Still Wie Ein Stein

Still wie ein Stein

Ort: Calmir in der Baronie Rabenstein und die umliegenden Wälder

Zeit: Rondra 1041 BF

Personen: Oberst DwaroschSohnDesDwalin und Ihre Gnaden MarboLieb, sowie Ihre Ehrwürden RichildVonMoorbrueck. Und andere.

Eine Briefspielgeschichte von RekkiThorkarson und IseWeine.

Inhalt: Im Rondra 1041 wächst sich ein kleiner Freundschaftsdienst Oberst Dwaroschs gegenüber Ihrer Gnaden Marbolieb in Calmir unversehends zu einer viel größeren Geschichte aus. (Dokument hängt an).

Die darauf folgenden Ereignisse finden sich unter SaatDesGrauens.

Zu Besuch in Calmir

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Der Sommer war ins Gebirge gekommen. Auf den hohen Grasmatten blühten Tarnele, Phexian, Bergblut und Ifirnssterne, und über den grauen Granitzacken, die sich wie Zähne aus der Grasnarbe erhoben, flimmerte die Hitze. Über allem war ein Summen und Brummen zahlloser Insekten, und wie kleine Edelsteine gaukelten Tsafalter durch die sonnengetränkte Luft. In Calmir buk die Wärme auf den Schindeldächern der Hütten und Bauernhäuser und dörrte das geschnittene Gras auf den Wiesen, denn die Heumahd war in vollem Gange. Marbolieb lehnte an der Mauer des Tempels und betrachtete ihren Anger, über dem das Gras wogte und eigentlich längst gemäht hätte werden sollen. Sie liebte die Wärme, die zum ersten Mal in diesem Götterlauf selbst die massiven Steinmauern des Tempels auf ein erträgliches Maß geheizt hatte und ihr neues Domizil fast behaglich werden ließ. Der tiefe Frieden, der den kleinen Tempel einhüllte, war fast zu schön, um von Dauer zu sein. Es war bereits Anfang Rondra, als der Oberst und sein erster Hauptmann aus Lûr im Fürstentum Kosch kommend die Via Ferra über die Berge zurück in die Heimat nahmen. Sie würden den Gipfel des Rabenhorstes besteigen und über die Bergwacht Gorgontûr das Reich Isnatosch unter dem Eisenwald betreten, um vor dort aus nach Senalosch, ihrer Heimat, zu gelangen. Vorher jedoch wollte Dwarosch Calmir einen kleinen Besuch abstatten. Beide Zwerge waren der heißen Witterung entsprechend gekleidet. Sie trugen lediglich kurze, kniefreie Lederhosen, schwere, geschnürte Stiefel und leichte, kurzärmlige Leinenhemden, die durchgeschwitzt am Körper klebten. Die beiden Kameraden hätten kaum gegensätzlicher seien können. Der Oberst, mit schwarzem, langen Bart und Haupthaar, in das sich erste graue Strähnen mischten, war im besten Alter und groß gewachsen für einen Vertreter seines Volkes. Dazu war er von enorm massiger, muskulöser Statur. Sein Begleiter hingegen war deutlich jünger, ein Stück kleiner und von eher drahtiger Figur. Allein der kräftige Rücken und die breit ausgeformten Schultern sprachen vom Waffenhandwerk. Seine Bewegungen waren außergewöhnlich geschmeidig für einen Zwergen. Antharax so sein Name, hatte blondes, in der Sonne golden schimmerndes Haar welches er zu einem Knoten am Hinterkopf zusammengebunden hatte. Der lange, bis hinab zur Gürtelschnalle reichende Bart war zu einem einzelnen, dicken Zopf gebunden. Mit einem schweren Rucksack auf dem Rücken kamen die beiden den Weg entlang. Antharax hatte ein prächtiges Schwert mit der Breitseite der Klinge über der Schulter gelegt. Die Waffe war runenverziert und von einer Größe, die darauf deutete, dass er sie zweihändig würde führen müssen. Dwarosch trug nur einen Lindwurmschläger am Gürtel, die deutlich gewöhnlichere Waffe für einen Angroschim. Derweil unterhielten die beiden sich angeregt und offenbar in einem sehr vertrauten Ton. Ein Beobachter der des Rogolans mächtig gewesen wäre, hätte ein Gespräch aufschnappen können, welches sich um Stählernen Hallen und taktisches Gefachsimpel drehte. Das Dorf wurde still, als die beiden Angroschim durch das Tor schritten, und viele Augenpaare richteten sich auf die beiden Zwerge. Einige der Dörfler verschwanden in ihren Häusern und mit einem entschiedenen Knallen schloss sich die Haustür des Schneiders, als beide dessen Werkstatt passierten. Wie Rastullahs Atem hing die Hitze über dem Dorf. Ein einsamer Hofhund an einer Kette kläffte, als sich die beiden Fremden ihm näherten, und rannte ihnen mit gesträubtem Fell entgegen, bis er das Ende seiner Freiheit erreichte und ihn ein gnadenloser Ruck am Halsband stoppte. Marbolieb hatte ihren Ausblick vor dem Borontempel nicht verlassen. Ruhig betrachtete sie die beiden Wanderer, und um ihre Mundwinkel spielte ein kleines Lächeln. Dwarosch hob schon von Weitem die Hand und winkte, als er Marbolieb sah. Er und sein Wandergefährte wechselten kurz einige Worte. Der Oberst wies auf einen Pfad, der aus dem Dorf hinausführte, zum Haus der Jagdmeisterin, und sein Kamerad schlug diesen Weg ein. Marbolieb erkannte das breite Lächeln Dwaroschs. Weit öffnete er die breiten Arme als sie nur noch wenige Schritte trennten. „Geziemt es sich, Euch zu umarmen, Eure Gnaden? Ich weiß nicht ob ich dieses Bedürfnis werde zurückhalten können.“ Deutlich war die Ironie in seiner Stimme zu erkennen. Die Priesterin trat einen Schritt auf Dwarosch zu, breitete die Arme aus und wartete. Natürlich geziemte es sich nicht, in aller Öffentlichkeit umarmt zu werden – und sie war sich der genauesten Beobachtung durch mindestens das halbe Dorf mehr als bewusst. Gaffen und schwatzen würden sie so oder so. Also kam, so beschloss die Geweihte, es auf ein paar Sätze mehr Geschwätz auch nicht mehr an. Und sollte einer der Calmirer ob dieses Anblicks Schwierigkeiten mit seinem Seelenfrieden bekommen, so würde sie ihm mit Freunden mit Rat und Hilfe beistehen. Bedauerlich nur, dass ausgerechnet jene beiden, die dessen am meisten bedurften, dies am unwahrscheinlichsten annehmen würden. Kurz verlor Marbolieb die Bodenhaftung, als sich die dicken Arme des Zwergen wie ein gewaltiger Schraubstock um ihre Hüfte schlossen und sie zur Umarmung anhoben. Doch Dwarosch wusste, dass er es nicht übertreiben durfte, und so setzte er sie gleich wieder ab und trat er alsbald einen Schritt von ihr zurück. Sein Lächeln jedoch blieb so breit wie zuvor. „Es freut mich, dich scheinbar ausgeglichen und ausgeruhter zu sehen, als bei meinem letzten Besuch. Wie geht es deiner kleinen Schlafräuberin?“ „Schön, dass Du hier bist.“ Marboliebs Augen leuchteten und sie legte die Hände auf die Schultern des Angroscho – und ließ sie dort. „Mirla ist hier.“ Kurz wandet sie ihren Blick ab und blickte neben sich – und tatsächlich – hinter dem Türstock tauchte ein neugieriges kleines Köpfchen auf, das sich beim Anblick des Zwergen aber sofort wieder in den sicheren Eingang zurückzog und mit einem Auge über den Türrahmen linste – etwa anderthalb Spann über Bodenhöhe, so hoch eben, wie ein mühsam krabbelndes Kind das konnte. Die Priesterin löste ihre Hände und machte einen Schritt zur Seite, um Dwarosch eintreten zu lassen – das Schauspiel für die neugierigen Augen der Dörfler durfte vorüber sein. Der Oberst schritt über die Schwelle in den Tempel und hockte sich sogleich hin, um auch Mirla zu begrüßen. Sein tiefer Bass klang auf einmal ganz sanft und einfühlsam. „Hallo, kleine Amsel. Onkel Dwarosch kommt. um dich und deine Mutter zu besuchen. Na, erinnerst du dich noch an mich?“ Er warf einen Blick über die Schulter zu Marbolieb. „Erzähl mir wie es euch ergangen ist die letzten Götternamen. Deine Tochter entwickelt sich ja prächtig. Darf ich sie auf den Arm nehmen?“ Marbolieb nickte, das ungleiche Paar mit gelassenem Blick betrachtend. Mirla dagegen erachtete die Angelegenheit gar nicht als gut – sie zerknautschte Ihr Gesicht, als sich der bärtige Zwerg ihr näherte, versenkte ihre gesamte Faust im Mund und machte ein Gesicht, als wolle sie in Tränen ausbrechen, ihre freie Hand wehklagend nach ihrer Mutter ausstreckend. „Ich danke Dir für die Wiege – und die anderen Dinge.“ Sie hatten ihr und Mirla die Zeit sehr erleichtert – und Schneider und Schreinerin Gesprächsstoff für Tage und manche Runde Freibier im ‚Kelch’ verschafft – es war ja auch ein wahrliches Abenteuer, die bestellten Dinge im Borontempel abzuliefern, dem Ort, den jeder zu seinem letzten Gang betrat. Mit sehr, sehr zweifelndem Blick ließ Mirla sich schließlich hochnehmen – ohne lautstarken Protest, aber entschieden nicht zufrieden mit der Situation. „Es war ruhig hier – sieben Begräbnisse, und ein angeblich verschwundener Wandersmann, der von Dohlenfelde aus hätte ankommen sollen, es aber nicht tat.“ Sie richtete einen nachdenklichen Blick auf Dwarosch, der sich Auge in Auge mit den großen, dunklen Augen des Säuglings sah, der ihn noch immer abschätzte, aber offenbar beschlossen hatte, dass ein lautes Quäken nun doch verschwendete Liebesmüh’ sei. „Was hast Du die vergangenen Monde erlebt?“ Aufmerksamkeit stand in ihrem Gesicht geschrieben und aufrichtige Neugier. Mirla nahm ihre Faust aus dem Mund und griff damit vorsichtig nach den geflochenen Barthaaren Dwaroschs. Sachte das zarte Wesen in seinen breiten Armen wiegend drehte sich Dwarosch zu Marolieb um. Dabei konnte er doch nicht die Augen von Mirla nehmen, als er zu einer Antwort ansetzte. „Ich habe meine Pläne vorangetrieben und war bei diversen Baronen und Vögten des Isenhag. Alles läuft wie geplant. Die Marschübungen der Gebirgsjäger sind im vollen Gange und auch die neue Karte unserer Heimat nimmt inzwischen Form an. Derweil bin ich dabei, zu überlegen, bei welchen Lehnsherren der anderen Grafschaften ich damit beginne meine Pläne auszuweiten. Ich muss taktisch klug vorgehen. Wenn ich erstmal einige Adlige auf meiner Seite habe, werden sich die anderen dem Vorhaben nur schwer entgegenstellen können. Gerade komme ich mit Antharax, meinem ersten Hauptmann aus Lûr im Fürstentum Kosch. Unter der Stadt liegen die Stählernen Hallen, eine uralte Arena meines Volkes. Mein Freund hat dort seine ersten Kämpfe bestritten.“ Der Oberst blickte auf und stutzte kurz. „Hat man den Wandersmann inzwischen gefunden? Ich meine, es verschwinden regelmäßig Leute im Gebirge. Es wundert mich, dass du das erwähnst.“ „Es ist der erste, den ich selbst mitbekommen habe.“ Marbolieb betrachtete das ungleiche Paar und um ihre Mundwinkel und Augen spielte ein Lächeln. „Das war also dein Begleiter. So Du magst, darfst Du ihn mir gerne vorstellen.“ Sie griff an die Händchen des kleinen Mädchens und entwirrte sie gegen deren erbosten Widerstand aus Dwaroschs Bart, in den sich Mirla mit der ganzen Kraft einer gesunden Halbjährigen gehängt hatte. „Bei den Adligen kann ich Dir leider nicht helfen.“ Zu weit weg war deren Leben von dem kleinen Dorf im Eisenwald – und außer dem eigenen Landesherrn begegnete sie kaum einmal einem reisenden Adelsmann. Marbolieb blickte auf, als Schritte im Eingang erklangen und ein Schatten die noch offene Tür verdunkelte.

Eine unerwartete Aufgabe

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Eine hochgewachsene, vierschrötige Frau in speckigen Lederhosen und einem zerrauften dunkelgrünen Wollwams stand dort, einen Jägerkappe in der Hand, jede Geste ihre Unbehaglichkeit verratend. Sie spähte in das Dämmerlicht, in der Hoffnung, bemerkt und angesprochen zu werden. Marbolieb wandte sich der Frau zu und trat mit leisen Schritten neben sie. „Ihr sucht?“ Die Frau fuhr zusammen, so dass ihr fast der Hut aus der Hand gefallen wäre. „Euer Gnaden ... .“ Sie verbeugte sich – nicht sehr tief, und mit einer merklichen „sicher ist sicher“-Komponente. „Ich bin Gezelin, aus Finsterbach. Ich, das heißt wir, ... also im Wald Richtung Almada, da haben wir einen Mann gefunden. Einen Toten.“ Und der muss da weg, war ihr drängender Unterton. „Ihr habt ihn liegenlassen?“ In Marboliebs Stimme war eine Schärfe, die Dwarosch dort noch nie gehört hatte. „Ja, aber ... wie hätten wir ihn denn tragen sollen? Wir hatten doch schon mit dem Holz viel zu viel zu tragen ... .“ Sie zerknetete ihren Hut, die ganze Frau ein Bild der Zerknirschung. Dwarosch trat neben Marbolieb und senkte die Stimme. „Antharax und ich müssen heute nicht mehr weiter. Wir können dich begleiten.“ Marbolieb nickte wortlos – Dwarosch kannte sie inzwischen gut genug, um das ‚Danke Dir’ in ihrer Gestik zu lesen. Danach blickte er die Frau an und hakte mit möglichst neutralem Ton nach. „Wie viele Wegstunden von hier liegt der Tote, gute Frau?“ Gezelin zuckte erneut zusammen, als der Angroscho sie so unvermittelt ansprach. Langsam nur gewöhnte sich ihre Augen an das Dämmerlicht, und sie wollte ihnen nicht trauen, als sich nach und nach das gesamte Bild aus dem Dunkel schälte. Ihr Mund öffnete sich und verlieh ihr einen nicht besonders von Hesinde gesegneten Eindruck. Marbolieb wartete. Mit einem sichtbaren Schaudern wandte Gezelin sich ihr wieder zu. „Zehn oder zwölf Wegstunden vielleicht – nicht weit.“ Bedachte man das unwegsame Gelände, mochte das wohl stimmen. Dwarosch blähte dennoch die Wangen aufgrund dieser Aussage. Dies brachte seine Planung schon ein wenig durcheinander. Dennoch nickte er kurz darauf mit einer etwas grimmigeren Miene. „Wann können wir aufbrechen?“ Fragte er mit einem Seitenblick auch auf Marbolieb. „Antharax wird in Kürze hier sein.“ „In einem Wassermaß. Ich werde Aldaia fragen, ob sie mir ihr Pony leiht.“ Die Priesterin fügte sich dem Unausweichlichen und blickte Dwarosch an. „Ich will Dich und Deinen Begleiter nicht aufhalten. Wenn ihr andere Pläne habt, folgt diesen.“ Ihre Stimme klang sanft wie feiner Rauch, sie hatte ihre Hände weit in die Ärmel ihrer Kutte gesteckt und die Kapuze war so weit ins Gesicht gezogen, dass dieses nur ab ihrer Nasenspitze sichtbar war. Doch Dwarosch schüttelte nur sachte den Kopf. Nein, er war entschlossen zu helfen. Er konnte Marbolieb schließlich nicht alleine gehen lassen. Eine andere Frage kam ihm derweil in den Sinn. „In wessen Obhut wirst du Mirla derweil geben?“ „Ich nehme sie mit.“ Vollkommen selbstverständlich kam Marboliebs Antwort. Was hätte sie auch sonst tun sollen? Es gab hier schlichterdings niemanden, in dessen Obhut sie das Kind hätte geben können – oder wollen. Der Oberst rümpfte nur kurz die Nase, dann war das Thema für ihn gegessen. Einem Frauenzimmer zu sagen, was gut und richtig war für ihr Kind, machte keinen Sinn und gehörte sich auch nicht, wenn es nicht um grobe Fahrlässigkeit ging. Fröhlich pfeifend kündigte sich derweil Antharax bereits von draußen an. Kurze Zeit später trat er ebenfalls in den Tempel. Dwaroschs Kamerad stutzte beim Anblick der dritten Person. Die beiden Zwerge tauschten Blicke aus und der Oberst gab Order. „Prüfe unsere Ausrüstung.“ Er nickte in Richtung seines Rucksacks, welchen er zwischenzeitlich an eine der Außenwände des Sakralbaus gelehnt hatte. „Wir brechen gleich wieder auf. Es liegt ein Toter etwa zehn Wegstunden von hier, der geborgen werden muss.“ Die Miene des jüngeren Zwergen verhärtete sich kurz, doch er nickte nur pflichtbewusst und machte sich sorgsam an die Arbeit.

Unterwegs in die Berge

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Und so zog, kaum ein Wassermaß später, eine bunte Truppe gen Süden. Zwei Zwerge, eine Menschenfrau in braun und grün, eine in schwarz gewandet – ein Pony und ein Säugling. Das Alveransschild schien auf ihre Rücken und meinte es gut mit ihnen. Nicht lange, und eine wachsende Wolke winziger Mücken feierte die Wanderer und den heißen Sommertag, und ließ sich erst abschütteln, als drei Wegstunden später der Wald seine Schatten auf den staubigen Weg warf und die Gruppe die Via Ferra erreichte. Die Sonne hatte den Zenit bereits weit überschritten und die Schatten wuchsen und dämpften gnädig das gleißende Licht. Mirla begann zu greinen. Lange hatte sie gutwillig im Tragsattel des Ponys das ungewohnte Abenteuer genossen, doch nun war sie heiß und müde und hungrig und des Ausfluges wahrlich überdrüssig. Eine mäßig lange Pause später waren die fünfe dann wieder auf dem Weg, nach einem kurzen Protest von Gezelin, die nicht damit gerechnet hatte, als Wegführerin nun nochmals die ganze Strecke zurück wandern zu müssen. „Aber Euer Gnaden, es reicht doch, wenn ich Euch beschreibe, wo er liegt. Warum muss ich jetzt den ganzen Tag nochmal mit? Ich hab’ doch auch zu tun!“ nörgelte sie, mit einem Gesichtsausdruck, der Milch hätte sauer werden lassen können. Dwarosch zeigte keinerlei Reaktion auf die Beschwerde der Frau. Anstelle dessen ignorierte er sie und stellte eine nüchterne Gegenfrage. "Wie habt ihr den Toten vorgefunden?" Als die Angesprochene nur dumm aus der Wäsche guckte und offenkundig nicht darauf zu antworten wusste, ergriff Antharax das erste Mal das Wort. "Was der Oberst meint, lag der Körper auf dem Bauch oder auf dem Rücken, hatte er äußerlich sichtbare Wunden, oder liegt wie durch einen Sturz eine verrenkte, unnatürlich anmutende Stellung der Gliedmaßen vor?" Die Stimme des Hauptmannes war weich, hatte einen ganz anderen Akzent als die des Obersten und ließ darauf schließen, dass er vermutlich nicht aus dem Isenhag stammte. Gezelin betrachtete ihn verdattert. Mit Rückfragen hatte sie nicht gerechnet. „Ich wollt’ doch nur Bescheid geben, also dass ihr ihn abholt – ’s ist doch nicht göttergefällig, dass er liegenbleibt und zum Wiedergänger wird, oder?“ Ein Blick in die unnachgiebigen Gesichter der Angroschim ließ sie schlucken. „Auf’m Bauch, Herr Oberst, und ’s war noch alles dran, also auf’n eingeschlagen hat wohl keiner. Ich hab’n aber nicht angefasst – das bringt Unglück, wisst Ihr.“ Ein stummes Nicken vom Oberst folgte und auch Antharax wollte dazu scheinbar nichts mehr beitragen. Die Antwort schien für beide ausreichend zu sein. Dwarosch wendete sich erneut an Marbolieb. „Überführen wir den Leichnam nach Calmir, oder gibt es einen näher gelegenen Ort mit einem Anger?“ „Leider nein. Wir bringen ihn nach Calmir.“ So sie ihn denn fänden. Was deutlich leichter gesagt denn getan war – selbst mit der unwilligen Gezelin als Führerin. Der Sommerabend war schon weit fortgeschritten und die Grillen hatten ihr lärmendes Konzert angestimmt, als die Gruppe daranging, sich ein Nachtlager zu suchen. Was bedeutete, dass Marbolieb ihre Begleiter mit fragendem Blick bedachte. „Kennt ihr euch damit aus?“ Ein mehr gebrummtes als ausgesprochenes ‚Ja’ ließ der ältere der beiden Zwerge vernehmen. Während eines Jahrhunderts als Soldat hatte der Sohn des Dwalin nahezu jeden Winkel des Kontinents gesehen und mehr Zeit unter freiem Himmel verbracht, als es manchem Menschen vergönnt war, alt zu werden. Der Oberst gab seinem Hauptmann ein stummes Zeichen und beide hielten von da an Ausschau nach einem geeigneten Lagerplatz für die Nacht. Als man an einer kleinen, freien Fläche nahe einer schroffen und überragenden Felsformation vorbei kam, war man fündig geworden. Es würde wohl aller Wahrscheinlichkeit nach nicht regnen in nächster Zeit, aber das Wetter konnte im Gebirge sehr schnell umschlagen und unberechenbar sein. Es war besser, auf Nummer sicher zu gehen. Dies lag in der Natur des kleinen Volkes. Die Zwerge stellten ihre Rucksäcke ab und nahmen die kleinen, kurzstieligen Schaufeln zur Hand, die daran befestigt waren. Antharax fing sogleich an, Holz zu sammeln und eine kleine Feuergrube auszuheben, welche er zusätzlich mit Steinen drumherum sicherte. Dwarosch ebnete unterdessen die Fläche unter der Flanke des Felsens ein, so dass sie alle darunter Schutz finden würden in der Nacht. Als das Feuer bereits entzündet war und man etwas Brot und Trockenfleisch aus der Feldverpflegung der Angroschim gegessen hatte, nahm der Oberst seine Axt und hämmerte mit deren stumpfen Seite mehrere fingerdicke Äste in den Boden um ihr Lager. Er ordnete sie im Halbkreis an, von Fels zu Fels. Dann nahm er eine dünne Schnur aus seiner Ausrüstung und spannte diese in Knöchelhöhe um die Äste, so dass drei kurz hintereinanderliegende Stolperdrähte entstanden, welche jede Schrittweite abdeckten und befestigte zusätzlich kleine Glöckchen daran. Nachdem er diese Sicherheitsmaßnahme vollzogen hatte, nahm er die kleine Pfanne mit den geschnittenen Pilzen, die er und Antharax den Tag über rechts und links des Weges gesammelt hatten, vom Feuer und ließ sie zusammen mit einer Gabel kreisen. “Ich übernehme die erste Wache. Danach könnt ihr euch gegenseitig wachhalten.” Er nickte in Richtung der beiden Frauen. “Wenn der Morgen graut, die Hundswache wird Antharax übernehmen. Ich habe viele, seltsame Geschichten über Rabenstein gehört und ich möchte keine Überraschung erleben. Weckt uns”, er blickte Marbolieb und Gezelin ernst an, ”sobald ihr etwas hört oder meint etwas gesehen zu haben.” Marblolieb saß, den Rücken an dem sonnenwarmen Stein gelehnt, und genoss den ruhigen, dunkelblauen Abend, der vom Gesang der Heupferde und dem ‚Meckmeckmeck’ eines Ziegenmelkers verabschiedet wurde. Es duftete nach Bergblumen, Kräutern und sonnenwarmen Steinen und es war schwer vorstellbar, dass irgend etwas oder jemand es wagen würde, diese friedvolle Stille zu stören. Die emsige Betriebsamkeit der Zwerge indes widersprach diesem Bild. Offenbar hatten auch sie mehr als bloße Geschichten gehört – und wähnten sie für wahr. Leise erhob sie sich, ihre schwarze Robe wie das Rascheln von dunklem Gefieder, und nahm einen ihrer Beutel vom Gürtel. Mit gemessenen Schritten ging sie den Kreis ab, den Dwaroschs Wehr abgesteckt hatte, und zog dort eine Linie mit schwarzer Erde. Als sie den Anfang des Kreises wieder reicht hatte, hob sie die Arme. Die weiten Ärmel ihrer Robe erinnerten an die Flügel eines Raben, als sie segnend die Hände über die Anwesenden ausbreitete und mit einem Ruck die Arme senkte. Ein Schatten schien sich über die Anwesenden zu legen und das letzte Blau des Abends wich der Dunkelheit der Nacht. Marbolieb fing Dwaroschs Blick mit ruhigen Augen und setzte sich wieder, ein versonnenes Lächeln auf ihren Lippen. Dwaroschs Miene zeigte ebenfalls ein leichtes Lächeln. Er spürte die fast körperliche Ruhe, die durch das Wirken der Dienerin Borons freigesetzt worden war. Marbolieb hatte ihn gelehrt, daraus Kraft zu schöpfen. Ein innerlicher Friede ergriff den alten Zwergen. Ein Frieden, der ihm sonst, ganz besonderes als Anhänger Kors, völlig fremd war. Nach und nach legten sich die Gefährten zur Ruhe. Dwarosch setzte sich etwas abseits, so dass er nicht unmittelbar im Lichtschein des Feuers saß. Er lehnte sich an eine alte, verkrüppelte Tanne, legte seine Axt in den Schoss und stopfte seine Pfeife. Leise wie ein Schatten kniete sich die Priesterin neben den Zwergen und genoss schweigend die Ruhe und den Frieden der hereinbrechenden Sommernacht. Das Lager wurde still, und die Geräusche der Umgebung nahmen an Lautstärke zu. Ein leiser Wind kam auf, strich über die Wipfel der Bäume und trug den Geruch von Kräutern, Erde, Harz und Holz mit sich. Bald schon schliefen die anderen sicher in Borons Armen. Der Oberst stand nur dann und wann auf, vertrat sich die Beine, legte neues Holz ins Feuer und machte sich einen starken Tee mit Gewürzblättern aus dem tiefen Süden des Kontinentes. „Es sieht friedlich aus.“ Marboliebs Stimme fügte sich nahtlos in den Klangteppich aus Stille ein. „Aber dies täuscht.“ „Magst du vielleicht probieren?“ Dwaorsch hielt Marbolieb die lange, aus Bein geschnitzte Pfeife hin. „Aber vorsichtig, das Brabaker Kraut ist stark. Ich denke aber, der süßliche, leicht holzige Geschmack wird dir gefallen.“ Seine Stimme war nun, da sie alleine waren, wieder deutlich vertrauter. Marbolieb nickte, nahm die rauchende Pfeife aus Dwaroschs Hand und roch an dem aufsteigenden Duft, ehe sie einen vorsichtigen Zug tat. Sie sog scharf die Luft ein, verharrte, und genoss einen weiteren Zug, ehe sie ihm die Pfeife zurückgab. Bei der Übergabe berührten sich ihre Hände, kurz nur, und doch verharrte das Gefühl ihrer warmen Haut auf der mächtigen Pranke des Zwergen. „Fein.“ befand sie. Die Priesterin lehnte sich entspannt zurück, der sonnenwarme Stein eine überaus angenehme Rückenlehne, und schloss für einen Moment die Augen.

„Und nun erzähl mir bitte, was du weißt. Die Dinge, die mir über deine Heimat zugetragen wurden,vermögen es, selbst abgebrühte Gemüter zu beunruhigen. Dass du einen Schutzkreis gezogen hast verdeutlicht mir, dass du ebenfalls besorgt bist oder zumindest nicht alle Geschichten für Märchen hältst.“ Marboblieb öffnete die Augen und blickte Dwarosch an, ruhig, ohne seinem Blick auszuweichen. „Es sind keine Märchen.“ Der Wind zauste die Wipfel der Bäume und der Gesang der Grillen und Heupferde verstummte für einen Lidschlag lang, ehe er erneut zu einem Furioso anschwoll. „Nicht der Kern. Ein Schrecken geht um in diesen Wäldern. Das Land weiß von ihm, und jene, die hier leben. Von ihnen nährt er sich.“ Sie schwieg und lehnte den Kopf in den Nacken, betrachtet das Alveranszelt und die Sterne, die wie ausgestreute Diamanten auf schwarzem Samt lagen. Eine Sternschnuppe zog mit silbernem Funkeln über das Firmament und verschwand hinter dem Kamm der Berge. Marboblieb legte ihre Hand auf die des Zwergen, leicht wie eine Feder, eine tröstende Geste. Er genoss ihre Nähe, die Vertrautheit. Viel zu selten empfand er auf diese Weise, hatte er in seinem bisherigen, langen Leben. Bisher hatte ihn das kaum gestört, erst Marbolieb hatte ihm wieder gezeigt, was Zuneigung war, wenn auch auf eine spezielle Art und Weise. „Du sprichst von IHM, als wenn die Gefahr etwas Greifbares ist für dich. Du sagst nicht ES, sondern ER. Bitte, gib mir die Chance zu begreifen, warum du deine Worte so gewählt hast.“ Die Priesterin schwieg einen Atemzug lang und überlegte die rechten Worte. „Ein Schatten – deshalb ‚Er’. Ich weiß nicht, ob es überhaupt – noch – eine Person ist. Etwas. Das an meinen Träumen kratzt und mir Schauder über die Haut jagt.“ Ihre Hand schloss sich fester um die seinige, auch wenn ihre Stimme und Körperhaltung sich nicht änderte. „Es ist alt. Viele Menschenalter.“ Sie schwieg, den Blick auf die Dampffäden gerichtet, die sich über dem Tee wanden. „Ich werde es herausfinden.“ Manche Dinge besaßen ihre eigene, innere Unvermeidlichkeit. Etwas, dessen sich auch Dwarosch gewiss bewusst war. Der Zwerg rümpfte die Nase und verzog leicht die Mundwinkel. Es schien, als wenn er noch nicht ganz zufrieden mit den Aussagen der Geweihten war. Dennoch zog er noch einmal in aller Ruhe genüsslich an der Pfeife, bevor er bei diesem Punkt noch einmal nachhakte. „Was meinst du mit ‚noch eine Person ist‘? Wo liegt der Ursprung dieses finstren … Mythos, welcher scheinbar eine reale Bedrohung ist in diesen Landen?“ Marbolieb hob die Schultern. „Ich habe davon geträumt.“ Was teilweise zutraf – ein ‚ich habe es gespürt’ wäre zwar die korrektere, aber für den Zwergen deutlich verwirrendere Antwort. Sie betrachtete einen Augenblick lang sehnsüchtig die Pfeife. Und versuchte es dennoch mit einer Erklärung. „Um sich hier, in der vierten Sphäre, bemerkbar zu machen, benötigen die meisten ... Wesenheiten ... aus der siebten Sphäre eine körperliche Hülle. Meist ein Mensch – oder Zwerg. Wenn ich wüßte, wer und wann dieser war, so wäre es mir leichter, dagegen vorzugehen. So weiß ich nur, dass der Einfluss der Widerwärtigen wie ein Schatten auf dem Land liegt, es aussaugt – und darum kämpft, es zu seinem zu machen.“ Müde schloss sie die Augen und lehnte ihren Kopf an den Stein, der noch immer die Wärme des Tages abstrahlte. Der Duft nach Kräutern, Rauchkraut und einem sommerlichen Wald umfing sie wie eine Liebkosung. Der Hauch nach Erde, Moder und Verwesung, der gleichfalls auf dem Sommerwind reiste, war so fein, dass er auch nur eine Einbildung ihres müden Geistes hätte sein können. Bei der Erwähnung der siebten Sphäre und ihrer Bewohner verzog sich Dwaroschs Miene zu einem angewiderten Ausdruck. Er hielt nicht lange an, aber seine tiefsitzende Abneigung, sein Hass, wäre jedem Betrachter sofort verdeutlicht worden. Schnell holten ihn die positiven Empfindungen des Momentes, das Hier und Jetzt wieder ein. Der Oberst gab sich zufrieden mit der Antwort Marboliebs, auch wenn er dem Kern der Sache gerne tiefer zu Leibe gerückt wäre. Als militärischer Befehlshaber war sein Streben stets darauf ausgerichtet, alles über einen Feind zu wissen, um ihm einschätzen, seine Schritte vorausahnen zu können. Doch bei jenen Wesenheiten, bei den Diener der Widersacher der Götter, galt diese einfache Strategie eh’ nur im beschränkten Maße. Er seufzte und schob Marbolieb die Pfeife mit einem Grinsen in den Mund, bevor er sich seinerseits wieder entspannt zurücklehnte. Seine Augen jedoch blieben wach auf die Umgebung gerichtet. Über Marboliebs Lippen huschte ein Lächeln und sie nahm einen tiefen Zug und blies einen fast perfekten Rauchring in die Luft. Zitternd und tanzend stieg das flüchtige Gebilde nach oben, bis es sich schließlich in der warmen Luft auflöste. Sie fühlte sie kräftige, zuverlässige Gestalt des Zwergen neben sich und schloss wiederum für einen Moment lang die Augen, den Frieden dieses einen Moments mit allen Sinnen auskostend. Im Feuer zerbarst knackend ein Ast, und wie auf ein unsichtbares Kommando hielt die Nacht den Atem an. In die Stille heulte ein Graupelz, weit weg, an der anderen Seite des Berges. Ein zweiter und ein dritter, jenseits des Tales, antworteten ihm. „Wir sind wirklich nicht ganz alleine hier. Die Gesellschaft der Wölfe ist mir aber bedeutend lieber als die Ausgeburt einer Schauergeschichte. Und bei ihnen kann man sich ziemlich sicher sein, dass sie einen respektvollen Abstand halten werden.“ Marbolieb schmunzelte. „Gewöhnliche Wölfe schrecken mich in Deiner Begleitung nicht.“ Sie lehnte sich an den Zwergen, der, eine beruhigende, kräftige Gegenwart, neben ihr saß und blies gedankenverloren einen weiteren Rauchring. Doch die Stille im Land hielt weiter an, kein Geräusch eines Nachtvogels, kein Grillenzirpen mehr war zu hören, und nur das schaurige Lied der Graupelze durchbrach die Stille. „Es weiß, dass wir hier sind.“ Ganz ruhig war die Stimme der Priesterin, und fast ein bißchen traurig. Dwarosch zog sein rechtes Bein an und lockerte den Sitz des Gladius in der Scheide an seinem Stiefel. Das geweihte, urtümliche Kurzschwert eines bosparanischen Legionärs war wie ein Teil von ihm und die Handlung erfolgte fast schon unterbewusst. In den vielen Jahrzehnten, in der er die Waffe nun bereits trug, hatte sie ihm so manches Mal das Leben gerettet. Sie legte er nur ab, wenn er meterdicken Fels über sich wusste. „Spürst du seine Gegenwart jetzt? Wird ihn dein Schutzkreis auf Distanz halten?“ „Vielleicht. Je nachdem, was es ist.“ Marbolieb hielt mit einer Hand die Pfeife, die andere ruhte auf ihrem angewinkelten Bein. Sie fühlte die Anspannung des Angroscho neben ihr. „Er wirkt gegen Unheilige und Dämonen.“ Sie nahm einen neuen, tiefen Zug aus der Pfeife und hielt sie dann wieder ihrem rechtmäßigen Besitzer hin. Es war ein starkes Kraut, würzig und angenehm im Gaumen. „Ich spüre es – wie schon die letzten Monde. Es ist in diesen Wäldern, in diesem Land.“ Wie hätte sie ihm das unangenehme Gefühl auch beschreiben, von zwei kalten Augen beobachtet zu werden, sobald sie einen Schritt vor den Tempel setzte? Und das zunehmende Wissen, dass es nur darauf lauerte, dass sie eines Tages allein in die Wälder streunte? Es war eine mehr als glückliche Fügung gewesen, die Dwarosch heute zu ihr geführt hatte. Marbolieb atmete tief aus und lehnte ihren Kopf an jenen des Zwergen. Alles trug seine eigene Vergänglichkeit in sich – und doch hätte dieser eine Augenblick auch ein wenig länger währen dürfen. Er nahm die Pfeife zurück und steckte sie sich wieder in den Mundwinkel, tat einen kräftigen Zug. „Hast du mit dem Baron über dieses Thema gesprochen? Er ist ja auch ein Anhänger des ewig Schweigsamen und besitzt meines Wissens nach einigen Einfluss auf seine Kirche. Wäre es nicht an ihm, etwas zu unternehmen, wie vielleicht in Punin um Hilfe zu bitten?“ Marbolieb bewegte sich nicht. Es dauerte geraume Zeit, bis sie, ohne die Augen zu öffnen, schließlich antwortete. „Er hat dafür einen Priester nach Calmir geholt. Mich.“ Sie seufzte. Was hätte sie mehr dazu sagen sollen? Ein Ruck ging durch den Oberst. Er lehnte sich vor, um Marbolieb ansehen zu können. Etwas betreten begann er mit einer Entschuldigung. „Das wusste ich nicht. Verzeih mir diese Frage. Ich wollte damit nicht andeuten, dass du nicht fähig wärest, diese Wesenheit zu bannen, nur dachte ich, bei solchen Bedrohungen würden die Kirchen speziell geschulte Exorzisten entsenden. Ich weiß, dass zumindest die Praioten, die Diener der Leuin, des Listenreichen und auch des Unergründlichen solche Kleriker ausbilden.“ Diesmal war es Dwarosch der mit seiner Pranke die zierliche Hand der Priesterin nahm. „Lass uns beten, Marbolieb. Boron wird unsere Geister von der Angst befreien, Zuversicht schenken und uns geleiten, was immer diese Nacht auch bringen mag. Solange du an meiner Seite stehst, werde ich nicht weichen.“ Er lächelte. Ein leichtes Lächeln huschte über die Lippen der zierlichen Priesterin und blieb in ihren Augen hängen. Sanft strich sie dem Zwergen über die bärtige Wange. „Ich bin keine Exorzistin.“ Marbolieb kniete sich nieder und blickte Dwarosch in die Augen. „Um einen Feind zu bannen, muss man ihn kennen. Nach diesem Wissen suche ich.“ Gab es Worte, um auszudrücken, wieviel ihr seine Freundschaft bedeutete? Sie suchte diese einige Atemzüge lang – und fand sie nicht. „Wenn ich es weiß, werde ich die Golgariten in Eisenbrück rufen. Das verspreche ich Dir.“ Dwarosch nickte und sein tiefes Einatmen verriet ihr, dass er erleichtert über diese Antwort war. Marbolieb kramte in ihrer Gürteltasche nach einem kleinen Fläschchen, das beim Entkorken einen intensiven Duft nach Salböl verströmte, und strich einen Teil des Inhalts über die Schläfen des Zwergen. Sie legte ihre Hände auf Dwaroschs Schultern und beugte sich vor, bis ihre Stirn die seine berührte. Wie ein großer und stiller See waren ihre Augen, dunkel und ohne Grund, so dass er darin hätte ertrinken können. Stille erfüllte die Nacht und seinen Geist, und schenkte ihm den tiefen Frieden einer traumlosen Nacht. Dwarosch nahm die Stille um sich auf. Immer langsamer ging sein Atem. Er schloss die Augen und ließ die Dunkelheit, die unergründliche Schwärze ihn wie einem reißenden Strom gleich davontragen und ertrank ohne Gegenwehr in ihr. Dann, als er bereitwillig in das Nichts aufgegangen war, das SEINEM Wesen entsprach, fand Dwarosch die Worte um IHM um Beistand zu bitten. „Ewig Schweigsamer. Schenke uns durch DEINE Ruhe, die innere Stärke, dem gewachsen zu sein, was DEINEM Wesen entgegensteht, um ihm DEINER unausweichlichen Strafe zu überantworten. DEINE treue Dienerin und ich, dem DU durch ihre Hand DEINE Gnade schenktest, als meine Seele drohte, einem DEINER Widersacher anheim zu fallen, sind bereit DEINEN Willen, DEIN Werk zu verrichten, um DEINER Sache zu dienen.“ Große Ruhe breitete sich in Dwaroschs Geist aus, eine dunkle Woge, gepaart mit einer Gewissheit: was ihn auch heimsuchen würde, welchen Kampf er auch führe – hier war Ruhe und Sicherheit, ein Ort der Einkehr und stiller, dauerhafter Kraft, den kein noch so lauter Schrecken erreichen, eine Bastion, die kein Gebrüll jemals schleifen würde. Der dunkle, warme Mantel des Schlafens und Träumens. Die dunkle, dauerhafte Stille eines Grabes. Ruhe. Und Frieden.

