Nilsitz Jagd Morgen

Kapitel 20: Am sehr frühen Morgen (8. Ingerimm)

Am sehr frühen Morgen

Draußen war es noch dunkel, als Doratrava sich nach allzu kurzem Schlaf aus den Decken quälte. Sie war, um es einmal wertfrei auszudrücken, keine Frühaufsteherin, und die Möglichkeit, überhaupt vor Sonnenaufgang das Bewusstsein wiederzuerlangen, hatte sie mit einem sehr unruhigen Schlummer erkauft, aus dem sie immer wieder hochgeschreckt war aus Angst, es sei schon zu spät. Doch die Altenberger wollten schon im Morgengrauen los, aber die Gauklerin wollte nicht gehen, ohne sich von Borindarax verabschiedet zu haben. Also packte sie beim ersten Anzeichen von Leben in der Jagdhütte schnell ihre wenigen mitgeführten Habseligkeiten und begann sich dann nach dem Vogt durchzufragen, was sich als gar nicht so einfach erwies, sie aber zumindest vollends wach machte - oder was man so ‘wach’ nannte nach vielleicht drei Stunden Halbschlaf. Schließlich führte ein zwergischer Bediensteter Doratrava tief hinunter in den Keller unter der Jagdhütte, der nochmals eine eigene Welt darstellte, wie die Gauklerin verwundert feststellte, als sie nach einigen Treppen und Gängen, in denen teilweise schon geschäftiges Treiben herrschte, in so etwas wie einen Lagerraum kam, wo der Vogt offensichtlich gerade seine eigenen Sachen reisefertig machte. Da der Bedienstete sie mit einem Wink in Borindarax’ Richtung einfach wortlos stehen gelassen hatte, klopfte Doratrava nun etwas zaghaft an die offenstehende Tür. “Euer Hochgeboren … verzeiht, wenn ich Euch störe, aber ich wollte mich nicht einfach ohne Verabschiedung davon stehlen”, sprach sie nach einem Räuspern den Zwergen an, als dieser sich verwundert zu ihr herum drehte.   “Ah meine Jagdkönigin”, sprach der Vogt leicht überrascht. Er sah übernächtigt aus. Sein Haupthaar war getrost als durcheinander zu bezeichnen und die prächtigen Zöpfe seines Bartes waren praktisch zu einem einzelnen, dicken Strang geflochten.  Umgezogen hatte sich Borindarax von Nilsitz nicht, so viel Doratrava auf. Vielleicht, so mutmaßte sie, hatte er gar nicht geschlafen. Nicht unwahrscheinlich, immerhin konnte er als Gastgeber schlecht ins Bett gehen, solange gefeiert wurde. “So früh schon auf den Beinen”, fragte der Vogt lächelnd und packte dann nebenbei die zwei dicke Folianten in eine Reisekiste, die er zuvor schon in der Hand gehalten hatte. Erst danach wandte er sich der Gauklerin endgültig zu. Stark würziger Tabakgeruch lag in der Luft, doch auch dieser konnte die Bierfahne des Zwergen nicht übertünchen.  Borax lächelte. “Es hätte mir missfallen, wärest du ohne Abschied zu nehmen deiner Wege gegangen, immerhin schulde ich dir noch deinen Lohn. Und da ich möchte, dass du wiederkommst zum Turnier in ein, zwei Jahren, kann ich nicht darauf verzichten ihn dir auszuhändigen”, sprach der Zwerg und zwinkerte Doratrava zu. Ein schüchternes Lächeln stahl sich auf Doratravas Gesicht. Natürlich hatte sie einen Lohn erhofft, aber direkt danach zu fragen hätte sie sich wahrscheinlich nicht getraut. Umso erleichterter fiel ihr die Antwort: “Ich werde mein Möglichstes tun, um bei der nächsten Feier wieder hier zu sein. Versprechen kann ich allerdings leider nichts, führen meine Reisen mich doch möglicherweise weit fort und lassen sich oft schwer planen.” Sie hob entschuldigend die Schultern, um dann fortzufahren: “Ich möchte Euch nochmals danken für die Einladung, für die Gelegenheit, meine Kunst vor solch erlesenem Publikum zeigen zu dürfen, für die schöne Feier, die großartige Jagd und für das Glück, hier neue Freunde gefunden zu haben. Alles gute Gründe, dass ich mich wirklich bemühen werde, das nächste Mal wieder hier zu sein.” Die Gauklerin lächelte nun herzlich, ihre grasgrünen Augen blitzten im Fackellicht. Das Lächeln erwidernd trat der Vogt auf Doratrava zu, griff dabei in eine seiner Gürteltaschen und holte scheinbar vorher bereits abgezählte Münzen hervor. Der Zwerg nahm die Hand der Gauklerin und legte vier große, achteckige Goldmünzen aus erkennbar, zwergischer Prägung hinein. Dann schloss er die Hand und trat einen Schritt zurück. “Ich werde rechtzeitig im ganzen Herzogtum Aushänge anbringen lassen”, erklärte Borindarax. “So die Götter es wollen, wirst du einen davon sehen und wissen, wann ich deine Dienste gerne wieder in Anspruch nehmen würde Doratrava. Danken musst du mir darüber hinaus nicht. Ich bin für die glückliche Fügung sehr dankbar, dass deine Wege dich hierher geführt haben. Du hast meiner Sache und damit mir sehr geholfen.”  Doratrava machte große Augen, als der Vogt ihr die seltsam geformten Münzen in die Hand legte. Sie hatte keine Ahnung, was diese Geldstücke (wenn es sich denn um solche handelte) wert waren, aber sie schienen immerhin aus Gold zu bestehen, also konnte es nicht wenig sein. Für sich beschloss sie, die Münzen als Erinnerung an diese Feier hier in Nilsitz zu behalten, solange sie keine ernste Notlage zu anderem zwang. “Ha...habt Dank”, stammelte die Gauklerin trotz der Worte des Zwergen, dass kein Dank nötig sei. Die Verlegenheit trieb ihr schon wieder eine leichte Röte ins Gesicht. “Ich … ich werde Ausschau halten nach diesen Aushängen, das verspreche ich Euch!” Dann verbeugte sich Doratrava vor Borindarax, wobei sie nicht aus ihrer Haut konnte, denn es war keine höfische Verbeugung, sondern die leicht exaltierte Geste des Schaustellers vor seinem geneigten Publikum. Irgendwie gab ihr das die Selbstsicherheit zurück, denn nun lächelte sie nicht mehr verlegen, sondern eher schelmisch. “Möge das Schicksal uns wieder zusammenführen und uns bis dahin viele schöne Momente bescheren!” Damit drehte sie sich schwungvoll um, warf die Münzen alle auf einmal in die Luft, fing sie mit einer geschickten Bewegung wieder auf und ließ sie dann in ihren Beutel gleiten. Fröhlich und falsch pfeifend zog sie von dannen.   Borindarax aber sah der Gauklerin breit grinsend hinterher. “Möge Simia dir stets ein Quell der Inspiration sein”, murmelte er sich dabei noch in den Bart, nur um sich im nächsten Moment wieder seiner Reisekiste zu widmen.