Nilsitz Jagd Jagdkoenig

Kapitel 16: Die Kür des Jagdkönigs (7. Ingerimm)

Die Kür des Jagdkönigs

Der Wald von Nilsitz hatte nicht zu viel versprochen, reichlich Wild hatten die Jäger erlegen können.  Auch die Grafen, die tatsächlich in Begleitung einiger Soldaten, darunter wohl auch der Oberst der Eisenwalder, in den Wald aufgebrochen waren, hatten Beute gemacht und waren unter den ersten gewesen, die wieder zum Lager zurückkehren.  Ein Wildschwein war es, welches sie von der Jagd mitgebracht hatten und bei dessen Tötung sich Growin von Ferdok wohl besonders hervorgetan hatte. Auch Borindarax von Nilsitz hatte sich am Morgen dieser Gruppe angeschlossen.

Der Vogt jedoch hatte wohl nicht sonderlich viel Glück besessen. Er humpelte leicht seit der Ankunft der Gruppe an der Jagdhütte. Zu dem Grund konnte man lediglich erfahren, ‘dass seine Hochgeboren nähere Bekanntschaft mit dem erlegten Keiler gemacht habe.’ Dies jedoch minderte nicht den Stolz, den Borindarax offenbar empfand, als er sich auf seinen mit Holzschnitzereien verzierten Lehnstuhl niederließ, den man ihm und weitere für die hohen Herrschaften nach draußen gebracht hatte.  Im Schein dutzender Fackeln, denn es war sehr spät geworden bis alle Jagdgruppen sich eingefunden hatten, wurde die Jagdbeute ausgebreitet und bestaunt, wurden Geschichten vorgetragen und gehört, die von der Jagd auf die Tiere erzählten. Präsentiert wurden insgesamt drei Wildschweine, zwei ausgewachsene Hirsche mit prächtigem Geweih, Kopf und Fell eines Bären, sowie die Zangen eines wahrlich Großen Schröters, der vor allem unter den Angroschim als Delikatesse galt.  Derweil hatten die Funde von riesigen Fußspuren, wie sie nur zu Trollen gehören konnten, bei zwei der Jagdgruppen zu Besorgnis geführt. Eine war sogar einem der Steinsachrate begegnet. Und so überbrachte der Vogt nicht nur Glückwünsche, sondern versuchte ebenfalls im gleichen Atemzug seine Gäste damit zu beruhigen, dass die Trolle in Nilsitz in den vergangenen Dekaden keinen Ärger gemacht hatten und das man sich keine Sorgen machen bräuchte. In das selbe Horn stießen die Mitglieder jener Gruppe, die jene Begegnung heil und unbeschadet überstanden hatten. Mehr noch, sie behaupteten gar, der Schrat habe ihnen aufgetragen eine Nachricht zu übermitteln. 

Borindarax von Nilsitz erhob sich von seinem Lehnstuhl. Sein treuer Leibwächter half ihm dabei sich aufzurichten. “Teure Gäste. Auch wenn das Glück mir an diesem Tage nicht hold war, so werde ich mich immer mit Freude und Stolz an ihn erinnern.  Weißer Mann, Alter vom Berg, wir danken dir für die erfolgreiche Jagd und auch dafür, dass niemand ernsthaft verletzt wurde.” An diese Stelle schmunzelte der Vogt und das voller Selbstironie.  Da es äußerst schwierig war, unter diesen Beute Stücken das besonders Herausragende auszumachen, wählte der Vogt von Nilsitz eine kleine List.  "Liebe, hochgeborene Gäste”, erhob er das Wort. “Da ich mich außerstande sehen bei all den prächtigen, erlegen Tieren und deren Trophäen einen Jagdkönig zu benennen, fordere ich eine jede Gruppe auf, die Geschichte ihrer Jagd vorzutragen.  Diejenige Gruppe, die dies am packendsten und lebhaftesten vermag, wird den Titel des Jagdkönigs erlangen. Alle Trophäen aber werden in Zukunft die große Halle schmücken. Sie sind alle würdig dies zu tun.“

Doratrava und die Jagdgruppe 1

Nach der magischen Heilung durch die Baronin von Rabenstein hatte Doratrava noch allerlei Vorbereitungen für ihren Auftritt beim Bankett erledigen müssen und letzte Absprachen mit Borindarax getroffen. So würde ihre Vorführung erst nach dem Essen beginnen, was leider zur Folge hatte, dass sie dieses wohl kaum würde genießen können. Mit vollem Bauch bewegte man sich nicht so leichtfüßig, und Alkohol verbot sich von selbst. Sie hatte innerlich ein wenig geseufzt, aber mehr auch nicht, denn ihre Kunst war ihr wichtiger als ein voller Bauch, und verhungern und verdursten würde sie sicher nicht.

Andererseits hieß das aber auch, dass sie nun noch ein paar Stunden Zeit hatte, so war sie also - nun wieder ordentlich gekleidet  - pünktlich zu Beginn der Kür des Jagdkönigs auf dem Platz vor der Jagdhütte erschienen. Wie von selbst hatte sich ihre Jagdgruppe zusammengefunden, kurz hatte sie sich von Nivard und den Zwergen berichten lassen, was in ihrer Abwesenheit noch vorgefallen war. Erfreut hatte sie vom weiteren Jagderfolg ihrer Gefährten erfahren und diese beglückwünscht.

Nach der kurzen Rede des Vogts sah sie ihre Jagdgefährten an, dann blieb ihr Blick an Nivard hängen. “Nivard”, sprach sie ihn mit keckem Lächeln und leicht neckischen Unterton in der Stimme an. “du bist doch von Anfang bis Ende dabei gewesen, zudem hörte ich, dass du der Minne durchaus zugetan bist. Damit würde ich sagen, bist du der geeignete Mann, die Geschichte unserer Jagdgruppe dem geneigten Publikum vorzutragen. Was sagst du? Was sagen die anderen?” Die nebelgrauen Augen der Gauklerin sprühten vor Energie und Vorfreude, auf was auch immer.

Borix war froh, dass Doratrava gleich Nivard vorgeschlagen hatte, damit war sie seiner Idee, dass der junge Krieger die Geschichte ihrer Jagd vortragen solle, zuvor gekommen. Und da sich doch ein Kavalier den Wünschen einer Dame nicht widersetzen würde, war für Borix die Sache erledigt. “Ich bin eh kein guter Geschichtenerzähler”, meinte er und strich sich mit der Hand über den langen roten Bart - seine Augen leuchteten bei den Wort verschmitzt. “Meine Kinder sind nie eingeschlafen, wenn ich statt Murla ihnen die Gutenachtgeschichten erzählen sollte. Also, junger Freund, es ist an Euch die Geschichte vorzutragen!” Tharnax musste unweigerlich lachen über die Erklärung seines Amtskollegen. “Deine Ausrede ist wirklich mies, aber es stimmt, ein guter Erzähler bist du wahrlich nicht. Das haben wir in jedem Fall gemeinsam.” Wiederum lachte der Koscher. “Lassen wir dem Jungvolk den Vortritt und tun währenddessen das was wir am besten können - Bier trinken.”  Jetzt war es auch an Borix zu lachen. “Nein, das war keine Ausrede! Frag meine Kinder, wenn Du uns mal besuchen kommst. Aber frag lieber nicht Murla, sie grummelt immer noch mit mir, wenn es auf das Thema kommt. Es blieb immer alles an ihr hängen die Kleinen wieder zu beruhigen und zum Schlafen zu kriegen. Vielleicht sind die Geschichten über den Orkensturm oder die Eroberung Maraskan nicht das richtige für Kinder.” Dann besann er sich wieder. “Aber das mit dem Bier wäre eine sehr gute Idee. Vielleicht können wir mit den Humpen und der Tischplatte die Geschichte noch ein wenig dramatischer gestalten.” 

Kopfschüttelnd schmunzelte Tharnax auf die Rede Borix’ hin. “Eben jenes meinte ich. Deine Geschichten sind nicht dazu angetan Kinder ruhig einschlafen zu lassen.” Der Sohn des Thorgrimm zuckte mit den Schultern. “Aber sei es drum. Ich werde das Thema ganz sicher nicht anschneiden, wenn ich euch das nächste Mal besuchen komme. Murla soll uns ja was feines kochen und nicht stinkig sein mit dir. Das würdest du dann eh nur wieder an mir auslassen. Was die Humpen und den Tisch betrifft”, hakte Tharnax dann leicht zweifelnd nach. “Das würde vermutlich eher eine lustige Einlage werden und ich weiß nicht ob das unserem Jungspund unbedingt helfen würde bei seinem Vortrag.” Nivard war erleichtert, nach seiner Rückkehr Doratrava und Gelda wohlauf vorzufinden, und ließ sich seinerseits von diesen berichten, was den beiden jungen Frauen zwischenzeitlich widerfahren war. Nun freute er sich, trotz aller Müdigkeit eines langen Jagdtages, auf das abendlich Beisammensein. Als Doratrava ihn darauf ansprach, ob er von der Jagd in Liedform berichten wollte, schluckte er zunächst kurz, dann aber fasste er sich, mit einem verstohlenen Seitenblick in Geldas Richtung, ein Herz und sah in die Runde seiner Jagdgefährten: “Wenn dies Euer aller Wunsch ist, möchte ich gern ein Lied über unsere Jagd vortragen. Gebt mir nur rasch einige Augenblicke, in Ruhe zu einer schönen Melodie die passenden Verse zu schmieden.” Nivard sah fragend in die Runde, aber hinter seiner Stirn fügten sich bereits die ersten Worte in Takten und zu Versen… und seine Müdigkeit war wie weggeblasen.

“Ich kann auch dazu tanzen”, schlug Doratrava impulsiv vor und schaute unternehmungslustig in die Runde. Sie hatte gar nicht daran gedacht, das Nivard gleich ein Lied aus dem Ärmel schütteln konnte, aber umso besser. “Also … aber nicht so wie gestern, das wird dann eher eine pantomimische Darstellung der Jagd, wenn ich das hinkriege … so was habe ich noch nie gemacht …” Jetzt hielt die Gauklerin überlegend inne und runzelte die Stirn. Hm, hoffentlich schoss sie nun nicht über das Ziel hinaus, aber was sollte es, sie würde das schon irgendwie hinbekommen. ‘Das war ein guter Vorschlag,’ fand Nivard, würde doch Doratravas Darstellungskunst sicherlich den einen oder anderen in der Kürze der Zeit nicht perfekt geschliffenen Vers nicht nur übertünchen, sondern sicherlich sogar überstrahlen. Er stimmte der Gauklerin daher praktisch noch während ihrer Rede nickend zu, und schloss ein “Das wäre wirklich wunderbar!” an. Dann aber war er schon wieder fieberhaft am Dichten. Gelda von Altenberg fühlte ein neues Gefühl von Stolz. Es war das erste mal, dass sie mit einer Gruppe, mit Fremden etwas gemeinschaftliches erlebt hatte. Und nicht nur das. Sie hatte das Gefühl, zumindestens zwei neue Freunde gefunden zu haben. Ihr Herz war so erleichtert, Doratrava so frei und in ihrem Element zu sehen. Nivard war sogar seit der Jagd ein Stück in ihren Augen gewachsen. Ja, er war ein Krieger, das hatte er bewiesen. Auch gefiel ihr seine musische Art. Sie ließ ihren Blick schweifen und suchte den Rondrageweihten Rondradin. Gelda hoffte das er sie sah und für voll nahm. Gleichzeitig fühlte sie sich schuldig. Er hatte Recht. Die Herausforderung die er ihr gestellt hatte, hatte sie nicht angenommen. Aber vielleicht war es noch nicht zu spät dafür. Nun konzentrierte sie sich wieder auf Nivard und erwartete voller Spannung seinen Vortrag. Würden sie dadurch vielleicht zum Jagdkönig?

Vorbereitung der Jagdgruppe 2

Der Rabensteiner hatte gerade genug Zeit gefunden, sich in seinem Lager frisch zu machen und - in Abwesenheit seiner Gemahlin, die dies sicher wenig gutgeheißen hätte - einen Heiltrank seiner Verwendung zuzuführen, um den Schmiss in seinem Bein zu versorgen. Die Baronin selbst, so berichteten die Zwillinge, war zusammen mit der Doctora, ihrer Zofe und dem großen Besteck zu den Jagdgehilfen gewandert, die einen gewaltigen Schröter mitgebracht hatten - eine Kreatur, die beide Damen ausnehmend interessierte und ausreichte, ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. Der alte Baron tauschte seine lederne Jagdkleidung, der man den Tag im Wald ansah, mit einem für das Bankett tauglichere Ensemble - Robe, Gugel, und allem anderen, was sein Ornat ausmachte (auch wenn der schlanke Dolch im Stiefel wohl genau besehen nicht dazu gerechnet werden konnte) und rief Pagen und Knappin mit einer Handbewegung zu sich, um deren Erscheinungsbild genauer ins Auge zu fassen. Tauglich, befand er, auch wenn die Knappin erstaunlich bleich um die Nase war und sich Schweißperlen auf ihren Schläfen bildeten, als er ihr in die Augen blickte. Das Mädchen schluckte und schien drauf und dran, ungefragt zu sprechen. Er hob fragend eine Augenbraue, nickte den dreien dann aber knapp bemessen zu und machte sich auf zu der Versammlung vor der Jagdhütte, die drei ohne ein weiteres Wort hinter sich wissend. Auch die Ambelmunderin samt Vogt hatte sich eingefunden. Er trat neben seine Amtsschwester und legte seine - wie immer in schwarzen Handschuhen steckenden - Hände gekreuzt auf seine Unterarme. “Hochgeboren, gewährt uns die Ehre und berichtet für unsere Gruppe.”  Er selbst jedenfalls, so sprach seine ruhige  Geste, würde die Erzählung nicht leisten.

Auch Wunnemine hatte ihre Jagdkleidung gegen eine dem Abend angemessenere Gewandung ausgetauscht, die heute aus einer schwarzen ledernen Hosen und einer mit Spitzen geschmückten weißen Bluse bestand, die an der Hüfte durchaus figurbetont geschnitten war, was aber durch eine übergezogene dunkelblaue Weste ohne Ärmel wenigstens teilweise kaschiert wurde. Dass der Rabensteiner den Vortrag an sich reißen würde, hatte sie sicherlich nicht erwartet. Dass sie selbst eine besonders wortgewaltige und fesselnde Erzählerin war, konnte sie zwar auch nicht von sich behaupten, aber einen getreulichen Bericht von ihrer Jagd abzuliefern war eine Aufgabe, vor der sie sich als gemeinsam mit dem Baron vom Rabenstein ranghöchste Teilnehmerin der Gruppe sicherlich nicht drücken würde. Sie nickte ihrem Amtsbruder daher zu: “Wenn dies Euer Wunsch ist, Hochgeboren, so will ich gerne für uns ins Rund treten und von unseren Erlebnissen berichten. Ihr zeigt Euch aber mit mir den Augen der Zuhörerschaft?” Ihr Blick ging in die Mitte des von Fackeln ausgeleuchteten Kreises, fiel auf die erlegten Beutetiere und verharrte auf den beiden prächtigen Hirschen, die sie als Beute mitgebracht hatten. Noch herrschte ein reges Murmeln und Reden im Kreise der Umstehenden, offensichtlich wurden noch Erlebnisberichte ausgetauscht oder abgestimmt, wer für die anderen Gruppen sprechen sollte. Der junge Tannenfels, den sie bei seiner Jagdgruppe ausmachte, wirkte recht in sich gekehrt und angestrengt. Was den wohl umtrieb? 

