Schwarz steht der Tann - Epilog III

Weiß wallt der Nebel

Epilog III der Briefspielgeschichte Schwarz steht der Tann

Befinna

Es sollte noch einiges an Zeit ins Land streichen und viel Wasser die Ambel hinabfließen, bis die junge Baroness dieser Lande das Geschehene verarbeiten konnte. Zu sehr hatten die Erlebnisse im Forst an dem gerüttelt, was sie bisher kannte, was ihr Sicherheit gab und auch was sie glaubte zu wissen. Besonders prägend war die Begegnung mit ihrer Mutter Alheyt, die sie eigentlich nur aus Erzählungen kannte, aber dennoch ein solch festes Band zu ihr fühlte, dass sie bereits am nächsten Morgen wieder zurück zu dem seltsamen Baum wollte. Sie wollte sie noch einmal sprechen - ihr so viel sagen und sie so viel Fragen. Alles Dinge, zu denen sie am gestrigen Tage nicht imstande war. Der Wille der jungen Frau war dabei so stark, dass es einiges an Überredungskunst ihrer Gefährten brauchte, um Befinna dieses Vorhaben wieder auszureden. Nun war sie bereit zu ihrer Schwester zurückzukehren.

Wunnemine würde ihr bestimmt nicht glauben und wie die Baroness sie kannte, würde ihre ritterliche Schwester wohl einen Schwertzug gegen Suncuua und ihren Stamm organisieren. Nein, sie würde über das Erlebte schweigen, zumindest auf Burg Ambelmund. Die Rückkehr in ihre Heimat bereitete ihr zudem etwas Bauchschmerzen, würde Wunnemine doch bestimmt nicht glücklich über ihr Reißaus sein, das ihr einiges an Gold und wohl auch Ansehen gekostet hatte.

Trotz alledem war die Laune der jungen Frau nicht die schlechteste. Immerhin hatte sie auf ihrer unerwarteten Reise einige neue Freunde kennengelernt; Khorena, Lioba, Tsamitrius und eigentlich auch Suncuua. Dazu kam auch die Gewissheit, dass das Leben außerhalb der Burgmauern so viel mehr zu bieten hatte als Bücher und kindliche Träumereien. Doch bevor diese Erkenntnisse durch den Studel an Gefühlen und Gedanken in ihr Bewusstsein sickerten, würde es noch etwas dauern - es war ein erster Schritt auf einem noch sehr langen Weg.

Llyilliala

Die Menschen waren fort. Die Goblins waren fort. Die Goblins ... Llyilliala war sich nicht ganz klar darüber, was sie von den Goblins hier halten sollte. Zeit ihres Lebens war sie diesen Wesen ausgewichen oder hatte sie bekämpft. Lange Jahre war sie in der Umgebung der Salamandersteine unterwegs gewesen, im Bornland, in den Steppen und der Tundra des Nordens, der Grünen Ebene, dem Niemandsland. Dort galt nur ein Gesetz: der Stärkere überlebte. Allerdings ... unter den Menschen hieß es, viele Hunde seien des Hasen Tod. Dieses Gesetz hatte auch eine andere Ausprägung: viele Hasen waren genauso des Hundes Tod, zumindest, wenn die Hasen wenigstens rudimentäre Zähne hatten. Oder, in ihrem Fall: viele Goblins waren der Elfen Tod. Und viele Menschen auch. Jeder Kampf, auch jeder gewonnene Kampf, hinterließ eine Wunde. Und auch eine Elfe konnte nur eine gewisse Anzahl an Wunden verkraften, bevor sie ins Licht zurückkehren musste, ob sie wollte oder nicht, ob die Zeit dafür gekommen war oder nicht.