Nächtliche Schrecken

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Geraume Weile später lösten sich die beiden. Marbolieb hatte die Augen geschlossen, ein Lächeln auf den Lippen, und kniete in sich versunken da, ihr Atem ruhig und gleichmäßig, während ihr Gesicht von innen zu leuchten schien. Selbst die Graupelze waren verstummt, und das Land schien zu träumen. Erst nach und nach setzte das Lied der Grillen und Nachtvögel wieder ein. Das Gefühl, beobachtet zu werden, war verschwunden, und übrig war nur die samtene Ruhe einer friedvollen, heimeligen Hochsommernacht. Heute Nacht, so fühlte selbst Dwarosch, würde ihnen nichts geschehen. So durch das gemeinsame Gebet in sich ruhend und voller Zuversicht verbrachte der Oberst seine Wache, machte dann und wann seine Kontrollgänge und gab acht, dass das Feuer nicht ausging. Als ihn dann spät die bleierne Schwere traf und auch der starke Tee und das Kraut aus seiner Pfeife ihn nicht mehr munter zu machen vermochten, weckte er die inzwischen schlafende Marbolieb und ihre Begleiterin. Dies erwies sich als keine einfache Aufgabe. Während Gezelin sehr rasch brummend und murrend wach wurde und sich mit einem ungnädigen „iss ja schon gut, Meister, ich geh’ ja schon.“ ans Feuer trollte, schlief die Boronpriesterin – zufrieden und selig in den Armen ihres Herrn. Erst nach heftigerem Schütteln erwachte sie schließlich, rieb sich die Augen, warf einen Blick auf ihre schlafende Tochter und machte sich dann ohne ein weiteres Wort daran, ihre Wache zu übernehmen. Ruhig verlief die Nacht, und nichts Bemerkenswertes geschah mehr, bis sich schließlich über den rahjawärtigen Gipfeln der Himmel hell verfärbte und in hellen Gelb- und Rosatönen erblühte. Die Schatten wichen zurück vor der Macht des Praiosschildes und verbargen sich in tiefen Schluchten und dunklem Tannicht: ein neuer Tag war erwacht. Antharax, welcher die letzte Wacht verrichtet hatte, weckte die anderen erst. als er das Frühstück bereitet hatte. Es gab fettige Hartwurst, salzigen Käse und große Stücke eines bereits etwas hart gewordenes Brotes, welches der Zwerg zuvor über dem Feuer erwärmt hatte. Der starke Tee, welcher dazu gereicht wurde, tat sein Übriges, dass alle wieder munter wurden, trotz der kurzen Nacht. Nachdem im Anschluss die Feuerstelle gelöscht und mit feuchtem Erdreich bedeckt war, packten alle ihre Sachen zusammen, was im Falle der beiden Angroschim bedeutete, dass sie ihre Ausrüstung mit militärischer Präzision und Ordnung in ihre Rucksäcke verstauten. Dann konnte es auch schon weitergehen. Der Tag versprach schön zu werden, auch wenn vereinzelte Wolken am Himmel langsam und träge dahinzogen, was Dwarosch hoffen ließ, dass es nicht ganz so warm werden würde. Den Tag über zogen sich die Wolken immer weiter zu, bis gegen Abend eine dicke, graue Decke das Firmament bedeckte. Die sengende Sonne war einer schwülen, brütenden Hitze gewichen – kein guter Tausch. Marbolieb rann der Schweiß in großen Tropfen durch ihr kurzgeschorenes Haar und sickerte über ihren Nacken. Unschön – und doch kein Vergleich zu den Mühen, die dieses Wetter den beiden Angroschim bereitete. „Es wird noch ein Wetter geben.“ Murrte Gezelin, im schwer verständlichen Zungenschlag dieser Berge ankündigend, dass Blitz und Donner ins Haus stehen würden in sehr absehbarer Zeit. Niedergedrückt unter der Schwüle arbeitete sich die Gruppe lustlos voran, querte die Via Ferra und war schließlich auf einem kleinen, nach Süden weisenden Trampelpfad unterwegs, immer tiefer in das Zwielicht des Waldes aus Föhren, Kiefern, Buchen, Bergahorn und dunkelblättrigen Ulmen. Bald war der Pfad zu einem Wildwechsel geworden, auf dem sich allenfalls noch ein Köhler oder Jäger (oder ein Schmuggler) zurechtgefunden hätte. Gezelin, die zuerst unbeirrt vorangeschritten war, blieb immer häufiger stehen, suchte im gleichförmigen Muster der Äste nach Wegmarken, führte einmal ein paar Schritte einen nur ihr sichtbaren Pfad entlang und dann doch wieder zurück. Übermannshohe Steine ragten aus dem dünnen Humus und erinnerten an große, schroffe Zähne, die sich drohend gen Himmel reckten. Schließlich stieg der Weg an, und unvermittelt brach der Wald auf und die Gruppe befand sich an einer Abbruchkante, die weit hinunter ins Tal und dann auf der anderen Seite auf doppelte Höhe hinauf führte. Gezelin brummte, schlug einen Weg parallel zum Hang ein und stand schließlich an einem tief eingeschnittenen Tobel, dem sie einige hundert Schritt bergan folgte. Marbolieb war es mehr als unverständlich, wie sich jemand in dieser gewaltigen Wildnis zurechtfinden konnte wie in den Gassen einer kleinen Stadt. „Hier irgendwo lag er.“ brummte sie, auf die Abbruchkante zeigend. „Irgendwo da lang.“ Desinteressiert schlenderte sie einige Dutzend Schritt, berührte die Bäume auf ihrem Weg, bog eine lange, fischende Brombeerranke zur Seite und starrte mißmutig in ein Dickicht. „Weg isser.“

Eine Leiche zuwenig

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Unschlüssig und irritiert von der sich ihm bietenden Situation blickte der Oberst zu Marbolieb hinüber, während sein Gefährte sein breites Runenschwert kurzerhand in den weichen Boden rammte und zu der Stelle ging, an der der Tore gelegen haben musste. Antharax ging in die Hocke, zog seine Lederhandschuhe aus und begann damit den Platz genauestens nach Spuren zu untersuchen. Dwarosch schüttelte den Kopf. “Das ergibt keinen Sinn. Diese Gegend ist so abgelegen, dass wohl kaum noch jemand“, die letzten beiden Wörter betont er, „aus Zufall den Toten hätte finden können und dann noch die Mittel hat, ihn zu bergen. Nein, daran glaube ich nicht. Es müssen mehrere Personen gewesen sein, die dazu noch wussten, was sie suchen, oder gar den Mann getötet haben und seine Lage daher kannten. Es muss gute Spuren geben. Der Leichnam wird entweder in irgendeiner Weise gezogen worden sein, oder er wurde getragen, was zu tieferen Abdrücken führen würde.” Dwarosch Blick glitt zu seinem Kameraden hinüber. “Hast du schon etwas gefunden, was von Interesse ist, Athax?” Der Hauptmann nickte bedächtig. Bei genauerem Hinsehen zeigten sich gebrochene Äste, große Blutflecke und ein Büschel ausgerissener, dunkelbrauner Haare, die sich in den Ranken verfangen hatten. Eine weitere Untersuchung offenbarte mehr niedergetrampeltes Gestrüpp – und auf einigen Ästen mittlerweile geronnene Blutflecke. Fünf Schritt hangaufwärts fand sich, in Kopfhöhe Athax’, der Abdruck einer blutigen Hand. Einige Bäume darauf ein weiterer. Die Spuren erzählten von einer Person, die sich, ungeachtet möglicher Kratzer, durch’s Gebüsch gearbeitet hatte. An einigen Brombeerranken fanden sich weitere Flecken und zweimal sogar noch ein abgerissener Fetzen blutigen Leinens, etwa einen Finger lang. Athax schritt den Hang hinauf und untersuchte das Unterholz, den Waldboden und die Oberfläche der Baumstämme. Als er gute zehn Schritt hinauf gegangen war, drehte er sich und gab er seinem Oberst Antwort. “Die Spuren führen vom Fundort der Leiche hier hinauf. Es gibt diverse abgebrochene Äste, ein abgerissenes Stück Kleidung, welches sich im dornigen Gestrüpp verfangen hat und sogar blutige Handabdrücke lassen sich finden, hier und dort. Er wies auf betreffende Stellen. Dwarosch gab ein undeutbares Grunzen von sich und machte sich dann ohne weitere Worte seinerseits daran, alles penibel nach Spuren zu untersuchen. Als er den Boden um den Lagerplatz langsam und aufmerksam durchwühlt hatte sah er auf. “Die Spuren, die zum Platz führen, sind schon zu alt. Ich bin kein sonderlich guter Fährtenleser, aber es sind eindeutig mehrere Personen gewesen, welche hier in den vergangenen Tagen gewesen sind.” Der Oberst sah kurz auf und nickte in Gezelins Richtung. Dann stand er auf und ging langsam den Hang hinauf. Oben angekommen bestätigte er die Aussage seines Hauptmannes. “Der vermeintlich Tote scheint den Hang hinaufgegangen sein. Wenn ihn jemand getragen hätte wären die Fußabdrücke tiefer.“ Er seufzte und blickte eindringlich zu ihrer Führerin. „Besteht die Möglichkeit das ihr euch getäuscht hab und der Mann noch nicht tot gewesen ist?“ „Näh.“ Gezelin schlug das Sonnenzeichen zur Abwehr allen Übels – was sie genau damit meinte, blieb indes ihr Geheimnis. „Der war hin. Dem sind schon die Fliegen aus den Ohren gekrochen und er hatte schon Boronsflecken. Und gestunken hat er.“ „Das geht schnell im Sommer.“ hörte Dwarosch die Stimme Marboliebs neben sich, noch ordentlich außer Atem von dem steilen Aufstieg. „Ein halber Tag, bis die ersten Maden über eine Leiche kriechen.“ Wohlweislich hielt sie ihre Stimme so leise, dass sie nicht bis zu der murrenden Gezelin trug. Die blickte mit verkniffenem Gesicht zu dem Zwergen auf. „Jedenfalls – hier lag er. Und ich hab’ jetzt auch Anderes zu tun, als hier mit euch zu die Zeit zu verbummeln. Ich geh’ jetzt!“ Der Oberst wusste nicht, wofür sie die ständig übellaunige Frau noch brauchen sollten, und ließ sie kommentarlos von dannen ziehen. Kurz sah er ihr nachdenklich hinterher, dann seufzte Dwarosch und blickte zur Geweihten hinüber. “Wir suchen also einen Untoten. Nun denn, wollen wir versuchen, den Blutspuren weiter zu folgen?” Dwaroschs Augenbrauen zogen sich zusammen, als wäre ihm etwas eingefallen. “Gerinnt das Blut nicht auch schneller bei dieser Witterung? Können diese Flecken überhaupt vom Totem stammen, wenn sich schon die Würmer und Fliegen an ihm gelabt haben?" Er schüttelte den Kopf. "Gezelin erzählte auf meine Frage hin nichts von Wunden oder gar Blut, nur dass der Tote auf dem Bauch gelegen habe. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie Blut erwähnt hätte, wäre es sichtbar unter ihm, also an der Vorderseite des Torsos, ausgetreten. Aus meinen Erfahrungen vom Schlachtfeld weiß ich, dass irgendwann nur noch wässrige Flüssigkeit aus den Wunden austritt, das Blut aber entsprechend geronnen ist. Oder ist dies bei Untoten anders? Dann müsste sein Körper aber ja sofort nach dem Tod … ”, der Oberst rang mit der Suche nach dem richtigen Wort,” ... erweckt worden sein. Das passt nicht zusammen. Das führt uns zu der Frage, wie ein Leichnam zu einem Untoten wird. Meines Wissens nach durch dunkle Zauberei, indem sie aktiv durch einen Magier der schwarzen Künste erhoben werden, oder durch das mehr oder minder direkte Wirken der Widersacherin eures Herren an bestimmten Orten oder Regionen, wie es in den dunklen Landen des Ostens bis kürzlich der Fall war. Und zu einem Ghoul wird man nur durch einen Biss dieser stinkenden Bestien. Mit was also haben wir es hier zu tun?” „Und wie kommen wir jetzt zurück?“ Marbolieb blickte der Scheidenden nach – selbst aber auch nicht wirklich unglücklich darüber, die unzufriedene Frau gehen zu sehen. „Das stellt kein größeres Problem dar“, versuchte Antharax der Geweihten die Sorge zu nehmen. „Wir haben die Via- Ferra gequert. Sie werden wir dank Praiosrund oder anderer Himmelskörper wiederfinden. Und haben wir sie erst erreicht, dann finden wir auch zurück nach Calmir, eure Gnaden.“ Dwarosch nickte und bekräftige somit die Worte seines Freundes. Die Angesprochene dankte Antharax mit einem erleichterten Nicken und wandte sich Dwarosch zu. Ihre Züge waren ernst. „Was es genau ist, wissen wir, wenn wir ihn haben. Von Ghoulen habe ich im Eisenwald noch nichts vernommen.“ Sie strich sich über ihre kurzgeschorenen Haare und überlegte. Schwül war es, doch unter dem dichten Blätterdach blieb die Temperatur gnädigerweise erträglich. „Es gibt Gerüchte über ein Hexenweib, das hier seit vielen Jahrzwölften sein Unwesen treibt. Doch die erheben üblicherweise keine Untoten. Und gleichzeitig höre und sehe ich immer wieder, dass die Bauern sich Perainelauch an die Fenster hängen und Ingerimmsfeuer brennen lassen, um das Böse abzuwehren.“ Sie schwieg, doch ihre Augen wichen nicht von dem Antlitz des Zwergen. „Gegen was genau sie sich schützen, will keiner der Dörfler mir sagen. Sie sprechen von einem ‚Schrecken in der Nacht’, der das Vieh aus den Ställen und unvorsichtige Wanderer, die nach Einbruch der Nacht noch unterwegs sind, von den Straßen holt. Es könnte vieles sein, das da unterwegs ist, ein wandelnder Leichnam – wie auch immer erhoben – oder sogar ein Vampir, doch die sind, den Göttern sei’s gedankt, selten.“ Sie schüttelte unglücklich den Kopf. „Wenn das Blut auf seiner Vorderseite austrat und versickert ist, kann Gezelin das übersehen haben – untersucht hat sie den Leichnam wohl nicht. Es kann dann durchaus noch an seinen Händen geklebt haben, als er sich aufrichtete. Doch Du hast recht – lange gelegen kann er nicht haben – allerhöchstens einen Tag.“ Der Oberst gab sich mit der Aussage Marboliebs zufrieden und nickte nur grimmig. Er wollte zügig wieder aufbrechen. „Wir sollten keine Zeit verlieren und versuchen den Spuren weiter zu folgen. Vielleicht sind uns die Götter gewogen und wir finden den Untoten.“ Antharax ging daraufhin noch einmal hinunter zu dem Platz, an dem der Tote gelegen hatte, und nahm sein Runenschwert wieder an sich. Im Anschluss half er Marbolieb den Hang hinauf und gemeinsam machte man sich wieder auf den Weg. „Wir können ihn nicht durch die Wälder laufen lassen. Das wäre eine Gefahr für alle hier.“ Auch wenn sie Zweifel hatte, dass sie es schaffen würde, dieses Ding zu überwältigen – hierfür waren die Golgariten eindeutig die bessere Wahl. „Allerdings gibt es da ein Problem, Dwarosch.“ Nicht glücklich sah die Priesterin aus, absolut nicht glücklich. „Ich weiß nicht, wie ich ihn bekämpfen kann. Diese Liturgien beherrsche ich nicht.“ Betreten sah sie zu Boden. „Marbolieb“, Dwaroschs Stimme war sanft. „Es ist deine Entscheidung, da es deine Zuständigkeit ist. Wenn du lieber umkehren willst, dann bringen wir dich zurück. Mir wäre das ohnehin lieber, da die Kleine dabei ist, daran möchte ich keinen Zweifel lassen. Ich will sie keiner unnötigen Gefahr aussetzen.“ Er legte den Kopf schief und schien abzuwägen, rümpfte leicht die Nase. „Was Vampire betrifft, so weiß ich nicht, wie man ihnen beikommen kann, aber Untoten schlägt man am besten den Kopf vom Rumpf, das hilft eigentlich recht zuverlässig.“ Der Oberst zog sein breites Kurzschwert aus der Scheide am Stiefel und wog sie in der Hand. “Diese Waffe ist geweiht und Athax Runenschwert“, er nickte in Richtung seines Kameraden, „ist von einem der legendären Zauberschmiede unseres Volkes erschaffen worden.“ Marbolieb schüttelte langsam den Kopf. „Wenn ihr mich zubrückbringt, ist es weg. Dann finden wir vielleicht erst wieder seine Spur, wenn die nächste Leiche verschwindet.“ So verlockend Dwaroschs Angebot war, so unpraktikabel war es auch. „Bei einem Vampir kommt es darauf an, welcher der Zwölfe seinen Fluch über ihn legte – doch wenn ihr es schafft, ihm das Haupt vom Rumpf zu trennen, so wird auch er sein Unleben aushauchen.“ Sie seufzte. „Geweihte Graberde, Salböl und einige andere Dinge habe ich dabei. Für einen Schutzkreis wird es reichen.“ Sie mochte das Gefühl nicht, in einer unangenehmen Situation zu stecken und zu wissen, dass es nur noch in eine Richtung – nach vorn- weiterging. Dennoch war dieses Wissen auch auf ganz eigene Art befreiend. „Sehen wir zu, dass wir ihn rasch finden. Einverstanden?“ Dwarosch seufzte schwer, nickte aber. Die Situation gefiel ihm nicht, aber Marbolieb hatte recht, dass wusste er. Antharax nickte ebenfalls, hielt seinen Gesichtsausdruck aber neutral. Etwas, in dem er sehr geübt schien. „Auf geht’s!“ Kam es dann auffordernd vom Oberst. „Ich will nicht, dass diese Beleidigung für die Schöpfung des Allvaters unnötig lange auf Dere zu wandeln vermag.“

Waldspaziergang

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Doch als so einfach erwies sich die Sache nicht – der Verursacher der Spuren hatte sich im wahrsten Sinne des Wortes durch die Büsche geschlagen, absolut unbeeindruckt von solch irrelevanten Dingen wie Dornenhecken, Dickichten und Abhängen, in einem gedankenlosen Kurs, als habe er mehr als nur etwas tief in seinen Humpen geschaut. Marbolieb war vollauf damit beschäftigt, das Pferdchen der Jägerin, sich selbst und Mirla, die zufrieden im Tragekorb saß und die Welt hoch zu Roß erkundete, durch das unwegsame Gelände zu bringen. Dwarosch ging vorweg. Er hielt seinen Lindwurmschläger in der Rechten bereit und ließ seinen Blick stetig aufmerksam die Umgebung sondieren. Zwischendurch gab er hin und wieder kurz Handzeichen zum Halten, um lauschen zu können, ob ungewöhnliche Geräusche zu vernehmen waren. Antharax sicherte nach hinten ab und sorgte gleichzeitig dafür, dass Marbolieb den Anschluss an Dwarosch nicht verlor. Wann immer die Gefahr bestand, die Sichtlinie zu verlieren, nahm der jüngere der beiden Zwerge die Hand vor den Mund und ahmte den Ruf eines Vogels nach, woraufhin der Oberst stehen blieb oder langsamer lief. Die Spur des Flüchtenden führte auf einen besseren Wildwechsel, dem sie seit über einer Meile folgte. Ein wirklich gut ausgetretener Wildwechsel. Und still war der Wald geworden – bis auf den klagenden Ruf einer einzelnen Seufzereule, die sich wohl in der Tageszeit vertan hatte. In Dwaroschs Nacken stellten sich die Härchen auf angesichts dieses sehr ungefiedert klingenden Rufs. Die Augen des Zwergen weiteten sich rasant als er begriff. Sein Kopf ruckte herum, zu der Seite, von der er die absonderlich klingende Tonfolge vernommen hatte. Die in fünfzehn Dekaden geschulten Instinkte hatten Dwarosch selten getäuscht und so reagierte sein Körper bevor sein Geist die sich ihm bietende Situation gänzlich erfassen konnte. Mit antrainierter Routine pumpte das Herz unverzögert große Mengen Blut durch die Adern und ließ seine Muskeln die Arbeit verrichten, die ihnen abverlangt wurde. Da sich noch keine unmittelbare Gefahr zeigte, überbrückte Dwarosch mit einem kurzen Sprint die Distanz zu Marbolieb und suchte gleichzeitig Blickkontakt zu dem hinter ihr laufenden Gefährten. Doch Antharax war ebenfalls bereits in Alarmbereischaft, hatte das Runenschwert fest mit beiden Händen gepackt und trabte heran. Auch ihn hatte der ungewöhnliche Ruf aufgeschreckt. „Heda, Ihr!“ Ein Ruf klang aus den Bäumen. „Halt!“ Was treibt Ihr in unserem Wald? Wir fordern von Euch Wegezoll!“ Geradezu klassisch – und lächerlich, wäre der Ruf nicht von einem Pfeil begleitet, der einen Schritt von Dwarosch entfernt auf Zwergenschädelhöhe in einen Baumstamm einschlug und dort vibrierend steckenblieb. Kurz währte die Verwunderung in den Zügen des Oberst, dann lief er rot an. Zornig entgegnete er dem Räuberpack, während er und Antharax sich schützend vor Marbolieb mit ihrem Kind aufbauten. “Ihr wollt tatsächlich zwei Soldaten des Herzogs ausrauben und schlimmer noch, ihr droht mit dem Abschuss des Pfeiles einer Geweihten des Boron? Seit ihr von allen guten Geistern verlassen oder warum frevelt ihr auf diese Weise?” Da Dwarosch nun gewollt oder nicht Zeit herausschindete, versuchte Antharax die vermeintlichen Angreifer zwischen und in den Bäumen auszumachen. Sie mussten wissen, wie viele es waren und ob sie durch ein entsprechendes Vorgehen zu überwältigen waren. Antharax war sich jedoch sicher, dass Dwarosch im Zweifelsfall bezahlen würde, um Marbolieb und vor allem Mirla nicht in noch größere Gefahr zu bringen. „Die Fragen stelle ich!“ erscholl der Ruf aus dem Baum – die Stimme eines Mannes, vermutlich eines noch jungen, doch schon kein Knabe mehr. Nur ein aufmerksamer Zuhörer hätte das Schwanken in der Stimme bemerkt, das alsbald einen eisernen Unterton, geboren aus Verzweiflung und Entschlossenheit, erhielt. „Und jetzt her mit Eurem Säckel und verzieht Euch aus unserem Wald, oder es wird Blut fließen!“ Unmissverständlich war das Geräusch, mit dem die Nock eines weiteren Pfeiles in der Sehne einrastete. Der Sprecher saß in 5 – 6 Schritt Höhe rechterhand der Reisenden. Eine Bewegung, deutlich höher, offenbarte linkerhand einen zweiten Wächter, vermutlich ebenfalls mit einem Bogen bewaffnet. Wie viele sich noch im Unterholz verbargen, blieb selbst Antharax’ geschulten Augen verborgen. Kurz lachte Dwarosch auf. „Natürlich tust du das.“ Währenddessen holte der Oberst bereits seine Geldkatze aus einer der Gürteltaschen hervor und warf sie zwei Schritt in die Richtung, aus der die Pfeile gekommen waren. Kurze Zeit darauf folgte auch die zweite Geldbörse. Antharax warf sie jedoch zu dem Baum, in dem er den anderen Räuber vermutete. Dwarosch wusste, dass Verzweiflung eine nicht zu unterschätzende, unberechenbare Gefahr barg. Er hatte in seinem langen Leben bereits viele solcher Situationen erlebt und vermochte seinen Stolz einfach hinunterzuschlucken. Ein Kampf um das wenige Gold, das begrenzte Silber und das sicher reichliche Kupfer, welches am Ende ihrer Reise übriggeblieben war, machte keinen Sinn, schon gar nicht, wenn einer seiner Gefährten dabei verletzt wurde. Außerdem wären sie damit noch lange nicht mittellos. Dwarosch war lange genug ein Söldner gewesen. Albrax hatte seine Sicht der Dinge geprägt und so kamen ihm die Worte seinen Hochkönigs in den Sinn. Ein Krieger muss wissen, wann es an der Zeit ist zu Kämpfen und wann nicht. Er darf sein Leben und das seiner Untergebenen nur dann gefährden, wenn er damit etwas von Bedeutung erringen kann, sei dies die Sicherheit von Schutzbefohlenen oder ein strategisch nachhaltiger Sieg. Marbolieb hielt das unruhige Pony am kurzen Zügel, zwischen den Schützen und dem Tragekorb auf dem Rücken des Tieres stehend. Sie biss sich in die Unterlippe, diese Situation war ihr gar nicht geheuer. Der Schütze in den Bäumen lachte, hart und ohne Freude. „So ist’s recht! Und nun verschwindet! Wenn wir euch nochmals hier sehen, dann war’s das für euch!“ Marbolieb schluckte, wandte sich zu dem Sprecher um und trat einen Schritt nach vorne. „In diesem Wald ist ein Untoter unterwegs. Wir müssen ihn aufhalten.“ Ein Augenblick lang herrschte Schweigen, dann hörte Dwarosch ein Geräusch wie ein Schnauben. „Und meine Mutter ist die Kaiserin! Packt euch! Jetzt!“ Die Wangenknochen Dwaroschs mahlten. Langsam wurde er doch ungehalten über dieses räuberische Pack. Mit einem leicht grollenden Unterton richtete er noch einmal das Wort an die Wegelagerer. „Ihre Gnaden hat recht. Es läuft ein Untoter hier herum. Ihn suchen wir, um ihn zur Strecke zu bringen. Aber keine Sorge, wir werden nun einfach weiter seiner Fährte folgen und auf dem Rückweg einen großen Bogen um diesen Teil des Waldes machen.“ Er sah zu seinen Gefährten und nickte in besagte Richtung, nur um dann langsam und ohne Hast den Weg fortzusetzen. Er wollte doch schließlich niemanden provozieren. Der Wald blieb stumm, und keine Worte oder Pfeile hielten die Gruppe auf, die sich langsam weiterbewegte. Nach einigen hundert Schritt fiel die Anspannung von Dwarosch ab und er verringerte sein Tempo. Er ließ sich auf Höhe des Ponys, an dessen Seite Marbolieb schritt, zurückfallen und gab Antharax Anweisung, an die Spitze zu gehen und wachsam zu sein. „Ich wusste nicht, dass es in Rabenstein Wegelagerer gibt“, richtete er das Wort etwas angesäuert an die Geweihte. „Müssen wir mit weiterem solchem Gesindel rechnen? Ich dachte der Baron sei für seine harte Hand bekannt, sowas hatte ich nicht erwartet!“ Marbolieb blickte Dwarosch an. „Ich wußte es auch nicht.“ Nachdenklich streichelte sie durch die Mähne des Ponys. „Die Grenze nach Almada liegt nicht ganz zwanzig Meilen gen Praios, irgendwo dort in den Bergen. Das Räubervolk kann von überallher kommen.“ Ein paar Schritte lang schwieg sie, dann schaute sie ihrem Begleiter in die Augen. „Ich werde einen Boten zur Burg schicken.“ Dwarosch nickte mit grimmiger Miene, beließ es aber dabei. Es machten keinen Sinn sich in diesem Moment darüber Gedanken zu machen. Nun galt es die Fährte des Untoten weiter zu verfolgen. * Dichter war hier das Unterholz, genährt vom Licht, das einige schon vor Götterläufen geschlagene Bäume bis zum Boden durchdringen ließen. Doch zunehmend schwieriger ließ es sich der Fährte folgen – die Spuren einiger Menschen, vermutlich jene der eben passierten Halsabschneider, kreuzten sie. Bald stieg der Weg wieder an und durch die dünne Schicht Waldboden brachen vermehrt die Knochen der Berge, grau und abweisend, ein harter, trutziger Granit. Unter dem Blätterdach der Nadelbäume war es stickig heiß, so dass die Gruppe jeden kleinen Bach, der ihren Weg kreuzte, dankbar nutzte. Zerklüfteter wurde das Gestein, manche der Felsnadeln erhoben sich schon über die Kronen der Bäume, und ganze Matten lagen im Sonnenlicht. Die Spur, einen halben Tag alt vielleicht, verschwand auf der anderen Seite der Bergwiese wieder im Wald, seltsam zielstrebigt, als habe ihr Besitzer ein ganzen ganz bestimmten Ort angesteuert. Jäh eröffnete sich vor ihnen eine schmale, ansteigende Klamm, deren Seitenwände bis zu fünf Schritt aufragten. Die Spur des Flüchtigen hielt genau darauf zu.

Antharax blieb stehen und sah sich aufmerksam um. Kurze Zeit darauf trat Dwarosch an seine Seite. Gemeinsam spähten sie voraus und beobachteten dabei speziell die an den Seiten der Klamm aufragenden Felsen. „Weißt du wohin dieser Weg führt, Marbolieb?“ Fragte der Oberst mit leiser Stimme. „Gibt es eine Möglichkeit, die Klamm zu umgehen? Ich möchte ungern so auf dem Servierteller spazieren, besonders nicht nach den Geschehnissen von vorhin.“ Antharax rümpfte die Nase und nickte. Auch ihm gefiel dieser Weg nicht. Die Borongeweihte schüttelt den Kopf und betrachtete gleichfalls sorgenvoll die bedrohlich aufragenden Wände der Klamm und den steinigen Weg hinauf, welcher nicht eben, sondern mit teilweise hohen Stufen im Fels versehen war. Für das Pony war der Weg hier zu Ende. Sogar für ihre Augen zeichneten sich hier Schlitterspuren in der Erde ab, welche Wasser auf die terrassenartigen Stufen gespült haben musste. Und auch der eine oder andere abgebrochene Zweig von kleineren, verkrüppelten anmutenden Pflanzen, die sich in den Felswänden zu krallen schienen, waren auszumachen. „Ich war hier noch nie, Dwarosch.“ Nicht lauter als die seine war ihre Stimme. „Ich war noch nie in diesen Wäldern.“ Dwarosch grunzte bei dieser Eröffnung, auch wenn er sie erwartet hatte. Seine Wangenknochen arbeiteten, als er die Möglichkeiten durchging und sorgsam abwägte. Dann schüttelte er den Kopf und nahm den Rucksack ab. Er kniete sich hin und packte Seil, Kletterhaken und eine Hacke aus, welche beim Klettern in die Felswand getrieben wurde. „Antharax, du nimmst die linke Seite. Ich klettere die rechte hoch. Wir verschaffen uns eine Übersicht. Ich will wissen, wie lang diese Klamm ist, wie es da oben aussieht, bevor wir entscheiden, ob wir den Weg durch sie hindurch nehmen.“ Er blickte zu Marbolieb. „Ihr bleibt hier unten am Waldrand, wir halten Blickkontakt. Schlag sofort Alarm, wenn dir etwas Ungewöhnliches auffällt, oder du den Untoten siehst. Zögere nicht.“ Gesagt, getan. Kurze Zeit darauf stiegen die beiden Angroschim am Eingang der Klamm die Felswände zu beiden Seiten hinauf. Der Aufstieg war beschwerlich – mehrere Schritt fast lotrechter Fels, in dem nur einige Felszähne und kleine Brüche Halt für Stiefel und Hände boten. Etwa ein halbes Dutzend Schritte ging es nach oben, und offenbarte, dass sich die Klamm wohl noch fünfzig Schritt bergan erstrecken würde. Bergab endete sie in einem Felsrutsch, der eine Stufe weiter nach unten bildete und an dessen Fuß ein großes Trümmerfeld eines wohl schon vor Jahren abgegangenen Bergsturzes lag. Die aktuelle Stellung der beiden Angroschim war noch von Bäumen bedeckt, auch wenn es sich um windgeduckte Föhren und Tannen handelte, die sich zäh gegen Firuns Hauch stemmten. Als Antharax und Dwarosch wieder abgestiegen waren, kniete sich der Jüngere sofort hin und packte die Ausrüstung wieder in die Rucksäcke. Der Oberst hingegen trat zu Marbolieb und erklärte er was sie von oben aus gesehen hatten. Im Anschluss wog er den Kopf hin und her und schien auch jetzt noch unschlüssig was weiter zu tun sei. „Wir müssten das Pony zurücklassen, wenn wir hier weitergehen wollen. Am Ende der Klamm müssten wir uns anseilen und somit gegenseitig Halt geben beim Abstieg über den Geröllhang. Wir wären in dieser Situation exponiert und leicht angreifbar. Ich glaube zwar nicht, dass es uns einen Hinterhalt legt, aber wohl ist mir dennoch nicht dabei.“ Er sah Marbolieb tief in die Augen und sie erkannte seine Sorge. „Sollen wir Phexens Gunst weiter so herausfordern?“ Der Blick der jungen Boroni war gefasst und strahlte eine tiefe, beinahe unnatürliche Ruhe aus. Andererseits kannte Dwarosch sie inzwischen gut genug, um zu wissen, dass diese Ruhe wenig anderes war als die einfache und bedingungslose Annahme der Dinge, wie sie waren. „Wenn wir jetzt umkehren, kann er für lange Zeit Unheil stiften. Ob wir ihn wiederfinden, ist fraglich. Die Wälder sind tief und einsam.“ Sie hielt ihne und legte dem Oberst ihre Hände auf die Schultern. „Ich danke dir für deine Fürsorge.“ Ihr Blick indes erzählte, was in diesen Worten ungesagt blieb. Dass ihr keinesfalls wohl dabei war, diesen Weg zu gehen. Und dass sie diesen dennoch als den richtigen ansah. Auch diese Antwort hatte Dwarosch erwartet. Er nickte stumm und schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete war in ihnen die Entschlossenheit zu erahnen, die ihm stets zu eigen war. Kurze Zeit später zogen die Gefährten hintereinander in die Klamm. Dwarosch ging voran, den wuchtigen Lindwurmschlägel in der rechten Hand. Hinter ihm folgte der Hauptmann. Den langen Zweihänder, welcher für einen etwaigen Kampf auf ihrem Weg zu sperrig war, hatte er sich auf den Rücken geschnallt. Stattdessen trug er ein kurzes, am Ende abgewinkeltes Schwert, welches zuvor im Rucksack nur zu erahnen gewesen war. Am Ende der kleinen Gruppe schließlich ging die Geweihte mit ihrem Kind im Tragetuch vor der Brust. Ihr Weg durch die Klamm indes verlief nahezu ereignislos. Nur einmal ruckte Dwarosch zur Felswand zu seiner linken und war augenblicklich in Abwehrhaltung, doch es war nur ein Eichhörnchen, welches durch das sich in das Gestein krallende Buschwerk sprang. Dann öffnete sie sich ihr Weg und sie erreichten das Ende der Klamm. Vor ihnen erstreckte sich nun der abfallende Geröllhang. Antharax löste ein langes Seil von seinem Rücken und verband sie ancheinander miteinander. Sorgsam prüfte er Schlaufen und Knoten, dann nickte er seinem Oberst zu und dieser tat den ersten Schritt. Locker geschichtet war die oberste Lage der Steine, und unter den Füßen des Oberst löste sich ein kopfgroßer Brocken und stürzte polternd und krachend talabwärts. Rötlich-Braune Schleifspuren auf einigen Steinen erzählen von jemand, der vor ihnen diesen Weg talabwärts geschlittert war. Mehrere Schritt abwärts führte die Spur. Die Sonne buk auf den Steinen und still war der Wald in der Sommerhitze. Selbst das allgegenwärtige Surren der Bienen war in der unbarmherzigen Hitze auf dem Geröllfeld verstummt. Vor Dwaroschs Füßen lag der halb verweste Kadaver eines kleinen Vogels mit schwarzen Federn, und als der Oberst seinen Schritt setzte, flog eine Wolke aus schwarzgrün schillernden Fliegen mit ärgerlichem Brummen auf. Aber auch dieses Stück des Weges überstanden sie unbehelligt. Jedoch war der unbeschadete Abstieg nicht selbstverständlich und am Ende einzig ein Verdienst der Seilschaft. Der Oberst rutschte nämlich kurz vor dem sicheren Erreichen des Waldbodens jenseits des Geröllhanges weg. Geistesgegenwärtig rammte Antharax daraufhin seine Fersen in den Hang und lehnte sich weit zurück, um Dwarosch, welcher bereits nach kräftigen Rudern mit den Armen der Länge nach hingefallen war, zu bremsen. Marbolieb blieb nichts anderes übrig, als es ihm gleichzutun. Als der Hauptmann und die Geweihte dann selbst ein Stück auf ihren Hosenböden abwärts geschlittert waren, kamen sie wieder zum Halten. Schließlich unten angekommen lächelte der Oberst schmal und bedankte sich bei seinen Gefährten. Ihm war klar, dass eine ungebremste Rutschpartie zu Prellungen oder gar Knochenbrüchen hätte führen können, was in der abgelegenen Wildnis zu unliebsamen Konsequenzen führen konnte.

