste ihm dieser patzige Herr von und zu verraten. Aber das konnte er sicher auch tun, ohne dass man ihn durch zu viel Aufmerksamkeit unnötig würdigte. (Borax)

Dhana ballte die rechte Hand zur Faust, als sie den Mann mit seinen feuchten Augen sah. Gerade noch unterdrückte sie den Impuls, zu ihm zu gehen und ihn in den Arm zu nehmen, ihn an sich zu drücken und zu trösten. Doch wäre das sicherlich mehr als seltsam aufgenommen worden. Sie blickte auf den Boden vor ihm, auch, um die eigene Unsicherheit zu verbergen und meinte dann mit weitaus sanfterer Stimme: "Verzeiht meine raschen Fragen, immerhin ist es auch Euer Verlust. Wir werden tun, was in unserer Macht steht, um den Täter zu finden. - Und wenn Ihr jemanden zum Reden benötigt, ich bin sehr gut im Zuhören.". Anschließend ging sie einen Schritt in den Raum, sah dann wieder zu dem Waibel und ging zum Fenster. Dabei achtete sie darauf, den Toten möglichst nicht anzustarren oder anzusehen. Dann glitt der Blick aus dem geöffneten Fenster um zu sehen, was darunterlag: "Wisst Ihr, wie alt die Festung ist?". (Dhana)

„Nein, meine Dame, ich kann leider nicht sagen wie alt diese ehrwürdigen Mauern sind. Wieso wollt ihr das wissen?“ "Ich frage, weil alte Festungen gerne Geheimgänge bedienen. Denn im Moment sehe ich nicht viele Möglichkeiten, wie ein Mörder hereingekommen sein kann. Aber vielleicht helft Ihr mir bei meinen Gedankenspielen, Herr von Schellenberg? Ihr werdet Euch sicherlich eigene Gedanken zu diesem Vorfall gemacht haben." sie sah ihn freundlich an und zog sich wieder vom Fenster zurück: "Wenn alles so ist, wie Ihr sagtet, dann muss der Mörder nach der Dirne gekommen sein, denn sonst hätte der Gemeine Stutzinger keinen Absacker mit ihm trinken können. Oder er lügt. Alternativ hat sein Genosse den Mörder hereingelassen, absichtlich oder unabsichtlich. Oder aber er ist durch das Fenster eingedrungen. Oder es gibt einen Geheimgang. Diese Wege in dieses Zimmer sehe ich in diesem Moment vor mir." sie sah zu Borax, fragend, ob ihm noch etwas einfiele. (Dhana)

Borax sah Dhana überrascht an und nickte bedächtig. „In der Tat, an einen Geheimgang hatte ich noch gar nicht gedacht, das wäre eine weitere Option des Attentäters gewesen. Den nordmärker Herrschern standen seit jeher zwergische Baumeister zur Seite, wo wenn nicht hier. Die Angroschim kenne die Prinzipien der Mechanik viel länger als die Menschen. Wer kann uns sagen ob es Sinn macht danach zu suchen, aber wenn, wo Herr von Schellenberg? Nach zu dicken Wänden und luftigen Fugen zu suchen wäre sehr zeitaufwendig bei einem großen Bau wie diesem.” (Borax)

Lupius von Schellenberg blickte ratlos drein, als ein Zwerg ihn nach Geheimgängen in dieser alten Festung fragte. Mit einem entschuldigenden Schulterzucken schüttelte er leicht den Kopf als er gestehen musste „Leider befürchte ich, dass derzeit niemand sagen kann, ob es Geheimgänge gibt oder nicht. Einer der zwei Personen, die eventuell hierzu eine Aussage machen könnte, liegt dort. Der andere ist in diesem Moment in Gallys und bereitet sich auf den Krieg vor. Es tut mir leid, euch hierbei nicht helfen zu können.“

Da die Fensterläden hier im Zimmer des Opfers sicher von innen verschlossen gewesen waren begann er bei ihnen. Er kniete sich hin und untersuchte den Rahmen und die Fensterelemente, waren dort Spuren von einem Hebel, von einer Dolchspitze, war Metall oder Holz abgerieben worden durch Einwirkung von Gewalt? Gründlichkeit lag ihm im Blut, er war schließlich ein Angroscho. Bei den Schlössern kniff er die Augen zusammen und sah sich die einfachen, ihnen innewohnenden Mechaniken an, welche durch einen Bartschlüssel in einer Tür bewegt wurden, um sie zu öffnen. Er untersuchte, ob sie intakt oder gewaltsam aufgebrochen waren, ob es Metallabrieb gab, welcher nicht zum übrigen Eindruck des Schlosses passte, ob sie sauber und ohne zu haken arbeiteten. Er musste den Beweis für einen Einbruch finden, nur gab es ihn tatsächlich? So untersuchte er zunächst Fenster und Tür der Kammer des Opfers, um sich danach die des angrenzenden Flures anzusehen, durch den sie gekommen waren. Nicht die Zimmertüren, nur die welche auf ihrem Weg gelegen hatten. Der Attentäter hatte schließlich auch irgendwie in das Zimmer des Oberst gelangen müssen. (Borax)

