Rahjagarten Wieder

Wieder im Rahjagarten

Maeve erholt sich in Rozens Armen im Rahjagarten. Lang verdrängte Erinnerungen drängen an die Oberfläche und geben Hoffnung darauf, alte Schmerzen hinter sich lassen zu können.

Sanft umfing sie das Dämmerlicht in dem kleinen versteckten Pavillon im Rahjagarten. Der Duft der Blumen hing süß in der Luft, verhieß Heilung, Ruhe.

Rozen hatte Tassilo gebeten, Maeve auf die Bank zu legen. So ruhte die junge Frau nun mit dem Kopf in Rozen s Schoß, eingewickelt in weitere Decken, die von der jungen eifrigen Dienerin gebracht worden waren.

Sanft strich Rozen über Maeves noch feuchtes Haar und summte leise eine Melodie, so sanft wie die Bewegung, mit der sie ihre Schülerin liebkoste, der Berührung einer Feder gleich.

Wieder trieb sie im Meer, das mit ewiger Melodie vo ll göttliche r Harmonie ihr Sein erfüllte. Wolken jagten über ihr dahin und Praioss trahlen stach en vereinzelt wie güldene Finger durch ihre fedrige Decke. Lichtflecke tanzten über die dunkle, stille See.

In der Ferne kleidete sich ein Schauer in Tsas buntes Gewand. Erste Tropfen fielen als Vorboten in das Wasser, ließen das Meer in vergänglichem Muster antworten und benetzten ihr Gesicht mit eisigem Nass. Rauschend kam der Schauer nun mit Graupel und Schnee heran, und die Wolken verschwanden hinter dem grauen Zwielicht der Kälte.

Der warme Klang der Harmonie erstarrte ebenso wie das Wasser, das sie langsam in Stillstand gefangen nahm und hinab zog. Angst ergriff ihr Herz, während eisiger Hauch ein letztes Mal stechend ihre Lungen füllte.

Doch sie lebte und bäumte sich verzweifelt gegen ihr Ende auf: Der Körper folgte dem Willen und brach im Todeskampf schmerzhaft die eisigen Fesseln. Unter ihr spürte sie Widerstand - verborgen unter dunklem Wasser.

Mit den Füssen suchte sie Halt und trat auf rettendes Land. Schwankend kam sie im Wasser auf die Beine, während das Wasserloch in dem sie stand, sogleich wieder gierig vom Eis verschlungen wurde. Unsicher stieg sie auf den Eispanzer und wandte sich das erste Mal um: vor ihr lag unbekanntes Land, weiß und unberührt, bis zum Horizont, wo sich der Schauer gerade in Wohlgefallen auflöste.

Dies war der Scheideweg: Tränen und Blut fielen zu ihren Füssen in den weißen Schnee...

Rozen spürte den Kampf, den ihre Schülerin focht. Unter ihren Fingern zuckten Maeves Muskeln, die Lider der geschlossenen Augen flatterten, ganz so, als ob Maeve in tiefem Schlafe träumte. Selten hatte Rozen sich so hilflos gefühlt – zum ersten Mal seit langem wünschte sie, ihre Lehrerin Morgane wäre wieder an ihrer Seite.

Sanft schob sie diesen Gedanken sogleich wieder beiseite. Es ging hier nicht um sie, um ihre Unsicherheit. Einzig Maeve war wichtig – und die Schöne würde sie führen.

Aus dem Lied, leise gesummt, wurde ein Gebet, innig und voll Liebe gesprochen. Rosenduft umfing sie, schenkte Ruhe und Zuversicht. Rahja war mit ihnen – doch den Weg musste Maeve alleine gehen.

...gerade noch lag der Geruch des Wassers in der kalten Luft und mischte sich mit dem ihres Blutes. In der Ferne war der dunkle Schemen des Schauers verschwunden, aber ein eisiger Hauch über den Schneefeldern trieb ihr Kristalle schneidend um die bloßen Beine. Sie glaubte, den Duft des Schnees das erste Mal wahrzunehmen, atmete tief ein – und da war noch etwas anderes: ganz schwach lag der verheißungsvolle Geruch eines Feuers in der Luft. Leben, Rettung.

Hoffnung erfüllte sie nun und instinktiv tat sie den ersten schmerzhaften Schritt in die unberührte Schneedecke.

Sogleich wurde Maeve ruhiger, die Muskeln entspannten sich, der Atem ging tiefer, ruhiger.

Immer noch strichen ihre Finger sanft über Maeves Haar, die Stirn, den Hals. „Maeve?“ leise versuchte Rozen, die junge Frau wieder in das Hier und Jetzt zu holen.

Lichtflecke tanzten über ihr Gesicht als sie heraufdämmerte, da eine Brise die Ranken des Wilden Weines tanzen ließ. Ihre Lider waren kaum geöffnet, alles erschien eigenartig verschwommen und unscharf. Dann brach die Welle von Schmerz und Erinnerung durch die entspannende Benommenheit, so dass sie die Augen aufriss, Rozens Gesicht über sich erkannte und deren vertrauten Körper spürte: überwältigt von widerstreitenden Gefühlen begann Maeve hemmungslos und tränenüberströmt zu schluchzen.

Instinktiv beugte Rozen sich noch weiter über Maeve, nahm sie schützend in die Arme. „Alles wird gut. Du bist in Sicherheit. Alles wird gut.“ Sie versuchte ihre Stimme sanft und beruhigend klingen zu lassen. „Was auch immer geschehen ist, alles wird gut.“

Einige Augenblicke lang ließ Rozen Maeve einfach nur weinen, hielt sie fest und geborgen. Als das heftige Schluchzen begann abzuebben, lockerte auch Rozen ihre Umarmung ein wenig, um Maeve Raum zum Atmen zu geben. „Willst du mir erzählen, was passiert ist?“ Maeve wusste, Rozen würde verstehen, wenn sie nicht reden wollen würde. So wie früher, wenn die Alpträume sie geplagt hatten. Rozen war auch dann nicht von ihrer Seite gewichen, als sie nicht darüber sprechen wollte. Doch vielleicht war jetzt und hier die Zeit gekommen? Rozen hoffte es inständig.

-- Main.CatrinGrunewald - 14 Dec 2018