Onus Est Honos

<- Kapitel 1

Kloster St. Aldec, Baronie Kyndoch, 2. Travia 1043 BF

Als Linnart vom Traurigen Stein aus dem Arbeitszimmer des Abten St. Aldecs trat, lief er beinahe eine vor der Tür wartende junge Dame hinein. Diese war recht klein gewachsen, hatte schulterlanges, wild sprießendes dunkelblondes Haar und war in ein hübsches, doch züchtiges weißes Kleid gewandet, das mit goldenen Greifen- und Sonnenstickereien verziert war.

“Praida …”, fragte der Ritter, ob des sich bietenden Anblicks verblüfft, “... was tust du denn hier auf St. Aldec? Und noch dazu in dieser Aufmachung.”

Dem Antlitz der Angesprochenen war der Unmut über ihren Aufzug deutlich im Gesicht abzulesen. “Ins Kloster führt mich ein Auftrag des Ordens. Morgen muss ich gen Herzogenfurt aufbrechen." Sie strich über den Stoff. "Was das hier angeht … Vater will mich sehen …”, meinte sie mit mangelnder Begeisterung, “... hat nach mir schicken lassen und gemeint ich solle mich …”, Praida schnaubte, “... so anziehen.”

“Es steht dir”, bemerkte der Traurigsteiner daraufhin anerkennend.

“Unsinn …”, gab die junge Geweihte empört zurück, “... ich sehe jämmerlich aus. Wie eine Hofdame oder Zierrat an der Seite eines Mannes”, kurz stoppte sie und blickte eindringlich in die Augen ihres Ordensbruders, “Glückwunsch übrigens zu deiner Verlobung … sie soll ja sehr … ansehnlich sein.” Praida zwang sich zu einem Lächeln. Ansehnlich, teuer und schwierig … Linnarts Geschmack war bei Schmuck und Frauen derselbe, das war hier im Kloster ein offenes Geheimnis. Insgeheim empfand sie die Affinität hin zu solchen Oberflächlichkeiten als eine verachtenswerte Schwäche, doch konnte man von einem Abkömmling der Sippe vom Traurigen Stein auch nichts anderes erwarten. Der neu bestellte Cellerar - immerhin ihr Neffe zweiten Grades, obwohl sie selbst einen Sommer weniger zählte als er - war dennoch ein fähiger Ordensritter mit unbeflecktem Leumund und das hatte sie genauso anzuerkennen.

“Ja ähm, danke …”, meinte Linnart knapp, “... dann halte ich dich nicht länger auf. Seine Hochwürden sollte man nicht unnötig warten lassen.” Er lächelte der jungen Geweihten charmant zu. ´Vor allem wenn der alte Luchs bestimmt ihre Stimmen vor seiner Tür hören konnte´, setzte der Ritter in Gedanken hinzu. “Lux triumphat”, mit diesen Worten verabschiedete er sich von der Lichtbringerin, wiewohl sein Blick dabei länger als normal auf ihr zu ruhen schien.

***

Adelhelm von Halberg saß an seinem Sekretär und sortierte eine Hand voll Dokumente als er sich seiner Tochter gewahr wurde, die respektvoll wartete bis er sie mit einer einfachen Handgeste zum Eintreten aufforderte. “Komm herein.”

“Du wolltest mich sehen, Vater? Oder habt Ihr mich als Angehörige des Ordens rufen lasse, Hochwürden?” Das Gesicht der jungen Frau war ebenmäßig und ausdruckslos wie eine Statue. Eine Eigenschaft, die sie von Zeit zu Zeit bedrohlich wirken ließ und bei nicht wenigen Menschen eine Gänsehaut hervorzurufen vermochte.

Über die Lippen des Abten huschte ein Lächeln. Er deutete auf einen freien Stuhl. “Nimm Platz.”

Praida tat wie ihr geheißen ward. Ihr aufmerksamer Blick lag auf ihrem Vater. Der alternde Ordensritter strahlte mit einer Selbstverständlichkeit Autorität aus, die die junge Frau schon immer bewundert hatte und selbst innerhalb der Kirche des Gleißenden keine Alltäglichkeit war. In den Hochadel geboren lag es Adelhelm im Blut Verantwortung zu übernehmen, zu leiten und zu führen. “Geht es um Herzogenfurt?”, fragte sie nach Momenten des Schweigens zögerlich.

“Auch …”, kam es kryptisch zur Antwort. Der Abt schenkte Wein in zwei Kelche und reichte einen davon seiner Tochter, die diesen jedoch unberührt stehen ließ, “... kein Alkohol im Dienst … vorbildlich.” Er schmunzelte. “Doch du kannst unbesorgt sein, Praida. Hier spricht ein Vater zu seiner Tochter und kein Abt zu einer seiner Ritterinnen.”

“Na dann, Salute”, die junge Geweihte atmete durch und nahm einen Schluck vom ausgezeichneten Wein. “Möchtest du mich jetzt über den Grund dieses Treffens aufklären?” Sie blickte an sich herab. “Und dann vielleicht auch gleich warum ich mich in diesen Fummel kleiden musste, während du deinen Ornat trägst?”

“Du kannst dich noch an unser letztes Treffen vor ein paar Monden erinnern? Nach deiner Weihe und vor deinem Dienstantritt in Elenvina?” Der Bannstrahler hob seine Augenbrauen.

Die Angesprochene nickte fest. “Natürlich. Die Sache mit der dem Heiraten … du weißt genau, dass meine Aufgaben im Orden dies nicht zulassen, Vater. Ich habe dem Herrn mein Leben geweiht … die Gemeinschaft des Lichts ist meine Familie. Ein Mann und Kinder würden mich nur erpressbar und schwach machen. Am besten diene ich dem Herrn, wenn er alleine es ist für den ich lebe.”