Rondradin hatte die Zeit zwischen ihrer Ankunft im Lager und dem Beginn der Kür genutzt um sich den gröbsten Schmutz abzuwaschen und legte sein Ornat an. Es tat gut, das vertraute Gewand wieder auf der Haut zu spüren.  Nun stand er neben den anderen Mitgliedern seiner Jagdgruppe und ließ seinen Blick über die anderen Gruppen wandern. Er lächelte befreit, als er Doratrava scheinbar unverletzt herumspringen sah, hatte er sich doch Sorgen um sie gemacht. Bei dieser Gelegenheit fiel sein Blick auch auf die junge Gelda. Seine Züge wurden sorgenvoll, als er den Verband an ihrem Arm ausmachte. Aber sie schien zufrieden zu sein und nicht allzu sehr unter der Verletzung zu leiden, weswegen er darauf verzichtete, sofort hinüberzustürmen.  Der Verlauf ihres Gesprächs vom Morgen ging ihm immer noch nach, auch wenn er versucht hatte, es zu vergessen. Vielleicht sollte er später nochmal mit ihr sprechen.

In diesem Moment trat sein Vetter an ihn heran. Palinor wirkte nervös und wurde kreidebleich, als er die Gestalt des Barons von Rabenstein ausmachte. Flüsternd gestand der Knappe dem Rondrageweihten alles, was sich während dessen Abwesenheit zugetragen hatte. Als Palinor beichtete, mit wem er Rahja gehuldigt hatte, ruckte der Kopf Rondradins zu Boromada herum. Hatte er gerade noch amüsiert der Beichte gefolgt, erstarrten seine Gesichtszüge, als dieser die Knappin erwähnte. Kreidebleich war er nun und sein Blick huschte gehetzt zwischen dem Rabensteiner und seiner Knappin hin und her. “Palinor, warum tust du mir das an?” stöhnte Rondradin leise auf. 

Der Rabensteiner stand etwas abseits seines Bruders im Glauben, Knappin und Paginnen einen Schritt hinter sich. Mit sanften Schritten schloss seine Gemahlin zu ihm auf, ihre Zofe zur Begleitung, und verabschiedete sich mit einem Winken von der Doctora, die zu den Mitgliedern ihrer eigenen Familie schritt. Auf den Zügen der Baronin lag ein sehr versonnenes Lächeln, das sich unmerklich veränderte und einen Anker im Hier und Jetzt fand, als Ihr Gemahl ihr höflich den Arm bot. “Ich sehe, ihr habt es noch geschafft, euch zu uns zu gesellen, Hochgeboren.” bemerkte der einäugige Baron mit gesenkter Stimme. “Ich bin einem Großen Schröter begegnet.” flüsterte Shanija zurück, ein helles Leuchten in den Augen. “einem toten. Wir haben den Jägern geholfen, ihn aufzubrechen und auszunehmen.” Begeisterung funkelte in ihrer Stimme. “Ich hätte gerne mehr Zeit dafür gehabt. Vielleicht finden wir ja einen in unseren Wäldern?” Der Boroni an ihrer Seite nickte unverbindlich, ein geistige Notiz pflegend, in Rabenstein seine Jäger auf eben dieses Tier anzusetzen. Wenn es seine Gemahlin beglücken würde, so sollte sie es haben.

“Wie war der Rest eures Tages?” verlangte er zu wissen. “Ich habe mit der Doctora gebadet.” Sehr zufrieden mit sich und der Welt klang diese Aussage. “Wir sollten vielleicht doch ins Auge fassen, unser Badehaus von einem zwergischen Baumeister überarbeiten zu lassen. Ich habe gehört, der Baumeister, der die Wasserwerke hier gestaltet hat, dient der Vögtin von Oberrodasch …. .” Hoffnungsvoll ließ sie den Satz in der Luft hängen. Als ihr keine merkliche Antwort zuteil wurde, fuhr sie fort. “Ich habe die Doctora nach Rabenstein eingeladen und ihr angeboten, ihr mein Labor zu zeigen.” Sie schwieg kurz und lauschte in die Runde, doch das Summen der Stimmen um sie herum erklärte, dass gerade nahezu jeder der Gäste sich desselben wie sie unterfing - und Konversation betrieb. 

“Im Badehaus ging es im Übrigen zu wie ein Taubenschlag - ständig polterten neue junge Leute herein, mit den fadenscheinigsten Begründungen. Beim nächsten Mal werde ich eine Wache vor die Tür stellen - wenn ihr mir eine hierfür gewährt?”  Ein knappes Nicken ihres Gemahls ging nicht weiter auf diese Selbstverständlichkeit ein.

Schlechte Neuigkeiten

“Ach ja, noch etwas habe ich erfahren.” Sie warf einen kurzen verstohlenen Blick hinter sich und flüsterte, leiser noch als zuvor. “Unsere Knappin hat mit dem Knappen des Rondrageweihten heute der Stute geopfert. Ich habe sie noch nicht darauf angesprochen.” Sehr still wurde der Rabensteiner bei diesen Worten, und Shanija sah, wie seine Halsmuskeln hervortraten, auch wenn er ansonsten keine Miene verzog. Diese Aussage vermochte viel zu erklären. Shanija blickte in sein Gesicht, dessen Auge die Härte eines Kiesels angenommen hatte, und verbiss sich die Bitte, er möge nicht zu hart mit der jungen Frau ins Gericht gehen - die mit ihrer unbedachten Tat doch auch das Ansehen des Wappens, das sie trug, und damit den Ruf des Hauses ihres Knappenherrn in Mitleidenschaft gezogen. Der Rabensteiner wandte sich langsam und sehr gemessen zu seiner Knappin um, die einen Blick in sein Gesicht warf, schluckte und einen Schritt zurück tat. “Komm.”  Kälter als dieses eine Wort hätte auch kein Eissturm im Firun stechen können. Der alte Baron wandte sich um und verließ die Gruppe, ohne sich umzublicken. Auffordernd sah sie nochmal zu Lucrann von Rabenstein, dann winkte die Baronin von Ambelmund auch Rondradin und Radomir zu, sich zu ihnen zu gesellen. Sogleich schritt sie kurzentschlossen in die Mitte und stellte sich neben den Hirschen auf. Dort wartete sie auf ihre Jagdgefährten, das Einkehren von Stille und die volle Aufmerksamkeit des Vogts und der übrigen Anwesenden, bevor sie den Reigen eröffnen würde. Der Rabensteiner indes wandte ihr justament in diesem Augenblick den Rücken zu und stapfte aus dem Ring der Umstehenden, seine Knappin wie einen begossenen Pudel mehrere Schritt hinter sich. Sie schlich wie ein Delinquent zum Richtblock, anderes ließ ihre Haltung nicht vermuten. Rondradin sah Palinors flehenden Blick und drehte den Kopf gerade noch schnell genug um den Rabensteiner samt Boromada in der Menge verschwinden zu sehen. Er warf Wunnemine noch einen entschuldigenden Blick zu und mit einem, “Verzeiht, es hat sich gerade eine dringende Angelegenheit ergeben.” Dann rauschte er auch schon davon dem Rabensteiner hinterher, seinen Vetter im Schlepptau. 

Alleingelassen

Da stand Wunnemine nun, in der Mitte des Runds, und sah ihre Jagdgefährten entschwinden. Und wo blieb Radomir? Mit einem entschuldigenden bis ratlosen Grinsen blickte sie zum Vogt von Nilsitz, um dann nach kurzem Zögern das Wort zu erheben: “Euer Hochgeboren, werte Mitgäste, gerne möchte ich den Reigen eröffnen, und von den Erlebnissen und der Ausbeute unserer Jagd berichten. Diese sind keineswegs so unbedeutend, langweilig oder gar beschämend, dass seine Hochgeboren von Rabenstein und seine Gnaden von Perainefurten sich ihretwegen gerade jetzt entschuldigen mussten.” Sie hatte gesehen, dass deren Weggang offensichtlich wahrgenommen wurde und an der einen oder anderen Stelle mit einem Tuscheln quittiert wurde. “Sicherlich wird die so dringliche Angelegenheit rasch geklärt sein. Vielleicht wollen wir gemeinsam einen kurzen Augenblick auf die Rückkunft meiner Jagdgefährten warten - möchte ich doch keinesfalls die Aufmerksamkeit für unseren Bericht alleine ernten - und nutzen die Gelegenheit dazu, unsere Becher auf den zurückliegenden Tag, das gemeinsam Erlebte und vor allem” dabei hob sie nochmals ihre Stimme “unsere Gastgeber zu erheben!” prostete sie Borindarax und den Umstehenden zu. Der Vogt erwiderte die Geste nur zu gern. Auch er hob seinen Krug und reckte ihn grob in Wunnemines Richtung. Danach jedoch blickte er reihum, während er das Gefäß erhoben hielt, um all seinen Gästen zuzuprosten. Während ein gut gelauntes und lautstarkes Prosten und Klirren um sie herum herrschte, suchten Wunnemines Augen nach ihren Mitstreitern. Von diesen fehlte jedoch inzwischen jede Spur. Vollkommen aus dem Staub gemacht hatten sich diese. Unmerklich schüttelte sie ihren Kopf. Nach und nach kehrte wieder Stille ein, und erwartungsfreudige Blicke richteten sich erneut auf sie. Na gut, es war ja nicht so, dass der Rabensteiner und der Wasserthaler nicht mitbekommen hätten, was jetzt anstünde. Und der von Tandosch musste auch im Bilde sein - mochten sich auch alle vor den Augen der anderen Gäste drücken, sie würde sich dieser Aufgabe nicht entziehen. "Werte Hochwohlgeborene, hochgeborene und auch alle anderen Zuhörer, so will ich Euch berichten von unserer Jagd, in der Firun uns auf unsere Tugenden der Beharrlichkeit, der Treffsicherheit und schließlich auch des Mutes und der Besonnenheit prüfte. Und anders als der jetzigen Prüfung durch Eure Augen und Ohren stellten sich auch alle ohne zu Zögern und mit Bravours diesen Aufgaben."

Wunnemine wartete das kurze Räuspern im Publikum ab, dann fuhr sie fort: "So hört: Lange währte unsere Suche nach einer hinreichend frischen und vielversprechenden Fährte. Erst nach vielen Stunden fanden wir eine solche und vermochten, diese beiden prächtigen Hirsche durch einen Bolzen seiner Hochgeboren von Rabenstein und einen Pfeil von meinem Bogen zu fällen." Wunnemine zeigte die beiden prächtigen Hirschgeweihe vor.  "Obgleich seine Hochgeboren von Rabenstein, als er dem stolzen König des Waldes die letzte Gnade erwies, noch eine Verletzung von dessen Huf davongetragen hatte, machten wir uns, nachdem seine Gnaden seine Heilkünste walten gelassen hatten, nimmermüde und unverzagt, obgleich bereits in Richtung dieses Ortes unterwegs, auf die Suche nach weiteren Herausforderungen des grimmen Gottes. Und bei Rondra, ich sage Euch, wir fanden diese, in riesenhaften Fußabdrücken, und diese waren frisch. Sehr frisch!" Wunnemine machte eine kurze Kunstpause, während der sie mit ihren Armen die beeindruckende Größe der Füße darstellte."

"Noch ehe wir Ratschluss halten konnten, kamen bereits schwere Schritte auf uns zugestapft, Baum brach und Buschwerk splitterte! Rasch bereiteten wir uns auf das äußerste, machten uns auf den Einsatz von eilig improvisierten Brandgeschossen gefasst, um den Rückzug der Gemeinen in unserer Obhut zu decken und den Frieden dieser Wälder vor einem frevelhaften Eindringling wiederherstellen zu können!"  Die letzten Worte hatte sie sehr laut gesprochen, nahezu gerufen. Nun wurde sie wieder leiser: "Der Baron von Rabenstein und ich entschlossen uns gemeinsam, uns fürs erste verborgen zu halten, um dem Feind unsere Zahl und Kampfkraft zu verbergen und ein Überraschungsmoment auf unserer Seite zu haben. Nur seine Gnaden von Wasserthal stellte sich dem Gegner furchtlos in den Weg, um die Rückendeckung wissend, die wir ihm gewährten. Und wir taten gut mit dieser Taktik! Denn die riesenhafte Kreatur erwies sich als mindestens fünf Schritt hoher, zotteliger und gar fürchterlich aussehender Troll, über und über mit Fellen behangen und eine riesige Axt in der Hand, bereit, alles und jeden zu zermalmen, der sich ihm in den Weg stellte." Wieder machte die Ambelmunderin eine kleine Pause, um den Gefahrenmoment auf die Zuhörer wirken zu lassen.

"Und ich sage Euch, der Troll war überhaupt nicht angetan, Menschen in den Gründen anzutreffen, die er für die seinen hielt. Als er jedoch nur einen erkannte, der ihm noch dazu furchtlos ins Gesicht sah, legte sich sein Zorn ein wenig und er forderte nur noch mit grollender Stimme, der Wimmelkrieger solle gehen. Dies sei der Wald von Troll und 'Steinklein' - wahrscheinlich meinte er damit Euch Angroschim. Seine Gnaden vermochte ihn mit dem Segen Rondras durch wenige, wohlgesetzte Worte soweit zu besänftigen, dass er ihm und damit uns freien Abzug gewährte. Er sprach nur noch davon, dass wir den 'Steinklein' ausrichten möchten, dass Auge Stein wieder geöffnet sei. Ich hoffe, Ihr wisst mit dieser Nachricht etwas anzufangen, sollte sie an Euch gerichtet sein, Hochgeboren!" sah sie Borindarax an. "Vielleicht ist sie die wichtigste Beute, die wir von dieser Jagd mitgebracht haben! Dann trollte sich das Ungetüm, und wir zogen nach kurzem Warten mit dem Wissen, die unsrigen wohlbehütet vor uns zu wissen, zurück zu Euch und in den Kreis von Freunden." Bei den letzten Worten huschten ihre Augen in Richtung des Grafen des Isenhags, sie unterdrückte jedoch, dabei mit ihren Mundwinkeln zu zucken.

Stattdessen sah sie sich nochmals um, aber vom Rest ihrer Jagdgruppe war noch immer nichts zu sehen. "Dies waren unsere Erlebnisse, und nun bin ich gespannt, ob Euch ähnliches widerfahren ist oder Ihr ganz anderes zu berichten habt." Mit diesen Worten hob Wunnemine nochmals ihren Krug, und trat dann, die Gesichter und Reaktionen der Umstehenden beobachtend zurück an den Rand des Kreises, wo sie sich zu Shanija von Rabenstein gesellte. "Wisst Ihr, was Euren Gemahl so dringend von hier wegzog?" flüsterte sie dieser zu. Noch bevor irgendjemand zu Klatschen ansetzte, tauschten einige der anwesenden Zwerge besorgte, ja vielleicht sogar erregte Blicke aus. Borindarax von Nilsitz und Ghambir vom Isenhag gehörten ebenso dazu, wie einige Abgesandte des Rogmarog von Isnatosch. Andere der kleinen Rasse sahen sich nur irritiert, aber keineswegs weniger besorgt an. Und wäre ein wirklich guter Beobachter unter den Versammelten gewesen, dann hätte er sehen können, wie der Junker von Trollpforz die Mundwinkel zu einem süffisanten und zugleich wissenden Lächeln verzog.