Verborgene Schrecken

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Ungefähr auf der Hälfte der Geröllstrecke ragte eine Nase aus gewachsenem Fels aus dem Schutt, auf die sich die Spur zielsicher zubewegte. An der Seite des Felsens prangte, selbst für die Geweihte zu erkennen, ein rostbrauner Handabdruck. Darunter, schwer zu sehen und auf dem losen Geröll nur unter größten Schwierigkeiten zu erreichen, klaffte, kaum zweieinhalb Spann hoch, der Eingang zu einer Höhle. Rutschspuren zeigten, dass sich vor kurzem ein großer Körper dort hineingearbeitet haben musste. Nur mit Handzeichen verständigten sich der Oberst und sein Hauptmann, als sie des vermeintlichen Höhleneingangs ansichtig wurden. Die beiden Angroschim mussten darin eine gewisse Erfahrung besitzen, denn es ging recht routiniert und zügig von statten, dann wussten anscheinend beide. was sie vom jeweils anderen erwarteten. Dwarosch kletterte noch einmal ein Stück zurück nach oben und band das eine Ende des Seiles an der Felsnase fest. Danach hangelte er sich daran zu Antharax und Marbolieb zurück und sicherte sich erneut ab. Während der Hauptmann, welcher mittlerweile sein Schwert in der Hand hielt, das kleine Loch im Geröllhang im Auge behielt, nahm der Oberst seinen Rucksack ab und holte den kleinen Kletterpickel erneut daraus hervor, ebenso wie eine Fackel und eine Zunderdose. Er kniete sich auf den Hang, entzündete das Pech der Fackel und reichte sie an Antharax weiter. Dwarosch selbst begann infolge mit dem Pickel den Eingang der Höhle freizuräumen. Unmengen an losen Steinen rutschten den Hang hinunter und leider auch von oben nach, doch langsam wurde das Loch tatsächlich größer. Als der Oberst einen kurzen Blick nach hinten tat, warf Antharax die Fackel in den Eingang der Höhle. Erst dann, als sie einige Schritt weit hineinsehen konnte, setzte Dwarosch seine Arbeit fort. Der Gang in der Höhle war bestenfalls zwei Spann hoch und schien sich in den gewachsenen Fels zu erstrecken – auch das Abtragen des Gerölls brachte den Angroschim nicht den gewünschten Einblick, wärend die Fackel in einer Schliere aus dunkler Flüssigkeit landete und zu qualmen begann. An ihrer Oberfläche tanzten blauen Flämmchen, und dichter, schwarzer Rauch quoll aus der Höhlenöffnung. „Ich kann dafür sorgen, dass da nichts hervorkriecht.“ Marbolieb beugte sich vor und betrachtete den Fortgang von Dwarosch’s Bemühungen. Sie löste einen der Beutel an ihrem Gürtel und schüttete sich eine Handvoll schwarzer Erde in die Hand, bevor sie sich vorsichtig zu dem Zwergen vorarbeitete. Der Oberst nickte stumm, gab aber Zeichen mit der Hand noch zu warten und intensivierte seine Arbeit noch einmal. Er schien über den entstehenden Rauch gar nicht erfreut zu sein. Dann, als der Eingang wenige Augenblicke später frei lag und somit die Fackel zugängig war, machte er einen schnellen Schritt nach vorn, warf sich bäuchlings hin und holte das Holz mit dem brennenden Pech wieder daraus hervor. Sofort drehte er sich danach auf den Rücken und damit weg von der Öffnung, so dass Antharax einen beherzten Schritt darauf zu machen konnte, um Marbolieb Deckung zu geben. Nun war die Geweihte an der Reihe ihr Werk zu verrichten. Die ölige Flüssigkeit, die an der Fackel klebte, erwies sich als üble Gemengelage aus geronnenem Blut, Fett, Schleim und Schmutz – und sie stank zum Himmel. Marbolieb kniete sich vor den Eingang und begann, mit der Graberde einen Bannkeis im Höhleneingang zu legen. Ihre Lippen bewegten sich mit einem stillen Gebet und ihr Blick war voller Konzentration auf ihre Hand und die langsam rieselnde, schwarze Erde geheftet. Aus den Augenwinkeln sah sie den Schatten einer Bewegung im Höhleninneren. Bevor sie jedoch ihr Ritual vollendet – oder auch nur Zeit zu Blinzeln – hatte, schnellte eine gelblichweiße, schmutzbedeckte Hand hervor, griff ihr Handgelenk und zog sie mit einem gewaltigen Ruck von den Beinen und mit einem Arm in den Höhleneingang. Mirla, aus ihrem Schlummer gerissen und unsanft auf den harten Boden geworfen, brüllte auf. Antharax schrie seine Warnung noch hervor, doch das aus Schrecken geborene „Vorsicht“, kam zu spät. Der drahtige Hauptmann handelte infolge aber doch schnell anstatt zu erstarren. Er warf sich seitlich zu Marbolieb, da er sie und vor allem das Kind mit seinem kompaktem Gewicht nicht zerquetschen wollte und streckte den Waffenarm vor in die Höhle, trachtete danach die greifende Hand mit dem Schwert abzuschlagen. Der Oberst, welcher der Geweihten gebannt bei der Verrichtung ihrer Arbeit zugesehen hatte ließ sich fluchend und mit vor Angst um Marbolieb aufgerissenen Augen auf die Knie fallen und streckte sich vor, griff ihre Fußfesseln und versuchte, sie wieder auf der Höhle herauszuziehen. Antharax’ Mühen wurden durch den winzigen Durchmesser der Höhle, gerade genug, dass ein Mensch – oder Zwerg – indurchkriechen konnte, übel eingeschränkt. Es war einfach kein Platz, um ein Schwert zu schwingen, doch sein wüstes Stochern traf auf einen widerlich nachgiebigen Körper, in den es tief eindrang. Der schraubstockartige Griff um das Handgelenk der Boroni lockerte sich jedoch nicht, als Dwarosch entschieden die Frau in die andere Richtung, ans Licht und in die Sonne, zu ziehen trachtete. Marbolieb schrie auf und erstarrte unter Dwaroschs Händen, und fingerweise schaffte der Angroscho es, das Tauziehen in seine Richtung zu lenken. Es half alles nichts, Zurückhaltung würde die Situation nicht klären, Marbolieb und der kleinen Mirla nicht helfen. Es musste sein, auch wenn er sich um die Knochen der zarten Geweihten sorgte, selbst in diesem Moment, wo es um Leben und Tod ging. Dwarosch riss seine Beine nach vorn, rammte die schweren Stiefel in den Schotterboden und spannte seine Muskeln an. Mit einem wuterfüllten Schrei drückte er die Beine durch und warf seinen Oberkörper gleichzeitig mit aller ihm innewohnenden Kraft nach hinten. Mit einem gewaltigen Ruck riss der stämmige Zwerg Marbolieb und mit ihr DAS VIEH an ihren Handgelenken ins Freie, unter die strafenden, gleißende Sonnenstrahlen versprühenden Augen des Götterfürsten. Sofort war Antharax zur Stelle, welchem die Bemühungen Dwaroschs nicht entgangen waren. Diesmal lag sein Ziel nicht verdeckt, sondern klar vor ihm. Und wenn er zu dem entsprechenden Zeitpunkt auch noch seitlich zur Höhlenöffnung kniete und nicht stand, so fuhr seine runenverzierte Klinge dennoch treffsicher auf die geisterhaft anmutenden Arme der unheiligen Kreatur hernieder. Das Ding, das einmal ein Mensch gewesen war, gab ein heulendes, pfeifendes Geräusch von sich, als die Klinge des Angroscho seine Handgelenke durchtrennte, und glitt wie eine Made in ihren Bau in die Höhle zurück, schneller, als die Zwerge es der verderbten Kreatur zugetraut hätten. Von innen drang aufgebrachtes, mehrkehliges Grunzen. Die abgetrennten Hände des Dings bewegten sich wie bleiche, garstige Asseln, und begannen, sich mit viel Mühen zu drehen und wie vielgliedrige Monstrositäten über den Boden zu kriechen. Marbolieb beugte sich über ihr Kind und sah zu Dwarosch auf. „Nimm sie.“ Die Tränen, die über ihr Gesicht strömten und sich mit dem Blut auf ihrem Handgelenk, das das Monster ergriffen hatte, mischten, schien sie nicht zu bemerken. Vollkommen ruhig war ihre Stimme – unnatürlich ruhig. „Jetzt.“ Dwarosch tat wie ihm geheißen, ganz wie selbstverständlich. Marbolieb wusste was zu tun war, darauf vertraute er. So barg der Oberst das kleine, schreiende Menschenkind, welches ebenfalls Abschürfungen erlitten haben musste, in seinen breiten Armen, innerlich erleichtert, dass Mirla lebte. Der Hauptmann indes stand bereits wieder, breitbeinig, nur zwei Schritt vor dem Loch, in dem das untote Ding wieder verschwunden war. Er trat auf die belebten Hände und spießte sie nacheinander auf, um dann das Schwert im Boden stecken zu lassen und den Runenzweihänder vom Rücken zu nehmen. Er würde die Geweihte schützen bei ihrem Werk. Marbolieb blieb, wo sie war – auf den Knien – und beugte sich über ihren rechten Arm. Ganz so wie vorher war ihr Handgelenk nicht mehr geformt, und es wies tiefe Bisspuren auf, aus denen auch nach einigen Augenblicken noch stetig Blut quoll. Sie schloss die Augen und atmete einige Mal tief ein, bis das Zittern, das noch immer ihren Körper schüttelte, nachliess. Es wäre doch weiser gewesen, die Golgariten zu schicken – doch bis diese aus Eisenbrück angereist kämen, wäre die Spur hoffnungslos erkaltet gewesen. ‚Herr Boron, sieh, die Kreatur Deiner Widersacherin hat mir eine Wunde geschlagen. Heile diesen Leib, auf dass er Dir besser diene.’ Sie fühlte, wie Kälte ihre Adern durchströme, ein tiefes Gefühl der Gleichgültigkeit. Es war nicht wichtig, was mit ihrem Körper geschah. Nichts als Staub und Asche war es, aus dem Irdisches bestand. Ruhe und Frieden, die großen Ziele eines jeden Lebens, lagen außerhalb davon. Die Kälte umschloss ihre Schmerzen, gefror sie, bis sie zu nichts zerbarsten, und legte eine dicke Schicht aus Eis um ihre Sinne, auf dass nichts sie berühre und verletze. Tief atmete sie ein. Hatte sie die Luft angehalten? Wie lange? Sie hob ihre Rechte – glatt und hell und unversehrt die Haut. Gut – so sollte es sein. Für die Angroscho waren nur einige Minuten verronnen, bis die Priesterin sich mühsam erhob, abermals nun die Reste der geweihten Graberde hervorholte und – diesesmal ohne Zwischenfälle – einen Bannkreis um den Höhleneingang legte. Sie blickte suchend zu dem Oberst. Dunkel und tief waren ihre Augen und spiegelten nicht das helle, nachmittägliche Sonnenlicht. „Sie werden vorerst nicht herauskommen.“ Ebenso ruhig und ungerührt fuhr sie fort. „Und nun?“ „Wir steigen den Hang weiter ab“, kam die energische Antwort. Während Dwarosch Marbolieb das Kind reichte, welches mittlerweile wohl aus purer Erschöpfung Ruhe gegeben hatte und eingeschlafen war, fuhr er fort. „Unten schlagen wir ein Lager auf und Antharax und ich kümmern uns um eure Verletzungen.“ Sein Tonfall war befehlsgewohnt und die Geweihte wusste, dass Dwarosch in diesem Falle keine Wiederrede akzeptieren würde. Antharax indes verrichtete wieder stumm seine Arbeit und befestigte das Seil wieder so, dass alle zur Sicherheit miteinander verbunden waren. Kurze Zeit später und ohne weitere Zwischenfälle erreichte die kleine Gruppe eine Ebene, welche nach einem kurzen Übergang in dichten Nadelwald überging. Sie gingen noch ein Stück weg vom Geröll, bis Dwarosch den Rucksack abnahm und Zeichen zur Rast gab. Der Oberst breitete seine Decke aus, nahm Marboliebs Hand und half ihr sich hinzulegen. Seine bestimmte Art verhinderte, dass sie sich gegen die Behandlung auflehnte. Während Antharax eine Runde um das Lager drehte und dabei auch den nahen Waldrand abschritt, um sicher zu gehen, dass sie alleine waren und natürlich auch, um sich mit dem Gelände vertraut zu machen, kniete sich Dwarosch vor Marbolieb. Er holte ein kleines eisenbeschlagenes Holzkästchen hervor und öffnete es. Innen war es mit Samt verkleidet und in ihm lagen wiederum in dicke Tuche verpackt einige Phiolen, mehrere kleine Döschen und einige getrocknete Blätter. „Hiervon muss ein Finger voll unter deine Zunge. Es ist grauer Mohn, aber keine Angst, es ist nicht stark dosiert.“ Er reichte ihr ein entkorktes Fläschchen. „Das wird den Schmerz lindern. Ich muss deine Hand richten und dann verbinden, zur Sicherheit. Dein Heilsegen hat wahrscheinlich nur die Haut geheilt. Wir können nicht riskieren, dass deine Hand an Beweglichkeit einbüßt. Erst dann wirst du ein Extrakt aus Wirselkraut bekommen. Für Mirla habe ich hier ein Tiegelchen Heilsalbe. Es wird die Schürfwunden schneller und verheilen lassen und es sorgt dafür, dass keine Enzündung entsteht.“ Dwarosch reichte ihr den kleinen Behälter. Dann hob er kurz den Kopf, suchte seinen Hauptmann und die beiden Zwerge tauschten Blicke und Handzeichen aus. „Antharax wird ein Feuer machen. Wir machen Wasser heiß und reinigen alles. Und jetzt sag mir, ob du vergiftet wurdest? War es ein Ghul?“ Marbolieb schwieg einige Atemzüge lang nachdenklich und schüttelte dann den Kopf. Ghule waren andere Dinge als dieser – flinke, oh so flinke – Untote. Sie legte das schlafende Kind neben sich und widerstand der Versuchung, die Augen zu schließen und einfach einzuschlafen – so leicht. So einfach. Nachdenklich betrachtete sie das kleine Fläschchen Mohn,als müsse sie über den Inhalt nachdenken, und setzte es dann gehorsam mit ihrer Rechten an die Lippen. Was machte es schon, dass die Knochen aneinanderrieben? Auch das war nur ein Geräusch. Sie nahm einen guten Schluck. Dwarosch nahm erleichtert zur Kenntnis, dass sie sich fügte. „Was ist dies für ein unheiliger, vielleicht gar verfluchter Ort?“ Sein Blick schweifte kurz den Geröllhang hoch, wo in der Ferne der Eingang der Höhle unter der Felsnase mehr zu erahnen als zu sehen war. „Warum wusste diese untote Kreatur, wo diese Höhle ist, als wenn jemand sie hierher geleitet, gerufen hätte und seit wann sammeln sich diese Horden in unserer Heimat? Ich hatte gehofft, derlei Anhäufungen von stinkenden Kadavern nach der Trollpforte nie wieder sehen zu müssen.“ War Dwarosch zu Beginn seiner Fragen noch ruhig gewesen, ergriff ihn ein tief sitzender Groll, als er zum Ende kam. Die Priesterin betrachtete ihn mit sehr ruhigen Augen, ein undeutbares Lächeln auf den Lippen. „Wir werden es herausfinden.“ flüsterte sie, sich dieser Sache überaus sicher. Müde. „Doch dafür müssen wir wissen, was alles darin steckt.“ Inzwischen spürte sie ihre Hände und auch Beine nicht mehr. Eine gute Sache. Ihre Lider flatterten und schlossen sich schließlich, doch das Lächeln auf ihren Lippen verharrte. Die beiden Zwergen warteten noch geduldig, bis das Feuer brannte und Wasser abgekocht war, dann wuschen sie gemeinsam die Körperstelle der Geweihten, die vormals eine Verwundung aufgewiesen hatte. Im Anschluss wurde das Handgelenk in korrekter Position fixiert und steif mit einer sauberen Binde verbunden. Hierzu waren mehr als zwei grobe Hände von Nöten. Dwarosch nutzte die Chance, seinem Freund ausführlich über Anatomie und die Richtung von Brüchen zu berichten. Danach bekam Marbolieb den Extrakt zur Heilung behutsam eingeflößt. Die Geweihte würde ganz sicher viele Stunden schlafen, nicht nur wegen dem Rauschmittel, sondern auch wegen den vergangenen Anstrengungen der Reise. Auch die Abschürfungen Mirlas tupfte Dwarosch behutsam sauber. Er strich ihr Gesicht und die kleinen Ärmchen und Hände wiederholt mit der Heilsalbe ein, wiegte sie dann als sie aufgewacht war am Feuer sitzend, bis sie nach einer schieren Unendlichkeit wieder schlief und er sie wieder wie ein rohes Ei an Marboliebs Seite legen konnte.

So wechselten die gedämpft wirkenden Farben der bereits angebrochenen Dämmerung in die Dunkelheit der Nacht, einzig erhellt durch das Feuer ihres Lagers. Wind war aufgekommen und Wolken verdeckten das Madamal fast vollständig, doch noch fiel kein Regen. Antharax und Dwarosch wechselten sich ab mit der Wache, legten Feuerholz nach und machten kleinere Runden um das Lager. Doch in dieser Nacht blieb alles ruhig. Nichts und niemand zeigte sich. Einzig der Schrei einer Eule und das Rufen der fernen Wölfe war vereinzelt zu vernehmen.

Im Morgengrauen fing Mirla an zu schreien, vermutlich hatte sie Hunger. Marbolieb schlug ihre Augen auf, immer noch benommen, mit leicht tauben Gliedern, doch mit einer gesunden Farbe im Gesicht. Dwarosch lächelte sie an. Er saß am niedrig brennenden Feuer gegen seinen aufgestellten Rucksack gelehnt, welcher mit zwei in den Boden getriebenen Ästen gehalten wurde und schnitzte etwas mit seinem Drachenzahn. Neben ihm schlief Antharax tief und fest, er schnarchte das man es mit der Angst zu tun kriegen könnte, einem Bären kurre der Magen. „Schön, dass du aus dem Reich deines Herren zurückgekehrt bist, Marbolieb. Guten Morgen!“ Die Geweihte blinzelte, griff nach dem schreienden Kind und sorgte dafür, dass das Greinen schnell verstummte. „Dir einen guten Morgen, Dwarosch. War die Nacht ruhig?“

“Ich habe nachgedacht über die Situation und unsere Optionen. Ich möchte deine Meinung zu meiner Idee hören.“ Dwarosch dachte kurz nach, wie er beginnen sollte. „Wir bauen eine Abdeckung aus massivem Holz, nicht einfach, sondern mehrlagig. Damit dichten wir den Höhleneingang ab. Wir bauen Fallen und fangen ein, zwei kleine Tiere, Hasen, Marder, Wiesel oder ähnliches mit entsprechenden Ködern. Ich bin kein Experte in sowas, aber das kriegen wir sicher hin. Von Mechanik verstehen wir etwas und mit Holz können wir auch umgehen, Seil haben wir ausreichend. Wir sammeln Holz, machen ein schönes Feuer und fertigen Holzkohle, das kann jeder Angroscho. Ich habe heute Nacht schon damit angefangen.“ Er wies auf einen kleinen Haufen dampfender Stücke nahe der Glut. „Dann binden wir trockenes Gras um die Holzkohle und die wiederum um die Köpfe der Pechfackeln, befestigen sie an einem Seil und damit an dem gefangenem Getier, zünden das Pech an und treiben die Tiere bei Tage in die Höhle.” Er machte eine kleine Pause, um seine Worte sacken zu lassen. „Die meisten untoten Kreaturen brennen wie Zunder, oder täuscht mich meine Erfahrung in dieser Hinsicht?“ Er zuckte mit den Schultern. “Ich weiß nicht ob es funktionieren wird, aber ich würde es gerne versuchen. Ich denke die Zeit, vielleicht drei Tage, sollten wir uns nehmen.” Wieder machte er eine Pause. „Wenn wir aber Hilfe suchen werden wir in definierten Abständen Zeichen in die Baumrinden ritzen, damit wir wieder hierher finden werden. Ich werde dabei sein, wenn die Golgariten sich dieser Sache annehmen. Antharax wird nach Senalosch reisen und mich derweil vertreten.“ Er nickte seinem Hauptmann zu und Marbolieb sah den Stolz in dessen Augen. „Also euer Gnaden, was ist eure Entscheidung?“ Marbolieb schwieg und strich sich über ihre kurzen, nur stoppellangen Haare. „Mumien und teilweise Skelette sind anfällig gegen Feuer. Ein belebter Leichnam nicht.“ Sie überlegte. „Wir wissen nicht, was in der Höhle ist. Setzen wir sie unter Feuer, werden wir es nie erfahren.“ Und dies könnte sehr nachteilig sein – sie wollte wissen, was in diesen Wäldern sein Unwesen trieb. „Dann sind alle Hinweise auf einen Verursacher ebenfalls verbrannt.“ Sie sah in Dwaroschs Augen, als wolle sie dort eine Antwort finden. „Wir könnten sie ausräuchern. Mit geweihter Asche. Dann werden sie die Höhle vermutlich verlassen.“ Der Oberst rümpfte die Nase nachdem die Dienerin Borons geendet hatte. “Ich wollte sie eigentlich in ihrer Höhle verbrennen lassen, den Eingang verbarrikadieren. Sie herauszulocken würde bedeuten, sich dem Kampf mit einer ungewissen Anzahl, möglicherweise einer mehrfachen Überzahl an Gegnern auszusetzen. Dem kann ich nicht zustimmen. Das wäre ein Alveranskommando, ein Spiel mit dem eigenem Leben.” Er schüttelte energisch den Kopf. “Nein, dann bleiben uns nur noch die Ritter vom Orden des heiligen Golgari”, beschied er und blickte erst zu Marbolieb, dann zu Antharax. Marbolieb legte ihre Hand auf die Pranke des Zwergen. „Eine wandelnde Brandleiche nutzt uns nichts, Dwarosch. Ich möchte wissen, warum sie hier sind – und wer sie gerufen hat.“ Sie senkte den Kopf. „Und wenn uns die Untersuchung der Höhle dabei hilft, bin ich glücklich.“ Stumm nickte Dwarosch, sie hatte recht, das wusste er. „Dann ist es beschlossen. Wir rufen die Golgariten hinzu, um der Sache auf den Grund zu gehen. Den Eingang würde ich aber dennoch gerne mit einer Holzplatte versiegelt und mit einem Steinrutsch gesichert sehen. Wie stehst du dazu?“

„Tu dies. Ich werde die Holzplatte mit Salböl versiegeln – das wird sie zusätzlich aufhalten.“ Alles, was diese Widerwärtigen davon abhalten würde, durch die Wälder zu streunen. Die beiden Angroschim nickten sich zu und gingen motiviert an die Arbeit. Zunächst lösten sie die kurzen Holzfälleräxte von ihren Rucksäcken und suchten am Waldrand nach passenden, jungen Bäumen. Mit zwergischem Eifer und ebensolcher Sorgfalt, fällten sie mehrere junge Tannen und entästeten sie. Danach legten sie die gleichlangen Enden aneinander und eine zweite Lage im rechten Winkel zur ersten darauf. Dies wiederholten sie bis vier Lagen übereinander gefügt waren, vernagelten diese miteinander und vertäuten sie zum Schluss obendrein miteinander. Wozu eine Pioniersausrüstung auf Reisen doch alles zu gebrauchen war. Mit dem fertigen Werk kamen sie schließlich zu Marbolieb zurück ins Lager und legten es neben das Feuer. Während Dwarosch sich seufzend auf seinen Allerwertesten fallen ließ und begann seine Pfeife zu säubern, richtete Antharax das Wort an die Geweihte. „Kann ich euch noch irgendwo bei behilflich sein?“ Die Geweihte betrachtete das Tor mit einem undeutbaren Blick – und dennoch zuckte ein Lächeln um ihre Lippen. „Es wird ausreichen.“ erklärte sie schließlich. „Sieht man von dem Holzfrevel ab, den ihr begangen habt.“ Entschieden ein Lächeln. Es hätte eine Ochsenherde aufgehalten. Sie bestrich das Holzbrett mit dem geweihten Salböl und trat einen Schritt zurück. Sie nickte wohlgefällig. So durfte das bleiben. Der Hauptmann, welcher sich zwischenzeitlich zum Oberst gesetzt hatte um zu frühstücken, stand auf, als die Geweihte geendet hatte. „Dann verlieren wir keine Zeit“, sagte Antharax entschieden. Dwarosch nickte zustimmend und erhob sich ebenfalls. Beide Zwerge rüsteten sich, nahmen die Rucksäcke wieder auf den Rücken und seilten sich gegenseitig an. Die Holzabdeckung befestigten sie am Ende ihrer Seilschaft, sie würden sie den Geröllhang einfach hinter sich hochziehen, auch wenn es anstrengend seien würde. Marbolieb blieb mit ihrer Tochter im Lager zurück und beobachteten den langsamen aber routiniert sicheren Aufstieg der Zwerge. Beide hielten sie Waffen in der Hand, ganz offensichtlich wollten sie kein Risiko eingehen, noch einmal überrascht zu werden. Bei dem Höhleneingang angekommen behielt Antharax den dunklen Schlund argwöhnisch im Auge, während Dwarosch eine kleine, längliche Grube vor der Öffnung aushub. Dahinein stellten sie das kleine Holztor, lehnten es im Folgenden schräg an den Hang, so dass es den Eingang möglichst schlüssig abdeckte. Dann begannen sie die mühseligste Arbeit, welche aber dank des immer noch bewölkten Wetters und leicht einsetzendem Nieselregen nicht allzu schweißtreibend war. Mit einer Unzahl von Steinen fixierten sie die Abdeckung und beschwerten sie zugleich. Erst nach zwei vollen Stundengläsern befand Dwarosch, dass es genug war und beide begannen den Abstieg. Als sie unten angekommen waren setzten sich beide leicht erschöpft zu Marbolieb. Mirla schlief ruhig in ihren Armen. „Der höchste Stand des Praiosrundes mag bereits zwei Stunden vergangen sein. Dennoch sollten wir noch heute aufbrechen“, schlug der der ältere der beiden Zwerge vor und schaute dabei fragend zu Marbolieb. Bevor diese jedoch antworten konnte fiel Dwaroschs Blick auf das kleine Bündel, welches Marbolieb gerade in ihren Schoss legte. „Wie geht es Mirla?“ Kam die Frage mit deutlich sanfterer Stimme als zuvor. „Gut. Sieh’ selbst.“ Das Kind hatte einen Daumen im Mund, seine langen, schwarzen Wimpfern wie Tuschestriche auf den glatten, vollkommenen Wangen, und schlief tief und friedlich, wie es nur ein Säugling vermag, der sich im Arm seiner Eltern weiß. „Ich danke Dir für all Deine Mühe, Dwarosch. Ohne Euch hätte ich das nicht so weit geschafft.“ Sie betrachtete ihn nachdenklich, als wolle sie noch etwas hinzusetzen, beließ es dann aber. „Sag’ mir, wann Du aufbrechen möchtest.“ Dwarosch nickte nur als Erwiderung auf den Dank der Geweihten. Für ihn war die Hilfe selbstverständlich gewesen. Niemand hätte schließlich ahnen können, zu was sich der als kurzer Freundschaftsdienst geplante Ausflug in die Wälder entwickeln würde. Der Blick des Oberst wanderte zu seinem Hauptmann. Ihm musste der Dank gelten, denn er war ihm wie stets treu gefolgt, obwohl es nicht seine Pflicht gewesen wäre, schließlich waren sie beide nicht im Dienst. Diese Freundschaft konnte Dwarosch kaum genug schätzen, dessen war er sich bewusst. Antharax lächelte und nickte seinerseits, er wusste den Blick des Älteren wie stets zu deuten. Mit einem versonnenen Lächeln betrachtete Dwarosch im Folgenden die kleine Mirla und wirkte eine Zeit lang abwesend. Als er der Geweihten schließlich auf ihre Frage antwortete war seine Stimme immer noch leiser, weicher als für ihn üblich. „Wir ruhen uns noch ein Stundenglas aus, stärken uns und dann brechen wir auf. Willst du nach Calmir und von dort nach den Golgariten schicken, oder ziehen wir gleich gen Efferd nach Isenbrück?“, wählte er den für ihn bekannten Namen des Dorfes an der Grenze zu Bollharschen, welches als Zankapfel der beiden Lehnsherrn galt. „Lass uns gleich nach Eisenbrück reisen. So können wir der Landmeisterin und ihren Leuten alles direkt erzählen.“ Umwege brachten wenig – gerade in einer kritischen Sache wie dieser. „Gut, das halte ich ebenso für das Sinnvollste.“ Ein diesmal energisches Nicken unterstrich seine Worte und so ward’ es beschlossen. Nachdem die Gefährten sich noch eine Weile ausgeruht und etwas gegessen hatten, brachen sie gen Efferd auf. Sie würden sich durch die Wildnis schlagen, bis sie auf die Via Ferra trafen. Diese führte direkt nach Bollharschen. An der Grenze zu diesem herzoglichen Lehen lag eben jenes Dorf mit dem besagten Ordenshaus der Rabenritter.

Eisenbrück

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Einige erfreulich ereignislose Tagesreisen später kam die Gruppe in Eisenbrück an. Das kleine Dorf war von einem hölzernen Etter umgeben und bestand aus vielen spitzgiebligen, mit Schindeln gedeckten Fachwerkhäusern. Das schwarze Fachwerk hob die blendend weißen und offensichtlich regelmäßig gestrichenen Ausfachungen hervor, so dass sie fast zu leuchten schienen. Insgesamt machte die Isenhager Seite des Dörfleins einen schmucken und sauberen Eindruck. Am Dorfplatz thronte das Schulzenhaus, vier Stockwerke hoch und damit alle anderen Gehöfte weit überragend. Ein Nebengebäude, das früher vielleicht einmal eine Remise gewesen sein mochte, trug über dem Eingang ein weithin sichtbarese Boronsrad und verkündete, dass sich hier ein geweihter Tempel des Raben gemäß des Puniner Ritus befand. Die Landmeisterin, eine muskulöse, aber nicht besonders hochgewachsene Frau mit stoppelkurzem, dunklem Haar, war offensichtlich gerade mit den Streitrössern des Gutes in Verbindung mit dem örtlichen Hufschmied zugange gewesen, als die Gruppe ankam. Etwas verschwitzt, in Hose und Hemd, die Ordensrobe und Waffengurt über dem Arm, trat sie auf die kleine Gruppe zu und betrachtete sie mit neugierigen Augen. „Boron zum Gruße, Schwester. Was führt Euch und Eure Begleiter hierher?“ Marbolieb neigte den Kopf. Die Golgaritin war etwa einen halben Spann größer als sie, aber Marbolieb hätte sich ohne weiteres hinter ihr verstecken können. „Boron zum Gruße, Landmeisterin.“ Oft war sie der anderen noch nicht begegnet – genau drei Mal bei ihren bisherigen Reisen durch das Dorf. Sie zu kennen wäre weit übertrieben gewesen. „Dies hier sind Oberst Dwarosch, Sohn des Dwalin, und sein Hauptmann Antharax. Sohn des Angrox. Wir benötigen Eure Hilfe.“ Was wiederum die Augenbrauen der sonnengebräunten Richild nach oben schnellen ließ. Sie wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß aus der Stirn, zog sich den Wappenrock – nur leicht zerknittert und einigermaßen präsentabel sauber – über und wandte sich an die Gruppe. „Dann kommt mit.“ Mit einem kühlen Glas Most saßen sie alsbald im Speisesaal des Ordenshauses, das schlicht und zweckmäßig mit zwei langen Tischen, zwei Bänken und einer halben Handvoll Stühle eingerichtet war. „Und worum geht es?“ Mit wachen Augen betrachtete die Kämpferin ihre Schwester im Glauben und die beiden wuchtigen Zwergenkrieger. Marboblieb hielt ihre Tochter auf dem Schoß und schwieg, ihre Augen hatte sie in stummer Aufforderung auf Dwarosch gerichtet. Dieser räusperte sich und erzählte dann in einer kurzen, auf Fakten basierenden Zusammenfassung, was in den vergangenen Tagen geschehen war und was die Gefährten entdeckt hatten. Ausführlicher wurde er dann, als er das was sie unheiliges gesehen oder gehört hatten beschrieb, sowie bei der Beschreibung der Umgebung der Höhle und deren Eingang. Nachdem Dwarosch seinen Bericht beendet hatte machte er eine kurze Pause, um der Rabenritterin Zeit zu geben, das Gehörte einzuordnen, dann setzte er von neuem an. „Ich gehe davon aus, dass ihr euch dieser Sache umgehend annehmen wollt. Mein Hauptmann muss zurück nach Senalosch. Ihn ruft die Pflicht. Ich werde euch dorthin führen. Doch zunächst interessiert mich eure Meinung dazu? Habt ihr eine grobe Ahnung davon, mit was wir es zu tun haben? Dass dieser Untote zielstrebig und ohne umher zu irren diesen unheiligen Ort aufgesucht hat, bringt mich arg ins Grübeln.“ „Das ist ungewöhnlich.“ stimmte die Landmeisterin zu. „Und es gibt wenige Untote, die aus eigenem Antrieb handeln.“ Sie schwieg einen Augenblick und beobachtete ihre Gäste. „Also stellt sich die Frage: Wer oder was steckt dahinter?“ Sie strich sich überlegend über ihre Haare. „Die Antwort finden wir, wenn überhaupt, sicher dort. Wir werden morgen aufbrechen und das Natternnest ausräumen. Wie groß ist die Höhle – und wieviel stecken drin, Eurer Meinung nach?“ Die Kriegerin betrachtete den Angroscho aus zusammengekniffenen Augen und schien im Geiste schon einige Dinge zu überschlagen. Der so Gefragte presste kurz die Lippen aufeinander und wog den Kopf sachte hin und her. “Dies wiederum kann ich euch leider nicht beantworten. Wie bereits erläutert konnten wir nicht weit genug in den sich uns öffnenden Schlund sehen. Alles was ich also tun kann ist Mutmaßungen anstellen und das tue ich äußerst ungern. Vor allem, wenn darauf euer Vorgehen basiert. Nichts desto trotz weiß ich natürlich um die Notwendigkeit.” Dwarosch dachte kurz nach und versuchte sich alles Notwendige zurück in den Geist zu rufen. “Von dem Getöse zu urteilen, was aus der Höhle dumpf an unsere Ohren drang, würde ich auf mindestens ein Dutzend setzen. Der bloßen Hoffnung, dass die Beschaffenheit der Höhle allein die Mehrzahl der Geräuschquellen zur Ursache hat gebe ich mich nicht hin und das solltet ihr auch nicht.” Er warf einen Seitenblick auf Marbolieb und versuchte ihrer Miene Zustimmung oder Zweifel zu entnehmen. Diese zuckte die Schultern. „Mehr als einer. Ich weiß nicht, wie groß die Höhle ist.“ Woher auch. Sie warf einen fragenden Blick auf Dwarosch, der in solcherlei Dingen deutlich mehr bewandert war. Dwarosch seufzte, lächelte aber dabei. Niemand konnte wissen was da unten auf sie lauerte. „Dann werden wir uns lieber auf ein paar mehr von diesen Verdammten einstellen“, sagte der Oberst entschlossen. „Eine bitte habe ich noch. Ich hatte nicht mit einer derartigen Auseinandersetzung gerechnet und bin nur unzureichend bewaffnet. Hättet ihr einen Schild und einen Reiterhammer, besser noch einen Streitkolben in eurer Waffenkammer, den ihr mir stellen könntet?“ „Einen Schild – gern. Er wird allerdings etwas groß für Euch sein. Und eine Art Streitkolben wird sich auch noch finden.“ Ein geweihter Rabenschnabel indes war etwas, das sie – Notsituationen vorbehalten – nur anderen Priestern und Akoluthen zugänglich machen würde – und beides war der Oberst mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht. Sie musterte den Zwergen und stellte die wirklich interessante Frage. „Und wie seid Ihr zu der Sache gekommen? Dass ein Oberst eines Garderegiments allein durch die Wälder streift, ist ... selten.“ Der Anrgoschim schmunzelte und nickte bedächtig. „In der Tat, dies ist eine berechtigte Frage. Nun, ich war mit meinem Hauptmann in Lûr, im Kosch. Vielleicht habt ihr schon von den Stählernen Hallen gehört, einer Art unterirdischen Arena unseres Volkes. Antharax“, Dwarosch warf einen kurzen Blick auf seinen Freund, „wird einmal mein Nachfolger werden, wenn es nach mir geht und ich fange bereits jetzt an, ihn auf diese Aufgabe vorzubereiten. Man könnte es also eine Art Bildungsreise nennen.“ Nochmals schmunzelte der Oberst und auch Antharax konnte ein Zucken seiner Mundwinkel nicht verhindern. „Ausbildung ist wichtig.“ Kurz spiegelte sich das Grinsen auf Richilds Mundwinkeln und sie nickte den Zwergen zu. „Ich schicke jemanden, der Euch Eure Quartiere zeigt. Sagt Bescheid, wenn ihr noch etwas braucht. Morgen früh brechen wir auf.“ Äußerst zufrieden mit sich und der Welt entließ sie ihre unverhofften Gäste, sah nach dem Hufschmied, der inzwischen seine Aufgaben wohl verrichtet hatte, und machte sich daran, ihre Ordensschwestern und –brüder einzusammeln, die sie morgen begleiten würden. In Eisenbrück passierte selten etwas – abgesehen vielleicht von der Sache mit dem dämonischen Wurm vor ein paar Jahren – und zwei Leute, eine Ritterin und ein Graumantel, würden das Dorf gut hüten können. Das bedeutete, dass sie mit vier Begleitern, drei Golgariten und einem Graumantel, aufbrechen würde. Mehr als genug für die meisten Schwierigkeiten. Ein Abenteuer lockte – und Richild war mehr als geneigt, diesem Ruf zu folgen; eine Eigenschaft, die sie schon mehr als einmal in Schwierigkeiten – und aus diesen wieder – gebracht hatte.

