Nilsitz Jagd Rodaschquell

Kapitel 3-1: Die Dame Morgenrot

Autor: Mario

Peraine 1042 B.F.

Die Dame Morgenrot

Sie wird doch nicht wirklich dort hin wollen?, dachte Vogt Korninger bei sich, als er die Einladung seines Amtskollegen in Nilsitz las. Er selbst verspürte wenig Interesse daran, einem „Zwergengelage“ beizuwohnen, wie er es sich ausmalte. Noch weniger konnte es sich dies bei der Baronin vorstellen. Mit Jagden hatte sie ja ohnehin nichts im Sinn. Und überhaupt: Die meisten Adligen im Isenhag waren aus seiner Sicht eine Bande unleidiger, egoistischer, miesgelaunter Halsabschneider, die keine Gelegenheit ausließen, einander das Leben schwer zu machen und sich gegenseitig zu übertrumpfen. Dass er selbst hierin keine Ausnahme war, war dem Vogt natürlich durchaus bewusst – und es kümmerte ihn ganz und gar nicht.

Korninger – ein Mann in den späten Sechzigern, klein, flink, mit mausgrauem Haarkranz und unruhigen Augen – rollte das Pergament zusammen, erhob sich hastig von seinem Stuhl und eilte aus seiner Schreibstube, seinem persönlichen Refugium. Er schritt durch die Korridore, vorbei an den beiden Dienstmägden, die ihm schleunigst aus dem Weg gingen. Denn der Vogt von Rodaschquell war kein angenehmer Mensch, und dies umso weniger, wenn er schlecht gelaunt war – was meistens zutraf. Als er die Seitentür zur großen Halle öffnete, hörte er diese penetrante Musik umso lauter, die ihn schon eine Weile auf seinem Weg durch die Burg begleitet hatte.
„Euer Hochgeboren!“ Seine krächzende Stimme übertönte die Musik.
Die Elfe, die auf dem steinernen Podest in einem kunstvoll geschnitzten Lehnstuhl aus Kirschholz mit blau-silbernen Bezug saß, den Farben Rodaschquells, blickte langsam zu ihm hinüber. Es war ihr durchaus anzusehen, dass ihr die Störung missfiel. Dennoch hob sie kurz ihre rechte Hand, und die drei Musiker in der Halle hörten auf mit ihrem Spiel. Laute, Flöte und Gambe verstummten.
„Herr Korninger?“
„Euer Hochgeboren!“ Er verneigte sich kurz und räusperte sich. „Bitte verzeiht meine Störung. Dieses Schreiben des Vogtes zu gräflich Nilsitz hat mich soeben erreicht. Eine Einladung zur Einweihung irgendeines neuen Jagdhauses. Da er mich eingeladen hat, gehe ich davon aus, dass auch Euch eine Einladung erreicht hat … “
„Und wenn es so wäre?“, antwortete die Dame Morgenrot in ihrer leisen, melodiösen Stimme.
„Nun, dann schlage ich Euer Hochgeboren noch heute ein Antwortschreiben mit unserer bedauernden Absage vor. Wir sind natürlich ungemein geehrt, aber wegen der Ernte, der anstehenden Sichtung der Steuerbücher, einer Zählung des Getreides in den Speichern oder irgendetwas anderem ist es uns leider nicht möglich, seiner überaus freundlichen Einladung zu folgen. Mit größtem Bedauern müssen wir daher pipapo, etcetera, etcetera...“
Die Baronin erhob sich und schritt das Podest hinunter. Der Saum ihres leuchtend blauen Kleides glitt sacht über den harten Stein. Obwohl sie für eine Elfe nicht allzu hoch gewachsen war mit einem Schritt und knapp vier Spann, überragte sie ihren Vogt doch deutlich.
„Und warum sollten wir ihm so übereilt absagen, Herr Vogt? Die Einladung war doch sehr zuvorkommend von ihm.“
Korninger stutzte, als habe er nicht recht gehört. Doch schnell setzte er wieder sein freundlichstes Lächeln auf und knetete derweil seine Hände.