Es herrschte einige Unruhe zwischen den ‘Steinklein’. Es war offensichtlich, dass die Zwerge sich angesprochen fühlten. Und so mischte sich lautes Gemurmel unter den nun endlich einsetzenden Beifall. Shanija hatte mit leicht abwesendem Blick dem Vortrag beigewohnt. Sie fing den Blick ihrer Ambelmunder Amtskollegin und hob entschuldigend die Schultern, ihre gesamte Geste ein eher entschuldigender Ausdruck von ‘was sollte ich tun?’ Wunnemine schürzte kurz ihre Lippen, ließ es dann aber, nachzuhaken - Shanija von Rabenstein wirkte ähnlich konsterniert vom Verhalten ihres Gemahls wie sie, als scheinbar alle die Flucht aus ihrer Nähe ergriffen hatten. Außerdem lenkten die Reaktionen der Zwerge auf ihren Vortrag nun die volle Aufmerksamkeit der Baronin von Ambelmund auf sich. Was bedeutete nur die merkwürdige Nachricht des Trolls, die sie überbracht hatte? Jetzt richtete sie ihrerseits einen entschuldigenden Blick zu Shanija, dann ging sie mit gemessenem Schritt auf Borindarax zu, der noch immer erkennbar aufgewühlt wirkte. “Verzeiht, Hochgeboren, meine Nachfrage: Die Angroschim scheinen der durch uns verkündeten Nachricht dieses Trolls eine hohe Bedeutung beizumessen, deucht mir. Möchtet Ihr mir vielleicht verraten, was es mit dieser auf sich hat?”

Es dauerte etwas bis der Vogt auf die Frage hin antwortete. Es schien, als müsse  Borindarax erst überlegen, was er preisgeben konnte.  "Es gibt in den Chroniken Nilsitzs mehrere Textpassagen, die darauf hindeuten, dass die Trolle hier in Nilsitz an der Opferschlucht einen ihrer heiligen Orte besaßen”, setzte der Vogt schließlich an. “Das steinerne Auge ist wohl so etwas wie ein bedeutsames Kultobjekt. Doch hierzu gibt es lediglich vage Andeutungen.” Der Vogt zuckte mit den Schultern. “Mehr kann ich euch dazu nicht sagen, außer dass die Steinschrate uns Angroschim seit ewigen Zeiten Steinklein nennen. Das lässt sich eindeutig anhand von alten Geschichten belegen." Wunnemine nahm dem Vogt nicht ab, dass nur vage Andeutungen zum steinernen Auge existierten. Das Getuschel und Geraune unter den Zwergen sprach da ganz andere Bände, ebenso der besorgte Ausdruck in vielen Gesichtern. Sie wog kurz ab, dann beschloss sie, ihrer Neugier zu folgen und weiter zu bohren. “Viele der Euren wirkten gerade  recht besorgt dafür, dass es in der Botschaft  nur um ein aus vagen Andeutungen bekanntes Kultobjekt der Trolle handelt. Wird diesem eine besondere Macht zugesprochen? Oder geht von diesem irgendeine Gefahr aus?”

Der Vogt seufzte ob der Hartnäckigkeit seiner Gesprächspartnerin. Er hätte es wüssten und gleich den Mund halten müssen. Nun war es zu spät dazu. "Es hat immer Trolle in Nilsitz gegeben, doch scheint es dieser Tage, dass sie wieder aktiver werden.  Hierüber hat es bereits mehrfach angeregten Disput im Eisernen Bund gegeben. Aus diesem Grund habe ich mich auch eingehend mit dem Thema beschäftigt und die Chroniken Nilsitzs und Isnatoschs bemüht.  Meiner Überzeugung nach, handelt es sich bei dem 'steinernen Auge' um ein Artefakt, welches durch Zauberwerk der Trolle belebt wurde. Gargamil Gebirgsbock erzählte mir von den magischen Pfaden der Schrate und deren Fähigkeit, sie zu verhehlen.  Wir dürfen uns von ihrem grobschlächtigen Äußeren nicht täuschen lassen. Ihre Hochkultur existierte bereits vor vielen tausend Jahren, noch bevor die Angroschim die Hallen unter den sie schützenden Berge verließen. Die Überreste ihrer gigantischen Burgen gibt es in vielen Gebirgen Aventuriens. Trollpforz, unweit von hier gehört ebenso dazu wie Okdrâgosch- 'die Schwarzdrachenwacht', Sitz unseres Hochkönigs. Meiner Meinung nach hat der Sternenfall etwas mit der steigenden Aktivität der Schrate zu tun, denn mit ihm stieg die Zahl ihrer Sichtungen. Das ist kein Zufall, wenn ihr mich fragt." Wunnemine schluckte - ja, die Lande, die man heute die Nordmarken nennt, hatten in der Tat eine lange Geschichte, die, wie manche Spur, auch in ihrer Heimat kündete, weit über die der menschlichen Besiedlung zurückreichte. Und gerade in den Wäldern - nicht nur hier in Nilsitz - verbargen sich Dinge und Mächte, die vielleicht wirklich nur schliefen, bereit zu erwachen, wenn ihre Zeit gekommen war. Und die einem zuweilen Angst einjagen konnten. Viele Dinge waren in Bewegung geraten… 

“Was ist schon Zufall, in diesen Zeiten?” entgegnete sie nachdenklich. “In denen Sterne fallen. Vampire ihr Unwesen treiben. Und alte Völker sich wieder regen, nicht nur die Trolle.” Kurz verfiel sie in Schweigen. Dann packte die Baronin aber doch wieder ihr Interesse, und sie versuchte den Vogt weiter zu löchern. “Wisst Ihr, welcher Art dieses Artefakt ist, dieses Steinerne Auge, und welche Kräfte dieses besitzt? Haben diese etwas mit diesen magischen Pfaden zu tun, von denen Ihr spracht? Weilt das Artefakt hier in den Wäldern, bei den Trollen, oder in einer der einstigen Trollfesten, von denen Ihr erzähltet? Und geht von diesem Auge eine Gefahr aus?” Borax lachte auf und schüttelte amüsiert den Kopf. "Ich habe nicht die geringste Ahnung Werteste und das gilt leider für alle eure Fragen. Aber was die Trolle im Allgemeinen angeht bin ich da wohl in bester Gesellschaft. Es scheint nämlich keinen wirklichen Experten, noch nennenswerte Literatur zu geben, die sich mit ihnen befasst. Ich habe mich erkundigt. Was Nilsitz betrifft, so sind die Schrate nicht unbedingt mitteilungsfreudig. Die Botschaft die ihr übermittelt habt, stellt den ersten, nennenswerte Kontakt zu ihnen dar. Und nach eurem Bericht zu urteilen schien er mehr dem Zufall geschuldet zu sein. Nun ja, vielleicht zusätzlich dem Mut, oder dem Leichtsinn seiner Gnaden von Wasserthal.

Offen gesprochen hätte ich lieber das Weite gesucht, als mich einem Troll in den Weg gestellt. Auch deswegen bin ich euch dankbar. Jetzt fühle ich mich zumindest in meiner Annahme bestätigt, dass die Schrate uns nicht feindlich gesonnen sind." “Es ist wirklich erstaunlich, dass so wenig über ein Volk bekannt ist, das Aventurien an so mancher Stelle und schon so lange bewohnt, wie ihr berichtet, in grauer Vorzeit schon so mächtige und noch heute bestehende Bauwerke und Artefakte hinterlassen hat und sogar noch, wenngleich recht verborgen - in unseren Landen weilt.  Vielleicht liegt es daran, dass zu wenige, vor allem unter uns Menschen, den Mut oder den Leichtsinn - nennt es, wie Ihr wollt - zu einer Begegnung aufbringen. Ich für meinen Teil hasse es, vor einem unbekannten Gegner zu fliehen und diesen weiterhin verborgen hinter mir zu wissen.” Wunnemine hob den Krug: “Lasst uns auf den Mut trinken, auch wenn er manchmal wie Leichtsinn erscheinen mag. Sagt, werdet Ihr nach der neuen Erkenntnis weiteren und mehr Kontakt zu den Trollen suchen?” “Ich werde es zumindest ernsthaft in Erwägung ziehen”, antwortete der Vogt, nachdem auch er einen verhaltenen Schluck aus seinem Krug genommen hatte. “Diese Wendung und die Botschaft kann Auftakt einer Verständigung sein, doch birgt eine solche ‘Annäherung’ auch immer die Gefahr eines Missverständnisses. Was daraus erwachsen kann hat die Geschichte uns gelehrt. Dies gilt es in erster Linie zu vermeiden.” Unentschlossen wog Borindarax den Kopf hin und her. “Wir werden versuchen eine weitgehend unproblematische Art und Weise zu finden, um mit den Schraten in Kontakt zu treten”, blieb er in seiner letzten Aussage recht vage, drückte aber dennoch seine Absicht aus. In gewisser Weise sind sich Trolle und Zwerge gar nicht so unähnlich - alte, langlebige Völker, rau, mit einer Vorliebe für zottelige Rauschebärte und einer Affinität, sich in Steinmassen zu verschanzen, sowie einer dunkel klingenden Sprache… wer, wenn nicht die Zwerge, sollte überhaupt eine Verständigung mit den Steinschraten erreichen... Wunnemine behielt ihren Gedanken jedoch für sich, stattdessen äußerte sie sich zurückhaltender: “Die Angroschim scheinen die einzigen zu sein, die hier von den Trollen in den von ihnen beanspruchten Gebieten geduldet oder sogar akzeptiert werden. Und die Schrate kamen über uns auf Euch zu - das wirkt auf mich, als suchten sie das Gespräch mit Euch. Alles gar keine so schlechte Grundlage für eine Verständigung... auch wenn ich mir diese sprachlich etwas mühselig vorstelle. Aber vielleicht beherrschen die Trolle das Rogolan ja besser als das Garethi. Ihr spracht davon, dass die Trolle dereinst eine Hochkultur waren - heißt das, dass sie sogar so etwas wie eine eigene Schrift besitzen? Oder besaßen?” Sie war bislang davon ausgegangen, dass diese, wie die Goblins, die sie aus ihrer Heimat kannte, zwar seit alters her Kultstätten, Stelen und andere Spuren hinterlassen hätten, aber ebenso wie die Rotpelze weit davon entfernt seien, eine Schrift- oder gar Hochkultur zu besitzen. "Auch hier habe ich nur Informationen aus zweiter Hand. Gargamil ließ mir gegenüber fallen, dass die Trolle durch die Anordnung von Steinen, Menhiren oder anderen Objekten, durch deren bloße räumliche Aufteilung Dinge auszudrücken vermögen."

Borindarax schüttelte ein wenig ungläubig den Kopf. "Ich kann mir nur schwer vorstellen daraus eine Art Botschaft, noch weniger eine Schrift im Sinne des Wortes zu erfassen. Wenn man sich die Gewaltigkeit ihrer Bauwerke jedoch vor Augen führt, erscheint es mir zumindest im Bereich des Vorstellbaren, dass sie imstande sind solche 'Anordnung' zu erschaffen und deren Sinn wiederzugeben." Ein kurzes Schmunzeln flog über die Züge des Vogts. "Solche Steinkreise sind auf jeden Fall bedeutend haltbarer und schwerer zu vernichten als ein Pergamente oder Bücher. Sie könnten Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende überdauert haben." Auch Wunnemine konnte sich das schwer vorstellen: “Nun, ein Steinkreis ist erst einmal ein Steinkreis, und ein Menhir ein Menhir. Hinterlässt man keine Inschriften darauf, sprechen sie nur eine sehr wortkarge Sprache.” Sie schürzte kurz die Lippen, während sie über das Gesagte grübelte. “Es sei denn… die Menhire, Steinkreise und anderen Bauwerke wären nur einzelne Buchstaben und das ganze Land das Pergament. Aber wahrscheinlich ist dann schon zu viel ihrer Schrift ausgelöscht im Gang der Zeiten, um noch den tieferen Sinn des Geschriebenen erkennen zu können. Falls es den je gegeben hat.” Die zweifelnden Worte der Adligen brachten den Vogt zum grübeln. Borindaraxs rechte Hand wanderte zum Ansatz seines Bartes, der mit Schmuck verziert war, während sein Blick abschweifte und von einer nahen Fackel gefangen wurde.

Rabensteiner Traviaplanungen

Als der Rabensteiner zurückkehrte, hatte Wunnemine ihre Ansprache gerade beendet. Die Knappin fehlt. Mit undeutbarer Miene trat der schwarzgekleidete Baron neben seine Gemahlin, ignorierte deren fragenden Blick und legte ihr eine Hand auf die Schulter, während er Wunnemine entschuldigend zunickte. “Wahrscheinlich seid Ihr untröstlich, wenn Ihr vernehmt, dass Ihr meinen Vortrag verpasst habt, ebenso wie im Übrigen alle anderen Jagdgefährten unserer Gruppe!” Auffordernd sah die Baronin Ihrem Amtskollegen in die Augen: “Ich hoffe, es war nicht die Angst vor meiner Rede, die Euch die Flucht hat ergreifen lassen!”  “Ich bin mir gewiss, dass ihr uns mehr als würdig vertreten habt, Hochgeboren. Seid bedankt dafür.” Der einäugige Baron hielt ihren Blick ohne Anstrengung.  “Verzeiht, dass wir euch derart überstürzt zurückließen, doch es galt eine dringliche  Familienangelegenheit zu regeln.”  Darüber hinaus schien er nicht gewillt, weitere Informationen zu teilen. “Diese muss Euch wahrlich jäh und überraschend ereilt haben, wenn Ihr dafür sogar einen der gesellschaftlichen Höhepunkte des Abends ausgelassen habt.” Wunnemine erwartete nicht, mehr aus dem Rabensteiner herausbekommen zu können, da selbst dessen Gemahlin noch nicht im Bilde schien. Ganz lassen konnte sie es aber dennoch nicht: “Täusche ich mich, oder war seine Gnaden von Wasserthal zu meiner Verwunderung auch involviert - oder doch einfach nur gleichzeitig mit ähnlich dringendem gefordert? Ich hoffe jedenfalls, dass Ihr diese Angelegenheit im Sinne Eurer Familie klären konntet!” Mit diesen Worten schien sie die Situation befrieden zu wollen, aber ein wenig lauerte immer noch die Neugier in ihr.  “Durchaus - er war involviert, Hochgeboren.” gab der Borongeweihte mit einem leichten Neigen seines Kopfes zu. 

Er beugte sich zu seiner Gemahlin neben ihm und erzählte, laut genug, dass es an die Ohren der Ambelmunderin drang. “Ich habe dem Antrag seiner Gnaden um die Hand Ravenas stattgegeben.” Shanijas Augen weiteten sich einen Augenblick lang ungläubig, ehe sie ihre Beherrschung zurück hatte. “Wie ihr wünscht.” war alles, was sie darauf kommentierte. Auch wenn der Unterton noch von so einigen drohenden Fragen unter vier Ohren kündete. Das also hatten der Edle von Wasserthal und der Baron von Rabenstein schon auf der Jagd so ausdauernd zu besprechen - ein solcher Schritt musste schließlich gut ausgehandelt sein. Wunnemine zollte dem jungen Geweihten Respekt - offensichtlich hatte dieser sich mit Hartnäckigkeit und Geschick in die Position gebracht, in ein Baronshaus einheiraten zu dürfen. Warum die letzte Verhandlungsrunde so plötzlich ausgerechnet zur Kür des Jagdkönigs eingeläutet werden musste, blieb ihr aber immer noch ein Rätsel. Außerdem versetzte ihr die Nachricht auch einen leichten Stich, erinnerte sie sie schmerzhaft, welcher Pflicht an ihrem Haus sie selbst noch nicht nachgekommen war. Wunnemine drängte den Gedanken vorerst zurück: “Meine Glückwünsche an Euch und das glückliche Brautpaar! Ist schon vereinbart, wann die beiden vor Travia treten werden?”  “Bislang noch nicht nicht.” Freude war aus der Stimme des Barons keine herauszulesen. “Doch würden wir uns geehrt fühlen, wenn ihr zu der Feier unser Gast seid. Wir werden Euch über den Zeitpunkt in Kenntnis setzen, sobald wir ihn festgelegt haben.”