Doch die Goblins hier ... waren seltsam. Wobei ... vielleicht war das nur eine Folge davon, dass sie gewonnen hatten, hier, an diesem Ort. Ganz offensichtlich machten sie sich die Kräfte eines alten elfischen Heiligtums zunutze, was schon an sich einen Frevel darstellte. Nun gut, "Frevel" war das falsche Wort, ein Wort der Menschen, des badoc. Die Goblins bedienten sich einfach Kräfte, die ihnen nicht zustanden, zu deren Entstehung sie nichts beigetragen hatten, Schmarotzer wie eh und je und überall. Und die Menschen ließen sie gewähren, bis jetzt zumindest. Also fühlten sie sich als Sieger und konnten Milde walten lassen, sogar einer Elfe gegenüber. Die Großzügigkeit des Überlegenen.

Doch Llyilliala war sich dessen bewusst, dass sie allein nichts an diesem Zustand ändern konnte. Außerdem hegte sie keinen Hass gegenüber den Goblins. Der Kampf gegen diese Wesen folgte der Notwendigkeit, so wie man jagen musste, um zu essen. Also nahm sie die Zustände hier hin und würde nicht beginnen, sinnlose Racheaktionen zu starten für ein jahrhundertealtes Vergehen, wie es wahrscheinlich die Menschen tun würden. Wobei die Menschen sowieso keinen Grund brauchten, um jemanden anderes zu bekämpfen. Zumindest keinen Grund, den sie als solchen erkennen und nachvollziehen konnte.

Egal. Menschen, Goblins, sie waren fern und sollten es bleiben, auch wenn einer von ihnen offenbar der Meinung war, in ihr etwas sehen zu müssen, das sie nicht war. Doch das alte Heiligtum war nah, und dort lauerten Geheimnisse, die es zu ergründen galt. Seit Jahrzehnten suchte Llyilliala nach dem Sinn ihrer Existenz, eigentlich seit dem Moment, als sie die Salamandersteine zum ersten Mal verlassen und erkannt hatte, dass ihre Bestimmung nicht, zumindest nicht ausschließlich, darin lag, eines Tages die Nachfolge ihrer Mutter als val'lar'ilayant anzutreten. Doch das Verlassen des sala'mandra hatte eine Leere in ihr geschaffen, die seither nichts und niemand imstande gewesen war zu füllen. In Theobárans Armen hatte sie eine Zeitlang Vergessen gefunden, doch war ihr Gefährte ihr schon vor langer Zeit ins Licht vorausgegangen. Einmal hatte sie ihn noch besucht, dort in nuy'awjo'riallon, und dort war sie auch eine lange Zeit, zumindest in menschlichen Begriffen, geblieben, hatte sogar Kinder in jene Welt hinter den Nebeln gesetzt, doch alles hatte einmal ein Ende. Ihre Unrast hatte überhand genommen, und so war sie zurückgekehrt nach Aventurien, wie es die Menschen nannten, immer noch auf der Suche nach ihrer Bestimmung.

Und nun war sie hier. In einem alten Wald nahe eines Gebirges und nahe eines Goblinstammes, in einer Art Niemandsland. Ein altes Geheimnis ihres Volkes harrte der Ergründung. Würde sie hier ihre Bestimmung finden? Ausgerechnet hier, weitab von sala'mandra, ihrer Familie und ihrer ererbten Verantwortung? Llyilliala würde die Herausforderung annehmen und es herausfinden!

Mutter Waldlieb

Allein hing sie ihren Gedanken nach, während sie ihr Lager räumte. Die letzten Tage waren außergewöhnlich und turbulent gewesen. Sie dachte zurück an Befinna und die Goblins, das Fest und Tsamitrius, aber auch an die dunklen Geister und Gefahren. Beinahe wäre sie in pervertiertem Humus ertrunken. Ausgerechnet. Doch selbst in der Halluzination während des Sterbens hatte sie ihre Angst vor der Höhe behalten. War es eine Halluzination oder eine Art Zauber? Sie wusste es nicht. Das waren Dinge, von denen sie nichts wusste. Nichts wissen musste. Oder doch? Wenn sie für Land und Leute verantwortlich war, sollte sie dann nicht auch dessen Geheimnisse kennen und Mittel und Wege die Menschen und Goblins davor zu schützen? Auf jeden Fall war ihr klar, dass sie hier gebraucht wurde und dass ihr Leben endlich war, wenn die Herrin sie nicht ebenfalls als Geist hier lassen würde, um ewig Wacht zu halten. Würde sie das wollen? Lioba wusste es nicht. Natürlich wollte sie über ihre “Kinder” wachen, aber ewig? Eigentlich wollte sie doch selbst einmal Mutter sein, wie es eigentlich in der Kirche üblich war. Doch war ihr dieser Wunsch bisher verwehrt. Sie könnte einen Brief nach Storchengarten schicken und um einen Ehemann bitten. Sicher würde man ihr einen entsprechenden Geweihten zusenden, aber würde er Verständnis haben für die Eigenarten des Tann und seiner Bewohner? Würde er zustimmen und schweigen, oder würde er die Häresie melden? Vielleicht sogar der Praioskirche? Nein! Dieses Risiko konnte sie nicht eingehen. Der alte Glaube gehörte nach Ambelmund, wie der Tann und dessen Geheimnisse. Der alte Glaube an die ursprüngliche Form ihrer Herrin, die sie erwählt hatte.