„Nun, Euer Hochgeboren, es ist von einer Jagd die Rede. Und ich möchte nicht, dass Ihr Euch den Strapazen einer Jagd aussetzt, die, soweit ich weiß, … doch korrigiert mich bitte, wenn ich falsch liegen sollte … , generell nicht in Eurem Sinne ist in der Art, wie die anderen Adligen sie zu begehen pflegen.“ Er sprach hastig und gestikulierte wild mit den Armen, während die Baronin ruhig und gelassen neben ihm auf den Garten zuschritt, der sich hinter der hohen Halle befand.
„Darüber hinaus“, fuhr der Vogt fort, „darüber hinaus hat der Vogt von gräflich Nilsitz doch recht deutlich gemacht, dass dies eine Zusammenkunft von vielen Zwergen sein wird!“
Liana, die bislang ihr erhobenes Haupt nach vorne gerichtet hatte, lächelte nun und sah ihn direkt an. „Und wenn es so wäre?“
„Nun, es ist davon auszugehen, dass sie viel feiern werden. Denkt Euch nur: Berge von schlecht gebratenem fetten Fleisch, dazu Unmengen von diesem widerlichen Zwergenbräu, dieses schale, brackige Gesöff, das sie in Isnatosch Bier zu nennen wagen. Es wäre mir unterträglich, mit Verlaub, Euch solchen Strapazen ausgesetzt zu wissen.“
Die Elfe ließ ihr perlendes, heiteres Lachen erschallen. „Ihr seid sehr charmant Herr Vogt, und Eure Sorge rührt mich. Und dennoch gedenke ich, an den Feierlichkeiten teilzunehmen.“
Korninger zog die Stirn kraus. „So? Darf ich den Grund erfahren, warum Ihr Euch das zumuten wollt?“
Die beiden waren nun im Pavillon inmitten des Gartens der Rodaschblick angekommen. Die Elfe nahm auf einer Bank Platz und lächelte ihm zu, während er abwartend vor ihr stehen blieb.
„Das ist sehr einfach: Es ist von großer Bedeutung, solche Ereignisse wahrzunehmen. Die Marken sind eine alte Provinz. Mit vielen alten Geschlechtern, durchzogen von jungen Häusern wie dem meinen ganz ähnlich in der Art, wie kostbarer Marmor von feinen Adern durchzogen ist. Wir sind allesamt Teil dieses alten Herzogtums. Und damit das so bleibt in diesen schweren Zeiten, ist es wichtig, diesen Zusammenhalt auch zu pflegen und zu fördern.“
„Aber Euer Hochgeboren...“
Sie hob erneut ihre Hand und gebot ihm Schweigen, da sie noch nicht geendet hatte.
„Ihr habt Recht: Die Jagd allein zum Vergnügen behagt mir nicht. Und dass ich keinerlei Verlangen nach Vergorenem wie Bier oder Wein verspüre, ist hinreichend bekannt. Und dennoch will ich mich nicht der Gelegenheit beraubt wissen, so viele stolze Namen der Marken wiederzusehen oder gar kennenzulernen. Und ich bin mir sicher, dort auch einigen durchaus wohlgesonnenen Zwergen zu begegnen, wie beispielsweise Oberst Dwarosch ...“
Korninger verzog bei der Erwähnung des Namens kurz das Gesicht, als habe er auf eine Pfefferschote gebissen. Nur zu gut erinnerte er sich an diesen uneinsichtigen Oberst, der hier vor einer Weile aufgekreuzt war, um ihn mit kostspieligen Vorschlägen zur Sanierung der zerfallenen äußeren Burgmauer der Rodaschblick zu belästigen, die er nur mit Mühe fürs Erste hatte abwenden können. Sei's drum. Wenn sie denn will, dann soll sie doch hin! , dachte er bei ich. Umso besser. Dann habe ich für einige wenige Wochen etwas Ruhe. Sie macht ja sowieso immer, was sie will …
Er lächelte und verbeugte sich tief vor der Baronin. „Nun, Euer Hochgeboren, wenn dies Euer Wunsch ist... Ich empfehle mich dann.“ Er drehte sich auf dem Absatz um und machte Anstalten, zu gehen.
„Ach... Herr Korninger? Da wäre noch etwas .“
Der Vogt blieb abrupt stehen und drehte sich um.
„Euer Hochgeboren?“
Sie sah ihn eine Weile mit ihren strahlend schönen Amethysten an und lächelte dezent.
„Wollt Ihr mich nicht begleiten?“