Seine dunkle, durchaus angenehme Stimme erzählte davon, dass er sehr mit sich und seinen Angelegenheiten im Reinen stand. Seine Gemahlin beschränkte sich darauf, Wunnemine freundlich anzulächeln und diese Worte mit einem Nicken zu bestätigen. “Habt Dank für die Einladung!” antwortete Wunnemine, die dabei von Lucrann zu Shanija blickte und deren Lächeln erwiderte. Im Gegensatz zum Baron von Rabenstein wirkte die Baronin von Ambelmund sichtlich erfreut. “Es wird mir eine große Ehre und Freude sein, bei der Feier zugegen zu sein und Euch und dem Brautpaar Travias Segen für diese familiäre Verbindung zu wünschen!” Wie weggewischt war ihr Zürnen angesichts der vorherigen Flucht ihrer beiden Jagdgefährten. Auch wenn sie sich ein weiteres Mal darüber wunderte, wie wenig der Baron seine sicherlich freudigen Regungen nach außen ließ. Ob seine Tochter wohl begeistert sein würde? Der Geweihte war in jedem Fall ein schmucker Mann, die unabdingbare Familienraison hätte sie härter treffen können.” “Wusste Eure Tochter bereits, dass seine Gnaden von Wasserthal um ihre Hand anhalten würde?” fragte sie neugierig, auch wenn sie die Antwort bereits erahnte. “Das ist schwerlich notwendig, Hochgeboren.” verneinte der Baron ihre Frage.  “Es erfreut mich, Euch auf dieser Feier begrüßen zu dürfen.” Dass seine Tochter zur Zeit auf Ritterfahrt irgendwo im Reich unterwegs war, verschwieg er. Es würde eine interessante Aufgabe werden, sie kurzfristig beizubringen - eine Aufgabe, die er in gebührende Hände zu legen gedachte.

Mit keiner anderen Antwort hatte Wunnemine gerechnet, was die Beteiligung oder auch nur das Wissen der zukünftigen Braut  um die sich anbahnende Verlobung anging. Die Haltung des Barons von Rabenstein war in der Sache natürlich richtig - hochgeborene Blutlinien mussten erhalten werden und zugleich die politischen oder wenigstens wirtschaftlichen Bande gestärkt werden - zum Wohl der Baronie und des Hauses. Adel versetzte eben nicht nur in Macht und Stellung, nein, er verpflichtete auch. Und so froh sie in ihrer damaligen Lage gewesen war, dass ihr Vater zu Lebzeiten mit seinem eigen Fleisch und Blut nicht derart verfahren war, so sehr litt ihr Geschlecht und am Ende auch ihr Lehen heute an diesem Versäumnis. Es musste nachgeholt werden, bald… aber nicht sofort. Sie hob den Krug in Richtung der Rabensteiner. “Seht, ich glaube es geht weiter. Ich bin gespannt, ob die zweite Gruppe heute ähnliches erlebt hat wie wir - wobei ich kaum glaube, dass sie ebenfalls einem Schrat über den Weg gelaufen sind. Und da ist ja auch der Sohn meiner treuen Edlen…” “Dann lasst uns sehen, wie sie sich geschlagen haben.”  stimmte der Rabensteiner Baron zu. Eine weitere Schratsichtung indes erschien auch ihm unwahrscheinlich.

Vortrag Jagdgruppe 1

Nivard hatte den Vortrag der Baronin von Ambelmund nur am Rande mitverfolgt, war er doch noch viel zu sehr darauf konzentriert, auf die Schnelle ein treffliches Lied zu erdenken. Als diese geendet hatte und ebenso der ihr geltende Beifall spürte er nach einem Augenblick der Stille die Augen seiner Gefährten auffordernd auf sich ruhen. “Wollen wir?” raunte er zu Doratrava und den anderen Mitgliedern seiner Jagdgruppe.. Gemeinsam schritten die fünf Gefährten in die Mitte und stellten sich neben ihre Beutestücke. “Wollt Ihr diese hochhalten und präsentieren?” bat er die beiden Angroschim.  Borix griff sich die Scheren des Schröters und stellte sich leicht versetzt hinter Nivard auf. Tharnax nahm sich währenddessen des Keilerkopfes an und gab der Sau frech grinsend einen Kuss auf die breite Nase. So warteten die beiden Bergvögte darauf, dass es losging. Als die Trophäen ins rechte Licht gerückt waren, setzte Nivard zum Gesang an. Zuerst war seine Stimme noch, seiner Aufregung angesichts eines so zahlreichen und hochrangigen Publikums recht leise, doch fasst er bereits nach wenigen Tönen mehr Zutrauen, und seine Stimme wurde klarer und lauter:

“Stießen wir im dichten Wald Rasch auf Schröters Fährte, diese frisch, und gar nicht alt, Firun uns gewährte.

Doratrava hatte sich, während sich alle ihre Gefährten positionierten, mit ein paar wedelnden Handbewegungen Platz in der Mitte des Zuschauerkreises geschaffen. Nun begann sie ein pantomimisches Spiel zu Melodie und Worten des Tannenfelsers. Sie hatte so etwas noch nie gemacht und wusste, dass sie nur ein sehr provisorisches Schauspiel würde bieten können, aber das schreckte sie nicht. Und schon begann Nivard zu singen. Geduckt schlich sie im Kreis, die Hand wie zum Schutz gegen die Sonne an die Stirn haltend, den Kopf langsam nach beiden Seiten drehend. Dann hielt sie plötzlich beide Hände seitlich gegen den Mund, die Zeigefinger nach vorne ausgestreckt, und drehte sich einmal im Kreis, um den "Schröter" allen Zuschauern zu präsentieren. 

Holde Maid, führt uns fortan, auf verschlungenen Pfaden zum Untier, im dichten Tann, dank Tharnax gut beraten.”

hierbei deutete der junge Krieger zuerst auf Gelda, dann auf Tharnax.

Die Gauklerin tanzte ein paar Schlangenlinien über den Platz, dabei immer wieder den suchenden Blick auf den Boden gerichtet und den imaginären Gefährten hinter sich winkend.

“Gepanzert, so hart wie Stahl, und mit ries’ger Zange, ein Untier, nicht nur ein Mahl, doch uns war nicht bange.

Doratrava schlug sich zweimal kräftig mit der Faust in die linke Handfläche und zeigte dann mit den Armen die Länge der Zangen an, um dann auf Borix zu deuten.  Der Zwerg hatte die Scheren bis zu diesem Moment gesenkt gehalten. Nun jedoch hob er die mächtigen Zangen hoch und schwenkte sie wild hinter dem Rücken des Vortragenden hin und her, um sie dann über den Kopf zu halten, so dass alle Zuschauer sie gut sehen konnten.

Gemeinsam ging'n wir ran, Stürmten an voll Eifer, Jeder stand, seinen Mann, vor dem Maul voll Geifer.

Bolzen traf, und Jagdspeer mit, doch lebt der Schröter! Tänzrin sprang, den Käfer ritt, noch fehlt der Töter, noch fehlt der Töter!”

Während dieser zwei Strophen kniete sich Doratrava zunächst hin und simulierte mit beiden Händen und geneigtem Kopf den Schuss mit einer Armbrust, dann sprang sie auf, machte drei schnelle Schritte zum einen Rand des freien Platzes, um dann aus dem Stand in höchster Geschwindigkeit loszustürmen. Aber nur wenige Schritte, dann stürzte sie sich in einen Handstandüberschlag, doch stieß sie sich mit solcher Wucht vom Boden ab, dass dieser in einen Salto überging. Dabei riss sie die Arme nach oben, setzte beide geschlossenen Fäuste übereinander und stieß diese im Moment des Aufkommens mit aller Kraft Richtung Boden.

Nun wurde Nivards Gesang deutlich schneller und Melodie und Rhythmus entwickelten eine hypnotische Spannung.

“Wehrte sich, kämpfte hart, biss um sich, traf Arm so zart, Wehrte sich, kämpfte hart, wälzt' mich um, nichts blieb erspart, Wehrte sich, kämpfte hart, schleudert weg, wie's seine Art.”

Nun führte die Gauklerin einen wilden Tanz auf, drehte sich, zuckte nach vorne, imaginäre Waffen in der Hand, taumelte zurück, schleuderte sich zu Boden. Gesang und Rhythmus rissen sie mit, stiegen ihr zu Kopf, ihre Bewegungen waren ohne Zurückhaltung und voller Konsequenz, sie bog und wandte sich, flog durch die Luft in einer Weise, die einem ungeübten Menschen unmöglich vorkommen musste.

Nun wieder die ursprüngliche Melodie aufgreifend setzte er fort:

“Doch siegten wir mit einig Stoß, brenzlig Kampf bereinigt, Mensch und Zwerg, gemeinsam groß, allzusamm,  vereinigt.

Doratrava ließ sich zu Boden fallen und blieb dort ein paar Augenblicke liegen, dann sprang sie auf, breitete die Arme wie präsentierend aus und drehte eine schnelle Tanzrunde um den Platz.

Junge Maid, verwundet schwer, nun jagten wir für sie, Zweite Dam, ihr Wohl Gewähr, nun jagten wir nur für sie, jagten wir drei nur für sie!

Die Gauklerin beendete den Tanz des Triumphs in Geldas Nähe, sank in sich zusammen und hielt die eine Hand an ihre Seite. Mit einer schnellen Bewegung zog sie die überraschte Altenbergerin in den Kreis, legte ihren Arm um deren Hals und führte deren Hand um ihre Hüfte. Humpelnd führte Doratrava Gelda an den Rand des Kreises zurück und entließ sie dort wieder mit einem kecken Lächeln auf den Lippen.

Schweine kam'n wild wie ein Fluss, Keiler auserkoren, durch der Jäger drei vereinigt Schuss, Firuns Lob geboren.

Doratrava schlüpfte nun in die Haut des zur Strecke gebrachten Tieres. Sie rannte auf allen Vieren hakenschlagend über den Platz, um dann wie vom Blitz (oder eben mehreren Pfeilen) getroffen wild über den Boden zu kugeln, bevor sie "erlegt" liegenblieb. Tharnax hob während der rechten Strophe und Doratravas Darstellung den Keilerkopf über seinen Kopf, so dass alle Zuschauer ihn sehen konnten.

Sind nun zurück, künden von Glück, das mit Schmerz errungen, zeigen voll Stolz, die schönen Stück, von der Jagd gelungen, die hier sei besungen.”

Die Gauklerin stand wieder auf, dann tänzelte sie zu den beiden Zwergen und ihrer Jagdbeute, um nochmals die Aufmerksamkeit auf diese zu lenken. Dann beeilte sie sich, um an Nivards Seite zu kommen und hakte sich bei ihm unter.