Das nun erscheinende Lächeln auf den Lippen des Vaters trug eine Mischung aus Stolz und Belustigung in sich. “Hältst du mich für schwach, Praida? Oder deine Mutter? Praios habe sie selig.”

Sie senkte ihr Haupt und schüttelte leicht ihren Kopf.

“Ich bewundere deinen Eifer, Tochter … und bis zu einem gewissen Grad hast du auch recht. Es mag nämlich nicht wenige in unserer Gemeinschaft geben, die ihre Prioritäten falsch setzen würden und die eine eigene Familie vielleicht wirklich erpressbar und schwach machen würde.” Adelhelm lächelte und prostete der jungen Bannstrahlerin zu. “Du bist jedoch eine der Wenigen, bei der ich mir dahingehend nie Sorgen machen würde …”, er nahm einen Schluck, “... dass du alleine um diese Gefahr weißt, zeigt mir, dass du bereit dafür bist.”

“Bereit für …”

“Den Traviabund …”, fiel ihr Adelhelm ins Wort, “... denn dir ist bewusst, dass wir als Adelige auch dynastische Pflichten haben, auch wenn der Dienst und die Liebe gegenüber Praios´ stets an erster Stelle stehen werden. Du entstammst einem uralten Adelshaus mit einer langen, stolzen Tradition und einer tragischen jüngeren Vergangenheit. Es ist auch an dir und deinem Bruder der Familie wieder auf die Beine zu helfen und das geht besonders gut durch einen Bund mit einer anderen … gegenwärtig höher geachteten Familie.”

“Und wen hast du im Sinn?” Praida war ihrem Vater gegenüber vollkommen loyal. Eine Äußerung des Unwillens wäre ihr hier nie über die Lippen gekommen. Das wusste auch Adelhelm.

Auf dessen Lippen sich abermals ein feines Lächeln abzeichnete. “Wann warst du das letzte Mal in Rommilys?”

“Rommilys?” Nun wanderte eine der Augenbrauen der jungen Frau nach oben.

“Deine Cousine Linai hat uns einen jungen Mann wärmstens anempfohlen. Er hatte um sie geworben und trotz ihrer Abweisung doch auch irgendwie beeindruckt. Ein Junker aus junger, aber hochadeliger Familie.” Adelhelm kramte einen Moment lang in den Pergamenten vor ihm auf dem Tisch. “Gugelforst …”, ergänzte er dann, “... erst vor 200 Götterläufen in den Adelsstand erhoben, doch schon seit 100 Götterläufen die Erbvögte von Kaiserlich Gugelforst in der Rabenmark und Barone von Weidenhag im Herzogtum Weiden. Ausgezeichneter Leumund und seit jeher eine enge Bindung zur Kirche der Travia. Das Gut des Werbers befindet sich firunwärts von Rommilys am Ufer des Ochsenwassers in der Baronie Zwerch.”

“Und was erwartet er sich durch den Bund?”, fragte Praida nüchtern. “Ein gefallenes und entlehntes nordmärker Baronshaus scheint mir nicht wirklich attraktiv.”

Ihr Vater hob abwehrend seine Hand. “Du vergisst, dass deine Cousine als Stadtvögtin im Romilyser Rat sitzt und eng mit der Markgräfin befreundet ist. Das was für uns hier in den Nordmarken gelten mag, muss ja nicht reichsweit Gültigkeit besitzen. Sie sind sogar damit einverstanden die Nachkommen des Bundes in gleichen Teilen beiden Häusern zuzurechnen, wobei die Gugelforster in der Erbfolge natürlich ein Vorrecht besitzen.”

“Und mein Dienst in Elenvina?”, kam es weiterhin gefasst aus dem Mund der Geweihten.

“Deinen Dienst wirst du zukünftig in Rommilys am Greifenberg verrichten. Der Orden hat dort Bedarf für eine Feldkaplanin und deine zukünftige Familie besitzt ein Stadthaus, aber das hat noch etwas Zeit. Erst besteht die Seite des Werbers auf eine Verlobungszeit von 12 Monden. Euch stehen in dieser Zeit zwei Treffen zu um die Hochzeit und andere Formalitäten zu besprechen. Eines davon wird im Übrigen heute sein.”

“Heute?”, warf Praida ein und der Heller schien nun gefallen. “Deshalb der Fetzen?”

Ihr Vater nickte, musste ob der Bezeichnung ´Fetzen´ gar schmunzeln. “Ja, er ist hier im Kloster mein Gast und wir werden gemeinsam mit ihm zu Abend essen. Ein netter junger Mann, er wird dir bestimmt zusagen.”

Die Geweihte verzog ihr Gesicht als hätte sie gerade eine Handvoll Sauerampfer im Mund, nickte aber gehorsam. “Du willst mich ihm also vorführen?”

“Mach dich nicht lächerlich, Tochter. Sieh es als Vorgeschmack auf das was dir in Herzogenfurt auf der Hochzeit der Baronin blühen wird. Du wolltest dort ja nicht im Kettenhemd und mit gegürtetem Langschwert aufkreuzen?” Er lachte.

“Nun ja …”, die junge Frau wog ihren Kopf hin und her, “... gut, wenn es denn sein muss.” Innerlich seufzend erhob sie sich aus ihrem Stuhl und strich sich ihr Kleid zurecht. “Können wir dann?” Die Worte ihres Vaters waren Gesetz und ob die junge Bannstrahlerin nun wollte oder nicht, sie musste ihm gehorchen.

“Gehen wir”, zufrieden lächelnd erhob sich auch der Abt und verließ gemeinsam mit seiner Tochter das Arbeitszimmer.


Kapitel 3 ->