Die Dinge, die sie zurückgelassen hatte waren klamm und das Zeltinnere war von Tieren, auf der Suche nach Nahrung, durchwühlt worden, doch sie nahm es hin. Was kaputt war, konnte man reparieren oder neu kaufen. Das machte ihr nichts aus. Allerdings war sie so sehr in ihren Gedanken, dass sie nicht bemerkte, wie zwei Soldaten auf die Lichtung traten. Sie trugen das Wappen der Baronin und waren erleichtert die Geweihte endlich gefunden zu haben, war ihnen der Wald doch nicht geheuer, obwohl sie noch weit entfernt waren vom verbotenen Teil. Doch das wussten die beiden Männer nicht. “Mutter Waldlieb”, stellte der eine fest, “ihre Hochgeboren wünscht Euch zu sprechen.”

Ulfaran

Der Wald und seine Bewohner waren sicher. Das Land, Herrin Sumu in ihrer Pracht, war sicher. Die unberührte Wildnis war sicher. Was konnte sich der kauzige Druide noch wünschen? Der bärtige, stämmige Mann stand auf einer Lichtung am Rande des kranken Waldes. Sein zerfetzter, verdreckter und von Insekten bevölkerter Umhang wehte in einer leichten Brise, die frische Luft mitbrachte und den noch immer vorherrschenden Modergeruch kurzzeitig vertrieb. Ulfaran strich sich über seine langen Bartzotteln. Mehrere Monde hatte er die Vergiftung des Landes beobachtet, ausgebrannt, wo erforderlich. Doch insgesamt heilte die Wunde, die die Elfischen in ihrer unersättlichen Gier nach dem Diesseitigen in Sumus Fleisch gerissen hatten. Der großen Mutter sei Dank konnte er sich bei seiner Wacht auf die Goblins verlassen. Diese wilden, urtümlichen Wesen waren dem Ursprung, der Allmutter, noch so viel näher als das Stadtvolk Mensch. Und dennoch: Der Haindruide hatte Frieden mit den Städtern schließen und sie für die Sache Sumus gewinnen können. Dazu war es nicht einmal nötig, die junge und manipulierbare Befinna auf seine Seite zu ziehen. Manchmal genügte ein gemeinsamer Feind und gemeinsamer Boden - auf dem ein Baum wachsen, Blüten sprießen lassen und Früchte tragen konnte. Was war es doch für ein Wunder, in diesen Zeiten noch Menschen zu finden, die die Allmutter achteten. Ihm war es gelungen. Doch trotzdem harrte er seine Wacht - denn ein Menschenleben war kurz und nur Mutter Sumu allein wusste, welche ihrer Kinder den Hiesigen nachfolgen würden.

Suncuua

Suncuua war müde und trotz der heilsamen Kräfte ihrer Umgebung noch nicht wieder im Vollbesitz ihrer Kräfte. Die Schamanin der Tuluukai-brydh-blogai saß alleine an ihrem kleinen Feuer, trotz der durchaus angenehmen Temperaturen in der Höhle und ihrer eigenen Behaarung ein Hirschfell eng um sich geschlossen, und rührte in mehreren Schälchen Farbe an.