Zurück mit Verstärkung

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Das Praiosmal war noch nicht aufgegangen, als sich nicht nur die Golgariten, sondern auch die Geweihte des Unergründlichen und nicht zuletzt die beiden Zwerge im kleinen Tempelraum des Ordenshauses vor dem Schrein des Boron zum Gebet einfanden. Es war eine schweigsame Zeremonie, die wenige Worte bedurfte, doch allen Anwesenden war eine Entschlossenheit zu eigen, die fast greifbar war in dieser gemeinsamen Andacht. Im Anschluss nahm die Gruppe ein einfaches, aber reichhaltiges Mahl zu sich, packte alle Sachen zusammen, schulterte die Rucksäcke und schritt zur Tat. Es galt, dem Grund der Existenz des Rabenordens nachzukommen, denn nachdem man sich nicht mehr der Vernichtung des Al’Anfaner Ritus der Kirche Raben verschrieben hatte, galt es primär als Aufgabe, untote Kreaturen von Deres Antlitz zu tilgen. Bevor aufgebrochen wurde verabschiedeten sich Dwarosch und Antharax voneinander. Es war ein herzlicher Moment. Sie hielten sich bei den Unterarmen und redeten lange und eindringlich in ihrer Muttersprache miteinander, lachten dann und wann gemeinsam und umarmten sich schließlich, bevor sie sich ganz voneinander lösten. Ganz ohne Zweifel, sie waren mehr als Befehlsgeber und -empfänger, sie waren Brüder im Geiste. Marbolieb betrachtete den Austausch der beiden mit einem leisen Lächeln. Es freute sie, den Oberst derart unbekümmert und gelöst zu sehen. „Du magst ihn sehr, nicht wahr?“ wandte sie sich an Dwarosch, als sie aufgebrochen waren und einige Schritte abseits ihrer berittenen Reisebegleitung gingen. Der Oberst nickte und zeigte ein mildes Lächeln, dass Marbolieb auch ohne Worte die Antwort gegeben hätte. „Ja. Zunächst bewunderte ich nur seinen Eifer, sein Pflichtbewusstsein, den Ehrgeiz, den er stets an den Tag legt und die ihm auszeichnende Disziplin. Doch nachdem wir in den vergangenen Monden so viel Zeit auf Reisen miteinander verbracht haben, uns wirklich kennenlernen durften, ist eine echte Freundschaft daraus erwachsen. Ich bin froh ihn getroffen zu haben. Er ist mir weitaus mehr als ein Gefolgsmann“

Auch auf der Rückreise stellte sich niemand der um einige Köpfe angewachsenen Gruppe in den Weg. Der Tag wurde durch die regelmäßigen Boronandachten morgens und abends und durch einen langen, eintönigen Marsch dazwischen gegliedert. Nach dem ersten halben Tag hatte die Landmeisterin ihr Pferd gezügelt und ihrer Schwester im Glauben wortlos die Hand entgegengestreckt, um sie hinter sich auf ihr Pferd zu hieven. Das kräftige Tier würde die leichte Frau ohne größere Mühe tragen. Den Oberst indes bedachte sie mit einem entschuldigenden Schulterzucken. Doch dieser grinste nur und winkte ab. Dwarosch stand lieber auf seinen eigenen Beinen, als dass er ritt. Zwerge mochten auf Ponys reiten, doch sie taten dies zumeist nur auf ihren eigenen Tieren, die sie kannten und denen sie vertrauten. Angroschim betrachteten Pferde häufig mit Argwohn und sie hatten stets das Gefühl, dass es anders herum ebenso war. Und so kam die Gruppe, wenige Tage später, wieder an dem Steinrutsch an. Auf den ersten Blick schien noch alles, wie sie dies zurückgelassen hatten. Auf den zweiten ebenfalls. Noch während die Rabenritter ein improvisiertes Lager etwas abseits vom unteren Ende des Hangs aufschlugen, wandte sich Dwarosch an ihre Anführerin. „Bevor wir eine erste Begehung machen, würde ich gerne wissen: was plant ihr? Wir sollten auch die spätere Kampftaktik besprechen, ob ihr in enger Formation und gegenseitiger Deckung, oder lockerer, gestaffelter Aufstellung kämpfen werdet? Ich möchte niemandem im Weg stehen und euch dienlich sein, wenn es soweit ist.“ Die Landmeisterin betrachtete den Oberst und strich sich in einer unbewussten Bewegung über ihre stoppelkurzen Haare. „Wir kämpfen üblicherweise in lockerer Aufstellung. Dies entscheide ich jedoch, wenn ich den Gegner kenne. Vielleicht müssen wir uns gegenseitig decken.“ Wenn es nur ein paar einzelne Untote waren, würden ihre Brüder und Schwestern allein am besten kämpfen – wenn sich aber das Ding als Fleischgolem erwies ... oder als schlimmeres ... . Richild zuckte die Achseln. „Wir werden sehen.“ Der Oberst nickte stumm, dies war ihm Aussage genug. Er würde wissen wie er sich innerhalb der Gruppe der Ordensritter zu halten hatte, wenn es Ernst wurde. Sie überlegte einen Augenblick und setzte dann hinzu. „Welche Erfahrung habt Ihr im Kampf gegen Untote?“ “Skeletten kommt man am effektivsten mit stumpfen Hiebwaffen bei, allem anderen schlägt man am besten gleich den Kopf vom Rumpf. Geweihte Waffen helfen zumeist”, erklärte Dwarosch knapp. Als Erläuterung fügt er weiter an: “Ich führte eine kleine Einheit bis auf den obersten Wehrgang des Todeswalls in der Schlacht an der Trollpforte.” Dies war Aussage genug. Nein, es war mehr als das. Beim der Erwähnung der dritten Dämonenschlacht wurden Dwaroschs Augen kurzzeitig unstet. Die Bilder des durchlebten Schreckens suchten ihn nicht mehr heim, seitdem Marbolieb ihn davon befreit hatte, aber er wusste, dass da etwas sein sollte, wo ihn die Erinnerungen verließen. Die Golgaritin nickte. Ihr genügte dies. „Dann fangen wir an.“ Sie nickte in Richtung des Steinhaufens. Marbolieb war mit leisen Schritten zu Dwarosch getreten und legte ihm eine Hand auf die Schulter, leicht nur. ‚Es ist gut.’ besagte die Geste. ‚Was war ist gewesen. Du bist.’ Dieser schloss die Augen und ließ absolute Schwärze seinen Geist fluten bis innere Ruhe einkehrte und das Gefühl schwand, welches ihn für einen kurzen Moment irritiert hatte. Diese kleine, aber überaus effektive, mentale Übung hatte ihm Marbolieb auf dem Feldzug gen Rahja zu verinnerlichen geholfen. Die Geweihte schwieg, doch der Blick, den sie ihrer Ordensschwester zuwarf, beinhaltete ein Kopfschütteln, den die andere mit einem angedeuteten Zucken einer Schulter kommentierte, ehe sie, den Rabenschnabel locker in einer Hand, ihren Begleitern beim Wegräumen der Steine Deckung gab. Die Zwergen waren gründlich gewesen. Sehr gründlich. Ein Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Oberst, als er die Rabenritter den Eingang so mühselig wieder freilegen sah. Er war unangetastet, dies bewies sich nicht zuletzt, als die Laiendiener des Ordens auf die schwere Holzabdeckung stießen. „Dahinter liegt die Höhle“, sagte Dwarosch knapp und trat dabei neben die Golgaritin. Er ließ etwas mehr als eine Armeslänge zwischen ihnen Abstand. Im Gefecht konnte ein beengter Raum schnell zum Nachteil gereichen. Noch einmal prüfte Dwarosch den Sitz des Streitkolbens im Gürtel, sah hinab zu seinem Gladius in der Scheide am schweren, geschnürten Stiefel und griff dann Schild und Axt noch einmal fester. Die Landmeisterin betrachtete ihre Ordensbrüder, nahm einen Beutel aus ihrem Gepäck und begann, mit schwarzer, krümeliger Erde einen wahrlich großzügigen Schutzkreis zu ziehen. Sie begegnete dem Blick Dwaroschs und zuckte mit den Schultern. „Ihr solltet Euch außerhalb aufhalten, Schwester.“ Wies sie Marbolieb an. So würde sich das Kroppzeug immerhin nicht über Gebühr weit verstreuen – und die Priesterin hoffentlich unversehrt draußen bleiben. Endlich fielen die letzten Steine und die augenscheinlich unversehrte Holzkonstruktion kam ans Tageslicht. Aufmerksam beobachtete der Zwerg die Ausgestaltung des Schutzkreises und verinnerlichte dessen Ausmaße vor seinem geistigen Auge. Es war vielleicht später im Kampf von Bedeutung, seine Ausdehnung zu kennen, um ihn nicht in der Hitze des Gefechtes leichtfertig zu zertrampeln und somit seine Wirkung aufzuheben. Dwarosch würde in dem, was kommen würde, zweifellos das fünfte Rad am Wagen sein. Die Ordensritter waren ein schweigsamer, eingespielter Haufen, er nur so etwas wie der Ersatzspieler bei dem von ihm seit kurzem so geschätzten Imman. Doch darin konnte auch eine echte Chance liegen. So nahm sich Dwarosch vor, die Übersicht zu bewahren, um bei Bedrängnis der anderen, Auflösungserscheinungen ihrer Formation oder gar anderer, nicht vorhersehbaren Situationen konsequent einzugreifen. Auf diese Weise konnte er dem Erfolg ihrer Mission dienen, ohne die Kampfweise der Rabenritter unnötig zu stören. Diese Absicht tat er der Landmeisterin kund, schließlich musste sie wissen, was er vorhatte. Sich selbst nicht für zu wichtig nehmen, Demut nicht nur besitzen, sondern sie auch mit seinem Handeln ausdrücken, war eine Eigenschaft die er erst spät in seinem Leben verinnerlicht hatte. Harte Lehrstunden waren es gewesen und sie hatten Kameraden das Leben gekostet. Egal wie gut ein Anführer war, Sterbliche machten Fehler, denn sie waren nun einmal fehlbar.

Knarzend gab die Holzverschalung nach und polterte zur Seite. Eine merkliche Veränderung ging durch die Krieger und die Anspannung, die mit einem mal in der Luft lag, war fast mit Händen zu greifen. Doch einige Lidschläge lang geschah gar nichts. Was auch immer sich in der Höhle verbarg, war nicht gewillt, mit lautem Gebrüll daraus hervorzustürmen. Die Landmeisterin betrachtete den engen Höhleneingang einige Augenblicke, wies mit einer Kopfbewegung ihre Begleiter an, diese im Blick zu behalten, während sie aus ihrem Gepäck Feuerzeug und einen etwa faustgroßen Beutel nahm, diesen mit einem Kienspan entzündete und ihn vorsichtig anblies. Dicker, öliger Rauch quoll aus dem Beutel und verteilte sich wie ein dünner, beständig dicker werdender Schleier über den Boden. Richild zielte und warf den Beutel zielsicher in den Schlund der Höhlung, klopfte sich zufrieden die Hände und griff nach Schild und Rabenschnabel. Ein Stöhnen, das nicht aus menschlichen Kehlen zu stammen schien, antwortete ihr, und Schleifen, Rascheln und Tappen klangen aus dem Inneren des Loches. Rutschend und Trippelnd huschte ein zerrauft aussehender Fuchs mit blinden Augen, dessen Rippen durch seine verkrustete Decke stachen, ans Tageslicht. Gefolgt von einer Welle aus Eichhörnchen, Murmeltieren, einem Dachs, zwei Wölfen und einem mehr als zerfledderten Raben. Einer Flut gleich glitt das vierbeinige, von Unleben erfüllte Gewimmel um die Knie der Streiter, brandete gegen den Schutzkreis und begann, sich in wilder, blinder Wut auf alles zu stürzen, was sich bewegte. Genau diesen Moment nutzten die Untoten, um ans Licht zu kriechen. Vier waren es, drei Frauen und ein Mann, und keiner von ihnen ein Krieger. Dwarosch beobachtete mit zunehmender Abscheu die sich aus dem Schlund ans Tageslicht ergießende, untote Brut und hielt sich bereit, das Schild erhoben, die Axt in Position sofort zuschlagen zu können. Dass es so viele Tiere waren überraschte ihn aber dennoch, auch wenn er während der Invasion der Verdammten auch von ihrer Existenz erfahren hatte. Die geringe Anzahl an ‚ausgewachsenen‘ Untoten beruhigten den Oberst indes keineswegs. Wer wusste schon was noch alles in der Höhle hauste und auf sie lauerte, vielleicht gar den besten Moment abwarteten, bis die Rabenritter ihr Werk verrichteten und unaufmerksam wären. „Ich halte den Eingang weiter im Auge!“ rief er der Landmeisterin zu. „Kehrt ihm niemals den Rücken.“ Fügte er noch eine Mahnung an auch wenn er sich sicher war, dass die Ordensritter diesen Fehler niemals begehen würden. Viel Zeit für Überlegungen hatte er nicht, als sich zwei der Murmeltiere und einer der Wölfe auf ihn stürzten und sich, ohne jeden Ton, in seine Hose und Stiefel verbissen, während der zweite Wolf den Angroscho im Rücken attakierte. Es waren nur Tiere – doch ein Biss eines Untoten war alles andere als eine Trivialität. Und es waren viele. Zum Glück konnten die Zähne der meisten Tiere kaum etwas gegen das gehärtete Leder ausrichten das er trug. Dennoch fluchte Dwarosch laut. Sein Kettenzeug wäre ihm bedeutend lieber gewesen in diesem Moment, denn die Fänge der Wölfe waren sehr wohl eine Bedrohung. So konzentrierte er sich auf eben jene beiden, die ihn angriffen. Während er dem einen, welcher ihn frontal anging die Kante des Schildes ins Maul hämmerte, fegte er in einer hinter sich gewandten Drehbewegung mit dem Waffenarm den anderen mit der Axt aus der Luft. Doch während der von seiner Wehr getroffene zu Boden ging und wegen eines wohl schon bereits vorher gebrochenen Laufes Mühe hatte wieder auf die Beine zu kommen, rappelte sich der andere mit einem schief stehenden Kiefer wieder auf. Mit seinen kräftigen Beinen ständig in Bewegung bleibend, um nicht zu vielen Tieren die Möglichkeit zu geben, sich in seine Stiefel zu verbeißen, setzte er dem bereits wieder zum Sprung ansetzendem Wolf nach. Unweigerlich dachte er an die Kriegshunde der Orks, welche ihm einst vor Greifenfurt fast die Kehle herausgerissen hatten. Seither trug er stets einen Kettenkragen, wenn er ins Gefecht zog, doch leider sollte seine Reise nur ein Wanderausflug werden. Mit einer Drehbewegung ließ Drwaosch den mit Metallplättchen verstärkten Kernholzgriff seines Lindwurmschlägers in der Hand rotieren und traf den Kopf der untoten Kreatur mit dem breiten und zu einem Hammerkopf ausgeformten Nackenstück der Axt. Mit einem grässlichen Knacken brach das Rückrat des Wolfes. Doch dies ging im allgemeinen Chaos der ausbrechenden Kämpfe um ihn unter. Dieses Tier jedenfalls würde ihm jedoch nicht mehr gefährlich werden können, denn sein Kopf hing von da an schlaff am Körper herunter. Geistesgegenwärtig hob Dwarosch den Kopf, um sich einen neuen Überblick zu verschaffen und um seinen zweiten Wolf ins Auge zu fassen. Der Wolf ließ sich von diesen Schwierigkeiten nicht aufhalten und kroch mit hängenden Hinterbeinen auf seinen Vorderläufen wieder auf den Zwergen zu, mit verdrehtem Kopf lautlos aufgerissenem Maul geifernd. Seine Augen leuchteten in einem unheilvollen Rot. Der zweite Wolf ließ von Dwarosch ab, als er dessen Blick bemerkte, und umkreiste ihn, bestrebt, wieder in seinen Rücken zu gelangen. Der Zwerg wusste, dass es wenig Sinn ergab, danach zu trachten, die Tiere mit seiner zwar herausragend gefertigten, aber dennoch nicht geweihten Waffe endgültig zu vernichten. Hierzu hätte es des Gladius bedurft, welcher in seiner Scheide am Stiefel steckte. Doch das mehrfach geweihte Kurzschwert, welches in früherer Zeit im Besitz eines bosparanischen Prätorianers gewesen war, war ansonsten nur wenig effektiv im Kampf gegen diese Anhäufungen von blassen Gebeinen, Sehnen und löchriger, teilweise in Fetzen hängender Haut. Hier war die grobe Kelle von Nöten, gezielte Stiche, die bei lebenden Wesen tödlich waren, zertrümmerten nun einmal keine Knochen. Dwarosch machte zwei kurze, aber schnell Schritte vorwärts, trat mit seinem rechten, schweren Stiefel auf den mehr oder minder kriechenden Wolf und machte seiner Existenz ein Ende. Ein weiterer Axthieb, diesmal mit der lang gezogenen Schneide, durchtrennte dünne Haut, sowie die verbliebenen, porösen Sehnen und schlug somit den Kopf vom Rumpf. Sofort drehte sich der Oberst auf der Stelle um seine eigene Achse, riss das Schild hoch und federte gleichzeitig in die Hocke. Seine Abwehrreaktion kam keinen Moment zu früh, denn der andere, verbliebene Wolf hatte seine Chance genutzt und war unbedrängt in Dwaroschs Rücken gekommen. Die Kreatur brandete im Sprung gegen das leicht nach oben hin schräg gestellte Schild. Die Wucht war stark, doch das Gewicht der Kreatur stellte für Dwarosch keine große Schwierigkeit dar, war er doch darauf vorbereitet und hatte seinen Schwerpunkt entsprechend tief verlagert. Die Stellung des Schildes indes war ebenfalls bewusst gewählt. Mit einem Wutschrei der Anstrengung drückte Dwarosch die Beine durch und ruckte wieder in den Stand hoch. Gleichzeitig ließ er Kraft seiner massigen Schultern spielen, drehte den Schild mit der Fläche der Wehr weiter gen Himmel, hebelte den Wolf auf diese Weise auf dem Schild liegend aus und katapultierte ihn über sich weg. Die geifernde Kreatur flog nur etwas mehr als einen Schritt, doch diese Zeit und die die er gewann, weil der Wolf unsanft auf der Seite landete, reichte ihm, um nachzusetzen. Mit schnellen Schritten war Dwarosch heran und trennte auch dieser Bestie das Haupt vom Rest des Körpers, bevor es wieder auf alle Viere zum Stehen kommen konnte.

Mit einem wuchtigen Hieb fegte die Landmeisterin die Beine des Untoten beiseite, der versuchte, sie zu packen, wich einem grabschenden Arm aus und versenkte die Spitze ihres Rabenschnabels mit einem befriedigenden Knacken in seinem Schädel. Das Ding zuckte ein letztes Mal und lag dann endgültig still. Sie blickte sich um und trat ein Eichhorn von ihrem Stiefel, das versuchte, ihr Bein zu erklimmen. Zwei ihrer Waffenbrüder erwehrten sich den Angriffen einer der Untoten, während die anderen beiden soeben ihre Gegnerin niederrangen. Die dritte Untote lag am Boden und kroch, langsam und mit gebrochenen Beinen, auf die beiden kämpfenden Golgariten zu. Richild eilte zu der noch stehenden Gegnerin und nutzte deren Ablenkung, um ihr mit der flachen Seite ihres Rabenschnabels die Wirbelsäule zu zertrümmern. Die Gestalt sackte in sich zusammen, krallte sich im Fallen an einem der Golgariten fest und zog diesen zu Boden. Simultan droschen die Streithämmer der anderen beiden auf die Arme der Frau, so dass sich der Gestrauchelte mit einer hektischen Bewegung zur Seite rollen konnte, wärend der Leichnam unter den Hieben der geweihten Waffen sein Unleben aushauchte. All das nahm Dwarosch nur am Rande seines Bewusstseins aus dem Augenwinkel heraus war. Und doch schloss er mit der Erfahrung von über einhundertfünfzig Jahren, die sein Leben bisher gewährt hatte und von denen er den Großteil dem Kriegshandwerk nachgegangen war, die entsprechenden Schlüsse. Die Lage war bis zu diesem Zeitpunkt weitestgehend unter Kontrolle. Es gab keinen Grund für ihn einzugreifen. Die Ordensritter kämpften äußerst effektiv. Der Oberst nutzte die gewonnene Zeit und entledigte sich einiger, kleinerer Tiere mit gezielten Axthieben oder Kanten-Schlägen des in Eisen eingefassten Schildes, während er sich seitlich auf den Höhleneingang zubewegte, ohne dabei seinen Rücken außer Acht zu lassen. Es war mehr sein Fatalismus, der Dwarosch vermuten ließ, dass sie mit weiterer Gegenwehr zu rechnen hatten, dass noch weitere Ausgeburten der Niederhöllen ans Tageslicht kriechen, sich heraus graben würden, als dass es Instinkt war.

Asche und Rauch

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Einige Augenblicke später lag auch das letzte Tier still im Staub, und eine tiefe Stille senkte sich über den in der Sonne gleißenden Geröllhang. Die Landmeisterin blickte sich um, befand alles, wie es sein sollte, und wischte sich den Schweiß aus der Stirn. Grübelnd beäugte sie den Höhleneingang. Noch immer drang feiner Rauch aus ihm, gepaart mit einem Verwesungsgestank, der sich wie eine Schleimschicht über alles legte. Um sich dort hindurchzuzwängen, müßte sie den Großteil ihrer Rüstung ablegen. Sie strich sich über ihre Haare, bedachte Dwarosch mit einem überlegenden Blick und begann dann, ihre Schulterstücke zu lösen. „Ich gehe voraus. Wollt Ihr mit?“ Dwarosch nickte bestätigend. „Ja! Ich muss mit eigenen Augen sehen, was dort drinnen ist. Vergesst nicht, diese Ländereien ist nicht nur Teil der Baronie Rabenstein. Wir befinden uns auch auf dem Rückgrat des Eisenwaldes. Mein Volk bewohnt diese Berge seit Jahrtausenden. Ich muss sicherstellen, dass diese Höhle keine Verbindung zu unseren Verkehrswegen hat. Doch wie dem auch sei, ich werde meinem Mogmarog hiervon Bericht erstatten.“ Richild nickte. Sie legte die letzten Plattenteile ihrer Rüstung ab – das Kettenhemd behielt sie wohlweislich an, griff nach einer kleinen Blendlaterne und ihrem Rabenschnabel und arbeitete sich, den Kopf voran, in den engen Schacht. Leicht bergan führte er und war an zwei Stellen derart eng, dass die Landmeisterin die Luft anhalten musste, um sich über die Engstellen hinwegzuarbeiten. Es war ein zweifelhaftes Glück, dass ihr die Dunkelheit nicht zeigte, aus was die feuchten Stellen bestanden, in denen ihren Lederhandschuhe (der Herr sei gepriesen für dieses Teil der Ausrüstung!) landeten. Der Verwesungsgestank in der Höhle vermischte sich mit den dicken Rauchschleiern des präparierten Schwadenbeutels, mit dem sie das Kroppzeug ausgeräuchert hatte, und legte sich wie ein Fassreifen um ihre Brust. Mühsam unterdrückte sie den Impuls, zu husten. Nach vier Schritt weitete sich der Gang zu einem etwa zwei Schritt hohen und sieben auf drei Schritt breiten Raum. An manchen Stellen hing die Decke tiefer und versperrte die Sicht, und in den dunklen Ecken tanzten die Schatten, die das spärliche Licht der Blendlaterne noch mehr hervorrief. Sie sicherte den Eingang. Dwarosch ließ zwei weiteren Rabenritter den Vortritt. Er wusste, dass der Weg für ihn am beschwerlichsten und wohl auch am zeitintensivsten sein würde, allein schon aufgrund der zwergischen Anatomie. Seine Schultern waren die mit Abstand breitesten, sein Brustkorb der massivste. Der Oberst war ein Naturphänomen von einem Muskelberg. Als er das Signal vernahm, dass die drei Vorangegangenen die Höhle sicher erreicht hatten und dass keine unmittelbare Gefahr drohte machte sich der Angroschim auf den Weg. Mit der kurzen Schaufel nach vorne gestreckt arbeitete er sich langsam aber beständig, vor allem aber beständig leise fluchend durch den schmalen Gang vorwärts. Dwarosch kannte solche Situationen. Beklemmung aufgrund der Enge war Zwergen fremd, sie lebten schließlich unter Tage und seine Augen hatten sich ebenfalls schnell an die Dunkelheit gewöhnt. Dass bisschen indirektes Licht, was von den anderen von vorn zu ihm drang, reichte ihm vollkommen um ausreichend zu sehen. Zum Glück lag unter dem Geröllhang zunächst noch kein massiver Fels, sondern durch das Gewicht der unzähligen Steine hoch komprimierte Erde. Hier musste irgendwann eine Lawine ins Tal gerollt sein. Sie hatte wahrscheinlich Massen an Schlamm und Gestein aus den höheren Lagen herunter gespült. Regen und Schnee hatten dann ihr Übriges dazu beigetragen, dass an der Oberfläche der steinige Hang zurückgeblieben und darunter das Erdreich liegen geblieben war. Schwer atmend und eine beträchtliche Menge Erdreich vor sich aus der Öffnung schiebend schloss Dwarosch zu den anderen auf. Es war tatsächlich eine Höhle. Der Übergang von Erdreich in massiven Fels erfolgte erst dort, wo sich die Höhle öffnete. War dieser Ort, ein offenbar natürlich entstandener Hohlraum im Gestein, denn die Wände waren auf den ersten Blick nicht bearbeitet worden, verschüttet und von den untoten Kreaturen wieder frei gegraben worden? Doch wieso und woher wussten sie hiervon? Fragend sah Dwarosch die Landmeisterin an. „Sehen wir uns um?“ „Sicher.“ Richild schritt mit ihrer Blendlaterne die Wände ab, dankbar, dass dieses eine Mal ein aufrechtes Gehen möglich war. Mehrere Lachen ölig glänzender Flüssigkeit am Boden gaben Zeugnis davon, dass die Höhle vorher schon genutzt worden war. Ein paar gebrochene Federn und Fellstücke am Boden ebenfalls. In einer Nische, dem Eingang entgegengesetzt, auf Brusthöhe, erhaschten Dwaroschs scharfe Augen im Dämmerlicht ein Aufblitzen eines glatten, ebenmäßigen Gegenstandes. Ein menschlicher Schädel war es, dunkel, fast schwarz, auf dem mit einem scharfen Gegenstand Zeichen eingegraben waren, durch die der gelbliche Knochen schimmerte. Die leeren Augenhöhlen fixierten den Zwergen und schienen ihn zu verlachen – oder eher doch zu rufen, auf dass er seinen Wert beweise? Ein Prickeln lag mit einemmal in der Luft, wie ein Wintergewitter, das sich in einem Schneesturm ankündigt. Dwarosch bückte sich und zog den Gladius aus der Scheide am Stiefel. Das Metall fühlte sich gut an in der Hand, beruhigte ihn, auch wenn ihm tief im Inneren klar war, dass es gegen dunkle Magie kaum etwas ausrichten würde. Doch die korgeweihte Waffe hatte ihn in seinem langen Leben schon so manches Mal vor dem Tod bewahrt. Sie war mehr als eine Waffe. „Dort!“ Er hob den Arm und zeigte mit der Spitze des altertümlichen Kurzschwertes auf den Schädel. „Dies muss der Ursprung des Übels sein, das, wonach wir suchen.“ Langsam schritt der Oberst näher, verharrte dann aber dennoch in respektvollem Abstand und ließ den anderen den Vortritt. Die Golgariten hatten die Expertise was diese Art unheiligen Wirkens betraf. Risiken galt es zu vermeiden. „Dies erinnert mich an etwas! Die Heere der freien Reiche hatten sich vor der Trollpforte versammelt.“ Dwarosch hatte nicht alles von jener größten Schicksalsschlacht der nahen Vergangenheit vergessen. Der Herr des Vergessens hatte durch seine Geweihte nur jenes tief in seinem Geist weggesperrt, was seine Seele in die Verderbnis zu ziehen drohte. „Kurz bevor wir den Sturm auf den Todeswall begannen“, fuhr er fort, „flog der verfluchte, untote Kaiserdrache aus dem Gefolge des Dämonenmeisters tief über unsere Köpfe hinweg. Razzazor!“ Er spie diesen Namen mit so viel inbrünstigem, leidenschaftlichen Hass aus, wie es nur ein Anrgoschim vermochte. „Er versuchte uns einzuschüchtern und verhöhnte uns. Um seinen Hals trug er eine Art Kette mit einem Schädel daran. Es war als würde dies blasphemische Artefakt die Wirklichkeit durch seine bloße Existenz beleidigen.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht wie ich es anders ausdrücken soll.“ Richild kam, blickte über seine Schulter, nickte auf seine Worte, suchte gründlichst den Rest der Höhle ab, blieb ergebnislos und baute sich abermals vor dem Schädel auf. „Ich verstehe Euch.“ Was sie aber einer anderen Problematik aussetzte. „Vermutlich kann ich das Ding zerstören.“ Hoffte sie. Nicht so wie das andere Ding, das sie unwissentlich über Jahre gehütet hatte, bis sie erst durch seinen Diebstahl auf seine Existenz gestoßen war. „Doch es sagt mir nicht, wer es aufgestellt hat.“ Oder wann. Dwarosch nickte stumm und mit nachdenklicher Miene. Genau diese Problematik war ihm auch gerade bewusstgeworden. Doch seine Gedanken reichten noch weiter. „Warum will hier jemand Untote sammeln? Wer? Wofür?“ Keine gute Vorstellung. Sie strich sich über ihre Stoppelhaare. Das Ding sorgte für eine Gänsehaut in ihrem Nacken. „Mögt Ihr Ihre Gnaden Marbolieb holen?“ Nochmalig nickte der Oberst. Er wendete sich zu Ausgang und überbrückte eiligen Schrittes die wenigen Schritte. Dann jedoch hielt er inne und blickte sich noch einmal zu Richild um. „Stellt euch ebenfalls die Frage, ob es noch mehr solche Höhlen gibt und ob jemand versucht eine untote Streitmacht zu sammeln. Diese hier alleine ergibt einfach wenig Sinn, stellt keine wirkliche Bedrohung dar. Es sei denn uns entgeht etwas Bedeutendes.“ Er schmunzelte. „Auf jeden Fall ist es glückliche Fügung oder seltsame Vorhersehung, dass es ein Ordenshaus der Golgariten in diesem Landstrich gibt.“ Dann wandte er sich ab, griff mit einer Hand an den oberen Rand des Ganges, welcher nach draußen führte und steckte seinen Kopf hinein. „Marbolieb, wir brauchen dich hier drin“, rief er laut, hatte er doch nicht wirklich das Bedürfnis, sich einmal mehr als nötig durch den schmalen Schacht zu zwängen. Wenige Minuten später trat die Priesterin zu dem Oberst. Geistesabwesend rieb sie ihr Handgelenk, dessen Haut längst wieder glatt und narbenlos war. Sie betrachtete den Schädel mit ruhigen Augen, trat einen Schritt vor und legte schließlich die Fingerspitzen ihrer Rechten auf dessen Stirn. Dwarosch entging nicht, dass die Landmeisterin einen Schritt nach hinten tat und ihren Rabenschnabel unauffällig fester fasste und sich eine Position brachte, in der sie Spielraum nach nahezu allen Seiten besaß. Marboliebs Augen weiteten sich, und sie begann am gesamten Leib zu zittern. Mit einem Geräusch, das irgendwo zwischen Seufzen und Stöhnen lag, brach sie zusammen, umschlang ihre Knie mit den Armen und bebte am gesamten Körper. Der schwarze Schädel schien zu lachen und ganz kurz nur spiegelte sich der Widerschein der Laterne wie ein roter Funken ins seinen leeren Augenhöhlen. Unmittelbar nachdem die Geweihte zu Boden gegangen war trat der Oberst an sie heran und ging hinter ihr in die Knie. Er packte sie mit seinen kräftigen Händen bei den Schultern und richtete sie auf, so dass sie auf ihrem Hinterteil saß. Dwarosch ließ sie seine Hände wo sie waren und lehnte ihren Rücken gegen seine Brust. Marbolieb sollte Halt spüren, was immer sie gefühlt hatte. Mit seinem tiefen, beruhigenden Bass sprach er mit leiser Stimme zu ihr. „Du bist in Sicherheit. Sorge dich nicht, Marbolieb. Wir sind hier. Erkläre uns was du gespürt hast, was dieses Ding ist, wenn du es weißt. Wir müssen wissen ob wir es zerstören können, oder ob es uns noch weiter dienlich sein kann bei der Suche nach dem Urheber dieses Schreckens.“ Marbolieb versuchte, zu sprechen, doch ihre Zähne klapperten so heftig, dass sie keinen Ton herausbekam. Ihre Hände krallten sich an den Pranken Dwaroschs fest, doch zu mehr war sie nicht in der Lage, als die Krämpfe ihren Körper schüttelten. Die Landmeisterin blickte auf das ungleiche Paar, verbiss sich seinen Fluch und drosch mit einem stillen Stoßgebet ihren Kriegshammer auf das unheilige Artefakt. Die Abscheulichkeit zerbarst in tausend Scherben – und ein gellendes, ohrenbetäubendes Kreischen erscholl wie ein sich aufbrandende Welle in den Köpfen der Anwesenden. Marbolieb fuhr zusammen, als habe sie einen Hieb erhalten, und schrie schmerzerfüllt auf. Und dann war Stille. Dwarosch erschrak und brauchte einen kurzen Moment sich zu fangen, wich jedoch nicht von seiner Position, blieb bei Marbolieb und trachtete weiterhin danach, ihr Halt im Diesseits zu geben. „Anrgosch steh uns bei, ich hoffe damit endet der Spuk“, entfuhr es ihm leise, nachdem die Stille einige Augenblicke beruhigend auf ihn gewirkt hatte.

Stille. Kein Wind, der über den Fels strich. Feuchter Stein. Gewachsener Fels. Begraben tief unter der Erde. Ein Geruch nach Wasser, das zu lange keinen Wind mehr gefühlt, unter keiner Sonne mehr geglitzert hatte. Alt. Starr. Faulende Erde. Kein Licht – keine Dunkelheit. Schemen nur. Moderweiß. Nicht-Schwarz.