Das Lied mit den letzten Versen leise ausklingen lassend verneigte sich Nivard zusammen mit Doratrava  vor dem Vogt von Nilsitz und anschließend vor seinen Gefährten. Tharnax erwiderte die Verneigung in Richtung Nivards etwas steif. Er schien nicht geübt in dieser Art der respektsbekundenden Bewegung. Ehrliche Überraschung, aber auch Stolz war dabei seinem Mienenspiel zu entnehmen. Ihm hatte der Vortrag über die Maßen gefallen. Und so war der Bergvogt einer der ersten, die in die Hände klatschten, noch vor Borindarax und natürlich den anderen Gästen der Jagd. Borix hatte nach dem Ende des Vortrags die beiden schweren Schröterzangen auf den Boden gelegt und verneigte sich nun ebenfalls ein wenig unbeholfen vor dem Vogt und dem Publikum. Da es zum Glück für den Zwerg schon recht dunkel war, fiel vermutlich keinem der Anwesenden auf, dass Borix einen roten Kopf bekommen hatte. Diese Art sich vor Publikum darzustellen war nicht so ganz seins und hatte ihn sehr verlegen gemacht.  ‘Na wenn es wer sieht, dann glaubt der bestimmt, dass die Zangen so schwer waren’, ging es ihm durch den Kopf. ‘Hoffentlich!’ Gelda war absolut begeistert von der Vorstellung ihrer Freunde. Hatte sie gedacht das die Jagd die fünf zusammenbringen würde, dann wurde ihr erst jetzt klar das es erst mit diesem Vortrag besiegelt war. Sie klatsche heftig, umarmte die Zwerge, die Gauklerin und gab Nivard einen Kuss auf die Wange. Glücklich schaute sie sich um und wartete gespannt, was die weiteren Gruppen zu bieten hatten. Nivard war zunächst erleichtert, den Vortrag vor so vielen gemeistert zu haben, dann ergriffen und ein wenig stolz angesichts der ersten Beifallsbekundungen der Umstehenden. Er nickte Doratrava zu: “Danke für Deine famose Darstellung!”  Als aber Geldas Lippen seine Wangen berührten, schien die Welt um ihn für einen Moment zu verblassen und alle Geräusche zu verstummen. Er nahm nur ihr von Fackeln in warmen Farben beleuchtetes Antlitz, das Tanzen der Flammen in ihren Augen und ihr leuchtendes Haar wahr, und das laute Pochen seines Herzens. Dieser Kuss ließ ihn sich bereits als Jagdkönig fühlen, ungeachtet, wie die Kür ausgehen mochte. Leider tat Satinav ihm nicht den Gefallen, die Zeit in diesem Moment für immer anzuhalten, und so wurde ihm wenige Augenblicke später klar, dass er vollkommen erstarrt, mit glasigen Augen und die Hand an seiner Wange, dastand, und nur das rötliche Licht kaschierte, dass er vollkommen rot angelaufen war. Er zwang sich, sich wieder dem Geschehen im Kreis zuzuwenden. Doratrava konnte nicht umhin, Nivards Erstarren und Erröten nach Geldas flüchtigem Kuss zu bemerken, stand sie doch noch immer direkt neben ihm. Innerlich seufzte sie ein klein wenig, aber ihren Mund konnte sie doch nicht halten. “Psst, krieg’ dich wieder ein, großer Krieger, sonst denken die Leute noch, du hättest einen Frosch verschluckt!” zischte sie ihm zu, wobei sie natürlich nicht verhindern konnte, dass auch Gelda das hörte. Aber sie lächelte zwar schelmisch, aber offen dazu, nichts läge ihr ferner, als ihre Freunde ernsthaft zu verärgern. ‘Verdammt, hoffentlich hatte nicht jeder hier im Rund seinen Ausdruck wahrgenommen.’ Sofort straffte er sich noch ein wenig mehr, grinste Doratrava kurz peinlich berührt an und wandte sich dann demonstrativ dem Kürgeschehen zu. Dabei hoffte vor allem darauf, dass er sich vor Gelda nicht… seltsam dargestellt hatte. Er musste lernen, sich nicht nur im Kampf oder in seinen Aufgaben als Krieger, sondern auch in den Angelegenheiten des Herzens im Griff zu haben. Wenn das nur so einfach wäre... Palinor konnte gerade noch die letzte Strophe des Herrn von Tannenfels hören, als sie schließlich wieder zur Jagdgesellschaft stießen. Schade, er hätte gerne gehört, was die Jäger erlebt hatten. So wanderten seine Gedanken wieder zu Boromada und gerade zurückliegenden Ereignissen. Der Knappe verstand immer noch nicht so recht, was da geschehen war, nur dass sein Vetter einer Verlobung zugestimmt hatte und sie beide ohne Bestrafung davon gekommen. Seitdem wirkte Rondradin niedergeschlagen, so als ob er die Verlobung gar nicht gewollt hätte. Dabei war es doch eine großartige Sache, der Gemahl einer zukünftigen Baronin zu werden, oder nicht? Verwirrt sah Palinor zu seinem Vetter hinüber. Dieser steuerte die kleine Gruppe um die Baronin von Ambelmund und dem Schwertvater von Boromada an. Kurz stockte der Geweihte als er den Herrn von Tannenfels mit der Gauklerin und Gelda zusammenstehen sah. Ein trauriges Lächeln umspielte die Züge des Rondrianers als er Doratrava zuwinkte und die anderen mit einem Nicken grüßte. Nivards Stimmung, noch vor wenigen Augenblicken, unmittelbar nach seinem Vortrag und Geldas Lippenberührung noch in alveranischen Höhen, trübte sich nach der ersten kleinen Abkühlung von soeben noch ein wenig mehr ein, als er Rondradins gewahr wurde. Dieser hatte ihm gerade noch gefehlt. Der junge Krieger erstarrte kurz, die Augen auf jeden gerichtet. Dann jedoch erspürte er die Traurigkeit im Antlitz des Geweihten. Er schalt sich seiner aufkeimenden feindseligen Gedanken, wo er den Rondrianer doch kaum kannte und eigentlich nichts genaues darüber wusste, was zwischen diesem und Gelda vorgefallen war. Noch immer zögerlich nickte er zurück, und ein ernstes Lächeln huschte über sein Gesicht. Vielleicht musste er doch bei einem oder zwei Bier ein offenes Wort mit dem Edlen von Wasserthal sprechen. Doratrava bemerkte Rondradins Winken und erwiderte es mit fröhlichem Grinsen. Doch schien der Geweihte gerade keine Zeit zu haben, zu ihnen herüberzukommen, außerdem … er sah irgendwie ein wenig bedrückt aus, wenn sie recht hinschaute. Nun ja, der Abend war noch lang, sie würde nachher noch Zeit haben, ihn zu fragen. Sie konnte jetzt ja selbst nicht so lange hier bleiben, ihr Auftritt wartete. Sie stieß Nivard leicht an und wandte sich auch Gelda zu. “Ich muss mich jetzt noch ein wenig vorbereiten für nachher. Wir sehen uns. Verpasst meine Vorführung nicht!” Sie hatte nicht vor, am Bankett teilzunehmen. Das würde sie nur ablenken, und essen und erst recht trinken durfte sie sowieso nicht viel. Nach ihrem Auftritt war dafür sicher immer noch Zeit. Sie winkte ihren Freunden und den Zwergen nochmal zu und machte Anstalten, ins Innere der Jagdhütte zu verschwinden. “Auf keinen Fall.” gab Nivard zurück. “Aber willst Du nicht wenigstens noch die Kür des Jagdkönigs abwarten? So viele Berichte kommen doch gar nicht mehr… Oder musst Du noch soviel vorbereiten? Und was, wenn tatsächlich wir gekürt werden sollten - und das dann sicher nicht nur unserer Trophäen, sondern auch Deines Auftritts gerade wegen? Komm, bleib doch noch kurz!” Tatsächlich machte sich ein gewisses Lampenfieber in Doratrava breit, mehr, als sie es gewohnt war. Das machte sie ungeduldig und führte zu dem Wunsch, alles nochmal zu überprüfen und durchzugehen. Doch Nivards Worte drangen zu ihr durch und sie kehrte nach drei Schritten wieder um. “Du hast ja recht”, gab sie mit schiefem Lächeln zu. “Ich … mein Auftritt … ich habe so etwas noch nie gemacht und werde es vermutlich auch nie wieder machen, da muss ich sicher sein, dass alles funktioniert. Aber ja, falls wir Jagdkönige werden, dann kann ich schlecht fehlen.” Sie bezähmte ihre aufkeimende Nervosität und stellte sich wieder neben ihre Freunde. Es ging hoffentlich gleich weiter mit den Erzählungen.  Nivard nickte: “Das will ich auch meinen! Außerdem hast Du gerade eben ja schon aus dem Stegreif so hervorragend dargestellt, da kann nachher doch eigentlich nichts schief gehen, wo Du Dir doch dafür schon länger Gedanken machst…!” Er machte eine Bewegung in Richtung der Kreismitte aus. “Aah, ich glaube, da kommt der nächste Redner, glaube ich. Weißt Du, wer das ist?” Auch Gelda bemerkte den traurigen Blick des Rondrageweihten. Immerhin war sie froh ihn wieder zu sehen. Was ihm wohl passiert war? Nach der Kür würde sie ihn aufsuchen. Es gab Klärungsbedarf, zumindest von ihrer Seite aus. Sie hörte nur halb ihren Gefährten zu, kam dann aber wieder mit ihren Gedanken zu ihnen zurück. Sie legte ihre Hand auf Doratravas Schulter. “Ich bin so gespannt!” “Ich habe keine Ahnung”, antwortete Doratrava dem Krieger. Dann hörte sie Geldas Worte und spürte plötzlich deren Hand auf ihrer Schulter. Ihre normale Reaktion wäre es nun gewesen, zusammenzuzucken und sich dem Griff zu entziehen, aber bei Gelda war das anders. Ein warmes Prickeln strömte von der Schulter durch ihren ganzen Körper. Sie konnte nicht verhindern, schon wieder leicht rosa anzulaufen. “Ich auch”, antwortete sie bemüht trocken, wobei sie versuchte, sich nicht zu bewegen, damit Geldas Hand noch länger dort liegen blieb. Da jetzt die Gruppe mit ihrem Vortrag fertig war und nun am Ende nicht nur Borix mit einem roten Kopf da stand, raunte dieser seinen Jagdgefährten zu: “Ich glaube, es ist das beste wenn wir jetzt einfach langsam gehen und für die letzte Gruppe Platz machen.” Er hob die abgelegten Zangen wieder auf, nickte noch einmal höflich dem Vogt zu und zog sich dann langsam in das Dunkel zu den anderen Zuschauern zurück.

Hinter den Kulissen bei Jagdgruppe 2

Dann waren sie auch schon bei seinen Jagdgefährten. “Ich wurde aufgehalten, bitte verzeiht”, entschuldigte sich Rondradin für die Verspätung. “Aufgehalten? Wärt Ihr kein Diener der Herrin Rondra, hätte ich glauben können, Ihr hättet die Flucht ergriffen, als unser Vortrag unmittelbar anstand!” entgegnete Wunnemine, mit gespielt schnippischem Tonfall. “Aber ich kenn' Euch ja besser, darum wusste ich von Anfang an, dass Euch und seine Hochgeboren von Rabenstein auf jeden Fall eine dringende Angelegenheit gerufen hat.” Sie sah dem Geweihten fest in die Augen, und lächelte diesen dann an: “Und wie ich von seiner Hochgeboren von Rabenstein gerade erfahren durfte, handelt es sich dabei ja sogar um eine hocherfreuliche - ich darf Euch auf’s herzlichste zu Eurer Verlobung beglückwünschen - mögen Rondra und Travia Eurer Verbindung ihren immerwährenden Segen schenken!” “Und falls es Euch nach dieser großen Neuigkeit noch interessiert,” sprach sie an Rondradin und seinen Schwiegervater in spe gerichtet, mit einem breiten Grinsen auf den Lippen, das ihre Nachsicht signalisierte. “ich habe Euch und Eure Taten auf der Jagd ins ihnen ungeachtet Eures Abgangs zustehende, strahlende Licht gerückt. Außerdem habt ihr gerechterweise auch verpasst, welchen Wirbel die Nachricht des Trolls bei unseren Gastgebern auslöste.” versuchte sie ihre beiden Gesprächspartner und Jagdgefährten neugierig zu machen. Rondradin wollte augenscheinlich etwas auf Wunnemines anfängliche Worte erwidern, als sie die Verlobung erwähnte. Überrumpelt starrte er sie kurz an, bevor der Blick hinüber zu seinen Schwiegereltern in spe zuckte. Der Baron schien entspannt zu sein, seine Gemahlin hingegen…  "Vielen Dank, Hochgeboren." Rondradin lächelte zaghaft während Palinor rot anlief und ein Stück in sich zusammen sackte. Sein um Verzeihung heischender Blick sprach Bände. Palinors Reaktion ignorierend, sprach der Geweihte weiter. “Ich möchte Euch für euren wohlmeinenden Vortrag danken und für den Hinweis auf die Reaktion der Angroschim auf unsere Begegnung mit dem Troll. Das mag die Blicke erklären, die mir von diesen auf dem Weg hierher zugeworfen wurden. Hattet Ihr die Möglichkeit, mehr über die Bedeutung der Worte zu erfahren?”  ”Ich habe es versucht, aber viel konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Ihr dürft Euch jedenfalls rühmen, dass offensichtlich über Euch eine der ersten Kontaktaufnahmen der Trolle zu den Zwergen, wenigstens seit längerer Zeit, erfolgte, und diese wird von seiner Hochgeboren Borindarax tatsächlich als Schritt der Annäherung gewertet. Die Botschaft, die Euch der Troll mitgab, scheint von einem mächtigen Artefakt, dem “Auge Stein” zu künden. Was es genau damit auf sich hat, um was es sich handelt, ob das “geöffnet sein” bedeutet, dass dieses wieder erwacht oder vielleicht nur wieder zugänglich ist, konnte oder wollte mir der Vogt von Nilsitz nicht sagen.” Nach einer kurzen Pause, in der sie Rondradin nachdenklich ansah, fügte Wunnemine hinzu: “Wobei ich geneigt bin, ihm zu glauben. Die große Zeit der Trolle ist lange Vergangenheit und nahezu alles über sie ist dem Vergessen anheim gefallen. Selbst die Zwerge, die den Steinschraten näher stehen als wir, wissen nur sehr wenig über diese.”

Aufmerksam verfolgte Rondradin die Erkenntnisse Wunnemines mit zunehmender Unruhe. “Soweit ich weiß,  suchten die Trolle zuletzt während dem Kampf gegen den Sphärenschänder den Kontakt  zu  den kurzlebigen  Völkern.” Gab  Rondradin zu bedenken. “Zu gerne wäre ich bei den weiteren Gesprächen mit den Trollen dabei.”  Ein kurzer Seitenblick strich über das Ehepaar von Rabenstein hinweg. “Aber das wird wohl nicht möglich sein. Selbst wenn man mich dazu einladen würde, hätte ich  kaum die Zeit dafür.” Nun wandte er sich dem Baronspaar von Rabenstein zu. “Was haltet Ihr davon, Hochgeboren?”

“Es interessiert mich, worum es sich bei dem Artefakt handelt - und welchem Zweck es dient.” gab der Rabensteiner zu. “Doch nicht genug, um unter den Verhandlungsführern zu sein. Bislang waren die Trolle in Rabenstein nicht in Erscheinung getreten. Solange das so bleibt, sehe ich keinen Anlass, Kontakt mit ihnen zu suchen.” Es gab auch ohne sie genug Kroppzeug in den Wäldern - und sonstwo, das Beachtung verlangte.  Verständig nickte sein Glaubensbruder. “Ich kann Euch gut verstehen.” Er wandte sich Wunnemine zu. “Würdet Ihr an den Verhandlungen teilnehmen wollen?” ”Eine gute Frage!” Wunnemine hielt kurz inne. “Einerseits ja, reichen doch der einstige und wahrscheinlich auch der heutige Einfluss der Trolle weit über die Wälder von Nilsitz hinaus. Ich könnte mir vorstellen, dass aus einer Verständigung mit den Steinschraten über kurz oder eher lang einiges über die Vorzeit unseres Herzogtums zu erfahren wäre, auch über Nordgratenfels und vielleicht sogar meine Baronie.” Sie dachte an ein steinernes Rätsel im Süden des Tanns, das im Licht ihres heutigen Gesprächs mit den Trollen zu tun haben könnte - vielleicht aber auch nicht. “Andererseits fürchte ich, dass die Annäherung zu den Trollen für unser menschliches Empfinden nur langsam vorangehen wird, und außerdem durch uns Wimmelkrieger nicht unbedingt erleichtert würde. Ich glaube daher, dass Vogt Borindarax am Anfang nicht besonders erpicht sein wird, Menschen in den Dialog der Steinklein mit den Schraten einzubeziehen. Außerdem rufen mich natürlich meine Pflichten auch wieder zurück in die Heimat, und vorher gibt es bereits einiges in der hiesigen Grafschaft zu tun. Aber vielleicht gibt es bereits Neuigkeiten von den Schraten, wenn ich zu Eurer Hochzeit wieder im Isenhag weile.”

Die Baronin lächelte zustimmend. “Vermutlich sind wir den Zwergen zu hektisch - die alten Rassen gehen vieles sehr viel langsamer an. Ich für meinen Teil muss auch nicht unbedingt einem lebenden Troll gegenüberstehen.” Sie schwieg einen Augenblick und blickte die andere Baronin überlegend an. “Meint ihr, dass es stimmt, dass sich ein Troll bei seinem Tod in Stein verwandelt? Spannend sind diese alten Rassen überaus.” “Das ist eine weitere gute Frage. Ich muss zugeben, dass ich auch nur das Hörensagen der alten Legenden kenne.” Wunnemine stellte sich im Geiste noch einmal den Steinschrat vor. “Einerseits sah der Troll, dem wir begegnet sind, durchaus so aus, als sei er aus Fleisch und Blut,  am ehesten wie ein überaus großer und primitiver Zwerg. Andererseits fühlten sich das Beben der Erde und das Krachen des Geästs bei dessen Nahen an, als wäre dieser noch weit schwerer, als es äußerlich den Anschein hat. Vielleicht stimmt es also doch, und er besteht aus Lebenskraft und Gestein, das einzig übrig bleibt, wenn erstere aus diesem weicht. Die Wahrheit würde wahrscheinlich nur nach einem Kampf offenbar - falls man selbst diesen überlebt. Aber mutmaßlich habt Ihr eine bessere Vorstellung als ich von der Vielfalt der Kreaturen auf dem Derenrund, und davon, was möglich ist, und was Ammenmärchen.”

“Es gibt noch so vieles, was ich gerne wissen würde. Und vermutlich nie erfahren werde. Ich fürchte, die Sache mit den Trollen ist eine davon.” bekannte Shanija mit leicht wehmütigem Blick. “Habt ihr auch solche Dinge, die euch schon lange reizen - von denen ihr aber wisst, dass sie wohl dauerhaft außerhalb eurer Erfahrung bleiben werden?” Reizen? Nein. Vielmehr: Sehnen. Und zugleich wissen, dass sie nicht “wohl dauerhaft”, sondern “sicher auf ewig” außerhalb ihrer Erfahrung bleiben würden. Immer wieder damit abschließen, die Sehnsucht aber dennoch immer wieder und immer weiter spüren. Und ständig dazu gedrängt werden. Nicht offen legen dürfen, was ausgeschlossen war, obgleich dies wenigstens das Drängen beenden würde. Und ihr Freiheit schenken… Aber wichtigere Pflichten standen entgegen. Noch zumindest ... . Wunnemine spürte einen Kloß in ihrem Halse entstehen, den sie mit einem kräftigen Schluck hinunter zu spülen versuchte. Ihr Blick verfing sich einen Moment in der Flamme einer Fackel, dann sah sie mit einem melancholischen Lächeln zu Shanija: “Lasst uns diesen Abend besser nicht von unerfüllten Sehnsüchten sprechen, sondern im Hier und Jetzt genießen. Immerhin gibt es mehr als nur einen Grund, diesen zu feiern.” Mit diesen, zunächst mit belegter Stimme, die erst gegen Ende wieder gewohnt fest wurde, gesprochenen Worten nickte sie Rondradin zu, der noch immer bei Ihnen stand. “Und ob Trolle im Tode tatsächlich versteinern, könnte seine Hochgeboren Borindarax vielleicht sogar wissen, auch wenn diese ansonsten auch für ihn ein Rätsel darstellen, wie er mir berichtete.” “Das ist eine gute Idee, Hochgeboren. Dem werde ich nachgehen - vielen Dank!” Shanijas Augen blitzten Unternehmungslustig.  “Und selbstverständlich werden wir diesen Abend feiern! Vielleicht habt ihr nachher noch Lust auf ein Glas Wein mit mir? Ich würde mich freuen.” “Nur zu gerne - die Freude wird ganz meinerseits sein.” stimmte Wunnemine, nun wieder mit Bestimmtheit lächelnd, zu. “Ich bin neugierig, wie Euch die Annehmlichkeiten zugesagt haben, die der Vogt gestern Abend in Aussicht gestellt hat. Und was sich in unserer Abwesenheit hier zugetragen hat.” Sie hatte von Leodegar bereits einige Andeutungen vernommen. Zu einem ausführlicheren Gespräch war aber seit ihrer Ankunft nicht die Zeit gewesen. Außerdem war ihr Vogt vorhin auch, für seine Verhältnisse, recht wenig mitteilsam gewesen...