So sehr sich Borax auch bemühte, er konnte keine Spuren mechanischer Einwirkungen, weder an den Fenstern noch den Türen – auch nicht im übrigen Stockwerk – finden.

Borax seufzte schwer, setzte sich aus der knienden Haltung vor einer Flurtür auf den Hintern, lehnte sich an die Wand des Flures und ging noch einmal alles durch, alle Wege, die der Mörder hatte gehen können. Nein, er hatte nichts übersehen, Spuren vielleicht, aber keinen, möglichen Einstiegspunkt. Schwer rappelte er sich auf, er hatte gehofft etwas zu finden und den anderen ein Indiz für den Einbruch liefern zu können. Leicht demoralisiert trat er wieder ins Zimmer des ermordeten Obersts, sah Dhana und den Waibel an und berichtete nüchtern und mit spürbar enttäuschter Stimme. "Ich konnte nichts finden, keinerlei Spuren eines gewaltsamen Eindringens. Jedoch bin ich weder Herr Bosko, von dem der Aventurische Bote aus Gareth berichtete, noch gehöre ich sonst einer Criminal Cammer an, aber ich verstehe trotzdem etwas von meinem Handwerk, weiß wo ich suchen musste, hätte eine Einbruchspur erkannt. Ich glaube somit nicht mehr daran, dass es einen solchen gegeben hat.“ Er machte eine Pause, um das Gesagte selbst im Geiste zu fassen, zu begreifen, was es bedeutete. „Ich denke entweder hatte der Attentäter Zugang zu diesem Gebäude und damit zur Garnison, oder das Opfer kannte seinen Mörder und hat ihn hineingelassen. Beide Möglichkeiten sind erschreckend und vielleicht ist diese Erkenntnis viel wertvoller als Indizien eines Einbruches." Während seines Monologes wurde Boraxs Stimme fester und überzeugter, ja, er hatte nichts entdeckt, das machte die Sache aber nur umso brisanter. "Man sollte schleunigst diese Dirne finden und befragen!" Borax drehte sich zu dem im Raum befindlichen Bett, auf dem noch immer die abgedeckte Leiche des Oberst lag und sprach weiter. „Wann werdet ihr nach einem Boroni schicken lassen? Meint Ihr, es ist könnte uns gestattet werden bei der Untersuchung des Toten dabei zu sein? Bitte glaubt mir, dass ich dieses nicht möchte, doch bisher haben wir nichts außer Mutmaßungen, wir können uns nicht erlauben bei der Leiche des Oberst nachlässig zu sein.“ Er blickte zu Dhana, um in ihrer Mimik eine Regung auf seine Eröffnung zu finden. (Borax)

Dhana dachte bei den Worten von Borax nach. Ja, es wäre das Beste, immerhin waren die sonstigen 'Erkenntnisse' mehr als nur dürftig bis jetzt. Sie versuchte, möglichst ruhig auszusehen, schien es nichts, worauf sie sich freute. Auch wenn der Blick immer einmal zum Oberst ging und sie mit sich zu ringen schien. (Dhana)

„Die Dirne haben wir bereits heute Früh in den einschlägigen Spelunken gesucht, konnten ihrer aber nicht habhaft werden.“ Der Waibel atmete darauf hin tief durch, und in seinem Gesicht zeigte sich deutliches Unbehagen. Er blickte sich einige Male um, straffte sich dann wieder, lies seine Hände in seinen Waffengürtel greifen und wendete sich mit durchdringendem Blick an die zwei Ermittler: „Ich werde die Kirche des Schweigsamen spätestens heute Abend informieren, bevor ich mich zum Herzogenschloss begebe. Solltet ihr vorher einen Blick auf den Toten werfen wollen, nur zu. Es wird denke ich Zeit, das Laken zu wechseln.“ Mit diesen Worten ging er zum Leichnam und zog das Laken, welches den Leichnam bedeckte, langsam und mit Ehrfurcht, zurück. Er legte es zusammen und verließ damit die Kammer.

-- Main.CatrinGrunewald - 03 Mar 2019