Lachen – aus allen Richtungen zugleich und doch hinter der jungen Priesterin. Eine Bewegung in ihren Augenwinkeln, als sie sich umwandte. Glitzern und Licht und das Schimmern von teurem Seidendamast, unbefleckt, in der Farbe eines frischen Pfirsichs. Eine junge Frau, schlank und biegsam wie ein Weidenzweig, in flachen Tanzschuhen, mit Edelsteinen bestickt, die tausende Funken versprühten, wann immer sie sich bewegte. Ein Tanzkleid, dessen weiter Saum im nicht vorhandenen Wind wehte. Ein junges, glattes Gesicht, das vielleicht zwei Dutzend Sommer gesehen hatte. Nicht mehr. Haut, so glatt und weich wie ein Pfirsich – und von demselben Leuchten. Hochgestecktes Haar von der Farbe von Ebenholz, in dem die eingewobenen Edelsteine und Perlen schimmerten. Und Augen – oh, was für Augen! Kalt und hart wie Schiefer, zerborsten an den Rändern, scharfe Risse, durch die der Nachtwind pfiff, ein wackeres Roß für die Geister, die es bestiegen, die Schläfer zu besuchen und Ihnen Träume zu bringen, die sie ihre Zähne zerbeißen ließen und ihr Herz stocken vor Furcht. „Du bist gekommen.“ Musik in ihrer Stimme, ein Orchester, in dem jedes Instrument sein eigenes Lied spielte. Und eine Hand – ringgeschmückt, glatt, jung – ausgestreckt zur Begrüßung. „Tanz mit mir!“

Marboliebs Körper bäumte sich auf, als habe sie ein Peitschenhieb getroffen. Ihre Fingerspitzen gruben sich in die Lederrüstung des Oberst, bis ihre Nägel mit unmenschlicher Kraft schmerzhaft in sein Fleisch stachen. Doch Dwarosch Gesicht zeigte keine Pein. Nein, vielmehr schien seine Besorgnis anzuwachsen. Dann erschlaffte der Körper der Geweihten jäh und sie brach wimmernd zusammen, ein Federgewicht nur in den Armen des muskelbepackten Zwergen. Ohne weiter zu zögern hob dieser die magere Geweihte in gehockter Haltung wie er sie zuvor gestützt hatte hoch, drückte sie sanft an sich und brachte sie an den äußersten Rand des der Höhle, dort wo vor ihr der Tunnel ins Freie lag. Hier bettete er sie vorsichtig ausgestreckt auf dem Boden. „Einer von euch hilft mir jetzt, sie hier herauszubringen!“ Richtete er das Wort an die drei Rabenritter, ohne sich ihnen zuzuwenden und war bereits dabei rückwärts in den Stollen zu steigen. Es kostete einiges an Arbeit und Mühen, die teilnahmslose Priesterin durch den engen Schacht ins Freie zu bugsieren. Nicht lange später folgten auch die restlichen Golgariten, welche die Bruchstücke des Schädels eingesammelt hatten. Marbolieb hatte sich an Dwarosch geklammert und zitterte. Sie setzte an, etwas zu sagen, brach mit klappernden Zähnen ab und begann von neuem. „Die Frau ... sie.“ Erneut brach sie ab, und in ihren Augen stand ein bloßer Hilfeschrei. Neugierig trat die Landmeisterin näher und setzte sich neben die Beiden – und wartete. „Eine Frau. In einem pfirsichfarbenen Tanzkleid.“ Mit deutlicher Irritation aufgrund der Worte der Geweihten sah Dwarosch zur Anführerin der Golgariten auf und suchte nach Erkenntnis in deren Zügen. Als er dessen jedoch nicht fündig wurde blickte er wieder zu Marbolieb hinab. “Beruhige dich. Du bist wieder unter freiem Himmel. Ruh dich aus und schlaf etwas. Wir werden über dich wachen.” „Nein!“ Fast ein Schrei. Die schlanken Hände der Priesterin gruben sich in Haut und Rüstung des Zwergen. „Sie ist es!“ Erneut schüttelte ein Schauder ihren Körper. „Sie hat mich gesehen! Sie weiß, dass wir hier sind.“ Vorsichtig streckte die Landmeisterin ihre Hand aus und legte sie auf die Schulter der Priesterin. „Schau mich an.“ Bestimmend waren ihre Worte – und sanfter, als Dwarosch sie der resoluten Frau zugetraut hätte. „Marbolieb. Schau mich an. Nur mich.“ Die Augen der Priesterin flackerten von Dwarosch zu der Golgaritin und wieder zurück, unstet und haltsuchend. „Hier bin ich.“ Sachte legte sie ihre Hand auf die Wange ihrer Glaubensschwester und dirigierte ihren Blick. „So ist gut. Hast Du sie gesehen?“ Marbolieb nickte, mit angstgeweiteten Augen. Sie biss sich auf die Unterlippe, bis Blutstropfen wie kleine, leuchtende Blumen unter ihren Zähnen wuchsen. „Wie sieht sie aus? Und was ist sie?“ Richilds Stimme blieb fest und vertrauenerweckend, und nur das Feuer, dass in den Augen der Golgaritin funkelte, erzählte, wie brennend sie die Antwort darauf interessierte. „Jung ... ein Mädchen. Eine junge Frau. Schlank. Weiße Haut, glatt und schön – schwarzes Haar. Ein pfirsichfarbenes Kleid wie zu einem Ball.“ Zähneklappern unterbrach Marboliebs Beschreibung. „Und Augen wie der Abgrund der Niederhöllen.“ Ihre Stimme brach und sie klammerte sich an den Zwergen wie an einem Rettungsanker, noch immer zitternd am ganzen Körper. Verzweifelt blickte sie Dwarosch an, darum flehend, aus diesem Alptraum endlich erwachen zu dürfen. Der Zwerg war nun, da er die Worte die der Geweihten gehört hatte, noch verwirrter als zuvor. Nichts von alledem ließ sich von ihm in einem sinnvollen Kontext fügen. Für den Moment konnte er nicht viel mehr tun, als für Marbolieb da zu sein und zu versuchen, sie zu beruhigen. Mit ernster Miene schaute er zu Richthild auf, während er den mageren Körper der Geweihten hin und her wog und ihren Kopf an seine breite Schulter drückte. „Ich habe noch grauen Mohn in meinem Medizintäschchen. Dies könnte sie eine Weile ruhigstellen. Ob sie in diesem Zustand jedoch von Angstzuständen in ihren Träumen verschont bleibt wisst ihr wohl besser als ich zu beurteilen.“ Dwarosch schnaubte verärgert, doch es war offenkundig das diese nicht gegen einen seiner Gefährten gerichtet war. Er hasste es nur so hilflos zu sein. Richild betrachtete die beiden und schüttelte schließlich den Kopf. „Ihr würdet Sie mit ihren Alpträumen einsperren. Sie wird sich wieder fangen.“ Hoffentlich – doch sie schaffte es, die Zweifel einigermaßen aus ihrer Stimme herauszuhalten. Es war die Calmirer Geweihte, die Richild aufgesucht hätte, wenn sie einen Patienten mit Alpträumen vor sich hatte. „Seht zu, ob sie noch etwas mehrzu sagen hat. Ich kümmere mich später um euch.“ Sie zog ihre schweren Handschuhe wieder an und beäugte das Schlachtfeld, über dem sich grün und schillernd die Fliegen sammelten. Jäh wandte sie sich wieder dem Zwergen zu. „Ihr solltet darauf achten, dass sie ein bißchen mehr auf die Rippen bekommt.“ Mit diesen Worten wandte sie sich endgültig ab, im Begriff, zu ihren Ordensschwestern zu gehen, die bereits damit begannen, die Leichen auf einen Haufen zu schichten und einen Scheiterhaufen zusammenzutragen. Die fetten Fliegen wurden frecher und umkreisten den Oberst und die Priesterin mit hohem, widerlichen Sirren. Marbolieb stöhnte und vergrub ihren Kopf an Dwaroschs Schulter, in dem vergeblichen Versuch, dem Ansturm der Aasfliegen zu entkommen. Dieser war tatsächlich für den Moment sprachlos. Er sollte darauf achten, dass Marbolieb mehr aß? Dwarosch schüttelte den Kopf, eine Geste die jedoch nur sich selbst galt und von Richthild selbst nicht mehr wahrgenommen wurde. Gab es in diesem Moment nichts Bedeutenderes? Aber andererseits, Golgariten mochten dies alles hier als ihr täglich Brot betrachten, in ihm weckte es, wenn auch keine Angst mehr, dann doch zumindest tiefsitzendes Unbehagen und mehr noch Groll. Kurz schloss Dwarosch die Augen, suchte die innere Dunkelheit, atmete er tief ein und aus und sammelte sich. Mit sanfter Stimme versuchte er im Folgenden zu Marbolieb durchzudringen. „Nehm dir alle Zeit die du brauchst. Ich werde hier sitzen und warten. Denn ob du es glaubst oder nicht, ich habe sehr, sehr viel Zeit.“ Ja, Humor vermochte es manchmal Menschen und auch Zwerge aus Angstzuständen zu befreien, konnte ein Weg sein zu Verängstigten vorzudringen. Marbolieb seufzte, nicht willens, die kostbare Geborgenheit an Dwaroschs Schulter aufzugeben. Langsam ließ ihr Zittern nach und ihr Atem ging gleichmäßiger. Die Golgariten hatten derweil unterhalb des Hanges einen Scheiterhaufen aufgeschichtet und die nun nicht mehr untoten Scheußlichkeiten darauf gepackt. Laut prasselnd und fauchend schlugen die Stichflammen aus dem zusammengeschichteten Nadelholz. „Mir ist so kalt.“ Das Flüstern der Geweihten war über das Rauschen des Feuers hinweg kaum zu vernehmen. Die Überreste der unheiligen Kreaturen brannten wie Zunder. Langsam und auf Vorsicht bedacht, schritt nun auch Dwarosch mit Marbolieb auf dem Arm herab. Zu ihrer beider Glück kannte der Oberst die Tücken des Gesteinsfeldes mittlerweile, so dass er ohne größere Schwierigkeiten unten ankam und sich mit seiner bibbernden Fracht in unmittelbare Nähe zum Feuer setzte. Die trockene Hitze, die ihnen entgegenschlug ließ Dwarosch kurz husten, doch nahm er indes erleichtert zur Kenntnis, dass Marbolieb sich noch weiter entspannte. So genoss er eine Weile die alles durchdringende Wärme, die Nähe zu seinem Schöpfer, bis wieder Leben in die Geweihte kam. Behutsam stützte der Zwerg den Kopf der Geweihten, als diese sich anschickte ihn anzusehen. Sofort führte er seine bereit gestellte Feldflasche an die Lippen, die Hitze musste sie durstig gemacht haben. Die Hitze des Sommernachmittags wärmte Dwaroschs Nacken und das gnadenlos knackende Feuer, über dem sich rasch dicke Wolken öligen, schwarzen Rauches bildeten, erhitzte sein Gesicht. Marbolieb trank mit großen Schlucken, hustete und trank erneut. Müde ließ sie ihren Kopf zurücksinken. „Niederhöllisch kalt.“ flüsterte sie. „Ich spüre es in Mark und Bein.“ Sie richtete ihren Blick auf das Gesicht des Zwergen und offenbarte tiefe, schwarze Augenringe. Ihre Hände schlossen sich fest um den Arm Dwaroschs. „Sie weiß von uns.“ „Wer ist die Frau, von der du sprichst? In welcher Verbindung steht sie zu den Untoten und dem Schädel, den wir zerstört haben?“ Fragte der Zwerg mit ruhiger, tiefer Stimme, als das Feuer seine Inbrunst verloren hatte und die Hitze die ihnen entgegenschlug nachließ. „Es ist ihr Schädel.“ Verwirrt versuchte sie den Kopf zu schütteln und zuckte schmerzerfüllt zusammen. „Sie hat ihn gemacht. Nicht nur ihn.“ Dwarosch konnte fühlen, wie das Zittern zurückkehrte in Marboliebs Körper. „Und sie trägt den Odem der Siebtsphärigen in sich.“ Fester wurde ihr Griff um seinen Arm. „Dies ist ihr Land, sagt sie. Sie ruft die Ihren.“ Ihre Zähne klapperten aufeinander und groß wurden ihre Augen, als sie sich hilfesuchend im Gesicht des Oberst festhielten. „Ich habe Angst.“ Nur ein Flüstern war ihre Stimme, kaum zu verstehen und nicht mehr als das Wispern des Nachtwindes in den Wipfeln der Föhren. „Ihr Schädel?“ Fragte der Zwerg irritiert, ja fast entrüstet. „Aber dann müsste sie doch längst tot sein? Wie kann sie dann diese Untotenscharen herbeirufen? Ist sie gar sowas wie ein Wiedergänger oder ein Geist, von SEINER Wiedersacherin in dieser Sphäre gehalten?“ Dwarosch schüttelte den Kopf, eine Geste die seinen Unglauben, mehr noch, seine Weigerung unterstrich, dem Glauben schenken zu wollen? Dann jedoch besann er sich auf Marboliebs Zustand und begann von neuem seinen Oberkörper zu wiegen, um die Geweihte zu beruhigen. Kurz warf er einen Seitenblick zu dem Golgariten, welcher mit aller Mühe und Not versuchte sich um Mirla zu kümmern, etwas, was bei dem sonst zu ernsten Rabenritter fast schon komisch anmutete. Dennoch nickte ihm der Oberst kurz dankend zu. Marbolieb war nicht in der Verfassung, sich um ihr Kind zu kümmern, noch nicht. „Sie ist hier – mit ihrem Körper. Mit ihrem Geist. Und sie ist erfüllt von der Widersacherin.“ Sichtlich schwer tat sie sich, auszudrücken, was sie nur ansatzweise gefühlt hatte. „Kein Widergänger – kein Geist. Hiergeblieben. Alt – und doch so jung.“ Ihre Hände umfassten den Arm des Zwergen mit erstaunlicher Kraft. „Durch sie fließt die Kraft der Widersacherin, sie ist ihr Anker hier, in dieser Gegend.“ Die Erinnerung jagte erneut einen Schauder durch ihren Körper und ihr Blick klammerte sich an den des Oberst, flehend, er möge verstehen, was sie nicht formulieren konnte. Mit immer noch unwilligem Blick lauschte Dwarosch den für ihn verworren klingenden Worten. Gern hätte er Marbolieb geglaubt, denn er vertraute ihr. Aber er war noch nicht gänzlich davon überzeugt, dass sie nicht in einem geistig verwirrten Zustand war, gefangen in tief innewohnenden Ängsten. Sie hatte einen visionsartigen Traum gehabt und Träume, Alpträume gehörten zu den Aspekten SEINER Widersacherin. „Wie kann ihr Körper hier sein, wenn wir ihren blanken Schädel zerschlagen haben?“ Er schüttelte den Kopf und dennoch blickte er gleich darauf zu den Golgariten auf. „Marbolieb ist davon überzeugt, dass uns weitere Gefahr droht. Lasst nicht nach in eurer Achtsamkeit und zieht einen Schutzkreis, um unser Lager, wenn ihr dies noch einmal vermögt.“ Seine Stimme war laut und energisch gewesen. Danach wandte er sich wieder an die Geweihte in seinen Armen. „Ich glaube dir, aber du musst es mir schon genauer erklären, damit ich die Zusammenhänge verstehe.“ Blanke Verzweiflung stand in den Augen der Geweihten. „Sie hat den Schädel geschaffen. Als Rufer. Er ist Teil ihrer Macht.“ Das ,verstehst Du mich?’“ klang als leiser Hilferuf mit in ihren Worten, gefolgt von einem ausgesprochenen „Ich bin nicht verwirrt.“ Die Landmeisterin derweil blickte das ungleiche Paar an, und begann, ohne ein weiteres Wort und in stoischer Ruhe einen weiteren Schutzkreis um die Gruppe zu legen. Dwaroschs Pupillen ruckten hin und her, während sich seine Miene aufklarte und er bedächtig nickte. „Gut, nun beginne ich zu begreifen! Du sprachst davon das der Schädel ein ‚Rufer‘ ist, ‚Teil‘ ihrer Macht. Gibt es also noch mehr solcher Verstecke, hast du auch das gesehen? Und du meinst sie hat durch unser Handeln Kenntnis von uns genommen und wird versuchen uns anzugreifen?“ Marbolieb sah ihn an. „Sie hat mir nicht gesagt, ob sie noch weitere Scheußlichkeiten gemacht hat.“ Sie schluckte. „Sie hat mich gesehen und mit mir gesprochen. Sie weiß, wo wir sind.“ Die schlanke Priesterin zitterte. „Es ist, als berühre mich die Kälte der Niederhöllen.“ Einen Augenblick lang sprach blankes Grauen aus ihrem Blick, ehe sie die Kontrolle über sich zurückgewann und einige Male sehr bedacht und langsam ein- und ausamtete. Dwarosch konnte spüren, welche Kraft sie dieser Akt der Selbstbeherrschung kostete. Die Boroni schüttelte den Kopf und versuchte ein halbherziges Lächeln. „Es geht wieder.“ Dennoch machte sie keine Anstalten, sich aus seinen Griff zu lösen. Auf Marboliebs Haut hatten sich die feinen Härchen aufgestellt und kündeten von einer Kälte, die der Sommertag nicht lindern konnte. Dwarosch erkannte die Anstrengungen der Geweihten, ihre Atmung zu beruhigen und drückte ihre Hand im selbst auferlegtem Rhythmus, zwang sich zusätzlich zu einer tiefen Atmung, die seinen massiven Brustkorb für sie spürbar hob und wieder absenkte, um sie zu unterstützen. Erst als er merkte, dass ihre Bestrebungen soweit Früchte getragen hatten, dass sie auch ihren Körper zumindest ein Stück weit entspannt hatte, hakte er weiterhin mit ruhiger, aber eindringlicher Stimme weiter nach. „Was hat sie genau gesagt?“ Deutlich spürte er das Zittern, das die Erinnerung wieder in ihr hervorrief. Sie schwieg einige tiefe, konzentrierte Atemzüge lang. „Sie hat mich begrüßt. Gesagt, ich habe sie gefunden. Und mir befohlen, zu bleiben.“ Fast unnatürlich ruhig war ihre Stimme und verbarg, dass das Vergnügen dieser Vereinigung einseitig war und blieb. Dwaroschs Augen verengten sich und zuckten ein Stück weiter zusammen. „Sie hat es dir befohlen. Wie meinst du das? Zwang sie dich unter ihr geistiges Joch, unter ihren Willen, oder hat sie es lediglich vergeblich versucht?“ Noch bevor Marbolieb zu einer Antwort ansetzen konnte stellte der Angroschim eine weitere Frage. „Nannte sie dir ihren Namen, sprach sie in einem bestimmten Akzent, oder gibt es so etwas nicht auf dieser… Ebene?“ Ein angedeutetes Kopfschütteln antwortete auf die letzte Frage Dwaroschs. „Sie zeigte sich als Frau mit einem pfirsichfarbenen Tanzkleid. Für sie bedeutsam. Namen ... sind Schall und Rauch.“ Dunkel und ruhig waren ihre Augen, als sie den Blick ihres Freundes suchte. „Wenn sie das getan hätte, würde ich es Dir nicht erzählen ... können. Sie hat es versucht.“ Einige Atemzüge lang schwieg sie, überlegte und ließ schließlich zu, dass Vertrauen siegte. „Ganz ausschließen konnte ich sie nicht. Sie war zu stark.“ Der Zwerg atmete hörbar aus und machte eine fast schon resignierende Miene. Für Dwarosch war es, als müsse er Marbolieb alles aus der Nase ziehen und dass die Antworten von Mal zu Mal nicht klarer, sondern seltsamer wurden. „Heißt das, weil du sie nicht ganz ausschließen konntest weiß sie wo wir sind, hat sie in dich und durch dich gesehen?“ Er schüttelte den Kopf. „Und ich dachte Namen können unter Umständen von großer Bedeutung sein. Zumindest wurde mir das einmal so erklärt. Was hat jetzt wiederum die Farbe und die Art ihres Aufzugs mit ihr, der Person an sich zu tun?“ „Nicht ein Name, den sie mir selbst sagt.“ Widersprach die Geweihte. „Wichtiger ist, wie sie sich darstellt. Sie will damit irgend etwas ausdrücken. Was, weiß ich allerdings nicht.“ Sie hielt inne, überlegte einige Atemzüge lang und fügte dann hinzu. „Noch nicht.“ Wesentlich diffiziler war der erste Teil seiner Frage. Marbolieb schloss die Augen und arbeitete an einer Formulierung, die alles umfasste – die Geschehnisse einerseits und Eindeutigkeit andererseits. Und scheiterte. „Sie hat uns bemerkt, als wir in die Nähe ihres Schädels kamen. Durch den Kontakt – als ich ihn anfasste - weiß sie, wer ich bin – und wo ich bin. Und ich bin mir sicher, dass ich noch mehrmals von ihr träumen werde, es wird Zeit benötigen, bis ich sie ganz ausschließen kann.“ Wenn sie das schaffen würde. Aber davon ging sie aus – mit großer Gewissheit. Weiterhin zweifelnd was er aus Marboliebs Worten schließen sollte sann Dwarosch darüber nach. Es entstand eine Zeit der Ruhe, in der der Oberst seinen Blick über das das Feuer, das entstehende Lager und den inzwischen fertigen Schutzkreis schweifen ließ. Dann, nach einer ganzen Weile fragte er wie beiläufig: „Wo wachsen diese Pfirsiche eigentlich? Ich habe sie schon gegessen, ich meine das war in Khunchom vor vielen Jahren. Doch weiß ich gesichert nur, dass sie aus dem Süden stammen. Und wo trägt man solche Mode zu der du das Tanzkleid zählen würdest? Auch solch bunte Farben würde ich am ehesten mit der Stadt an der Mhanadimündung verbinden. Die Tulamiden haben eine Schwäche für strahlende Farben.“ Marbolieb schloss die Augen und überlegte einige Atemzüge lang. „Ich glaube nicht, dass sie von dort stammt. Sie sah aus wie eine Mittelreicherin – mit einem Kleid, dass sie auch in einer der großen Städte zu einem Ball tragen könnte.“ Nicht, dass sie je auf einem Ball gewesen war – eine Frage, die sich recht schnell auch im Blick ihres Begleiters spiegelte. „Ich habe schon einige Ballkleider ausgezogen.“ fügte sie zur Erklärung hinzu. Auch nicht ausreichend, wie sich schnell herausstellte. Sie holte tief Luft. „Dreimal Gift. Und einmal ein Dolchstich.“ Entgeistert blickte Dwarosch Marbolieb an. „Was soll das jetzt wieder bedeuten?“ Nun wurde dem Angroschim doch mulmig zu Mute und er fühlte sich zu einer Reaktion genötigt. Er vermied es der Geweihten weiter in die Augen zu sehen. War das noch Marbolieb, oder steckte in ihrem Kopf zumindest ein Teil jenes, dunklen Geschöpfes, welches Urheber des vermeintlich überwundenen Schreckens war? „Verzeih mir, es dient nur der Sicherheit von uns allen.“ sagte Dwarosch und ergriff Marboliebs Unterarme mit eisernem Griff. Dann sah er rasch auf und rief die Anführerin der Golgariten an. „Kommt her!“ Die Priesterin, die bis gerade noch geborgen und sicher in der Umarmung des Zwergen gesessen hatte, zuckte erschrocken zusammen. Blankes Unverständnis stand in ihren Augen, als sie sich ohne Gegenwehr festhalten lies. „Was ist? Du tust mir weh.“ Nahezu zeitgleich materialiserte die Landmeisterin mit einem ihrer Ordensritter neben dem Oberst. Ihre Körperhaltung sprach von wacher Aufmerksamkeit, aber keiner gesteigerten Alarmbereitschaft. Mit ruhiger Stimme erklärte sich der Oberst und tat dies in einer Lautstärke, so dass auch die Golgariten es vernehmen konnten: „Sag mir was ‚Dreimal Gift. Und einmal ein Dolchstich‘“, bedeutet? Marbolieb schloss die Augen und konzentrierte sich einige Atemzüge lang auf eben diese. „Todesursachen. Eine Messerstecherei. Und dreimal wurden Tanzteilnehmerinnen vergiftet. Ich habe sie für das Begräbnis vorbereitet.“ Sie öffnete die Augen und betrachtet den Zwergen mit ruhigem Blick. „Was dachtest Du?“ Dwaroschs Kopf sackte herunter bis sein Kinn die Brust berührte. Der Oberst schloss die Augen und atmete tief aus, entspannte sich merklich. Es war offensichtlich, dass eine große Anspannung von ihm wich. Sein vormals so starker Griff war in diesem Moment kaum noch spürbar für Marbolieb. „Es war mein Fehler, der mich dazu verleiteten ließ, lieber auf Nummer sicher gehen zu wollen.“ Dwarosch schüttelte den Kopf über sich selbst. „Die Angst nahm mir die Möglichkeit, deine Worte in einen sinnvollen Kontext zu setzen und ich hielt es für möglich, dass jemand anderes durch dich spricht. Ich habe schon mehrmals in meinem Leben gegen beherrschte Kameraden kämpfen müssen, die in unseren Reihen standen und sich plötzlich gegen uns wandten.“ Dwarosch sah auf und blickte Marbolieb direkt in die Augen. „Und wenn du mich auch von den schwärzesten Stunden auf der Ogermauer befreit hast, so ist da immer noch viel Schreckliches, wessen ich Ansichtig wurde und ihren Ursprung in IHR, SEINER Widersacherin hatte.“ „Es ist nie ein Fehler, vorsichtig zu sein, Dwarosch.“ Die Geweihte zog vorsichtig ihre Hände aus dem Griff des Zwergen und massierte ihre Handgelenke. Die Fingerabdrücke des Kriegers zeigten sich in einem ärgerlichen Rot auf ihrer Haut. Sanft legte sie ihm eine Hand auf die Schläfe. „Und Du kannst nicht wissen, wer aus mir spricht.“ Einen Moment lang waren ihre Augen dunkel und spiegelten nichts, wie ein Meer ohne Grund. Sie nickte der Golgaritin zu, zum Zeichen, dass sie hier nicht mehr gebraucht würde. „Ich wusste nicht, dass Dich diese Erlebnisse noch so schmerzen. Soll ich Dir helfen?“ “Nein”, kam es etwas zu energisch zur Antwort. Bedeutend ruhiger, als habe er seinen Fehler im Tonfall der Geweihten gegenüber erkannt, fuhr Dwarosch fort, nachdem er ein weiteres Mal durchgeatmet hatte. “Der göttliche Rabe hat mir durch dich den Lebenswillen zurückgegeben, Marbolieb. Mehr ist seiner Aufmerksamkeit nicht würdig. Angst ist Teil einer jeden, sterblichen Existenz. Sie ist eines der grundlegenden Dinge, das uns zeigt, dass wir lebendig sind. Schmerz und Leid gehören ebenfalls dazu, ebenso wie Freude und wohl auch Liebe. Ich bin wahrlich kein Philosoph, aber diese Erkenntnis kommt einem, wenn man älter wird.“ Er schmunzelte. „Die Erlebnisse der Dämonenschlacht sind ein Teil von mir. Und so sehr ich mir auch wünschte, niemand hätte dort kämpfen, niemand dort sterben, ich den Schrecken niemals hätte ansichtig werden müssen - so stolz bin ich, dass ich dort war, gefochten habe und das wir am Ende über die Dämonenknechte obsiegten.“ Versonnen nickte die Geweihte. „Dies ist allein Deine Entscheidung.“ Einige Atemzüge lang forschte sie im Blick ihres Freundes, ehe sie hinzusetzte. „Und sie ist wohlgeraten.“ Langsam rappelte sie sich auf, ihre Glieder bleischwer. Heller Staub zeichnete Muster in ihre Robe und färbte sie grau. Sie schüttelte den Kopf und suchte den Graumantel im Gefolge der Golgariten, der sich noch immer mit der nörgelnden Mirla mühte – mittlerweile hatten die beiden ein Vorgehen gefunden, mit dem sie beide einigermaßen auskamen und das einen zunehmen verzweifelter seine Kreise wandernden Waffenknecht beinhaltete. Die beiden würden noch eine Weile aushalten. Der hell brennende Scheiterhaufen hatte nur wenig an Höhe und Hitze verloren und verzehrte knisternd und zischend sein grausiges Futter. Wie ein Fanal stieg in der stillen Luft eine schwarze, ölige Rauchsäule empor, weithin auf den Platz des Feuers weisend. ‚Ich fürchte Dich nicht’ log dieses Zeichen. Auch der Oberst erhob sich nun. Stumm trat er an die Seite der Geweihten und legte den Kopf in den Nacken, um in den Himmel zu blicken. „Wie der Leuchtturm von Havena.“ Dwarosch schmunzelte. „Meinst du sie wird hierherkommen und die direkte Konfrontation suchen, vielleicht wenn das Praiosmal untergegangen ist? Wenn sie jähzornig ist, wird sie diese Herausforderung kaum ausschlagen können.“ „Sie ist alt. Jähzornig wäre sie es schwerlich geworden.“ Hoffte Marbolieb. Es ließ sich kaum vorhersagen, was die Unselige tun würde – und was nicht. Sie sah ihre Begleiter an und wandte sich schließlich an Dwarosch. „Was würdest Du nun tun?“

"Ich an ihrer Stelle würde meine Figuren ruhig in Position bringen. Sie wird für diesen Fall vorgesorgt haben." Er nickte nachdenklich. "Dahingegen teile ich deine Einschätzung, sie wird nicht tollwütig losschlagen, oh nein. Doch wie ihr kommender Zug aussehen wird kann ich nicht vorhersehen, dazu weiß ich zu wenig von ihr." Dwarosch seufzte schwer und es war klar, dass ihm dieser Umstand nicht gefiel. Er wusste gerne, wer sein Gegenspieler war. "Wir mögen ein Scharmützel gewonnen haben, doch noch keine Schlacht oder gar den Krieg”, suchte der Oberst einen Vergleich. “Die Kunde muss sich verbreiten, der Baron muss hiervon erfahren. Davon hängt zunächst alles ab. Er hat die Mittel und den Einfluss, um die notwendigen Schritte zu ergreifen. Der Orden der Golgariten wird Kräfte sammeln müssen, um für alles gewappnet zu sein. Dieser Frevel darf nicht ungesühnt bleiben!” Entschlossenheit sprach aus Dwarosch. “Ich werde mit dem Rogmarog sprechen und ihn bitten unterstützend agieren zu können. Rabenstein ist, wenn notwenig, Terrain der Gebirgsjäger.” Der Zwerg riss sich vom Anblick des Feuers los und sah Marbolieb an. “Wir suchen uns einen taktisch günstigen, leicht zu verteidigenden Platz für die Nacht wie auf dem ersten Weg hierher. Wir überstehen die Nacht und brechen mit den ersten Strahlen des neuen Tages auf gen Burg Rabenstein.” Soviel zum Plan. Die Miene Marboliebs drückte grundlegende Zweifel aus, als sie auf die Worte des Zwerges nickte. Schweigend und mit müden Bewegungen begann sie, ihre Habseligkeiten, die meistenteils aus Mirlas Bedürfnissen bestanden, zusammenzupacken, um baldmöglichst mit der Gruppe aufzubrechen zu können. Der Zwerg erkannte ihre Regung, immerhin kannten die beiden sich inzwischen gut, hatten vieles gemeinsam erlebt und auch durchgestanden. Dwaroch lächelte, ja grinste fast. Und so blieb er stehen, während sie in emsige Betriebsamkeit verfallen wollte. „Wenn du etwas vorzubringen hast, Marbolieb, so tue dies bitte. Wir wollen doch nicht damit anfangen, dem anderen etwas zu verschweigen. Außerdem habe nicht ich hier das sagen, sondern die Ordenshauptfrau.“ Er nickte in Richtung der Golgaritin. „Sie wird sagen was zu tun ist, ich kann lediglich einen Vorschlag machen, denn es steht mir nicht zu, ihre Autorität in Frage zu stellen.“ Marbolieb lief fast auf die breite Brust des Zwergen auf, als dieser so urplötzlich vor ihr stehenblieb. Die Verwunderung über dieses Manöver in ihrem Blick löste sich bei seinen ersten Worten und wich einem kleinen Lächeln voller Müdigkeit. Sie blickte Dwarosch lange in die Augen, fragend, suchend eher, ehe sie doch noch zu einer Antwort ansetzte. „Warten wir die Nacht ab.“ Dwarosch nickte und ging dann zu den Golgariten, um mit ihnen zu klären, wie nun vorzugehen sei. Da Richild aber ähnlich wie der Oberst geplant hatte, machte man sich alsbald und ohne Diskussion auf den Weg. Nicht jedoch bevor man das ausgebrannte Feuer mit lockerer Erde bedeckt hatte.

Zeit zu Träumen

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Nur zwei Wegstunden Richtung Calmir fand man dann einen geeigneten Rastplatz, um dort die Nacht zu verbringen. Eine mehrere dutzend Schritt in der breite aufragende Granitwand, wie man sie recht häufig in diesem Teil des Hochgebirges fand, sollte ihnen ausreichend Schutz gewähren, so befand man einstimmig. Hier, knapp unterhalb der Waldgrenze standen die Lärchen, Tannen und Kiefern nur noch spärlich und so konnte man einen Ort erwählen, von dem man aus einen guten Überblick über die nahe Umgebung hatte, welcher aber von weiter unterhalb dieser Position dennoch durch die dichter werdende Vegetation nicht zu einzusehen war. Dwarosch sammelte Holz und baute einen kleinen Windfang, entzündete ein kleines Feuer und ebnete die Erde für die Nachtlager ein, während die Golgariten mit Marboliebs Hilfe erneut einen Schutzkreis zogen. Langsam sank das Praiosmal hinter die Bergkämme und das Licht wurde zu einem tiefen, satten Blau, während die Gipfel der Sona Milai und des Ryadad rot aufleuchteten. Leichter Wind kam auf und flüsterte durch die Äste der Nadelbäume. Die Geräusche des Tages wurden weniger und änderten sich mit der hereinbrechenden Dämmerung – ein brüchiger Friede, der schließlich vom hungrigen Heulen der kleinen Mirla durchbrochen wurde, die energisch ihr Abendessen einforderte – und sich auch nicht davon abhalten ließ, den einen oder anderen Bissen aus dem Proviant der Erwachsenen zu stibitzen. Marbolieb genoss den Moment, in dem die Gruppe, gesättigt und für die Nacht eingerichtet, nach dem gemeinsamen Abendgebet zur Ruhe fand. Sie lehnte den Rücken gegen die von der Sonne aufgeheizte Felswand und betrachtete das funkenstiebende Feuer, neben dem, dank der Mühen der Krieger, genug Holz lag, um es für die Nacht am Brennen zu halten. Sie fühlte, wie eine bleierne Müdigkeit von ihren Gliedern Besitz ergriff, ein Ruf zur Ruhe, wie er deutlicher kaum sein konnte. Sie umschlang ihre Knie mit den Armen, ließ sich von dem Stein in ihrem Rücken wärmen und wandte sich an den wuchtigen Angroscho neben ihr. „Wann habe ich Wache?“ Dwarosch blickte kurz zu Richhild und vergewisserte sich, dass sie ihm Aufmerksamkeit schenkte, bevor er ihr anstelle Marboliebs antwortete. „Wenn ihr nichts einzuwenden habt, würde ich mit ihrer Gnaden die Hundswache übernehmen. Unsere Zahl lässt eine Doppelwache zu. Dies sollten wir wahrnehmen, zur Sicherheit.“ Damit würde Marbolieb und selbstredend auch ihm selbst eine längere, ununterbrochene Schlafphase beschieden sein, vorausgesetzt die Nacht blieb wie erhofft ruhig. Für den Oberst war dies der logischste Ansatz, immerhin waren die Geweihte und er schon bedeutend länger in dieser Sache unterwegs als die Golgariten. „Wollt Ihr sie wirklich wachen lassen?“ Die Landmeisterin fuhr sich mit einer knappen Geste über ihre stoppelkurzen Haare und betrachtete erst den Zwerg, dann ihre Schwester im Glauben. „Ich halte es für klüger, wenn ihr die Nacht durchschlaft, Marbolieb. Es hilft uns nichts, wenn ihr unterwegs zusammenbrecht.“ Sie warf einen Blick auf ihre Gruppe. „Amalvin kann Euch Gesellschaft leisten. Die Hundswache könnt Ihr haben.“ Marbolieb senkte ihren Blick angesichts dieser harschen Worte, und schob ihre Arme tief in die Ärmel ihrer Robe, die mittlerweile in Teilen eine fast staubgraue Farbe angenommen hatte. Innerlich seufzte Dwarosch. Hatte sie recht? Mutete er Marbolieb zu viel zu? Er wusste es nicht, war jedoch davon ausgegangen. dass die Geweihte durch den harten Alltag einer Klerikerin in einem abgeschiedenen Tempel an wenig Schlaf gewöhnt war. Schließlich musste sie alle Messen alleine vorbereiten und durchführen. Und daran, dass sie auch nur eine ausließ, glaubte Dwarosch indes nicht. Dennoch nickte der Oberst nur und fügte sich dem Willen Richhilds, wobei er Marboliebs betrübten Gesichtsausdruck durchaus wahrnahm. Einige Zeit später, Marbolieb und er hatten sich nur wenige Handbreit voneinander entfernt, mit Mirla in ihrer Mitte, unweit des Feuers zur Ruhe gelegt, kam der Zwerg noch einmal im leisen Ton auf das zurückliegende Gespräch mit der Golgaritin zurück. „Sie ist eine gute Frau und eine Anführerin, der das Wohl ihrer Untergebenen am Herzen liegt. Gräme dich also nicht ihrer Worte. Es war mein Fehler. Ich hätte nicht für dich sprechen dürfen.“ „Du verstehst von Kriegsführung mehr als ich.“ Marbolieb ergriff die Hand des Oberst und drückte sie. Einige Atemzüge lang waren das Knistern des Feuers, das Zirpen der Grillen und die Rufe einiger Nachtvögel die einzigen Geräusche. Dennoch. Ihre Stimme überstieg das Flüstern des Nachtwindes nur um einen Hauch. „Ich hätte gerne mit dir gewacht.“ Der Oberst nickte wissend und lächelte. Ihre Freundschaft basierte auf gegenseitigem Verständnis, nicht auf vielen Worten. Er hatte es geahnt, weil er es selbst auch gern getan hätte. Mit einem zufriedenen Seufzer legte Dwarosch den Kopf auf der aufgerollten Decke ab, welche Teil seines Nachtlagers war und schloss die Augen. Er hoffte inständig, dass die Nacht ihnen keine unliebsamen Besucher bescheren würde. „Möge Bishdariel dir angenehme Träume bescheren.“ „Dir desgleichen, Dwarosch. Möge der Unergründliche deinen Schlaf segnen.“ Die Priesterin schloss die Augen und und begab sich in die Arme ihres Herrn, erschöpft von den Anstrengungen des Tages und seinen Erlebnissen. Bald kündeten nur noch ihre regelmäßigen Atemzüge davon, wie rasch sie in das Reich des Schlafes geglitten war. Dwarosch indes hoffte auf einen ruhigen, traumlosen Schlaf, so wie es bei allen Angroschim war.