Die Schwiegermutter in spe

Die Baronin legte derweil ihre Stirn in grüblerische Falten, musterte den Rondrianer und tat schließlich einen Schritt nach vorn. “Euer Gnaden, nehmt euch bitte nachher einige Minuten Zeit für ein Gespräch mit mir.” Sie lächelte Rondradin freundlich an - doch schon die Formulierung ihrer Worte besagte, dass ihr dies wichtig war. "Natürlich, Hochgeboren", gab Rondradin dem Wunsch Shanija von Rabenstein nach. Das zu erwartende Gesprächsthema war ihm durchaus bewusst. "Darf ich annehmen, dass Ihr dieses Gespräch unter vier Augen zu führen wünscht?"  “Unbedingt, Euer Gnaden. Sagt mir, wann es euch beliebt.” Shanija lächelte höflich.

Der Geweihte erwiderte das Lächeln der Baronin. “Wäre es Euch während des Banketts genehm?” Bevor Rondradin sich seiner zukünftigen Schwiegermutter stellen würde, wollte er sich erst stärken.   “Sehr gerne, Euer Gnaden. Am liebsten jedoch unter vier Ohren.” Sie betrachtete den schmucken jungen Geweihten, der nun in absehbarer Zeit ihrer Familie angehören würde. Wie er wohl war? Sie wusste so gut wie nichts über ihn - etwas, das sie in Bälde zu ändern gedachte. Unbemerkt von ihr schlich sich ein neugieriges, vorfreudiges Lächeln auf ihre Lippen. Das Gespräch versprach äußerst kurzweilig und erhellend zu werden! Das Lächeln der Baronin ließ die Bedenken Rondradins verschwinden. In der Vergangenheit hatten sie nie die rechte Gelegenheit gefunden um ein längeres Gespräch zu führen und insgeheim musste er sich eingestehen, dass er sich über die Gelegenheit freute, etwas mehr über seine zukünftige Schwiegermutter zu erfahren. “Dann wäre vielleicht ein kleiner Spaziergang genau das richtige.” Eine ausgedehnte Runde um die Jagdhütte und das Zeltlager würde ihnen ausreichend Zeit und Ruhe für das gewünschte Gespräch  liefern.  “Sehr gerne, Euer Gnaden. Noch vor dem Bankett - oder danach? Was wäre euch lieber?”  Den jungen Geweihten zu verschrecken war nicht Shanijas Absicht - er würde noch sehr viel länger als nur diesen Abend mit ihr zu tun haben. Und mit den meisten Menschen ließ es sich, so ihre Erfahrung, sehr gut auskommen, wenn man ihnen offen und möglichst vorurteilsfrei gegenübertrat. Ein wenig  irritiert ob dieses erneuten Nachfragens hob Rondradin zu seiner Antwort an. “Vielleicht ein kleiner Spaziergang nach dem Festmahl?” In Gedanken sammelte er schon Fragen, welche er Shanija stellen wollte. Sein Blick streifte Palinor. “Wird uns Eure Zofe bei dem Spaziergang begleiten?” Er trat etwas näher an die Baronin heran und ergänzte leise, “Dann könnte sie ein Auge auf meinen Vetter haben.”  “Gewiss.” Shanija nickte versonnen und musterte den jungen Burschen. “Ich freue mich schon.” 

Rickenhausen und die Jagd

Thalissa hatte sich mit Tar’anam ebenfalls zur Kür eingefunden, wobei leider keine Zeit gewesen war, sich großartig umzuziehen, so hatte sie sich nur ein wenig frisch machen können. Wie von selbst hatte sich ihre Jagdgruppe zusammengefunden. Auffordernd sah sie in die Runde. “Nun, meine Herren, fühlt sich jemand von Euch bemüßigt, unsere Großtaten in publikumswirksamer Form vorzutragen?” Sie konnte nicht verhindern, dass sie etwas ironisch klang. Weder der Trollpforzer noch Otgar schienen Männer großer Worte zu sein. Leider war auch an ihr kein schauspielerisches oder marktschreierisches Talent verlorengegangen, wobei sie bei letzterem nicht unglücklich war. Dennoch stellte sie sich innerlich darauf ein, dass die Sache letztendlich an ihr hängen bleiben würde. Ein leiser Seufzer entfuhr ihr. Der Trollpforzer schüttelte den Kopf. Er schien dazu auch nicht in der rechten Verfassung. Seine beiden Knechte waren wie stets bei ihm, hielten sich aber im Hintergrund.  Thankred war als einer der letzten zum Versammlungsplatz gekommen. Er hatte müde Augen und bewegte sich schwerfällig, wie den anderen auffiel. Dennoch schenkte er seinen Jagdkameraden ein warmes Lächeln, als lediglich in einem blauen Wappenrock mit dem schreitenden Troll darauf zu einer Erwiderung auf die Worte der Baronin ansetzte.  "Ich wurde von dem äußerst zuvorkommendem, zwergischen Medicus 'genötigt' von dem Brand zu trinken, mit dem er meine Wunden gereinigt hat", bemerkte Thankred zu Otgar und der Baronin, seinen vormaligen Jagdbegleitern. "Irgendwie ist mir dieser ohne die entsprechende Grundlage in meinem Bauch rasch zu Kopf gestiegen. Folglich ist meine Zunge etwas schwerfällig, nicht nur meine Glieder" Der Junker seufzte. "Zumindest sind die Schmerzen so besser zu ertragen. Verzeiht also, wenn ich eure Frage verneinen muss." Ganz offensichtlich hatte der Junker von Ostendorf ebenfalls kaum Gelegenheit gehabt sich für die Zusammenkunft der Jäger heraus zu putzen. Seine Hände hatte er vom Blut befreit, doch im Gesicht offenbarte der Fackelschein schaurige Blutspritzer. Darüber hinaus hatte er sich noch seinen Wappenrock übergeworfen, sodass er zumindest einen halbwegs vorzeigbaren Eindruck vermittelte. “Sofern sich niemand darum reißt, kann ich gern dem Gastgeber unsere Jagd schildern.”  Überrascht sah Thalissa den Junker an. “Das würdet Ihr tun? Dann lasst Euch nicht aufhalten!” bestärkte sie ihn in seinem Vorhaben. Wenn es allzu dröge wurde, konnte sie ihm ja immer noch beispringen, aber das behielt sie für den Moment für sich. Solch gestandene Krieger mochten es ihrer Erfahrung nach nicht, sich unnötig helfen zu lassen - wobei sich ‘unnötig’ auf ihre eigene Sichtweise bezog, was sonst. Auf jeden Fall war sie gespannt, wie der Vortrag aussehen würde.

Oft wurde der Junker als Wortkarg und Einsilbig wahrgenommen, doch lag dies nicht daran das ihm am der dafür notwendigen Begabung mangelte. Nein, weit gefehlt. Meist handelte es sich schlicht nicht um Themen die ihn tangierten oder aber die Situation machte es seiner Ansicht nach notwendig die Ruhe zu waren. Die junge Baronin hatte ihn mit ihren Fragen gelöchert, alles um mehr über das Ende ihrer Vorgängerin zu erfahren. Dabei war er zugegeben Maulfaul erschienen, aber was sollte er auch erzählen wenn die meisten Informationen die er hätte preisgeben können, er geschworen hatte mit ins Grab zu nehmen? Zugleich hatte er damals auf eben dieser Queste nur wenig geredet, war es doch seine Pflicht gewesen die Leute sicher durch die Wildnis zu führen. Eine Aufgabe die volle Konzentration bedurfte und vor allem erforderte dass alle Beteiligten sich leise verhielten. Dahingegen kannten ihn die Trossleute von einer ganz anderen Seite, als geschickten Feilscher und Händler der für seine Herrin den Tross verwaltete und das bestmögliche Geschäft machte. Neben dem Geschäft und dem Imman war es die Jagd die seine Leidenschaft entfesselte. So trat er beschwingt vor. An die zwei Schritt messend und mit kräftigen Schultern, war er eine Augenweide für die stolze Leuin und wirkte er nicht bereits einschüchtern genug verliehen ihm das nicht aus dem Gesicht gewaschene Blut von der Jagd im Fackelschein einen animalischen, einschüchternden Hauch.

„Gemeinsam zogen meine Gefährten, Ihre Hochgeboren Thalissa von Rickenhausen, Seine Wohlgeboren Thankred von Trollpforz und ich, zur Jagd aus. Wir folgten den Pfaden des Waldes, nahmen die Spuren auf die wir fanden und drangen so tiefer in den Dickicht aus finstersten Grün vor.“ Leitete er ihr Abenteuer ein und skizzierte mit seiner Stimme düstere Wege. „Wir fanden Spuren, doch waren diese oft nicht vielversprechend oder von Tieren die einer Jagd nicht würdig gewesen wären. Nur einmal wurden wir verlockt, als wir auf die Fährte eines Wolfsrudels stießen. Doch waren diese Wölfe es wert verfolgt und gestellt zu werden?“ Fragte er in die Runde, sich der Ironie bewusst das die von ihm unterstützte Immanmannschaft die Ostendorfer Wölfe waren. „Nein sie waren es nicht, die Fährte war kalt und somit keiner Mühen mehr wert. Unsere Geduld jedoch wurde belohnt, mit Bärenspuren!“ In der Pause die er anschließend einlegte, trat er zu ihrer Trophäe hinüber. „Wir folgten den Spuren bis zu einem dicht bewachsenen Erdhügel, in dem das Ungetüm seine Höhle hatte. Im Schutz der Wurzeln versuchte es sich an uns heranzuschleichen und zu sehen wer dort in sein Revier eingedrungen war. Aber unsere Augen waren scharf und so bemerkten wir ihn rechtzeitig um auf ihn anzulegen. Ein erster Pfeil flog, verlor sich auf dem Weg jedoch in den Wurzeln. Die Armbrust klackte und das Blut geriet in Wallung.“ Mit seinen Worten schmeichelte er den Ohren seiner Zuhörer und malte förmlich die Begegnung in ihren Geist. „Ein Pfeil traf, der Bär brüllte markerschütternd und schon war er da. Turmhoch ragte er vor uns auf, die Pranken zum tödlichen Hieb erhoben stand er dar. Nein, dies war kein junges unerfahrenes Tier, dort vor uns stand ein erfahrener Räuber. Ein Kämpfer der Siegreich aus vielen Schlachten hervorgegangen war. Gigantisch, mit Narben überzogen und an manchen Stellen hing sein Fleisch in Fetzen darnieder. Ein tödlicher Jäger, der sein Revier in diesem wilden Wald gegen zahlreiche Spinnen verteidigt hat. Doch war er nicht nur ein Verteidiger, er war ein Jäger! Das belegten die zahlreichen Überreste der Arachnoiden vor und in seiner Höhle.“ Gut konnte sich ein jeder vorstellen wie der Bär die Gruppe überragt haben mochte, tat der Ostendorfer doch gleiches in vielen Fällen mit ihnen. „So stand er vor uns. Wollte uns einschüchtern. Wir aber, wir hielten stand. Schnell bildeten wir eine Reihe, die Spieße fest in den Händen harrten wir aus. Verharrten wir als er auf uns zustürmte und sich auf uns stürzte. Er oder wir! Leben oder Tod!“ In der Stille seiner Pause, konnte sich jeder ausmalen wie es wohl wäre, wenn ein solches Ungeheuer auf einen zustürmte. „Die volle Wucht seines Angriffs traf seine Wohlgeboren von Trollpforz, doch unsere Wehr hielt stand. Gleich mehrfach aufgespießt hatte das Biest den Kampf bereits verloren, gab ihn jedoch nicht auf. Stattdessen versuchte er mit seinen messerscharfen Klauen Seiner Wohlgeboren den Bauch aufzuschlitzen. Tiefer sanken die Speere in sein Fleisch und während er einen Waffenknecht des Junkers unter seiner Masse begrub, hauchte er das Leben aus.“

Anerkennend nickte Thankred seinem Standesgenossen zu, als dieser sich ihm und Thalissa zuwandte. Das Klatschen hingegen war wegen seiner Leiden recht verhalten. “Wortgewandt und mitreißend”, urteilte der Junker begeistert. “Ich wette damit habt ihr nicht nur mich überrascht.  Habt ihr Kinder, an denen ihr dieses Talent geschult habt?” Auch Thalissa nickte Otgar anerkennend zu. Sie war ehrlich überrascht. Zwar war der Vortrag nur kurz und sprachlich ein wenig ungeschliffen gewesen, doch die Präsenz des Kriegers und die Leidenschaft in seiner Stimme hatten diese Makel mehr als wettgemacht, zumal sie dem Großteil des Publikums sowieso nicht zutraute, Wert auf sprachliche Eleganz zu legen. Nun war sie gespannt, wie die Wahl ausgehen würde. Rein vom künstlerischen Standpunkt musste sie zugeben, dass der Vortrag dieses Nivard von Tannenfels, den die Gauklerin so trefflich untermalt hatte, nicht zu schlagen war, und auch deren Beute musste sich hinter einem Bären sicher nicht verstecken. Allerdings hatte sie wie schon bei der sprachlichen Eleganz Zweifel daran, dass künstlerische Aspekte bei der Mehrheit der Zuschauer eine große Rolle spielten. Nun, entscheiden würde letztendlich der Vogt, und der schien ihr durchaus feinsinniger zu sein, als die meisten anderen Zwerge.

Rahjaspielfolgen

Bei den Zelten der Rabensteiner holten die beiden Wasserthaler schließlich den Baron und seine Knappin ein. “Hochgeboren, ich denke wir haben Gesprächsbedarf!” meinte Rondradin als er schließlich den Rabensteiner erreichte. Er klang bemüht ruhig und wirkte auch so. Ganz im Gegensatz zu Palinor, der kreidebleich neben dem Rondrianer stand und aussah, als würde er sich am liebsten übergeben. Der Rabensteiner musterte Rondradin, als müsse er überlegen, was er mit dem Jungen anstellen solle.  “Später, Euer Gnaden.” Beschied er ihn kurz angebunden. “Ich habe etwas zu regeln.” Mit einem knappen Kopfnicken scheuchte er die kalkweiße Knappin voran in  das Zelt. “Jetzt, Hochgeboren!” widersprach Rondradin. “Bitte”, setzte er ruhiger hinterher. “Es geht um eure Knappin und meinen Vetter. Wir sollten das hier und jetzt klären.”