Kurz, nachdem die Glatthäute und die Frau vom Volk der spitzohrigen Geister von hier aufgebrochen waren, hatten bis auf einen - den humpelnden Pörldsch, der den Fremden noch ein Stückchen nachziehen wollte - auch ihre Suulak die erste Gelegenheit, in der der Regen für ein Weilchen nachgelassen hatte, genutzt, sich - wie von ihr aufgefordert - schwatzend in ihr Lager zurückzuziehen. Sie aber wollte noch ein wenig alleine an diesem Ort verweilen, bei Mutter Sau, sich selbst erholen und ihre Gedanken ordnen. Außerdem hatte sie sich noch um eine Sache zu kümmern.

Mailam hatte den Boden ordentlich aufgewühlt und dabei etwas zu Tage gefördert, das nur mit Mühe und Not und dank des Eingreifens der Gäste gebändigt werden konnte. Mindestens ebenso bedeutend schien Suncuua, dass Aleits Tochter die Wahrheit über ihre Mutter und damit auch über sich selbst erfahren hatte. Am wichtigsten aber war, dass Aleits Geist endlich frei war. Suncuua war damit eine jahrelange, schwere Last vom Herzen genommen.

Jetzt hieß es abwarten, was aus all dem erwachsen würde. Ob die beiden ungleichen Schwestern wieder zurück zu ihren Wurzeln, zurück zu Mutter Sau, oder wie Aleit sie beschrieben hätte, zur großen Mutter finden würden?

Die Farben waren fertig. Mühsam erhob Suncuua sich und trug ihre Schälchen zum Abbild der Mutter. Vor dieser ließ sie sich nieder und begann, um diese herum den felsigen Boden mit ihren Fingern zu bemalen. Nach und nach entstanden so in Schwarz und Ocker lebensechte Darstellungen ihrer Gäste, um die sie anschließend mit einem hohlen Knochen kunstvoll grüne und weiße Muster blies, Gedeihen und Schutz vor bösen Geistern. Unmittelbar unter dem Schoße Mailams aber waren nebeneinander zwei menschliche Frauengestalten zu erkennen. Eine trug ein grünes Kleid, die andere war schwer gerüstet...

Rondrard

Ambelmund, am übernächsten Tag. Rondrard sah mit gemischten Gefühlen auf die Stadt, die sich vor ihnen aus dem Nebel schälte. Er wusste nicht, ob er sich über ihre Rückkehr freuen sollte oder diese besser bedauern sollte. Er hatte es noch nicht geschafft, sich mit Befinna auszusprechen - zu mitgenommen schien ihm diese immer noch - wie sollte es auch anders sein, nach alldem... - außerdem waren sie nicht richtig alleine gewesen seither.

Der Ritter selbst hing auch in Gedanken dem Geschehenen nach. Er hatte sich seiner Furcht gestellt, dem Dunkeln in ihm, das ihn seit jener ersten Begegnung mit den Schatten, zu denen ihn die Fährte Hechards geführt hatte, verfolgte. Die Geister schienen dank der Kraft ihrer Gemeinschaft gebannt, doch für wie lange?

Und was würde aus Befinna, jetzt, zurück in der Obhut ihrer Schwester, nach allem, was sie in den Wäldern gesehen und erlebt hatte? Und was aus ihm?

Würde Befinna ihre Bestimmung erkennen und sich der Mutter zuwenden? Oder hatte er einen großen Fehler gemacht, sie ins Heiligtum zu bringen - einen Fehler, den Befinna und sie alle noch bitter bereuen würden?

Rondrard wurde mulmig ob der ungewissen Zukunft, denen sie entgegen sahen. Die Dinge waren in Bewegung geraten. Die Frage war, in welche Richtung…

Was ihm aber Mut machte, waren die neuen Bande, die sie alle geknüpft hatten - eine Schicksalsgemeinschaft waren sie geworden in jener Nacht und dem darauf folgenden Tage, und irgendwie hatte er das Gefühl und auch die Hoffnung, dass sie dies bleiben würden.

Finis