Die Hundswache, zwischen der mittnächtlichen Praios- und der morgendlichen Travienstunde, war die dunkelste und gefährlichste Zeit der Nacht. Die Menschen lagen in unruhigem Schlaf, als die Vorgängerwache, zwei der geweihten Golgariten, den Oberst und den Graumantel Amalvin weckte. Es war ruhig geblieben, so fielen beim Wachwechsel keine weiteren Worte. Der Graumantel, ein Mann in den Vierzigern mit kahlgeschorenem Haupt, nickte dem Oberst zu und begann einen Gang innerhalb des knapp bemessenen Schutzkreises. Es war still, kein Tier war zur hören, und nur der Wind wisperte in den Nadeln der dunklen Bäume. Die Kälte der Nacht hatte die letzte Wärme aus den Felsen gesaugt und es war empfindlich kühl. Kalt und weit entfernt funkelten Phexens Diamanten am Firmament und der Himmel war schwarz und fern, ohne auch nur von einer Wolke bedeckt zu werden. Amalvin legte neues Holz nach, das mit einer Fontäne aus Funken von den Flammen ergriffen wurde, ihnen neue Nahrung für die nächsten Stunden. Er schritt an den Reihen der Schläfer entlang und blieb schließlich vor Marbolieb stehen, die sich unruhg im Schlaf hin und herwälzte. Der Graumantel beugte sich über die Priesterin und erhob sich zwei Lidschläge später von der still daliegenden Gestalt. Er wischte einen länglichen Gegenstand an seiner Robe ab und steckte diesen in seinen Gürtel, ehe er weiterschritt zu dem nächsten Schläfer. Dwarosch spürte, wie ihn etwas an seinem Stiefel zupfte. Nachdrücklich. Er blickte in Mirlas Gesichtchen, die zu seinen Füßen kauerte und ihn mit großen, fragenden Augen anblickte, ein Fäustchen in ihrem Mund vergraben. Dwarosch, der gerade eine kleine Pause von der Wache eingelegt, sich hingelegt und eine starke Kräutermischung geraucht hatte, war schlagartig hellwach. Hatte er das wirklich gesehen? Bedeutete es das, was er befürchtete? Sein Magen krampfte und ließ ihn unweigerlich handeln. Die Hand des Zwergen ging ohne ein Geräusch zu verursachen zu einem der beiden bereitgelegten Wurfbeile, welche normalerweise in einem Holster über seinem Gesäß befestigt waren. Auf derart kurze Distanz wie im Lager würde die aus flachem Vollmetall gefertigte Waffe tödlich sein, wenn er platziert traf. An Wucht fehlte es seinen Würfen jedenfalls nie. Mit einem Ruck setzte sich der Oberst auf. Er fixierte Amalvin, der ihn abgelöst hatte und nun seinerseits durch das Lager schritt, verfolgte jede seiner Bewegungen argwöhnisch. Währenddessen griff Dwarosch mit der Linken blind zu Marbolieb herüber und versuchte sie wach zu ruckeln, die aufsteigende Panik, sie könnte gemeuchelt worden sein, niederringend. Amalvin setzte seinen Weg fort und blieb vor dem nächsten Gefährten stehen, der sich in unruhigen Träumen wand. Dwaroschs tastende Linke fand Feuchtigkeit, die seine Finger bedeckte und dunkel färbte. Der stille Leib der Priesterin lieb regungslos. Mirlas Händchen hakten in seinen Stiefelschaft ein. Große, weit offene Augen musterten ihn aus dem runden Kindergesichtchen, ein heller Fleck in der Finsternis der Sommernacht. Mit eiskalter, beherrschter Stimme, der Unruhe in sich trotzend, sprach der Oberst den Graumantel an. „Bleib dort wo du bist und ich rate dir, mach keine hektischen Bewegungen.“ Er ließ das blank polierte Metall in seiner Rechten einmal im Schein des Lagerfeuers aufblitzen. Dabei führte er die feuchte Hand vor die Nase und roch daran. Ein nur allzu bekannter metallischer Geruch stieg in Dwaroschs Nase, den er von viel zu vielen Scharmützeln und Schlachten kannte und der, zusammen mit der Wärme der Flüssigkeit, verriet, dass sich seine Finger soeben blutrot gefärbt hatten. Ein einzelner Tropfen löste sich, rann über seine Handfläche und erreichte sein Handgelenk. Mit langsamen, beherrschten Bewegungen ließ sich die kräftige Gestalt des Kriegers auf die Knie nieder und hob eine waffenlose Hand – während in seiner zweiten irgendetwas metallisch aufblitzte. Die Wangenknochen des Zwergen mahlten vor Zorn. Er nahm Maß und zielte auf den Kopf des Graumantels. Es waren keine vier Schritt Entfernung, ein leichter Wurf. „Stopp oder Ihr seid des Todes“, brüllte der Oberst so laut, dass es alle aus ihrem Schlaf riss. Eine letzte Warnung, die die Absicht des Golgariten enthüllen musste. Mit einem höhnischen Auflachen sauste die Klinge des Graumantels nieder. Der Mensch unter ihm zuckte einmal zusammen und lag dann still. „Nein!“ Entsetzt schrie der Zwerg und warf sich dann mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft nach vorn, katapultierte die Axt in Richtung des Meuchlers in den eigenen Reihen. Ein grässliches, lautes Knacken ertönte und verriet, dass die Schneide der Wurfaxt nicht nur den Kopf getroffen, sondern wie vorhergesagt den Schädel durchbrochen hatte. Sofort stürzte Dwarosch weiter, riss den Lindwurmschläger aus dem Metallring am breiten Gürtel, doch die Gestalt des Graumantels fiel augenblicklich in sich zusammen und lag längelang auf dem Boden, noch bevor der Oberst die kurze Distanz überwunden hatte. Er war tot. Mit immer noch kochender Wut und vor Anspannung zitternden Muskeln stellte sich Dwarosch über den Gegner und hieb ihm die Hand mit dem Messer, das gewaltsam das Leben der Gefährten genommen hatte, ab. Erst danach sah er auf und rannte zurück zu Marbolieb, fiel vor ihr auf die Knie und tastete hektisch, mit tränenerfüllten Augen nach der Wunde und nach einem Lebenszeichen. Seine tastenden Finger fanden einen Einstich am Halsansatz, durch den frei und ungehindert ein steter Blutstrom rann, der ihre Robe längst durchtränkt hatte. Vor ihren Lippen stand blutiger Schaum. Unter seinen Fingerspitzen fühlte er ein verzagtes, unregelmäßiges Pochen ihres Herzens, mit einer Geschwindigkeit, als wolle ein kleiner Vogel seine Flügel ausbreiten und davonflattern, der Sonne entgegen. Ihr Lider flatterten und die Finger ihrer Rechten zuckten, als seien sie auf der Suche. „Bleib bei mir!“ Dwarosch Stimme klang immer noch laut, rau und verzweifelt. Jeder der anderen wusste, dass es um Leben und Tod ging. Dennoch beherrschte der Zwerg sich von dem Moment an, da er einen Funken Hoffnung unter seiner schwieligen Hand erfühlt hatte und verlor keine weitere Zeit. Solche Situationen kannte er nur zu gut. Trotzdem richtete er das Wort an den Götterböten, während er sein Werk verrichtete. „Oh Golgari, göttlicher Sendbote, zieh an ihr vorbei. Sie wird hier noch gebracht.“ Der Oberst drückte die Wunde an Marboliebs Hals ab und angelte gleichzeitig mit der anderen Hand das kleine, gut gepolsterte Kästchen aus seinem Rucksack, in dem er zerbrechliche Gefäße, Verbände und allerlei getrocknete Kräuter aufbewahrte. Mit einer schier übermenschlichen Anstrengung öffnete Marbolieb die Augen und suchte nach dem Blick des Zwergen. Dunkel und warm rann ihr Blut über Dwaroschs Hände und floss von seinem Handgelenk zu Boden, ein steher, lebensvoller Strom, der mit jedem stockenden, mühevollen Atemzug der Frau geringer wurde. Vor Marboliebs Nase und Mund stand roter Schaum und ihren Augen klammerten sich an Dwaroschs Gesicht. Das rasende Pochen ihres Herzens stolperte, fiel, rappelte sich einmal auf und versuchte es erneut, dennoch seinen Abschied nehmend von seiner Mühsal und Pflicht. Dwarosch entnahm seinem Rucksack sauberes Tuch und tränkte es in einer klaren Flüssigkeit, welche sich in einem kleinen, irdenen Tiegelchen befand, das er zuvor mit den Zähnen entkorkt hatte. In einer schnellen, fließenden Bewegung tauschte er die Hände auf der Wunde aus, so dass er diese nun mit der heilenden Flüssigkeit und dem Tuch abdrückte. Dann flößte er der Geweihten den Rest der bitteren Substanz ein. Der Heiltrank rann zu beiden Seiten über das Kinn der Priesterin, als habe er Wasser verschüttet. Zu Schlucken vermochte sie nicht mehr. Ihre Finger fanden einen Saum seiner Kleidung und schlossen sich mit einem letzten Aufbäumen um den bloßen Stoff. Marboliebs Pupillen weiteten sich und ihr Blick wurde starr. Stille legte sich wie ein Leichentuch über die Gruppe. Drei weiße, schweigende Gestalten, Schemen in der Nacht, waren die Ordenskrieger, die sich um beide versammelten. Der Kopf des Zwergen fiel schwer auf seine Brust und seine Schultern begannen stumm zu beben. Doch die Selbstbeherrschung währte nur kurz, dann, als die Erkenntnis seinen so arg gebeutelten Verstand gänzlich erreicht hatte, begann er zu weinen. Dwarosch nahm Marboliebs Hand mit der Rechten und schloss ohne hinzusehen ihre Augenlider mit der anderen, ihr Gesicht dabei zärtlich streichelnd. Er schämte sich nicht seiner Gefühle. Sie war mehr für ihn gewesen als eine vertraute Person, wenn sie auch beide nie gewagt hatten, dieses mehr zu benennen. Kühl strich der Nachtwind über Dwaroschs Gesicht und versuchte sich daran, seine Tränen zu trocknen. Sein leises Flüstern unterstrich nur noch die Stille. Die jäh vom kläglichen Weinen des Säuglings zerrisssen wurde, den die hektische Betriebsamkeit Dwaroschs vergessen zur Seite getreten hatte. Es dauerte eine Weile, bis die greinenden Klagelaute des Kindes Dwarosch erreichten. Er hatte ihr sein Versprechen gegeben, und als wenn Mirla dies wüsste, erinnerte sie den Zwergen daran. Dwarosch drehte den Oberkörper müde und schwerfällig zur Seite, bückte sich hinab und nahm die kleine Tochter Marboliebs auf seine Arme, um sie vor sich hin und her zu wiegen. Nun war es an ihm, für Mirla zu sorgen, und bei Angrosch, das würde er tun. In seiner Sippe schuldeten ihm noch Einige einen Gefallen und er war sich ganz sicher, dass Borindarax ihr einen Platz in Senalosch bereiten würde, wo sie sicher war. Dwaroschs Tränen fielen auf das rosige Gesicht des Kindes, während es mit seinen kurzen Armen und den kleinen tastenden Händen in den Bart des Angroschim griff und sich durch die Nähe der bekannten Person zu beruhigen begann. Das kleine Mädchen drückte sein Gesichten in den tränennassen Bart des Zwergen und umfasste mit erstaunlicher Kraft seinen Hals, als es sich an den Mann klammerte. Schnell pochte sein Herzchen und es roch nach Kleinkind und Milch und Anhänglichkeit. Mit einem zufriedenen Glucksen streckte sie ihm einen Finger in die Nase.

Dunkel war der Himmel und übersäht von Myriaden von Sternen, als Dwarosch mit einem gewaltigen Nieser die Augen aufriss und hochschreckte. Eine weißgekleidete Gestalt, ein bloßer Schemen in der vom glimmenden Lagerfeuer nicht erhellten Dunkelheit, wandte sich fragend zu ihm um und setzte dann ihre Runde durch das Lager fort. Der Zwerg war unterdessen vollkommen verwirrt und daher dankbar für die mangelnde Aufmerksamkeit, die der Golgarit ihm schenkte. Dwarosch fasste sich an den Kopf und schüttelte ihn, kniff die Augen zu und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen, dann begriff er. Sein Haupt ruckte erschrocken zu Marbolieb herüber, die Augen geweitet. Einige bange Momente hielt Dwarosch die Luft an, bis er die seichten Bewegungen ihres Brustkorbes im spärlichen Licht des Feuers wahrnahm. Es war als sacke der Oberst in sich zusammen. Tränen der Erleichterung, aber auch des tief sitzenden Schreckens rannen ihm die stoppeligen Wangen herunter und verfingen sich wie der Morgentau des neuen, heranbrechenden Tages in seinem schwarzgrauen Bart. Er würde mit ihr über diesen Alptraum sprechen, soviel war sicher. Marbolieb musste zu deuten versuchen, was Bishdariel, Borons Traumbote, ihm hatte mitteilen wollen. Doch nicht jetzt. Sie schlief ruhig und der Oberst wollte, konnte diesen Frieden nicht stören. Immer noch verwirrt von den Eindrücken, denn Zwerge waren dem Mythos zufolge aus Stein und träumten daher nicht, stand Dwarosch auf und tat einen großen Schluck Schnaps aus einem kleinen, metallischen Fläschchen. Marbolieb murmelte im Schlaf, tastete zu der Seite, an der Mirla gelegen hatte und fand die Stelle leer. Jäh richtete sie sich auf und fand, einen erschrockenen Herzschlag später, das Kind, zufrieden an seinem Daumen nuckelnd und hellwach, an der Stelle eingerollt, an der bis gerade eben noch der Oberst gelegen hatte. Langsam, sich im Lager orientierend, trat sie neben Dwarosch und zog ihre vom Schlaf zerknitterte Robe über ihre bloßen Füße. Ihr Blick glitt über seine aufgewühlte Miene und sanft, wie die Berührung einer Feder, legte sie schweigend ihre Hand auf seinen Oberarm. Ihre bloße Anwesenheit beruhigte ihn, ließ ihn durchatmen, den durchlebten Schrecken nicht vergessen, aber in den Hintergrund treten. Dennoch brauchte Dwarosch einige Zeit, bis sich in seinem Kopf Gedanken bilden und er sie in Worte fassen konnten. „Ich hoffe es geht dir besser. Konntest du neue Kraft schöpfen? Ich war guter Hoffnung, dass Bishdariel dir eine ruhige Nacht beschert hast. Du hast ruhig geschlafen, soweit ich das beurteilen kann.“ Die Geweihte nickte auf seine Worte. Es war die Stunde nach Mitternacht, kalt und still – und bis auf die Wache lag das kleine Lager in tiefem Schlaf. Sie hob ihre Hand und fuhr dem Zwergen vorsichtig über die Schläfen, strich sein feuchtes Haar sanft zur Seite und betrachtete seine geröteten Augen. „Was ist?“ Sorge schwang in ihrer Stimme, aber auch Ruhe und die Verheißung auf Frieden. Der Zwerg lächelte müde. „Dir kann ich nichts verheimlichen!“ Leichter Spott über sich selbst klang in seiner Stimme an. Er seufzte leise. „Ich wollte eigentlich später auf dem Weg mit dir darüber sprechen, aber da du mich lesen kannst wie ein Buch macht es nun auch keinen Sinn mehr, es dir länger vorzuenthalten.“ Dwarosch nickte, wie um sich selbst eine Bestätigung zu geben, dass es besser war, der Klerikerin zu berichten. „Bishdariel sandte mir einen bösen, sich sehr real anfühlenden Traum vergangene Nacht und ich hoffe inständig, dass es Borons Sendbote war, der meine Gedanken im Schlaf berührt hat und es nicht SIE war.“ Dwarosch beließ es bei der Andeutung, die Geweihte wusste, was er andeuteten wollte. „Nun gut, ich will dir erzählen, was mir wiederfahren ist im Traum.“ Der Oberst schloss für einen kurzen Moment die Augen und sammelte sich, ordnete die Eindrücke der letzten Nacht und berichtete Marbolieb dann sehr ausführlich von dem, was er im Schlaf durchlebt hatte. Die Priesterin schwieg und ließ ihn ausreden. Irgendwann während seiner Erzählung griff sie nach seiner Hand und hielt sie, fest und ihn ihrer Gegenwart versichernd. Ihre schlanken Finger wirkten fast verloren in der wuchtigen, kräftigen Pranke des Zwergen, doch ihre Berührung war warm und beruhigend lebendig. Je länger sein Bericht andauerte, desto sorgenvoller wurde ihre Miene. Sie legte ihre freie Hand auf die Schulter Dwaroschs. Irgendwann kehrte Stille ein. „Mein armer Freund.“ Sie nahm sich ausreichend Zeit, ihre Gedanken zu ordnen, ehe sie zu ihrer Antwort ansetzte. „Zwerge, so lehrtest Du mich, träumen nicht. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Dir Bishdariel dieses Traumgesicht sandte. Warum auch sollte er Dich derart strafen?“ Sie kämpfte merklich um einen gelassenen Ausdruck, etwas, das ihr nicht so recht gelingen wollte. „Würdest Du mit mir beten? Danach kann ich Dir etwas geben, das Dir Ruhe verheißt.“ Mit versteinerter Miene vernahm Dwarosch ihre Deutung, nickte knapp auf ihre Frage hin und kniete sich, ohne das es einer Aufforderung bedurft hatte, hin . Er hatte es geahnt, nein, insgeheim hatte er es gar gewusst. Und doch, die Einsicht, die Wahrheit traf ihn innerlich, erschütterte ihn. SIE hatte ihm diese Träume beschert. IHREM verwesenden Pesthauch war er unterlegen gewesen in jener letzten Nacht. Und wieder schien es dem Zwergen, als könne er den Ränken der großen Widersacher nicht entgehen. Dabei hatte er gehofft DEREN Fängen auf dem vergangenen Feldzug mit Hilfe Marboliebs entronnen zu sein. Doch das war ein Irrtum, Sicherheit vor IHNEN kannte kein Sterblicher. Die Geweihte kniete sich neben Dwarosch, schloss die Augen und umfasste seine Hände. „Schenke uns DEINEN Segen in dieser Nacht – und wache über unsere Träume, auf dass sie in DEINEM Sinne uns Bote sind. Siehe, berührt wurde der Geist Dwaroschs, DEINES Gläubigen – so sei er DEIN, auf dass er in DEINEN Gefilden ruhe. So sei es!“ Wie Gongschläge hallten die leisen Worte der Priesterin in der Dunkelheit wider, fanden ihren Nachhall in seinen Gedanken und vertrieben Sorge und Zweifel. Marbolieb erhob sich und legte sanft die Hand auf den Scheitel der Zwergen. „Möge Dein Geist unbeirrt sein und die Nacht Deinen Gedanken kein Feind.“ Warm war ihre Hand und so leicht, dass es auch die Berührung einer Feder hätte sein können. Einen Moment länger verharrte sie, ehe Marbolieb sich müde wieder erhob und aus ihrem Gepäck ein kleines Fläschchen mit dunklem Inhalt hervorholte, es entkorkte und Dwarosch reichte. „Trink dies. Es wird Dir helfen.“ Während sie betete, erkannte die Priesterin anhand Dwaroschs ursprünglich verkrampftem Griff, wie sich der Zwerg langsam zumindest ein wenig zu entspannen vermochte, auch wenn sie sein weiterhin vorhandenes Unbehagen nicht ganz zu lindern vermochte. Ohne zu zögern nahm Dwarosch dann das Gefäß und trank, nachdem er ebenfalls aufgestanden war. Die helle Flüssigkeit schmeckte scharf, mit einem unangenehm muffigen Unterton. Auf Anhieb konnte Dwarosch sie mit nichts Bekanntem verbinden, auch wenn sie ihn auf eigenartige Weise an Rauchkraut erinnerte. Unwillkürlich zog er die Augenbrauen zusammen und warf der Priesterin einen fragenden Blick zu. „Ein Wurzelabsud aus dem Süden. Es wird Deine Gedanken beruhigen.“ Sie legte ihm eine Hand auf den Arm, kühl waren ihre Finger. „Vertrau’ mir.“ Dwarosch nickte und entspannte sich weiter. Ja, er vertraute ihr. Und dennoch, es blieben Fragen, die ihn weiterhin beschäftigten. „Wie konnte das geschehen und meinst du, dass wir verhindern können, dass es sich wiederholt?“ sprach der Oberst mit belegter Stimme. „Wir haben die Aufmerksamkeit einer Dienerin der Widersacherin auf uns gezogen.“ Hoffentlich nur dieser und nicht ihrer Herrin selbst. „Sie wird versuchen, uns zu schaden – dort, wo sie uns greifen kann.“ Marbolieb hob die Schultern. „Auf geweihtem Boden wird sie uns nichts anhaben können – und ich kenne eine Segnung, die unseren Geist stärken wird.“ Ein nachdrückliches Zupfen an Dwaroschs Hosenbein kündete davon, dass Mirla zu den Großen gekrochen war und um Aufmerksamkeit heischte. „Versuch’, noch etwas zu schlafen. Du wirst die Ruhe brauchen.“ Dwarosch bemerkte, wie seine Finger- und Zehenspitzen begannen zu kribbeln. Marbolieb half ihm, sich hinzusetzen – ob es wirklich notwendig war, darüber mochte man geteilter Meinung sein, doch langsam begann sein Blickfeld an den Rändern zu verschwimmen. Mirlas Zupfen wurde nachdrücklicher – mit beiden Fäustchen hatte sie Dwaroschs Beinkleider gegriffen und zog mit ihrem gesamten, geringen Gewicht daran. Wiederum zog der Zwerg die Augenbrauen zusammen, doch diesmal war der Blick, den er Marbolieb zuwarf, nicht nur ein Zeichen einer unausgesprochenen Frage, sondern sprach auch von in ihm aufkommendem Unbehagen. Er wollte nicht bereits jetzt wieder von Schlaf übermannt werden. Nein, Dwarosch wollte dem Tag die Möglichkeit geben, die Erinnerungen an den zurückliegenden Traum zu zerstreuen. Der Schrecken war in diesem Moment noch zu präsent in seinem Geiste. Der Oberst schüttelte unwillig den Kopf und versuchte sich wieder aufzurichten, doch bleierne Schwere hatte sich seiner Glieder bemächtigt und ließ auch alsbald seinen Kopf so schwer werden, dass er ihm auf die Brust fiel. Von da an währte es nur noch kurz, bis er von Marblieb, die unter dem Gewicht seines Oberkörpers ächzte, auf die Seite in liegende Position befördert wurde. Marbolieb kniete sich vor ihn und strich ihm mit eiskalten Händen sanft über sein Gesicht. Sie beugte sich vor und leicht wie der Hauch einer Motte berührten ihre Lippen die seinen. „Lebewohl, mein Liebster.“ Mit vollkommenem Unverständnis über diesen bittersüßen und vermeintlich endgültigen Abschied begann Dwarosch hinüberzudämmern. Er war nicht mehr in der Lage sich zu regen und seine verzweifelten Bemühungen etwas zu sagen endeten in zaghaften Bewegungen seiner Lippen, derweil er keinen Ton zustande brachte. Mirlas Mühen, die sich zu Dwaroschs Armen hochgearbeitet hatte und vergeblich an seinen Fingern zog, verhallten wieder einmal ungehört. Nur noch am Rande seines Bewusstseins nahm er die Berührungen war, dumpf und fremd- als wenn es nicht sein Körper wäre, in dem er steckte. Dann folgte absolute Schwärze.

Erneut schreckte Dwarosch von seinem Nachtlager in sitzende Position hoch, schweißnass und mit der Panik ringend. Unstete, gehetzte Augen versuchten im Inneren zu ergründen, was geschehen war. Was war Traum, was war Wirklichkeit gewesen? Unmöglich, dass sich alles nur in der Vorstellung seines strapazierten Geistes abgespielt hatte. Dwarosch raufte sich die Haare und stand auf. Mit einem Hin und Herwerfen des Kopfes versuchte er die Benommenheit los zu werden. Doch Klarheit blieb ihm verwehrt. Keine Erkenntnis wollte sich einstellen. Er blickte sich um. Das Lager lag ruhig und still dar. Es musste lange nach der Phexensstunde sein. Der Mond lugte nur dann und wann hinter einer dichten Wolkendecke hervor. Zwei der Golgariten saßen stumm und etwas abseits am Feuer, neben ihnen lagen drei in weiße Tücher gewickelte Gestalten.

Die kleine Mirla, die neben ihm gedöst hatte, blickte ihn aus hellwachen, kugelrunden Kinderaugen an und streckte ihre Händchen nach ihm aus. Die Landmeisterin erhob sich von ihrer Position neben dem Feuer und trat neben den Oberst, Mitleid in ihrem Blick. Jäh zwang sich eine Erkenntnis in sein Bewusstsein die so erschütternd war, dass Dwarosch sich abstützen musste, um nicht vorn über zu kippen. Alles drehte sich und ihm schwindelte, saure Flüssigkeit aus seinem Gedärm drängte ihm in den Mund und ließ ihn husten. Nach einer längeren Zeit die er mit geschlossenen Augen, weinend und mit bebenden Schultern so dagesessen hatte, blickte er mit rot unterlaufenen Augen auf und nahm Mirla auf die Arme. Erst da entspannte sich der Zwerg. Ohne sie anzusehen richtete er dann das Wort an die Landmeisterin. „Nehmen wir sie mit, oder verbrennen wir sie?“ Die Landmeisterin trat einen Schritt näher und legte ihm die Hand auf die Schultern. Mirla lachte fröhlich auf, sah den Oberst aus Marboliebs Augen an und verkrallte energisch ihre Händchen in seinem Bart. Mit einem triumphierenden „Dah!“ drückte sie ihre Gesichtchen an die tränennasse Wange des Zwergen. Die Hand auf Dwaroschs Schulter griff beherzt zu und schüttelte ihn. „Ihr habt Wache, Herr Oberst.“ Amalvin. Der Graumantel.

Träume, Tod und Tageslicht

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Mit weit aufgerissenen Augen starrte Dwarosch ins Leere. Er erschrak und griff mit seinen Händen um sich, wie ein Ertrinkender der verzweifelt, ja panisch Halt suchte. Er bekam Amalwin schließlich bei den Armen zu packen. Wie unerbittliche Schraubstöcke legten sich die Pranken des Zwergen um die Gliedmaßen des anderen, so dass dieser schmerzhaft das Gesicht verzog. Dwarosch hatte dessen Stimme deutlich vernommen, doch er sah ihn nicht, nichts! Der Oberst stieß ein flehendes, „Angrosch steh mir bei“, hervor und blickte nach links und rechts, als hoffte er der Rettung ansichtig zu werden, doch die Schwärze um ihn wich nicht. Er hörte den Aufschrei des Graumantels, der reflexhaft versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. Ein Kräftemessen entbrannte, an das beide Beteiligten noch eine Weile zurückdenken würden. Irgendwo am Rande von Dwaroschs Bewusstsein erklang der empörte Aufschrei eines Kleinkindes. Schließlich, als habe der Allvater ihn erhört, wurde die Schwärze zu einem Gemisch aus ineinander verlaufenden Farben und nach einer weiteren, ihm wie eine Ewigkeit erscheinenden Zeit zu einer Gestalt in der sie umringenden Nacht. „Endlich, ich bin zurück.“ Erklärte sich Dwarosch mit unverständlichen Worten, keuchend. Er ließ den Graumantel los, wandte sich ab und fiel schwer auf die Knie um zu würgen. Es war ihm, als schmeckte er Asche im Mund. Gleichzeitig roch er den beißenden Gestank von verwesenden Leichen und Totenfeuern. Er erbrach sich. Mit einem flackendern Blick trat Amalvin einige Schritt zur Seite und hielt seinen Rabenschnabel fester. Starr betrachtete er den Zwergen, sehr darauf bedacht, den Abstand zwischen sich und ihm und dem eklen Auswurf zu wahren. Neben Dwaroschs Lagerstätte, unbeeindruckt von Gerangel und Geräuschen, schlief die kleine Mirla den Schlaf der Erschöpften, einen Finger im Mund, und ein äußerst zufriedenes, glückliches Lächeln auf den rosigen Kinderlippen. Als Dwaroschs den Inhalt seines Magens komplett vor sich ausgeschüttet hatte, lehnte er seinen Oberkörper schwerfällig zurück und blickte sich mit einem angeekelten Gesichtsausdruck rasch im Lager um. Erst als er die schlafende Marbolieb neben ihrer Tochter erblickt hatte kam er zur Ruhe und das hektische auf und ab seines Brustkorbs wurde stetig langsamer. Schließlich legte er den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Lediglich die Bewegung seiner Lippen verriet Amalvin, dass der Zwerg betete. Als er geendet hatte, zog Dwarosch mit der Hand das gebrochene Rad vor der breiten Brust und stemmte sich unter stöhnenden Lauten hoch. Mit roten Augen und starrer Miene beobachtete Dwarosch, wie die Sonne am Horizont aufging. Das Praiosmahl vertrieb die Zweifel und zerstörte das dünne Band zwischen Traum und Wirklichkeit, welches den Oberst auch nach dem Ende des Alptraumes noch hatte gefangen gehalten. „Verzeih mir“, wandte sich der Zwerg nach einer Weile an den Graumantel. „Ich weiß nicht was mit mir geschehen ist, aber ich denke, das, was mir im Traum wiederfahren ist, wo mein Volk doch nicht von Bishdariel besucht wird des Nächtens, ist Werk SEINER Widersacherin.“ Amalvins Nase zuckte, wenig später auch seine Schultern. Müdigkeit, aber zugleich auch wachsame Vorsicht sprach aus dem Blick des Graumantels, und die aufgehende Sonne zauberte einen goldenen Schein auf seine Haut. Er wandte sich um und blickte den Zwergen mit rauchgrauen Augen an. „Ihr seid nicht der einzige, den sie diese Nacht geplagt hat. Ich bin froh, dass diese dunklen Stunden vorüber sind.“ Ein Feind, dem er mit dem Rabenschnabel in der Hand hätte gegenübertreten können, wäre ihm entschieden lieber gewesen. Dwarosch nickte grimmig, wirkte aber dennoch auf eine gewisse Art und Weise erleichtert. „Dann will ich dankbar sein, dass wir beide wohlauf sind und uns nicht gegenseitig erschlagen haben. Ich möchte vermuten, das war die Absicht dieser verfluchten Dämonenbuhle. Dennoch habe ich Angst um unser aller Seelenheil. Sie vermochte es, uns beide mit ihren vermoderten Fingern zu erreichen. Was ist mit unseren Gefährten?“ Der Zwerg sah sich um, registrierte aber mit zufriedener Miene, dass die anderen ruhig zu schlafen schienen. Doch sofort waren die düsteren Gedanken zurück und der Oberst schüttelte sorgenvoll den Kopf. „Was ist, wenn sich diese grässlichen Albträume wiederholen? Wer kann dem lange wiederstehen, ohne dem Wahnsinn anheim zu fallen? Ich hoffe ihre Gnaden weiß Rat und kennt einen Weg, es zu unterbinden.“ „Ich ebenso.“ Amalvin schüttelte sich, als habe ihm jemand einen Kübel kaltes Wasser über den Rücken gegossen. „Doch es würde mich wundern, wenn sie von den Geweihten gänzlich die Finger gelassen hätte.“ ... auch wenn es klug gewesen war, sich zuerst die Ungeweihten herauszusuchen und diese dem Wahn anheim fallen zu lassen. Um ein Haar wäre ihr ein Solches auch gelungen in dieser Nacht – zumindest auf Seiten des Graumantels. Amalvin blickte den Zwergen mit wachsamem Blick an, so gänzlich schien er dem Frieden und Dwaroschs guten Intentionen nicht zu trauen. Seine Hand jedenfalls verließ nicht mehr den Griff seines vertrauten Rabenschnabels. Der Oberst nahm das durch seine Haltung ausgedrückte, andauernde Unbehagen des Golgariten wahr, doch wollte er dessen Misstrauen nicht noch weitere Nahrung verschaffen und ignorierte die unterschwellige Drohung. Anstelle dessen achtete er lediglich darauf, dass er Amalvin nie den Rücken zukehrte und außer Reichweite blieb. „Die Nacht ist zum Glück bald vorbei“, setzte Dwarosch an, um mit hoffnungsvollen Worten die dunklen Gedanken zu vertreiben. „Lasst uns Wasser über dem Feuer aufsetzen und einen starken Tee kochen. Dann können wir alsbald die anderen wecken und das Lager baldigst abbrechen. Mir ist wohler, wenn wir heute ein gutes Stück des Weges nach Burg Rabenstein zurücklegen.“ „Eine gute Idee.“ Der Graumantel war seinerseits darauf bedacht, den Oberst stets im Auge zu behalten, und die neutralen Worte klangen ein gutes Stück weit aufgesetzt. „Ich kümmere mich um den Tee. Weckt Ihr die Anderen.“ Nicht lange, und auf dem Feuer sott das Wasser im Kessel, argwöhnisch beäugt von einem vorsichtigen Amalvin, der es sich einiges an Mühe hatte kosten lassen, allein und selbsttätig der Wächter dieses Morgentees zu sein. Besonders gut geschlafen schien wohl niemand zu haben – rasch, und mit einem wenig überraschend entschlossenen Griff zu ihren Waffen, waren die drei Golgariten wach. Marbolieb murrte im Schlaf und versuchte, sich von der Störung hinfortzudrehen, wärend die kleine Mirla das Bild eines zufrieden, tief und fest schlafenden Säuglings zeigte, die beiden Hände zu Fäustchen geballt und neben den Kopf gelegt. Dwarosch aber war unerbittlich. Nachdem Worte keinen Erfolg erzielt hatten, fasste er die Geweihte sanft an den Schultern, doch als dies ebenfalls keine befriedigende Wirkung zeigte, rüttelte er beständig an ihr und redete auf sie ein, zu sich zu kommen. Endlich, nach weiteren bangen Momenten, in denen der Zwerg schon befürchtete, Marbolieb könne Gefangene ihrer eigenen Träume sein, schlug sie die Augen auf und starrte ihn entgeistert an. Da ließ Dwarosch sie sofort wieder los und lächelte. „Ich fürchtete schon, du wollest gar nicht mehr erwachen. Sag, wie hast du geträumt? Wir anderen sind im Schlafe heimgesucht worden und benötigen nun den Beistand des Unergründlichen sowie deine Anleitung.“ Marboliebs Blick benötigte einige Lidschläge, ehe er auf Dwarosch zur Ruhe kam. Sie legte eine Hand auf die Schulter des Zwergen und erwiderte sein Lächeln. „Erzähle mir, was vorgefallen ist. Am besten bei einer heißen Tasse Tee.“ Schatten spielten unter ihren Augen und berichteten, dass ihre Nacht längstens nicht so erholsam gewesen war, wie sie dies hätte sein können. Einige Atemzüge später fügte sie hinzu. „Sind alle unverletzt?“ „Der müsste gleich fertig sein. Ich habe Bruder Amalvin gebeten, ihn extra stark zu machen“, erwiderte Dwarosch mit warmer Stimme. Als der Zwerg dann auf die Frage der Geweihten einging verzog er das Gesicht. „Ja, niemand ist körperlich zu Schaden gekommen. Aber ich denke, wir hatten mehr Glück als Verstand heute Nacht. Das du diese Frage stellst verrät mir, dass auch du heimgesucht wurdest. Ist diese Vermutung zutreffend?“ Die Geweihte stand auf, strich ihre Robe glatt und warf einen lächelnden Blick auf ihre zufrieden schlafende Tochter. „Sie hat es versucht, Dwarosch. Lass’ uns etwas essen – und dann gemeinsam beten.“ Was allen leichter fallen würde, wenn ihnen etwas Zeit vergönnt worden war, um die letzten Traumschleier abzuschütteln. „Und Du erzählst mir bitte, was Dich geplagt hat in dieser Nacht.“ Sie blickte ihn mit aufmerksamen Augen an, hob die Hand um einige Fingerbreit, entschied sich um und steckte entschieden ihre Hände in die weiten Ärmel ihrer Robe. Der Oberst folgte Marbolieb die wenigen Schritte ans Feuer, wo man sich hinsetzte und sich nach und nach auch die anderen einfanden. Die kleine Schar trank das dampfende, starke Gebräu, dessen würziger Duft die Luft im Lager erfüllte. Dazu gab es ein karges Mahl aus Brot und Käse. Nur wenig wurde gesprochen, allen lag der Schrecken der vergangenen Nacht auf dem Gemüt. Nachdem Dwarosch seinen ersten Becher Tee gelehrt hatte, berichtete er mit gedämpfter Stimme, aber immer noch so, dass jeder es hören konnte, was er durchlebt hatte im Traum. Sie sollten es alle wissen, denn Misstrauen war ihr größter Feind in dieser Situation. Wenn sie sich einander öffneten, sich gegenseitig Ängste offenbarten, dann würden sie seiner Meinung nach die beste Chance haben, über die dunklen Gaben ihrer Kontrahentin zu siegen. Einzig das kleine Detail, wie und mit welchen Worten sich Marbolieb im Traum von ihm verabschiedet hatte, ließ Dwarosch aus. Es war still im Lager, während Dwarosch sprach. Marboliebs Blick wich nicht von ihrem Begleiter und die Besorgnis, die in ihren Augen stand, wuchs mit jedem Wort des Zwergen. Geistesabwesend streichelte sie ihre Tochter, sie zufrieden und satt auf ihrem Schoß saß und mit einem glücklichen ‚Da!’ die Hände nach Dwaroschs einladendem Bart ausstreckte. Die Betroffenheit der Erwachsenen schien ihr an diesem Morgen gleichgültig. Die Geweihte blickte der Reihe nach ihre Begleiter an. „Wer noch?“ Leise waren ihre Worte, doch mehr als deutlich in der jähen Stille des Morgens. „Ich.“ Amalvins Miene war bedeckt, als läge ein Schatten darüber. „Ich wurde im Schlaf von vom Oberst angegriffen – und versuchte, mich meiner Haut zu wehren, bis er mich nach wenigen Hieben erschlug. Beim zweiten Mal lauerte er mir auf der Wache mit seinen Wurfbeilen auf.“ Ein mißbilligender Blick traf die fraglichen Objekte „Und meuchelte mich hinterrücks.“ Dwarosch blickte grimmig von einem zum anderen. “Sie versucht Misstrauen und Zwietracht zu sähen”, seine Stimme war ernst und eindringlich. “Das darf ihr nicht gelingen. Wenn wir zu einander halten, einander vertrauen, dann bin ich davon überzeugt, dass sie uns nicht überwinden wird können.” Die Augen des Oberst blieben an dem Rabenritter hängen, der mit ihm die letzte Nachtwache verrichtet hatte. “Amalvin, höre. Ich würde weder dich, noch einen deiner Brüder oder eine deiner Schwestern aus freien Stücken erschlagen oder gar hinterrücks meucheln. Das schwöre ich beim Allvater.” Der Graumantel bedachte ihn mit einem ausdruckslosen Blick. Er wußte um die Macht der Widersacherin – mehr als wohl der Zwerg. Doch das Geräusch, mit dem sein Schädel unter Dwaroschs Beilen barst, würde ihn noch geraume Zeit begleiten. Schließlich nickte er widerstrebend, zum Zeichen, dass er die Aussage des Oberst annahm. Erneut machte Dwarosch eine Pause, ließ seine Worte wirken und blickte jeden der Reihe nach an. Niemand wusste besser, wie wichtig Moral und Zusammenhalt waren. “Seid ohne Furcht, mutig im angesicht des Feindes und treu gegenüber den Geboten der Götter. Und sollte einer von uns sterben, so wird er in SEIN ewiges Reich fahren. Sie aber”, Dwaroschs Augenbrauen zogen sich zornig zusammen, “erwartet nur die ewige Verdammnis der Seelenmühle.” Ein Nicken in Richtung der Landmeisterin, gepaart mit einem Gesichtsausdruck den diese fast schon als Entschuldigung interpretieren konnte, beendete Dwaroschs kleine Ansprache. Eigentlich hätte es Richild zugestanden, derlei Worte an ihre Untergebenen zu richten. Diese indes zuckte auf Dwaroschs Nicken leicht mit den Schultern. „Eine schöne Ansprache.“ Und nichts, was sie in dieser Länge gehalten hätte. „Und denkt dran – die zweite Weihe wartet auf uns alle. So oder so.“ Sie ließ diesen kryptischen Satz in der Luft hängen und wandte sich an Marbolieb, ihre Schwester im Glauben. „Wollt Ihr die Andacht heute morgen halten, Euer Gnaden?“ Marbolieb nickte, warf dem Oberst einen Blick zu, den dieser unschwer als ein ‚Wir müssen reden. Später.’ zu entschlüsseln vermochte, und trat vor die versammelten Streiter. „Kniet nieder.“ Hieß sie ihre Begleiter, die dieser Aufforderung mehr als freudig Folge leisteten. „Heute Nacht hat die Widersacherin versucht, Macht über uns zu erlangen. Ihre Kraft ist stark und wir können uns ihrer Aufmerksamkeit gewiss sein. Hinterfragt Eure Schritte, Eure Taten, Eure Gedanken. Handelt mit Bedacht. Und sprecht mit der Landmeisterin oder mir, wenn Euch eure Träume plagen.“ Sie ließ sich einige Atemzüge Zeit, ihre Gläubigen zu betrachten. Wie ein sanftes, mildes Tuch lag die Stille im sonnendurchtränkten Morgen auf der Lagerstätte. „Herr Boron, Dein ist die Macht über Schlaf und Traum. Wehre den Ränken des verderbten Weibes, berühre unsere Seelen und birg sie tief in Deinem Reich, wo Harm und Sorge sie nicht erreichen.“ Sie hob segnend die Hände. „Es sei!“ Der Morgen hielt einen Augenblick den Atem an, und es schien, als schöbe sich, für einen Lidschlag lang nur, eine Wolke vor die Sonne und dämme ihr Licht. Der Tag versprach heiß zu werden. Sengend heiß und schwül. Alsbald war danach das Lager abgebrochen, das Feuer gelöscht und mit Erde bedeckt, so dass es weitergehen konnte. Still war der Zug, der sich durch den dichten Wald sein Weg suchte. Nur hin und wieder ward’ das Schweigen durchbrochen, wenn man sich an einer felsigen Stelle gegenseitig helfen musste, um das Pony sicher herauf oder hinab zu bekommen. Während der ersten, kurzen Rast, sie waren bereits über zwei Stundengläser marschiert und hatten gut Strecke gemacht, setzte sich Dwarosch zu Marbolieb, die sich etwas abseits der anderen auf einem Findling niedergelassen hatte. „Was Du tust, ist gefährlich.“ Sie musterte den Oberst mit betrübten Augen und nahm eine seiner Hände. Der Tag hatte sein Versprechen gehalten und die Schwüle schlug den Reisenden wie feuchte Tücher ins Gesicht. Auf den Steinen stand die Luft, und auch die wenigen Schattenplätze brachten kaum Abkühlung. „Ich möchte nicht, dass Du meinetwegen verletzt wirst, Dwarosch.“ Vor allem nicht durch die Widersacherin ihres Herrn. Ganz besonders nicht durch diese. Irritiert erwiderte der Oberst Marboliebs Blick und es war der Geweihten, als suche ihr zwergischer Vertrauter Erkenntnis in ihren Augen, die er letztlich doch nicht fand. So fragte er schließlich, “Was meinst du damit?” „Sie ist nicht hinter Dir her.“ Marbolieb legte ihre zweite Hand über die Pranke des Zwergen und ließ sie dort, schlank und leicht wie ein Vogel. „In Deinem Traum versuchte sie, mich als Hebel zu nutzen, Dich zu brechen, mein Freund.“ Die Sorge in seinen Augen, als er von seinen Träumen erzählte, schmerzte sie bis in ihr Innerstes. Doch Dwarosch zuckte nur mit den Schultern. „SIE ist nicht der erste Erzdämon der danach trachtet, mich zu vernichten. Doch was soll ich tun, IHR das Feld ohne Kampf überlassen? Nein“, er schüttelte energisch den Kopf. „Ich folge dem blutigen Kor. Er leitet meine Wege und diese sind niemals die des geringsten Wiederstandes. Marbolieb, ich werde mein Leben lang den Kampf ausfechten, den ER mir bestimmt. Ich habe mich damit abgefunden.“ Ernst war seine Stimme gewesen, erfüllt von Schicksalsergebenheit, doch am Ende musste er lächeln. „Wir haben schon einmal gemeinsam den Niederhöllen getrotzt. Ich bin zuversichtlich, dass es uns auch diesmal gelingen wird.“ Indes blieb eine Frage. Hatte Marbolieb seine Halbwahrheit erkannt im Bericht seiner Träume, oder hatte sie nur interpretiert und dem Sinne nach diese Worte gesprochen? Kurze Irritation blitzte in den Augen der Geweihten auf – und wich dann doch wieder einer tiefsitzenden, wachsenden Sorge. „Ich zweifele nicht an Deiner Kraft, Dwarosch. Noch an Deinem Kampfgeist.“ Noch immer hielten ihre Hände einer seiner Pranken – auf eigenartige Weise geborgen und behütet. „Doch sie kämpft mit Dir in Träumen, die Du nicht haben dürftest.“ Sanft wie eine Katze zumschlich sie das eigentliche Thema, ertappte sich dabei und seufzte. Ausflüchte? Welch ein verlockender Weg! Fest hielt sie den Blick ihres Vertrauten, und Trauer stand in ihren Zügen geschrieben. „Ich habe Ihr diesen Angriff auf Dich ermöglicht – zu meiner großen Schande, mein Freund. Dies muss ein Ende haben. Um Deinetwillen.“ „Du meinst, du selbst hast IHR den Weg in meine Träume geebnet, IHR die Brücke gebaut?“ Fragte der Zwerg mit eigenem Zweifel an seiner Auslegung ihrer Worte. „Wie sollte das möglich sein?“ Nochmal schüttelte Dwarosch den Kopf, diesmal jedoch zaghafter. Er begriff nicht, worauf die Geweihte hinauswollte. Aber er hatte ein ungutes Gefühl aufgrund der Wahl ihrer Worte. „Vertraust Du mir, Dwarosch?“ kam die unvermutete Gegenfrage der Geweihten. Tief und dunkel und ruhig waren ihre Augen, ein See, in den er eintauchen hätte können. Hätte er sie nicht derart gut gekannt, wäre ihm die Traurigkeit, die ebenfalls in ihnen ruhte, vermutlich entgangen. „Und verrate mir: wie sehr?“ Beide Augenbrauen des Angroschim hoben sich wiederum verwundert. Dieses Gespräch hatte seine Wendungen. „Du hast mich von der Todessehnsucht befreit und mir meinen Lebenswillen zurückgeschenkt.“ Er rang mit den Händen. „Ich vertraue dir, Marbolieb! Es gibt nur einen Menschen, dem ich mein Leben bedingungslos anvertrauen würde und das bist du.“ Dann legte er den Kopf schief und schmunzelte fast schon ein wenig amüsiert. „Da ich aber niemals sicher sein kann, ob ich wache und in einem Traum gefangen bin, werde ich mit allem, was ich tue, vorsichtig sein. Immerhin haben wir uns gegenseitig zur Besonnenheit angehalten.“ In diesem Moment fiel Dwarosch etwas ein, was er Marbolieb schon früher hatte fragen wollen und er zog die Stirn kraus. „Was meinte Richild mit ‚der zweiten Weihe‘?“ Marbolieb hatte seine Hand widerstandslos freigegeben und machte Anstalten, ihre Hände in die Ärmel ihrer Robe zu schieben, verharrte und legte sie statt dessen doch entspannt auf ihren Knien ab. Der Ärmel ihr Robe verrutschte und offenbarte dunkelblaue Fingerabdrücke an den Stellen, an denen Dwarosch sie – war es wirklich erst gestern gewesen? – festgehalten hatte. Sie zog den widerspenstigen Stoff wieder zurecht und begann mit der einfachen Antwort. „Die Zweite Weihe ist der Tod in dieser Welt. Er heißt uns in Borons Schlafgemach willkommen.“ Ruhig gefaltet waren ihre Hände und aus ihrer Gestik sprach eine gelassene Annahme dieser bloßen Tatsache. „Hauptsächlich die Golgariten verwenden diesen Begriff.“ Dwarosch hob eine Augenbraue und nickte bedächtig. „Das wusste ich bisher nicht.“ Ein paar Atemzüge lang drangen nur die Geräusche der anderen Menschen, einige Schritt abseits, an die Ohren der Beiden. „Es gibt Möglichkeiten, zwischen Traum und Wachheit zu unterscheiden und Träume zu lenken. Ich werde Dir die Grundlagen auf dieser Reise lehren.“ Was schwierig zu werden versprach – waren doch die einzigen Träume, die der Oberst bislang träumte, die Einflüsterungen der Widersacherin gewesen.