“Was gibt es Eurer Meinung nach zu klären?” Jetzt besaß der Rondrianer die volle Aufmerksamkeit des Einäugigen - die Aufmerksamkeit einer Schlange, die unvermittelt etwas Kleines, Flinkes, potentiell Wohlschmeckendes wittert. “Meine Knappin hat sich vergessen.” Eine Feststellung, klirrend klar wie blankes Eis. “Sie haben Rahja gehuldigt und sich gegenseitig ein einzigartiges Geschenk gemacht”, stellte Rondradin fest.  “Natürlich war es falsch, aber das erste Mal sollte etwas Besonderes sein,  findet Ihr nicht? Wie dem auch sei, mein Vetter fürchtet, dass Ihr eurer Knappin etwas ernsthaft antun könntet. Deswegen würde er gerne mit Euch sprechen.” Palinor trat vor und verbeugte sich vor dem Baron. Er sah immer noch aus, als ob er gleich zusammenbrechen würde, aber seine Miene zeigte trotzigen Mut. “Hochgeboren, bitte verzeiht Boromada. Wenn Ihr jemanden bestrafen wollt, dann mich.”

Einen Herzschlag lang streifte der Blick des Boroni den aufmüpfigen Knappen. “Du kannst dich vor deiner Schwertmutter verantworten.” Damit war für ihn dessen Angelegenheit erledigt. “Und was meine Knappin anbelangt, Euer Gnaden, so wird sie erhalten, was sie sich verdient hat.” richtete er wieder seine Aufmerksamkeit auf seinen Bruder im Glauben.  Palinor wollte noch etwas sagen, schwieg aber als die Hand seines Vetters auf seiner Schulter zu liegen kam und dieser den Kopf schüttelte. Rondradin erwiderte den Blick des Alten. “Hochgeboren, seid gnädig. Es war der Überschwang der Jugend und die erste Liebe kann so berauschend sein, dass sie einen alles andere vergessen lässt. Außerdem werden die beiden schon gestraft genug damit sein, dass sie sich die nächsten Götterläufe wohl nicht mehr sehen werden.” Palinor wurde bei diesen Worten noch blasser und schien den Tränen nah. “Blinde Narretei verdient kein Mitgefühl, Euer Gnaden.” Der Boroni wandte sich in Richtung seines Zeltes, der Meinung, dass des Geredes nun genug getan sei. Rondradin schloß die Augen und dachte zwei Herzschläge lang nach. Der Baron hatte gerade den Zelteingang erreicht und schlug die Zeltlasche beiseite um einzutreten. Palinor blickte panisch vom Baron zu seinem Vetter und zurück, ein dringliches Flehen in seinen Augen.  Rondradin atmete einmal tief ein und aus. “Und wenn Euer Schwiegersohn Euch darum bitten würde, die beiden, der lieben Rahja wegen, zu verschonen?” Der Baron sog die Luft durch die Zähne. Sehr weiße, perfekt scharfe Zähne. Er blickte sich abermals um und fixierte den jungen Rondrianer mit einem langen, stechenden Blick. Bis auf den Grund seiner Seele fühlte sich der Wasserthaler gewogen, eine kurze, stechend kalte Berührung nur, so rasch vorbei, wie sie gekommen war, und nichtsdestotrotz eine Spur aus Reif hinterlassend. “Ihr bittet als Mitglied der Familie? Und sagt, Blut wiege schwerer als Wasser?” Der Rondrageweihte warf seinen Vetter einen Blick zu, der diesen schwer schlucken ließ, und meinte tonlos, ohne ihn aus den Augen zu lassen. “Ja, Hochgeboren.” Palinor stand sprachlos daneben. Was war da gerade geschehen?  Einen Herzschlag lang betrachtete der Rabensteiner schweigend sein Gegenüber. Knapp nickte er, eine winzige Geste nur, während seine Züge starr blieben, sein Auge kalt wie Eis. “Es sei.” Er betrachtete seinen künftigen Schwiegersohn. “Gehen wir zurück.” Nur ein Flüstern war seine Stimme. Dass seine Knappin im Zelt ausharrte, schien ihm gleich zu sein - oder aber er erachtete es nur als recht und billig. Rondradin nickte knapp. “Palinor, du kommst mit”, befahl er seinem Vetter, der ihm diese Suppe eingebrockt hatte. Dieser warf noch einen letzten sehnsüchtigen Blick auf das Zelt, in welchem Boromada wartete, und folgte den beiden Älteren zurück zur Wahl des Jagdkönigs.

Altenberger Interna

Maura von Altenberg, Doctora aus Elenvina, saß auf einer Bank und betrachtete das Geschehen vor der Jagdhütte. Der Tag fing so entspannt an, gefolgt vom Verarzten der Jäger bis hin zum Sezieren eines Schröters. Die Nachricht die sie allerdings über ihre Leibwache und Wegbegleiter, dem Söldner Oren, erhielt, erboste sie. “Wie konnte dieser schmierige Kerl nur!”, murmelte sie vor sich hin. Ihr Sohn, Elvan von Altenberg, stand neben ihr und legte seine Hand beruhigend auf ihre Schulter. “Mutter, lass es sein. Niemand konnte das ahnen.” “Doch, ich hätte meinen Instinkt trauen müssen. Das war eine dumme Idee von deinem Oheim, einen Söldner zu beauftragen. Wir müssen auf jeden Fall bei der Geweihten um Entschuldigung bitten.” Maura dachte kurz nach. “Aber dennoch werden wir so alleine nicht nach Elenvina zurückreisen können. Ich werde den Herrn von Tannenfels gleich dafür anheuern, der hat wenigstens Manieren!” Tatkräftig erhob sie sich und zielte den Krieger Nivard an. Elvan fasste sie bei der Hand und stoppte sie. “Mutter, das hat doch noch Zeit! Schau doch, er bereitet sich auf eine Ansprache vor.” Überrascht schaute sie ihn an und blickte wieder zum Platz mit den Jagdleuten. “Du hast recht. Wollen wir den Leute und deiner Kusine den Moment nicht zerstören.” Immer noch ein wenig aufgebracht, trat sie den Weg zur Bank zurück an. Dabei fiel ihr die Gruppe um den Baron von Rabenstein auf, der in Begleitung von dem Rondrageweihten Rondradin und seinem Vetter war. Die Gesichter der beiden sprach Bände und ihr schwante der Gedanke, mit was sie sich beschäftigt hatten. Als die Gruppe in Rufweite war, stand sie auf und rief:”Rondra zum Gruße, Euer Gnaden!”

Düstere Gedanken über seine Zukunft beherrschten Rondradin, als er dem Rabensteiner zurück zur Jagdhütte folgte.  Hatte er bei der Rückkehr von der Jagd noch eine Aussöhnung mit Gelda und ein ernsthaftes Werben um ihre Gunst ins Auge gefasst, war das nun nur noch ein verlorener Traum. Er war versucht, die Schuld für seine Misere bei den beiden Knappen zu suchen - waren sie es doch, die über die Stränge geschlagen hatten - aber das war nicht seine Art. Palinor war der Panik nahe gewesen, als Boromada von ihrem Knappenherrn weggeführt wurde. Sie hatte einige der Schauergeschichten mit ihm geteilt, die sich seine Knappen untereinander erzählten. So sollten schon mehrere Knappen in den Wäldern Rabensteins verschwunden sein. Eine Knappin, welche ihn verärgert hatte, hatte er erst mit 30 Jahren zum Ritter geschlagen. Volle 10 Götterläufe später als üblich. Und sein getreuer Alrigor sollte sein Aussehen einer besonders harten Prügelstrafe verdanken, die der Baron dem einst schmucken Knappen nach einer Verfehlung angedeihen ließ.  Außerdem munkelte man von verborgenen Räumen in der Burg, deren Betreten bei Strafe verboten war. Knappen, die dagegen verstießen, sah man nie wieder. Aber in dunklen Nächten vermochte man bisweilen ihre Schreie hören. Natürlich war das alles nur Gerede, aber vielleicht steckte in der ein oder anderen Geschichte doch ein Körnchen Wahrheit, die Knappin hatte Rondradin selbst kennenlernen dürfen. Selbst auf dem Kleinwardstein waren Geschichten über den düsteren Baron von Rabenstein im Umlauf gewesen, weshalb sich Rondradin von der Sorge um Boromada hatte anstecken lassen. Letztendlich hatten sie eine Bestrafung von Boromada und Palinor durch den Baron abwenden können, aber zu welchem Preis?

Als die Doctora ihn laut anrief, löste sich der Rondrageweihte von seinen Gedankengängen, glücklich darüber, eine Ablenkung gefunden zu haben. “Rondra zum Gruße, Doctora, Elvan”, grüßte Rondradin die beiden Altenberger. “Wir werden nachkommen, Hochgeboren”, raunte er seinem zukünftigen Schwiegervater zu, bevor er zusammen mit Palinor zu der Doctora aufschloss. Seine gerade noch düstere Miene hellte ein wenig auf und ein gezwungenes Lächeln umspielte seinen Mund, aber die Blässe, die sich seiner bemächtigt hatte, wollte nicht weichen. Palinor hingegen stand noch immer die Schamesröte ins Gesicht geschrieben und immer wieder blickte er um Vergebung heischend zu seinen Vetter auf. Trotzdem brachte auch er eine gemurmelte Begrüßung heraus. “Ich hoffe, Ihr hattet einen vergnüglichen Tag”, eröffnete Rondradin das Gespräch. “Ihr wolltet mit mir sprechen? Das ist gut, denn ich habe auch etwas mit Euch zu besprechen.” Seine Stimme war erfüllt von einer Melancholie, welche nicht so recht zu ihm passen schien. “Nun ja. Ich habe schlechte Nachrichten erhalten. Ich denke ihr habt von dem Vorfall zwischen meinem angeheuerten Söldner und der Borongeweihten gehört. Eine üble Sache und mir äußerst peinlich.  Aber ich habe daraus etwas gelernt.” Sie schaute sich Rondradin etwas genauer an. “Aber vielleicht solltet ihr erst einmal sprechen. Geht es euch nicht gut?” Seine Stimmung auffassend, schaute sie ihn besorgt an.

Die beiden Vettern wechselten einen schnellen Blick. Anscheinend war diese Geschichte noch nicht ans Ohr des Geweihten gedrungen. “Verzeiht, aber davon höre ich gerade das erste Mal.” Eine gewisse Neugier aber auch Sorge schwang bei seiner Antwort mit. Trotzdem zügelte Rondradin seine Neugier und kam dem Wunsch der Doctora nach. Nun sah der Geweihte tatsächlich ein wenig verlegen drein. “Ich werde meine Zusage zu Eurer Brautschau zurückziehen müssen.” Der Blick Rondradins ruhte eisenhart auf Palinor, während er weitersprach. “Seine Hochgeboren von Rabenstein hat mir erlaubt, um die Hand seiner ältesten Tochter anzuhalten und … aufgrund einiger Ereignisse am heutigen Tage, habe ich gerade vorhin genau das getan.” Er klang nicht nach einem glücklichen Menschen und Palinor wurde mit jedem Wort kleiner und seine Wangen färbten sich in immer dunkleren  Rotschattierungen. “Es tut mir leid, Euch enttäuschen zu müssen, Doctora”, schloss Rondradin.  Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung. “Ohh. Na dann kann man wohl nichts mehr machen. Ich wünsche euch alles Gute. Die Rabensteiner sind eine großartige Familie. Nun, aber eure Schwester kommt noch? Und wie sieht es mit euren Neffen aus?” Der Blick wanderte zu Palinor. Verständnislos sah der Geweihte Maura an. Es brauchte einen Augenblick bis er verstand, was sie gesagt hatte. “Danke. Meine Schwester wird sicherlich erscheinen. Welchen Neffen meint Ihr?” er bemerkte den Blick Mauras, der auf Palinor lag. “Ach so, Palinor ist mein Vetter. Er ist noch Knappe und wird deshalb nicht an der Brautschau teilnehmen. Daran darf er erst nach seinem Ritterschlag denken. Das sehe ich doch richtig, nicht wahr?” Die letzten Worte waren an den Knappen gerichtet, dessen Miene in schneller Folge eine wirre Mischung aus Furcht, Scham, Trotz und Erleichterung zeigte.   “Verzeiht, ich meine Vetter natürlich. Nun man kann nicht früh genug ein Bund zwischen zwei guten Häusern schlagen. Heiraten kann man ja auch nach dem Ritterschlag. Aber ich denke eh, das den Herren die Herzen bei den Rabensteinern und ihrem Gefolge höher schlagen als bei unseren guten Altenberger Frauen.” Die Enttäuschung war ihr leicht anzusehen.” Aber vielleicht wird eure Schwester ihr Herz an einen unserer Männer verlieren. Wer weiß das schon.” Sie setzte ihr Lächeln neu auf, nur um es gleich wieder zu verlieren. “Nun, der schmutzige Söldner hat die Borongeweihte unsittlich berührt und ihre Robe zerrissen. Travia sei Dank kamen rettenden Hände dazwischen und es ist nichts Schlimmeres passiert.” Nun setzte sie einen besorgten Blick auf. “Eine weitere Reise mit unehrbaren Personen ist unmöglich. Meine Familie wird von Elenvina aus nach Herzogenfurt reisen. Dafür werden ich diesmal den Plötzbogner Geleitdienst anheuern. Seiner Hochwürden  Winrich von Altenberg - Sturmfels, der Hochgeweihte des Gänsetempels in Elenvina und meine Tochter, die Lichtbringerin Praiona, werden mit auf dieser Reise sein. Eigentlich wollte ich fragen ob ihr uns begleiten würdet. Euch an der Seite der Geweihten würde mein Gewissen sehr beruhigen.” “Wann wollen sie den in Elenvina aufbrechen?”, war das erste, was Rondradin nach dieser Flut an Informationen als erstes herausbrachte. Marbolieb war angegriffen worden? Noch dazu von einem Söldner? Wie ging es ihr und was würde Dwarosch mit dem Söldner anstellen, sobald er davon erfuhr? Bei den Zwölfen, war ihm denn gar keine Ruhe vergönnt? Aber bevor sich noch mehr aufhalste, wollte er zumindest noch etwas klarstellen. “Bitte glaubt mir Doctora, als ich Euch zusagte, hatte ich den Wunsch die Damen des Hauses Altenberg kennenzulernen. Aber wie mir scheint, wisst Ihr bereits, welche Vorkommnisse mich dazu bewogen, die Verlobung mit Ravena von Rabenstein einzugehen.” Die Doctora sah die Sorge in seinen Augen, als sie die Boroni erwähnte. Intuitiv nahm sie seine Hand. “Es geht der Geweihten wieder gut. Es ist ihr körperlich kein Schaden zugefügt worden. Der unzüchtige Kerl ist jetzt in Gewahrsam. Dafür hat der Korgeweihte gesorgt.” Sie ließ seine Hand wieder los. “Eure Beweggründe gehen mich nichts an. Aber es ist doch eine glückliche Wendung. Rabenstein ist ein gutes Haus und wenn die Tochter der Baronin Shanija genauso hübsch ist, habt ihr wirklich sehr viel Glück. Und jemanden eures Formates möchte doch wirklich jeder in seiner Familie haben. Ich könnte mir gut einen Wasserthaler an der Seite meiner Tochter Elvrun vorstellen. Immerhin wird sie Traviageweihte, ist tugendhaft und züchtig. Etwas was sie ihrem Gemahl sicherlich ebenfalls abverlangen wird.” Sie lächelte wieder und schaute nun Palinor scharf an. “Ach ja. Gleich nach dieser Festivität reisen wir wieder nach Elenvina. Spätestens am 7. Rahja müssen wir dann in Herzogenfurt sein.”  Als die Doctora ihn in Bezug auf Marbolieb beruhigte, entspannte sich Rondradin ein wenig. Wenigstens dieser Kelch war an ihr vorübergegangen, hatte sie doch schon so viel erleiden müssen. “Ich danke Euch für Eure beruhigenden Worte, meine Schwester im Glauben ist mir wichtig.” Noch ein Kind ohne seine Mutter aufwachsen sehen zu müssen hätte ihm einen weiteren tiefen Stich ins Herz eingebracht. “Ich habe Ravena bereits einmal kurz gesehen. Sie ist ebenso hübsch als auch klug wie ihre Mutter.” Daß sie aber bei dieser Begegnung keinerlei Interesse an ihm gehabt hatte, verschwieg er der Doctora. Oder dass der Baron es ablehnte, dass die Verlobten  vor der Hochzeit etwas Zeit miteinander verbrachten, um sich kennenzulernen. Sein Blick fiel auf Palinor, der sich unter den Worten Mauras wand. Trotziger Stolz sprach aus dem Knappen, als er sich aufrichtete und dem Blick der Doctora begegnete. “Ich bitte um Verzeihung, wenn ich mich hier einmische, aber das betrifft doch wohl mich.” Rondradin zog die Augenbrauen hoch, bedeutete aber Palinor weiterzusprechen. “Ich würde niemals die Frau, die ich liebe, hintergehen oder mit anderen Frauen … untugendhafte Dinge tun.” Wieder schaute Maura überrascht. “Liebe also.” Wieder blickte sie zu Rondradin. “Ihr scheint nicht so zu denken wie euer Vetter hier, nehme ich an.” Der Blick wanderte zurück zu Palinor. “Verzeiht mein junger Herr, mir war nicht bewusst, dass ihr mit eurer Verlobten hier seid. oder seit ihr gar schon verheiratet?” Nun war sie Neugierig.  “Verhei… verheiratet, verlobt? Nein, natürlich nicht. Das ist frühestens nach dem Ritterschlag üblich”, stolperte Palinor über die Frage Mauras. “Nichtsdestotrotz liebe ich sie und wenn sie mich dereinst haben will, dann … dann ... “ Der Knappe lief hochrot an und nach einem tiefen Atemzug sprach er es dann aus: “... dann werde ich auch den Traviabund mit ihr eingehen. Aber auch so, ohne diesen, bin ich ihr treu.” Trotzig aber mit einer überraschenden Ehrlichkeit in den Augen erwiderte der Knappe den Blick der Doctora.