Wiederum nickte der Oberst und zeigte ihr somit seine Zustimmung. So viele Worte. So viel Gerede. Marbolieb seufzte und blickte dem Oberst in die Augen. Suchte nach den rechten Worten. Und fand sie doch wieder einmal nicht. „Die Widersacherin ist eine Meisterin der Täuschung, Dwarosch. Schon nach der ersten Nacht zweifelst Du daran, was wahr ist. Was Traum.“ Traurigkeit stand in ihrem Gesicht. „Die Verbindung zwischen uns ist stark. Stärker, als sie zwischen Dir und mir sein dürfte.“ Abstand zu halten war eine der großen Aufgaben einer Seelenheilkundlerin. „Sie kann diese Verbindung nutzen, um Dich straucheln zu lassen. Wie gut, das musstest Du vergangene Nacht erleben.“ Marbolieb schlug die Augen nieder. „Ich hätte das nie zulassen dürfen.“ „Das ist Unsinn“, kam es energisch zur Antwort. Dwarosch stand auf und wandte sich kurzzeitig ab, als wolle er gekränkt das Weite suchen. Doch alsbald schnaubte er ungehalten und wandte er sich Marbolieb wieder zu. Die Geweihte sah deutlich sein Missfallen an ihren Worten in seiner Miene. Er machte sich keine Mühe sich zu verstellen, das tat er nie. „Nicht du hast es zugelassen. Wir waren es!“ Seine Stimme trug eine Spur von Zorn in sich, aber er sprach dennoch leise, beherrscht. „Diese Bindung hat uns beide den Feldzug überstehen lassen und zumindest ich kann sagen, dass sie mir darüber hinaus viel gegeben hat. Freiwillig werde ich sie nicht aufgeben, nicht von meiner Seite, Marbolieb, denn ich bin davon überzeugt, dass es das ist, was IHR in die Hände spielt.“ Die Geweihte blieb still, atmete einige Male tief durch und schaute auf ihre Hände. Ihre Stimme war nicht viel mehr als ein leichter Wind, der über die Wipfel des dunklen Waldes strich. „Du bedeutest mir viel, Dwarosch. Sehr viel.“ Sie suchte den Blickkontakt mit ihrem Begleiter. „Es macht mich glücklich, Dich an meiner Seite zu wissen, und ich möchte keine Minute mit Dir missen, mein Freund.“ Tiefe Aufrichtigkeit stand in ihren Augen, und die Bitte, er möge verstehen. „Gerade darum werde ich nicht zulassen, dass Sie dich durch dieses Band zu mir verletzt. Gegen ihre Ränke richtet selbst dein Waffenarm nichts aus, Dwarosch. Die Verbindung mit mir kann dich zerstören. Und das werde ich Ihr nicht erlauben.“ Sie blickte wieder auf ihre Hände und wollte ihrer eigenen Mimik nicht mehr trauen. „Nichts ist für die Ewigkeit, Dwarosch. Wir können nichts festhalten. Lass uns froh sein über die Zeit, die wir geteilt haben – anstatt zu erstreben, was nicht sein kann.“ Nochmals schnaubte der Oberst, aber die Geweihte erkannte, dass seine Wut bei ihren Worten abgekühlt war. Er rang mit den Händen und wohl auch mit einer Antwort, doch dann schüttelte er das Haupt und ließ den Kopf sinken. Dwarosch schien traurig und resigniert. „Maroblieb, das kann nicht das Ende ...“, machte er noch einen Versuch, das Gespräch wiederaufzunehmen, doch wurden sie alsbald unterbrochen. „Heh, ihr beiden – Aufbruch!“ schallte die Stimme der Landmeisterin vom Lagerplatz herüber – die offenbar der Meinung war, dass die Rast nun lange genug gedauert habe. Über den Häuptern der Schneeberge ballten sich grau und schwer die Wolken, und die Schwüle hatte noch um ein gutes Stück zugenommen. Das Haupt des Zwergen schnellte in Richtung Richhilds, als diese sie beide anrief und Zorn loderte für einen kurzen Moment in seinen Augen auf. Er wollte nicht unterbrochen werden, soviel war Marbolieb klar. Doch Dwarosch schluckte den Ärger hinunter und machte eine wegwerfende Bewegung, die der Geweihten deutlich zeigte, was er von ihrem vermeintlichen Entschluss hielt. Dwarosch nahm den Rucksack wieder auf und prüfte infolge sorgfältig den Sitz seiner Ausrüstung am Leib. „Darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen“, ließ der Oberst vernehmen, bevor er wegstapfte. Marbolieb hatte er da bereits den Rücken zugekehrt. Er wollte ihr nicht zeigen, wie sehr ihn die Sache mitnahm. Marbolieb zog ihre Kapuze bis auf die Nasenspitze, senkte ihren Kopf und verbarg ihre feuchten Augen vor ihren Begleitern. Die Geweihte hob ihre erbost schimpfende Tochter in den Tragekorb des Ponys, nahm die Zügel auf und schob ihre Hände in die weiten Ärmel ihrer Robe, ihr Zittern verbergend. Mit hängenden Schultern folgte sie der Gruppe, die Aufmerksamkeit auf dem Grund vor ihren Füßen. Eine einzelne Träne sammelte sich in ihren dichten Wimpern, rann salzig über ihre Lippen und hing an ihrem Kinn, zitternd wie ein Tautropfen. Priester des Schweigsamen zeigten ihre Beherrschung, nicht ihre Gefühle. Was aber, wenn das Wissen, das Richtige zu tun für Ihren Vertrauten, ihr das Herz zerriss? Über dem Weg ballten sich Wolken, deren Schwarzgrau sich anschickte, das Praiosschild zu überdecken, und darüber wuchsen strahlend weiße Türme aus weißer Watte hoch hinauf in das Alveranszelt. Eine halbe Wegstunde später erreichte die kleine Gruppe die Via Ferra. Von da an ward’ der Weg deutlich leichter für die Reisenden, denen die Wildnis durch die Nachwirkungen der unliebsamen Nacht an diesem Tage sehr viel beschwerlich vorgekommen war. Der gut ausgebaute Handelsweg bot ein besseres und vor allem viel angenehmeres Vorrankommen. Die schwer erträgliche Schwüle nahm zu und der Himmel verdunkelte sich zusehends, als die Wolken wie schwere Wogen über ihn rollten und das Praiosmal verdeckten. Wind kam auf, peitschte die Wipfel der Bäume und trug Wehen aus Staub vor sich her, der sich wie eine graue, dicke Masse auf die schweißnassen Gesichter der Reisenden setzte. An den Rändern der Wolken zeigte sich eine ungesund gelbliche Farbe, und die Luft trug einen eigenartigen Geruch mit sich. In der Ferne erklang leises Grollen. Ohne ein weiteres Wort erhöhten die Reisenden ihre Geschwindigkeit, obgleich ihnen der Schweiß bereits in Strömen über die Gesichter und den Rücken rann.

Eisenbrück

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Und so erreichte die Gruppe tatsächlich Isenbrück vor der Abenddämmerung desselben Tages, gerade, als die ersten großen Tropfen auf den heißen Staub des Weges klatschten und ein wütender Wind ihnen Sand und Staub in die Augen warf, in ihren Haaren riss und ihnen seine Herausforderung entgegenbrüllte. Kaum waren sie unter das rettende Dach gelangt, als der Himmel seine Schleusen öffnete und in einem Donnersturm, der die Dächer erzittern ließ, das Wasser wie aus großen Kübeln zur Erde stürzte. Nicht lange, und das Knallen von Eisklumpen auf dem Morast, in den sich die Straße verwandelt hatte, kündete vom Zorn der Götter. Sie waren allesamt erschöpft, aber auch erleichtert. Sie hatten sich ins Zeug gelegt, um das Dorf zu erreichen, denn die Aussicht, die Nacht in der Kapelle des Ordenshaus der Golgariten verbringen zu können, war allen großer Ansporn gewesen. Die Angst, erneut in der Finsternis der Wildnis von Albträumen heimgesucht zu werden konnte niemand leugnen. Draußen goss es, als habe der Launische es sich in den Kopf gesetzt, die Welt zu bedecken mit seinem ureigensten Element, und Schweiß, Staub und Schlamm bedeckten die Reisenden in einer dicken Schicht. „Richtet Euch ein – ich lasse den Badezuber vorbereiten.“ versprach die Landmeisterin. Dwarosch, der den Tag über grüblerisch gewesen schien und jedem Gespräch einsilbig ausgewichten war, legte wortlos sein Hab und Gut ab. Als er das getan hatte und bar seiner Rüstung vor den Altar des Unergründlichen trat, fiel er schwer auf die Knie, senkte den Kopf und vertiefte sich ins Gebet. So er eine halbe Kerze in innerster Zwiesprache verbracht hatte, stand er auf und gönnte sich das wohl verdiente, heiße Bad, welches ihn nicht nur reinigte, sondern auch seine strapazierten Muskeln entspannte und darüber hinaus seinen Geist zu erquicken vermochte. Nach einem Abendgottesdienst, dessen knappe Predigt als Hausherrin die Landmeisterin hielt, bettete er sich auf einer einfachen Decke auf dem harten Boden der Kapelle und empfing alsbald den Schlaf mit offenen Armen. Und während draußen der Zorn des Herrn Efferd tobte und in ohnmächtiger Wut gegen die Mauern des Ordenshauses und den kleinen Tempel wetterte, Marbolieb sich um ihre vor Erschöpfung und Unwillen weinende Tochter kümmerte und die heimischen Priester schweigend und mit der Sicherheit von Schlafwandlern ihren Aufgaben nachgingen, schenkte der Unergründliche dem Zwergen das, was das ureigene Recht seiner Rasse war – einen tiefen, stillen und ganz entschieden traumlosen Schlaf.

***

Der nächste Morgen erwachte strahlend und klar, frisch gewaschen war die Luft und die Farben leuchteten wie die Flügel eines Tsafalters unter dem goldenen Licht der aufgehenden Sonne. Nur einige tiefe Pfützen auf dem Weg kündeten noch von dem Unwetter der vergangenen Nacht. Die Gruppe machte sich am nächsten Tag wieder auf den Weg nach Norden, entlang der Sirralein, höher hinein in die Berge. Sie war in Isenbrück um drei Köpfe zusammengeschmolzen, da die Landmeisterin keinen Sinn darin sah, alle Ordenskrieger bis zur Burg zu schicken. Lediglich sie selbst und der Graumantel Amalvin begleiteten den Oberst und Marbolieb. Der Zwerg schien über Nacht einiges an Zuversicht gewonnen zu haben, denn seine Laune war deutlich besser, auch wenn den beiden Golgariten auffiel, dass er sich bei der Konversation mit der Geweihten auf ein höfliches Mindestmaß beschränkte. Die Schweigsamkeit des Vortages hingegen war vergangen, denn während sie zügig ausschritten, um Höhenmeter zu machen, gesellte sich der Oberst an die Seite des Graumantels. „Sagt, Amalvin“, ergriff Dwarosch das Wort und der Name des Golgariten ging ihm nicht leicht von der Zunge. „Ist dies euer Geburtsname, oder habt ihr ihn euch beim Eintritt in den Orden gewählt?“ „Die meisten nehmen einen neuen Namen im Orden an, Oberst.“ Amalvin warf dem Oberst einen fragenden Blick zu, zuckte dann aber wieder mit den Schultern, als habe er aufgegeben, nach dessen Motivation zu fahnden. „Ich bin noch kein geweihtes Ordensmitglied – ich werde bis auf weiteres meinen Geburtsnamen behalten. Mein Großvater hieß so.“ Ein kleines Schmunzeln ob der Tatsache, dass dieser überhaupt bekannt war, glitt über seine Lippen. „Die Landmeisterin hat den ihrigen ebenfalls behalten. Es gibt keinen Zwang, ihn abzulegen.“ Was dennoch genug Leute taten. „Fast jeder von uns lässt ein Leben hinter sich, über das der Schweigsame seine Schwingen breiten darf, Herr Oberst.“ fügte er als Versuch einer Erklärung hinzu. „Nach der Schlacht an der Trollpforte hat euer Orden einiges an Zulauf erhalten. Auch Menschen, die ich einst kannte, legten ihren alten Namen und ihr altes Leben ab, um das Vergessen, was ihnen in den Kreisen der Golgariten verheißen wurde, zu erlangen. Zu viel gesehen zu haben ist eine Bürde, die nicht jede Seele zu tragen imstande ist.“ Dwarosch seufzte, schüttelte dann aber den Kopf, um die dunklen Gedanken an diese ferne Vergangenheit abzustreifen. „Seit ihr also gebürtiger Nordmärker?“ Fragte er anstelle dessen und führte das vorherige Gespräch fort. „Aufgewachsen bin ich in Gareth – geboren aber noch in Warunk, woher meine Mutter stammt. Sie war eine Söldnerin und ist im Borbaradkrieg gefallen.“ Amalvin hob die Schultern. „Der Orden hier ist ein guter Ort. Und er bietet Frieden.“ Wenn auch auf eine ganz eigenwillige Weise. „Jenen, die sich nicht aufgegeben haben und dieses Kroppzeug ausräuchern wollen.“ Kam es mit unerwarteter Energie hinterher. Einige Weile schritt der Graumantel schweigend neben dem Oberst einher. Bei der Nennung der großen, namhaften Stadt der Greifenmark, die vormals der Sitz des untoten Kaiserdrachen Razzazors war, jenem Heptarchen der den Splitter der Thargunitoth der sieben Mal verfluchten Dämonenkrone Borbarads trug, zogen sich die Augenbrauen des Oberst zu einer finsteren, angewiderten Miene zusammen. Doch er schüttelte das Gefühl der Übelkeit sogleich abermals ab. Dies war die Vergangenheit. Heute wehte das strahlende Banner der Praioten über der einstmals so stolzen Stadt dessen Mauern beim Schwertzug des ehemaligen Schwert der Schwerter durch die Posaunen von Perricum genommen worden waren. Schließlich ergriff Amalvin wieder das Wort. „Und woher stammt ihr?“ „Ich“, begann Dwarosch sein düsteres Schweigen unterbrechend, „stamme aus Senalosch, der Hauptstadt Isnatoschs an den Hängen des Eisenwaldes und somit aus dem Herzen des Herzogtums. Ihr habt euch eine gute Heimat erkoren. Es gibt keinen schöneren Ort als den Isenhag!“ „Hm.“ stimmte der Graumantel zu. „Hier kann man es aushalten. Ich mag die großen Städte nicht. Aber in denen weiß man zumindest immer, woran man ist.“ Er musterte seine Begleiter und die Umgebung und kniff die Augen zusammen, als das Kind wieder Beschwerde zu führen begann. Ein kleines, charakteristisches Schulterzucken beschied aber schon einen Lidschlag später, dass dies nicht seine Schwierigkeit war. Unbewusst streifte seine Hand den Griff seines Rabenschnabels und er schritt wacke weiter aus. Und so folgen sie weiter der Via Ferra und dem guten Tempo war es auch an diesem Abend geschuldet, dass die Reisenden eine Siedlung erreichten. Fast stockfinster war es nun aber, als sie in das Holzfällerdorf Darmata kam. Und hätte man es nicht bereits bei guter Sicht einige Stunden zuvor von weiter unten am Berg erkennen können, so hätten die Gefährten sich sicher keine Hoffnung gemacht, es noch rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. So war man schlicht trotzig vorrangeschritten und dem sich hinaufwindenden Weg am Berg gefolgt, bis man nach unzähligen weiteren Kehren des Bergpfades Feuerschein vor sich sah, der zweifellos aus den Fenstern der kleinen, vereinzelt stehenden Hütten stammte. Das Dorf, das zwischen 200 und 300 Einwohnern Heimstatt bieten mochte und so klein gar nicht war, war von einem Etter, einem hölzernen Zaun, umgeben, der die Siedlung vor allen Unbillen zu schützen suchte, und ein kräftiges Tor schloss ihn zur Straße ab. Es war mit Einbruch der Dunkelheit geschlossen worden, und nur das energische Auftreten Richilds, die schließlich die Dörfler, die sich mit Fackeln und Laternen hinter dem Tor versammelt hatten, überzeugte sie, dass es sich bei den Reisenden und den guten Zwölfen wohlgefällige Leute handelte, die eingelassen werden durften – und sollten. Der ‚Wolfspelz’, das einzige Gasthaus am Ort, war ein solider zweistöckiger Fachwerkbau, auf einen Bruchsteinsockel aufgesetzt und mit einem langgezogenen Nebengebäude mit spitzgiebligem Dach, das Stall, Heuschober und sogar eine Abstellmöglichkeit für zwei Kutschen beinhaltete. Der Wolfspelz war überraschend geräumig und hatte ein halbes Dutzend Gastzimmer sowie einen Schlafsaal, in denen jedoch in dieser Nacht nur ein reisender Krämer nächtigte. Im Schankraum saßen gut vier Dutzend Dörfler zusammen und es ging hoch und laut her. Nachdem man sich beim Wirt ein deftiges Essen bestellt und sich im Schlafsaal eingerichtet hatte, saßen die Reisenden recht schweigsam zusammen. Die Stimmung war nicht bedrückt, aber die Müdigkeit und Erschöpfung raubte allen die Lust an der Geschwätzigkeit, etwas, das bei den Golgariten ja eh verpönt war. Und so legten sich alsbald alle zur Ruhe. Nach einer weitestgehend ruhigen Nacht, Dwarosch und der ebenfalls im Schlafsal nächtigende Händler schnarchten um die Wette, nahm man noch ein großzügiges Frühstück ein, bevor es wieder in aller Frühe weiterging. Hinter Darmata führte die von der Via Ferra kommende Straße weiter, wurde schmaler und überspannte mit einer soliden Steinbrücke einen der Zuflüsse der Sirralein. Danach verlief ihr Weg an den Hängen des Berges Reiakath weiter, knapp unterhalb der Baumgrenze. Das Wetter war bedeckt aber trocken und ließ sie gut und ohne große Beschwernis vorrankommen. Schließlich erreichten sie gegen Mittag den Fuß des Berges Sarakath, wo sie noch einmal eine kurze Rast einlegten und von ihrem Proviant zehrten. Ihre Feldflaschen füllten sie in der Sirralein auf, welche hier unten im Tal noch für die Reisenden zugängig war. An ihrem nun ansteigenden Weg entlang, hatte sich der Fluss hingegen bis zu vier Dutzend Schritt in den Stein der Felsen gegraben. So marschierten sie von nun an wieder aufwärts, Burg Rabenstein entgegen, ihrem Ziel.

Burg Rabenstein

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Es dämmerte bereits, als der Weg sie aus dem dunklen Bergwald herausführte und sich in Serpentinen den Berg emporwand. Die Bergflanken warfen tiefe Schatten und die untergehende Sonne ließ die Gipfel in einem blutigen Rot erglühen. Nach und nach schwand das Farbenspiel zu dunklen Blau- und Grautönen, bis nach einer letzte Kehre die Burg in Sicht kam, ein lauerndes, dunkles Tier auf einer Felsklippe hoch über der Schlucht der Sirralein. Die Zugbrücke war herabgelassen, doch das wuchtige Tor war bereits versperrt. Rechts und links davon brannten Fackeln in ihren Haltern und beleuchteten die Ankömmlinge, deren Weg nicht unbemerkt geblieben war. Auf einen Zuruf eines Büttels wurden sie schließlich eingelassen und, einer nach dem anderen, durch das Mannloch in das mit einem zusätzlichen Fallgitter abgesicherte Tonnengewölbe unter dem Torhaus geschleust.

Marbolieb und Amalvin bildeten das Ende der Gruppe, die Priesterin sichtlich erschöpft nach einem Tag flotten Marsches durch die Berge. Die Landmeisterin hingegen stieg schwungvoll von ihrem Rappen, drückte die Zügel einer Magd in die Hand und forderte. "Meldet Eurem Herrn, dass wir ihn zu sprechen wünschen. Wir bringen beunruhigende Kunde aus seinen Landen." Sie tauschte einen Blick mit dem Oberst. "Ihr solltet die Geschichte erzählen. Im Gegensatz zu mir kennt ihr sie ganz."

Dieser nickte und entgegnete dankbar aber auch entschlossen. „Das halte ich Anbetracht der Ernsthaftigkeit unserer Nachrichten ebenfalls für angebracht!“ Dann rief er den bereits enteilenden Büttel energisch nach. „Entrichtet seiner Hochgeboren Grüße des Eisenwalder Oberst und das wir dunkle Kunde bringen.“ Nur kurz musste die kleine Reisegruppe warten, dann war die Ruhepause, den sie im Burghof verbracht und sich am herbeigebrachten, frischen Wasser gelabt hatten, vorüber. Der Büttel kam alsbald wieder herbeigeeilt und vermeldete zackig, dass seine Hochgeboren die Gäste in sein Schreibzimmer bäte. Trotz der kurzen Frist schien es, als habe der der Baron seine Gäste erwartet. Im Arbeitszimmer brannten zwei fünfarmige Kerzenleuchter und erhellten den Raum ausreichend. Der Adlige saß hinter seinem Schreibtisch, als der uralte Diener die vier unverhofften Gäste hereinführte. "Eure Ehrwürden, Eure Gnaden, Herr Oberst - setzt Euch." Der Rabensteiner stützte seine von schwarzen Handschuhen bedeckten Fingerspitzen gegeneinander. "Erzählt mir, was Euch in dieser Eile hierherführt." “Habt Danke eure Hochgeboren”, erwiderte der Oberst knapp und nahm rasch Platz, um sogleich in einem nüchtern- ernstem Ton möglichst objektiv die Dinge wiederzugeben, die seit dem Aufbruch Antharaxs, Marboliebs und von ihm selbst aus Calmir geschehen waren. Die allzu privaten Details seiner Träume behielt er dabei wiederum für sich. “Ihr seht also, dass unsere Kunde uns keine Wahl ließ, sie musste euch auf schnellstem Wege erreichen”, fügte Dwarosch an seine Erzählung an und wartete dann angespannt auf eine Reaktion des Rabensteiners. Der strich sich überlegend über den Bart. "Ist sie also wieder einmal unterwegs." Eine Feststellung nur, mehr nicht. "Was hat sie genau zu euch gesagt?" Er wandte seinen Blick an Marbolieb, die bislang, den Blick gesenkt und die Hände auf den Knien gefaltet, schweigend den Ausführungen gelauscht hatte. Erschrocken zuckte sie zusammen, als das Wort an sie gerichtet wurde, offenbar war sie mit ihren Gedanken nicht ganz bei der Sache gewesen. "Sie hat mich zum Tanz aufgefordert, Hochgeboren. Sie wollte, dass ich ihr folge." Kurz flackerte ihr Blick über das Gesicht des einäugigen Adligen, ehe sich ihr Blick wieder auf ihre Hände richtete. "Seitdem spüre ich sie - stärker als zuvor, als sie nur ein Kratzen an meinen Gedanken war. So, als stehe sie einen Schritt hinter mir und lache mir in den Nacken. Und es ist ein ständiger Kampf, als wolle man eine Fliege fortwedeln, die unbedingt landen möchte." Was die Situation ausrichend beschrieb - zumindest für die Priesterin. Mit einem Nicken nur kommentierte der Baron die Ausssage der Geweihten. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Oberst, der sich als Sprecher in dieser Angelegenheit profiliert hatte. "Ich danke Euch für die Nachricht - und die Warnung." Er schüttelte leicht den Kopf. "Ich werde die notwendigen Schritte in die Wege leiten." Dwarosch, welcher die Stirn in Falten gelegt hatte nach der ersten, fast schon als beiläufig zu bezeichnenden Entgegnung des Barons, blickte diesen leicht skeptisch an. „Würdet ihr mir bitte erklären, was ihr mit ‚wieder einmal unterwegs‘ meint? Kennt ihr diese Frevlerin etwa und was gedenkt ihr gegen sie zu unternehmen?“ Der Rabensteiner betrachtete seine Gäste der Reihe nach, und offensichtlich fiel die gründliche Musterung schließlich zu ihren Gunsten aus. "Diese Frau - nennen wir sie einmal so - ist mir hier vor etwas mehr als drei Dekaden zum ersten Mal begegnet. Sie versuchte, auf meine Travienfeier meine Gemahlin zu entführen und schaffte es zu diesem Behufe sogar, zwei meiner Wachen und einige meiner Gäste zur überrumpeln - darunter meinen damaligen Nachbarn, seine Wohlgeboren Aedin von Naris, den ihr" sein Blick streifte die beiden Geweihten "inzwischen als Sprecher des Schweigenden Kreises kennt." Er schüttelte knapp den Kopf, als er die Erinnerung an jenes lange zurückliegende Ereignis wog und für nicht gut befand. "Wir konnten Ihr die Braut wieder abjagen, doch entkam sie dabei. Einige Jahre davor hatte sie, in der Verkleidung einer Praiosgeweihten, in Bollharschen für Unfrieden gesorgt. Sie ist - war - nach allem, was ich weiß, ein Hexenweib, das sich jedoch schon vor längerer Zeit dem Dienst an der Widersacherin des Schweigsamen verschrieben hat. Sie wird nur selten gesehen, und für einige Götterläufe hatte sie ihre Tätigkeiten ins Almadanische verlagert. Ihren Rückzugsort konnte ich bislang nicht finden, dieser befindet sich indes wohl praioswärts der Via Ferra. Sicher ist jedoch, dass sie bereits einen Inquisitor und seine Begleiter im Almadanischen auf dem Gewissen hat - und auch drei meiner Büttel." Er betrachtete mit wachem, ruhigem Blick die Reaktionen seiner Gäste. Nachdenklich kratzte sich Dwarosch seinen ausladenden Bart während der Baron sprach. Immer wieder huschten Anzeichen von Verwunderung über seine Miene, doch der Oberst versuchte anscheinend den neuen Informationen nüchtern zu begegnen. Als der Rabensteiner geendet hatte, nahm sich der Zwerg einen Moment, alles in den entsprechenden Kontext zu bringen, erst dann setzte er zu einer Antwort an. „Drei Jahrzehnte sagt ihr?“ Dwarosch wirkte nicht überzeugt. Irgendetwas passte seiner Meinung nach nicht zusammen. „Kaum ein Paktierer schafft es der Seelenmühle so lange zu entgehen. Und diejenigen, die IHR verfallen sind, sehen aus wie lebende Leichname, verfallen körperlich, bis sie nur noch groteske Erscheinungen aus Haut und Knochen sind.“ Er warf Marbolieb einen fragenden Blick zu, doch ihre Traumerscheinung musste nichts mit der Realität gemein haben. Dwarosch schüttelte den Kopf und wandte sich dann wieder an seine Hochgeboren. „Solch eine Erscheinung und der damit einhergehende Gestank lässt sich nur schwer verbergen.“ Noch einmal kratzte sich der Oberst den Bart und schüttelte dann den Kopf. Das Gefühl, dass sich etwas nicht ins Bild fügen wollte blieb. „Was gedenkt ihr zu unternehmen. Bitte weiht mich ein, vielleicht kann ich euch behilflich sein, sei es mit Männern oder anderem.“ "Im Grunde habt Ihr recht, Oberst." Der Baron tauschte einen kurzen Blick mit den beiden Priesterinnen und nickte dem Zwergen zu. Der schien sich erstaunlich gründlich mit dieser Materie auseinandergesetzt zu haben. "Doch gibt es eine Sache, die Dämonen fremd ist - und dies ist Berechenbarkeit. Wir wissen nicht, wie die Zeichnung der Widersacherin an dieser Gefolgsfrau aussieht - noch, was sie uns glauben lässt. Ihre Meisterin wird auch Herrin der Alpträume geheißen und Lug und Täuschung sind ihr nicht fremd." Er ließ einen Atemzug lang das Schweigen wieder in den Raum zurückfließen, aus dem es die Anwesenheit so vieler aufgebrachter Gäste vertrieben hatte. "Spezialisten auf sie anzusetzen ist wenig zielführend. Von den letzten drei Gruppen ließ sie wenig übrig. Ich habe daraufhin davon abgesehen, weitere zu beauftragen. Ich werde in Punin um einen Exorzisten nachsuchen - und Verstärkung für eure beiden Federn anfordern, Landmeisterin. Wie sieht es mit Euren Kundschaftern aus, Oberst? Könnt ihr die Vermessung meines Lehens vorziehen? Vielleicht haben wir Glück und sie stöbern etwas auf - ansonsten haben wir zumindest die Karten als Grundlage und können sie mit den meinen abgleichen." Eine kleine Erleichterung bei der Suche wäre besser als nichts - und kein Vorteil, den er sich aus der Hand nehmen ließe. Der Zwerg nickte bejahend. „Ich werde einen Boten nach Senalosch entsenden und alles Notwendige in die Wege leiten lassen.“ "Ich habe schon große Teile meines Lehens nach ihr durchsucht - und durchsuchen lassen“, nahm der Rabensteiner den Faden wieder auf. „Doch wer hier nicht gefunden werden will, hat viele Möglichkeiten, dies zu bewerkstelligen - selbst wenn er nicht auf alte, aufgegebene Zwergenstollen zurückgreift. Einfacher wäre es, sie anzulocken." Sein Blick, mit dem er seine Gäste bedachte, hatte etwas von dem kühlen, lidlosen Warten einer Schlange, die so lange scheinbar ruhig lauerte, bis sich ihr Ziel vor ihrer Nase befand. Dwarosch räusperte sich und hob verwundert beide Augenbrauen. „Warum habe ich nur das ungute Gefühl, dass wir die Köder spielen sollen?“ Der Blick des Einäugigen blieb reglos. "Nicht ihr alle. Habt Ihr einen anderen Vorschlag, Herr Oberst?" Grimmig schüttelte Dwarosch den Kopf. Nein, den hatte er nicht.

Der Baron hatte die Gruppe kurz daraufhin entlassen, mit dem Versprechen, sie zu benachrichtigen, sobald die notwendige Unterstützung aus Punin verfügbar wäre - was voraussichtlich im späten Boronmond der Fall sein würde. Der uralte Diener in der schwarz-silbernen Livree des Hauses, oder ein hinreichend ähnlicher Zwilling des ersteren, brachte die Gruppe ins Badehaus, wo über einem gewaltigen Bottich, der gewiss acht oder neun Leuten gleichzeitig Platz geboten hätte, auf einer dicken Planke ein opulentes Abendessen serviert wurde - von kaltem Braten, Schinken, Würsten, Käse, Butter, Obst und zweierlei Sorten Brot nebst Wein, Bier und Gebranntem blieben kaum Wünsche offen. Währenddessen sorgten sich zwei Bedienstete, eine junge, dralle Magd und ein etwas schlaksig geratener Knecht, um das Wohl der Gäste. "Soll ich mich jetzt über die Unterstützung freuen - oder über die Verzögerung ärgern?" Der Landmeisterin schien es am wenigsten die Laune verhagelt zu haben, vielleicht aber stand sie auch nur auf dem Standpunkt, dass man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen solle. Jedenfalls goss sie sich einen ordentlichen Humpen ein, schnitt sich einen dicken Kanten Brot ab und ließ es sich schmecken. "Es hätte jedenfalls schlimmer laufen können." Der Knecht goss noch einen großen Eimer dampfendes Wasser in den schon weit gefüllten Bottich, und wandte sich an die Gruppe. "Das Bad ist bereitet, edle Herrschaften." Die Magd warf währenddessen einige Handvoll Blüten- und Kräuterblätter auf die Wasseroberfläche, so dass sich schnell ein angenehmer Duft im Badehaus ausbreitete, und ließ einen kleinen Krug Sahne in das Badewasser rinnen. Marbolieb blickte sehnsüchtig in den Bottich, reichte ihr kleine Tochter der Magd, schälte sich aus ihrer Robe und ließ sich bis zum Hals in das heiße Bad gleiten. Sie war schlank, an der Grenze zur Magerkeit, und besaß kleine, feste Brüste - eine Sache, auf die Mirla gewiss ihren Besitzanspruch erhob. Im Inneren des Bottichs zog sich eine Sitzbank am Rand entlang, so dass die Badenden eine bequeme Sitzgelegenheit finden konnten. Marbolieb schloss die Augen und lehnte ihren Kopf an den Wannenrand. Welch ein Luxus! Der Zwerg gab ein grollendes Grunzen von sich auf die Worte der Golgaritin und kaute noch eine Weile an einem großen Bissen Schinken, bevor er seine Meinung mit unwilligem Ton zu Besten gab. „Wir wissen nicht genau, mit wem oder was wir es zu tun haben, können sie nicht einschätzen und dennoch wollen wir ihr einen Köder hinwerfen, um sie anzulocken.“ Er warf Marbolieb einen vielsagenden Blick zu und schüttelte besorgt den Kopf. „Du musst dies nicht tun. Ich würde dich aus freien Stücken nie einer solchen Gefahr aussetzen.“ "Wieviel Wahl habe ich, Dwarosch?" Sie blickte den Zwergen an, nicht glücklich über die Entwicklung der Dinge. "Wie könnten wir sie ansonsten aus ihrer Deckung locken? Auch wenn ich nicht weiß, wie wir die Falle aufbauen könnten, damit sie diese nicht sofort bemerkt." Dwarosch seufzte schwer, schüttelte erneut den Kopf und nahm einen großen Schluck Gerstensaft. Amalvin und Richild schälten sich derweil aus Rüstung und Wappenrock, eine Angelegenheit, die eine Weile in Anspruch nahm. Derweil wandte sich der Oberst an die Golgaritin. „Habt ihr schon einmal mit einem Exorzisten zusammengearbeitet?“ Die Landmeisterin zog mit einem zufriedenen Brummen das Kettenhemd, das sie unter einigem Plattenzeug trug, vom Körper und streckte sich. "Bisher nicht. Ich bin einige Mal mit einem Legaten der Praioskirche zusammengeraten - doch der war primär Diplomat. Meist sind sie der Meinung, dass es reicht, wenn man uns schickt - so viele Exorzisten hat unsere Kirche nicht. Ich habe bisher nur von einem gehört - ohne den jemals zu treffen." Sie rollte ihre Schultern, grinste und begann, sich ihrer Stiefel zu entledigen. "Und Ihr, Oberst? Ihr habt mir viele Feldzüge voraus." „Ja. Praioten und Rondrianer. Im Osten während der Invasion der Verdammten.“ Antwortete der Angroschim knapp. „Auch die Kirche des Listenreichen soll Exorzisten besitzen, aber ich bin nie einem begegnet. Boronis dieser Profession sind mir ebenfalls fremd.“ Routiniert legte nun auch Dwarosch als letzter seine Rüstung ab. Da es nicht seine übliche Aufmachung war, die er trug, ging es recht schnell vonstatten. Die Teile aus gehärtetem Leder waren lange nicht so kompliziert abzulegen wie seine Vollkettenrüstung, welche durch diverse, an ungünstigen Körperstellen gelegene Schließen verbunden und gehalten wurde. Langsam stieg der Oberst in den Bottich und legte seine breiten Arme auf den Rand, als er Platz nahm. Er seufzte während sich wohlige Wärme in seine strapazierten Muskeln drängte. „Fast so heiß wie in Kashdarlosch“, sagte er mit einem äußerst zufriedenen Gesichtsausdruck. "So lässt es sich aushalten." bestätigte die Landmeisterin und griff erneut nach ihrem Bierhumpen und hielt ihn dem Knecht entgegen, der ihr dienstbeflissen nachschenkte. "Auch, wenn ich keine Ahnung habe, wo Kashdarlosch liegt." Ihre Aussprache erinnerte an den melodischeren Zungenschlag der Hügelzwerge und verriet, dass ihre Kinderstube vermutlich jenseits der Koschberge gelegen hatte. „Kashdarlosch ist eine kleine Bergwacht Isnatoschs. Sie liegt in einer sehr tiefen und versteckt liegenden Schlucht des Eisenwaldes. Dort gibt es heiße, brodelnde Quellen, beißende, schwefelhaltige Dämpfe. Ungenießbar für einen Menschen. Mein Volk hingegen schätzt diesen Ort als ebenso heilsam wie heilig.“ erklärte Dwarosch. Die Landmeisterin nickte und den zuvor eingeschlagenen Gesprächsfaden wieder auf. "Vielleicht sollten wir die gute Dame noch ein bisschen mehr reizen, um sicherzustellen, dass sie uns einen Besuch abstattet. Eine Paktiererin mit magischen Fähigkeiten kann unangenehm werden ... und wenn sie noch ein paar Sammelstellen mehr dieser Art angelegt hat, dann räumen wir dabei auch gleich ein bisschen unter ihren Handlangern auf." Im Gegensatz zu ihren Worten klang die Stimme der Landmeisterin nicht sehr besorgt. Amalvin, der damit einiges an Arbeit auf sich zukommen sah, griff nach einem Becher Schnaps, schüttete ihn in einem Zug hinunter und hustete. Marbolieb betrachtete den Schlagabtausch, strich über die beiden silbernen Schmuckstücke, die sie um den Hals trug - eine einfache Schnur, an der ein etwa zwei Finger durchmessendes, schluckloses Boronsrad hing, und eine deutlich wuchtigere Angelegenheit aus achteckigen, kunstvoll aneinandergefügten Platten, und senkte überlegend den Blick. "Habt Ihr einen Vorschlag, wie wir die Hexe aus ihrem Versteck locken?" Offensichtlich gab ihr Arsenal wenig her. "Es wird wenig helfen, wenn ich durch die Wälder um Calmir spaziere und darauf warte, bis sie mich aufsammelt." Dwarosch nickte. „Diese Frage habe ich mir auch schon gestellt.“ Mit einem leicht verklärten Blick sah er die Geweihte an, die die Kette trug, welche er ihr geschenkt hatte. Mühsam riss er sich los. „Aber mir kam auch noch nichts in den Sinn, wie wir ihre Aufmerksamkeit auf uns ziehen könnten.“ Er schnaubte. "Sie wird sicher noch mehrmals versuchen, Einlass in meine Träume zu bekommen." Marboliebs Blick blieb an den Hautbildern auf den muskelbepackten Oberarmen des Oberst hängen. Sie hob ihren Kopf und blickte ihm in die Augen. "Doch diese Verbindung geht in beiderlei Richtung." Eine ruhige Feststellung. Der Kopf der Landmeisterin ruckte hoch und sie stellte ihren Humpen mit einem dumpfen Knall auf dem massiven Brett ab. Ein schäumender Streifen Bier rann über seinen Rand und bildete eine Lache um seinen Fuß. "Seid nicht derart hochmütig, Schwester! Das ist gefährlich- und von uns kann Euch da niemand mehr rausholen." Die scharfe Zurechtweisung in ihrer Stimme sorgte dafür, dass Marbolieb das Blut ins Gesicht schoss und sie den Kopf senkte. "Ich will Euch Eure Fähigkeiten nicht abstreiten." Richild schüttelte den Kopf und nahm ihren Bierkrug wieder zur Hand. "Aber so verzweifelt bin zumindest ich noch nicht." „Dann sagt mir was ihr zu tun gedenkt?“ Hakte der Oberst nach. „Es klingt so, als hättet ihr eine Vorstellung was zu tun sei? Heraus damit. Jeder Ansatz kann als Grundlage dienen.“ "Sobald mir etwas einfällt, gebe ich Euch Bescheid." Die Landmeisterin beäugte Brot und Schinken und schnitt sich eine weitere Scheibe davon ab. "Zumindest kann es nicht schaden, sich in den Wäldern etwas genauer umzusehen und den Köhlern Besuche abzustatten." Wenn das, was der Oberst wünschte, so einfach wäre, so hätte die Hexe ganz gewiss schon ihre Freiheit eingebüßt. "Schlimmstenfalls starten wir eine Treibjagd ... was hier alles andere als spaßig wird." „Und dabei werden meine Soldaten helfen.“ Kam es entschieden vom Oberst. Doch,“ Dwarosch runzelte die Stirn, „ich mache mir wenig Hoffnung, dass sie uns dabei in die Quere kommt. Sie hat nicht so lange unbeschadet ihr Unwesen getrieben, um sich dann auf so einfache Weise fangen zu lassen. Nein, das wird nicht geschehen. Und dennoch, wir müssen es tun und darauf hoffen Spuren ihres Wirkens zu entdecken. Vielleicht können wir dabei gleich ein paar ihrer verfluchten Nester ausräuchern, wenn es sie denn gibt.“ Dwarosch schien ein weiterer Gedanke gekommen zu sein. Er blickte fragend zu Marbolieb. „Gibt es Diener Bishdariels in den Nordmarken, die Traumreisen willentlich herbeiführen und kontrollieren können? Ich hörte Gerüchte in Al’Anfa von solchen Gaben. Die Geweihte erwiderte den Blick des Obersten und ein Lächeln spielte um ihre Mundwinkel. "Diener Bishdariels gibt es hier einige - neben der Landmeisterin und mir weiß ich in den Nordmarken von fast einem Dutzend - der Herr von Mersingen im Elenviner Tempel ist einer, und in Weidleth gibt es auch drei davon." Sie füllte sich einen Becher mit Wein und goss dann großzügig mit Wasser auf. "Traumreisen sind so schwierig nicht und auch in der Puniner Kirche bekannt. Ich weiß nicht, ob ihr sie beherrscht." Ein fragender Blick zu der Golgaritin wurde von dieser mit einem Kopfschütteln beantwortet. "Ich habe einiges an Erfahrung damit." Nachdenklich musterte sie den Oberst, und das Lächeln hatte ihre Augen noch nicht ganz verlassen. "Wenn ihr jemanden anderen sucht, würde ich bei den Mersingern in Weidleth nachfragen." Milde, fast schon entschuldigend wurde der Gesichtsausdruck Dwaroschs. Seine Stimme war sanfter als üblich und Marbolieb erkannte, dass er sie wegen ihrer mangelnden Erfahrung nicht diskreditieren wollte. „Mir war durchaus bewusst, dass du dieser Strömung angehörst Marbolieb. Doch vermagst du sie in ihren Träumen aufzusuchen, oder sie in deine zu zwingen? Meiner Meinung nach benötigen wir eine Sicherungsleine, wenn wir versuchen wollen, ihr auf dieser Weise beizukommen. Ich gehe kein unnötiges Risiko ein. Vielleicht wäre erfahrene Unterstützung aus Weidleth eine gangbare Option. Wie ist das Verhältnis des Rabensteiners zur Familie Mersingen?“ "Ich glaube, recht gut. Der Baron von Aschenfeld, Welfert von Mersingen, hat den Rabensteiner letztes Jahr zweimal besucht." Sie blickte über das reichhaltige Essensangebot und entschied sich schließlich für einen rotbackigen Apfel. Dwarosch schien kurz überrascht. Er hatte nicht gewusst, das der Rabensteiner mit dem Heermeister der Rabenmark befreundet war. Der Oberst hob eine Augenbraue, unterbrach Marbolieb jedoch nicht. Die Priesterin blickte ihn fragend an, entschloss sich dann aber doch, ihre Aufmerksamkeit auf ihr Abendessen zu richten. Noch war Mirla auf dem Arm der Magd leidlich zufrieden - ein kurzer und umso kostbarerer Moment der Ruhe. "Sie würde mich ganz sicher gerne in meinen Träumen besuchen - das ist genau das, was ich ihr seit einigen Tagen verweigere." Sie kostete von dem süßen, saftigen Sommerapfel und genoss diesen merklich. "Ich lasse Fremde niemals in die eigenen Träume, Dwarosch - das ist eine der ersten und bedeutendsten Regeln, die meine Kirche in diesem Bereich lehrt. Sie könnte dann nahezu alles mit ihnen - und mit mir - anfangen. Dass sie ganz genau weiß, was sie zu tun hat, hat sie bereits mit dem Besuch in Deinem Geist erwiesen." Ihre gute Laune war mit einem Schlag wie weggewischt. Ernst fuhr sie fort. "Aus dem gleichen Grund wird sie alles daransetzen, mich aus den ihren herauszuhalten. Einen Eindringling in den eigenen Träumen festzuhalten, das ist hohe Schule - ein Gefecht zwischen Erfahrung, Willen und Entschlossenheit bis zum Äußersten. Das mag gelingen - oder auch nicht, kann aber leicht einen oder beide Verstand oder Leben kosten. Ich möchte das nicht tun." Sie betrachtete den halb gegessenen Apfel, als habe sie vergessen, was sie damit anfangen wollte. "Eine Sicherungsleine ist eine gute Idee, doch ob sie rechtzeitig hält oder reißt, wird sich dann entscheiden. Beides ist gleichermaßen möglich." Sie legte den angegessen Apfel zurück auf ihren Teller, griff nach ihrem Becher und leerte ihn in wenigen Schlucken. Glücklich sah sie nicht mehr aus, und auf ihren Oberarmen hatten sich leichte Pusteln gebildet. "Gibt es noch etwas, das Du darüber wissen möchtest?" bot sie an. „Nein!“ Sagte Dwarosch entschieden als Antwort. „Du möchtest es nicht tun, das akzeptiere ich nicht nur, dass ist mir Anlass, mich nicht an einer solchen Sache zu beteiligen. Es muss einen anderen Weg geben, wir müssen ihn nur finden.“ Ohne eine Reaktion der anderen abzuwarten ließ sich der Zwerg weiter in den Bottich gleiten, bis auch sein Kopf unter Wasser war. Als er wieder hoch kam waren seine Augen geschlossen und er wusch sich das Gesicht, Nacken, Hals und Schultern mit einem Schwamm, welcher bereitgelegen hatte. Dann tauchte er erneut kurz unter, um sich im Anschluss, das lange schwarzbraue Haar und den Bart auszuwringen. Alles in allem nicht ganz typisch für einen Angroschim. „Wir sollten alle drüber schlafen. Die letzten Tage haben viel Kraft gekostet und an unseren Nerven gezerrt. In unserem Zustand trifft man schnell falsche Entscheidungen. Lasst und schlafen gehen und morgen sehen, wie es weitergeht“, schlug Dwarosch vor. „Ich für meinen Teil sehne mich nach etwas Ruhe.“ Marbolieb nickte auf seine Worte hin. Sie fühlte eine bleierne Müdigkeit in ihren Knochen, woran auch das warme Wasser seinen Anteil hatte. Sie fuhr sich mit einem Schwamm über Gesicht und Haare - viel zu lang waren sie inzwischen geworden und verlangten dringend nach einer Rasur. Sicher verfügte die Burg über einen Barbier - sie mochte das Gefühl nicht, sich selbst mit einem Rasiermesser über den Schädel zu schaben. Entschlossen wischte sie sich den Seifenschaum aus dem Gesicht. "Wenn Du magst, spende ich Dir noch meinen Segen für diese Nacht. Das sollte alle Träume fernhalten." Ein Risiko würde sie jedenfalls nicht mehr eingehen. Mit einem wehmütigen Blick zurück kletterte sie aus dem noch immer gut warmen Wasser und wickelte sich in eines der angewärmten Laken, welche der Knecht bereitgelegt hatte. Sie hörte ihre Kissen förmlich rufen. „Dafür wäre ich dir dankbar“, antwortete Dwarosch und entstieg daraufhin ebenfalls dem Bottich, nicht jedoch bevor er sich noch ein dickes Stück Käse genüsslich in den Mund geschoben hatte. Draußen warf er sich sogleich ein Tuch um die Hüften, verknotete es, um dann mittels ein zweiten die Vielzahl seiner dicken Haare zu trocknen. Die Gastgemächer der Burg befanden sich im ersten Obergeschoss im rechten Flügel des Palas. Der Raum des Oberst war großzügig geschnitten, mit einem annährend zwei Schritt breiten und langen Himmelbett mit dicken Daunenkissen und schweren, dunklen Vorhängen. Ein Tisch mit zwei Stühlen - beides in passender Höhe für einen Angroschim - aus schwerem, altersdunklem Holz und eine kunstfertig mit Rankenornamentik verzierte, metallbeschlagene Truhe sowie ein Waschgeschirr vervollständigten die Einrichtung. Ein Kamin mit einer Einfassung aus dunklem Granit ermöglichte eine Heizung in den Wintermonaten. Bis zur Höhe von zwei Schritt waren die Räume mit dunklem Holz vertäfelt, in der tiefen Fensternische war eine Sitzbank eingelassen. Um die Fensterlaibung und entlang der Decke zog sich ein ausgebleichtes Fresko aus stilisierten Efeublättern, in das Raben, Schädel und gebrochene Räder eingearbeitet waren. Auf dem Tisch standen ein gefüllter Krug und ein Becher, daneben ein zweiarmiger Kerzenleuchter, den der Knecht, der den Oberst hierhergeführt hatte, eilfertig entzündet hatte. Die Kleidung der Gäste war während des Bades von einigen diensteifrigen Geistern gereinigt worden, und auch die Stiefel des Angroscho glänzten, als entstammten sie neu der Werkstatt eines Schusters. Nach einiger Zeit klopfte es, und auf das "Herein" Dwaroschs trat Marbolieb ins Zimmer. Die Kapuze ihrer Robe verbarg ihr Gesicht bis fast zur Nasenspitze und ihre leichten Schritte waren nahezu geräuschlos auf den polierten Bodenfliesen. Einen Atemzug lang blieb sie stillstehen und blickte den Oberst an, ehe sie die Stimme erhob. "Eine Bitte, Dwarosch." Der Zwerg stand vor dem Bett und flocht sich den Bart zu einem einzelnen dicken Zopf, während ihm das lange Haupthaar noch nass und wellig über die Schulter fiel. Er war barfuß und trug nur eine weite, bequem aussehende Hose aus einfachem Leinenstoff, sowie ein dazu passendes kurzärmliges Hemd. Dwarosch lächelte. „Welche?“ Fragte er mir seiner tiefen Stimme, die in diesem Moment etwas beruhigendes hatte. Ein leises Lächeln spielte angesichts dieses friedvollen Anblicks über die Lippen der Geweihten. Sie öffnete die Hand, in der ein schlichtes, silbernes Boronsrad, vielleicht zwei Finger breit, an einer einfachen Lederschnur lag. "Ich werde nicht jeden Abend mit dir beten können." Ihre Stimme war sanft und dennoch schwang etwas in ihr, das die Ruhe dieses Augenblicks einfing, verstärkte und umschloss, als sei sie ein Teil davon, kein Gegensatz. "Hierauf liegt der stärkste Schutzegen für Deinen Geist, den zu wirken ich imstande bin." Ihr Lächeln vertiefte sich und zeugte einen Moment lang von einer inneren Stärke, die mit ihrer zierlichen Gestalt nichts gemein hatte. “Würdest Du es tragen?” Lange blickte Dwarosch auf den Anhänger in ihrer zierlichen Hand, bis er aufblickte und seine Augen die ihren suchten. Ein wenig belegt war seine Stimme. „Mit beträchtlichem Stolz, denn es würde nicht nur einen Teil meines gewonnenen Glaubens wiederspiegeln, sondern für mich auch Symbol unserer Freundschaft sein.“ Das Lächeln Marboliebs gewann an Wärme, und das Leuchten ihrer Augen war unter der Kapuze nur zu erahnen. Sie nahm den Anhänger auf, ihre Geste eine stille Frage. Als der Oberst erkannte, wie Marboliebs Hände das auszuführen begannen, was sie vorher angekündigt hatte, neigte er den Kopf. In einer langsamen, den Moment auskostenden Geste legte die Geweihte die Kette um Dwaroschs Hals. Sanft fuhren ihre warmen Hände durch die Masse seines Haares, als sie das Band an seinen Platz legte und seinen Sitz korrigierte, bis der Anhänger mittig auf seiner Brust ruhte. Widerstrebend löste sie die Berührung und trat einen halben Schritt zurück, ihr Werk begutachtend — und fand es zu ihrer Zufriedenheit. Sie ließ der Stille den Raum, nach dem sie verlangte, und fügte dann mit sanfter Stimme hinzu: „Lass‘ uns beten.“ Nur ein sehr aufmerksamer Zuhörer hätte die Wehmut in ihrer Stimme ausgemacht. Es würde das letzte Mal sein. Dwarosch indes spürte, dass etwas anders war, doch er sagte nichts, außer Stande, den Moment zu zerstören. Marbolieb ließ sich geschmeidig auf ihre Knie nieder. Ein Hirschfell bedeckte den Boden und nahm die Kälte der Fliesen. Sie legte ihre Hände in den Schoß und neigte den Kopf, richtete ihre Aufmerksamkeit auf das gleichförmige Kommen und Gehen ihres Atems, bis sie fühlte, wie der Frieden dieses Ortes und dieses Abends Besitz von ihr ergriff und ihre Gedanken und Gefühle ihr aufgeregtes Flattern schließlich einstellten und sich zur Ruhe begaben, so, wie es sein sollte. Sie legte ihre Rechte sanft auf die Pranke des Oberst, der sich neben ihr niedergelassen hatte. 'Mein Herr Boron, Dein sind Schlaf und Traum, Dein ist das Ende aller Dinge. Deinen Geboten folgen wir.' Frieden legte sich über die Szene, wie ein feines, dunkles Tuch - eine fast fühlbare Berührung und ein Versprechen gleichermaßen. 'Halte Deine Hand über meinen Begleiter, behüte seinen Weg und seine Träume - und nimm' ihn auf in Deine Arme, wenn sein Leben das Rad zerbricht.' Wenige Worte. Doch die rechten. Wie oft wurde doch ihr Sinn unter viel zu vielen von ihnen begraben. 'So sei es.'

Hallend laut antwortete ihr das Schweigen.

Dwarosch hatte die Augen geschlossen, befand sich noch in stiller Einkehr- tief in sich versunken, als Marbolieb zu ihm aufblickte. Die Miene des Zwergen war gänzlich ausdruckslos, leer, aber in diesem Moment auch frei. Ja, so hätte die Geweihte es beschreiben wollen, hätte sie jemand gefragt. Die sonst häufig so verbissenen, harten Züge des Angroscho zeigten nichts außer vollkommener Ruhe und vielleicht sogar sowas wie inneren Frieden. Letzteres war etwas, was weder in Dwaroschs Vorstellungskraft, noch in seiner Wahrnehmung der Welt existiert hatte, bevor er die Geweihte auf dem Feldzug gen Rahja kennengelernt hatte. Sie hatte mit der Glaubenslehre Borons das Quäntchen Gegengewicht geschaffen, was notwendig gewesen war, um das verzehrende Wesen Kors auszugleichen. Dwaroschs Wesen, das vormals geprägt war von Rastlosigkeit, Aufruhr, ja innerem Krieg, war nun im Gleichgewicht. Er diente dem Herren der Schlachten, mit Hingabe und Leidenschaft, doch hatte er aufgehört, sich von dieser Leidenschaft zerstören zu lassen. Der Unergründliche schenkte ihm Vergessen und innere Kraft durch das Gebet und Dwarosch danke es ihm durch einen starken Glauben. Dwarosch öffnete seine schwarzen und damit fast ein wenig verstörenden Augen. Ihre Blicke fingen einander und der Zwerg nickte kaum merklich. Worte waren unnötig, überflüssig, ja wären von beiden als störend empfunden worden. Sie kannten, schätzten einander für dieses stille Verständnis. Einige Atemzüge lang betrachtete die Priesterin still die Miene des Oberst und erfreute sich an dem Anblick. Zufriedenheit erfüllte sie, und eine tiefe Ruhe, die Ihr verdeutlichte, dass es gut so war, wie die Dinge sich verhielten. Das Lächeln auf ihren Lippen überzog sich mit einem Hauch Traurigkeit, als ihr Blick sich mit den Augen Dwaroschs traf und ihn hielt, eine Ewigkeit lang, die mehrere Herzschläge lang währte. Schließlich war sie es, die die Augen niederschlug, sich ihres Ausdrucks nicht mehr gewiss. Zu viele Dinge standen in ihnen zu lesen. Sie nahm ein Salbenfläschchen von ihrem Gürtel, eine Tätigkeit, die längst nicht die Aufmerksamkeit verdiente, die sie nun erhielt. Sie entfernte den Korken und goss sich das dunkelgoldene Salböl auf die Handfläche, woraufhin der würzige Geruch nach Weihrauch, Harz, Kräutern und anderen, schwer definierbaren Bestandteilen den Raum erfüllte. Marbolieb benetzte ihre Fingerspitzen mit der duftenden Flüssigkeit und zeichnete ein Boronsrad auf Dwaroschs Stirn. Ihre Berührung hinterließ ein leichtes Kribbeln als Nachhall auf seiner Haut. Den Rest verrieb sie mit sanften, gleichmäßigem Bewegungen aus seinen Schläfen. Angenehm schmeichelte der sanfte Duft in seiner Nase. Die Priesterin verhielt einen Moment, ehe sie ihre Rechte leicht auf den Scheitel des Oberst legte. Langsam, Atemzug um Atemzug, fühlte Dwarosch, wie seine Atmung nochmals tiefer und sein Herzschlag etwas langsamer wurde. Dunkler wurde der Raum und obgleich sich die sanfte Berührung der Priesterin nicht änderte, wollte es Dwarosch scheinen, als breite sich die überaus angenehme, einlullende Wärme, die von ihrer Hand ausging, durch seinen gesamten Körper aus und trage ihn sicher an die Gestade des Schlafes. Irgendwie musste er in sein Bett gelangt sein, denn bevor ihm die Lider schwer wurden, umgeben vom leichten, beruhigenden Duft des Salböls, bemerkte er noch am Rande seiner Aufmerksamkeit, wie ihn die Geweihte mit sorgsamen Händen zudeckte und zum Schlaf bettete. Sanft strich sie ihm über die Schläfen und berührte schließlich mit ihrer Stirn die seine. Die Müdigkeit forderte ihr Recht mit federleichter, unerbittlicher Macht, und trug ihn fort mit sich in die Dunkelheit des wohlbehüteten, geborgenen und traumlosen Schlafes. Marbolieb löste die federfeine Berührung, trat einen Schritt zurück und betrachtete ihren schlafenden Freund mit einem warmen und gleichermaßen traurigen Lächeln. Diese Nacht würde niemand seine Ruhe stören - zumindest dieses letzte Geschenk vermochte sie ihm zu hinterlassen. Sie löschte die Kerzen und verließ mit leisen Schritten das Schlafgemach, das Rascheln ihrer Robe so leise wie das Federspiel eines Raben, der sich zur Ruhe bettet. Als Marbolieb ihn kurz darauf verlassen hatte, machte sich ein diffuses, unerklärliches Gefühl von Verlust in Dwarosch breit. Er konnte es nicht abschütteln. Seine Träume in jener Nacht waren nicht bösartig oder von Schrecken erfüllt, wie seinerzeit, als ihn die Frevlerin besucht hatte, aber sie waren verwirrend und sein Schlaf unruhig, so dass er am Morgen, als der Hahn irgendwo unten im Burghof krähte, fast froh war, dass er erwacht war. Die Tatsache, dass er geträumt hatte, war der Umstand der ihn beunruhige, ja besorgte. Wiederholt war sein Schlaf nicht der eines Steines gewesen, unnatürlich für einen Vertreter seines Volkes. Der Morgen war wolkenlos und erfüllt von fast schon grellem Sonnenlicht. Im Speisesaal war ein reichhaltiges Frühstück für die Gruppe aufgedeckt, und zwei Bedienstete standen zu ihrer Versorgung bereit. Der Hausherr hatte offensichtlich bereits gespeist und war in eigenen Angelegenheiten unterwegs, so dass die Gruppe sich mehr oder minder frisch und munter allein zusammenfand. Der Oberst war an jenem Morgen eher schweigsam. Zwar begrüßte er jeden mit freundlichen Worten und verzog auch ansonsten keine Miene, als ob er übellaunig wäre, doch nahm er sein Mahl in aller Stille zu sich und schien zu grübeln. Schließlich, nachdem er ein wahrlich fürstliches Frühstück eingenommen hatte, lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und blickte fragend in die Runde, bevor er mit nüchterner Stimme das Wort ergriff. „Ich gebe zu, dass mir kein Einfall gekommen ist, wie wir weiter verfahren sollten, um die Frevlerin anzulocken.“ Er schüttelte den Kopf, Unzufriedenheit stand in seinem Gesicht geschrieben. „Wenn von euch keiner eine zündende Idee hatte, so schlage ich vor, ich reise zurück nach Senalosch, berichte dem Mogmarog und stimme mich mit dem Baron über eine Suchaktion ab. Ich werde dann mit meinen Gebirgsjägern zurückkommen und mich hier mit den Kräften seiner Hochgeboren und der Golgariten“, er nickte in Richtung der Landmeisterin, „vereinen, bevor wir aufbrechen. Ich hoffe, dass wir auf Spuren oder sonstiges stoßen werden, die uns weitere Optionen ermöglichen.“ "Ein guter Plan!" stimmte die Landmeisterin zu. Auch sie hatte sich mit einer entschlossenen und gnadenlosen Schlacht durch das reichhaltige Frühstücksangebot geschlagen. "Ich kenne die Wälder nicht so gut wie die Jäger des Barons, aber Stöbern schadet nie - irgendetwas scheucht man immer auf." Sie schien äußerst zufrieden mit dieser Aussicht. Weniger Zuversicht strahlte die Miene Amalvins aus. "Ich verstehe nicht, wie man in diesen Wäldern irgendetwas finden will." brummte er, versenkte sich dann aber wieder in seinen Humpen Bier, der seiner Ansicht nach ein ganz hervorragender Begleiter zu einem herzhaften Frühstück war. Marbolieb hielt sich aus der minder oder mehr angeregten Diskussion heraus. Sie hatte Mirla auf ihren Schoß gesetzt, die mit strahlendem Gesicht einen Kanten Brot ablutschte und ihre klebrigen Händchen mit einem fröhlichen "Da!" nach dem Oberst ausstreckte. Die Geweihte erhob sich und wandte sich an den Graumantel. "Haltet sie bitte." und drückte dem verdatterten Krieger ihre Tochter in die Hand. Über das Gesicht der Landmeisterin huschte angesichts des Entsetzens ihres Gefolgsmannes ein kurzes Grinsen. Sie lehnte sich zurück, streckte die Beine aus und genoss einen tiefen Schluck aus ihrem Teebecher. "Begleitest Du mich einige Schritte?" Marboliebs Stimme klang ruhig und gelassen, und trotzdem strahlte sie etwas aus, das diesen Frieden Lügen strafte. Dwarosch nickte zaghaft und erhob sich langsam, fast zögerlich, als wolle er das Gespräch unterbewusst herauszögern. Eine dumpfe Vorahnung hatte ihn beschlichen. Das was folgen sollte würde nicht einfach sein. Sie gingen in den Burghof, der Zwerg folgte mit schweren Schritten und versuchte eine freundliche, offene Miene zur Schau zu stellen, doch Marbolieb erkannte seine unterschwellige Besorgnis, als sie sich zu ihm umdrehte. Die Geweihte wanderte über den Burghof und durchschritt eine kleine Pforte in der zwei Schritt breiten Mauer, die das Wirtschaftsgebäude mit der Wehrmauer verband. Dahinter, am südöstlichsten Zipfel der Burg, der auf einem hohen Felssporn über die Sirralein hinausragte, fand sich der Zugang zum zweiten, älteren Bergfried und um ihn herum ein offensichtlich wohlgepflegter, kleiner Garten. In akkurat abgesteckten Beeten wuchsen verschiedene Kräuter, einige kleine Büsche säumten die Mauer und an der Wand des Wirtschaftsgebäudes rankte sich neben einem alten, in voller Blüte stehenden Hollerbusch eine einzelne Rose empor, deren tiefdunkle, fast schwarze Blüten die stehende Luft am frühen Morgen mit einem betäubenden Parfüm erfüllten. Marbolieb drehte sich zu ihrem Begleiter um. „Ich will Dir nichts Böses, Darosch.“ Eine Sache, die er wusste – hoffentlich. Und doch sprach seine gesamte Körperhaltung eine andere Sprache. Die Geweihte setzte sich auf eine Steinbank aus dunklem Granit, die sich unter den Bögen der Kletterrose an die Wand anschmiegte, und bedeutete dem Oberst mit einer Geste, neben ihr Platz zu nehmen. Beruhigend legte sie ihre Hand auf die seine und hob ihren Blick, bis ihre Augen sich trafen. Dunkel und fast schwarz waren die ihren, voller Ruhe, wie ein tiefer, stiller See, beständig und doch erfüllt von der Vergänglichkeit eines jeden Augenblicks. „Du weißt, weshalb wir hier sind.“ Der Oberst seufzte schwer und nickte wie mechanisch. Er vermied es sie dabei anzusehen. „Du willst dich von mir verabschieden und mir noch einmal sagen, dass unsere Freundschaft eine Gefahr darstellt, ein potentieller Schwachpunkt ist, den SIE irgendwann auszunutzen wird.“ Wiederum atmete er tief und deutlich vernehmbar ein und aus. „Ich akzeptiere deine Entscheidung diesbezüglich, aber ich sage noch einmal, dass sie mir nicht gefällt und dass ich sie für falsch halte.“ Dwarosch Wangenknochen arbeiteten. Dann schüttelte er schließlich den Kopf. „Mehr will ich dazu nicht sagen.“ Die Priesterin hob ihre Hand und legte sie an die Schläfe des Zwergen. Lange sah sie ihn nur still an. „Eine Gefahr für dich, mein Freund. Sie ist den ersten Schritt bereits gegangen.“ Ihre Augen schimmerten und verrieten die Emotionen, die ihre stillen Züge verbargen. „Ich werde nicht zulassen, dass sie dich ins Verderben zieht.“ Allein, der Preis hierfür war bitterlich hoch. „Ich werde dich nicht mehr sehen, Dwarosch.“

Sie beugte sich zu ihm und berührte sanft mit ihren Lippen die seinen. Weich und zart war ihr Mund und schmeckte nach Wärme und Leben. „Lebewohl, mein Liebster.“

Kaum mehr als ein Flüstern war ihre Stimme und verriet die Tränen, die sich in ihren Augenwinkeln sammelten.

Weniger als ein Stundenglas später verließ der Oberst Burg Rabenstein eiligen Schrittes. Dwarosch hatte hastig seine Sachen zusammengeklaubt, seine Rüstung angelegt und sich nur noch ein wenig Proviant in der Küche aushändigen lassen, dann war er schleunigst aufgebrochen. Bei seiner Hochgeboren hatte er sich selbstverständlich durch dessen Haushofmeister abmelden lassen. Marbolieb hatte er nichts entgegnen können. Er war aufgestanden und gegangen.

Innerlich aufgewühlt ob der komplizierten Situation zwischen ihm und der Geweihten, aber auch stark verunsichert wegen jener Wortwahl Marboliebs, denn auch die die Frevlerin hatte exakt diese Worte gesagt, hatte er schlicht Reißaus genommen. Wie konnte das alles sein? Woher wusste sie, dass Marbolieb sich von ihm verabschieden würde? Woher, wie sie es tun würde, mit welchen Worten? Träumte er etwa immer noch, oder etwa bereits wieder? Doch dies war nicht der einzige Grund seines geistigen Ausnahmezustandes. Mehr als fünf Dekaden war es her, dass Dwarosch einer Zwergin wirklich nahegestanden hatte. Marbolieb war die erste Frau, obendrein eine Menschin, für die er seither Gefühle hegte. Doch was bedeutete das genau, was fühlte er wirklich? Darüber war es sich bisher ebenfalls alles andere als klar gewesen, denn Gefühle waren nie seine Stärke gewesen. All das überforderte den Sohn des Dwalin in jenen Stunden, so dass der Angroschim die Einsamkeit, die Stille der Berge als tröstend empfand. Hier drang nichts auf ihn ein und mit jeder Meile, die er sich von Burg Rabenstein entfernte und seiner Heimat Senalosch näherkam, beruhigte er sich mehr und mehr.

Was Dwarosch zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnte: All das würde ihn schon bald wieder einholen, denn die Wege der Götter sind nun einmal unvorhersehbar … . ---

Kategorie: Briefspielgeschichte

-- Main.IseWeine - 04 Jun 2018