Rondradin betrachtete seinen Vetter mit einer Mischung aus Stolz und Sorge. Als Palinor geendet hatte, ergriff der Geweihte das Wort. “Ich beneide jeden, der aus Liebe heiraten kann und dies nicht aufgrund der Hauspolitik tun muss. Aber unabhängig davon, ob ich aus Liebe oder anderen Gründen den Traviabund eingehe, so werde ich meiner Gemahlin treu sein. Alles andere wäre unehrenhaft und ein Frevel wider Travias Gesetz. Stimmt Ihr mir dahingehend zu?” Eine leichte Schärfe hatte sich in die Stimme des Geweihten geschlichen. “In der Tat. Eure zukünftige Verlobte wird eine sehr glückliche Frau werden. Da bin ich mir sicher.” sagte sie zu dem jungen Mann. ´Der arme Junge, ich hoffe die Rabensteiner Knappin denkt genauso. Die Baronin war nicht begeistert´, dachte sie bei sich. “Wie sieht es aus, euer Gnaden. Kann ich auf eure Treue zählen?” Palinor beruhigte sich wieder etwas und schaffte es sogar zu lächeln. Rondradin hingegen legte den Kopf ein wenig schräg. “Bei der Reise nach Herzogenfurt? Ihr habt mir noch nicht gesagt, wann die Gruppe in Elenvina aufbrechen möchte. Oberst Dwarosch hat mich zur Einweihung des Denkmals zu Ehren der Gefallen des Haffaxfeldzugs nach Senalosch eingeladen, der ich bereits zugesagt habe und davor begleite ich Eure Gruppe bis nach Twergenhausen. Es gibt dort etwas zu klären und ich habe meine Hilfe dabei angeboten.” Die Schärfe war wieder aus seiner Stimme verschwunden.  “Ich verstehe. Mein Fehler, ich bin davon ausgegangen, dass ihr euch die Zeit zusammenreimen konntet. Nun wir brauchen ungefähr zwei Wochen. Ich denke gegen den 22. Ingerimm sollten wir los. Schafft ihr das? Das höchste Haupt der Traviakirche der Nordmarken wäre bei euch in den sichersten Händen.” Rondradin musste ob des versteckten Vorwurfs schmunzeln. “Ich kann Euch zwar sagen, wo Herzogenfurt liegt, aber berechnen, wie lange man bis dahin benötigt? Da muss ich Euch enttäuschen. Sie wollen also am 22. aufbrechen? Ja, das sollte klappen, wenn ich auf den Umweg über Meilingen verzichte.” Vielleicht konnte er danach noch einen Schlenker nach Tommelsbeuge machen um ein paar Tage in Ruhe und Abgeschiedenheit verbringen zu können.  Ihr Gesicht blieb weiter freudestrahlend. “Das freut mich zu hören und wir sind in sicherer Hand. Und ihr werdet bei der Brautschau sein. Nicht als Werber, aber als unser Gast. Der Segen jeder Gottheit ist willkommen. Die neue Baronin von Schweinsfold wird ebenfalls anwesend sein. Ich habe gehört, dass sie die Kusine der Rabensteiner Knappin ist. Wie ihr seht, hohe Gäste sind zu erwarten.” Sie hielt Rondradin ihre Rechte entgegen, um die Bitte zu besiegeln.

Palinor hatte nur noch am Rande das Gespräch verfolgt und seine Gedanken in Richtung Boromada gelenkt. Als die Doctora diese erwähnte, wurde er aber hellhörig und Interesse blitzte in seinen Augen auf. Rondradin indes bemerkte nichts davon. Er ergriff die Hand der Doctora, aber anstatt sie zu schütteln hauchte er ihr einen Handkuss darauf.  “Die Baronin nimmt ebenfalls daran teil? Aber sagt, warum kommt der höchste Traviageweihte der Nordmarken ebenfalls zur Brautschau? Ihr wollt doch nicht etwa die sich findenden Paare noch vor Ort den Traviabund schließen lassen?”  Sichtlich geschmeichelt ließ sie den Rondrageweihten gewähren und mußte dann kurz auflachen. “Wo denkt ihr hin? Das wäre eher unüblich, oder? Obwohl ich denke, wenn die Gefundenen es nicht abwarten können, wäre seiner Hochwürden bestimmt bereit gleich den Traviabund zu segnen. Nun, seine Hochwürden ist das Familienoberhaupt unserer Familie. Und er würde gerne selbst den Segen über die Brautschau geben. Immerhin hat er die Einladung in seinen Namen ausgesprochen.”  Sie drehte sich kurz zu Elvan um, der die ganze Zeit stumm hinter ihr gestanden hatte. Sie ergriff seine Hand und zog ihn zu sich. “Ich denke die Baronin kommt nur als Gast. Zwei weitere Baroninnen sind ebenfalls der Einladung gefolgt. Von Rickenhausen und von Firnholz. Aber wer weiß das schon. Vielleicht geben Travia und Rahja den beiden einen Wink und werben um die Hand einer unserer Jungmänner.” Nun strahlte sie ihren Sohn an, der ihren Blick mit einem gequälten Lächeln beantwortete. 

Rondradin stimmte in ihr Lachen mit ein. Im Verlauf ihres Gesprächs hatte er mehr und mehr seiner trübsinnigen Haltung abgelegt und zeigte immer mehr des ursprünglichen Wesens Rondradins, wie sie ihn kennengelernt hatten. “Eine solche Schnellhochzeit wäre wahrlich der Alptraum für die meisten Familien und zudem ganz und gar ein kompletter Bruch mit den Gepflogenheiten in den Nordmarken.” Der Geweihte musste plötzlich grinsen, als er sich seinen Onkel vorstellte, der ob dieses Traditionsbruchs vollkommen die Beherrschung verlieren würde. “Ihr wollt Euch also eine Baronin für Euren Sohn angeln? Ich wünsche Euch Phexens Glück und Rahjas Segen dafür. Mein lieber Elvan, Ihr werdet gegen eine ganze Schar Bewerber bestehen müssen.” Kurz verstummte er und das Lächeln verblasste etwas, bevor er weitersprach. “Meine liebe Doctora, wenn habt Ihr eigentlich für Eure Nichte, Gelda, ins Auge gefasst?”  Maura zwinkerte ihm zu, während sie weiter kicherte. “Meine Mutter darf doch wohl hoffen.” Elvan war das Gespräch unangenehm. Eine leichte Röte zog sich über seine Wangen. “Ich bin doch sichtlich uninteressant. Wer möchte schon einen Schönschreiber!” scherzte er über sich selbst. “Ja meine Nichte.” Mauras Lachen ebbte ab. Weiter lächelnd griff sie vorsichtig Rondradins Umhang und richtete ihn . “Ihr seid eine gute Partie … gewesen. Die einzige in der Familie, die Mut und eine rondragefällige Gesinnung besitzt. Ihre Mutter wäre bestimmt einverstanden gewesen. Ritterin, ihr versteht?” Dann hakte sie sich bei ihn ein und führte ihn einige Schritte weiter weg. “Euer Gnaden, es gibt da noch etwas, was ich unter vier Augen besprechen möchte.” “Aber nicht doch. Ihr seid ein gutaussehender junger Mann und wortgewandt seid Ihr auch.” Versicherte Rondradin Elvan. Maura hatte erkennen können, wie Rondradin sich kurz versteifte und ihm ein Kloß in der Kehle festzusitzen schien, als sie ihn als gute Partie für Gelda benannte. Sein Blick zeugte von Schmerz und Verlust. Hätte er doch nur bessere, andere Worte am Morgen gefunden und ihr seine Gefühle gestanden. Nun war es zu spät, zumal ihn ein anderes Los aufgezwängt worden war. Widerstandslos ließ er sich von der Doctora wegführen, während Palinor bei Elvan zurückblieb. “Was wollt Ihr mit mir besprechen?” Ihre Worte über Gelda bewegten ihn hörbar, auch wenn er dies zu unterdrücken suchte. 

Nach ein paar Schritten hielt sie an und griff in ihre Gürteltasche. Mit geschickten Griff holte sie ein kleines Tiegelchen hervor. Mit gesenkter Stimmer redete sie weiter. “Ich wollte euch das hier geben für euren Vetter. “Es ist eine Salbe aus Levthansmorchel. Vielleicht könnt ihr ihm erklären, wie sie anzuwenden ist. Es wäre doch ein Skandal, wenn seine zukünftige Verlobte noch vor dem Traviabund von Tsa gesegnet wird. Wie mir zu Ohren gekommen ist, hat Rahja schon jetzt Interesse bei ihnen ausgelöst. Die Vögtin von Schweinsfold ist bekannt für ihre Laune, wenn etwas gegen ihre Regeln geht. Das wiederum ist die Mutter der Rabensteiner Knappin. Und keine Sorge, das bleibt unter uns. Meine Schweigepflicht bindet mich.” Maura schaute ihn verschwörerisch und ernst an. “Habt Dank dafür, ich werde es Palinor später überreichen.” Nachdenklich betrachtete Rondradin das kleine Tiegelchen und packte es dann in eine Gürteltasche. “Palinors Vater, der Edle von Pappeln würde ihm wahrscheinlich den Kopf abreißen, sollte Tsa die beiden mit einem Kind segnen, bevor sie den Ritterschlag und den Traviabund haben.” Rondradin führte Maura noch ein paar Schritte weiter zu einer Bank und bot Ihr einen Sitzplatz an, bevor er sich neben sie setzte. “Es bleibt nur zu hoffen, dass Tsa sie nicht bereits gesegnet hat. Die Konsequenzen wären … “er lachte freudlos. “Würde die Vögtin einen Traviabund zwischen Boromada und Palinor überhaupt zustimmen?”

Als sie sich setzte, hatte sie jetzt einen besorgten Gesichtsausdruck. Sie dachte kurz darüber nach, über das Angebot, der Knappin einen besonderen Sud zu verabreichen, um Tsas Willen ein wenig zu beeinflussen. Die Rabensteiner Baronin lehnte das aber konsequent ab. Maura verwarf diesen Gedanken wieder. “Nun wenn es Tsas Wille ist, können wir da jetzt nichts mehr machen.” Sie dachte kurz nach. “Persönlich kenne ich die Vögtin nicht. Unsere Familienälteste ist ihre Segensmutter. Ich kenne sie daher nur aus Erzählungen. Ich wäre mehr darüber besorgt, ob es nicht zu Ärger zwischen den Häusern Rabenstein und Henjasburg, beziehungsweise Schweinsfold kommen könnte. Eine Schwangerschaft bei einer Schutzbefohlenen. Das rückt bestimmt kein gutes Licht auf den Schwertvater. Umgekehrt bestimmt auch.” Ihr Gesichtsausdruck hatte jetzt gänzlich jeden Ausdruck verloren.

Rondradin hatte sich nach vorne gelehnt, den Kopf auf seinen Hände gestützt. “Für Palinor wäre in diesem Fall ich verantwortlich, auch wenn es nicht folgenlos an der Baroness von Meilingen vorbeigehen wird, was noch mehr Ärger bedeuten würde.” Müde rieb er sich die Augen. “Aber es wäre schon ein gemeiner Streich den Rahja und Tsa den beiden spielen würden, sollten sie gleich bei ihrem … ersten Aufeinandertreffen gesegnet worden sein.” Einen kurzen Moment genossen beide die relative Ruhe der Nacht, dann brach Rondradin die Stille. “Wäre der heutige Tag ein wenig anders verlaufen, ich hätte um Gelda geworben.” Die Doctora griff wieder seine Hand und tätschelte sie mit der anderen. “Wollen wir jetzt nicht von dem Schlechtesten ausgehen. Es ist bestimmt nichts passiert. Klärt ihn aber bitte auf. Die Salbe wird helfen.” Ihr Gesicht hellte wieder auf, als er von Gelda sprach. “Ja, das wäre schön gewesen. Und weniger politische Befindlichkeiten, auf die man achten muss. Ihr werdet euer Glück schon finden. Ihr habt es verdient. Und euer Vetter auch.” Sie erhob sich und zog Rondradin von der Bank. “Wir sehen uns in Herzogenfurt. Ich glaub ihr solltet wieder zurück zur Kür. Die Leute warten schon.” Sie drehte sich wieder zu den zwei Wartenden. “Ihr seid eine gute Seele, Maura von Altenberg”, beschied Rondradin der neben ihm gehenden Dame,  als sie gemeinsam zu den beiden jungen Männern zurückgingen. Dort angekommen wandte er sich nochmals beiden Altenbergern zu. “Ich wünsche Euch noch einen schönen Abend. Elvan, stellt euer Licht nicht unter den Scheffel. Ihr könnt das Herz einer Dame erobern, traut Euch. Doctora, habt Dank für alles.” Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf Palinor. “Genug getrödelt, wir müssen zu den anderen.”  Elvan antwortet dem Geweihten mit einem wehmütigen Blick. Maura hielt ihren Sohn zurück und ließ die Wasserthaler von dannen ziehen. Nachdenklich schaute sie ihnen nach. ´Hoffentlich geht das gut aus.´, dachte sie bei sich. “Los mein Sohn, lass uns Nivard von Tannenfels aufsuchen.”